Predigt über Römer 12,1-8

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Predigt über Römer 12,1-8
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des
heiligen Geistes sei mit euch allen!
Für die heutige Predigt hören wir auf Worte des Apostels Paulus aus dem Römerbrief, Kapitel 12, die Verse 1-8. Da wir nächstes Jahr im November die Allianzwoche im Konzil
durchführen und unser Referent, Dr. Roland Werner, vor kurzem eine neue Bibelübersetzung herausgebracht hat, lese ich daraus den heutigen Bibelabschnitt:
1-2 Deshalb ermutige ich euch nun auch, Geschwister, aufgrund der Barmherzigkeit, die
Gott uns geschenkt hat, euch ganz, einschließlich eures Körpers, Gott zur Verfügung zu
stellen wie ein Opfer, das lebendig, heilig und ihm wohlgefällig ist. Das soll der Ausdruck
eures Gottesdienstes sein, die angemessene Antwort auf Gottes Wort. Lasst euch nicht in
das vorgefertigte Muster des Zeitgeistes pressen. Gestaltet euch stattdessen um, indem
ihr ein neues Denken beginnt. Auf diese Weise könnt ihr beurteilen, was dem Willen Gottes entspricht, nämlich das wahrhaft Gute, das, was seine Zustimmung findet und wirklich
zum Ziel führt.
3 Aufgrund des unverdienten Geschenkes, das Gott mir gegeben hat, nämlich seines Auftrags an mich, sage ich jedem einzelnen unter euch, dass er nicht höher von sich selbst
denken soll, als richtig ist. Jeder sollte darauf bedacht sein, sich selbst richtig einzuschätzen, und zwar jeder Einzelne so, wie Gott ihm persönlich das Maß des Glaubens zugeteilt
hat. (Folienwechsel)
4-5 Denn es ist genauso wie beim Körper: Der ist ja aus vielen einzelnen Körperteilen zusammengesetzt, wobei die einzelnen Körperteile nicht alle ein und dieselbe Aufgabe haben. Genauso ist es auch bei uns. Wir sind zwar viele einzelne Menschen, aber dennoch
bilden wir alle durch unsere Zugehörigkeit zum Messias nur einen einzigen Körper. Dadurch sind wir alle wie Körperteile voneinander abhängig.
6-7 Wir alle haben ja Begabungen von Gott geschenkt bekommen, und zwar ganz unterschiedliche, so wie er sie uns in seiner Freundlichkeit gegeben hat. Zu diesen besonderen
Fähigkeiten gehört die Prophetie, die in Übereinstimmung mit dem Gottvertrauen ausgeübt
werden soll. Solch eine Fähigkeit stellt auch der Dienst für andere dar, der sich dann im
tatkräftigen Einsatz auswirkt, oder auch die Lehrbegabung, die dann im tatsächlichen Lehren ausgeübt wird.
8 Eine weitere Begabung ist die Befähigung zur Seelsorge, die sich in der seelsorgerlichen Begleitung ausdrückt. Wenn jemand seinen Besitz mit anderen teilt, soll er das tun,
ohne großes Aufheben davon zu machen. Wer eine Leitungsaufgabe hat, soll sich ihr von
ganzem Herzen widmen. Wer anderen durch praktische Hilfe die Barmherzigkeit Gottes
nahebringt, der soll das in großer Fröhlichkeit tun.
Herr, segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde,
es war eine dieser kleinen Beerdigungen auf dem Konstanzer Hauptfriedhof. Nur die
engsten Angehörigen der hochbetagt Verstorbenen waren gekommen und fast an einer
Hand abzuzählen. Einer von Ihnen, etwa in meinem Alter, geht auf dem kurzen Weg zur
Friedhofskapelle neben mir her und fragt mich: „Sind Sie eigentlich ein evangelischer oder
ein katholischer Pfarrer?“ Ich antworte: „Evangelisch.“ „Aha, also ein weltlicher Pfarrer“,
sagte er.
Leider war keine Gelegenheit, sich noch ausführlicher darüber zu unterhalten. Was meinte
der Mann mit weltlich? Weltoffen in dem Sinn, dass der Pfarrer mit offenen Augen wahrnimmt, was in der Welt los ist, dass er mit beiden Beinen im Leben steht und nicht über die
Köpfe der Menschen hinweg predigt? In diesem Sinn möchte ich gerne weltlich sein. Oder
verstand er unter einem weltlichen Pfarrer einen angepassten Pfarrer, der die Menschen
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nicht mit zu frommen Sprüchen belästigt, aber den man bei Bedarf holen kann, um einer
Beerdigung noch den nötigen zeremoniellen Rahmen zu geben? So möchte ich eigentlich
nicht sein.
