MEDIZINISCHE UNIVERSITÄT GRAZ UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR ZAHNMEDIZIN UND MUNDGESUNDHEIT KLINISCHE ABTEILUNG FÜR ZAHNERHALTUNG, PARODONTOLOGIE UND ZAHNERSATZKUNDE UNIV.-PROF. DR. MICHAEL HAAS 8010 GRAZ, BILLROTHGASSE 4, AUSTRIA TEL: +43 (316) 385-84739, E-MAIL: [email protected] 1 / 18 Von der parodontalen Diagnose zum Risikoprofil Grundlage für die definitive Therapieplanung Univ.-Prof. Dr. Michael Haas, Univ.-Doz. Dr. Gernot Wimmer Einleitung der Parodontien führt. Die Initiation und Untersuchungen im Auftrag der WHO Progression dieser Erkrankungen wird zeigen, dass etwa 80% der Bevölkerung darüber in Milieuveränderungen, systemische Bedin- Europa und Erkrankungen der Nordamerika Gingiva und an des gungen hinaus und durch eventuell lokale auch durch Parodontiums leiden. Zwei Drittel davon genetische Faktoren beeinflusst. benötigen eine umfassende parodontale Mit Suppression und Eradikation der Behandlung. parodontopathogenen Unter dem Begriff Mikroorganismen Parodontalerkrankungen versteht man im wird unter bestimmten Voraussetzungen weitesten Sinne pathologische Verän- nicht nur ein Ausheilen der Infektion derungen, hervorgerufen durch mikro- erreicht, sondern auch der Einsatz von bielle Infektionen, Neoplasien, entzün- Behandlungskonzepten in Kombination dliche mit Zustände und metabolische Kieferorthopädie Implantat- Die Therapie Störungen, welche Gingiva, parodontale therapie Gewebe und Alveolarknochen betreffen. parodontaler Erkrankungen besteht Zahlreiche vorwiegend aus initialen wissenschaftliche Studien ermöglicht. und einer beweisen, dass der Großteil parodontaler supragingivalen Erkrankungen entzündlicher Natur ist, Berücksichtigung lokaler und allgemeiner verursacht durch bakterielle Plaque im Risikofaktoren, Bereich des Zahnfleischrandes, wobei gingivaler Behandlung eine eventuell folgenden Plaque-Akkumulation bei initial gesunder Gingiva zu einer Entzündung Hygienetherapie anschließender Intervention. Einige Parodontitis reagieren sowie unter subeiner chirurgischen Formen der jedoch auf M. Haas Seite 2 konventionelle Behandlung mit keiner, Parodontitis oder nur geringer Verbesserung der irreversiblem klinischen Situation, Patienten ein oralhygienischer auch hohes Disziplin wenn die Verlust Maß an verbunden. aufbringen. hingegen des mit Zahnhalteapparates Als Sonderformen sind zusätzlich die Parodontitis bei Systemerkrankungen, einer ierende reduzierten meist entzündungsbedingtem Neben systemischen Erkrankungen oder allgemein ist nekrotisierend-ulzer- Gingivitis und Parodontitis Immunabwehr kann hierfür auch eine (NUG/NUP), der Parodontalabszess, die ätiologische Paro-Endoläsion Beteiligung hochvirulenter und entwicklungs- Mikroorganismen angeführt werden. In bedingte oder erworbene Veränderungen der rezenten Literatur wurden spezielle der Parodontien zu diagnostizieren. parodontopathogene Keime identifiziert, Aktuelle Entwicklungen der Diagnostik die für progrediente Krankheitsverläufe eröffnen und Patienten ein individuelles Risikoprofil mit Therapierefraktion gemacht werden. (Aggregatibacter mitans, verantwortlich Diese Keime actinomycetemco- Porphyromonas die Einschätzung Möglichkeit einer für jeden allgemeinen und zahnspezifischen Prognose zu erstellen, gingivalis, das sich auf objektivierbare Parameter Treponema stützt. Inhalt dieses Übersichtsartikels ist subgingivale analog zur Literatur die Darstellung dieser Biofilme, wo sie sich in bestimmten Parameter mit den daraus resultierenden Gruppen Behandlungsstrategien. Tannerella forsythensis, denticola) bestimmen organisieren. Zahnärztliche Inwieweit man Misserfolge ergeben sich häufig durch selbst diese Diagnostik und Therapie Nichterkennen bzw. erfolgloser Behan- umsetzt, wird vom jeweiligen Fachgebiet dlung der parodontalen