Ist das Machbare auch sinnvoll? – Vom Einfluss der Lebensphase auf Therapieentscheidungen in der Onkologie Thomas Wigant Heidelberg, 29. März 2010 Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim Akad. Lehrkrankenhaus der Uni HD Dipl.-Theol. Thomas Wigant M.A.– Hausoberer Uhlandstr. 7, 97980 Bad Mergentheim www.ckbm.de Ist das Machbare auch sinnvoll? – Vom Einfluss der Lebensphase auf Therapieentscheidungen ________________________________________________________________ _____________________________________________________ • Gesellschaftliche Trends • Alles eine Frage der Perspektive… • …und des Menschenbildes • Impulse für die Praxis Ist das Machbare auch sinnvoll? – Vom Einfluss der Lebensphase auf Therapieentscheidungen ________________________________________________________________ _____________________________________________________ • Gesellschaftliche Trends • Alles eine Frage der Perspektive… • …und des Menschenbildes • Impulse für die Praxis Wer krank ist, ist selber schuld… …wer stirbt auch. Wie steht‘s mit dem Alter? à Darf Alter eine Ausschlusskriterium für den Erhalt medizinischer Leistungen sein? Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Grundrechte Artikel 3, Absatz3 Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Sechs Thesen zur Menschenwürde 1. Die Auswahl zwischen „Wertvollen“ und „Unwerten“ ist unter der Würde des Menschen. 2. Würde des Menschen ist nicht an jugendliche Lebenskraft, Gesundheit, Leistungs- und Genussfähigkeit gebunden. 3. Auch Altern, Gebrechlichkeit, Krankheit, Leiden und Sterben gehören zur Würde des Menschen. 4. Die Würde des Menschen darf nicht abhängig gemacht werden von seiner Nützlichkeit und hat damit höhere Priorität als wirtschaftliche Vorteile. 5. Es heißt „Die Würde des Menschen“ – nicht die Würde des Katholiken, des Protestanten, des Deutschen, des Leitungsfähigen. 6. Der Schutz von Leben und Würde des Menschen ist eine Aufgabe, die jede/n angeht. © Fränkische Nachrichten vom 20.05.2009 Verhältnisbestimmung: Ethik / Moral Moral = die Gesamtheit von Überzeugungen, Einstellungen und Normen, die in einer gegebenen Gesellschaft Verbindlichkeit besitzen. Ethik = die philosophische Reflexion auf die Moral, die Frage nach der Begründung guten Handelns = Überprüfung der immer schon vorhandenen Einstellungen à Entstehung der Ethik als Antwort auf die Krise der Moral Herausforderungen annehmen… Ist das Machbare auch sinnvoll? – Vom Einfluss der Lebensphase auf Therapieentscheidungen ________________________________________________________________ _____________________________________________________ • Gesellschaftliche Trends • Alles eine Frage der Perspektive… • …und des Menschenbildes • Impulse für die Praxis Auf die Perspektive kommt es an Oft besteht ein wichtiger Schritt zur Problemlösung darin, eine andere Perspektive einzunehmen. Die Sichtweise verändert sich, Aspekte bekommen aus einem anderen Blickwinkel ein andere Bedeutung. Somit wird ein neuer Zugang zu Problem- und Zielstellungen ermöglicht. Der Möglichkeitsraum wird erweitert. Reiter -Theil S. Schweizerische Ärztezeitung 2005;86: Nr 6 Ist das Machbare auch sinnvoll? – Vom Einfluss der Lebensphase auf Therapieentscheidungen ________________________________________________________________ _____________________________________________________ • Gesellschaftliche Trends • Alles eine Frage der Perspektive… • …und des Menschenbildes • Impulse für die Praxis Wie und warum wir Menschen im Gesundheitswesen behandeln oder nicht, hängt wesentlich von unserem Menschenbild ab. Petzold, H.G. : Integrative Bewegungs- und Leibtherapie, Paderborn 1988 Vier Prinzipien der Medizinethik (Principles of Biomedical Ethics, Beauchamp/Childress, 