Als physische Mittel iSd § 3 Abs 1 können zur

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5.3. Begriff der Freiheitsbeschränkung
5.3.2.2.
Medikamentöse Maßnahmen
5.3.2.2.1. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Heilbehandlung
Als physische Mittel iSd § 3 Abs 1 können zur Unterbindung einer Ortsveränderung
auch medikamentöse Maßnahmen eingesetzt werden – Pharmazeutika, die den Bewegungsdrang reduzieren oder gänzlich beseitigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob
dem Patienten durch die Arzneimittelwirkung die physische Möglichkeit zur Fortbewegung genommen oder seine Willensbildung so beeinflusst wird, dass der Fortbewegungsdrang gedämpft oder völlig unterbunden wird.494 Medikamente besitzen
durch ihre Wirkungsweise als pharmakologische Beeinflussung der Körperfunktionen eine besondere Eingriffsintensität.495
Die praktische Relevanz von Freiheitsbeschränkungen durch medikamentöse
Maßnahmen zeigt sich am kontinuierlichen Anstieg der Meldungen an die Bewohnervertretung,496 an der großen Anzahl diesbezüglicher LG- und OGH-Entscheidungen sowie rechtswissenschaftlicher Publikationen.497 Die bisherige Uneinheit494
495
496
497
Vgl Herdega, Heimaufenthaltsgesetz, in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht 207 (238 Rz 110
und FN 251). Eine Freiheitsbeschränkung liegt zB dann vor, wenn ein Bewohner mit Demenz
und Poriomanie aufgrund des verabreichten Medikaments Risperdal sich weniger häufig dazu entschließt, das Heim zu verlassen: LG Wels 30.4.2008, 21 R 131/08a, EFSlg 120.458–462, 480,
487; auch zitiert in BMJ (Hrsg), Manual 2011, 12. Vgl auch LG Steyr 26.3.2008, 1 R 193/07m,
iFamZ 2008/101, 194 zu Haldol und LG Wels 25.7.2007, 21 R 253/07s.
Kopetzki, Unterbringungsrecht II 464; vgl zum UbG: OGH 7 Ob 2423/96s, RdM 1997/20, 93;
zur Psychopharmakaverordnung in deutschen Altenheimen vgl Bockenheimer-Lucius, Ethik in
der Medizin 2007, 255; vgl auch Scholz/Lanzendörfer, Rechtsfragen 63. Es kommen nicht ausschließlich psychiatrische Medikamente als freiheitsbeschränkend in Betracht, sondern grundsätzlich jedes auf den Bewegungsdrang einwirkende Medikament, zB auch zweckwidrig eingesetzte Non-Psychopharmaka wie Beta-Blocker oder Antihistaminika, deren sedierende Nebenwirkung im Rahmen eines „Off-Label-Use“ (zulassungsüberschreitender Einsatz von Arzneimitteln) bewusst ausgenutzt wird: vgl BMJ (Hrsg), Manual 2011, 10 f und „Infobox 2“.
Vgl Pimon, iFamZ 2010, 280: In vielen Fällen, besonders in Krankenanstalten und bei „Bedarfsmedikation“, sei die Meldedisziplin aber noch mangelhaft und die Bewohnervertretung vorrangig
auf eigene Wahrnehmungen angewiesen. Besonders bei Überforderung des Pflegepersonals und
bei mangelnder Bereitschaft, Alternativen zu erproben, komme es typischerweise zum Einsatz sedierender Medikation. Von einer nur „fallweisen“ Verabreichung pharmazeutischer Präparate zur
Unterbindung der Ortsveränderung (so BMJ [Hrsg], Manual 2011, 2) kann nicht die Rede sein.
Eine Tendenz der Verlagerung von mechanischen zu medikamentösen Freiheitsbeschränkungen
ortend: Ganner in Barth, iFamZ-Spezial 2010, 46 unter Berufung auf Hofinger/Kreissl/Pelikan/
Pilgram, Rechtsschutz 7.