Infektion. und Spezialisierungsgrad abhängen. Die Einteilung der Parodontal- erkrankungen wurde nach dem letzten Workshop der American Academy of Periodontology neu definiert, man unterscheiden heute zwischen Gingivitis, chronischer und aggressiver Parodontitis. Die Gingivitis, plaque- oder nicht plaquebedingt, verläuft defintionsgemäß ohne Attachmentverlust, Veränderungen sind reversibel. die Eine Parodontale Grunduntersuchung M. Haas Bei Seite 3 jedem Patienten der auch hier auf einen konstanten Druck von parodontale Gesundheitszustand befun- ca. 20p geachtet werden. Abhängig von det werden. der Kombination der Symptome wird Nicht bei jedem Patienten ist es jedoch sextantenweise nötig einen vollständigen Parodontal- geordnet status zu erheben. Mit der Parodontalen Untersuchung jedes Zahnes auch mit Grunduntersuchung Abtastung der Furkationsbereiche ist hier einfaches, muss (PGU) rasch steht ein durchführbares einer ein (Abb. rein 1). mesialen Eine zu- zirkuläre und distalen Screening zur Verfügung, mit dem sowohl Sondierung, bei Behandlungsbeginn als auch in der beschrieben wurde, vorzuziehen. Der Erhaltungstherapie nach jeweils höchste Grad wird sextantenweise parodontaler Gesundheit, Gingivitis oder dokumentiert, bei zusätzlichen klinischen Parodontitis einfach zu beantworten ist. Veränderungen, wie Furkationen, stark Die erhöhte die Frage PGU und ähnliche methoden, die aus (Community Screening- dem periodontal CPITN index of wie PGU-Grad dies teilweise Zahnbeweglichkeit mukogingivalen Problemen oder wird der Sextant zusätzlich mit einem Sternchen treatment needs) entstanden sind, haben (*) versehen. sich international zur Erkennung von Das Parodontalerkrankungen etabliert. Der Diagnose mit den daraus resultierenden Index Rahmen der Behandlungsschritten: nimmt parodontalen so im Grunddiagnostik eine Ergebnis ermöglicht Parodontale Gesundheit - ausführlicher beschrieben werden. Präventive Betreuung der Untersuchung wird eine erste - Grad 0: Sonderstellung ein und soll hier etwas Bei eine - Grad 1 + 2: vorzugsweise eine WHO-Sonde (Abb. 3, Gingivitis - Mundhygieneinstruktion, Deppeler®, Hu-Friedy®) zirkulär in den professionelle Zahnreinigung gingivalen Sulkus eingeführt und dabei - Grad 3 + 4: die Blutungsneigung (Bleeding on probing Parodontitis - - Systematische Parodontalbehandlung. BoP), Rauhigkeiten an der Zahnoberfläche durch Zahnstein oder Bei Füllungsränder bzw die Sondierungstiefe Ergebnis der PGU einen Verdacht auf (ST) jeder eine parodontalen Sondierungsmessung muss wird festgestellt. Wie bei allen Patienten, die Parodontalerkrankung eine Anamnese, durch das aufweisen, klinische Untersuchung mit einer umfassenden M. Haas Seite 4 parodontalen Befundung, Röntgen und exakte parodontalen Diagnose stellen zu eventuell mikrobiologische und gene- können. tische Test bzw. weitergehende Analysen (Funktion, Okklusion etc.) nötig, um eine Abb. 1) PGU-Grade mit daraus abgeleiteter Bewertung und Diagnose: Grad 1 zeigt Sondierungstiefen <3,5mm mit positiver Blutung auf Sondierung, Grad 2 <3,5mm mit oder ohne positiver Blutung auf Sondierung mit tastbarem Zahnstein oder Füllungsrand, Grad 3 Sondierungstiefen zwischen 3,5 und 5,5mm - Grad 4 Sondierungstiefen >5,5mm beide mit positiver oder negativer Blutung auf Sondierung bzw. positivem oder negativem Zahnstein oder Füllungsrand. Parodontaler Untersuchungsgang 1. Allgemeine Anamnese und medizinische Abklärung - Frage nach dem Hauptanliegen des Patienten - Allgemeine und zahnbezogene Anamnese - Allgemeinmedizinische Abklärung endogener und exogener Risikofaktoren: - Rauchen - Systemerkrankungen (Diabetes, HIV, Osteoporose) - Alkohol, Medikamente, Ernährung - Psychosoziale Faktoren, Stress - Schwangerschaft - Genetik: Interleukin 1-Polymorphismus, Hypercholesterinämie, Zyklische Neutropenie 