171 25 Plantarer Fersenschmerz: operative Therapie W.C. McGarvey Einführung Schmerzen unter der Ferse sind für viele Patienten der Grund für ihre Vorstellung bei einem Fußchirurgen. Zahlreiche Theorien zur Ätiologie des Fersenschmerzes wurden formuliert, z. B. metabolische, systemische, traumatische oder tumoröse Erkrankungen (Tabelle 25.1). Meist beruhen Beschwerden unter der Ferse jedoch auf degenerativen Veränderungen an der Insertion der Plantaraponeurose am Kalkaneus, auf einem Engpasssyndrom eines Astes des N. plantaris lateralis oder auf beiden Ursachen zugleich. Andere Faktoren, z. B. Schwangerschaft, Geschlecht, Lebensweise oder ein Fersensporn unterschiedlicher Größe wurden in Verbindung mit dem plantaren Fersenschmerz gebracht, haben jedoch keinen entscheidenden Einfluss auf die Erkrankung. Bei unsportlichen Patienten werden die Schmerzen unter der Ferse oft einem gerade begonnenen Trainingsprogramm, einer ungewohnten Belastung Tabelle 25.1 Ursachen des plantaren Fersenschmerzes Fersenschmerzsyndrom ➤ Ansatzentzündung der Plantaraponeurose ➤ Einengung des ersten Astes des N. plantaris lateralis ➤ Ansatzentzündung der kurzen Beugemuskeln ➤ Bursitis an der Plantarfläche des Kalkaneus ➤ Fersensporn Fettgewebeatrophie Entzündliche Gelenkerkrankungen ➤ chronische Polyarthritis ➤ Reiter-Syndrom ➤ Spondylitis ankylopoetica ➤ Psoriasisarthritis Verletzungen ➤ Weichteilkontusion, rezidivierende Verletzungen ➤ Stressfraktur ➤ akute Fraktur ➤ perforierende Wunde ➤ Ruptur der Plantaraponeurose Verschiedene ➤ gutartige Tumoren ➤ bösartige Tumoren (primär und metastasierend) ➤ Infektion ➤ Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Gicht, Morbus Paget) Vaskulär ➤ periphere Gefäßerkrankung Sekundär ➤ Verletzung der unteren Extremität mit Gehstörung, Kompensationsüberlastung ➤ Wurzelreizsyndrom oder einer spontanen, unbekannten Ursache zugeschrieben. Bei Sportlern können die Schmerzen auf falsches Training, auf ungeeignete Sportschuhe oder auf schlechte Bodenbeschaffenheit zurückzuführen sein. Eine genaue Anamneseerhebung und klinische Untersuchung sind die wichtigsten Werkzeuge in der Diagnostik. Die Patienten klagen gewöhnlich über einen Schmerz mit Projektion auf die mediale Fersenhälfte, besonders bei den ersten Schritten am Morgen oder beim Aufstehen nach längerem Sitzen. Bei fortgesetzter körperlicher Aktivität bessern sich die Beschwerden, ohne dass sich völlige Schmerzfreiheit einstellt. Einige Patienten geben eine Schmerzverstärkung nach längerem Gehen oder Stehen auf hartem Boden an. Die klinische Untersuchung ergibt einen Druckschmerz medial-plantar am Kalkaneus über der Insertion der Plantaraponeurose. Bei manchen Patienten besteht auch eine Druckschmerzhaftigkeit im Verlauf des ersten Astes des N. plantaris lateralis und ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen in diesem Gebiet. Manchmal können eine kombinierte Pronation und Abduktion des Fußes oder eine Dorsalextension im Sprunggelenk und in den Zehen als Provokationstest hilfreich sein. Röntgenologisch ist oft ein Fersensporn zu erkennen, der jedoch keine ätiologische Relevanz hat. Bei unklarem Befund sind elektrodiagnostische Untersuchungen oder eine Knochenszintigraphie hilfreich. Beide Techniken sind insbesondere geeignet, andere krankhafte Prozesse, z. B. ein Wurzelreizsyndrom oder eine Stressfraktur des Kalkaneus, auszuschließen. Nachdem die Diagnose gestellt ist, wird der plantare Fersenschmerz in den meisten Fällen erfolgreich konservativ behandelt. 