Wie lebe ich als Christ in dieser Welt? „Lasst euch nicht in das vorgefertigte Muster des
Zeitgeistes pressen. Gestaltet euch stattdessen um, indem ihr ein neues Denken beginnt.
Auf diese Weise könnt ihr beurteilen, was dem Willen Gottes entspricht.“ So schreibt es
Paulus den Christen in Rom. Wie geht das, ein neues Denken zu beginnen und sich am
Willen Gottes zu orientieren? Wie lebe ich als Christ – als Christ in dieser Welt? Ein Leben
als Christ, das ist für Paulus dreierlei: ein Leben für Gott aus Dankbarkeit, ein Leben für
Gott im Alltag und ein Leben für Gott mit meinen Gaben.
I. Ein Leben für Gott aus Dankbarkeit
Ein Leben für Gott aus Dankbarkeit – damit fängt Paulus an.
„Deshalb ermutige ich euch nun auch, Geschwister, aufgrund der Barmherzigkeit, die Gott
uns geschenkt hat, euch ganz, einschließlich eures Körpers, Gott zur Verfügung zu stellen
wie ein Opfer.“ „... aufgrund der Barmherzigkeit, die Gott uns geschenkt hat“! Das kommt
zuerst. Gottes Barmherzigkeit steht am Anfang, und erst dann kommen Aufforderungen
und Ermahnungen. Gott gibt zuerst, bevor er fordert. So ist Gott.
Vor einiger Zeit las ich einen Zeitungsartikel über amerikanische Elite-Universitäten, die es
ja inzwischen auch hierzulande gibt, eine davon in Konstanz. In jenem Artikel stand zu lesen, dass Absolventen von amerikanischen Elite-Unis wie Harvard oder Princeton ihr ganzes Berufsleben lang hohe Beträge an ihre Universitäten spenden – aus Dankbarkeit dafür, dass sie von diesen Universitäten eine hervorragende Ausbildung und großzügige Stipendien erhalten haben und dadurch gut bezahlte Berufe ergreifen konnten.
Wie groß muss da erst die Dankbarkeit eines Menschen sein, der Gottes Barmherzigkeit
erfahren hat! Der verstanden hat: Gott hat in mich nicht nur viel Geld investiert, sondern
seinen eigenen Sohn hat er für mich hergegeben! Durch ihn befreit er mich aus Sünde
und Todverfallenheit, in Jesus schenkt er mir Erlösung und ein neues, erfülltes Leben –
und eine Gemeinschaft mit Gott, die über den Tod hinausreicht. Wie groß muss da erst die
Dankbarkeit sein! Das, was ich jetzt nur in wenigen Worten skizziert habe, hat Paulus vorher im Römerbrief in elf langen Kapiteln entfaltet: Gottes Liebe, Gottes Barmherzigkeit für
uns Menschen. Zum Beispiel: „Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns
gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“1 Herr, wie so groß ist deine Liebe am Kreuz! In
Jesus hat Gott sich mit Leib und Leben für uns hingegeben. Wie kann ich da anders, als
mich aus Dankbarkeit mit Leib und Leben für Gott hinzugeben? Für Gott, der mir nicht nur
durch eine hervorragende Ausbildung eine gute Perspektive für dieses Leben gibt, sondern der mir durch das Opfer seines Sohnes eine ewige Perspektive gibt? „Deshalb ermutige ich euch nun auch, Geschwister, aufgrund der Barmherzigkeit, die Gott uns geschenkt
hat, euch ganz, einschließlich eures Körpers, Gott zur Verfügung zu stellen wie ein Opfer.“
Ein Leben für Gott aus Dankbarkeit. Das ist das lebendige Opfer, das Paulus hier meint.
Kein Mensch muss Gott durch den Vollzug von Ritualen zufrieden stellen, weder durch
den Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes noch durch den Empfang der Taufe oder
die Teilnahme am Abendmahl. „Das soll der Ausdruck eures Gottesdienstes sein, die angemessene Antwort auf Gottes Wort.“
Mit anderen Worten: Der Gottesdienst geht bei uns von sonntags um 11 bis am nächsten
Sonntag um 10 - und dazwischen ist Kirche. Am Sonntag von 10 bis 11 ist höchstens in
dem Sinn Gottesdienst, dass Gott uns dient, dass er uns beschenkt in seinem Wort und
und durch Taufe und Abendmahl, wo er uns die Größe seiner Barmherzigkeit vor Augen
führt. Und das tut er nur dazu, damit wir dann die Woche über Gott dienen können, damit
dein und mein Leben von Montag bis Sonntag ein Gottesdienst ist. Mein ganzes Leben
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Römer 5,8.
