Transparenz und Verantwortung

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Transparenz und Verantwortung – Herausforderungen für Unternehmensführung,
Kommunikation und Marketing
von Anton Meyer1
Beginnen wir mit der Zusammenfassung: Die Neuen Medien ermöglichen eine noch nie
dagewesene Transparenz und eine in Echtzeit Überprüfung der Glaubwürdigkeit von
Informationen und Kommunikation von Unternehmen zu allen internen, vor- und
nachgelagerten Wertschöpfungsprozessen, zum Leistungsangebot, den begleitenden
Marketingmaßnahmen und dem Verhalten des Unternehmens und seiner Mitarbeiter im
wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereich, Verstärkt durch viele weitere externe
Einflüsse (Globalisierung mit zunehmender Komplexität von Wertschöpfungsprozessen und
Informationskomplexität, Klimawandel, Wirtschafts-, Finanz-, Staaten- und Bankenkrisen etc.)
ist ein zunehmender vertikaler Vertrauensverlust (hinsichtlich Versprechungen von
Institutionen, Unternehmen, Marketing) festzustellen. Geleichzeitig steigt das horizontale
Vertrauen zwischen Menschen/Verbrauchern. Unternehmensführung, Marketing und
Kommunikation sollten das wachsende horizontale Vertrauen als Chance begreifen und
gleichzeitig dem vertikalen Vertrauensverlust gegensteuern. Die Basis dafür sind Transparenz,
ehrlichere Kommunikation und Information über das Unternehmen, das gesamte
Wertschöpfungsnetzwerk, die Produkte und Services, höhere Qualität und Innovativität der
Produkte, mehr soziales und umweltorientiertes Engagement, ethischeres Verhalten von
Unternehmen und vor Allem mehr Engagement und Vorrang für Kunden- und
Mitarbeiterorientierung vor Profitorientierung.2
Warum sind die Neuen Medien, ist das Internet mit all seinen Facetten, so zentral für diese
Herausforderungen?
Auf einen kurzen Nenner gebracht ist das Internet das erste Massenmedium bei dem das
Produktionsmittel gleichzeitig das Distributionsmittel und das Konsummittel ist (vgl.
Abb. 1.: Definition und wesentliche Charakteristika der Neuen Medien). D.h. jeder von uns
kann z.B. mithilfe seines Smartphones Inhalte (z.B. Filme, Bilder, Texte) produzieren,
kommentieren, weiterleiten, auf eigenen oder fremden Kanälen (z.B. Blogs, You Tube,
Facebook, eigen Website) distribuieren und konsumieren (z.B. lesen) oder verwenden (z.B.
zum Informieren, Vergleichen, Verhandeln, Kaufen, Beschweren bis hin zum Mitgestalten und
Individualisieren von Wertschöpfungsprozessen. Mit W-Lan und leistungsfähigen
Mobilfunknetzen kann dies jeder jederzeit und überall, häufig schneller, mit weniger Aufwand
als große Unternehmen und im Ergebnis meistens auch noch glaubwürdiger als viele
Unternehmen und Unternehmensvertreter. Im Extremfall kann ein Video eines verärgerten
Verbrauchers, eine Kundenstimme mittels Social Media mehr bewirken als eine
millionenschwere Kommunikationskampagne eines Unternehmens.
1
Univ.-Prof. Dr. Anton Meyer ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, Institut für Marketing an der LudwigMaximilians-Universität München, Version 15.01.2014
2
Vgl. diverse Edelman trustbarometer 2001-2014 für Deutschland und Global, sowie Zentes et.al,
Handelsmonitor 2010, Strategien der Nachhaltigkeit: People-Planet-Profit, Frankfurt a. M. 2010 und Morschett
et.al. Handelsmonitor2012/2013: Wie sich der europäische Einzelhandel verändern wird, Frankfurt a. M., 2013.
Abb. 1: Definition und wesentliche Charakteristika der Neuen Medien
In einer Welt, in der prinzipiell jeder real und digital senden und empfangen kann, herrscht also
zunehmend starker Gegenverkehr auf der einstigen Einbahnstraße (der klassischen
Kommunikation).