Vgl schon 2008 die Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) zu den Effekten
des HeimAufG: Hofinger/Kreissl/Pelikan/Pilgram, Rechtsschutz 7; Ganner in Barth, iFamZ-Spezial 2010, 46; Mayer, ÖZPR 2010, 51; Barth, iFamZ 2011, 80; Zierl/Wall/Zeinhofer, Heimrecht I
94; Herdega, Heimaufenthaltsgesetz, in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht 207 (238 Rz 110 ff);
ders, RdM 2012, 4; BMJ (Hrsg), Manual 2011; Bürger, iFamZ 2011, 329; Bürger/Herdega, ÖZPR
2011, 182; aus medizinischer bzw pharmakologischer Sicht: Janoch in Barth, iFamZ-Spezial 2010,
51; aus Sicht der Bewohnervertretung: Pimon, iFamZ 2010, 280 und Moser in Barth, iFamZ-Spezial
2010, 54.
Zu den deutschen §§ 1906 IV, 1904 BGB vgl zB OLG Hamm 8.1.1996, 15 W 389/96: Verabreichung von Medikamenten als unterbringungsähnliche Maßnahme, wenn sie gezielt eingesetzt
wird, um den nicht untergebrachten Betreuten am Verlassen seines Aufenthaltsortes zu hindern.
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5. Allgemeine Bestimmungen
lichkeit in der gerichtlichen Beurteilung ebenso wie die rechtliche und naturwissenschaftliche Komplexität des Themas498 führten in den vergangenen Jahren zu erheblicher Verunsicherung. In diesem Kapitel soll daher – unvorgreiflich künftiger
höchstgerichtlicher Rechtsprechung – ein Versuch unternommen werden, die Definition der Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Maßnahmen auf einige mir
wesentlich erscheinende Punkte zu fokussieren. Eine umfassende Erörterung der in
der Praxis auftretenden Fallkonstellationen muss aber Aufgabe der unabhängigen Judikatur in Zusammenarbeit mit qualifizierten Sachverständigen bleiben.
Das HeimAufG regelt die medizinische Behandlung der Bewohner nicht:499 Es
schließt seine Anwendung auf Behandlungen – und somit kraft Größenschlusses
umso mehr auf Zwangsbehandlungen wider Willen500 – explizit aus (vgl § 2 Abs 3).
Das HeimAufG lässt daher die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Heilbehandlung
unberührt.501 Dies hat zur Folge, dass auch und gerade eine Freiheitsbeschränkung
mit medikamentösen Mitteln, die zeitgleich immer auch eine Behandlung darstellt,
als vorgelagerten ersten Prüfungsschritt die allgemeinen medizinrechtlichen
Grundsätze einer Heilbehandlung erfüllen muss. Danach erfolgen als weitere
Schritte auf heimaufenthaltsrechtlicher Ebene zweitens die Überprüfung, ob die
Einrichtung, in der die Maßnahme gesetzt wurde, dem HeimAufG unterliegt (§ 2
Abs 1), drittens die Einordnung, ob es sich bei der jeweiligen Medikamentenverabreichung um eine Freiheitsbeschränkung handelt (§ 3 Abs 1), sowie viertens die
Kontrolle der Zulässigkeitsvoraussetzungen des HeimAufG als Rechtfertigung
einer Freiheitsbeschränkung (gem § 4 materiell, weiters gem §§ 5 bis 7 formell).
Festzuhalten ist, dass „Freiheitsbeschränkung“ im juristischen Sinn ein wertfreier,
nicht negativ konnotierter Tatbestand ist.502
Jede Heilbehandlung, auch die Verabreichung von freiheitsbeschränkenden
Medikamenten, muss als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen therapeutisch
indiziert sein, lege artis durchgeführt werden sowie unter „informed consent“503 der
zu behandelnden einsichts- und urteilsfähigen Person oder (im Falle ihrer mangelnden Einwilligungsfähigkeit:) ihres Vertreters erfolgen,504 es sei denn, dass
498
499
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501
502
503
504
Das Erfordernis eines hohen Rechtsverständnisses und medizinischen Wissens betonend auch
BMJ (Hrsg), Manual 2011, 5.
Vgl zur Ausnahme von „Behandlungen“ auch oben Dritter Teil, 5.2.3.: „Krankenanstalten“, Fallbeispiele und 5.2.6: „Sachliche Ausnahmen“.
IdS auch BMJ (Hrsg), Manual 2011, 7.
Dieses Erfordernis betonend Ganner in Barth, iFamZ-Spezial 2010, 46 f; Barth, iFamZ 2011,
80 (84) und Herdega, Heimaufenthaltsgesetz in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht 207 (244).