90% aller Patienten werden durch konservative Behandlungsmaßnahmen nach einer durchschnittlichen Beschwerdedauer von 11 Monaten symptomfrei. Wesentlicher Bestandteil der konservativen Therapie sind Dehnübungen der Achillessehne und der plantaren Weichteile. Diese kann der Patient selbst 8 – 10 Mal pro Tag für jeweils 10 Sekunden durchführen. Viskoelastische Einlagen, Absatzerhöhungen, eine Unterstützung der Fußlängswölbung oder Nachtschienen können erfolgreich eingesetzt werden. Manchmal sind auch eine kurzfristige Gabe von entzündungshemmenden Medikamenten oder Kortisoninjektionen von Nutzen. Therapieresistente Beschwerden können mit verschiedenen Tape-Verbänden und sogar mit einer vorübergehenden Gipsimmobilisation angegangen werden. Trotz dieser Behandlung werden 10% der Patienten nicht beschwerdefrei. Nachdem alle anderen möglichen Ursachen ausgeschlossen wurden, kann die Indikation zur partiellen plantaren Fasziotomie mit Dekompression des N. plantaris lateralis gestellt werden. Kontraindikationen zur Operation sind metabolische Wülker, Stephens, Cracchiolo III., Operationsatlas Fuß und Sprunggelenk (ISBN 313142592X), 䊚 2007 Georg Thieme Verlag KG 25 172 IV Rückfuß oder systemische Erkrankungen, lumbale Wurzelreizsyndrome, periphere Neuropathien, Tarsaltunnelsyndrome und rheumatische Grunderkrankungen. Anatomie 25 Der Operateur muss mit der normalen Anatomie der Ferse, mit anatomischen Varianten und besonders mit dem Verlauf der Nerven an der Ferse vertraut sein (Abb. 25.1). Die Rami calcanei mediales gehen proximal aus dem N. tibialis hervor, sind in unterschiedlicher Anzahl vorhanden und verlaufen hinter dem geplanten Hautschnitt. Der erste Ast des N. plantaris lateralis entspringt meist unmittelbar distal zu einer Linie zwischen Innenknöchel und Tuber calcanei. Der Ast verläuft unter dem Bauch des M. abductor hallucis und zieht plantar zwischen der tiefen Faszie dieses Muskels und dem medialen kaudalen Rand des M. quadratus plantae weiter nach distal. An dieser Stelle wird ein Engpasssyndrom vermutet, das den Fersenschmerz auslöst. Anschließend zieht der Nervenast weiter in horizontaler Richtung zum M. abductor digiti quinti, zwischen dem M. quadratus plantae auf der Dorsalseite und dem M. flexor digitorum brevis auf der Plantarseite. In den meisten anatomischen Lehrbüchern wird beschrieben, dass der Nerv in Höhe der Fußmitte quer verläuft. Anatomische Studien haben jedoch gezeigt, dass der Nerv weiter proximal unmittelbar distal und oberhalb der Ursprungs- zone des M. flexor digitorum brevis, also direkt dorsal zu einem evtl. vorhandenen Fersensporn, nach lateral zieht. Der Nerv hat vermutlich sensible und motorische Fasern. Sensibel versorgt er das Periost des Kalkaneus und die Plantaraponeurose, motorisch den M. quadratus plantae, den M. flexor digitorum brevis und den M. abductor digiti quinti. Therapie Operationstechnik Der Patient wird zur Operation auf dem Rücken gelagert. Unter die gegenseitige