Kunden - letztendlich aber alle engagierten Stakeholder (auch Lieferanten, Mitarbeiter, Bürger,
Umweltorganisationen u.a.) - können die Initiative übernehmen und sich im Extremfall in
Echtzeit austauschen. Weil es in der Unternehmenskommunikation keine Einbahnstraßen mehr
gibt und die Beiträge von aktiven Stakeholdern vielfach glaubwürdiger sind als „offizielle
Aussagen“ von Unternehmern, ist ein grundlegendes Umdenken notwendig.
Die Neuen Medien und die Möglichkeiten, die mit ihnen verbunden sind erfordern es, dass die
Kommunikation interaktiver, persönlicher, offensiver aber gleichzeitig reaktiver und spontaner,
vor Allem aber glaubwürdiger wird.
Während früher noch ein größeres Grundvertrauen für Aussagen von Unternehmen und
Institutionen vorherrschte, muss heute erst einmal Misstrauen abgebaut werden. Der große
deutsche Soziologe Niklas Luhmann hat Vertrauen als eine riskante Vorleistung darauf
bezeichnet, dass ein Anderer seine opportunistischen Möglichkeiten nicht ausnützt.
Grundsätzlich sollte man davon ausgehen können, dass der Ranghöhere (Vorgesetzter versus
Mitarbeiter), aufgrund seiner größeren Macht, sich einen Vertrauensvorschuss eher leisten
kann. Das Gleiche gilt für Hersteller, Dienstleister und Verkäufer. Diese sollten mehr von ihren
Produkten und Leistungen wissen als die Käufer/Verbraucher und deshalb diese riskante
Vorleistung, also den Vertrauensvorschuss, erbringen.
Wenn aber beispielsweise die weltweiten Edelmann trustbarometer seit Jahren im Einklang mit
vielen anderen Studien tendenziell sowohl global als auch für Deutschland zeigen, dass
Informationen über ein Unternehmen, wenn sie von den CEO’s geäußert werden, wesentlich
weniger glaubwürdig sind, als wenn sie von Wissenschaftlern, technischen Experten des
Unternehmens oder Branchenexperten, „Menschen wie Du und ich“ oder gewöhnlichen
Mitarbeitern dieses Unternehmens stammen, dann wird deutlich, dass es ein
Glaubwürdigkeitsproblem der offiziellen Unternehmenskommunikation gibt.
Dieser Glaubwürdigkeitsgap ist größer bei großen Unternehmen und kleiner bei
Familienunternehmen und vor allem bei kleinen und mittleren, lokalen Unternehmen und
variiert zwischen verschiedenen Ländern, Branchen und Industrien (z.B. Finanzbranchen,
Automobilbranche, Lebensmittelindustrie). Insbesondere kleineren und mittelgroßen
Unternehmen wird also eher Vertrauen geschenkt als Großunternehmen (in Asien ist dies
allerdings anders!).
Generell ist über die Jahre aber ein sinkendes vertikales und steigendes horizontales
Vertrauen zu konstatieren. Dieser Befund geht einher mit der Beobachtung, dass gerade die
Neuen Medien und allen voran die sozialen Medien durch ihre o.g. erläuterten Charakteristika
einen teilweisen Steuerungs- und Kontrollverlust der Kommunikation für die Unternehmen zur
Folge haben. Dies heißt nicht, dass die unternehmensinitiierte („outbound“) Kommunikation
(z.B. TV-Spots, Handzettel, Pressemitteilungen) obsolet sind, sondern dass andere Formen wie
die kunden- bzw. stakeholderinitiierte Kommunikation (z.B. Service- oder Beschwerdemails)
und die interaktive („with“) Kommunikation (z.B. mit Mitarbeitern im Laden, auf Events,
Kunden untereinander im Laden/sozialen Medien) wichtiger werden (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Unternehmenskommunikation heute und morgen
Den Nachteilen des teilweisen Steuerungs- und Kontrollverlustes durch die abnehmende
Bedeutung der unternehmensinitiierten klassischen Kommunikation über bezahlte bzw. eigene
Kommunikationskanäle stehen die Vorteile der interaktiven und kunden- bzw.