5/2001) 1. Autonomie • Wahrheitsgemäße Aufklärung • Informierte Zustimmung • Schweigepflicht 2. Schadensvermeidung (Nonmaleficence) 3. Hilfeleistung (Beneficence) 4. Gerechtigkeit (Justice) Die ethisch-rechtliche Zulässigkeit einer ärztlichen Maßnahme am Patienten ist an zwei Bedingungen geknüpft: 1. Die Zustimmung des Patienten 2. Die ärztliche Indikationsstellung Fällt einer dieser beiden Bedingungen aus, hat die Maßnahme zu unterbleiben. vgl. Simon (2004) Sinn hat wesentlich mit Beziehung zu tun – und mit Gerechtigkeit Gerechtigkeitsprinzip nach John Rawls (1971) „Der Weg zu einer Entscheidung ist dann gerecht, wenn alle, die an der Entscheidung teilhaben, unabhängig von ihrer tatsächlichen Position mit den Folgen einverstanden sein könnten.“ Reiter-Theil, 2005 Frau S. und ihre Patientenverfügung Ist das Machbare auch sinnvoll? – Vom Einfluss der Lebensphase auf Therapieentscheidungen ________________________________________________________________ _____________________________________________________ • Gesellschaftliche Trends • Alles eine Frage der Perspektive… • …und des Menschenbildes • Impulse für die Praxis Ethik beginnt damit, dass man/frau einander positive Absichten unterstellt. Vorsicht also bei der Wortwahl. Beispiel: Verhungern und verdursten lassen gehört zum Handwerkszeug von Folterknechten! Vorbeugung durch Schaffung von Strukturen klinischer Ethik als Krankenhauskultur (Neitzke/Frewer 2005) Patienten, Angehörigen und Mitarbeitern der Klinik sollen diese Strukturen (z. B. Ethikberatungsangebote) helfen, ethische Herausforderungen zu bestehen und die Qualität von Entscheidungen in der Patientenversorgung zu gewährleisten. http://www.verwaltung.bayern.de/Anlag e1928142/VorsorgefuerUnfall,Krankheitu ndAlter.pdf http://www.bmj.bund.de/files//1512/Patvfg._160108.pdf Klärung eigener Wertvorstellungen im Kontext der Erstellung von Patientenverfügungen d.h. mir mit Hilfe von folgenden Denkanstössen darüber klar werden, was ich in bestimmten Situationen an ärztlicher Hilfe in Anspruch nehmen will oder nicht: • das bisherige Leben (Wurde ich enttäuscht vom Leben? Würde ich es anders führen, wenn ich nochmals von vorne anfangen könnte? Bin ich zufrieden, so wie es war? …), • das zukünftige Leben (Möchte ich möglichst lange leben? Oder ist mir die Qualität des Lebens wichtiger als die Lebensdauer, wenn beides nicht in gleichem Umfang zu haben ist? Welche Wünsche/Aufgaben sollen noch erfüllt werden? Wovor habe ich Angst im Hinblick auf mein Sterben? …), Klärung eigener Wertvorstellungen im Kontext der Erstellung von Patientenverfügungen • eigene leidvolle Erfahrungen (Wie bin ich mit Krankheit oder Schicksalsschlag fertig geworden? Was hat mir in schweren Zeiten geholfen? …), • die Beziehungen zu anderen Menschen (Welche Rolle spielen Familie oder Freunde für mich? Kann ich fremde Hilfe gut annehmen? Oder habe ich Angst, anderen zur Last zu fallen? …), Klärung eigener Wertvorstellungen im Kontext der Erstellung von Patientenverfügungen • das Erleben von Leid, Behinderung oder Sterben anderer (Welche Erfahrungen habe ich damit? Löst das Angst bei mir aus? Was wäre für mich die schlimmste Vorstellung? …), • die Rolle der Religion im eigenen Leben (Was bedeutet mir mein Glaube angesichts von Leid und Sterben? Was kommt nach dem Tod? …) Offenheit Kompetenz © Foto: CKBM © Foto: Glenn T. Koppel Kongruenz Kontinuität © Foto: Glenn T. Koppel Raum geben, Rituale leben Foto in der Ausstellung „Der Tod im Wandel der Geschichte“, Lorsch 2002 Raum geben, Rituale leben Abschiedsraum Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim Künstlerische Gestaltung: Bernhard Huber, 2009 Im Tun der Schritte wächst der Weg. (M. Buber) Danke für Ihre Aufmerksamkeit!