Das Marfan Syndrom

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Diploma Thesis
Das Marfan Syndrom
Ein Defekt der Fibrillin Biosynthese
eingereicht von
Max Ludwig Robert Balz
Geb.Dat.:
02. November 1984
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor der gesamten Heilkunde
(Dr. med. univ.)
an der
Medizinischen Universität Graz
Ausgeführt an der
Universitäts-Augenklinik
unter der Anleitung von
Univ.--Prof. Dr. Otto Schmut, Dr. Dieter Rabensteiner
Ort, Datum …………………………..
(Unterschrift)
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet
habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen
als solche kenntlich gemacht habe.
Graz, am ……
Unterschrift
I
Danksagungen
Mein Dank gilt den Patientinnen und Patienten, die sich bereit erklärt haben, an
der Befragung teilzunehmen. Meinen beiden Betreuern, Herrn Prof. Dr. Otto
Schmut und Dr. Dieter Rabensteiner, danke ich für ihre Geduld und die Hilfe, wann
immer ich sie darum gebeten habe.
II
Vorwort des Autors
Um eine bessere Lesbarkeit dieser Arbeit zu gewährleisten, wird das generische
Maskulinum verwendet. Ich entschuldige mich, sollten die persönlichen Gefühle
der Leserinnen und Leser dadurch verletzt werden. Es ist nicht Ziel dieser Arbeit,
Menschen zu diskriminieren. Der Autor distanziert sich entschieden von jedweder
Form der Diskriminierung.
III
Zusammenfassung
Hintergrund: Das Marfan Syndrom ist eine autosomal-dominant vererbte
systemische
Bindegewebserkrankung.
Es
handelt
sich
um
eine
Multisystemerkrankung mit hoher klinischer Variabilität, der eine Mutation des
Fibrillin-1-Gens zugrunde liegt. Jedes Organsystem kann vom Marfan Syndrom
betroffen
sein.
Die
meisten
Symptome
treten
an
Skelett,
Auge
und
kardiovaskulären System auf. Die Häufigkeit des Syndroms liegt zwischen 1:3000
und 1:10000. Im Verlauf der Erkrankung können vor allem kardiovaskuläre
Ereignisse im Sinne von aortalen Aneurysmen/Dissektionen zu gefährlichen
Komplikationen führen. Die skeletalen Manifestationen umfassen Hochwuchs,
Skoliose, Thorax- und Fußdeformitäten sowie überschießendes Längenwachstum
der Röhrenknochen. Die Augen können in Form von Myopie, Katarakt, Glaukom,
Amotio retinae und der typischen Luxatio lentis betroffen sein. Die Manifestationen
erfordern adäquate Therapiemaßnahmen. Das Syndrom besitzt zudem eine stark
ausgeprägte psycho-soziale Komponente. Unbehandelt besitzt das Syndrom eine
hohe Mortalität und eingeschränkte Lebenserwartung. Unter angemessener
Therapie kann letztere deutlich erhöht werden. Methoden: Literaturstudie und
anschließende Befragung von Betroffenen nach Einholen des positiven Votums
der Ethikkommission der Medizinischen Universität Graz. Die Fälle der Patienten
wurden in Form eines standardisierten Fragebogens erhoben. Im Gespräch mit
den Patienten wurde zudem auf individuelle Aspekte der Krankheit eingegangen.
Besonderes
Interesse
lag
dabei
auf
dem
Gesichtspunkt
der
Krankheitsverarbeitung und -wahrnehmung in Kindheit, Jugend und frühem
Erwachsenenalter. Resultate: Die Verläufe der Krankheit unterscheiden sich stark
bezüglich Schweregrad, symptomatischer Ausprägung, Krankheitsverarbeitung
und psycho-sozialer Beteiligung. Die Patienten besitzen in unterschiedlichen
Lebensphasen
grundlegend
verschiedene
Herangehensweisen
an
ihre
Erkrankung. Trotz verbesserten diagnostischen und therapeutischen Methoden
bestehen nach wie vor Defizite auf dem Gebiet der Koordination von Management
und Prävention.
IV
Abstract
Background: The Marfan syndrome (MFS) is a systemic, autosomal-dominant
inherited disease of connective tissue. It is a multi-systemic disease with high
clinical variability, caused by a mutation of the fibrillin-1 gene. Each organ system
may be affected by MFS. Most symptoms affect the skeleton, eye and
cardiovascular system. The incidence of MFS is between 1:3000 and 1:10000.
Dangerous complications are cardiovascular events, particularly aortic aneurysms
and dissections. The skeletal manifestations include tall stature, scoliosis, chest-/
foot deformities and overshooting longitudinal growth of tubular bones. The eye
may be affected in form of myopia, cataract, glaucoma, amotio retinae and the
typical luxatio lentis. The manifestations require adequate therapeutic measures.
MFS also has a strong psycho-social component. Untreated, the syndrome has
high mortality and reduced life expectancy. Under appropriate treatment, life
expectancy can be increased significantly. Methods: Literature review and
interviews with affected patients after obtaining a positive votum of the Ethic
Committee of the Medical University Graz, Austria. The cases were reported in
form of a standardized questionnaire. Individual aspects of MFS were discussed in
an interview with patients. Particular interest was focused on the aspect of coping
and perception in childhood, adolescence and early adulthood. Results: The
courses of the disease vary widely in severity, symptomatic expression, coping
and psycho-social involvement. In different stages of life, the patients have
fundamentally different approaches to the disease. Despite improved diagnostic
and therapeutic methods, there are still shortcomings in the field of coordination of
management and prevention.
V
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung................................................................................................................1
1.1 Geschichte des Marfan Syndrom...................................................................2
1.2 Grundlagen.....................................................................................................6
1.2.1 TGF- β.....................................................................................................8
1.2.2 Rolle der Matrix-Metallo-Proteasen.........................................................8
1.2.3 Kardiovaskuläres System........................................................................9
1.2.3.1 Aorta.................................................................................................9
1.2.3.2 Herzklappen...................................................................................11
1.2.4 Skelett....................................................................................................12
1.2.5 Auge.......................................................................................................13
1.2.6 Dura.......................................................................................................14
1.2.7 Lunge.....................................................................................................15
1.3 Diagnostik.....................................................................................................15
1.3.1 Klinische Diagnostik..............................................................................16
1.3.2 Molekular-biologische Diagnostik..........................................................18
1.3.3 Bildgebende Diagnostik.........................................................................18
1.3.4 Pränatale Diagnostik.............................................................................21
1.4 Genetik..........................................................................................................22
1.4.1 Erbgang.................................................................................................23
1.4.2 Marfan Syndrom Typ I...........................................................................24
1.4.3 Marfan Syndrom Typ II..........................................................................24
1.5 Differentialdiagnosen....................................................................................25
1.5.1 Loeys-Dietz Syndrom............................................................................25
1.5.1.1 Loeys-Dietz Syndrom Typ I............................................................26
1.5.1.2 Loeys-Dietz Syndrom Typ II ..........................................................26
VI
1.5.2 MASS-Syndrom.....................................................................................27
1.5.3 Weill-Marchesani Syndrom....................................................................27
1.5.4 Shprintzen-Goldberg Syndrom .............................................................28
1.5.5 Ehlers-Danlos Syndrom ........................................................................28
1.5.6 Beals-Hecht Syndrom ...........................................................................29
1.5.7 Homocystinurie .....................................................................................30
1.5.8 Stickler Syndrom ..................................................................................31
1.5.9 Multiple Endokrine Neoplasie Typ 2B ...................................................31
1.6 Management des Marfan Syndroms............................................................32
1.6.1 Orthopädisches Management...............................................................33
1.6.2 Internistisches Management.................................................................35
1.6.3 Ophthalmologisches Management........................................................36
1.6.4 Kardiochirurgisches Management.........................................................37
1.6.5 Thoraxchirurgisches Management........................................................39
1.6.6 Geburtshilfliches Management..............................................................39
1.6.7 Psychologisches Management..............................................................40
1.6.8 Kieferorthopädisches Management.......................................................41
2 Material und Methoden........................................................................................42
2.1 Patientenauswahl..........................................................................................42
2.2 Ausschlusskriterien.......................................................................................42
2.3 Ablauf............................................................................................................42
2.4 Datenerhebung ............................................................................................43
3 Fallberichte...........................................................................................................43
3.1 Patient 1: weiblich, 25 Jahre, schwere Symptomatik...................................43
3.2 Patient 2: weiblich, 24 Jahre, moderate Symptomatik.................................47
3.3 Patient 3: männlich, 20 Jahre, geringe Symptomatik...................................50
VII
4 Resultate..............................................................................................................52
4.1 Psycho-soziale Aspekte................................................................................52
4.1.1 Unterschiede in der Krankheitsverarbeitung.........................................54
4.1.2 Unterschiedliche Wahrnehmung in verschiedenen Lebensphasen......55
4.2 Biologische Aspekte......................................................................................56
5 Diskussion............................................................................................................57
6 Literaturverzeichnis..............................................................................................62
VII
Glossar und Abkürzungen
ACE -
angiotensin converting enzyme
bzgl. -
bezüglich
bzw. -
beziehungsweise
CCA -
kongenitale kontrakturale Arachnodaktylie
CT
Computertomographie
-
EDS -
Ehlers-Danlos Syndrom
EGFL -
epidermal growth factor like
FBN -
Fibrillin
HK
-
Hauptkriterium
i.u.
-
intrauterin
LDS
-
Loeys-Dietz Syndrom
MEN -
Multiple endokrine Neoplasie
MFS -
Marfan Syndrom
MMP -
Matrix-Metallo-Proteasen
MRT -
Magnetresonanztomographie
NK
Nebenkriterium
-
paVK -
periphere arterielle Verschlußkrankheit
St.p. -
Status post
TEE
Transösophageale Echokardiographie
-
TGF -
transforming growth factor
TTE
-
Transthorakale Echokardiographie
u.a.
-
unter anderem
WMS -
Weill-Marchesani Syndrom
z.B.
zum Beispiel
-
IX
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Antoine Bernard-Jean Marfan, Porträt von Henry Bataille;
Quelle: http://www.myartprints.com/a/bataille-henry/bernard-jean-antoine-marf1.html. [Stand: 10.05.2012].......................................................................................2
Abbildung 2: Abraham Lincoln (Mitte)
Quelle: http://www.loc.gov/pictures/resource/cwpb.04326/. [Stand: 10.05.2012]....4
Abbildung 3: Familie mit dem Marfan Syndrom
Quelle: http://www.homoeopathiker.de/joomla/index.php/systematik/80-hereditaersyphilitische-zeichen—das-marfan-syndrom. [Stand: 10.05.2012]..........................5
Abbildung 4: Struktur des Fibrillin-1-Proteins
Quelle:http://en.wikipedia.org/wiki/File:Protein_FBN1_PDB_1apj.png.
[Stand: 10.05.2012]. .................................................................................................6
Abbildung 5: arterielle Dissektion
Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Datei:Aortic_dissection_(1)_Victoria_blueHE.jpg&filetimestamp=20060114150204. [Stand: 10.05.2012]................................9
Abbildung 6: Typ-A-Dissektion
Quelle:http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Datei:AoDissect_DeBakey2.png&filetimestamp=20060330073850. [Stand:
10.05.2012]. ...........................................................................................................10
Abbildung 7: myxomatöse Degeneration einer Herzklappe
Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Myxomatous_aortic _valve.jpg. [Stand:
10.05.2012]..............................................................................................................11
Abbildung 8: Pes planus
Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Datei:Flatfoot.jpg&filetimestamp=20071104164648. [Stand: 10.05.2012]......12
Abbildung 9: Pectus incavatum
Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Datei:Pectus1.jpg&filetimestamp=20060212003529. [Stand: 10.05.2012]... .13
Abbildung 10: Zonulafasern
Eigentum der Universitäts-Augenklinik Graz..........................................................14
Abbildung 11: Aortendissektion
Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Datei:AoDiss_CTRekonstr.jpg&filetimestamp=20060224175200. [Stand:
10.05.2012].............................................................................................................19
Abbildung 12: Aortendissektion in der TEE
Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Datei:AoDiss_TEE_BBild.jpg&filetimestamp=20060224174200. [Stand:
10.05.2012].............................................................................................................20
X
Abbildung 13: Überblick der pränataldiagnostischen Optionen
Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Datei:Praenataldiagnostik.png&filetimestamp=20110206141823. [Stand:
10.05.2012].............................................................................................................21
Abbildung 14: autosomal-dominanter Erbgang
Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Datei:Autodominant_01.png&filetimestamp=20080607175716. [Stand:
10.05.2012].............................................................................................................23
Abbildung 15: hyperelastische Haut beim EDS
Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:SkinHyperextneck.jpg&filetimestamp=20120108185348. [Stand: 10.05.2012]...........................29
Abbildung 16: Skoliose
Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Datei:Initial_diagnosis_of_scoliosis_with_adams_test_and_xrays.jpg&filetimestamp=20100321195021. [Stand: 10.05.2012]............................34
Abbildung 17: Subluxatio lentis
Eigentum der Universitäts-Augenklinik Graz..........................................................36
Abbildung 18: Bentall-Technik
Quelle: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0146280607001223.
[Stand: 10.05.2012].................................................................................................38
XI
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Gent-Nosologie.......................................................................................17
Tabelle 2: Wahrnehmung der Erkrankung..............................................................55
Tabelle 3: Systembeteiligung..................................................................................56
XII
1 Einleitung
Das Marfan Syndrom bezeichnet eine genetisch bedingte Veränderung des
Bindegewebes. Dieser liegt ein Defekt des Fibrillins infolge einer FBN-1Genmutation zugrunde. Der Begriff fasst die Symptome eines Krankheitsbilds
zusammen, welches durch eine Schwäche aller bindegewebigen Strukturen
gekennzeichnet ist. Die Krankheit ist dem Formenkreis der Fibrillopathien
zuzuordnen. Eine Mutation des FBN-1-Gens hat pleiotrope Effekte auf den
Organismus. In seiner Eigenschaft als omnipräsentes Bindeglied zwischen den
verschiedenen Geweben und Organen des Körpers sowie seinen mannigfaltigen
Aufgaben im Organismus führt ein Defekt des Bindegewebes zu verschiedensten
Störungen, die in ihrer Ausprägung unterschiedlich stark variieren können. So sind
Fälle gering ausgeprägter Symptomatik bis hin zu solchen mit schwersten
frühkindlichen Beschwerden möglich. Die Erkrankung besitzt somit eine hohe
Variabilität bezüglich der phänotypischen Ausprägung, was eine präzise
Diagnosestellung in vielen Fällen erschweren kann. Die Veränderung wird in
einem autosomal-dominanten Erbgang vererbt. In einem Viertel der Fälle wird das
Syndrom durch eine Neumutation verursacht, welche dann wiederum von den
erkrankten Individuen an Filialgenerationen weitergegeben werden kann [Dietz, et
al., 1991]. Infolge der aus dem Defekt des Fibrillinmoleküls entstehenden
Schwäche des Bindegewebes treten Symptome besonders häufig am Skelett, an
den Augen und am kardiovaskulären System auf, wobei letztere wesentlich zur
Morbidität und Mortalität der Patienten beitragen. Das Marfan Syndrom erfordert
interdisziplinäre
Zusammenarbeit
und
angemessene
Therapiemaßnahmen.
Hierdurch kann die Lebenserwartung deutlich gesteigert werden und sogar
nahezu die der Normalbevölkerung erreicht werden. Unbehandelt ist von einer
Lebenserwartung von 32 Jahren auszugehen. Durch angemessene Therapie kann
diese auf über 60 Jahre erhöht werden [Silverman, et al.,1995]. Anhand der
anschließenden, dokumentierten Fälle sollen verschiedene Ausprägungen des
Syndroms und die bio-psycho-sozialen Auswirkungen der Erkrankung auf
Betroffene beschrieben werden.
Im Zuge dieser Arbeit soll darüber hinaus auf die Diagnostik des Marfan Syndroms
und bedeutende Differentialdiagnosen aus dem Formenkreis der Fibrillopathien
eingegangen werden.
1
1.1 Geschichte des Marfan Syndrom
Der französische Kinderarzt Antoine Marfan (1858-1942), tätig in Paris, beschrieb
das Syndrom am 28. Februar 1896 erstmals [Marfan, 1896]. Er referierte über
„pattes
d'araignée“
(Arachnodaktylie,
Spinnenfingrigkeit),
sowie
überdurchschnittlich lange Extremitäten im Vergleich zum Stamm bei einem
fünfjährigem Mädchen namens Gabrielle. Er präsentierte ihren Fall der Société
Médicale
des
Hôpitaux
Erwachsenenalter.
de
Marfan
Paris.
Die
bezeichnete
Patientin
das
verstarb
Syndrom
im
frühen
zunächst
als
„Dolichostenomelie“ (Lang– und Schmalgliedrigkeit).
Abbildung 1: Antoine Bernard-Jean Marfan, Porträt von Henry Bataille;
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts (1902) untersuchten Léon Babonneix und Henri
Méry
Gabrielle
radiologisch
Röntgentechnologie.
Sie
mit
stellten
Hilfe
bei
der
der
kurz
Patientin
zuvor
eine
entdeckten
Skoliose
und
Thoraxasymmetrie fest. Diesen Zustand benannten sie als Gegenstück zur
Achondroplasie
mit
der
Bezeichnung
„Hyperchondroplasie“.