stakeholderinitiierten Kommunikation gegenüber. Letztere liegen insbesondere darin, dass das
Involvement der Kunden, wenn sie die Kommunikation initiieren höher ist, sie aktiver und
engagierter sind und dann, wenn sie von dem Prozess und dem Ergebnis der Kommunikation
angetan u.U. nicht nur weiter dem Unternehmen verbunden bleiben, eher wieder kaufen und
vor allem auch dieses Kommunikationserlebnis mit anderen Kunden/Stakeholdern teilen und
so glaubwürdige Botschafter und Botschaften weiterstreuen. Diese sogenannten Augenblicke
der Wahrheit prägen die langfristigen Beziehungen zwischen Unternehmen und Marken mit
ihren Stakeholdern oftmals stärker weil sie emotional erlebt, oft als Geschichten weiter erzählt,
immer wieder erzählt und auch digital weitergeleitet werden. Im Ergebnis werden sie besser
erinnert und multipliziert und sind vor allem auch glaubwürdiger als unternehmensinitiierte
Massenkommunikation oder Pressemitteilungen. Gleichzeitig können technische
Vernetzungsmöglichkeiten (z.B. QR-Codes) dazu verwendet werden, dass Inbound, Outbound
und vor allem interaktive Kommunikation (-sinhalte) in und aus sozialen, unternehmenseigenen
und bezahlten Medien/Kanälen (generell, differenziert, individuell) in realer und digitaler Form
vernetzt und mehrfach an verschiedenen Touchpoints genutzt werden.
Diese „Augenblicke der Wahrheit“ stellen gleichzeitig aber auch höhere Anforderungen an das
Dürfen, Wollen und Können (Wissens-, Kommunikations-, Technik- und Sozialkompetenz) der
Mitarbeiter
im
interaktiven
Kundenkontakt
bzw.
–dialog.
Ein Beispiel: wenn ein Kunde mittels seines Smartphones in Echtzeit im Laden mehr und
widersprüchliche Informationen (z.B. aus Suchmaschinen, sozialen Medien, Projekt- Test- und
Preisvergleichen, Unternehmensinformationen z.B. über QR-Codes direkt am Produkt) in
Echtzeit abfragt und damit mehr Wissen hat als der Mitarbeiter, kann die hohe
Echtzeittransparenz in diesem „Augenblick der Wahrheit“ für den Mitarbeiter u.U. nicht
unproblematisch sein, obwohl es verständlich ist, dass ein „fokussierter und informierter“
Kunde gegenüber einem Mitarbeiter, der über eine Vielzahl von Produkten und Sortimenten im
„eigenen“ Laden Bescheid weiß, in diesem Moment im Nachteil ist. Umso wichtiger ist in
diesen Situationen wechselseitiges Vertrauen und ein Dialog auf Augenhöhe, möglichst auf
der Basis einer emotionalen Kundenbeziehung.
Die Entwicklung hin zu mehr Interaktivität in der Kommunikation und mehr realen oder
digitalen Interaktionen auf Augenhöhe zwischen Kunden, Mitarbeitern, Experten,
Meinungsführern u.a. Stakeholdern kann also mehr Transparenz, Glaubwürdigkeit und
horizontales Vertrauen schaffen und sicherlich auch vertikales Vertrauen teilweise ersetzen
Trotzdem ist die Frage, wie auch im Zeitalter der Digitalisierung mit erhöhter
Informationstransparenz und stärkerem Engagementpotential aller Stakeholder auch das
vertikale Vertrauen zwischen den Verantwortlichen von Institutionen und Unternehmen und
ihren diversen Stakeholdern, allen voran ihren Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und
Kapitalgebern weiter bzw. wieder gestärkt werden kann, ebenso wichtig.
Viele Studien von Marktforschungsinstituten, Beratungsunternehmen die den bereits zitierten
Edelman trustbarometerstudien und speziell unsere eigenen Studien am Institut für Marketing
an der LMU zu den Erwartungen und Anforderungen der Millennials (Gen Y, der zwischen
1981 und 1995 Geborenen) legen folgende verdichtete Schlussfolgerungen nahe:
-
gerade diese Generation, die erste, die mit der Digitalisierung aufgewachsen ist, ist der
Prototyp einer neuen Kunden- und Mitarbeitergeneration,
sie ist geprägt nicht nur durch die rasante Entwicklung der Digitalisierung,
sondern auch durch andere kollektive Erfahrungen als Heranwachsende, wie den Kampf
ihrer Eltern, insbesondere Mütter um Work-Life-Balance,
sie ist verwöhnt von den Eltern, oftmals „Mehrfacheltern“ (Patchwork-Familien)
und mit der Aussicht auf nicht unerhebliche Erbschaften,
dem ständigen Erleben von „medialen“ Kriegen (9/11, Irak, Afghanistan) und Krisen
(Umwelt-, Finanz-, Staaten-, Schuldenkrisen bzw. Katastrophen) etc. krisenerprobt.
