Torben Christoph Müller

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Torben Christoph Müller
1x1 der Klinischen Genetik
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Autor und Verlag danken allen Bildgebern für die freundliche Überlassung der
Bildvorlagen. Die Abbildungen B-1, B-6, B-12, B-13 stellte uns Frau Prof. Ursula
Froster aus ihrem Buch „Skript zur Vorlesung Humangenetik“ zur Verfügung.
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© lehmanns media • Berlin 2011
Helmholtzstraße 2-9
10587 Berlin
Umschlag: C
lara Eichler unter Verwendung eines Fotos von Prof. Dr. Anna Jauch,
Humangenetik Universität Heidelberg
ISBN: 978-3-86541-744-2
www.lehmanns.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
7
A
Allgemeiner Teil
9
Veränderungen des Genoms
Mutationen
Strukturelle und numerische Chromosomenaberrationen
9
9
10
Vererbungslehre
Die Mendelschen Gesetze
Autosomale Vererbung
Gonosomale Vererbung
Mitochondriale Vererbung
14
14
17
20
23
Diagnostik und Methoden der Gentechnik
PCR, Gelelektrophorese, Southern Blot
Zellzyklus, Zytogenese, FISH
Sequenzierung
25
25
29
37
B
Klinische Genetik
39
Autosomale numerische Chromosomenstörungen
Trisomie 21 – Down-Syndrom
Trisomien 13 (Pätau-Syndrom) und 18 (Edwards-Syndrom)
40
40
46
Gonosomale numerische Chromosomenstörungen
Klinefelter-Syndrom
Ullrich-Turner-Syndrom
Triple-X-Syndrom
52
52
54
57
Strukturelle Chromosomenstörungen (Mikrodeletionssyndrome)
Cri-du-Chat-Syndrom
Wolf-Hirschhorn-Syndrom
Williams-Beuren-Syndrom
60
60
61
62
5
Genomisches Imprinting
Prader-Willi-Syndrom
Angelman-Syndrom
65
65
67
Teratogene Faktoren
Intrauterine Infektionen
Medikamente und Drogen
Physikalische Ursachen
70
70
73
76
Muskuläre Erkrankungen
Muskeldystrophien Duchenne und Becker
Myotone Dystrophie Typ 1
78
78
84
Mentale Retardierung
Fragiles-X-Syndrom
Rett-Syndrom
89
89
93
Familiäre Krebserkrankungen
Erblicher Brust- und Ovarialkrebs
Familiärer Darmkrebs
Multiple endokrine Neoplasien (MEN)
97
97
102
108
Endokrinologische Erkrankungen
Phenylketonurie (PKU)
Adrenogenitales Syndrom (AGS)
113
113
119
Hämatologische Erkrankungen
Thalassämien
Hämophilien
Von-Willebrand-Syndrom
124
124
128
129
Erkrankungen der Haut und des Bindegewebes
(Harmatosen)
Neurofibromatose Typ 1
Neurofibromatose Typ 2
Marfan-Syndrom
133
133
136
138
Andere genetische Erkrankungen
Chorea Huntington
Hämochromatose
Cystische Fibrose (Mukoviszidose)
142
142
148
152
Register
159
6
Vorwort
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
ich freue mich, dass Sie sich für dieses Buch entschieden haben, und
ich hoffe, dass Sie es als Guide für die Klinische Genetik gut gebrauchen
können.
Es ist ein Kurzlehrbuch, das keine ausführlicheren Werke ersetzen kann,
sondern Ihnen kurz und prägnant die wichtigsten Erkrankungen der klinischen Genetik nahe bringen soll. Gerade für den Studenten eignen
sich die typischen Multiple-Choice-Fragen als eine gute Prüfungsvorbereitung.
Der allgemeine Teil A fasst noch einmal kurz einige Grundbegriffe und
grundlegende Überlegungen zur Genetik zusammen, während im Hauptteil B systematisch die wichtigsten Krankheitsbilder der Genetik geschildert werden.
Sollten bei der Lektüre Anregungen oder Kritik entstehen, freue ich mich
über ein Feedback.