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soll Gott gehören und ihm gefallen – weil er so viel für mich getan hat. Ein Leben für Gott
im Alltag.
II. Ein Leben für Gott im Alltag
Aber wie wird das praktisch? Wie wird er konkret, dieser Gottesdienst im Alltag, dieser
„vernünftige Gottesdienst“, wie er bei Paulus wörtlich übersetzt heißt? Gilt es in den Augen
mancher Zeitgenossen nicht eher als unvernünftig, sich im Alltagsleben an christlichen
Maßstäben zu orientieren?
Ich denke da an die junge Frau in meiner Vikariatsgemeinde im Schwarzwald. Als Krankenschwester hatte sie die Chance, eine Zusatzausbildung zu machen, durch die sie deutlich mehr verdient hätte als vorher. Aber sie hat sich dagegen entschieden. Sie wollte nicht
mit Abendkursen ihre freie Zeit belegen, sondern diese Zeit lieber dafür nutzen, in der Kirchengemeinde mitzuarbeiten. Der »vernünftige Gottesdienst« kann also durchaus unlogisch sein gemessen an alltäglicher Vernunft: auf die Gnade setzen, statt auf Leistung; auf
Vergebung setzen, statt auf Rechthaben; dienen, statt herrschen; bescheidene Stetigkeit,
statt rastlose unruhige Karriere; Zurückhaltung, statt Geltungsdrang; Weitblick, statt kurzsichtige angepasste Spaßhaftigkeit; Anstoß erregen, statt überall gut anzukommen. Vernünftiges Leben fragt nach Gottes Willen und sucht diesem zu entsprechen im Alltag.
„Lasst euch nicht in das vorgefertigte Muster des Zeitgeistes pressen. Gestaltet euch
stattdessen um, indem ihr ein neues Denken beginnt. Auf diese Weise könnt ihr beurteilen,
was dem Willen Gottes entspricht, nämlich das wahrhaft Gute, das, was seine Zustimmung findet und wirklich zum Ziel führt.“ Und dieser Wille Gottes kann für jeden Christen
unterschiedlich aussehen. Für die eine bedeutet er - wie gehört - den Verzicht auf berufliches Weiterkommen, um sich für Gott und seine Gemeinde einsetzen zu können. Für den
anderen ist es gerade Gottes Wille, im Beruf mehr Verantwortung zu übernehmen, um
durch sein Einkommen die größer gewordene Familie zu ernähren. Und alles, was so in
der Verantwortung vor Gott für andere Menschen getan wird, ist auch Gottesdienst. Auch
die Arbeit für Familie und Haushalt ist dann Gottesdienst. Ein Leben für Gott im Alltag.
„Gestaltet euch stattdessen um, indem ihr ein neues Denken beginnt. Auf diese Weise
könnt ihr beurteilen, was dem Willen Gottes entspricht.“ Ein solches neues Denken kann
bei mir dann beginnen, wenn ich regelmäßig Zeit mit Gott verbringe. Indem ich im Gottesdienst oder beim Bibellesen zuhause zu verstehen versuche, was Gottes Maßstäbe sind.
Wenn ich mich so der heilsamen Gegenwart Gottes aussetze, dann wird er durch seinen
Geist auch mein Denken und Wollen zum Guten hin verändern. Frag Gott einfach ganz
direkt, was sein Wille für dein Leben ist. Und zwar bei allem, was du tust. „Auf diese Weise
könnt ihr beurteilen, was dem Willen Gottes entspricht, nämlich das wahrhaft Gute, das,
was seine Zustimmung findet und wirklich zum Ziel führt“, schreibt Paulus.
Stets von neuem zu beurteilen, was Gottes Wille für das eigene Leben ist – das mutet Gott
jedem Christen zu. Da gibt es nicht einfach fertige Maßstäbe, die für alle gleich sind. Und
wer jetzt von mir erwartet, dass ich von der Kanzel herunter solche fertigen Maßstäbe verkünde, wie zum Beispiel: „Als Christ geht man nicht tanzen“ – den muss ich enttäuschen.
Wenn wir uns darauf einlassen würden, hätten wir schlecht verstanden, was Paulus hier
meint. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Ich selbst bin als Schüler gern tanzen gegangen, bis ich mich irgendwann entschieden habe, dass ich meine Zeit mehr dem Engagement in der Gemeinde widmen will. Aber ein Bekannter von mir hat beim Tanzen seine
spätere Frau kennen gelernt, durch die er dann auch zum Glauben gekommen ist.