Ob im Einzelfall eine gerechtfertigte oder unzulässige Freiheitsbeschränkung vorliegt, ist erst im
Anschluss an die Subsumtion unter den Begriff der Freiheitsbeschränkung iSd § 3 HeimAufG
auf Zulässigkeitsebene (anhand der rechtlichen Vorgaben des PersFrG und HeimAufG) zu beurteilen: vgl idS Ganner in Barth, iFamZ-Spezial 2010, 46.
Vgl dazu Kopetzki in Körtner, Patientenverfügungs-Gesetz 127 (149 ff).
Vgl bezüglich der Einwilligung einer iSd ABGB behinderten, besachwalteten Person in eine medizinische Behandlung: § 283 ABGB. Zustimmung durch den gesetzlichen Vertreter: Sachwalter; Vorsorgebevollmächtigter iSd §§ 284f ff ABGB; bei einfachen Heilbehandlungen: vertretungsbefugter
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5.3. Begriff der Freiheitsbeschränkung
durch den Aufschub der Behandlung das Leben oder die Gesundheit des Patienten
ernstlich gefährdet wäre (Gefahr im Verzug).505 Wer einen anderen ohne dessen
Einwilligung, wenn auch nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, behandelt, macht sich der eigenmächtigen Heilbehandlung iSd § 110 StGB strafbar.
Die ErlRV zu § 5 HeimAufG stellten bereits zur Stammfassung des HeimAufG klar:
„Einer ärztlichen Anordnung bedarf es unabhängig von der Dauer oder der
Häufigkeit der Freiheitsbeschränkung bei medikamentösen Maßnahmen. Unberührt bleibt selbstverständlich die Verpflichtung des Arztes, die Einwilligung
des Betroffenen bzw die Zustimmung dessen gesetzlichen Vertreters zu einer
medizinischen Behandlung einzuholen.“506
Nach allgemeinen medizinrechtlichen Grundsätzen muss demnach der anordnende
Arzt zuerst das Vorliegen von Indikation (als medizinischer Nutzen für den konkreten Patienten) und „informed consent“ für die in Frage stehende Heilbehandlung
überprüfen.507
Eine Anästhesie als Maßnahme der Bewusstseins- und Schmerzausschaltung
im Rahmen einer Operation ist als integraler Teil einer lege artis durchgeführten
Heilbehandlung anhand der Kriterien des Behandlungsvertrags sowie der Einwilligung in die Heilbehandlung zu bewerten. Es handelt sich um eine Einschränkung,
die psychisch Gesunde wie Kranke gleichermaßen betrifft, denn auch jeder gesunde
Patient erhält typischerweise als Teil der Operation eine Narkose zum Zweck der
Schmerz- und Bewusstseinsausschaltung. In diese Art der Bewegungsbeschränkung außerhalb des Geltungsbereichs des HeimAufG (Teil einer Behandlung) willigt ein einsichts- und urteilsfähiger Patient typischerweise antizipiert ein. Muss
die eigene Einwilligung mangels Einwilligungsfähigkeit durch den Sachwalter
substituiert werden, so deckt mE die Behandlungszustimmung des Sachwalters und
die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der besonderen Heilbehandlung hier
ausnahmsweise auch die nach den leges artis der Behandlung notwendigerweise
505
506
507
nächster Angehöriger iSd §§ 284b ff ABGB). Die Fremdbestimmung durch den Vertreter kann immer nur dann und insoweit legitim sein, als dem Betroffenen die diesbezügliche Einwilligungsfähigkeit fehlt. (Vgl zum grundrechtlichen Schutz der Selbstbestimmung bei Eingriffen in die körperliche Integrität: Art 8 EMRK: Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens; vgl Kopetzki,
Unterbringungsrecht I 407 ff). Insofern kann es im Rahmen einer Einwilligungssubstitution durch
den Vertreter zu einer Behandlung gegen den natürlichen Willen der einwilligungsunfähigen Person
kommen (allerdings nur unter Bindung an das Wohl des Besachwalteten oder sonst Vertretenen).
Vgl auch Ganner in Barth, iFamZ-Spezial 2010, 46 f.
ErlRV 353 BlgNR 22. GP 11.
