Welt ohne Land

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Wasserplaneten im System Kepler 62 (Illustration)
ASTRONOMIE
Welt ohne Land
Die Existenz von Ozeanplaneten fasziniert die Himmelsforscher.
Gibt es in der Milchstraße fremde Sonnensysteme,
die sogar lebensfreundlichere Bedingungen bieten als die Erde?
er blaue Planet befindet sich rund
1200 Lichtjahre von der Erde entfernt. Er ist ein Paradies – und
eine Hölle. Paradiesisch fühlt sich die Luft
dort an. Überall auf der fremden Welt
herrscht mildes Südseeklima. Dafür sorgt
die orangefarbene Zwergsonne Kepler 62,
die wie eine überdimensionale Goldmünze am Himmel funkelt und viel Licht
und Wärme spendet.
Doch nirgendwo gibt es einen Strand,
gegen den Wellen plätschern. Nirgendwo
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tauchen Inseln aus den Fluten auf, von
Kontinenten ganz zu schweigen. Ein gigantischer Ozean bedeckt den Planeten –
eine nicht enden wollende Wasserhölle.
Ein paar Millionen Kilometer entfernt
kreist eine weitere Wasserwelt um den
fernen Zwergstern. Obwohl der Planet
weit weniger Strahlung abbekommt, führt
der Treibhauseffekt auch dort zu gemäßigten Temperaturen oberhalb des Gefrierpunktes. Auf diesem Himmelskörper
ist ebenfalls kein Land in Sicht.
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Hundertmal mehr Wasser als auf der
Erde schwappt dort. An der tiefsten Stelle
ist der Riesenozean mehr als 100 000 Meter tief. Dagegen wirken irdische Meere
wie Pfützen. Ein Traum für Segler und
Taucher, ein Alptraum für alle anderen.
So oder so ähnlich sieht es vermutlich
auf den beiden Zwillingsplaneten Kepler
62e und Kepler 62f im Sternbild Leier aus.
Das ergibt sich jedenfalls aus einer Klimasimulation, die Lisa Kaltenegger vom
Max-Planck-Institut für Astronomie in
Heidelberg und ihr amerikanischer Kollege Dimitar Sasselov im Fachmagazin
„Astrophysical Journal“ präsentiert haben. Wenn die Sternenkundler mit ihren
Modellrechnungen richtigliegen, handelt
es sich bei den beiden Himmelskörpern,
die mit Hilfe des Nasa-Weltraumteleskops
„Kepler“ entdeckt wurden, um die ersten
reinen Ozeanplaneten – das wäre eine
Sensation.
„Das sind die lebensfreundlichsten Planeten, die wir bislang außerhalb unseres
eigenen Sonnensystems gefunden haben“, ist Kaltenegger überzeugt, die auch
an der Harvard University forscht. „Aber
sie sind auch anders als alles, was wir aus
unserem Sonnensystem kennen. Es mag
auf den Ozeanplaneten Leben geben,
aber könnte es technologisch hochstehend
sein? Leben auf diesen Welten wäre wohl
nur unter Wasser möglich, ohne einfachen Zugang zu Metallen oder Feuer.
Vielleicht würde uns aber auch der Erfindungsreichtum der Aliens überraschen,
vielleicht würden sie trotzdem technische
Fortschritte erzielen.“
Die mutmaßliche Entdeckung der
ersten reinen Wasserwelten befeuert
jetzt die Debatte, welche Bedingungen
die Entstehung von Leben begünstigen.
Die Lehrmeinung besagt: Ein Planet
sollte so moderat von seinem Stern beheizt werden, dass dort flüssiges Wasser
vorkommt. Denn zumindest für Organismen, wie wir sie kennen, gehört
flüssiges Wasser zu den unverzichtbaren
Zutaten.
Aber heißt das auch: Viel hilft viel? Je
mehr Wasser, desto besser?