Beckenhälfte wird ein Polster geschoben. Eine leichte Beugestellung von Hüft- und Kniegelenk erleichtert die Außendrehung des Beines und damit den Zugang zum Operationsgebiet. Meist wird der Eingriff in Regionalanästhesie durchgeführt. Eine Blutleere ist hilfreich, aber nicht unbedingt erforderlich. Über dem proximalen Anteil des M. abductor hallucis wird ein schräg verlaufender, 3 – 4 cm langer Hautschnitt an der medialen Seite der Ferse angelegt (Abb. 25.2). Der Schnitt soll eine gedachte senkrechte Linie hinter dem Innenknöchel kreuzen und parallel zum ersten Ast des N. plantaris lateralis verlaufen. Damit liegt der Zugang unmittelbar vor den rein sensiblen Ästen des N. plantaris medialis. Aufgrund anatomischer Varianten muss jedoch bei der a b 5 4 6 3 7 2 AR 8 3 4 2 1 AR 9 1 Abb. 25.1 Anatomie der Ferse. a Plantare Ansicht. 1 erster Ast des N. plantaris lateralis 2 N. plantaris lateralis 3 N. plantaris medialis 4 M. abductor digiti quinti b Querschnitt. 1 Fersensporn (wenn vorhanden) 2 Ramus calcaneus des N. plantaris lateralis 3 M. abductor hallucis 4 erster Ast des N. plantaris lateralis 5 Kalkaneus 6 M. quadratus plantae 7 M. abductor digiti quinti 8 M. flexor digitorum brevis 9 Plantaraponeurose Wülker, Stephens, Cracchiolo III., Operationsatlas Fuß und Sprunggelenk (ISBN 313142592X), 䊚 2007 Georg Thieme Verlag KG Plantarer Fersenschmerz: operative Therapie 173 Abb. 25.2 Schräger Hautschnitt medial über der Ferse und über dem proximalen Anteil des M. abductor hallucis. 3 4 2 1 Abb. 25.3 Die tiefe Faszie des M. abductor hallucis wird teilweise ausgeschnitten, um den ersten Ast des N. plantaris lateralis darzustellen. 1 Plantaraponeurose 3 M. abductor hallucis 2 erster Ast des N. plantaris lateralis 4 tiefe Faszie des M. abductor hallucis Präparation mit abweichenden Verläufen dieser Nerven gerechnet werden. Die subkutane Schicht wird scharf bis zur Faszie des M. abductor hallucis durchtrennt und ein Selbstspreizer eingesetzt. Die Grenze zwischen der Muskelfaszie und dem medialen Rand der Plantaraponeurose wird dargestellt. Wenn erforderlich, wird ein schmaler Streifen der Aponeurose entfernt, um die Grenze zur Faszie des M. abductor hallucis besser identifizieren zu können. Meist kann die- se Grenzschicht jedoch leicht mit einem Raspatorium am medialen Rand der Plantaraponeurose präpariert werden. Anschließend wird die oberflächliche Faszie des M. abductor hallucis mit einem kleinen Skalpell gespalten. Der Bauch des Muskels wird mit einem Haken nach dorsal gezogen, und die tiefe Faszie des M. abductor hallucis kommt zur Darstellung (Abb. 25.3). Die Faszie wird soweit gespalten, wie es der retrahierte Muskel unter sich zulässt. Durch dieses Release wird der Ramus calcaneus Wülker, Stephens, Cracchiolo III., Operationsatlas Fuß und Sprunggelenk (ISBN 313142592X), 䊚 2007 Georg Thieme Verlag KG 25 174 25 IV Rückfuß des N. plantaris lateralis dekomprimiert, der an dieser Stelle zwischen der straffen tiefen Faszie des M. abductor hallucis und dem medialen Rand des M. quadratus plantae seinen senkrechten Verlauf in eine horizontale Richtung zum M. abductor digiti quinti ändert und eingeklemmt werden kann. Die tiefe Faszie des M. abductor hallucis ist kräftig ausgebildet, hat