Ein herzliches Dankeschön geht an meinen „humangenetischen Ziehvater“ Prof. Bart Janssen.
Zudem möchte ich mich bei meiner Frau Silke für ihre Mithilfe sowie meinem Sohn Jacob für „friedliche Schlafstündchen“ bedanken.
Ein letztes Dankeschön geht an meine Eltern, die mir einen guten Weg
vorgaben sowie an meinen verstorbenen Großvater Prof. Dr. German
Müller, der immer ein akademisches Vorbild für mich sein wird.
Viel Erfolg bei Lektüre, Studium, Prüfung sowie im klinischen Alltag.
Torben C. Müller
Aarau November 2010
7
A
Allgemeiner Teil
Veränderungen des Genoms
1 Mutationen
2 Strukturelle und numerische Chromosomenaberrationen
Vererbungslehre
3 Die Mendelschen Gesetze
4 Autosomale Vererbung
5 Gonosomale Vererbung
6 Mitochondriale Vererbung
Diagnostik und Methoden der Gentechnik
7 PCR, Gelelektrophorese, Southern Blot
8 Zellzyklus, Zytogenetik, FISH
9 Sequenzierung
Veränderungen des Genoms
1 Mutationen
In der Humangenetik findet der Ausdruck Mutation (von lat. mutare =
verändern) häufig Anwendung. Obwohl nicht von allen Genetikern gleich
verwandt, meint er jedoch stets eine krankheitsauslösende Veränderung
innerhalb des menschlichen Erbguts. Führt eine Veränderung zu keiner
Pathologie, so wird der Terminus Polymorphismus (Vielfältigkeit) verwandt.
Eine Mutation ist eine seltene krankheitsauslösende
Veränderung des Erbguts eines Individuums.
Erbkrankheiten können durch verschiedene Mutationstypen ausgelöst
werden. Es lässt sich eine grobe Einteilung in drei Gruppen vornehmen:
-Numerische Chromosomenstörungen, die auch als Genommutationen
bezeichnet werden.
- Strukturelle Chromosomenstörungen, teils als Chromosomenmutation deklariert.
-Genmutationen, bei denen die Funktion einzelner Gene beeinträchtigt
ist.
9
A Allgemeiner Teil
Numerische Chromosomenstörungen
Die numerischen Chromosomenstörungen bewirken am häufigsten genetische Erkrankungen. Sie gehen auf eine Störung bei der Teilung der
intakten Chromosomen im Laufe der Meiose oder Mitose zurück und
kommen mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 1:400 bei allen Neugeborenen vor.
Ein normaler Chromosomensatz des Menschen besteht aus 46 Chromosomen, man spricht von Euploidie.
Mann
Frau
46,XY
46,XX
Jede Abweichung davon wird als Aneuploidie bezeichnet.
Beispiel: Männlicher Patient mit Down-Syndrom 47,XY+21
Liegt ein Vielfaches des haploiden Chromosomensatzes vor, so wird dies
als Polyploidie tituliert.
Beispiel: dreifacher Chromosomensatz (Triploidie) 69,XXX
Existiert der komplette Chromosomensatz mehr als zweimal, so ist das
Individuum nicht lebensfähig, es kommt zum Abort.
Trisomien und Monosomien beschreiben dagegen Krankheitsbilder, bei
denen ein einzelnes Chromosom entweder vollständig dreimal oder nur
einfach vorliegt.
Mit dem Leben zu vereinbaren sind lediglich das Down-Syndrom (Trisomie 21), das Pätau-Syndrom (Trisomie 13), das Edwards-Syndrom
(Trisomie 18) sowie Abweichungen in der Anzahl der Geschlechtschromosomen wie das Klinefelter- oder das Ullrich-Turner-Syndrom.
2 Strukturelle und numerische Chromosomenaberrationen
Strukturelle Chromosomenstörungen beruhen darauf, dass Teile eines
Chromosoms durch Bruchereignisse von ihrem ursprünglichen Ort gelöst
werden und sich anschließend an neuer Stelle wieder niederlassen oder
ganz verschwinden.