Weitere
Veränderungen wurden bei anderen Patienten im Laufe der Zeit entdeckt und
ergänzten den Symptomkomplex. Hierzu zählen die kardiovaskulären Schäden,
die okuläre Manifestation sowie die Genetik im Sinne eines autosomal-dominanten
Erbgangs. Im Jahr 1902 beschrieb Emile Charles Achard die Erkrankung eines
anderen Mädchens mit Spinnenfingrigkeit, Gelenkshypermobilität und erblicher
Komponente in seinem Artikel „Arachnodaktylie". Der Zustand wurde 1931
erstmals von Henricus Jacobus Marie Weve als „Marfan Syndrom“ (MFS)
2
bezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt war bereits von über 150 Fällen dieser Krankheit
berichtet worden. In folgenden Berichten wurde der Begriff etabliert. Das Syndrom
umfasste nun neben der Erscheinung des marfanoiden Habitus auch Schäden an
anderen Organsystemen, wie den Augen (1914) und dem Herz-Kreislaufsystem:
Ein Zusammenhang zwischen dem MFS und der Beteiligung der Aorta wurde
erstmals 1943 postuliert [Baer, Taussig und Oppenheimer 1943]. Der Erbgang des
Syndroms wurde 1931 erkannt. Bevor sich der Begriff „Marfan Syndrom“
durchsetzte,
waren
„Hyperchondroplasie“,
von
verschiedenen
„Arachnodaktylie“,
Autoren
Bezeichnungen
wie
„partieller
Gigantismus“
oder
„Akromakrie“ zur Beschreibung des Zustands verwendet worden [Sailer, Tilz und
Wehrschütz, 1968]. 1956 verfasste schließlich Professor Victor A. McKusick ein
fundamentales Werk namens „Heritable Disorders of Connective Tissue“ (Erbliche
Erkrankungen des Bindegewebes), in welchem er die Grundzüge des Marfan
Syndroms beschrieb.
Die Frage, ob die Patientin Gabrielle P. tatsächlich an dem Marfan Syndrom litt, ist
nicht geklärt, jedoch entstammte ihre Krankheit mit hoher Wahrscheinlichkeit dem
Formenkreis der Fibrillopathien. Einige Autoren vermuten das Beals-HechtSyndrom (kongenitale kontrakturale Arachnodaktylie, CCA) hinter Gabrielles
Erkrankung [Hecht und Beals, 1972]. Die Patientin von Achard hingegen litt
tatsächlich am Marfan Syndrom.
Im Jahr 1964 wurde im Journal of the American Medical Association ein Artikel
über den 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Abraham Lincoln,
veröffentlicht, der nahelegte, dass der Politiker am Marfan Syndrom litt. Als
Indizien
wurden
seine
überdurchschnittliche
Körpergröße
und
langen
Extremitäten, eine Trichterbrust sowie seine hypermobilen Gelenke angeführt.
Abbildung 2 zeigt Lincoln mit seinem Leibwächter und einem General. Man
beachte die Körpergröße im Vergleich zu den beiden anderen Männern sowie das
Missverhältnis von Armlänge und Thorax. Die nachträglich erhobenen Befunde
reichen jedoch nicht für eine sichere Diagnosestellung des MFS aus. Medizinische
Aufzeichnungen von anderen prominenten Persönlichkeiten, wie Rachmaninov
und Paganini lassen vermuten, dass auch sie an dem Marfan Syndrom oder einer
ähnlichen Bindegewebserkrankung litten [Pyeritz, 1994].
3
Abbildung 2: Abraham Lincoln (Mitte)
Ätiologie
und
Pathogenese
waren
lange
nicht
geklärt.
Unterschiedliche
Vermutungen bezüglich einer erregerbedingten Genese durch Viren oder
Bakterien, wie z.B. eine Infektion durch Treponema pallidum während der
Schwangerschaft (Lues congenita) wurden angestellt. Ebenso erwog man andere
Störungen während der Gravidität, z.B. durch Röntgenbestrahlung oder
Alkoholabusus der Mutter. Erst 1990 konnte vermindertes Fibrillin bei Patienten
mit Marfan Syndrom festgestellt werden [Hollister, Godfrey, Sakai und Pyeritz,
1990]. Im selben Jahr wurde ein Gendefekt auf dem Chromosom 15 angenommen
[Kainlainen, 1990]. Dietz et al. kamen 1991 zu dem Ergebnis, dass eine Mutation
innerhalb des FBN-1-Gens auslösend für das klassische Marfan Syndrom (MFSTyp I) ist [Dietz, et al., 1991].
Die Aortendilatation wurde von Murdoch et al. 1972 als wichtigster Faktor für die
Mortalität beim MFS postuliert, womit der Grundstein für das moderne
internistische Therapiemanagement gesetzt wurde [Murdoch, et al., 1972]. Seit
den 1980er Jahren wurden die therapeutischen Optionen für das Marfan Syndrom
bedeutend verbessert. Auch diagnostisch wurden neue Standards festgelegt. In
Berlin wurde 1986 die „Berliner Nosologie“ etabliert [Beighton, et al., 1988].
Inzwischen wurde diese von der Genter Nosologie im Jahr 1996 abgelöst [De
Paepe, et al., 1996]. Aufgrund von diagnostischen und therapeutischen
Bemühungen ist es heutzutage möglich, die Lebenserwartung von Marfan
Patienten deutlich zu steigern. Mittels prophylaktischer Maßnahmen kann die
4
Lebenserwartung der Normalbevölkerung erreicht werden [Silverman, et al.,
1995].
Abbildung 3: Familie mit dem Marfan Syndrom
5
1.2 Grundlagen
Der Erkrankung liegt eine Mutation des auf dem Chromosom 15 lokalisierten
FBN-1-Gens (15,q21.1) zugrunde [Judge und Dietz, 2005]. Derzeit sind über 600
verschiedene Genveränderungen bekannt, die ein Marfan Syndrom verursachen
können [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und Schmidtke, 2008]. Neue kommen
stetig hinzu. In der Regel handelt es sich um Missense-Punktmutationen. Die
Missense-Mutationen führen zu einem krankhaft veränderten Profibrillinaufbau:
Die Integration einer falschen Aminosäure hat ein in seiner Funktion gestörtes
Genprodukt zur Folge, welches seine Aufgaben im Organismus nur mit
eingeschränkter Qualität wahrnehmen kann. Das pathologische Profibrillin-1 ist die
Vorstufe des Fibrillin-1, dessen Aminosäurensequenz folglich ebenfalls betroffen
ist. Ebenso ist der proteolytische Abbau des Fibrillin-1 gesteigert, so dass das
strukturgestörte
Genprodukt
zusätzlich
in
verminderter
Quantität
vorliegt
[Robinson und Booms, 2001].
Das Fibrillin wird von Fibroblasten synthetisiert und sezerniert. Das mutierte
Fibrillin-1-Monomer vom betroffenen Autosom führt schließlich über Interaktion mit
gesunden Protein-Monomeren des gesunden Allels in einen dominant-negativen
Effekt dazu, dass alle Genprodukte in ihrer Funktion als Polymer gestört sind. Die
6
nunmehr pathologischen Fibrillin-1-Polymere sind wesentlicher Baustein der
extrazellulären Matrix. Sie bilden gemeinsam mit anderen Molekülen Mikrofibrillen
(10-12 nm), die das Grundgerüst von elastischen Fasern darstellen [Robinson und
Booms, 2001]. Die Mikrofibrillen sind u.a. verantwortlich für die Integration des
Tropoelastins. Die elastischen Fasern kommen in nahezu jedem Gewebe des
Organismus vor.
Darüber hinaus interagieren die Fibrillin-Moleküle mit Integrinen und sind auf diese
Weise für die zelluläre Adhäsion bedeutsam. Fibrillin-Fragmente haben einen
Effekt auf die Expression der Matrix-Metallo-Proteasen-Gene (MMP-Gene). Die
Enzyme finden sich in gesteigerter Zahl in der extrazellulären Matrix von Patienten
mit dem Marfan Syndrom.
Fibrillin ist ein latentes transforming-growth-factor-β (TGF-β) bindendes Protein.
Bei Patienten mit MFS finden sich erhöhte Werte an freiem TGF-β in der
extrazellulären Matrix.
Die Pathologie des MFS beruht auf einem Zusammenspiel der schädigenden
Faktoren:
•
strukturelle
Störung
im Aufbau
der
Mikrofibrillen
und
damit
des
Bindegewebes,
•
gesteigerter proteolytischer Abbau des mutierten Fibrillin-1,
•
Fehlregulation des TGF-β-Metabolismus,
•
gesteigerte Menge und Aktivität von Matrix-Metallo-Proteasen.
Die Mechanismen führen zur Ausprägung der typischen Symptomatik durch das
Wechselspiel aus Schädigungs- und Reparaturmechanismen, begünstigt durch
strukturell geschwächtes Bindegewebe und verstärkt durch erhöhte proteolytische
Enzymaktivität. Typisch ist dabei, dass ein frühes Auftreten von Symptomen des
MFS mit schwerer Symptomatik vergesellschaftet ist. Spätere Manifestationen
verlaufen in der Regel harmloser. Im Folgenden soll die Pathologie einiger dieser
Veränderungen beleuchtet werden.
7
1.2.1 TGF- β
Die strukturelle Störung des Bindegewebes kann allein betrachtet die Symptome
des Marfan Syndroms nicht erklären. Neben den Defekten am elastischen und
nicht-elastischen
Bindegewebe
trägt
ein
Überschuss
an
ungebundenem
transforming-growth-factor β (TGF-β) zur typischen Pathologie des Syndroms bei.
TGF-β gehört zu den Zytokinen. Der Mangel an Fibrillin, welches als latentes TGFβ-bindendes Protein fungiert, führt zu einem erhöhten Anteil an freiem TGF-β. Das
Zytokin entfaltet seine Wirkung über intrinsische Serin-/Threoninkinasen, welche
Smad-Proteine phosphorylieren. Es nimmt je nach Zelltyp Einfluss auf Zellteilung
und -differenzierung. Auf die spezifische Abwehr hat es einen immunsuppressiven
Effekt
durch
Hemmung
von TH1-Zellen, während
es Fibrosierung
und
Regeneration sowie die Biosynthese der extrazellulären Matrix stimuliert. In der
Embryonalphase trägt TGF-β in essentieller Weise zur Differenzierung der Organe
und der Morphogenese bei. Es ist unter anderem verantwortlich für das
Remodelling
und
für
Reparaturvorgänge.
Durch
seine
Überaktivität
bei
Betroffenen des MFS, verstärkt es die durch Überlastung des insuffizienten
Bindegewebes entstehenden Schäden. Besonders deutlich präsentiert sich der
Effekt im Bereich innerer Organe wie Herzklappen, Arterien und Lunge [Dietz, et
al., 1991].
1.2.2 Rolle der Matrix-Metallo-Proteasen
Matrix-Metallo-Proteasen (MMP) sind Peptidasen, die in der Lage sind,
Peptidbindungen von Proteinen zu spalten. Auf diese Weise sind sie für die
enzymatische Degradation (Proteolyse) von Eiweißmolekülen verantwortlich. Die
Metalloproteasen, zu denen die MMP gehören, sind in 54 Familien unterteilt, die
wiederum sogenannten „Clans“ zugeordnet werden. Die Einteilung erfolgt nach
evolutionären Gesichtspunkten. MMP finden sich in der extrazellulären Substanz,
an deren Ab-, Um- und Aufbau sie beteiligt sind. In ihrer aktivierten Form bauen
die MMP diese ab. Bei Patienten mit Marfan Syndrom findet sich eine erhöhte
Menge an MMP in der extrazellulären Matrix. Es konnte nachgewiesen werden,
dass die Fibrillin-1-Fragmente direkt für die Erhöhung bestimmter MMP
8
verantwortlich sind [Ney, 2007]. Einige pathogenetische Faktoren der Symptome
des
MFS,
insbesondere
der
thorakalen
Aortenaneurysmen
und
der
Veränderungen an den Herzklappen, lassen sich auf eine Überaktivität der MMP
zurückführen.
1.2.3 Kardiovaskuläres System
1.2.3.1 Aorta
Das pathologische Fibrillin steigert die Wirkung der hämodynamischen Belastung
auf Arterienwände. Die Aorta besitzt in ihren Wandschichten, insbesondere der
Media, einen hohen Anteil an elastischen Fasern. Die Druckverhältnisse führen zu
einer Degeneration der Media durch ein Wechselspiel aus Schädigungs- und
Reparaturvorgängen. Das Schädigungsmuster entspricht dem der zystischen
Medianekrose Erdheim-Gsell: es kommt zur Fragmentierung der elastischen
Abbildung 5: arterielle Dissektion
9
Fasern, Vermehrung einer basophilen Glykosaminoglykan-Grundsubstanz sowie
einem nicht-entzündlichen Verlust der glatten Muskelzellen, wodurch die
Entstehung von dissezierenden Aneurysmen begünstigt wird.
Der Begriff „zystische Medianekrose“ ist jedoch irreführend. Es kommt weder zur
Nekrose noch zu einer Zystenbildung. Der Begriff wurde 1929 von den
Erstbeschreibern Gsell bzw. Erdheim eingeführt und wird nach wie vor verwendet.
Der hämodynamische Stress entfaltet seine stärkste Wirkung in proximal zum
Herzen gelegenen Anteilen der Aorta, insbesondere ist die Aortenwurzel betroffen.
In diesem Bereich kommt es häufig zu Stanford Typ-A-Dissektionen. Diese
Abbildung 6: Typ-A-Dissektion
erstrecken sich häufig bis zur Aorta abdominals. Die Typ-A-Dissektion ist mit 77%
der häufigste Dissektionstyp bei Marfan Patienten. Begrenzte Dissektionen im
Bereich der abdominalen Aorta treten lediglich in 4% der Fälle auf. Bei
erwachsenen Patienten sind in ca. 76% der Fälle Aortendilatationen zu finden.
Davon sind 96% im Bereich der Aorta ascendens lokalisiert. Diese Aneurysmen
bleiben bis zum Zeitpunkt einer Dissektion in 97% der Fälle auf ein Segment
beschränkt [Von Kodolitsch, Raghunath und Nienaber, 1998]. Viele Aneurysmen
bleiben
lange
Zeit
asymptomatisch.
Daher
sind
regelmäßige
Kontrolluntersuchungen notwendig, um das in 42% der Fälle progressive
Wachstum der Dilatation rechtzeitig zu erkennen und das Therapieregime
entsprechend anzupassen.
10
Die
akute
Dissektion
kardiochirurgischen
besitzt
Notfällen.
eine
In
hohe
Folge
Letalität
einer
und
zählt
Dissektion
zu
kann
den
eine
Perikardtamponade mit akuter kardialer Dekompensation auftreten.
1.2.3.2 Herzklappen
Die Herzklappen können aufgrund ihrer bindegewebigen Zusammensetzung vom
MFS betroffen sein. Es kommt zu einer myxomatösen Degeneration des
Klappengewebes: Die Menge an Fibrillin ist reduziert und die vorhandenen
Mikrofibrillen liegen degeneriert vor [Gott, et al., 1996]. Die Mitralklappe ist
aufgrund der starken hämodynamischen Belastung im linken Ventrikel häufig
betroffen. Ebenso besitzt das geschädigte Klappengewebe eine erhöhte
Anfälligkeit für Endokarditiden [Roberts und Honig, 1982]. Die Schäden an der
Mitralklappe und den Chordae tendinae
können sich in Form eines
Mitralklappenprolapses äußern. Infolge der Veränderung kommt es zur Verkalkung
des Anulus mitralis und zur Klappeninsuffizienz. Mitralklappeninsuffizienzen treten
bei Betroffenen des Marfan Syndroms häufiger auf als in der Normalbevölkerung
[Roberts und Honig, 1982].
Abbildung 7: myxomatöse Degeneration einer Herzklappe
Die Aortenklappe kann in Form einer Anuloektasie infolge der Dilation der
Aortenwurzel betroffen sein. Auch das Klappengewebe der Aortenklappe ist bei
Marfan Patienten häufiger von Endokarditiden betroffen als im Kollektiv der
Normalpopulation.
11
1.2.4 Skelett
Die skeletale Beteiligung äußert sich in einem erhöhten Längenwachstum der
Röhrenknochen sowie durch Veränderungen an Wirbelsäule, Thorax und
Fußskelett. Der marfanoide Habitus präsentiert sich mit deutlichem Hochwuchs,
resultierend aus dem überschießenden Wachstum der Gliedmaßen. In der Regel
findet
sich
ein
Armspannen/Rumpfverhältnis
von
>1,05.
Ober-
und
Unterschenkelknochen sind ebenfalls verhältnismäßig zu lang, was zu einem
Missverhältnis von oberen zu unterem Körpersegment führt. Dieses kann durch
eine Skoliose noch deutlicher hervortreten. Durch gesteigertes Wachstum der
knöchernen Rippen bilden sich Thoraxveränderungen in Form einer Trichter- oder
Hühnerbrust. Das überschießende Längenwachstum lässt sich durch die
Überaktivität des TGF-β erklären.
Ein Pes planus findet sich regelmäßig bei Betroffenen. Die Fußskelettveränderungen können reaktive Hüft- und Kniegelenksprobleme verursachen.