oft zwei Blätter und liegt direkt über dem Gefäß-Nerven-Bündel. Das perineurale Fettgewebe des Ramus calcaneus des N. plantaris lateralis wird dargestellt. Es ist nicht notwendig, den Nerv selbst freizulegen, da dies mit einem erhöhten Risiko einer Nachblutung oder einer Thrombosierung der versorgenden Gefäße, einer Narbenbildung oder einer Unterbrechung der Gefäßversorgung verbunden ist. Der Bauch des M. abductor hallucis wird anschließend in plantarer Richtung retrahiert, und die tiefe Faszie vollständig durchtrennt. Der Nervenverlauf wird mit einer kleinen Klemme oder einem Elevatorium hinter dem M. abductor hallucis getastet, um auszuschließen, dass noch Engstellen vorliegen. Die Plantaraponeurose wird auf entzündliche Veränderungen und auf eine Verdickung untersucht. Bestehen entsprechende Veränderungen, wird ein Streifen der Plantaraponeurose reseziert. Zu diesem Zweck wird der Selbstspreizer tiefer in die Wunde gesetzt, um eine optimale Übersicht zu erreichen. Mit einem kleinen Skalpell wird ein rechteckiges Segment aus der Aponeurose entfernt, das in Längsrichtung etwa 4 – 5 mm lang ist und in medial-lateraler Richtung ein Drittel bis die Hälfte der Plantaraponeurose umfasst (Abb. 25.4). Wenn der Patient präoperativ Schmerzen entlang der gesamten Plantaraponeurose angibt, wird gegebenenfalls die gesamte Plan- taraponeurose entfernt, nachdem sie über die ganze Breite dargestellt wurde. Der plantare Fersensporn wird aus mehreren Gründen nicht reseziert. Bislang gibt es keine direkten Hinweise, dass Fersenschmerzen durch einen Fersensporn verursacht werden. Zudem erfordert die Resektion der Exostose eine großzügige Ablösung von Muskulatur und Faszie, was zu vermehrten postoperativen Schmerzen und einer verlängerten Erholungsphase führt. Außerdem kann eine übermäßige Knochenresektion zu einer Stressreaktion oder sogar Fraktur des Kalkaneus führen und den Patienten zusätzlich schwächen. Ein Fersensporn, der möglicherweise den Nerv einengt, wird abgetragen. Dazu werden die Fasern des M. flexor digitorum brevis über dem Fersensporn mit einem Raspatorium auseinandergedrängt und nach oben und unten auseinander gehalten, sodass der Knochensporn gut zu übersehen ist. Dabei muss beachtet werden, dass der Ramus calcaneus des N. plantaris lateralis unmittelbar am Rand des Knochensporns entlang des Muskels verläuft und leicht verletzt werden kann. Der Sporn wird mit einem Luer gefasst und entfernt, bis die Unterfläche des Kalkaneus vollständig geglättet ist. Vor dem Wundverschluss wird der Nerv in seinem Verlauf an der Fußsohle nochmals auf mögliche Engstellen untersucht. Nach Spülen der Wunde wird die Haut mit einer einschichtigen 3-metric-Einzelknopfnaht verschlossen. Ein gepolsterter Kompressionsverband über Ferse und Sprunggelenk wird am Ende der Operation angelegt. 4 3 2 1 Abb. 25.4 Ein rechteckiges Segment der Plantaraponeurose wird über die gesamte Dicke ausgeschnitten, wenn die Plantaraponeurose chronisch entzündet und verdickt ist. 3 erster Ast des N. plantaris lateralis 1 Plantaraponeurose 4 M. abductor hallucis 2 tiefe Faszie des M. abductor hallucis Wülker, Stephens, Cracchiolo III., Operationsatlas Fuß und Sprunggelenk (ISBN 313142592X), 䊚 2007 Georg Thieme Verlag KG