Geht keine genetische Information verloren, so handelt es sich um eine
balancierte Strukturabweichung. Diese balancierte Störung kann klinisch völlig blande (lat. blandus = freundlich, schmeichelnd) verlaufen,
sofern keine Gene zerstört werden oder sich neue Funktionen im Fusionssegment ausbilden.
Liegt eine unbalancierte Störung vor, so ist dies mit einem Verlust bzw.
Zugewinn an genetischer Information verbunden, es kommt in der Regel
zu klinischen Auffälligkeiten.
10
Veränderungen des Genoms
Die veränderten Chromosomen werden anhand der Herkunft des Zentromers einem Ursprungschromosom zugeordnet, dem so genannten
Derivatchromosom.
Man kann die strukturellen Chromosomenstörungen nach Art der Schädigung weiter unterteilen in:
•Deletion: Eine Deletion resultiert aus dem Bruch eines Chromosoms
an zwei Stellen und dem Verlust des dazwischen liegenden Segments. Es können auch mehrere nebeneinander liegende Gene betroffen sein, dann treten die Krankheitsbilder beider Gene zusammen
auf, man spricht von einem contigous-gene-Syndrom.
Gehen nur kleinere Stücke genetischen Materials verloren, so kann es
zu einem Mikrodeletionssyndrom kommen.
•Translokation: Die Translokation beschreibt den Austausch von
Chromosomenteilen zweier nicht homologer Chromosomen. Weiter
differenziert man zwischen einer reziproken und einer RoberstonTranslokation.
Die Roberston-Translokation beschreibt die Fusion zwischen zwei akrozentrischen Chromosomen (Chromosomen 13,14,15, 21,22) in den
Zentromeren, wobei der kurze Arm der Chromosomen jeweils verloren geht. Die Gesamtchromosomenzahl ist dadurch reduziert; da auf
den kurzen Armen in der Regel keine relevante genetische Information liegt, kommt es allerdings selten zu einem klinischen Phänotyp.
Unter einer reziproken Translokation versteht man den Austausch
von genetischem Material zwischen zwei Chromosomen, quasi im
„Tausch“. In der Regel geht also kein genetisches Material verloren,
die Gesamtzahl der Chromosomen bleibt gleich.
Weitere Störungen struktureller Art sind
•Duplikation: Verdoppelung eines normalerweise einfach vorliegenden Chromosomenabschnitts.
•Inversion: Einbau eines um 180 Grad gedrehten Chromosomensegments.
•Isochromosom: Derivatchromosom mit zwei homologen Armen.
•Ringchromosom: Bricht ein Chromosom an beiden Enden und findet später eine Wiedervereinigung an den beiden Enden statt, bildet
sich ein Ringchromosom aus, das bei Verlust genetischer Information
klinisch relevant werden kann.
Genmutationen
Monogene Erkrankungen werden durch zahlreiche verschiedene Mutationstypen ausgelöst, wobei die wichtigsten im Folgenden kurz skizziert
11
A Allgemeiner Teil
werden. Näheres zu den damit verbundenen Pathomechanismen und
den klinischen Auswirkungen findet sich unter den jeweiligen Krankheiten im Teil B.
Punktmutation
Bei einer Punktmutation handelt es sich um Änderungen, die ein einziges
Basenpaar betreffen. Es ist die häufigste Mutationsart bei monogenen
Erkrankungen.
Man unterscheidet drei verschiedene Typen von Punktmutationen:
• Substitution: Es kommt zum Basenaustausch
• Insertion: Eine Base wird eingeschoben
• Deletion: Es kommt zum Verlust einer Base
Weiter muss man beobachten, welche funktionelle Auswirkung der veränderte genetische Code auf die Proteinbildung hat:
Führt eine Punktmutation zu dem Einbau einer anderen Aminosäure in
das zu bildende Protein, so spricht man von einer Missense-Mutation.
Welche genauen funktionellen Konsequenzen sich daraus ergeben, lässt
sich pauschal nicht sagen. Allgemein resultiert daraus eine verringerte
Stabilität des Proteins.