Genau das bezweifelt der Astrobiologe
Dirk Schulze-Makuch, der derzeit eine
Gastprofessur an der TU Berlin hat. „Wir
wissen von unserer eigenen Tiefsee, dass
schon nach wenigen hundert Metern eine
öde Zone beginnt, mit geringer Artenvielfalt und wenig Biomasse“, argumentiert Schulze-Makuch. „Dort unten ist es
einfach viel zu dunkel und nährstoffarm.“
Unterhalb von 8200 Metern, so zeigt eine
soeben veröffentlichte Studie, könnten
zumindest irdische Fische auch gar nicht
mehr existieren.
Schulze-Makuch verweist zudem darauf, dass die ersten irdischen Lebensformen womöglich einst in flachen Gewässern entstanden sind, in Tümpeln oder
Teichen – Biotopen, die es auf reinen
Ozeanplaneten so gar nicht geben kann.
Andere Forscher glauben indes, dass das
Leben sehr wohl am Meeresgrund entstanden sein könnte, und zwar in der
Umgebung heißer Quellen.
Vor allem aber für die Entstehung höherer Lebensformen, so Astrobiologe
Schulze-Makuch, seien abwechslungsreiche Landflächen von Vorteil. „Das Leben
auf der Erde musste sich an Sandwüsten
anpassen, an Gebirgsgletscher und an
Sumpflandschaften“, erklärt der Wissenschaftler. „Diese große Vielfalt an Landschaften hat die Evolution entscheidend
vorangetrieben.“
In einer Hinsicht böte das KeplerSystem aber tatsächlich bessere Bedingungen. Der Zwergstern, der die Wasserplaneten bescheint, hat eine doppelt so
lange Lebenserwartung wie unsere Sonne. Folglich hätte die Schöpfung dort
auch etliche Milliarden Jahre mehr Zeit,
um Aale, Quallen oder Blauwale auszubrüten. Kepler 62 bildet keine Ausnahme:
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Die meisten Sterne der Galaxis brennen
länger als die Sonne.
Auf der Erde hingegen wäre es fast
schiefgegangen. „Wirbeltiere sind erst
knapp vier Milliarden Jahre nach Geburt
der Erde entstanden“, sagt Schulze-Makuch. „Hätte sich die Evolution noch ein
paar hundert Millionen Jahre mehr Zeit
gelassen, hätte es auf der Erde vielleicht
nie höhere Lebensformen gegeben.“
Denn vermutlich schon in 500 Millionen
Jahren wird unser Planet für die Menschen unbewohnbar werden, weil sich die
Sonne gegen Ende ihres vergleichsweise
kurzen Lebens aufbläht.
Diese Gefahr besteht im langlebigen
Kepler-System noch lange nicht. Wenn
die Erdensonne bereits erloschen sein
wird, dürfte auf den Ozeanplaneten
weiterhin ein lebensfreundliches Klima
herrschen.
Was aber tummelt sich wirklich in deren Fluten? Gleiten dort Alien-Kraken
durchs Meer, die von intelligenten Riesenhaien verfolgt werden? Lässt sich die
Existenz von Leben aus der riesigen Entfernung überhaupt feststellen?
Theoretisch ist dies durchaus möglich.
Voraussetzung dafür wäre es, das Licht
der Ozeanplaneten aufzufangen und daraus die chemische Zusammensetzung ihrer Atmosphäre zu entschlüsseln. Schon
aus einem hohen Gehalt an Sauerstoff
und Methan würde sich ergeben, dass
dort Leben vorkommen muss. Denn in
der Atmosphäre eines unbelebten Planeten würden sich die Gase neutralisieren.
Läge aber der Anteil der beiden Gase
hoch, müsste es Organismen geben, die
Sauerstoff und Methan ständig neu erzeugen.