An der rechtswirksamen Einwilligung in die medizinische Behandlung mangelt es in der Praxis
häufig: so Pimon, iFamZ 2010, 280 (281). Es seien aufgrund von Eintragungen in der Pflegedokumentation Fälle bekannt, in denen die Gabe ruhigstellender Medikamente ohne Kenntnis der
Bewohner erfolge, indem das Medikament zerkleinert der Nahrung beigemengt oder in Getränken
aufgelöst werde; unter Hinweis auf den Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von
Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) über seinen Besuch
in Österreich (deutschsprachige Arbeitsübersetzung): http://www.cpt.coe.int/documents/aut/
2010-05-inf-deu.pdf (27.10.2011) 49 (Rz 130).
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5. Allgemeine Bestimmungen
mitumfasste Ruhigstellung ab, obwohl die Einwilligung in eine Freiheitsbeschränkung ansonsten nur höchstpersönlich erteilt werden kann.508
Ist ein Patient einsichts- und urteilsfähig, so kann er iSd § 283 Abs 1 ABGB
nur selbst in eine medizinische Behandlung einwilligen (keine Einwilligungssubstitution durch den Sachwalter bei Einsichts- und Urteilsfähigkeit). Unterbleibt seine Einwilligung in die Heilbehandlung, darf die Behandlung und die damit allenfalls einhergehende Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Maßnahmen
nicht gesetzt werden. Anordnungsbefugte Personen, die die Setzung einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme für erforderlich halten, müssten in diesem Fall auf
nicht-medikamentöse (zB mechanische) Maßnahmen ausweichen. Die Ablehnung
einer medizinischen Behandlung kann auch im Rahmen einer Patientenverfügung
erfolgen, die antizipierte Ablehnung von Freiheitsbeschränkungen ist aber unbeachtlich, da es diesbezüglich nicht auf die Einwilligung des in seiner persönlichen
Freiheit Beschränkten ankommt.509
Umgekehrt beseitigt aber eine Einwilligung eines einsichts- und urteilsfähigen
Bewohners in die Heilbehandlung im Rahmen des Behandlungsvertrags dann,
wenn sie auch die Unterbindung der Ortsveränderung mitumfasst, bereits das Vorliegen einer Freiheitsbeschränkung: in diesem Fall läge eine bloße Freiheitseinschränkung des einsichts- und urteilsfähigen Bewohners durch medikamentöse
Maßnahmen vor (vgl § 3 Abs 2 HeimAufG) – eine Zustimmung zur Bewegungsbeschränkung, die er aber immer nur höchstpersönlich erteilen und die (von der
Behandlungseinwilligung abweichend) bei fehlender Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht durch einen Vertreter substituiert werden kann.510
§ 5 Abs 1 Z 1 HeimAufG legt fest, dass nur Ärzte zur Anordnung von Freiheitsbeschränkungen durch medikamentöse Maßnahmen befugt sind. Die Bestimmung
spiegelt damit das ärztliche Berufsbild des § 2 ÄrzteG 1998 wider, wonach der Arzt
zur Ausübung der Medizin berufen ist und seine Berufsausübung jede auf medizinisch508
509
510
Unzutreffend ist es mE, die Sedierung durch ein Narkotikum im Rahmen von Operationen oder
invasiven diagnostischen Untersuchungen als „unvermeidliche Nebenwirkung der Schmerzlinderung und Bewusstseinsausschaltung“ einzustufen: idS aber BMJ (Hrsg), Manual 2011, 9 und 21;
überzeugender erscheint mE die Subsumtion der operationsbedingten, lege artis erforderlichen
Narkose unter § 2 Abs 3: keine Geltung des HeimAufG für Behandlungen.
Der (noch einsichts- und urteilsfähige) Bewohner könnte im Rahmen einer verbindlichen Patientenverfügung iSd §§ 4 ff PatVG wirksam bestimmte medizinische Behandlungen wie ein spezielles
sedierendes Arzneimittel ablehnen, sofern er die Folgen dieser Ablehnung zutreffend einschätzt.
Dazu gehört auch die Einschätzung, dass im Falle einer erforderlichen Freiheitsbeschränkung auf
andere, erforderlichenfalls sogar stärker beschränkende Maßnahmen (zB körpernahe mechanische
Maßnahmen) ausgewichen werden müsste, wenn keine anderen zielführenden Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen. Fehlt die korrekte Abschätzung der Folgen, so verliert die Verfügung
ihre Verbindlichkeit. Eine „Patientenverfügung“, die freiheitsbeschränkende Maßnahmen ablehnt, ist aber unbeachtlich. Vgl zu verbindlichen Patientenverfügungen und der Behandlung untergebrachter Personen ausführlich Engel, iFamZ 2008, 18.