Abbildung 8: Pes planus
12
Abbildung 9: Pectus incavatum
1.2.5 Auge
Die häufigste Manifestation des Marfan Syndroms ist eine stark ausgeprägte
Myopie, verursacht durch einen verlängerten Bulbus sowie Linsen- und
Hornhautveränderungen [Maumenee, 1981]. Diese führt wiederum zu einem
gesteigerten Risiko für eine Netzhautablösung, ein Glaukom und eine Katarakt.
Die veränderte extrazelluläre Matrix trägt zu einer partiellen Verflüssigung des
Glaskörpers bei. Diese und die verlängerte Bulbusachse begünstigten eine Amotio
retinae durch Zugkrafteinwirkung bei Blickbewegungen [Nelson und Maumenee,
1982].
Intraokuläre
Abflußbehinderungen
Drucksteigerungen
infolge
Kammerwinkelveränderungen
können
einer
die
durch
Luxatio
Entstehung
Kammerwasserlentis
eines
akuten
oder
oder
chronischen Glaukoms begünstigen.
13
Die typische Linsenluxation kommt durch
einen
insuffizient
ausgeprägten
Ziliar-
apparat zustande. Die Zonulafasern sind in
ihrer Funktion als Aufhängeapparat der
Linse durch die strukturelle Veränderung
des Fibrillins beeinträchtigt. Sie findet sich
bei 60% der Patienten [Judge und Dietz,
2005]. Meistens tritt eine Luxation nach
temporal oben ein. In der Regel liegt keine
Ruptur der Fasern vor, sondern lediglich
eine Überdehnung infolge unzureichender
mechanischer
Stabilität.
An
diesem
Abbildung 10: Zonulafasern
.
Gewebe wirkt sich im Gegensatz zu
anderen Körperteilen nur die strukturelle Anomalie des Bindegewebes aus. Einer
Überaktivität des TGF-β wird bei der Pathogenese der Linsenluxation keine
Bedeutung zugemessen. Darüber hinaus wird eine Luxatio lentis zusätzlich durch
die starke Myopie begünstigt. Abbildung 3 zeigt die pathologisch veränderten
Zonulafasern an einem Operationspräparat.
Marfan
Patienten
sind
prädisponiert,
eine
Katarakt
als
Zeichen
einer
pathologischen Bindegewebszusammensetzung und als Folge des erhöhten
Augeninnendrucks zu entwickeln. Diese tritt verhältnismäßig früh auf und kann
eine operative Korrektur erforderlich machen. Ein vermindertes retrobulbäres
Fettgewebe kann einen Enophtalmus verursachen.
1.2.6 Dura
Aufgrund der pathologischen Bindegewebsstruktur kann es zur Ausweitung des
Duralsackes kommen. Der Liquordruck spielt neben den geschwächten Strukturen
bei der Pathogenese eine bedeutende Rolle. Ein Missverhältnis zwischen Druck
und Widerstand begünstigt eine Ausweitung. Entsprechend der hydrostatischen
Druckverhältnisse ist eine Duraektasie häufig in kaudalen Abschnitten des
Spinalkanals zu finden. Die Veränderung kann jedoch auch weiter kranial
gelegene Segmente betreffen.
14
Durch Erosion der Wirbelkörper und Foramina intervertebralia sowie Schädigung
der umliegenden Strukturen können Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und
neurologische Ausfälle begünstigt werden. In extremen Fällen können schwere
Symptome ausgelöst und ein Bandscheibenprolaps vorgetäuscht werden. In
diesen Fällen können Sensibilitätsstörungen, motorische Ausfälle bis hin zu
Lähmungserscheinungen, Miktions- und Defäkationsstörungen auftreten. Meistens
bleibt die Duraektasie jedoch symptomlos. Die Duraektasie zählt zu den
Hauptkriterien der Gent-Nosologie. 63-92% der Patienten mit Marfan Syndrom
sind betroffen [Ahn, et al., 2000; Fattori, et al., 1999; Villeirs, et al., 1999].
1.2.7 Lunge
Die Lungenfunktion wird einerseits durch die räumliche Beengung infolge einer
Skoliose oder Thoraxdeformität eingeschränkt, andererseits beeinflusst die
Fibrillin-Mutation das elastische Lungenskelett direkt: Der Verlust an elastischen
Fasern führt zu einer restriktiven Ventilationsstörung. Durch Erweiterung der
Alveolen und distalen Atemwege (Emphysem) kann ein Spontanpneumothorax
auftreten. Ein derartiges Geschehen ereignet sich bei 4-15% der Patienten [Judge
und Dietz, 2005].
1.3 Diagnostik
Das Marfan Syndrom wird anhand von charakteristischen klinischen Merkmalen,
welche nach der Gent Nosologie in solche großer (major) und solche minderer
(minor) Aussagekraft bzgl. des Vorliegens eines Marfan Syndroms, unterteilt sowie
anhand der Familienanamnese diagnostiziert. Zur Bestätigung der klinischen
Diagnose werden molekulargenetische Verfahren herangezogen. Bei einem
großen Teil (>95%) der anhand der Genter Nosologie positiv diagnostizierten
Patienten kann eine FBN-1-Mutation gefunden werden.
Die diagnostischen, klinischen Merkmale sind weiters auf die verschiedenen, am
häufigsten
betroffenen
kardiovaskuläre
System,
Körperregionen,
aufgeteilt.
nämlich
Zudem
Skelett,
werden
Auge
Lungen-,
und
das
Dura-
und
Hautveränderungen herangezogen. Ein zusätzliches Hauptkriterium ist eine
15
genetische Beteiligung. Es existieren zahlreiche Differentialdiagnosen, deren
klinische Symptomatik jener des Marfan Syndroms ähnlich ist. Diese werden
anschließend (siehe 1.5) besprochen.
1.3.1 Klinische Diagnostik
Die klinische Diagnostik erfolgt nach der Gent-Nosologie. Ein interdisziplinäres
Diagnoseverfahren ermöglicht eine sichere Diagnosestellung.
Die Gent Nosologie dient einer weltweit standardisierten Diagnostik des Marfan
Syndroms. Sie ersetzte die bis 1996 gültige Berlin-Nosologie und verschärfte die
diagnostischen Kriterien. Verändert wurde die Bewertung der skeletalen
Beteiligung als Hauptkriterium, wenn vier von acht typischen Erscheinungen bei
einem Patienten zu finden sind. Eine molekular-diagnostisch gesicherte FBN-1Mutation wird in der Gent-Nosologie als Hauptkriterium bewertet, in der BerlinNosologie fand dies keine Berücksichtigung. Die Gent-Nosologie wurde zuletzt
2011 überarbeitet [De Paepe, et al., 1996]. Tabelle 1 zeigt die diagnostischen
Kriterien des Marfan Syndroms.
16
Organsystem
Hauptkriterien (HK)
Skelett
(Organbeteiligung: zwei
Komponenten der Liste HK oder
eine Komponente der Liste HK
und zwei NK)
Zumindest 4 der folgenden ergeben ein
Hauptkriterium:
•
Pectus carinatum
•
operationspflichtiges Pectus
excavatum
•
Verhältnis von Armspanne zu
Körpergröße >1,05
•
positives
Daumen/Handgelenkzeichen
•
Skoliose über 20° oder
Spondylolisthesis
•
Ellbogenstreckung <170°
•
Pes planus durch mediale
Dislokation des inneren
Maleolus
•
Protrusio acetabuli
(radiologisch)
Augen
(Organbeteiligung: Ein HK oder
zwei NK)
•
Ectopia lentis
Nebenkriterien (NK)
•
•
•
•
•
•
•
•
Kardiovaskuläres System
(Organbeteiligung: Ein HK oder
ein NK)
•
•
Dilatation der Aorta ascendens
(inkl. der Sinus valsalvae)
Dissektion der Aorta
ascendens
•
•
•
•
milde Trichterbrust
Hypermobilität der
Gelenke
Hoher (gotischer)
Gaumen mit
Zahnfehlstellung
Retrognathie,
Dolichozephalie,
Malarhypoplasie,
laterale Stellung der
Lidachsen
Abnorm flache Cornea
Verlängerung der
Bulbusachse
Iris-/Ziliarmuskelhypoplasie mit
Miosis
Mitralklappenprolaps
mit oder ohne
Insuffizienz
Dilatation der A.
pulmonalis < 40. LJ
(ohne Pulmonalstenose/erhöhter
pulmonaler Widerstand)
Anulus mitralisVerkalkung < 40. LJ
Dilatation/ Dissektion
der thorakalen oder
abdominellen Aorta <
50. LJ
Haut und tieferliegendes Gewebe
(Organbeteiligung: Ein NK)
•
•
Striae atrophicae
rezidivierende Hernien
Lunge
(Organbeteiligung: Ein NK)
•
•
Spontanpneumo-thorax
apikale
Emphysemblasen
Dura
(Organbeteiligung: Ein HK)
•
lumbosakrale Duraektasie
Genetik
(genetische Beteiligung: HK)
•
Verwandter 1. Grades betroffen
(erfüllt diagnost. Kriterien eines
MFS)
FBN-1 Mutation mit kausaler
Beziehung zu MFS
nachgewiesen
Nachweis eines von einem
Verwandten mit klinischem
MFS Haplotyps im Bereich des
FNN-1-Gens
•
•
Tabelle 1: Gent-Nosologie [De Paepe, et al., 1996]
17
1.3.2 Molekular-biologische Diagnostik
Ein exakter Nachweis des Marfan Syndroms kann nur mittels Genanalyse gestellt
werden. Die genetische Untersuchung ist dann indiziert, wenn die klinische
Symptomatik allein nicht zur sicheren Diagnose des Syndroms ausreicht. Darüber
hinaus kann mittels Mutationssuche zwischen dem Marfan Syndrom Typ I und II,
dem Loeys-Dietz Syndrom sowie anderen Differentialdiagnosen (siehe 1.5)
unterschieden werden, was klinisch allein nicht möglich ist. Diese Untersuchung
ist somit von prognostischer und therapeutischer Bedeutung.
Durch die molekular-biologischen Untersuchungsmethoden ist es darüber hinaus
möglich, Mutationsträger frühzeitig, zum Teil noch vor Ausprägung einer klinischen
Symptomatik, zu identifizieren und prophylaktisch zu behandeln.
Aufgrund des hohen technischen Aufwands wurde die genetische Analyse bisher
noch nicht in der Routinediagnostik etabliert. Die größte Bedeutung kommt der
genetischen
Untersuchung
bei
der
Identifikation
ebenfalls
erkrankter
Familienmitglieder einer betroffenen Person mit bereits gesicherter Diagnose
sowie bei der Suche nach prognostisch relevanten Differentialdiagnosen zum
klassischen Marfan Syndrom zu [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und Schmidtke,
2008].
1.3.3 Bildgebende Diagnostik
Radiologische Befunde können bei der Diagnose des MFS helfen (siehe GentNosologie) oder aber in der routinemäßigen Verlaufskontrolle Verwendung finden.
Darüber hinaus kann mit Hilfe der radiologischen Beurteilung ein günstiger
Zeitpunkt für elektive Eingriffe an Herz und Aorta gewählt werden, um das
Operationsrisiko
für
die
Patienten
gering
zu
halten.
Radiographie,
Computertomographie, Magnetresonanztomographie und Sonographie kommen
zum Einsatz.
Neben
der
Befundung
skeletaler
Auffälligkeiten
können
radiographische
Untersuchungsmethoden Aufschluss über kardiovaskuläre Veränderungen geben.
Zur Anwendung kommen native Verfahren wie Thorax- und Skelettröntgen.
18
Die computertomographische Untersuchung (CT) liefert Schichtbildaufnahmen
und ermöglicht so eine bessere Beurteilung der Weichteile. Insbesonders die
Beurteilung der Aorta erfolgt mittels Computertomographie.
Abbildung 11: Aortendissektion
Die Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglicht eine exzellente Beurteilbarkeit
von Weichteilgewebe, z.B. von Herz- und Aorta. Die Duraektasie lässt sich mit
dieser Methode diagnostizieren.
Sonographische Untersuchungen werden vor allem zur Verlaufskontrolle der
kardiovaskulären Veränderungen eingesetzt. Hier kommt die transthorakale
19
Echokardiographie (TTE) sowie die transösophageale Echokardiographie (TEE)
zum Einsatz. Die TTE dient der morphologischen und funktionellen Begutachtung
des Herzens in der Routinediagnostik. Darüber hinaus kann die Aorta ascendens
beurteilt werden. Die TEE liefert zwar besseres Bildmaterial, ist jedoch auf Grund
der Belastung für die Patienten nicht als Routineuntersuchung etabliert, sondern
nur zur gezielten Klärung besonderer Fragestellungen in Verwendung.
Abbildung 12: Aortendissektion in der TEE
20
1.3.4 Pränatale Diagnostik
Da es sich beim Marfan Syndrom um eine autosomal-dominant vererbte
Erkrankung handelt, beträgt das Risiko, dass sich das Syndrom auf die
Filialgeneration überträgt 50% (siehe 1.4.1). Eine genetische Untersuchung
ermöglicht
die
Feststellung
einer
Genmutation
schon
während
der
Schwangerschaft. Zu diesem Zweck kann eine Amniozentese oder Chorionbiopsie
durchgeführt werden.
Im dritten Trimester kann die sonographische Bildgebung herangezogen werden.
Im Zuge von sonographischen Untersuchungen können Veränderungen am
Herzen sowie den großen Arterien und die Länge der Röhrenknochen,
insbesonders des Femurs, welche über der 95. Perzentile liegt, auf das Vorliegen
eines neonatalen MFS hindeuten.
Das neonatale Marfan Syndrom hat eine infauste Prognose. Die Betroffenen
versterben häufig im Verlauf der ersten zwei Lebensjahre. Diesen besonders
schweren Verläufen der Erkrankung liegt meistens eine Neumutation zugrunde.
Abbildung 13: Überblick der pränataldiagnostischen Optionen
21
1.4 Genetik
Beim
Marfan
Syndrom
handelt
es
sich
um
eine
systemische
Bindegewebserkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang. Die Inzidenz
beträgt zwischen 1:10000 und 1:20000, neuere Arbeiten postulieren jedoch eine
wesentlich höhere Häufigkeit von 1:3000 [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und
Schmidtke, 2008]. Die große Spanne kommt durch die hohe Variationsbreite der
Symptome zustande, da mildere Verläufe häufig nicht als Marfan Syndrom
diagnostiziert werden. Darüber hinaus sind über 600 (Stand 2007) verschiedene
FBN-1-Mutationen bekannt, was ebenfalls, durch unterschiedlich in der Funktion
eingeschränkte Genprodukte, zu variabel stark ausgeprägter Symptomatik bei
Betroffenen führt [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und Schmidtke, 2008]. Es ist
anzunehmen, dass jede Marfan-Familie eine individuelle Mutation besitzt. Je nach
Position der Genmutation kann der Verlauf in seinem Schweregrad stark variieren.
Aus diesem Grund ist eine genaue Beobachtung von Familienmitgliedern
bekannter Marfan Patienten notwendig, da sich die phänotypische Ausbildung
auch bei Fehlen anderer klinischer Symptome auf Schäden am kardiovaskulären
System
beschränken
kann.
Die
Veränderung
zahlreicher
phänotypischer
Merkmale durch den Defekt eines einzigen Gens wird als Pleiotropie bezeichnet.
Das Fibrillin-1-Gen umfasst 65 Exone. Es wird als Vorstufe (Profibrillin-1)
synthetisiert. Profibrillin besteht aus 2871 Aminosäuren und ist mit 320 kDa ein
großes Protein. Seine Aminosäuresequenz besteht vorwiegend aus repetetiven
Anteilen [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und Schmidtke, 2008]. Innerhalb des
Gens finden sich 47 epidermal-growth-factor-like Domänen (EGFL-Motive).
Funktion der entsprechenden Aminosäurensequenz ist u.a. die Bindung von
Kalzium. Zahlreiche der identifizierten, verantwortlichen Mutationen betreffen die
EGFL-Motive
des
FBN-1-Gens.
Resultierend
erfolgt
eine
verschlechterte
Bindungsfähigkeit für Kalzium. Die Profibrillin Moleküle sind daher strukturell
abnorm und unterliegen einem gesteigerten proteolytischen Abbau. Mutationen
innerhalb des FBN-1-Gens verursachten also neben Strukturstörungen auch eine
Reduktion der Anzahl von Fibrillin-Molekülen und in weiterer Folge der
Mikrofibrillen. Es kommt jedoch nicht zu einem vollständigen Ausfall des
Genprodukts.
22
Als Genlocus des FBN-1-Gens ist der lange Arm des Chromosoms 15 angegeben.
Der exakte Locus lautet 15q21.1 [Dietz, et al., 1991]. Vorwiegend sind MissenseMutationen für einen Strukturdefekt verantwortlich.
Neben den Mutationen des FBN-1-Gens, können auch solche des transforminggrowth-factor-Beta-Rezeptors 2-Gens (TGFBR-2) oder des TGFBR-1-Gens zur
Ausbildung einer marfanähnlichen Krankheit führen. Die Symptome der als
Marfan-Syndrom II (MFS-Typ II) bezeichneten Krankheit gleichen denen des
klassischen Syndroms (MFS-Typ I). Die Diagnose von MFS-Typ I oder II kann nur
auf genetischer Basis erfolgen. Vermutlich ist das Marfan Syndrom Typ II mit dem
Loeys-Dietz Syndrom Typ II B identisch (siehe 1.5.1.1).