Allerdings bleibt die Ferndiagnose zum
jetzigen Zeitpunkt eine ungeheure tech-
BERTHOLD STEINHILBER / LAIF
DAVID A. AGUILAR / CFA
Wissenschaft
Astrophysikerin Kaltenegger
„Das größte Abenteuer aller Zeiten“
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Wissenschaft
Nachweis und Analyse von Exoplaneten
während einer Sternbedeckung
Stern
Exoplanet
Phase der Bedeckung
Sternhelligkeit
Wandert ein ferner Planet von der Erde aus
gesehen vor seinen Heimatstern, erscheint
dieser dem Beobachter geringfügig dunkler. Je
schwächer diese Verfinsterung, desto kleiner
ist der Planet, der sie auslöst.
Ammoniak Wasser
Sauerstoff
Absorptionslinien
von Gasmolekülen
Spektrum des Sterns
Besitzt der Exoplanet eine Atmosphäre, so
verschluckt diese je nach ihrer Zusammensetzung bestimmte Wellenbereiche des Sternenlichts. Daher können Astronomen während
eines Transits eine Art chemischen Fingerabdruck des Planeten nehmen: Wasserdampf
beispielsweise hinterlässt im Spektrum andere
Markierungen als Ammoniak oder Sauerstoff.
Auf diese Weise können große Ozeanplaneten
entdeckt werden.
nische Herausforderung. Sterne strahlen
normalerweise viele Millionen Mal heller
als ihre Planeten. Neben einer fernen Sonne eine Kugel von der Größe der Erde zu
erspähen entspricht der Aufgabe, von
Kiel aus ein Glühwürmchen zu erkennen,
das in Kairo neben einem Autoscheinwerfer flattert.
Zumindest bei Gasplaneten mit ihren
riesigen Atmosphären, die den mehrfachen Durchmesser der Erde haben, ist
dies tatsächlich bereits gelungen. Die
Astrophysiker nutzten dabei MiniFinsternisse („Transits“) aus, zu denen es
kommt, wenn ein Gasplanet sich vor
seine Sonne schiebt. Dabei wird er gleichsam durchleuchtet und hinterlässt im
Sternenlicht seinen chemischen Fingerabdruck.
Rund ein Dutzend ferne Gasplaneten
werden derzeit auf diese Weise gescannt.
In den bisher untersuchten Atmosphären
fanden sich unter anderem Wasserstoff
und Methan – außerdem gab es Hinweise
auf Superstürme mit Windgeschwindigkeiten von mehreren tausend Kilometern
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pro Stunde. Die Verhältnisse ähneln somit denen auf unseren eigenen Gasriesen
Jupiter und Saturn. Aber die Himmelsforscher sind auch schon auf Exoten gestoßen.
Eine spektakuläre Entdeckung meldeten Astrophysiker beispielsweise Anfang
des Jahres. Unter Einsatz des erdumkrei- Keplersenden „Hubble“-Teleskops versuchten Weltraumteleskop
sie die Atmosphäre des 42 Lichtjahre entfernten Planeten Gliese 1214b zu analysieren – und stießen gegen eine Art
Nebelwand.
„Der Planet ist vollkommen von Wolken verhüllt“, berichtet Derek Homeier
von der Universität Göttingen, der an der
Messung beteiligt war. Aber es sind keine
Wassertropfen, die dort am Himmel
Das Weltraumteleskop hält dabei nach
schweben. Homeier: „Am wahrscheinlichsten sind trockene Wolken, die aus winzigen Lichtschwankungen Ausschau,
die verursacht werden, wenn die selbst
Salzkristallen bestehen.“
Was die Untersuchung so spannend nicht sichtbaren Planeten an ihren Stermacht: Gliese 1214b hat nur den knapp nen vorbeiziehen und einen winzigen
dreifachen Durchmesser der Erde. Ent- Teil des Sternenlichts verdecken – ähnlich
weder handelt es sich bei ihm um einen wie Mücken, die eine Straßenlaterne umrecht kleinen Gasplaneten, einen Mini- schwirren. Tess wird somit die gleiche
Neptun – oder um einen großen Gesteins- Messmethode verwenden wie das seit
vorigem Sommer defekte Kepler-Teleplaneten, eine Art Super-Erde.