Oder da hat der eine früher in einer Rockband mitgespielt, bis er merkte, dass die Musik
den ersten Platz in seinem Leben einnahm und nicht Gott. So legte er die Schlagzeugstöcke aus der Hand. Heute spielt er wieder Schlagzeug – in einer christlichen Lobpreisband
zur Ehre Gottes. Sich an Gottes Maßstäben orientieren, prüfen, was Gottes Wille ist – da
kann das Ergebnis auch bei ein und derselben Person zu einem bestimmten Zeitpunkt
ganz anders ausfallen als zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt.
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„Gestaltet euch stattdessen um, indem ihr ein neues Denken beginnt. Auf diese Weise
könnt ihr beurteilen, was dem Willen Gottes entspricht.“ Dazu braucht es das regelmäßige
Gespräch mit Gott im Gebet. Bei den Projekten, die wir uns als Gemeinde bei der Perspektiventwicklung vor gut einem Jahr vorgenommen haben, nahm das Gebet eine wichtige Stellung ein. Damit wir im Gespräch mit Gott danach fragen, was hier und heute für unsere Gemeinde dran ist. Lasst uns da dranbleiben - bei dieser Gelegenheit lade ich alle
herzlich ein zum Gemeindegebet mittwochs um 20.15 Uhr hier in der Kirche. Sich stets
von neuem an Gottes Maßstäben orientieren – das ist auch für uns als Gemeinde wichtig.
Ein Leben für Gott im Alltag – auch als Gemeinde.
III. Ein Leben für Gott mit meinen Gaben
Und für dieses Leben als Christ in der Gemeinde gibt Paulus dann schon noch eine Reihe
ganz konkreter Hinweise.
„Wir sind zwar viele einzelne Menschen, aber dennoch bilden wir alle durch unsere Zugehörigkeit zum Messias nur einen einzigen Körper. Dadurch sind wir alle wie Körperteile
voneinander abhängig. Wir alle haben ja Begabungen von Gott geschenkt bekommen,
und zwar ganz unterschiedliche, so wie er sie uns in seiner Freundlichkeit gegeben hat.“
Kein Körperteil ist wichtiger als das andere. Jedes erfüllt seine besondere Aufgabe, aber
jedes ist ein Glied an dem einen Körper, zu dem alle verbunden sind. So ist es auch bei
den Gliedern der Gemeinde, die Paulus den Körper des Messias oder den Leib Christi
nennt. Jedes Körperteil hat von Gott bestimmte Gaben geschenkt bekommen und soll
deshalb auch bestimmte Aufgaben übernehmen, die seinen Gaben entsprechen. Paulus
nennt auch verschiedene Beispiele dafür: die Lehre und Unterweisung im Wort Gottes, die
Krankenpflege, die Ermutigung im Glauben. Dabei hatten anscheinend die Römer diese
Ermahnung besonders nötig, dass kein Glied wichtiger ist als das andere. „Ich sage jedem
einzelnen unter euch, dass er nicht höher von sich selbst denken soll, als richtig ist. Jeder
sollte darauf bedacht sein, sich selbst richtig einzuschätzen, und zwar jeder Einzelne so,
wie Gott ihm persönlich das Maß des Glaubens zugeteilt hat.“ Anscheinend hatte sich in
der römischen Gemeinde ein Konkurrenzdenken eingeschlichen. Man hatte an der eigenen Gabe und dem eigenen Dienst nicht genug. In der Sorge, ja nicht zu kurz zu kommen,
wollte der eine oder andere auch an den andern Aufgaben und Kräften beteiligt sein. Immer nur Diakonie – ist nicht Predigen etwas viel Interessanteres und vor allem Höheres?
Nur Zuspruch geben – wird nicht der viel mehr geliebt, der als Krankenpfleger die tatkräftige Hilfe bringt? Nein, sagt Paulus: Bleibe ganz das, was du durch Gottes Gnade bist, und
lebe mit deiner Gabe ruhig und beständig in dem, was dir als Diakonie oder Lehre oder
Seelsorge aufgetragen ist. Ein Leben für Gott mit meinen Gaben. Aber solche Probleme
gab es sicher nur bei den Christen in Rom und nicht hier bei uns. Oder? Wenn wir hier im
Gottesdienst miteinander in einer Reihe sitzen und jeder das gleiche Wort Gottes hört,
dann möge er uns den Blick dafür öffnen, dass keiner wichtiger ist als der andere, sondern
dass wir miteinander Glieder an seinem Leib sind und von seiner Gnade leben.