1.4.1 Erbgang
Das Syndrom wird autosomal-dominant vererbt. Ein betroffener Elternteil vererbt
mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% das betroffene Gen. Im Sinne eines
autosomalen Erbgangs wird der Defekt geschlechtsunabhängig weitergegeben. In
25% der Fälle treten Neumutationen auf [Maslen und Glanville, 1993].
23
1.4.2 Marfan Syndrom Typ I
Die klassische Variante des Marfan Syndroms (MFS I) beruht auf einer Mutation
des FBN-1-Gens und ist klinisch nicht vom Marfan Syndrom Typ II (MFS II) zu
unterscheiden. Lediglich die Ectopia lentis konnte bisher nur bei Patienten mit
MFS I festgestellt werden. Diese tritt jedoch auch bei dem MFS-Typ I nicht immer
auf. Zur Unterscheidung beider Formen werden genetische Testverfahren
herangezogen.
Der Defekt wird autosomal-dominant vererbt. Bei 25% der Betroffenen handelt es
sich um eine Neumutation. Die klinische Variabilität des Marfan Syndroms ist
hoch, was eine eindeutige Identifikation des Syndroms in vielen Fällen schwierig
gestaltet. Da es sich um eine Systemerkrankung handelt, können alle
Organsysteme
betroffen
sein.
Die
Manifestationen
der
verschiedenen
Organsysteme treten in unterschiedlich stark ausgeprägten Formen hervor. Es
kann zu milden Verläufen, mit einzelnen oder nur wenigen betroffenen Systemen
kommen, bis hin zu solchen mit bereits neonataler Multisystembeteiligung, rasch
voranschreitender klinischer Symptomatik und hoher frühkindlicher Letalität [Dietz,
et al., 1991]. Die am häufigsten und schwersten betroffenen Organsysteme sind
das Auge, Skelett und kardiovaskuläre System. Die Symptome treten meist
innerhalb der ersten beiden Lebensjahrzehnte auf.
1.4.3 Marfan Syndrom Typ II
Dem Marfan Syndrom Typ II liegt eine Mutation eines transforming-growth-factorβ-Rezeptors (TGFBR) zugrunde. Meistens ist der TGFBR-2 betroffen. Neuere
Publikationen bezeichnen diese Variante des MFS-II als Loeys-Dietz Syndrom IIB.
Mutationen des TGFBR-1 sind wesentlich seltener. Die klinischen Symptome
gleichen denen des Marfan Syndroms Typ I, bis auf die bereits erwähnte Ectopia
lentis (siehe 1.4.2). Die Unterscheidung der beiden Varianten ist jedoch relevant
für die Prognose des klinischen Verlaufs. Patienten mit Marfan Syndrom-Typ II
erleiden früher als jene Betroffen der klassischen Variante (MFS-Typ I) kardiovaskuläre Ereignisse. Die Differenzierung kann nur auf genetischer Ebene
erfolgen [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und Schmidtke, 2008].
24
1.5 Differentialdiagnosen
Das Marfan Syndrom besitzt Überschneidungen und Gemeinsamkeiten mit
verschiedenen anderen Erberkankungen. Diesen Syndromen sind als verwandte,
bzw. marfanähnliche Störungen genetisch bedingte Bindegewebsveränderungen
mit Multisystembeteiligung und variabler Symptomatik gemein. Das thorakale
Aortenaneurysma stellt dabei die prognostisch bedeutendste Veränderung dar
[Murdoch, et al., 1972]. Um die Betroffenen adäquat therapieren zu können,
müssen alle Differentialdiagnosen erwogen werden. Die Differenzierung ist dabei
häufig nur genetisch möglich.
Im folgenden Teil sollen wichtige Differentialdiagnosen kurz beleuchtet werden.
1.5.1 Loeys-Dietz Syndrom
Dem LDS liegt eine Mutation eines TGFBR-Gens zugrunde. Es sind verschiedene
Typen der Krankheit beschrieben, deren Einteilung nach kranio-fazialer- oder
kutaner Beteiligung erfolgt. Gensequenzanalysen von 52 betroffenen Familien
zeigten, dass die verantwortlichen Mutationen für das LDS sowohl zum Typ I als
auch zum Typ II führen können. Ein klinisches Kontinuum beider Varianten des
LDS ist anzunehmen. In 75% der Fälle wird das LDS durch eine Mutation des
TGFBR-2-Gens verursacht, 25% entfallen auf das TGFBR-1-Gen [Loeys und
Dietz, 2008]. Etwa 75% der Fälle des LDS fallen auf den Typ I, bei den restlichen
25% handelt es sich um LDS II. Die Krankheit wird autosomal-dominant vererbt. In
75% der Fälle liegen jedoch Neumutationen zu Grunde, lediglich ein Viertel der
Patienten hat einen betroffenen Elternteil.
LDS ist klinisch dem Marfan Syndrom sehr ähnlich und stellt die bedeutendste
Differentialdiagnose dar. Der Verlauf ist durch eine schneller und aggressiver
voranschreitende
Symptomatik
gekennzeichnet.
Die
gefährlichen
kardio-
vaskulären Schäden treten bereits im jugendlichen Alter auf. Es werden früh
operative Korrekturen notwendig. Unbehandelt liegt das mittlere Sterbealter bei
26,1 Jahren. Die Patientinnen erleiden häufiger Schwangerschaftskomplikationen
als Frauen der Normalbevölkerung. Das Risiko für das Auftreten von
Uterusrupturen ist bei diesen Patientinnen hoch, ebenfalls treten während der
Schwangerschaft und Geburt sowie in der postpartalen Phase gehäuft
25
Dissektionen der Aorta auf. Die Mortalität durch Schwangerschaftskomplikationen
ist hoch [Loeys und Dietz, 2008].
1.5.1.1 Loeys-Dietz Syndrom Typ I
Dieses Krankheitsbild wurde 2005 beschrieben [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch
und Schmidtke, 2008]. Ähnlich dem MFS-2 wird das Loeys-Dietz Syndrom Typ I
(LDS I) durch eine Mutation des TGFBR-2 (OMIM-Nr. 190182, LDS I-B), TGFBR1 (OMIM-Nr.190181, LDS I-A), oder durch einen SMAD3-Gendefekt (OMIM-Nr
603109, LDS I-C) verursacht. Die Rezeptoren sind bedeutend für die intrazelluläre
Signaltransduktion des TGF-β. Unterschiedlich mutierte Gen-Produkte führen bei
dieser Krankheit je nach Restaktivität zu variabel ausgeprägter Symptomatik. Der
Typ I-A wird auch als Furlong-Krankheit bezeichnet. Die Formen A und B des LDS
I unterscheiden sich nicht in ihrer klinischen Symptomatik, beim Typ C kommt es
zusätzlich zu einem frühen Auftreten von Osteoarthritiden. Zusätzlich treten
charakteristische
kraniofaziale
Störungen
auf.
Unter
anderem
sind
dies
Gaumenspalten, gespaltene Uvula und Hypertelorismus. Das Auftreten dieser
Veränderungen ist auf den Ausfall bedeutender intrazellulärer Signalwege des
TGF-β während der Entwicklung des Gesichtsschädels zurückzuführen. Ebenso
treten Veränderungen am gesamten arteriellen System auf, welches ebenfalls
durch verminderte Signaltransduktion bereits in der Entwicklung geschädigt wird.
Dies erklärt das beim LDS besonders frühe Auftreten vaskulärer Schäden. Es
finden sich Dilatationen und Dissektionen der Aorta, sowie zerebraler, thorakaler
und abdomineller Arterien. Die Therapie des LDS gleicht der des Marfan
Syndroms (siehe 1.6) [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und Schmidtke, 2008;
Loeys und Dietz, 2008].
1.5.1.2 Loeys-Dietz Syndrom Typ II
Etwa 25% der LDS-Patienten leiden am Typ II. Bei dieser Variante des LDS treten
besondere kutane Erscheinungen auf. Es findet sich eine dünne, seidige und
durchscheinende Haut mit erhöhter Verletzbarkeit und gestörter Wundheilung.
Narben erscheinen erweitert und atroph. Diese Erscheinungen erinnern an ein
Ehlers-Danlos-Syndrom Typ 4, zu dem sich Überschneidungen feststellen lassen
26
(siehe 1.5.5). Kraniofaziale Veränderungen fehlen. Beide Formen des LDS sind
mit erhöhter Zahl an arteriellen Aneurysmen und Dissektionen sowie Schwangerschaftskomplikationen assoziiert.
Gensequenzanalysen zeigten, dass die verantwortlichen Mutationen für das LDS
sowohl zum Typ I als auch zum Typ II führen können.
1.5.2 MASS-Syndrom
Die klinischen Eigenschaften des MASS-Syndroms (MASS-Phänotyp) deuten auf
einen Defekt des Bindegewebes, ähnlich dem des Marfan Syndroms hin. MASS
ist ein Akronym für Mitralklappenprolaps, Aortendilatation, Skelett- und Haut(Skin)-Veränderungen [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und Schmidtke, 2008].
Dem MASS Syndrom liegt in einigen Fällen ebenfalls eine Mutation des FBN-1Gens zugrunde, meistens ist die Ursache jedoch unbekannt. Der Erbgang ist
autosomal-dominant. Die klinischen Symptome reichen auch bei Formen mit FBN1-Mutation nicht zur Diagnosestellung des Marfan Syndroms nach der GentNosologie aus [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und Schmidtke, 2008].
1.5.3 Weill-Marchesani Syndrom
Dem Weill-Marchesani Syndrom (WMS, Spherophakie-brachymorphie Syndrom,
kongenitale mesodermale Dystrophie) liegt, ähnlich dem Marfan Syndrom, eine
Mutation des FBN-1-Gens zugrunde. Die klinische Symptomatik ist bei diesem
Syndrom jedoch durch Kleinwuchs, Brachycephalie, Brachydaktylie, Steifigkeit der
Gelenke sowie Spherophakie, welche ebenfalls zur Ectopia lentis führen kann,
gekennzeichnet.
Der
Phänotyp
scheint
eine
dem
Marfan
Syndrom
entgegengesetze Ausprägung bezogen auf einzelne Körperareale zu besitzen.
Diese seltene Erbkrankheit wird autosomal-dominant vererbt. Formen des WMS
mit autosomal-rezessivem Erbgang sind bekannt. In diesen Fällen ist das Gen
ADAMTS-10 betroffen [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und Schmidtke, 2008].
27
1.5.4 Shprintzen-Goldberg Syndrom
Es finden sich kraniofaziale, skeletale und neurologische Veränderungen. Die
skeletale Beteiligung äußert sich in Form von Veränderungen des Thorax (Pectus
excavatum
oder
carinatum),
der
Hände
und
Füße
(Arachnodaktylie,
Camptodaktylie, Pes planus) sowie Skoliose und Dolichostenomelie. Häufig finden
sich zusätzliche Rippen sowie kubisch verformte Wirbelkörper. Die Gelenke sind
entweder hypermobil oder es finden sich Kontrakturen. Am Schädel finden sich
Kraniosynostosen. Eine okuläre Beteiligung zeigt sich als Myopie. Intrakraniell
kann eine Neigung zu Liquorstauungen zerebrale Veränderungen verursachen. Es
finden sich vergrößerte Seitenventrikel oder ein generalisierter Hydrocephalus
sowie Chiari-Malformationen vom Typ I. Die neurologischen Veränderungen
äußern sich zudem in leicht- bis mittelgradig eingeschränkten kognitiven
Fähigkeiten [Loeys und Dietz, 2008]. Der Habitus ist lang und schmal
(Dolichostenomelie), das subkutane Fettgewebe ist reduziert. Bei den Betroffenen
finden sich gehäuft gastro-intestinale Hernien.
Eine kardiovaskuläre Beteiligung findet sich in seltenen Fällen. Der Erbgang
dieses Syndroms ist unbekannt [Arslan-Kirchner, von Kodolitsch und Schmidtke,
2008; Judge und Dietz 2005; Loeys und Dietz, 2008; Shprintzen und Goldberg,
1982].
1.5.5 Ehlers-Danlos Syndrom
Das
Ehlers-Danlos-Syndrom
(EDS)
beschreibt
eine
Gruppe
von
Binde-
gewebserkrankungen, die ätiologisch auf einen Kollagen-Defekt zurückzuführen
sind. Verschiedene Gene sind betroffen. EDS ist gekennzeichnet durch eine
Hyperelastizität des Bindegewebes. Es sind also - ähnlich dem Marfan Syndrom nahezu alle Körperregionen beteiligt, wobei die Symptomatik je nach Belastung
des Gewebes deutlich wird. So sind vor allem Haut und Gelenke und deren
Bandapparat, jedoch auch Gefäße, Muskeln und Sehnen betroffen. Die Haut ist
besonders dehnbar und vulnerabel, es kommt zu Wundheilungsstörungen. Die
Gelenke sind auffallend hypermobil und neigen zu Luxationen. Es treten ebenfalls
gefährliche Gefäßerweiterungen und Klappenvitien gehäuft auf. Zudem besteht
eine
Neigung
zu
vasogener
Hämorrhagie
und
Gefäßrupturen.
28
An den Augen manifestiert sich das EDS ähnlich dem MFS mit Myopie und
Ectopia lentis, die dünnen Skleren erscheinen aufgrund der durchscheinenden
venösen Gefäße bläulich [Denko, 1978; Judge und Dietz 2008].
Abbildung 15: hyperelastische Haut beim EDS
Es existieren verschiedene Ausprägungen der Erkrankung, die
je nach
symptomatischer Schwerpunktverteilung eingeteilt werden:
•
klassischer Typ
•
hypermobiler Typ
•
kyphoskoliotischer Typ
•
vaskulärer Typ
•
Arthrochalasie Typ
•
dermatosparaktischer Typ
1.5.6 Beals-Hecht Syndrom
Dieses Syndrom gleicht dem MFS äußerlich sehr stark [Hecht und Beals, 1972].
Es
handelt
sich
ebenfalls
um
eine
autosomal-dominant
vererbte
29
Bindegewebserkrankung. Der Störung liegt eine Mutation des FBN-2-Gens
(5q23.3,
OMIM
121050)
zugrunde
[Arslan-Kirchner,
von
Kodolitsch
und
Schmidtke, 2008]. Die Erkrankung ist insgesamt selten. Es finden sich verlängerte,
dünne Finger und Zehen (Arachnodaktylie), Kontrakturen der Gelenke sowie
Kyphoskoliose. Eine kardiovaskuläre Beteiligung wird von manchen Autoren
ausgeschlossen, was von diesen als charakteristisch für das Syndrom
angenommen wird. Dennoch berichten Anderson et al. [1984] von einer Familie
mit Betroffenen in drei Generationen mit Mitralklappenprolaps bei sechs von
sieben Patienten. Die Röhrenknochen sind strukturschwach und besitzen eine
Neigung
zu
Frakturen.
Die
Ohrmuscheln
sind
abnorm
geformt.
Der
Verdauungstrakt kann in Form von Ösophagus- oder Duodenalatresie betroffen
sein.
1.5.7 Homocystinurie
Es existieren zahlreiche Formen der Erkrankung [Gerritsen, Vaughn und
Waisman, 1962]. Verantwortlich ist eine Cystathionin-β-Synthase (CBS) Mutation.
Derzeit sind über 90 verschiedene Mutationen des CBS-Gens (Chromosom 21)
identifiziert worden. Unterteilt wird in Subgruppen mit Enzym-Restaktivität, welche
bei Vitamin B6 (Pyridoxin) Substitution, dem notwendigen Coenzym der CBS, zu
normalen Plasmawerten von Homocystin führen (B6-response) und solchen mit
ausgefallener Aktivität (B6-nonresponse).
Klinisch ähnelt die Krankheit in vielen Punkten dem Marfan Syndrom: Es liegt ein
marfanoider Habitus mit Hochwuchs und Langgliedrigkeit mit verlängerten
Röhrenknochen sowie häufig Skoliose vor. Ebenfalls können Thoraxdeformitäten
in Form einer Trichterbrust sowie Fußdeformitäten auftreten.
Häufigste Manifestation der Erkrankung ist eine Luxatio lentis. Darüber hinaus
leiden viele Patienten an starker Kurzsichtigkeit. Netzhautablösung, Glaukom und
Katarakt treten gehäuft auf. Hinzu kommen kardiovaskuläre Manifestationen:
thrombembolische Ereignisse wie Myokardinfarkt, ischämischer Insult und paVK
stellen die bedeutendsten Mortalitätsfaktoren dar. Diese Ereignisse treten bei
30
unbehandelten Patienten in einem Drittel der Fälle bis zum 20. Lebensjahr auf. Im
Alter von 30 Jahren sind 50% betroffen.
Die Homocystinurie führt zusätzlich zu neurologischen und psychologischen
Auffälligkeiten wie Krampfanfällen, psychomotorischer Retardierung, Verhaltensstörungen, Lern- und Konzentrationsschwäche, Entwicklungsverzögerung bis hin
zu geistiger Behinderung. Bei medikamentöser Behandlung sowie Einhaltung
einer speziellen Diät ist die Prognose gut.
1.5.8 Stickler Syndrom
Bei dem Syndrom handelt es sich ebenfalls um eine Bindegewebserkrankung,
betroffen ist das Kollagen-Typ 2 [Stickler, et al., 1965]. Der Krankheit liegt eine
Mutation des COL2A1-Gens (OMIM 120140) auf dem Chromosom 12 zugrunde.