Ansonsten hängt es stark davon ab, inwieweit das zu kodierende Protein
Einfluss auf die funktionelle Domäne, die Sekundär- oder Tertiärstruktur
des Endproduktes hat.
Kodiert eine Punktmutation für ein Stoppcodon, führt dies zu einem
vorzeitigen Abbruch der Polypeptidkette. Man spricht dann von einer
Nonsense-Mutation. In der Regel kommt es dadurch zum vollständigen Funktionsverlust.
Beeinträchtigt eine Mutation die Sequenzen der Intron-Exon-Übergänge,
so kann es zu einer Veränderung der Translation kommen. In diesem
Fall spricht man von Spleißmutationen, da das Spleißverhalten beeinträchtigt ist.
Deletionen und Insertionen können – je nachdem wie sie innerhalb des
Gens liegen und wie groß sie sind – unterschiedliche Auswirkungen auf
die zu synthetisierende Peptidkette haben. Liegt eine solche Veränderung mit 3 oder einem Vielfachen von 3 Basen vor, so wird ein Protein
gebildet, der Leserahmen bleibt erhalten, man spricht von In-frameDeletionen bzw. -Insertionen.
12
Veränderungen des Genoms
Ist dies nicht der Fall – fehlt beispielsweise nur eine Base –, so wird
der gesamte Leserahmen verschoben; alle Aminosäuren, die hinter der
fehlenden Base liegen, werden falsch synthetisiert, was massive Auswirkungen auf das synthetisierte Produkt hat. Diese Form der Mutation wird
als Frameshift-Mutation bezeichnet.
Trinukleotidrepeaterkrankungen
Eine weitere Erkankungsgruppe stellen die Trinukleotidrepeaterkrankungen dar. Es handelt sich dabei um dynamische Mutationen, d. h. die
Mutation verändert sich im Laufe der Vererbung.
Die krankheitsauslösenden Minisatelliten sind Trinukleotidrepeats, die
in unterschiedlicher Anzahl vorliegen können:
Beispiel: CAGCAGCAGCAGCAG (5 Repeats)
Bei der Vererbung dieser Repeats kann es zur Expansion kommen,
d. h., die Anzahl der Wiederholungen nimmt zu. Liegt eine erhöhte Anzahl von Repeats vor und besteht keinerlei klinische Auffälligkeit, so
handelt es sich um eine Prämutation. Ab einer bestimmten Anzahl von
Trinukleotidrepeats kommt es dann zum Ausbruch der Erkrankung, man
spricht nun von einer Vollmutation.
Unter dem Begriff der Antizipation versteht man die Zunahme und
Intensität der Erkrankung mit zunehmender Repeatzahl. So erkranken
z. B. Söhne von Chorea-Huntington-Patienten in der Regel früher und
schwerer als ihre Väter.
Zusammenfassung
•Eine Mutation ist eine seltene krankheitsauslösende Veränderung
des Erbguts eines Individuums.
•Man unterscheidet zwischen numerischen, strukturellen Chromosomenstörungen sowie Genmutationen.
•Die Genmutationen lassen sich weiter unterteilen.
•Punktmutationen sind die häufigsten Auslöser monogener Erbkrankheiten.
13
A Allgemeiner Teil
Vererbungslehre
3 Die Mendelschen Gesetze
In der modernen Humangenetik werden Stammbäume zur Erfassung
der wichtigsten genetischen Informationen einer Familie über mehrere
Generationen verwendet. Aber auch in der klassischen Genetik wurden
Stammbäume und Vererbungsschemata erstellt. Um Stammbäume lesen zu können, muss man die wichtigsten Symbole kennen (s. Abb.1)
Abb. A-1 Stammbaumsymbole
Die Mendelschen Gesetze, heute besser als Mendelsche Regeln bezeichnet, wurden bereits um 1860 vom Augustinermönch Gregor Mendel aufgestellt und gingen aus seinen Kreuzungsversuchen mit Erbsenpflanzen
hervor.