2. Intra- und extraorale Befunderhebung - Zahnstatus - Anatomie und Pathologie der parodontalen Strukturen - Inspektion der Mundschleimhaut, Zunge, Zungengrund - Aberrante Frenula M. Haas Seite 5 - Kariesstatus, Vitalitätsstatus - Halitosis (Mundgeruch) - Mundatmung-Nasenatmung - Lymphknotenschwellung Eine exakte Bestimmung der Vitalität ist für die Diagnose einer Endo- bzw. ParoEndoläsion obligatorisch durchzuführen. Devitale Zähne, Karies und mangelhaft endodontisch oder prothetisch-restaurativ versorgte Zähne müssen am Beginn bzw. während der initialen Therapie behandelt werden. 3. Röntgendiagnostik - Orthopantomogramm (obligat) - Parodontaler Röntgenstatus in Rechtwinkeltechnik 4. Parodontale Dokumentation Bei der Erstellung der Dokumentation kann in obligatorische Parameter, die zumindest einmal zu erheben sind, von fakultativen, die nur im Einzelfall bzw. bei speziellen Fragestellungen erfasst werden, unterschieden werden (Abb. 2). In der folgenden Übersicht und im Kapitel Defektmorphologie wird auch auf die prognostische Aussagekraft der Ergebnisse eingegangen. Abb. 2) Obligatorische und fakultative Inhalte der parodontologischen Dokumentation. 4.1 Plaqueindex nach O’Leary Dieser Hygieneindex wird dichotom (ja/nein) an 4 Stellen pro Zahn erhoben und als Prozentsatz angegeben (Gesamtzahl der positiven Einzelbefunde x 100, dividiert durch die Anzahl der Zähne). Als empirischer Grenzwert ist nach der Hygienephase ein Wert 20% bis 30% zu fordern. Bei Nichterreichen ist von weiterführender Parodontaltherapie bzw. komplexen interdisziplinären Konzepten abzusehen. M. Haas 4.2 In Seite 6 Bleeding on probing (BoP-Index) Kombination mit dem Sondierungsstatus oder als getrennt durchgeführte Dokumentation wird die Blutung auf Sondierung und Suppuration ebenfalls dichotom pro Zahn (ja/nein) erhoben und als Prozentsatz angegeben. Jeder positive Befund ist Zeichen einer aktiven Entzündung mit Behandlungsbedarf. Bei Persistenz stellen beide Befunde prognostisch ungünstige Parameter dar. Negative Befunde sind ein Garant für parodontale Stabilität. 4.3 Parodontalstatus - Sondierungstiefe: Distanz vom Taschenfundus zum Gingivalrand. - Attachmentniveau: Distanz vom Taschenfundus zur Schmelz-Zementgrenze oder einem Referenzpunkt am Zahn (z.B. Restaurationsrand). Zur Standardisierung der Messung von Sondierungstiefe und Attachmentlevel sollten druckkalibrierten Sondensystemen (Abb. 3, Aesculap®, Florida Probe®) in 6 Punktmessung mit dem Ziel, die gesamte sulkuläre Zirkumferenz des Zahnes zu sondieren, verwendet werden. Implantate sollten zum Schutz der Titanoberflächen mit speziellen Kunststoff-Sonden untersucht werden (Abb. 3, Deppeler® Perititan Probe). - Furkationsbefall: obligatorisch bei allen mehrwurzeligen Zähnen. Die Sondierung der Defekttiefe mit einer gebogenen Furkationssonde nach Nabers (Abb. 3, Deppeler®) in horizontaler Richtung: F1 = bis 3mm F2 = über 3mm F3 = durchgängige Furkation Abb. 3) a) Gerade WHO-Sonde mit einem Durchmesser von 0,5mm und einem kugelförmigen Instrumentenende zur besseren taktilen Erfassung von subgingivalen Konkrementen, b) druckkalibrierte gerade Parodontalsonde, c) gebogene Furkationssonde, d) Implantatsonde aus Kunststoff. M. Haas Seite 7 - Zahnbeweglichkeit nach mod. Millerindex: erhöhte Beweglichkeit wird dokumentiert: Grad 0: physiologische Beweglichkeit Grad 1: Beweglichkeit klinisch feststellbar Grad 2: horizontale Beweglichkeit bis zu 1mm Grad 3: horizontale Beweglichkeit über 1mm Grad 4: vertikale und rotatorische Beweglichkeit. Beweglichkeitsgrad 4 stellt zusammen mit einem entsprechenden Röntgenbefund einen prognostisch ungünstigen Parameter mit Indikation zur Zahnextraktion dar. - Beurteilung der Gingiva: Erosionen, Verletzungen, Stillman-Cleft, Ulzerationen - Vermessung der Breite der Gingiva