Der Defekt wird autosomal-dominant vererbt. Es treten Veränderungen am Auge,
Skelettsystem und Ohr auf. Die Patienten präsentieren typische faziale
Veränderungen, im Sinne einer Mittelgesichtshypoplasie. Bei ungefähr einem
Viertel der Patienten findet sich eine Pierre-Robin-Sequenz (Mikrogenie,
mandibuläre Retrognathie, Glossoptose und Gaumenspalte) als Zeichen einer
embryonalen Entwicklungsstörung. Die Gelenke der Patienten sind hypermobil
und neigen zu früher Osteoarthritis. Die Augen sind in Form einer starken Myopie,
Katarakt
und
Amotio
retinae
betroffen.
Sensorische
oder
konduktive
Schwerhörigkeit bis zur Taubheit kommen bei 10-50% der Betroffenen vor. Weiters
können Schäden am Herz-Kreislaufsystem auftreten. Bei 40-50% der Patienten
findet sich ein Mitralklappenprolaps.
1.5.9 Multiple Endokrine Neoplasie Typ 2B
Bei dieser Erkrankung treten Tumoren verschiedener Organsysteme auf. Die
Statur dieser Patienten ist dem der MFS-Patienten ähnlich (marfanoider Habitus).
Die Betroffenen sind überdurchschnittlich groß und schlank, das Gesicht erscheint
31
verlängert. Es finden sich skeletale Manifestationen wie Skoliose, Thorax- und
Fußdeformitäten. In einigen Fällen finden sich „Café-au-lait-Flecken“.
Die Krankheit verläuft rasch und schwer, nahezu 100% der Patienten entwickeln
ein
medulläres
Schilddrüsenkarzinom,
welches
eine
prophylaktische
Thyroidektomie noch vor Vollendung des 4. Lebensjahrs empfehlenswert macht.
Im
weiteren
Krankheitsverlauf
entwickeln
50%
der
Patienten
ein
Phäochromozytom. Neben den bösartigen Neoplasmen finden sich bei den
Patienten Neurome an Augenlidern, Bindehaut, Lippen und Zunge. Die MEN-Typ
2B wird autosomal-dominant vererbt [Komminoth, 1997].
1.6 Management des Marfan Syndroms
Es existieren ebenso viele Aufgaben und Notwendigkeiten, die beim Management
eines Betroffenen des MFS zu beachten sind, wie das Syndrom klinische
Manifestationen besitzt. Das Skelettsystem kann auf verschiedene Weise
betroffen sein. Typisch ist ein marfanoider Habitus. Dieser ist gekennzeichnet
durch gesteigertes Wachstum der Röhrenknochen, resultierend in erhöhter Länge
der Extremitäten im Vergleich zum Rumpf (Dolichostenomelie). An den Händen
und Füßen wird das Syndrom durch Arachnodaktylie bei manchen Betroffenen
sichtbar. Der Thorax kann in Form einer Trichterbrust oder Hühnerbrust deformiert
sein, die Wirbelsäule ist häufig skoliotisch verformt. Die Gelenke sind aufgrund
schwacher Bänder hypermobil, Luxationen treten gehäuft auf.
Häufigste okuläre Manifestationen sind eine Myopie, die das häufigste Symptom
des Marfan Syndroms überhaupt darstellt und eine Ectopia lentis, ein
Kardinalsymptom. Patienten mit MFS erleiden häufiger Netzhautablösungen als
die Normalbevölkerung, ebenfalls treten vielfach frühe Katarakte auf.
Die kardiovaskulären Symptome sind ebenso vielfältig wie schwer: Aufgrund
hämodynamischer Belastung ist die Aorta häufig dilatiert, es kommt zu
Aneurysmen und Rupturen, ebenfalls der Truncus pulmonalis kann erweitert sein.
Insuffizienzen und Prolapse der Klappen reduzieren die Leistungsfähigkeit des
Herzens. Klappeninsuffizienzen führen zu Ventrikel- und Vorhofdilatation und in
deren Folge zu Rhythmusstörungen.
Eine multidisziplinäre Herangehensweise ist notwendig. Die Patienten benötigen
Betreuung und Begleitung in vielerlei Hinsicht, um im alltäglichen Leben so gering
32
eingeschränkt wie irgend möglich zu sein und um gefährliche Komplikationen
durch präventive Maßnahmen abzuwenden.
Diese
Arbeit
soll
neben
den
bekannten
und
wohl
beschriebenen
Therapiemanagements in orthopädischer, ophthalmologischer, chirurgischer und
internistischer Hinsicht zusätzlich die Notwendigkeit einer psychologischen
Begleitung erörtern und begründen.
Wird ein Betroffener adäquat behandelt, unterscheidet sich die Lebenserwartung
nicht von jener der Normalpopulation. In diesem Zusammenhang gilt es, folgende
Therapie- und Verhaltensprinzipien anzuwenden [Silverman, et al., 1995].
1.6.1 Orthopädisches Management
Die Wirbelsäule ist bei ca. 50% der Patienten skoliotisch verformt. Besonders bei
Kindern ist darauf zu achten, dass durch das Wachstum eine Verschlechterung
der Skoliose stattfinden kann. Daher sind orthopädische Untersuchungen bei
Kindern mit MFS in kürzeren Intervallen notwendig als bei den erwachsenen
Patienten. Kinder sollten ein- bis zweimal pro Jahr einer Routineuntersuchung
unterzogen werden, nach Abschluss des Wachstums ist dies nur mehr alle 1 bis
zwei Jahre notwendig.
Sollte eine behandlungsbedürftige Skoliose festgestellt werden, was auf etwa ein
Drittel
der
Patienten
mit
dieser
Veränderung
zutrifft,
muss
je
nach
Ausprägungsgrad unterschiedlich vorgegangen werden: Geringe Verkrümmungen
in einem Bereich von 20-40° sollten bei Kindern während der Wachstumsphase
mittels Korsett therapiert werden. Auf diese Weise kann eine Verschlechterung der
Skoliose verhindert werden. Ausgeprägtere Skoliosen (>40°) sollten operativ
behandelt werden.
33
Abbildung 16: Skoliose
Extreme Formen einer Trichterbrust können in seltenen Fällen zu einer
Komprimierung des thorakalen Weichteilgewebes führen. Sollte die Belastbarkeit
der Patienten unter der räumlichen Einengung von Herz, Lunge und Aorta leiden,
sollte operativ interveniert werden. Auch aus kosmetischen Gründen ist, auf
Wunsch der Patienten, an eine Korrektur von Trichter- oder Hühnerbrust zu
denken.
Das Schuhwerk der Patienten sollte mittels Einlagen an eventuell vorliegende
Fußdeformitäten angepasst werden. Sollten sich dennoch auftretende Schmerzen
nicht beherrschen lassen, ist auch in diesem Fall an eine korrigierende Operation
zu denken.
Ältere Patienten leiden häufig an krankhaften Hüftveränderungen. Diese müssen
jedoch nur bei einem geringen Teil der Patienten (<5%) operiert werden. Sollte es
notwendig sein, muss ein künstliches Hüftgelenk implantiert werden.
34
1.6.2 Internistisches Management
Der größte Mortalitätsfaktor für Patienten mit MFS sind kardio-vaskuläre
Ereignisse. Regelmäßige Kontrollen sind notwendig, um die Geschwindigkeit der
Ausdehnung der Aorta zu erkennen. Diese Maßnahme senkt das Risiko einer
akuten Dissektion oder Ruptur. Das optimale Kontrollintervall sollte ein Jahr nicht
überschreiten. Verwendet werden Sonographie und MR-Angiographie.
Darüber hinaus ist es notwendig, die hämodynamische Belastung der Aortenwand
zu reduzieren, um den Fortschritt der Dilatation zu verlangsamen. Jedoch gibt es
derzeit noch kein Medikament, welches die Erweiterung der Aorta vollständig
verhindern kann. Zur Standard-Therapie der Patienten gehört die Gabe von BetaBlockern [Groenink, et al., 1998]. Bei Unverträglichkeit von Medikamenten dieser
Substanzgruppe können Kalziumkanalblocker vom Verapamil-Typ eingesetzt
werden. Klinische Studien zeigten, dass bei jenen Patienten, deren Blutdruck
medikamentös gesenkt wird, seltener kardiovaskuläre Ereignisse auftreten.
Angiotensin-Converting-Enzyme-Hemmer (ACE-Hemmer) reduzieren einerseits
über eine Blutdrucksenkung die Belastung der Aortenwand, scheinen jedoch
zusätzlich einen reduzierten Effekt des TNF-β auf das Bindegewebe zu bewirken.
Nach operativen Eingriffen muss die internistische Therapie an die veränderten
Bedingungen
angepasst
werden.
Thrombembolische
Ereignisse
und
Endokarditiden müssen durch adäquate Maßnahmen verhindert werden.
Die American Heart Association (AHA) empfiehlt eine Endokarditisprophylaxe bei
Patienten
mit
künstlichen
Herzklappen,
bei
Klappenerkrankungen
nach
Herztransplantation sowie nach durchgemachten Endokarditiden.
Hämodynamisch relevante Mitralklappeninsuffizienzen können aufgrund des
entstehenden Pendelvolumens zwischen linker Herzkammer und linkem Vorhof
zur
massiven
Dilatation
des
letzteren
führen.
Konsekutiv
kann
eine
Vorhofflimmerarrhythmie ausgelöst werden. Auf Basis dieser Veränderungen steigt
das Risiko thrombembolischer Komplikationen. Resultierend kann die Funktion der
Ventrikel gestört werden. Diese Rhythmusstörungen erfordern eine adäquate
Therapie.
35
1.6.3 Ophthalmologisches Management
Das häufigste Symptom der MFS stellt eine ausgeprägte Myopie dar. Diese stellt
einen Risikofaktor für eine Ablatio retinae dar, welche durch eine akute
Sehverschlechterung
auffällig
wird.
Die Ablatio/Amotio
retinae
muss
als
augenärztlicher Notfall schnell behandelt werden, da andernfalls die Gefahr einer
Ablösung der Makularegion besteht, was zu bleibenden Sehverschlechterungen
führen kann und die Chance auf eine restitutio ad integrum verschlechtert. Zur
Behandlung der Netzhautablösung stehen zahlreiche Verfahren zur Verfügung.
Mittels
pneumatischer
Laserbehandlung,
Retinopexie,
operativer
Be-
handlung oder Kryoretinopexie kann
je nach Ursache, Ausdehnung und
Lage der Ablösung versucht werden,
eine weitere Ausdehnung dieser zu
verhindern und eine Refixierung der
Netzhaut zu erreichen.
Eine akute Sehverschlechterung kann
durch eine Luxatio lentis verursacht
Abbildung 17: Subluxatio lentis
werden. Es kommt zum Einriss der Zonulafasern und Dislokation der Linse.
Abbildung 4 zeigt die Subluxation in der Spaltlampe. Die Patienten bemerken das
Auftreten von Doppelbildern und Akkomodationsunfähigkeit. Die Sub-/luxierte
Linse muss operativ entfernt werden und kann durch ein Implantat ersetzt werden.
Patienten mit MFS besitzen aufgrund der verlängerten Bulbusachse eine
Disposition zur Ausbildung eines Glaukoms. Ein akutes Glaukom stellt einen
augenärztlichen Notfall dar. Der erhöhte Augeninnendruck muss zügig reduziert
werden, um eine bleibende Sehverschlechterung zu verhindern. Bei engem
Kammerwinkel kann ein prophylaktischer Eingriff durch Iridotomie erwogen
werden.
Jährliche ophthalmologische Kontrollen sind durchzuführen. Dabei ist besonders
auf Katarakt und Glaukom zu achten. Excavationen des Nervus opticus stellen
dabei ein wichtiges diagnostisches Zeichen dar.
36
Bei Kindern ist aufgrund der verschiedenen Veränderungen am Auge auf die
Verhinderung einer Amblyopie zu achten [Izquierdo, Traboulsi, Enger und
Maumenee, 1994].
1.6.4 Kardiochirurgisches Management
Die Kardiochirurgie bietet bei gestellter Indikation die Möglichkeit, geschädigte
Anteile der Aorta und Herzklappen durch Prothesen zu ersetzen. Der Zeitpunkt
des Eingriffs spielt dabei die entscheidende Rolle, um akute Ereignisse im Sinne
der kardiovaskulären Komplikationen zu verhindern. Somit stellt ein geschickt
geplanter Zeitpunkt eines elektiven Eingriffs einen bedeutenden Faktor zur
Reduktion von Morbidität und Mortalität dar [Gott, et al., 1996].
Das Risiko einer Dissektion steigt mit zunehmendem Aortendurchmesser. Daher
müssen die Schäden an der Aortenwurzel und Aorta ascendens, sobald sie ein
gewisses Ausmaß überschreiten (Aortenwurzeldurchmesser > 40 mm) oder die
Progression zu rasch voranschreitet (Wachstum pro Jahr > 10 mm), operativ
therapiert werden. Ebenso ist eine Indikation zur prophylaktischen Operation
gegeben, sobald der Durchmesser der weiter distal gelegenen Anteile der Aorta
eines erwachsenen Betroffenen 5 cm übersteigt. Bei raschem Wachstum oder
familienanamnestisch bekannter Aortendissektion sollte ein Eingriff bereits bei
einem Durchmesser von 4,5 cm erwogen werden. Ein Eingriff sollte durchgeführt
werden,
sobald
das
Verhältnis
der
Durchmesser
Aortenabschnitten/gesunden Aortenabschnitten
einen
von
Quotienten
dilatierten
von
drei
übersteigt. Aortenektasien finden sich bei 76% der Patienten [Von Kodolitsch,
Raghunath und Nienaber, 1998].
Weitere Risikofaktoren müssen beachtet werden. So sind eine Aortenklappeninsuffizienz, eine geplante Schwangerschaft oder ein geplanter größerer
operativer Eingriff nicht-kardiovaskulärer Natur ebenfalls in der Planung zu
berücksichtigen. Bei Kindern und Jugendlichen müssen die besonderen
Bedingungen durch das noch stattfindende Wachstum berücksichtigt werden.
Daher ist mit einem prophylaktischen Aortenwurzelersatz nach Möglichkeit bis
zum Abschluss des Wachstums zu warten.
Je nach Schädigungsmuster stehen verschiedene Operationstechniken zur
Verfügung.
37
Eine klappenerhaltende Operation kann erwogen werden, wenn sich die Schäden
auf die Aorta beschränken und die Klappe intakt ist. Geeignete Verfahren sind die
Reimplantationstechnik nach David und die Remodelling-Tecknik nach Yacoub.
Klappenerhaltende Verfahren bieten den Vorteil, dass keine lebenslange
Antikoagulation notwendig ist und den eines geringeren Endokarditis-Risikos
[Yacoub, Sundt und Rasmi, 1995].
Abbildung 18: Bentall-Technik
Die anuloaortale Ektasie mit Klappenschädigung kann mittels Bentall-Technik mit
einem Composite-Graft (klappentragende Composite-Prothese) versorgt werden.
Die
künstlichen
Herzklappen
machen
eine
lebenslange
Antikoagulation
erforderlich. Bei diesem Eingriff wird die gesamte Aorta ascendens ersetzt [Bentall
und De Bono, 1968].
Bei Bedarf kann eine Operation den gesamten Aortenbogen einschließen. Dies
geschieht durch die Implantation einer Gefäßprothese. Die supraaortalen Arterien
werden anschließend mittels spezieller Nahttechnik mit der Prothese verbunden.
Eine weitere Gefäßprothese kann bei progredienten Aneurysmen in dem
Übergangsbereich
von
„Elephanttrunk-Technique“
Aorta
im
ascendens
Zuge
zu
einer
Aorta
descendens
Folgeoperation
mittels
ergänzend
anastomosiert werden.
Isolierte Aneurysmen der Aorta descendens können durch Implantation von
Gefäßprothesen therapiert werden. Im Bereich der Dilatation wird der geschädigte
Anteil zwischen zwei normalkalibrigen Abschnitten überbrückt. Es ist auf eine
38
kontinuierliche Perfusion der rückenmarksversorgenden Interkostalarterien zu
achten, um eine Ischämie zu verhindern [Ince und Nienaber, 2001]. Intraoperativ
kann durch Monitoringverfahren die Funktion des Rückenmarks überprüft werden,
um das Risiko einer Paraparese/-plegie zu verringern.
Mit Hilfe eines interventionell-radiologischen Eingriffs kann eine StentgraftImplantation erwogen werden. Auch hier ist auf relevante Abgänge von
Seitenästen der Aorta zu achten, die nicht durch den Stentgraft verdeckt werden
dürfen. Diese Verfahren sind minimalinvasiv.
Bei gegebener Indikation ist an eine Operation an der Mitralklappe zu denken.
Eine Klappenrekonstruktion mit Anuloplastik dient zur Verbesserung der
Klappenfunktion unter Erhaltung des Gewebes. Sollte dies nicht möglich sein,
kann eine Klappenprothese verwendet werden. Eine künstliche Mitralklappe macht
eine
lebenslange
Antikoagulation
erforderlich.
Darüber
hinaus
ist
eine
mechanische Hämolyse zu berücksichtigen.
Herzrhythmusstörungen können die Implantation eines Herzschrittmachers oder
Defibrillators erforderlich machen.
1.6.5 Thoraxchirurgisches Management
Ausgeprägte emphysematöse Anteile der Lunge und Thoraxdeformitäten mit
räumlicher Bedrängung der intrathorakalen Organe müssen operativ behandelt
werden.