Sie legt sowohl Wert auf Sinnstiftung, Nachhaltigkeit und Änderung der Spielregeln
von Unternehmen als auch auf Work-Life-Balance im eigenen Leben (Sabaticals, etc.).
Ihr Lebensmotto ist „Yolo“: You only live once. Diese Generation sollte nicht unterschätzt
werden, weil sie nicht nur prototypisch sein kann für den „Änderungsbedarf in der
Unternehmensführung“, sondern auch weil sie, besonders in Deutschland, eine „knappe“
Generation,
als
Arbeitnehmer,
als
Haushaltsgründungsgeneration
und
Vermögensbildungsgeneration (aus eigenem Einkommen) ist. Hinzu kommt, dass diese
Generation die erste ist, die etwas besser kann als ihre Eltern: der Umgang mit digitalen
Technologien und Geräten ist ihre große, kollektive Kernkompetenz, eine Tatsache, die nicht
nur ihr Selbstvertrauen stärkt, sondern auch mit einem höheren Vertrauen in digitale
Informationen und Informanten verbunden ist. Dies ist umso bemerkenswerter, weil der größte
Teil der aktuellen Entscheider in Unternehmen und Institutionen dieser Generation (noch) nicht
angehört.
Dies vorausgeschickt erklärt warum wir im Einklang mit den bereits zitierten Edelman Studien
zu der Empfehlung kommen, dass die Betriebserlaubnis („licence to operate“) eines
Unternehmens nachgewiesen durch aktuelle operative Performancezahlen nicht mehr genügt
um ein zukunftsgerichtetes, vertikales Vertrauen in ein Unternehmen
und die
Unternehmensführung zu schaffen. Vielmehr liegt der Schlüssel für mehr vertikales Vertrauen
im Zeitalter der Millennials in
-
-
mehr Engagement (z.B. durch Eingehen auf Kundenwünsche/Feedback, guter Umgang
mit Mitarbeitern),
der höheren Priorisierung von Kundenorientierung vor Profitorientierung,
regelmäßigeren und ehrlicheren Informationen über Geschäftszahlen,
mehr Integrität/Verantwortung und Transparenz insbesondere auch in Krisenzeiten und
in den Geschäftspraktiken,
mehr ethischem Verhalten und Sinnstiftung, mehr Sozial- und Umweltorientierung
(Aktivitäten zum Umweltschutz, Berücksichtigung von gesellschaftlichen Effekten im
Tagesgeschäft, wirkungsvolle soziale und umweltbezogene Programme auf lokaler
Ebene, Partnerschaften mit NGOs, öffentlichen Institutionen, etc. zur gemeinsamen
Lösung von gesellschaftlichen Problemen) und
höhere Qualität und Innovativität von Produkten und Dienstleistungen.
Nachdem wir mit der inhaltlichen Zusammenfassung diesen Beitrag begannen, wollen wir zum
Schluss noch die wichtigsten Herausforderungen speziell für die Unternehmensführung und
Kommunikationsverantwortlichen zusammenfassen (vgl. Abb. 3) und mit folgender
persönlicher Einschätzung schließen:
Zitat:
„Je mehr Internet, Automaten, Telefon und Selbstbedienung unser Leben bestimmen, desto
intensiver erleben wir unsere persönliche Begegnung und Interaktion mit Mitarbeitern im
Verkauf, Vertrieb und Service. Es sind diese „Augenblicke der Wahrheit“, die unsere
langfristigen Beziehungen zu den Unternehmen und ihren Marken prägen.“
Abb. 3: Einige Herausforderungen für Kommunikationsverantwortliche und Unternehmensleitungen
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