Wenn die Teleskope und Messappara- skop (siehe Grafik).
„Wir hoffen, dass uns ein paar Dutzend
turen empfindlicher werden, dürfte es
folglich schon bald möglich sein, noch erdähnliche Planeten ins Netz gehen, auf
kleinere Planeten aus der Ferne zu er- denen sich dann vielleicht sogar Leben
kunden – das könnte dann wirklich den nachweisen lässt“, sagt Kaltenegger, die
Durchbruch bringen bei der Suche nach an der Tess-Mission beteiligt ist.
Mitte Februar gab die europäische
einer zweiten Erde.
Allerdings wird dies auf absehbare Zeit Raumfahrtagentur Esa bekannt, spätesnur bei benachbarten Sternsystemen ge- tens 2024 ebenfalls einen Planetensucher
lingen. „Die Wasserplaneten im Kepler- ins All schießen zu wollen. Um bewohnSystem sind für genauere Analysen leider bare Planeten aufzuspüren, soll die Raumzu weit weg“, ahnt Kaltenegger. „Zu un- sonde „Plato“ die Lichtkurven von einer
seren Lebzeiten werden wir nicht mehr Million Sternen analysieren.
Das Besondere an dem fliegenden Oberfahren, ob und welche Form von Leben
servatorium, dessen Mission vom Deutdort existiert.“
Insgesamt an die 2000 „extrasolare Pla- schen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
neten“, die um fremde Sonnen kreisen, geleitet wird: Plato besteht aus 34 einhaben Forscher bislang in den Weiten zelnen Teleskopen. Ausgewertet werden
der Milchstraße ausfindig gemacht. So sollen die Daten vom Max-Planck-Instiführte allein die vor wenigen Wochen tut für Sonnensystemforschung (MPS).
veröffentlichte Auswertung von Mess- „Plato wird Planeten wie die Erde finden,
daten, die das Kepler-Teleskop geliefert die die notwendigen Voraussetzungen
hat, zur Entdeckung von 715 neuen für Leben bieten“, erklärte MPS-DirekWelten. Gut möglich, dass sich darunter tor Laurent Gizon.
Dennoch bewegen sich die Forscher
Oasen des Lebens befinden; doch für
einen Nachweis sind die Teleskope bis- am Limit der Messtechnik, wenn sie versuchen, Spuren außerirdischer Lebensforlang nicht genau genug.
Bei der Suche nach einer zweiten Erde men nachzuweisen, die viele Billionen
wollen sich die Planetenjäger deshalb in Kilometer von uns entfernt sind. Gäbe es
Zukunft auf die kosmische Nachbarschaft auf den Ozeanplaneten im Kepler-System
konzentrieren, zu diesem Zweck bereiten tatsächlich intelligente Aliens, hätten diesie eine neue Mission vor. Schon in drei se es weitaus leichter, ein kosmisches BruJahren soll als Nachfolger für Kepler das dervolk zu entdecken – sie müssten nur
Weltraumteleskop „Tess“ („Transiting zum Nachbarplaneten reisen.
„Einer fremden Zivilisation einen BeExoplanet Survey Satellite“) ins All starten, um nahe gelegene Sternsysteme aus- such abzustatten wäre sicher das größte
zuspähen. Das fliegende Observatorium Abenteuer aller Zeiten“, schwärmt die
der Nasa soll deshalb gezielt nach Astrophysikerin Kaltenegger. „Was könnerdähnlichen Planeten fahnden, die im te es für eine größere Motivation geben,
Umkreis von nur 100 Lichtjahren ihre Raumschiffe zu bauen und ins Weltall aufRunden drehen.
zubrechen?“
OLAF STAMPF
NASA / A MES R ESE A RC H C ENTE R
Licht und Schatten
D E R
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