1.6.6 Geburtshilfliches Management
Die geburtshilflichen Bemühungen sollten stets von einem Frauenarzt in
Zusammenarbeit mit einem Kardiologen erfolgen. Patientinnen mit Marfan
Syndrom
haben
ein
erhöhtes
Risiko
Schwangerschaftskomplikationen [Goland und
für
das
Auftreten
von
Elkayam, 2009]. Es ist zu
beachten, dass es sich dann um eine Hochrisikoschwangerschaft handelt, wenn
ein Aortendurchmesser von 40 mm überschritten wird oder eine schwere
Herzbeteiligung vorliegt. Bei einem Kinderwunsch kann an eine prophylaktische
Aortenersatzoperation
gedacht
werden,
um
das
Risiko
zu
verringern.
39
Regelmäßige sonographische Kontrollen während der Schwangerschaft sollten in
einem Intervall von drei Monaten durchgeführt werden und über den Zeitpunkt der
Geburt hinaus fortgesetzt werden. Im Falle eines rasch progressiven Wachstums
eines Aneurysmas (>10 mm während der Schwangerschaft) sollte aufgrund des
hohen Risikos der Dissektion oder Ruptur ein therapeutischer Eingriff durchgeführt
werden. Unter Umständen muss die Schwangerschaft beendet werden. Ein
elektiver Eingriff ist dabei stets gegenüber eines Notfalleingriffs zu bevorzugen, da
diese mit einem hohen Operationsrisiko vergesellschaftet sind.
Bei Kinderwunsch muss über das Risiko der Vererbung des Syndroms aufgeklärt
werden. Die Patientin muss darüber hinaus über die pränatal-diagnostischen
Möglichkeiten und Fehleranfälligkeit dieser Verfahren informiert werden. Es ist
notwendig, die Patienten mit Kinderwunsch vor einer Schwangerschaft auf
eventuelle Risikofaktoren hin zu untersuchen und genau über das mütterliche
Risiko, besonders hinsichtlich kardiovaskulärer Komplikationen, aufzuklären. Eine
antihypertensive oder gerinnungshemmende Medikation kann negative Folgen für
eine
Schwangerschaft
haben
(i.u.
Wachstumsretardierung,
fetale
Mangelzustände). Während der Gravidität sollte auf selektive β1-Blocker
umgestellt werden, um vorzeitige Wehentätigkeiten zu verhindern. AngiotensinRezeptorblocker dürfen während einer Schwangerschaft nicht verwendet werden.
Auch über diese Aspekte müssen die Patientinnen genau aufgeklärt werden.
Patientinnen mit hohem kardialem Risiko hinsichtlich ventrikulärer Arrhythmien
aufgrund von Kammerdilatation können vor einer geplanten Schwangerschaft mit
einem implantierbaren Defibrillator versorgt werden.
Die
Geburt
sollte
aufgrund
der
hämodynamischen
Belastung
je
nach
kardiovaskulärer Gesundheit entweder vaginal oder per Sectio cesarea erfolgen.
Dabei empfiehlt sich der Kaiserschnitt ab einem Aortendurchmesser von 40 mm.
1.6.7 Psychologisches Management
Das Marfan Syndrom kann durch seine multiplen Organmanifestationen zahlreiche
Lebensbereiche und somit die Lebensqualität beeinflussen. Die Betroffenen
nehmen ihre Erkrankung häufig als schwerwiegend und bedrohlich wahr. Es
entstehen psycho-soziale Belastungen, die über die der Normalbevölkerung
40
hinausgehen. Marfan Patienten leiden darüber hinaus unter Schmerzen,
gesellschaftlicher Isolation, Angst, Beklemmungsgefühlen und Einschränkungen in
vielen Lebensbereichen. Die Lebensqualität verringert sich durch die Erkrankung
deutlich [Peters, et al., 2005]. Bisher gehört eine unterstützende Psychotherapie
nicht zur Standardbehandlung beim Marfan Syndrom. Betroffene können in
Selbsthilfegruppen Unterstützung finden.
1.6.8 Kieferorthopädisches Management
Der Kiefer von Marfan-Patienten ist häufig schmal angelegt und bietet nicht
ausreichend Platz für alle angelegten Zähne. Zahnexzisionen können bei Bedarf
angewendet werden, um die räumliche Situation zu verbessern. Die andernfalls
entstehenden Zahnfehlstellungen begünstigen die Entstehung von Karies. Bei
Eingriffen im Mundraum ist auf ein erhöhtes Endokarditisrisiko zu achten.
41
2 Material und Methoden
Im folgenden Abschnitt werden drei Fälle von Patienten mit Marfan Syndrom
berichtet. Es wurde eine Befragung über bio-psycho-soziale Aspekte der
Erkrankung durchgeführt. Die Ethikkommission der Medizinischen Universität
Graz hat ihre Zustimmung für die Durchführung der Befragung erteilt.
2.1 Patientenauswahl
Es
wurden
drei
Patientinnen
und
Patienten
mit
unterschiedlichen
Krankheitsverläufen der Universitäts-Kinderklinik des Landeskrankenhauses Graz
ausgewählt. Es wurde jeweils eine Patientin bzw. ein Patient mit geringer,
moderater und schwerer Symptomatik befragt.
2.2 Ausschlusskriterien
Von der Befragung ausgeschlossen wurden jene Patientinnen und Patienten, die
einer Mitarbeit nicht zustimmten. Es wurde kein weiteres Ausschlusskriterium
angewandt.
2.3 Ablauf
Die Befragung fand in den Räumlichkeiten der Universitäts-Augenklinik oder
telefonisch statt. Die erste Kontaktaufnahme erfolgte telefonisch. Zunächst wurde
der Grund der Befragung, die Verwendung der gewonnenen Informationen und die
Durchführung erläutert. Anschließend wurde ein Termin für ein Gespräch
vereinbart. In einem einstündigen Gespräch berichteten die Patientinnen und
Patienten von ihren individuellen Krankheitsverläufen und ihrer Wahrnehmung der
Erkrankung und ihrer bio-psycho-sozialen Auswirkungen.
42
2.4 Datenerhebung
Die
Gespräche
wurden
anhand
eines
Case-record-forms
protokolliert.
Anschließend wurden diese ausgewertet.
3 Fallberichte
Zur Verdeutlichung der Variabilität bezüglich der symptomatischen Ausprägung
und zur Darstellung der bio-psycho-sozialen Komponente der Erkrankung führten
wir Gespräche mit betroffenen Patientinnen und Patienten. Uns interessierten
dabei neben den medizinischen Aspekten vor allem die individuellen Sichtweisen.
Um die klinische Variabilität zu verdeutlichen, wählten wir jeweils einen Fall mit
geringer, moderater und schwerer Symptomausprägung.
3.1 Patient 1: weiblich, 25 Jahre, schwere Symptomatik
Die 25-jährige Patientin hat eine äußerst schwere Multiorganbeteiligung des
Marfan Syndroms. Da die Patientin nur eingeschränkt mobil ist, führten wir das
Gespräch telefonisch. Der Habitus ist typisch marfanoid. Es findet sich eine starke
Skoliose (>100°), die Körpergröße ist daher mit 164 cm untypisch gering. Das
Gewicht beträgt nur 43,9 kg, woraus sich gemeinsam mit der Körpergröße ein
Body Mass Index (BMI) von nur 16,4 ergibt. Der BMI liegt damit deutlich im
untergewichtigen Bereich. Die okuläre Beteiligung äußert sich in Form einer
starken Myopie und Luxatio lentis mit 4 bzw. 19 Jahren, infolge derer jeweils eine
Operation notwendig wurde. Auf die Implantation von Kunstlinsen wurde
verzichtet, daher ist Frau B. auf eine bifokale Brille angewiesen.
Als Zeichen der kardiovaskulären Beteiligung kam es zu einer Mitral- und
Aortenklappeninsuffizienz. In deren Folge dilatierte der linke Ventrikel und Vorhof,
was
zu
massiven
Herzrhythmusstörungen
(Vorhofflimmern
und
Vorhofflimmerarrhythmie) führte. Die Aorta ascendens war aneurysmatisch
erweitert, woraufhin eine Operation nach Bentall mit Composite-Graft-Prothese
durchgeführt
wurde.
Die
Mitralklappe
wurde
zunächst
mittels
43
Klappenrekonstruktion operiert, später wurde die Klappe ebenfalls ersetzt. Ein
paravalvuläres Leck machte einen Reeingriff notwendig.
Die künstlichen Klappen führten zu einer persistierenden hämolytischen Anämie.
Darüber hinaus ist eine lebenslange Antikoagulation notwendig.
Als skeletale Beteiligung zeigt die Patientin einen deutlich marfanoiden Habitus.
Die Röhrenknochen an Armen und Beinen scheinen verlängert, es findet sich ein
Pes planus. Eine starke Skoliose verformt den Thorax und macht die Verwendung
eines Rollstuhls zur Fortbewegung nötig.
Eine pulmonale Beteiligung äußerte sich in Form des zweimaligen Auftretens
eines Spontanpneumothorax. Dieser wurde operativ behandelt (Bullektomie).
Das Syndrom wurde nur wenige Tage nach der Geburt in Form von deutlich
auskultierbaren Herzgeräuschen erkannt. Im Alter von einem Jahr wurde bereits
die endgültige Diagnose des Marfan Syndroms gestellt. In der Familie sind keine
weiteren Fälle der Erkrankung bekannt. Mittels molekulargenetischer Analyse
konnte eine typische FBN-1-Mutation gefunden werden, vermutlich handelt es sich
dabei um eine de novo Mutation.
Frau B. nimmt Lisinopril (Lisinocomp, ACE-Hemmer), Spironolacton (Spirobene,
Aldosteronantagonist), Digoxin (Lanitop, Herzglykosid), Folsäure (Folsan) und
Phenprocoumon (Marcoumar, Antikoagulans) regelmäßig ein.
Im Alltag ist Frau B. durch das Syndrom stark eingeschränkt. Aufgrund der
reduzierten Beweglichkeit und der Notwendigkeit des Rollstuhls ist sie zum großen
Teil an ihren Wohnort gebunden. Sie verlässt die Wohnung nur selten. Derzeit
kann Frau B. keinen Beruf ausüben. Sie holt jedoch die allgemeine Hochschulreife
nach und möchte anschließend studieren. Aufgrund ihrer Sehbehinderung
besuchte sie eine Sonderschule. Eine mittelgradig ausgeprägte Herzinsuffizienz
(NYHA 2-3) verhindert zusätzlich zur eingeschränkten Mobilität die Teilnahme an
vielen Aktivitäten. Häufig leidet Frau B. unter Schmerzen.
Zusätzlich ist Frau B. psychisch und sozial durch das Marfan Syndrom belastet.
Die Immobilität und Schmerzen führen bei ihr zu depressiven Verstimmungen.
Verstärkt wird dieser Zustand durch weitgehende soziale Isolation. In Folge ihrer
Sehbehinderung konnte Frau B. keine Fahrerlaubnis erlangen, weshalb sie auf
öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist. Aus diesem Grund musste sie ihren
44
Wohnort in eine Stadt (Wien) verlegen, da das öffentliche Verkehrsnetz auf dem
Land für ihre Bedürfnisse nicht ausreichte.
Frau B. bedauert sehr, dass bestimmte therapeutische Verfahren bei ihr nicht
durchgeführt wurden. Die Skoliose wurde auf Anraten ihres Arztes nicht operativ
behandelt, und es wurde keine Physiotherapie durchgeführt. Sie sieht dies als
verpasste Chance auf eine höhere Lebensqualität. Sie hofft, in Zukunft weniger
auf den Rollstuhl angewiesen zu sein, was jedoch nicht in Aussicht steht.
Die Auswirkungen des Syndroms führten dazu, dass sie selten Freunde traf, an
Ausflügen mit der Familie nicht teilnehmen konnte und nie in der Lage war, sich
sportlich zu betätigen.
In der Kindheit wollten die Altersgenossen nicht mit ihr spielen, da sie als zu
zerbrechlich galt. In Folge der elterlichen Überprotektion ist sie mehrmals von
zuhause ausgebrochen. In dieser Zeit begegnete sie Stigmatisierung durch eine
offene Haltung. Fragen über ihre Erkrankung oder ihre äußere Erscheinung
beantwortet sie und erklärt diese.
In der Pubertät und Schulzeit machten sich die Klassenkameraden über ihr
verändertes Aussehen „lustig“ (Zitat), was ihr sehr zu schaffen machte. Am
Sportunterricht durfte Frau B. ebenfalls nicht teilnehmen, weshalb sie unbeliebt bei
den Mitschülern war, die sie für einen „Drückeberger“ (Zitat) hielten. Im Alter von
16 Jahren zogen die Eltern mit Frau B. an einen anderen Ort um. Dort wurde sie
wegen ihrer Krankheit als „anders“ (Zitat) behandelt und sozial ausgeschlossen. In
dieser Phase ihres Lebens war die Patientin extrem psychisch belastet.
Frau B. sieht das Marfan Syndrom als ihr „Schicksal“ (Zitat). Derzeit lebt die
Patientin in Wien. Dort führt sie eine Beziehung. Sie wünscht sich zwar Kinder,
hält dies jedoch auf Grund ihrer Krankheit für unmöglich. In Zukunft möchte sie
einen Beruf im Bildungswesen wahrnehmen. Sie wird von ihrem Freund und ihren
Eltern unterstützt. Die Hilfe einer Marfan-Gruppe nimmt sie derzeit noch nicht in
Anspruch, plant aber, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Sie verbringt
viel Zeit zuhause und verlässt die Wohnung eher ungern, da dies für sie eine zu
hohe Belastung darstellt.
Aufgrund ihrer schweren Krankheit wurde ihr stets eine kurze Lebenserwartung
prophezeit. Sie sah diese „Marken“ (Zitat) als Ansporn und war jedes Mal stolz,
wenn sie diese überschritt. In unserem Gespräch war Frau B. freundlich, jedoch
45
schwermütig bezüglich ihrer körperlichen Verfassung. Sie hat jedoch klare
Vorstellungen für die Zukunft und ist eine hoffnungsfrohe Persönlichkeit, ohne
existenzielle Ängste. Dennoch ist Frau B. täglich mit den Auswirkungen ihrer
Erkrankung konfrontiert. Sie beklagt sich darüber hinaus über die schlechte
Vernetzung, fehlende Abstimmung und weit voneinander entfernte Standorte der
behandelnden Ärzte. Dies führte für sie häufig zu langen Fahrtwegen einerseits,
zu ungenügender Information der behandelnden Ärztinnen und Ärzte über neue
Befunde
oder
zentralisierten
therapeutische
Behandlung,
Maßnahmen
hätte
die
andererseits.
Patientin
gerne
Neben
einer
psychologische
Unterstützung in Anspruch genommen.
Die Patientin ist sehr compliant, was die Einhaltung von Kontrollterminen und
Durchführung von präventiver und symptomatischer Therapie angeht. Frau B.
versteht die Notwendigkeit der Operationen und ihren Nutzen. Auch die verordnete
körperliche Schonung wird von der Patientin konsequent eingehalten.
46
3.2 Patient 2: weiblich, 24 Jahre, moderate Symptomatik
Frau S. ist eine 24-jährige Patientin mit einem seit dem vierten Lebensjahr
bekannten Marfan Syndrom. Erste Symptome traten in Form eines sonographisch
feststellbaren Herzfehlers bei einer Routineuntersuchung auf. Kurz darauf folgte
die Diagnose des MFS. Wir trafen sie zu einem persönlichen Gespräch am LKH
Graz, als sie dort bei einer jährlichen kardiologischen Kontrolle war. Es
präsentierte sich eine gut gelaunte, junge Frau mit deutlich marfanoidem Habitus
in gutem Allgemeinzustand. Die Körpergröße von 186 cm ist überdurchschnittlich
hoch, das Körpergewicht von 64 kg hingegen marfantypisch niedrig. Der
errechnete Body Mass Index von 18,5 liegt an der Untergrenze zum normalen
Bereich. An den Fingern ist eine Arachnodaktylie erkennbar, die Füße und Zehen
sind unauffällig. Die Ober- und Unterschenkel sind erkennbar verlängert
(Beinlänge 112 cm). Das Verhältnis von oberer zu unterer Körperhälfte beträgt
0,66 und ist somit deutlich zu Gunsten der unteren Extremitäten verschoben. Das
Missverhältnis wird zusätzlich durch eine Skoliose verstärkt. An den Gelenken
manifestiert sich das Syndrom durch eine deutliche Überdehnbarkeit. Frau S. ist
stark kurzsichtig.
Die kardiovaskuläre Beteiligung äußert sich an der Mitralklappe (Prolaps I.
Grades), der Aortenklappe (St.p. Aortenklappenprothese bei Aorteninsuffizienz
Grad IV) und der Aorta (St.p. Aorta ascendens-Ersatz wegen Aortenektasie) sowie
Dilatation der Aorta abdominalis. Der Klappenapparat des rechten Ventrikels ist
geringfügig
beteiligt,
es
liegen
leichtgradige
Trikuspidal-
und
Pulmonalklappeninsuffizienz vor. Die entsprechenden Operationen wurden im
Alter von 13 und 16 Jahren durchgeführt. Frau S. sieht diese Operationen als
sinnvoll an.