1. Regel → Uniformitätsregel
Kreuzt man zwei homozygote Individuen einer Art, die sich in einem
Merkmal unterscheiden, so sind alle Nachkommen in der nächsten Generation in Bezug auf dieses Merkmal gleich (uniform).
14
Vererbungslehre
Diese Regel gilt, wenn zwei Individuen (Parentalgeneration, P genannt)
gekreuzt werden, die sich in einem Merkmal unterscheiden, für das sie
beide jeweils homozygot sind. Die Nachkommen der ersten Filialgeneration (F1) sind dann gleich (uniform) sowohl im Phäno- wie auch im
Genotyp, egal, welches der Merkmale von der Mutter und welches vom
Vater vererbt wird (reziproke Kreuzung, daher auch Reziprozitätsregel).
Es gibt zwei verschiedene Möglichkeiten, inwieweit sich ein Merkmal
ausprägt:
•Bei der dominant-rezessiven Vererbung weisen alle Mitglieder der
F1-Generation den Phänotyp eines Elternteils auf. Bei den von Mendel
verwendeten Erbsenpflanzen ist die Blütenfarbe „Rot“ dominant gegenüber der Blütenfarbe „Weiß“. Das Merkmal „Weiß“ ist somit rezessiv gegenüber der Erbanlage „Rot“. Die F1-Generation hat von beiden
Elternteilen eine Anlage geerbt und ist somit heterozygot. Aufgrund
der Dominanz von „Rot“ sind alle rotblühend. Die verschiedenen Formen einer Erbanlage für ein bestimmtes Merkmal werden als Allele
bezeichnet. Allele befinden sich auf der gleichen Stelle des Chromosoms und unterscheiden sich nur geringfügig in ihrer DNA-Abfolge.
Also sind „Rot“ und „Weiß“ Allele für die Blütenfarbe.
•Bei der intermediären Form der Vererbung verfügen alle Mitglieder der F1-Generation über eine Mischform der elterlichen Merkmale.
Bekanntes Beispiel ist die Blütenfarbe der Mirabilis jalapa. Durch die
Kreuzung von weißen mit rotblühenden Exemplaren erhält man in der
nachkommenden F1-Generation rosa Blüten.
Beachte! Befindet sich das Gen für das zu untersuchende Merkmal auf einem Gonosom (Geschlechtschromosom), so kann es sein, dass die F1-Generation
nicht uniform ist.
2. Regel → Spaltungsregel
Kreuzt man diese F1-Individuen untereinander, so sind die Nachkommen in der nächsten Generation (F2) nicht gleich. Die Merkmale spalten sich im Verhältnis 3:1 beim dominant-rezessiven, und im Verhältnis 1:2:1 beim intermediären Erbgang auf.
Diese Regel trifft zu, wenn zwei Individuen der F1-Generation, die heterozygot in Bezug auf das zu untersuchende Merkmal sind, miteinander gekreuzt werden. Sie tragen beispielsweise die Allele für „Rot“ und
„Weiß“. Die Nachkommen der F1-Generation werden als zweite Filialgeneration (F2) bezeichnet. Diese sind nicht mehr gleich (uniform), sondern spalten sich in ihrer Merkmalsausprägung auf und beide Phänotypen der Parentalgeneration treten wieder auf.
15
A Allgemeiner Teil
Im Falle eines dominant-rezessiven Erbgangs sind ein Viertel der F2Individuen homozygot mit zwei rezessiven Erbanlagen und zeigen das
entsprechende phänotypische Merkmal. Beim Beispiel mit den Erbsenpflanzen zeigt sich entsprechend die Blütenfarbe Weiß. Drei Viertel der
F2-Generation zeigen als Ausprägung die Blütenfarbe Rot. Dabei sind
genotypisch ein Viertel homozygot und zwei Viertel heterozygote Individuen.
Liegt ein intermediärer Erbgang vor, so spaltet sich die F2-Generation
ebenfalls auf. Genotypisch ist die Hälfte der Individuen heterozygot,
weist also beide Allele auf. Jeweils ein Viertel ist genotypisch homozygot
für eines der Merkmale der Parentalgeneration.