propria - Vermessung der Rezessionen (Distanz Gingivalrand zur Schmelz-Zementgrenze oder Referenzpunkt am Zahn) - Dokumentation der Rezessionsgrade erfolgt fakultativ bei mukogingivalen Problemen: Grad 1 Ausdehnung bis zur Mukogingivalgrenze ohne interdentalen Knochenverlust Grad 2 Ausdehnung über die Mukogingivalgrenze ohne interdentalen Knochenverlust Grad 3 Kombination mit interdentalem Knochenverlust Grad 4 Kombination mit interdentalen Knochenkratern. Während ein Grad 1 und 2 mit parodontalplastischen Techniken weitgehend gedeckt werden können, ist dies bei Grad 3 und 4 nur partiell bzw. nicht möglich. 4.4 Fotostatus - Frontalansicht bei geschlossener Zahnreihe - Übersicht von okklusal - Oberkiefer, Unterkiefer (Spiegelaufnahme) - Seite rechts und links bei geschlossener Zahnreihe. Auf eine Fotodokumentation sollte aus medizinischen und forensischen Gründen nicht verzichtet werden. 4.5 Funktionsdiagnostik - Klinische Funktionsanalyse nach dem Grazer Dysfunktionsindex. - Erweiterte Analyse: Instrumentelle Funktionsanalyse (Modellanalyse, Gelenkbahnaufzeichnung), Bildgebende Verfahren (NMR, Tomogramme), Orthopädischer und psychologischer Status. M. Haas Seite 8 Als erster Schritt wird eine klinische ausgedrückt. Die Gewichtung der als Funktionsanalyse Das dysfunktional und symptome orientiert sich an im Schrifttum funktionsbezogene Diagnose bestimmen immer wieder genannten Kriterien, wobei den Aufwand einer etwaigen erweiterten stets die übergreifende Betrachtung des Analyse. neuromuskulären Reflexgeschehens an- Ergebnis, Die durchgeführt. Dysfunktionsindex Eckdaten zur Dysfunktionsindex Erstellung werden durch einzustufenden Einzel- des zustreben ist. die Als Ergebnis ergibt sich eine Zuordnung qualitative und quantitative Bewertung der Patienten in 4 Dysfunktionsgruppen: anamnestischer - und symptomato- Orthofunktion: logischer Faktoren erhalten, welche bei subjektiv symptomfrei, keine oder Patienten mit Funktionsstörungen immer klinisch irrelevante Befunde wieder anzutreffen sind und welche zum - Kompensation: Teil den Beschreibungen, wie sie die leichte Beschwerden, klinische klassische Anzeichen einer gestörten anbietet, klinische Funktionsanalyse abgeleitet gewichtet die sind. Daten Funktionsanalyse Der der und Index klinischen setzt Kaufunktion, gute Prognose - sie Kompensation: erhebliche Beschwerden, zueinander in Beziehung. Die Resultate schwerwiegend veränderte klinische aus Parameter, Prognose fragwürdig der Bewertung von über 30 Parametern stellen einen Zahlenwert dar, der eine quantitative Momentaufnahme und qualitative des Funktionszu- standes symbolisiert. Dabei wird von - Malfunktion: schwere subjektive Symptome, klinische Anzeichen für irreversible somatische Schäden. einem definierten Prognose und Verlauf von Funktions- Normalbefund (= 0) ausgegangen und störungen können unter Kontrolle des werden mit sich numerisch ändernden Index beurteilt Zahlenwerten zwischen eins und vier werden. Damit sind Aussagen über das ”zensuriert”. Verhältnis zwischen Symptomatik und Abweichungen Der Leitsymptome davon Stellenwert Schmerz, Mobilität, Gelenksgeräusche, Okklusion Muskelbefund Rahmen im dysfunktionellen durch diese individueller Regelgüte möglich. und Weiters besteht die Möglichkeit, die für eines den Dysfunktionsindex relevanten Daten wird EDV-gestützt zu erfassen und weiter zu unmittelbar bearbeiten. Mit Hilfe einer an der Klinik in Zustandsbildes Zahlenwerte der M. Haas Seite 9 Graz entwickelten Software (WinDent®) Parafunktion, können quantitative Zusatzinformationen Parodontalbehandlung (Abb. 4) zumin- erhalten werden, wie die Art und die dest eine instrumentelle Analyse mit Verteilung Modellanalyse, Artikulatormontage, ev. der Hauptsymptome res- wird im mit Rahmen pektive die prozentuale Aufschlüsselung