In ihrer Familie sind bisher keine Fälle des Marfan Syndroms aufgetreten. Jedoch
seien ihre Geschwister und die Verwandten väterlicherseits auffallend hoch
gewachsen und schlank. Eine genetische Untersuchung wurde bisher nicht
durchgeführt.
Als Dauermedikation nimmt Frau
S. Bisoprolol
(Concor,
selektiver β1-
Adrenorezeptorenblocker) und Candesartan (Atacand, AT1-Antagonist) aufgrund
einer ACE-Hemmerunverträglichkeit ein.
47
Frau S. berichtet von einem nahezu uneingeschränkten Alltagsleben. Sie besucht
eine Fachhochschule, an der sie biomedizinische Analytik studiert. In ihrer Freizeit
betreibt sie viel Sport, vor allem Ausdauersportarten, wie Radfahren, Skilanglauf
und Rollerskating. Bei diesen sei die Belastbarkeit subjektiv nicht eingeschränkt.
Lediglich starke Belastungen für Herz und Kreislauf, im Sinne von Sprints oder
Kraftsportarten müsse sie vermeiden. Die Freizeitgestaltung ist darüber hinaus
unproblematisch und uneingeschränkt. Sollte es zu Notfällen kommen, trage Frau
S. stets ein Armband mit der Aufschrift „angeborener Herzfehler“ bei sich. Sie
fürchtet sich jedoch nicht vor akuten Ereignissen.
Die schulische Laufbahn wurde nicht durch die Krankheit beeinflusst. Ihre
sportlichen Ambitionen konnte Frau S. an einer Sportrealschule ausleben. Das
Syndrom hat keine Auswirkungen auf die geplante Berufswahl. Familie,
Lebenspartner und enge Freunde sind über die Erkrankung informiert. Die Eltern
sind besorgt um die Gesundheit der Tochter, was sich gelegentlich auch auf die
Stimmung der Patientin auswirkt. Gerade die Operationen am Herzen stellten eine
psychische Belastung für die Familie dar. In diesen Situationen verspürte sie
intensive Angst vor dem Eingriff und den Folgen der Operation. Ansonsten hat
Frau S. keine Angst vor der Krankheit. Betreffend eines Kinderwunsches gab die
Patientin an, auf molekular-diagnostische Untersuchungen zurückgreifen zu
wollen. Sie will keine Schwangerschaft bei positivem Marfan Syndrom des Kindes
austragen.
Frau S. erlebte ihre Erkrankung in der Kindheit nicht als bedrohlich. Die
Untersuchungen hat sie als normal empfunden. Erst in der Pubertät wurde sie mit
einigen Aspekten des Syndroms konfrontiert. Neben den Operationen im Alter von
13 und 16 Jahren, die mit mehrwöchigen Krankenhausaufenthalten verbunden
waren, stellten sich auch andere Probleme ein. So empfand es die Patientin stets
als bedrückend, dass es für ein Mädchen ihrer Körpergröße nur eine geringe
Auswahl an modischer Kleidung gab. Ihre überdurchschnittlich langen Beine
passten in keine Hose in „Mädchengröße“. Aus diesem Grund war Frau S. in der
Pubertät
stets
mit
ihrer Kleidung
unzufrieden.
Die
überdurchschnittliche
Körpergröße war ihr darüber hinaus unangenehm, da sie größer als die meisten
Jungen in ihrem Alter war. Sie berichtete auch, dass ihr in vielen Fällen
unerwünschte Aufmerksamkeit zuteil wurde, da sie in einer Gruppe aus
Gleichaltrigen in der Regel die Größte war. Daher habe sie sich immer an „große“
48
Freunde gehalten. Zusammenfassend äußerte Frau S., sich in ihrem Körper nicht
„wohlgefühlt“ zu haben. Auch in ihrer Partnerwahl kam ein Mann von kleinerer
Statur für sie nicht in Frage, was sich lange Zeit als Problem herausstellte, bis sie
„den Passenden gefunden habe“ (Zitat).
Als positiv nahm die Patientin hingegen eine erhöhte Alterseinschätzung wahr,
was ihr die Teilnahme an vielen Freizeitaktivitäten ermöglichte, für die sie und ihre
Altersgenossen zu jung waren. So konnte sie früher als andere Mädchen
Diskotheken besuchen oder z.B. Kinofilme mit Altersfreigabe ansehen.
Heute habe sie gelernt, mit den Eigenschaften des Syndroms umzugehen und
empfindet diese nicht mehr als störend.
Die Frage nach dem Umgang mit der Erkrankung beantwortete die Patientin mit
der Beschreibung des weitgehend uneingeschränkten Alltags. Die KontrollUntersuchungen und Medikamenteneinnahme seien inzwischen selbstverständlich
und stellten keine Belastung dar. Angst verspüre sie nicht, sondern sehe
optimistisch in die Zukunft. Auch ihre momentane Situation beurteilt sie als „nicht
so schlimm“ (Zitat). Frau S. will ihre Krankheit „bekämpfen“ (Zitat) und notwendige
Maßnahmen, wie z.B. Operationen oder Therapien durchführen.
Bezüglich ihrer Compliance gibt die Patientin an, sich weitestgehend an
Kontrolltermine zu halten und ihre Medikation regelmäßig einzunehmen. Die
körperliche Schonung wird je nach subjektiver Einschätzung eingehalten.
Die Patientin gibt an, sehr zufrieden mit ihrer Behandlung und den behandelnden
Ärzten zu sein. Sie werde seit der Erstdiagnose stets im selben Zentrum therapiert
und kontrolliert, wodurch sie ein gutes Verhältnis zum dortigen Personal hat. Ihr
Fall ist dort gut bekannt.
49
3.3 Patient 3: männlich, 20 Jahre, geringe Symptomatik
Herr B. hat ein Marfan Syndrom mit gering ausgeprägter Symptomatik. Es findet
sich
eine
kardiovaskuläre
und
skeletale
Beteiligung.
Wir
führten
das
Patientengespräch telefonisch.
Im Alter von 15 Jahren wurden diverse Veränderungen des Herzkreislaufsystems
im Zuge einer ärztlichen Untersuchung bezüglich einer Hühnerbrust festgestellt.
Neben der Thoraxdeformität fand sich lediglich eine Langgliedrigkeit der Finger,
eine minimale Skoliose und ein dezenter Hochwuchs (189 cm) bei einem
Körpergewicht von 65 kg (BMI 18,2) als Zeichen einer skeletalen Beteiligung.
Neben Herz und Skelett sind keine anderen Organsysteme betroffen. Infolge
dieser Befunde wurde eine genetische Untersuchung durchgeführt. Die zeigte eine
marfantypische FBN-1-Genmutation. In der Familie sind keine weiteren Fälle der
Erkrankung bekannt, der Vater habe jedoch ebenfalls einen angeborenen
Herzfehler. Das Marfan Syndrom wurde bei Patient 3 im Alter von 15 Jahren
diagnostiziert.
Die Auffälligkeiten
am
Herzen
äußerten
sich
zunächst
in
Form
einer
Aortenklappeninsuffizienz. Im Zuge einer weiteren diagnostischen Abklärung
zeigten sich eine monomorphe ventrikuläre Extrasystolie (Bigeminus), ein
vergrößerter linker Ventrikel und eine Dilatation der Aortenwurzel. Aufgrund der
Progredienz der Aortenklappeninsuffizienz und Aortenwurzeldilatation wurde Herrn
B. eine Operation nahegelegt, die aber bisher nicht durchgeführt wurde. Der
Patient gibt an, dass diese seiner Meinung nach zunächst nicht nötig wäre. Als
Dauermedikation nimmt er Propanolol (Inderal, nicht-selektiver β-Adrenorezeptorenblocker) und Losartan (Cosaar, AT1-Antagonist) ein.
Im Alltag fühlt sich Herr B. uneingeschränkt. Er gibt an, keine Beschwerden zu
haben. Er trinkt gelegentlich Alkohol und raucht Zigaretten. Derzeit ist er im letzten
Jahr der Ausbildung zum Schlosser. In der Freizeit fahre er Motocross und
betreibe regelmäßig Sport. Es gäbe keine belastungsbedingten Einschränkungen.
Sein Arzt rate ihm vom Motocross ab, jedoch hat Herr B. nicht vor, diese
Freizeitbeschäftigung aufzugeben. Schulische Laufbahn und Berufswahl seien
nicht durch das Marfan Syndrom beeinflusst gewesen. Der Patient gibt an, weder
in der Kindheit, noch in der Pubertät jemals Probleme psychischer oder sozialer
50
Natur gehabt zu haben. Ebenso kann er sich an keine längere Krankheitsepisode
erinnern. Der marfanoide Habitus habe sich nie bemerkenswert auf die psychische
Verfassung des Patienten ausgewirkt. Seinem Körperbau steht er weitgehend
indifferent gegenüber, die erhöhte Körperlänge stelle jedoch einen Vorteil dar.
Herr B. nimmt keine Rücksicht auf seine körperliche Verfassung, da er keine
Krankheitssymptome wahrnimmt. Sollte er Einschränkungen verspüren, würde er
sich jedoch daran anpassen.
Auf die Frage bezüglich des Umgangs mit dem Gedanken, an einer gefährlichen,
potentiell tödlichen Erkrankung zu leiden, gab er an, dass er sich darüber keine
Gedanken mache. Bezüglich eines Kinderwunsches spiele das Marfan Syndrom
keine Rolle für ihn.
Auf die Frage nach dem Umgang mit der Erkrankung antwortete Herr B., dass er
diese weitestgehend nicht wahrnehme. Außer den Kontrolluntersuchungen und
der Einnahme der täglichen Medikation hätte er keinen Bezug zu der Erkrankung
und würde diese oft „vergessen“ (Zitat). Eine Vermeidung von hohen
Blutdruckwerten durch körperliche Schonung wird nicht durchgeführt. Auch scheint
der Patient nicht gut informiert über das Marfan Syndrom und die möglichen
Konsequenzen zu sein.
51
4 Resultate
4.1 Psycho-soziale Aspekte
Von unseren drei berichteten Fällen war Patientin 1 am stärksten körperlich und
psycho-sozial beeinträchtigt. Lediglich Patient 3 gibt an, überhaupt keine
psychische oder soziale Beeinträchtigung durch das Syndrom zu erleben.
Patientin 2 gibt an, in der Pubertät und unmittelbar vor großen Eingriffen stark
psychisch belastet gewesen zu sein.
Ungeachtet der individuellen Bewertung, berichteten alle Patienten, dass sie
aufgrund
ihrer
phänotypischen
Besonderheit
aus
dem
Normalkollektiv
hervorstachen. Patientin 1 berichtete von Ausgrenzung aufgrund der habituellen
Veränderungen. Die deutliche Skoliose und der entstehende Buckel (Gibbus)
führten zu sozialer Isolation der Patientin aufgrund mangelnder Akzeptanz des
Umfelds. Infolge ihrer Sehbehinderung konnte sie keine normale Schule
besuchen, sondern musste ihre Ausbildung in einer Sehbehindertenschule
durchführen. Darüber hinaus ist es ihr nicht möglich, eine Erlaubnis zum Führen
von
Kraftfahrzeugen
zu
erhalten.
Gemeinsam
mit
der
vorhandenen
Bewegungseinschränkung aufgrund der skeletalen Beteiligung reduziert dies ihre
Bewegungsfreiheit noch weiter.
Patientin 2 berichtet von Problemen beim
Aussuchen von Kleidung, da Marfan Patienten aufgrund ihrer verlängerten
Röhrenknochen Schwierigkeiten mit den bestehenden Normgrößen haben. In der
Regel musste sie Kleidung in erster Linie nach dem Aspekt der korrekten Größe
auswählen, nicht nach persönlichem Geschmack bzw. aktuellen modischen
Standards. Die Auswahl war dabei für sie stets beschränkt, gelegentlich musste
sie bei Hosen auf Herrenschnitte ausweichen. Resultierend fühlte sich die
Patientin oft nicht wohl mit Körperbau und Kleidungsstil, was sich negativ auf ihr
Selbstwertgefühl auswirkte.
Der
marfanoide
Habitus
besitzt
für
Patientin
2
positive
und
negative
Auswirkungen. Als positiv erlebte sie, dass sie älter eingeschätzt wurde und daher
früher an Freizeitaktivitäten mit „Mindestaltersbeschränkung“ teilnehmen konnte
sowie ihren schlanken Körperbau. Unangenehm erlebt sie das Hervorstechen aus
52
der Menge, die erhöhte, unerwünschte Aufmerksamkeit und den hohen
Wiedererkennungswert bei Aufsichtspersonal in der Schule.
Patient 3 gibt an, die Körpergröße und den marfanoiden Habitus, insbesondere
seine Kielbrust, nicht als störend wahrzunehmen. Sein soziales Umfeld habe
seinen Körperbau nie negativ aufgenommen. Die hohe Körpergröße empfindet er
als positiv.
Das Bewusstsein, an einer potentiell tödlichen Erkrankung zu leiden, hat keiner
unserer Patienten als belastenden Faktor angeführt. Auf die gezielte Frage danach
antworteten alle drei Patienten verneinend auf die Frage, ob dies eine Belastung
für sie darstelle.
Die Notwendigkeit von großen Eingriffen sehen die beiden moderat und schwer
betroffenen Patientinnen ein, dem Patienten mit der leichten Symptomatik wird
zwar ein elektiver Eingriff nahe gelegt, er lehnt diesen jedoch zur Zeit ab. Die
beiden Patientinnen mit stärker ausgeprägter Symptomatik achten in ihrer Freizeit
darauf, starke Belastungen für das Herzkreislaufsystem zu reduzieren. Der leichter
betroffene Patient achtet wenig auf Schonung des empfindlichen Systems und
behält schädigende Verhaltensweisen (Motocross) trotz der Erkrankung bei.
Patientin 1 ist aufgrund ihrer Krankheit psychisch stark belastet. Die depressive
Verstimmung aufgrund der körperlichen Symptome erklärt eine psychische
Komponente des Syndroms. Als Folge dieser kommt es zu gesellschaftlichem
Rückzugverhalten, was in Zusammenhang mit den habituellen Einschränkungen
zu einem Circulus vitiosus der sozialen Isolation führt. Die sozialen Beziehungen
der Patientin leiden unter der eingeschränkten Mobilität. Die Teilnahme an
gesellschaftlichen Ereignissen ist in vielen Fällen nicht möglich.
Patientin 2 ist hingegen psychisch weitestgehend unbelastet trotz subjektiv
schwerer körperlicher Symptome. Auch die soziale Beteiligung der Erkrankung ist
in ihrem Fall verschwindend gering.
Patient 3 gibt weder psychische noch soziale Belastungen an.
53
4.1.1 Unterschiede in der Krankheitsverarbeitung
Die
berichteten
Herangehensweise
Fälle
an
verdeutlichen,
dass
die
besitzt.
Krankheit
jeder
In
Patient
der
seine
eigene
Wissenschaft
sind
verschiedene Formen der Krankheitsverarbeitung beschrieben. Gemeinsam ist
diesen Studien der Versuch der Patienten, die bedrohlichen Aspekte ihrer
individuellen Situation in ein für sie verständliches Bild von Existenz und Leben zu
integrieren. Der Prozess der Krankheitsverarbeitung dient somit der Bewältigung
der durch die Erkrankung entstehenden Anforderungen. An dieser Stelle soll
exemplarisch auf die Verarbeitungsmechanismen unserer Patienten eingegangen
werden.
Die Patientinnen 1 und 2 setzen sich aktiv mit ihrer Krankheit auseinander. In
unseren Gesprächen fiel auf, dass beide Patientinnen sehr gut über das Marfan
Syndrom und Behandlungsmethoden informiert waren. Im Gespräch mit Patientin
1 gab sie an, die Krankheit als ihr „Schicksal“ (Zitat) anzusehen. Sie ist
nachdenklich und neigt zu depressiver Verstimmung. Patientin 1 gibt an, stark
eingeschränkt zu sein. Ihr bleibt nach eigenen Angaben keine andere Möglichkeit
als gewisse Aktivitäten vollständig zu vermeiden und im Gegenzug der
körperlichen Schonung Vorrang zu gewähren. Die Patientin achtet sehr auf
körperliche Symptome und reagiert entsprechend. Häufig ist der soziale Rückzug
Folge
des
notwendigen
Schonverhaltens.
Patientin
2
zeigt
einen
sehr
verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Körper: Schwächen werden
akzeptiert und das Verhalten entsprechend angepasst. Dennoch sieht sie das
Marfan Syndrom nicht als Einschränkung an. Stattdessen werden alternative
Verhaltensweisen gesucht, z.B. intensiver Ausdauersport. Sie vertraut auf
ärztlichen Rat und bemüht sich, die Krankheit zu „bekämpfen“ (Zitat). Die Patientin
erscheint äußerst optimistisch im Bezug auf die Zukunft und ihre aktuelle Situation
zu sein. Hingegen nimmt Patient 3 wenig Rücksicht auf seine kardiovaskuläre
Situation. Sein Verhalten ist riskant. Die Krankheit wird von ihm bagatellisiert und
als harmlos dargestellt. Schonende Verhaltensweisen werden nicht durchgeführt,
ebenso wird die notwendige Operation der Aorta hinausgezögert. Darüber hinaus
ist er eher schlecht über die Krankheit und mögliche Konsequenzen informiert,
was ebenfalls als Zeichen der Krankheitsverleugnung zu bewerten ist.