Phänotypisch führt dies zu drei verschiedenen Ausprägungen, so tauchen die Merkmale der P-Generation in Reinform sowie in der Mischform
auf.
3. Regel → Unabhängigkeitsregel
Kreuzt man zwei homozygote Linien untereinander, die sich in mehr
als einem Merkmal voneinander unterscheiden, so werden diese unabhängig voneinander entsprechend der Mendelschen Gesetzte vererbt.
Diese Regel beschreibt den Vererbungsmodus von zwei Merkmalen bei
der Kreuzung homozygoter Individuen und deren Nachkommen. Die
zwei beobachteten Merkmale werden getrennt voneinander gemäß der
Mendelschen Regeln vererbt.
Die 3. Regel gilt, wie wir heute wissen, nur für Gene, die auf verschiedenen Chromosomen liegen oder auf dem gleichen Chromosom so weit
voneinander entfernt liegen, dass sie während der Meiose durch Crossing over regelmäßig getrennt voneinander vererbt werden (polygene
Erbgänge). Gene auf einem Chromosom, die sich in enger räumlicher
Nähe befinden, werden nicht unabhängig voneinander weitergegeben.
Sie werden in so genannten Kopplungsgruppen vererbt.
Zusammenfassung
•Die Mendelschen Regeln beschreiben das Vererbungsverhalten eines Merkmals über verschiedene Generationen.
•Es wird zwischen dominant-rezessiven und intermediären Erbgängen unterschieden.
•Die verschiedenen Formen einer Erbanlage für ein bestimmtes
Merkmal werden als Allele bezeichnet.
16
Vererbungslehre
4 Autosomale Vererbung
In diesem Kapitel werden zunächst die beiden autosomalen Erbgänge
besprochen. Autosome sind alle Chromosomen außer den Gonosomen,
also den Geschlechtschromosomen. Die gonosomale Vererbung wird im
nächsten Kapitel erläutert.
Analysiert man den Stammbaum einer Familie, in der eine erbliche Erkrankung vermutet wird, so kann man anhand bestimmter Merkmale
erkennen, um welche Form der Vererbung es sich handelt. Von besonderer Bedeutung, insbesondere innerhalb der genetischen Beratung, ist die
Kenntnis der unterschiedlichen Wiederholungsrisiken.
Autosomal-dominante Vererbung
Merkmale
Für eine autosomal-dominante Vererbung sprechen folgende Merkmale:
• Direkt aufeinander folgende Generationen sind betroffen
• Beide Geschlechter sind gleich häufig und gleich schwer betroffen
•Die Erkrankung wird sowohl von Männern als auch von Frauen an die
nächste Generation weitervererbt
Wiederholungsrisiko
Eine betroffene Person ist üblicherweise heterozygot für das die Krankheit verursachende Gen. Demnach enthalten 50 % der von ihr gebildeten Keimzellen das mit der Erkrankung assoziierte dominante Allel.
Die andere Hälfte enthält das gesunde, normale Allel. Es wird auch als
Wildtyp bezeichnet.
Somit wird die Hälfte der Kinder des Patienten ebenfalls erkranken.
Sollte in dem unwahrscheinlichen Fall auch der Partner der betroffenen
Person zufälligerweise die gleiche Erkrankung haben, so gilt die Mendelsche Spaltregel und ein Viertel der Nachkommen ist homozygot für das
dominante Allel. Die Klinik ist krankheitsabhängig, aber meist deutlich
schwerer als bei heterozygot Betroffenen ausgeprägt.
Nicht immer erkranken Personen, die Anlageträger für ein krankheitsassoziiertes Allel sind. Manche Generationen werden anscheinend übersprungen. Man spricht von unvollständiger Penetranz. Die Penetranz
ist ein Maß für den Anteil der Anlageträger, bei dem sich die Krankheit
auch phänotypisch manifestiert. Sie ist bei manchen Krankheiten altersabhängig, d. h., junge Anlageträger sind symptomfrei, die Erkrankung
tritt erst in einem bestimmten Lebensalter auf.
17
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