Schienentherapie der Phänomene am neuromuskulären okklusalen Adjustierung nötig. der anschließender System. Darüber hinaus ist das nach dem Wesen eines Expertensystems auf- gebaute Programm in der Lage, eine qualitative Arbeitsdiagnose mit Prognose und entsprechender Therapieempfehlung zu erstellen. Eine mögliche irreversible Schädigung desmodontaler okklusale Strukturen durch Fehlbelastungen bei bestehender Parodontitis ist mehrfach nachgewiesen. Bei funktionellen Diagnosen, wie Okklusionsinduzierte Dysfunktion, dentale oder muskuläre Abb. 4) Zeitlicher Ablauf des parodontalen Behandlungskonzeptes. M. Haas Seite 10 4.6 Mikrobielle Diagnostik An einer aggressiven Bedeutung, nicht am Beginn der initialen Form der Parodontalbehandlung, sondern wenn marginalen Parodontitis, die primär als nach erfolgreichen ersten Behandlungs- bakterielle Infektion angesehen werden schritten (abgeschlossene Hygienephase, kann, der supra- und subgingivale Zahnreinigung Erreger mit antiseptischer Therapie) nicht alle parodontaler Erkrankungen sind vor allem entzündliche Läsionen beseitigt werden schwarzpigmentierende, konnten. erkranken Bevölkerung. ca. 10-15 % Potentielle gramnegative aerobe bzw. fakultativ anaerobe und Es gibt viele Gründe die Mikroorganismen anaerobe zu identifizieren. Nicht nur die Auswahl Stäbchen. Als wichtigste Vertreter sind hier Aggregatibacter eines entsprechenden Antibiotikums wird actinomycetemcomitans (Aa), verbessert, Porphyromonas gingivalis (Pg), Bestätigung der Verdachtsdiagnose einer Tannerella forsythensis (Tf), aggressiven Parodontitis. Prognose und Prevotella intermedia (Pi) sowie Risikoprofil Treponema denticola (Td) zu nennen. Verlaufskontrolle der Erkrankung und die Campylobacter rectus (Cr), Prävention Fusobacterium nucleatum (Fn), Personen (Familie) werden erleichtert. Peptostreptococcus micros (Pm), Weiters richtet sich die Therapieauswahl Eubacterium nodatum (En), ebenfalls nach dem Keimspektrum, Eikenella corrodens (Ec), nachdem Aa auf konservative Capnocytophaga species (Cs) Maßnahmen kaum Wirkung zeigt, Pg werden als moderat bis schwach durch sondern man werden noch erhält präzisiert, nicht konservative und die die erkrankter chirurgische pathogen eingestuft. Techniken reduziert werden kann. Die größte Pathogenität weisen Aa und Die Züchtung der Erreger galt lange Zeit Pg als Methode der Wahl. Vorteile der auf, welche schwierig aus der parodontalen Tasche zu entfernen sind Bakterienkulturen und Möglichkeit ein größeres Spektrum mit scheinbar auch die Fähigkeit besitzen, ins Gewebe vorzudringen, um vielleicht auf für Bakterien andere, zum Teil kommensale Bakterien Erstellung zu bilden. Nachteilig Für diese diese Weise Eintrittspforten Patienten gewinnt mikrobiologische Diagnostik an die auch liegen nicht zu nachzuweisen eines sind in der erwartende und in der Antibiogramms. die schwierigen Transportbedingungen, mögliche Kontamination und der Nachweis anaerober M. Haas Seite 11 Bakterien als quantitativer Weiters scheinen Nachweis. nach neuester 4.7 Parodontitisrisikotest Veränderungen des Interleukin-1- Forschung oraler Biofilme nur 20% der Genclusters (in den Genen IL-1A-889 und Keime der Mundhöhle kultivierbar zu IL-1B+3953) sein. Überproduktion von Interleukin-1, einem Bei DNA-Gensonden stellen sich diese wichtigen Probleme nicht, da die Mikroorganismen Immunsystems, führen. Durch diesen für diese Verfahren nicht lebensfähig sein Genotyp müssen. Durch die hohe Spezifität der Parodontitis beeinflusst. Bei IL-1-Genotyp Polymerase-Kettenreaktion (PCR) wird positiven Patienten ein Reaktion auf spezifischer Nachweis von und Bruchstücken Erbsubstanz der Leitkeime deutlich Nachweisgrenze quantitativer oben von einer Entzündungsmediator wird der des Schweregrad kommt Bakterien der es zu als einer Überproduktion von