Wo komme ich selber vor bei diesen Gaben und Aufgaben in der Gemeinde, die Paulus
aufzählt? Das habe ich mich beim Lesen dieses Bibelabschnittes gefragt.
Gottes Wort lehren, Seelsorge üben, die Gemeinde leiten – das wird auf jeden Fall vom
Pfarrer erwartet. Und das richtige Wort zur richtigen Zeit – Paulus nennt das Prophetie –
dieses richtige Wort zur richtigen Zeit sollte der Pfarrer auch parat haben. Und Besuche
bei Alten und Kranken soll er natürlich auch machen. Das sind schon fünf von sieben Aufgaben, die Paulus nennt! Nur die Diakonie und die Kollekte bleiben den „normalen“ Gemeindegliedern überlassen. Dass der Pfarrer nicht auch noch als Krankenpfleger unterwegs sein kann, gesteht man ihm zu. Und wenn nur der Pfarrer Geld in den Kollektenbeutel einlegt, kommt am Ende vielleicht doch ein bisschen wenig zusammen. Aber Spaß beiseite: Wie biblisch ist unser Pfarrerbild und unser Gemeindebild? Hat Gott bestimmte
Menschen geschaffen, die alles können und alles machen? Die alle Gaben auf sich verei4
nigen? Oder hat die Gemeindeleitung nach diesen biblischen Richtlinien nicht vor allem
die Aufgabe, die geistlichen Gaben der Gemeindeglieder zu erkennen und ihnen dementsprechend Aufgaben zu übertragen? Paulus hat in seiner Aufzählung übrigens die Gemeindeleitung zwischen die Geldspenden und die Armenfürsorge eingereiht. Damit will er
wohl deutlich machen, wie wenig Besonderes die leitenden Leute in der Gemeinde sind.
Wir haben uns den Maßstäben der Welt angepasst, wenn wir in den Kirchen die Leitungsämter so über alles andere herausheben und ihre Inhaber mit Titeln und Ehren schmücken. Bei Paulus erscheinen sie an bescheidener Stelle zwischen den anderen.
Damals war die Gemeinde ohnehin anders organisiert. Weil es in Rom so viele Christen
gab, trafen sie sich in verschiedenen Hausgemeinden. Die Kirche hat mit Hauskreisen angefangen. Wer also einen Hauskreis leitet oder bei sich zu Gast hat, der darf und soll das
als seinen wöchentlichen Gottesdienst tun. Das ist auch eine Form von Gemeindeleitung.
Auch die Gabe, Menschen im Glauben zu ermutigen und zu ermahnen, also das, was wir
als Seelsorge bezeichnen, auch das ist nicht nur eine Angelegenheit für Profis. Ich erinnere mich noch, wie ich vor einigen Jahren nach einer herben Enttäuschung in einer starken
Phase der Niedergeschlagenheit war. Und dann rief mich ein Freund an, machte mir wieder Mut und öffnete mir neu den Aufblick auf Gott. Gott hatte es ihm aufs Herz gelegt,
mich gerade jetzt anzurufen – obwohl er gerade in den USA unterwegs war und das Telefongespräch ziemlich teuer für ihn wurde. Bitten Sie Gott im Gebet, dass er Ihnen zeigt,
wo jemand auf ihren Anruf oder Besuch wartet, auf Ihren geistlichen Zuspruch wartet. Ich
bin sehr froh, dass es in unserer Gemeinde eine ganze Reihe von Leuten gibt, die die Gabe der Ermutigung haben und diese Gabe auch praktisch üben. „Eine weitere Begabung
ist die Befähigung zur Seelsorge, die sich in der seelsorgerlichen Begleitung ausdrückt“,
schreibt Paulus.
Wenn Paulus von Diensten spricht – auf griechisch „diakonia“, dann ist damit nicht nur die
Krankenpflege gemeint, sondern jede Art von praktischem Dienst – vom Opferzählen bis
zum Kaffeekochen beim Kirchencafé. Auch hier kann sich jedes Glied am Leib Christi mit
seinen Gaben einbringen.
Ein Leben für Gott mit meinen Gaben.
Das sind also nach Paulus die drei Dinge, die das Leben eines Christen ausmachen:
ein Leben für Gott aus Dankbarkeit,
ein Leben für Gott im Alltag
und ein Leben für Gott mit meinen Gaben.
In diesem Sinn wünsche ich uns allen nach dem Gottesdienst einen guten Gottesdienst.
Amen.
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