Vgl unten Dritter Teil, 5.3.4.2.: „Freiheitsbeschränkung und Freiheitseinschränkung“; zur Freiheitseinschränkung und der Vertretungsfeindlichkeit der Einwilligung in dieselbe Ganner in
Barth, iFamZ-Spezial 2010, 46 (49); auch Mayer, ÖZPR 2010, 51 und Barth, iFamZ 2011, 80 (89).
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5.3. Begriff der Freiheitsbeschränkung
wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit umfasst, die unmittelbar am
Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird – hier relevant insbesondere die Untersuchung und die Behandlung von Krankheiten und die Verordnung von
Heilmitteln (§ 2 Abs 2 Z 1, 3 und 7 ÄrzteG). Die selbständige Ausübung des ärztlichen
Berufs (egal, ob freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses), unter anderem die eigenverantwortliche Durchführung der genannten Tätigkeiten, ist ausschließlich Ärzten vorbehalten (so genannter Arztvorbehalt, § 3 ÄrzteG).
Die Frage, unter welchen Umständen eine Medikamentenverabreichung eine
Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Maßnahmen iSd § 3 Abs 1 darstellt,
hängt nicht allein von der (sedierenden) Wirkung eines Arzneimittels auf den Patienten ab, sondern auch vom therapeutischen Zweck und dem Einsatz eines Medikaments entsprechend seiner Zweckbestimmung. Deshalb kann auch keine „Liste“ von Medikamenten erstellt werden, welche undifferenziert in jedem Fall als freiheitsbeschränkend zu qualifizieren wären.511
5.3.2.2.2. Medizinische und pharmakologische Hintergründe
Aus psychiatrischer Sicht hat Janoch512 überzeugend dargelegt, dass sich eine Medikation zur Behandlung psychischer Störungen jeweils phänomenologisch gegen
umschriebene Zielsymptome richten muss, da sich psychische Störungen in oft einander entgegengesetzten Symptomen manifestieren können.513 Die Analyse, ob
eine Freiheitsbeschränkung vorliege, müsse aus medizinischer Sicht bei der Frage
ansetzen, ob ein Medikament verordnet wurde, um ein Symptom einer psychischen
Störung, das mit Bewegungsüberschuss einhergeht, zu unterdrücken. Weiters müsse das Medikament zur Beschränkung der Freiheit geeignet sein, was sich einerseits
anhand seiner pharmakologischen Eigenschaften, seiner Dosierung und Art der Anwendung bestimme, andererseits anhand der individuellen Eigenschaften der behandelten Person (Verstoffwechslung im Körper, Gewöhnungseffekte, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten etc).
Folgende Medikamentengruppen seien zur Freiheitsbeschränkung grundsätzlich geeignet,514 wobei jede einzelne Substanz und das jeweilige spezifische Einsatzgebiet immer differenziert betrachtet werden müssten: Aus der großen Gruppe
der Psychopharmaka kämen bestimmte Neuroleptika, Antidepressiva und Tranquilizer in Frage, unter den Nicht-Psychopharmaka eigneten sich besonders Opioide und „Schlafmittel“ zur Bewegungseinschränkung.515
Nur wenn Neuroleptika zur Distanzierung von pathologischem Erleben wie
Wahnsymptomatik, Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen verordnet würden
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Vgl idS auch BMJ (Hrsg), Manual 2011, 5 f.
Janoch in Barth, iFamZ-Spezial 2010, 51.
ZB psychomotorische Hemmung oder Erregung als Nebenkriterium einer depressiven Störung.
Nicht zur Bewegungsdämpfung geeignet sind gem Janoch Antidementiva, Anti-Craving-Substanzen, Medikation zur Behandlung eines übersteigerten Sexualverhaltens, Opiate zur Substitutionstherapie, Phasenprophylaktika und Antiepileptika.
Zu einzelnen Wirkstoffen, Handelsnamen und deren Einsatzgebieten vgl im Detail Janoch in
Barth, iFamZ-Spezial 2010, 51 (52 f).
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