IL-1. Im Sulcusfluid angeführten sind Prostaglandin E2, IL-1 beta, IL-2 in unter der hohen Dosen, Tumornekrosefaktor alpha Kulturverfahren und Interferon gamma in mittlerer und IL4, Mitteleuropa zu der erzielt. In können in geringer Konzentration verwendete nachweisbar. Kommen andere Risiko- DNA-Sondentest faktoren wie in erster Linie das Rauchen micro-IDent® für 5 bzw. micro-IDent® plus hinzu, potenziert sich die Wahrschein- für 13 Keime. Erste klinische Erfahrungen lichkeit nach implantitis zu erkranken. Analysen sind über häufig IL-6 der einem Jahr mit dem an Parodontitis oder Peri- gezeigt, Beim Genotype PST® plus wird mit einem dass doch bis zu 10% der Parodontitiden sterilen Wattestäbchen ein Abstrich der ohne die klassischen Leitkeime (Aa, Pg, Wangenschleimhaut durchgeführt. Die Tf) ablaufen und so diese erweiterte molekulargenetische Bestimmung der Analyse durchaus Sinn macht. Die auf Konstellation von IL-1 und des IL-1- der PCR aufgebauten Analysen weisen Rezeptorantagonisten eine Versand in ein entsprechendes Labor. erweiterten Spektrum hohe haben Treffsicherheit und Reproduzierbarkeit auf. Das zeigt auch Seit die Zusammenhänge hohe Übereinstimmung der dem erfolgt Erkennen zwischen nach möglicher dem Ergebnisse im Vergleich zu anderen Interleukin-1 Polymorphismus und der Methoden DNA-DNA Parodontitis werden diese kontroversiell hybridization) der angloamerikanischen diskutiert. Heitz-Mayfield stellt 2005 in Literatur. einer Literaturübersicht fest, dass die (checkerboard M. Haas Seite 12 Beweisführung Interleukin-1 des Einflusses Genotyps und des anderer Es gibt keine exakten Daten über die Verteilung des Genotyps der Risikofaktoren, wie die Osteoporose und Bevölkerung psychosoziale Faktoren, auf Parodontitis werden und Gingivitis unzureichend ist. Nach Patientengut dem aktuellen Wissensstand scheint ein Parodontitis positiver IL-1-Genotyp allein kein Hinweis immerhin 41% einen positiven Befund, für eine zu erwartenden Erkrankung zu 62% davon waren Raucher (Abb.5). sein. Bei unterstützender Parodontal- Insgesamt behandlung zeigen sich keine Unter- Genotype PST® plus bei aggressiver schiede Parodontitis im Genotyp Krankheitsbild positiven von und IL-1- negativen Mitteleuropas, in angenommen. zeigten Bei von erkrankten Gründe in die genug, 10-15% unserem 315 an Patienten um den Routinediagnostik aufzunehmen. Patienten. Abb. 5) Verteilung des IL-1 Polymorphismus von 315 an Parodontitis erkrankten Patienten (2000 - 2007), Parodontologie Graz. 4.8 C-reaktives Protein (hsCRP) Patienten mit aggressiver und darstellen. Nach kurzfristigem Anstieg chronischer Parodontitis als von CRP während der Behandlung der Ausdruck der systemischen Entzündung Parodontitis kommt es bei erfolgreicher eine Erhöhung hochsensitiver C-reaktiver Therapie letztlich durch die Reduktion der Proteine im Serum. Der CRP-Wert stellt Entzündung auch zu einer Verminderung einen Marker für Entzündungen dar. Man des geht davon aus, dass Werte von >3mg/l geringes ein hohes Risiko für cardiovaskuläre und wissenschaftlichen Interesse an diesem zerebrovaskuläre Erkrankungen Parameter, die langfristige Reduktion des zeigen CRP-Wertes, Risiko. <1mg/l Neben bedeutet dem M. Haas Seite 13 CRP-Wertes wurde Interventionsstudien über wirkungen der in die Aus- Parodontitis auf Allgemeinerkrankungen nachgewiesen, hat dessen fakultative Bestimmung z.B. bei Risikopatienten auch praktische Bedeutung erlangt. Defektmorphologie Die Beurteilung der Defektmorphologie ist Voraussagbare Ergebnisse werden bei ein gut entscheidender Faktor für die umschlossenen infraalveolären Prognose und Indikation regenerativer Knochendefekten Parodontalchirurgie. Die Einschätzung ist Knochentaschen) erzielt. Bei anderen durch diagnostischen Defekten (1-wandige Knochentaschen, (Sondierungsbefund, interdentalen