54
4.1.2 Unterschiedliche Wahrnehmung in verschiedenen
Lebensphasen
Bei den Patientinnen 1 und 2 wurde das Marfan Syndrom bereits in der frühen
Kindheit diagnostiziert. Insofern war es von Interesse, ob es Unterschiede
bezüglich
der
Wahrnehmung
der
Krankheitsauswirkungen
in
den
unterschiedlichen Lebensphasen der Betroffenen gab.
Patientin 1 war in der Kindheit der Krankheit gegenüber indifferent eingestellt, das
Syndrom wurde also weder als positiv noch negativ angesehen. In der Jugend
verursachte vor allem die soziale Komponente ein starkes Krankheitsempfinden.
Die
Krankheit
wurde
folglich
als
negativ
betrachtet.
Aktuell
(frühes
Erwachsenenalter) verursachen körperliche Symptome eine deutliche, negative
Krankheitswahrnehmung.
Patientin
2
war
ebenfalls
in
der
Kindheit
gegenüber
dem
Syndrom
unvoreingenommen. In der Jugend fühlte sich die Patientin aufgrund der
körperlichen Erscheinung bzw. des marfanoiden Habitus „anders“ (Zitat), dies ist
als negativ zu werten. Die aktuelle Situation ist wiederum indifferent, die Patientin
betrachtet sich als uneingeschränkt und durch das Syndrom unbeeinflusst.
Das MFS von Patient 3 wurde erst im Alter von 15 Jahren auffällig. Die Kindheit
verlief daher unbeeinflusst von der Erkrankung. In der Jugend existierte
Krankheits-Wahrnehmung
nur
in
Form
des
positiven
Erlebens
der
überdurchschnittlichen Körpergröße, was sich bis zum aktuellen Zeitpunkt
fortsetzt.
Zur
Veranschaulichung
und
zum
Vergleich
der
individuellen
Wahrnehmung dient Tabelle 2.
Lebensphase
Patient 1
Patient 2
Patient 3
Kindheit
Indifferent
Indifferent
-
Jugend
negativ
negativ
positiv
frühes
Erwachsenenalter
negativ
Indifferent
positiv
Tabelle 2: Wahrnehmung der Erkrankung
55
4.2 Biologische Aspekte
Die beschriebenen Fälle zeigen verschiedene Symptomausprägungen der selben
Krankheit. Bezüglich der Variabilität des Marfan Syndroms konnte folgendes
verdeutlicht werden:
Der Schweregrad der Veränderungen verhält sich dem Alter des Auftretens erster
Symptome
gegenüber
antiproportional.
Je
früher
ein
Marfan
Syndrom
symptomatisch auffällig wird, umso schwerer ist der Krankheitsverlauf. Bei allen
drei Patienten ist eine Herzkreislaufbeteiligung vorhanden. Insofern ist es
notwendig,
die
Patienten,
unabhängig
von
der
restlichen
Symptomatik,
regelmäßigen Kontrolluntersuchungen zu unterziehen. Diese sind unabhängig von
anderen Organmanifestationen. Die Standardtherapie des Marfan Syndroms ist
bei jedem der Patienten durchzuführen. Tabelle 3 stellt die Symptomausprägung
der Patienten einander zur besseren Anschaulichkeit gegenüber. Dabei wird
ersichtlich, dass mit geringer Zahl an subjektiv erkennbaren Symptomen auch die
Einsicht der Erkrankung und damit auch die Compliance bzgl. präventiver
therapeutischer Maßnahmen sinkt.
System
Patient 1
Patient 2
Patient 3
HerzKreislaufsystem
+++
++
++
Skelett
+++
++
+
Augen
+++
++
-
Lunge
+++
-
-
psychische
Belastung
+++
+
-
soziale Belastung
+++
-
-
Auftreten erster
Symptome
unmittelbar postnatal
frühe Kindheit (3 a)
Pubertät (15 a)
Krankheitseinsicht/
Compliance
+++
++
+
Tabelle 3: Systembeteiligung
56
5 Diskussion
Der medizinische Fortschritt ermöglicht es, die Lebenserwartung von Patienten mit
dem Marfan Syndrom deutlich zu steigern. Die verbesserten diagnostischen
Richtlinien und molekular genetische Erkenntnisse erlauben heutzutage eine
präzise Diagnosestellung und die prophylaktische Behandlung der Patienten, noch
bevor sich klinische Symptome manifestieren. Die Erkenntnisse auf dem Gebiet
der Pathogenese und -physiologie gewähren den behandelnden Ärzten im
Zusammenhang mit der verbesserten bildgebenden Diagnostik die Option, den
zukünftigen Verlauf der Erkrankung zu bestimmen und die Behandlung unter dem
Gesichtspunkt
der
Abwendung
von
lebensbedrohlichen
kardiovaskulären
Komplikationen zu adaptieren. Ebenso kann eine evidenzbasierte medikamentöse
Standardtherapie verordnet werden.
Wie in anderen Gebieten der Medizin ist die Compliance für die präventive
Therapie von höchster Bedeutung. Gerade junge Patienten mit fehlenden
subjektiv wahrnehmbaren Symptomen sind schwer vom Nutzen einer Behandlung
zu überzeugen, wenn sie nicht bereits mit den Folgen der Erkrankung konfrontiert
wurden. Ein subjektiv gesunder Patient erkennt nicht die Notwendigkeit nach
körperlicher Schonung, regelmäßigen Kontrolluntersuchungen und konsequenter
Medikamenteneinnahme. Dies kann sich jedoch gerade bei Patienten mit gering
ausgeprägter
Symptomatik
negativ
auf
die
individuelle
Langzeitprognose
auswirken. Gerade die gefährlichen und prognosebestimmenden thorakalen
Aortenaneurysmen bleiben lange Zeit asymptomatisch, reagieren jedoch bereits
früh empfindlich auf erhöhten Blutdruck, was ihre Progressiongeschwindigkeit und
in weiterer Folge das Ruptur- und Dissektionsrisiko steigert. Dies stellt ein nach
wie vor ungelöstes Problem des Managements von Marfan Patienten dar. In Folge
der Eigenschaft einer angeborenen Erkrankung fällt die erstmalige Manifestation
des Syndroms häufig in die Phase der Kindheit und Jugend und betrifft somit
unbedarfte
und
unvorsichtige
Patienten,
die
zu
Selbstüber-
und
Krankheitsunterschätzung neigen.
Der
Fall
von
Patient
Krankheitssymptomatik
3
verdeutlicht,
den
Patienten
dass
eine
bezüglich
nicht
wahrnehmbare
körperlicher
Schonung,
regelmäßiger Medikamenteneinnahme und Einhaltung der Kontrollintervalle zu
einer gefährlichen Selbstüberschätzung animiert. Die subjektiv uneingeschränkte
57
Belastbarkeit führt zu fehlender Krankheitseinsicht, was die Beibehaltung
schädigender Verhaltensweisen begünstigt. Die Erkrankung wird in diesem Fall
bagatellisiert. Der Patient übt einen handwerklichen Beruf, stark belastende
Freizeitgestaltung und Nikotinabusus aus.
Die Erkrankung wirkt sich darüber hinaus negativ auf die persönliche Entwicklung
der Patienten aus. Die skeletalen Manifestationen können zu Stigmatisierung und
Etablierung eines negativen Selbstbildes führen. Eine reduzierte körperliche und
kardiale Leistungsfähigkeit und asthenischer Habitus können das Selbsterleben
noch weiter verschlechtern. In Zuge einer Patientenbefragung von 174
erwachsenen Betroffenen beschrieben 32% der Patienten soziale Benachteiligung
und Stigmatisierung [Peters, et al 2005]. Die gesteigerte Körpergröße kann zur
Erregung unerwünschter Aufmerksamkeit und Problemen bei der Integration in
Gruppen durch einen aufgezwungenen Kleidungsstil führen (vgl. Patient 2). In der
Adoleszenz besitzt dieser Faktor große Bedeutung und sollte nicht als geringfügig
betrachtet werden. Peters et al. zeigten 2001 anhand einer Patientenbefragung,
dass ein großer Teil der Patienten mit dem Marfan Syndrom ein negatives
Selbstbild aufgrund der marfantypischen Veränderungen hat [Peters, et al.,
2001a]. Hinzu kommen Ängste und Depressionen aufgrund der Erkrankung und
der möglichen daraus resultierenden Einschränkung für Lebensqualität und
-dauer. In einer Studie mit 857 Marfan Patienten über 12 Jahre untersuchte De Bie
die Auswirkungen des Syndroms auf Lebensqualität und Alltag. 57% der Patienten
beschrieben ihre Lebensqualität als erheblich eingeschränkt [De Bie, et al., 2004].
In einer Studie von Peters et al. [2001b] beschrieben 85% der Befragten negative
Auswirkungen des Syndroms auf ihre Lebensqualität.
Das Marfan Syndrom ist eine in der Regel sichtbare Erkrankung. Die großen,
asthenischen
Patienten
entsprechen
nicht
dem
modernen,
athletischen
Schönheitsideal. Gerade Heranwachsende können unter den phänotypischen
Auffälligkeiten des Syndroms leiden. Schneider, Davies et al. führten 1990 eine
Befragung mit 22 Jugendlichen zwischen 11 und 24 Jahre mit dem Marfan
Syndrom durch. Die Ergebnisse legen nahe, dass die jungen Betroffenen in der
Regel unter einer subjektiv wahrgenommenen reduzierten äußeren Ästhetik leiden
[Schneider, et al., 1990].
58
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer
psychologischen Begleitung für die Betroffenen. Derzeit gehört dies weder zur
präventiven noch zur symptomatischen Therapie des Marfan Syndroms. Dabei
besitzen gerade chronische Erkrankungen einen hohen psychischen Leidensdruck
auf Betroffene. Patientin 1 äußerte uns gegenüber, dass sie sich in zahlreichen
Situationen - gerade in der Pubertät - Begleitung und Beratung gewünscht hätte
und diese auch heute noch als überaus sinnvoll und notwendig für die Betroffenen
halte.
Nicht nur schwer betroffene Patienten könnten von einer psychologischen
Betreuung profitieren. Patient 3 fehlt die Krankheitseinsicht, die ihn zur Schonung
seines gefährdeten kardiovaskulären Systems motivieren könnte. Um gefährliche
Spätfolgen und auch eine verkomplizierte Situation bezüglich präventiver Therapie
zu verhindern, könnten ihn Gespräche mit schwerer betroffenen Patienten oder
aber einem medizinischen Psychologen zu einer Verhaltensadaptation motivieren.
Der Fall von Patientin 2 zeigt hingegen, dass auch Patienten mit beträchtlicher
Symptomatik in der Lage sind, die bio-psycho-sozialen Anforderungen des Marfan
Syndroms eigenständig zu bewältigen. Sie ist ein positives Beispiel für
erfolgreiche Krankheitsbewältigung und -verarbeitung: Die Krankheit wird nicht
bagatellisiert, die notwendigen Verhaltensmaßnahmen werden eingehalten.
Dennoch
führt
die
Patientin
ein
unbeschwertes
Leben
trotz
moderater
Symptomatik, in dem schädigende Verhaltensweisen vermieden und an deren
Stelle Alternativen gefunden werden. Sie betrachtet ihren Alltag durch das
Syndrom als nicht erheblich eingeschränkt. Dieses Phänomen kann bei vielen
Patienten mit dem Marfan Syndrom gefunden werden: Eine Studie zeigte, dass
61% der Patienten mit als subjektiv schwer eingeschätzter Multiorganbeteiligung
ihren Alltag als schwach bis mäßig durch das Syndrom beeinflusst betrachten [De
Bie, et al., 2004].
Der Schweregrad des Marfan Syndroms variiert sehr stark, ebenso die
Geschwindigkeit der Progredienz und somit auch die psycho-soziale Beteiligung.
Daher kann nicht pauschal von einer schädlichen psychischen Beteiligung des
Syndroms bei jedem Betroffenen ausgegangen werden. Es zeigt sich auch in
unseren Gesprächen, dass die Wahrnehmung des Lebens bei den Patienten über
alle Widrigkeiten hinaus überaus positiv ist. Es ist also nicht möglich, alle Aspekte
59
des Marfan Syndroms als negativ auf das psychische Befinden zu bewerten.
Durch den Prozess der Adaptation entwickeln die Patienten einen bewussteren
Umgang mit ihrem Körper und dessen Erscheinung. Diese kann dabei durchaus
positiv wahrgenommen werden. Als Beispiel seien die positiv empfundene
Körpergröße (Patienten 2 und 3) erwähnt.
In unseren Gesprächen mit Betroffenen nahmen wir den Wunsch nach einer
besseren Koordination zur Behandlung der Multisystemerkrankung wahr.
Eine optimale Behandlung von Betroffenen kann nur durch interdisziplinäre
Zusammenarbeit erreicht werden. Eine besser koordinierte Behandlungsstrategie
besteht aus einer zentralisierten Befunderfassung, Diagnostik und Therapie.
Bisher sind derartige Einrichtungen noch nicht etabliert.
Zusammenfassend können die Aspekte der Compliance, der Prävention und der
persönlichen Entwicklung bei jungen Patienten mit dem Marfan Syndrom als
bedeutende Argumente für die Durchführung einer begleitenden Therapie
angesehen werden. Die Krankheitsverarbeitung hingegen ist individuell so
verschieden, dass sich kaum eine zusammenfassende Aussage diesbezüglich
treffen lässt. Jede Krankheit besitzt eine psychische Komponente. Ebenso sind
stets soziale Auswirkungen vorhanden. Aufgabe der Ärtzinnen und Ärzte ist es, zu
erkennen, inwieweit eine Patientin oder ein Patient neben seiner körperlichen
Symptomatik betroffen ist. Wie andere äußerlich sichtbare Erkrankungen erweckt
das Marfan Syndrom Aufmerksamkeit des Umfelds. Die Patienten befinden sich
insofern in einer exponierten Lage und sind begünstigt, durch das Zusammenspiel
von körperlichen Symptomen, Schmerzen und eventueller Stigmatisierung eine
psychische
Erkrankung
zu
entwickeln.
Dieser
Faktor
ist
deshalb
beim
Management einer betroffenen Person stets zu beachten.
Die
Wahrnehmung
der
Erkrankung
durch
die
betroffenen
Personen
in
unterschiedlichen Lebensphasen zeigt, dass die äußerliche Erscheinung in der
Pubertät als negativer Aspekt der Erkrankung wahrgenommen wird. Auf diesen
Lebensabschnitt der Patienten ist daher besonders zu achten und entsprechend
zu reagieren. Durch die Teilnahme an Marfan-Gruppen könnten die Patienten von
der Erfahrung anderer Betroffener profitieren.
Gemeinsam
mit
Befunderfassung
der
wäre
Forderung
die
nach
Einrichtung
zentralisierter
von
Behandlung
Marfan-Zentren
und
denkbar.
60
Spezialisiertes medizinisches Personal, das über die individuellen persönlichen
Eigenschaften der Patienten im Bilde ist, würde eine gesonderte psychologische
Begleitung überflüssig machen, sofern sie nicht aus anderen Gründen indiziert ist.
Der Fall von Patientin 2 zeigt schließlich, dass die Patienten durchaus in der Lage
sind, sofern die örtliche Gegebenheiten dies zulassen, die Anforderungen der
Erkrankung zu bewältigen. Dennoch besteht dringender Handlungsbedarf, was die
aktuelle Situation der Patienten angeht. Die gravierende Symptomatik von
Patientin 1 hätte durch eine optimierte Koordination der Behandlung vermieden
werden können. Im Falle einer starken Symptomatik wie bei dieser Patientin
besitzt das Marfan Syndrom erhebliche Auswirkungen auf das Leben der
betroffenen Personen. Das Zeitfenster für präventive Therapiemaßnahmen wurde
versäumt:
Eine
rechtzeitig
behandelte
Skoliose
und
die
Durchführung
physiotherapeutischer Maßnahmen hätte die Mobilitätseinschränkung in diesem
Fall möglicher Weise verhindern können. Der Fall dieser Patientin ist somit als
Beispiel für zu spät bzw. nicht durchgeführte Intervention zu betrachten, was sich
in der massiv verschlechterten körperlichen Verfassung der Patientin auswirkt.
Das Marfan Syndrom besitzt in diesem Fall eine starke psychische und soziale
Komponente und steht somit nicht nur aufgrund der körperlichen Veränderungen
im Gegensatz zur Gesundheitsdefinition der World Health Organisation (WHO).
Laut von Uexküll sind organische Krankheiten stets mit einem psychischen
Leidensdruck verbunden [Von Uexküll und Wesiak, 2003].
Generell kann bezüglich des Marfan Syndroms festgestellt werden, dass es sich
zwar um eine seltene Krankheit handelt, die aber dennoch bei auffälligen
Phänotypen erwogen werden muss. Medizinerinnen und Mediziner müssen darauf
achten, das Syndrom korrekt zu diagnostizieren und gegebenen Falls rechtzeitig
mit einer präventiven Therapie zu beginnen. Gravierende Spätfolgen lassen sich
durch
regelmäßige
Kontrollen,
adäquate
Therapie
und
eine
wachsame
Grundhaltung abwenden. Bei jungen Patienten ist auf die unterschiedliche
Krankheitswahrnehmung in verschiedenen Lebensphasen zu achten, um eine
gute Compliance und emotionale Gesundheit zu erhalten.
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66
Anhang – Case-record form
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Anhang - Zustimmungserklärung
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