Kratern, flache Knochen- Röntgen) nicht immer einfach - die defekte, Furkationen der Klasse II und III, Entscheidung für Zahnerhaltung oder horizontaler Knochenabbau) sind zwar Extraktion erst Einzelerfolge möglich, die Regeneration der ist jedoch mit heutigen Mitteln schlecht Defektmorphologie kann eine parodontale steuerbar, nicht voraussagbar und damit Regeneration im Sinne einer „Restitutio von fragwürdiger Prognose (Abb. 6). ad Ohne im Rahmen dieses Artikels auf die die initialen Möglichkeiten fällt intraoperativ. integrum“ in Grenzwerten Abhängig durch von unterschiedliche Techniken erreicht werden. Membrantechniken Moleküle (GTR), (2-, 3-wandige spezifischen Probleme der angeführten spezifische Techniken eingehen zu können, sei hier (Schmelzmatrixproteine, festgehalten, dass zumindest 2- und 3- Wachstumsfaktoren, Adhäsionsproteine), wandige alloplastische Materialien, autogener oder zahnerhaltenden allogener sind. Knochen werden entweder isoliert oder in Kombinationen eingesetzt. Knochentaschen Therapie einer zuzuführen M. Haas Seite 14 Abb.6) Die Art der Defektmorphologie bestimmt die Prognose. Für die Klassifizierung der infraalveolären Defekte werden die vorhandenen Knochenwände herangezogen. Durch regenerative Techniken kommt es der dekontaminierten Wurzeloberfläche durch Vermeidung der Epithelproliferation kommt, konnte im Tierexperiment durch auch ortho- Kombination von Emdogain® und einer dontischen Ausgangssituation. Während resorbierbaren Membran nach Trans- es ohne lation bzw. Intrusion eine 70-80%-ige der parodontale Regeneration nachgewiesen zu durch regenerative einer veränderten Zahnbewegungen Technik Standardheilung zur gemäß Saumepithel- werden. migration bis zur apikalen Begrenzung Risikoprofil - Therapieplanung Am Ende der Initialen Therapie werden Extraktionen, Kieferorthopädie, Implantat- die therapie vorliegenden Befunde in einem bzw. einer Risikoprofil zusammengefasst, um daraus restaurativer den zu Schema, das am Beispiel von 4 Patienten entwickeln. Als Entscheidungshilfe für mit aggressiver Parodontitis dargestellt ist zahnerhaltenden Maßnahmen oder (Abb. 7). definitiven Behandlungsplan Versorgung, prothetischdient ein M. Haas Seite 15 Abb. 7) Die verschiedenen Konstellationen der Befunde ergeben 4 Strategien, dargestellt an Beispielen von Patienten mit aggressiver Parodontitis, absolute Indikation beruht auf Basis evidenzbasierender Daten. Variante A) Paro - KFO - Perioprothetik mit weitgehender Zahnerhaltung: Voraussetzungen dafür sind gute Hygiene, günstige mikrobiologische Verhältnisse, Defektmorphologien mit guter Prognose und keine exogenen Risikofaktoren. Variante B) Paro - KFO - Perioprothetik in Kombination mit Implantattherapie: „B“ unterscheidet sich von „A“ in der Beurteilung der Defektmorphologie. Bei schlechter Prognose bzw. erfolgloser Therapie werden die Zähne extrahiert und durch Implantate ersetzt. Variante C) Totale Implantation: Ist es nach Ausschöpfung aller Maßnahmen nicht möglich die mikrobiologische Situation zu verbessern und liegen prognostisch ungünstige Defekte vor, ist bei weit fortgeschrittener Erkrankung die totale Extraktion mit anschließender Implantation angezeigt. Variante D) Konventionelle Prothetik: Kommen zu einer unzureichenden Hygiene noch andere Risikofaktoren hinzu, wie z.B. die Kombination von Rauchen und positivem Interleukin-1Genotyp ist eine konventionelle teilprothetische Rehabilitation vorzuziehen. Bei komplexen Strategien (Kieferorthopädie, implantologische Konzepte) wäre hier mit erhöhten Komplikationsraten zu rechnen. MEDIZINISCHE UNIVERSITÄT GRAZ UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR ZAHNMEDIZIN UND MUNDGESUNDHEIT KLINISCHE ABTEILUNG FÜR ZAHNERHALTUNG, PARODONTOLOGIE UND ZAHNERSATZKUNDE UNIV.-PROF. DR. MICHAEL HAAS 8010 GRAZ, BILLROTHGASSE 4, AUSTRIA TEL: +43 (316) 385-84739, E-MAIL: [email protected] 16 / 18 Von der parodontalen Diagnose zum Risikoprofil Grundlage für die definitive Therapieplanung Univ.-Prof. Dr. Michael Haas, Univ.-Doz. Dr. Gernot Wimmer funktionell Diskussion und zufriedenstellende ästhetisch Ergebnisse zu Eine systematische Befunderhebung ist erzielen. Im Besonderen gilt dies für den für Parodontal- unbezahnten Patienten - hier bestätigt erkrankungen unerlässlich. Das im Jahr sich heute in der Literatur die oftmals 1992 entwickelte und analog zur Literatur beobachtete Tatsache, dass es zwar laufend adaptierte Planungsschema ist einerseits innerhalb von 2 Wochen zu zwar einer Besiedelung periimplantärer die Therapie in erster der Linie für den Parodontitispatienten gedacht, lässt sich aber für jeden Patienten als Checkliste zur Qualitätssicherung anwenden. Wir Taschen entfernen uns durch die Einbeziehung Bakterien kommen kann, andererseits exogener und endogener parodontopathogene Keime nach Ex- Risikofaktoren in die Therapie von der traktion aller Zähne beinahe zu 100% aus traditionellen Zahnheilkunde, bei der es der Mundhöhle verschwinden. Es besteht meist um die Korrektur anatomischer und also nicht die Gefahr, dass Patienten mit morphologischer Strukturen geht. Auch parodontaler Vorgeschichte nach totaler wenn viele Fragen der Parodontitis- Implantation genese noch nicht beantwortet sind, automatisch können erkranken, es sei denn sie erleiden eine wir beginnen diagnostischen mit Daten harten Konzepte umzusetzen. Die mit parodontitis-assoziierten (Planungsvariante an eröffnet die Zahnerhaltung Implantattherapie Möglichkeit mit Erfolgsraten von 88-97% kontroversiell im Komplikationsraten Implantaten teilbezahnten erfolgreicher Gebiss nach Parodontaltherapie Periimplantitis Neuinfektion. Parodontale Implantattherapie einer C) sollte diskutiert sind und nicht werden. Die von Zähnen und mit 5-10% nach M. Haas Seite 17 maximaler Beobachtungszeiten von 30 Jahren miteinander vergleichbar. Ein ähnliches Bild ergibt auch ein Vergleich von „Systemic reviews“ zahngetragener und implantatgetragener Restaurationen. MEDIZINISCHE UNIVERSITÄT GRAZ UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR ZAHNMEDIZIN UND MUNDGESUNDHEIT KLINISCHE ABTEILUNG FÜR ZAHNERHALTUNG, PARODONTOLOGIE UND ZAHNERSATZKUNDE UNIV.-PROF. DR. MICHAEL HAAS 8010 GRAZ, BILLROTHGASSE 4, AUSTRIA TEL: +43 (316) 385-84739, E-MAIL: [email protected] 18 / 18 Von der parodontalen Diagnose zum Risikoprofil Grundlage für die definitive Therapieplanung Univ.-Prof. Dr. Michael Haas, Univ.-Doz. Dr. Gernot Wimmer Literatur, Befundblätter und Herstellernachweis Literatur ist beim Verfasser erhältlich (Haas M, Wimmer G. From periodontal diagnosis to risk profile: Treatment planning based on objective parameters. Inf Orthod Kieferorthop 2008;40:1-13). Befundbögen und Diagnoseblätter stehen unter www.dentalhygieneschule.com als Download zur Verfügung. Die beschriebene parodontale Befunderhebung und die klinische Funktionsanalyse ist Bestandteil der medizinischen Module der Dentalsofware WinDent®. Der parodontale Untersuchungsgang entspricht dem empfohlenen Vorgehen des Wissenschaftlichen Beirates der Österreichischen Gesellschaft für Parodontologie (www.oegp.at). Produktinfo: - Deppeler® HH12DMS (Deppeler, Rolle/Schweiz) - Hu-Friedy® CP-18 (Hu-Friedy, Leimen/Deutschland) - Aesculap® DB765R (Aesculap, Melsungen/Deutschland) - Florida Probe® (Florida Probe Corporation, Gainesville/USA) - Perititan Probe Deppeler® PP12DMS (Deppeler, Rolle/Schweiz) - Deppeler® ZA3 Furkationssonde (Deppeler, Rolle/Schweiz) - WinDent® (HPL Software, Graz/Österreich) - microDent®, micro-IDent® plus (Hain Diagnostika GMBH, Nehren/Deutschland) - Genotype PST® plus (Hain Diagnostika GMBH, Nehren/Deutschland)