Nüchterner Glaube Gottesdienst zum 1.Sonntag nach Epiphanias Bangkok, Gemeindehaus 15.1.2017, 11.00 Uhr Evangelium: Matth. 3,13-17 Lieder: Predigttext: Röm. 12,1-8 EG 70,1+3; EG 66,1+7-8 Liebe Gemeinde Gott wird Mensch. So haben wir es in den Gottesdiensten zur Weihnacht gehört. Jesus ist Gottes Sohn. So bekennen es die Christen von Anfang an. Doch wie sollen wir diese Worte eigentlich verstehen? Was bedeutet das: Jesus ist Gottes Sohn? Wie ist Jesus Gottes Sohn geworden? Und was hat das für Folgen für uns wenn wir das glauben und bekennen: Jesus ist Gottes Sohn ? Das Spannende ist dass das Neue Testament mehrere Antworten auf diese Frage gibt. Eine Antwort wie sie die Evangelien des Lukas und des Matthäus überliefern kennen Sie aus den vertrauten Weihnachtsgeschichten: Gottes heiliger Geist kommt über Maria. In dem Kind Jesus begegnen sich Himmel und Erde – leibhaftig. So wird Jesus Gottes Sohn. 1.So.n.Epiphanias II Röm.12,1-8 Predigt Bangkok 15.1.2017 Eine andere Antwort die das Evangelium nach Johannes überliefert haben Sie vielleicht auch schon gehört: Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und das Wort ist Mensch geworden, und wir sahen seine Herrlichkeit den Lichtglanz des Sohnes, aus Gott geboren. Schon seit Anfang der Welt ist Jesus Gottes Sohn. Ist wie Gott schon immer da. Und wird dann Mensch, mitten unter uns. Eine dritte Antwort haben wir gerade im Evangelium des Matthäus gehört und sie steht auch am Anfang des Markusevangeliums das ja gar keine Weihnachtsgeschichte kennt: Jesus wird getauft. Und in seiner Taufe öffnet sich der Himmel und eine Stimme sagt: „Dies ist mein lieber Sohn.“ Jesus wird adoptiert. So wird er Gottes Sohn. Liebe Gemeinde vielleicht wenden Sie jetzt ein: das ist ja alles ganz interessant aber warum ist das überhaupt wichtig? Viel entscheidender ist doch wohl die Frage: was bedeutet das für uns, ob Jesus Gottes Sohn ist? Und macht es einen Unterschied ob wir das glauben, oder nicht? Liebe Gemeinde ja, es macht einen Unterschied. Denn im Neuen Testament wird ja nicht nur gesagt dass Jesus Gottes Sohn ist. Sondern auch: dass wir, die Christenmenschen durch Jesus auch Kinder Gottes werden, auch Söhne und Töchter Gottes werden. Also: auch bei unserer Taufe hat sich der Himmel geöffnet, hat eine Stimme gesprochen: Du bist mein geliebter Sohn. Du bist meine geliebte Tochter. An dir habe ich Wohlgefallen. Du bist mein. Aber wieso haben wir das nicht gehört? Vielleicht liegt das daran, dass die meisten von uns als kleine Kinder getauft wurden und dass wir uns nicht mehr erinnern können. Vielleicht liegt das aber auch daran dass wir, und vielleicht auch unsere Eltern und Paten uns gar nicht vorstellen konnten dass sich auch in uns, leibhaftig Himmel und Erde verbinden sollen. Aber vielleicht ist auch hier eine andere Frage viel drängender: wenn ich in meiner Taufe so mit Gott verbunden worden bin wenn Jesus mein älterer Bruder ist und all die anderen Christenmenschen auch meine Brüder und Schwestern sind – aber wie auch immer, wenn ich nun durch meine Taufe so hereingeraten bin in Gottes große Familie – was heißt das für mein Leben? Was verändert sich da oder, was müsste ich verändern? Der Apostel Paulus der große geistliche Lehrer in der ersten Generation der Christen hat immer wieder versucht auf diese Frage möglichst konkrete Antworten zu finden. Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist so ein Versuch einer Antwort. In seinem Brief an die Christen in Rom hat der Paulus zunächst 11 Kapitel lang zusammengefasst was der christliche Glaube bedeutet wie Menschen durch Christus frei werden können von Verzweiflung und Größenwahn und von Rechthaberei und wie durch die Taufe ein neuer Geist in unser Leben kommt: Welche aber Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Und dann, vom 12. Kapitel an versucht Paulus zu beschreiben was denn dieser Glaube nun für das alltägliche Leben bedeutet. Wir hören die ersten Verse dieses Kapitels: Röm.12,1-8 Liebe Gemeinde Sie wissen ja: Freunde kann man sich aussuchen, Geschwister kann man sich nicht aussuchen die kann man manchmal nur ertragen – Paulus nennt eine Reihe von Beispielen wie Christen leben können und sollen. Aber das Wichtigste sind die ersten Verse. 1.So.n.Epiphanias II Röm.12,1-8 Predigt Bangkok 15.1.2017 Sie sind so etwas wie eine Überschrift über all die Beispiele, die Paulus aufzählt: Ich ermahne euch, Schwestern und Brüder – weil Gott barmherzig ist zu uns darum gebt eure Leiber zum Opfer. Das ist ein vernünftiger Gottesdienst. Und passt euch nicht dem Zeitgeist an gebraucht euren Verstand in einer neuen Weise – so könnt ihr prüfen, was Gottes Wille ist: nämlich das Gute, das Erfüllende und das Vollkommene. Liebe Gemeinde vernünftiger Gottesdienst? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Lebt unser Glaube nicht gerade aus einer Kraft die größer ist als alle Vernunft? Und sind im Glauben nicht auch gerade unsere Gefühle unsere Träume und Sehnsüchte wichtig? Und dann auch noch: gebt eure Leiber als Opfer! Das klingt ja nach finsterstem Mittelalter nach religiösem Fanatismus nach Leidenssehnsucht und Körperfeindlichkeit. Vielleicht können wir eher über ein anderes Stichwort den Einstieg finden in das, was der Apostel Paulus meint: Passt euch nicht dem Zeitgeist an gebraucht euren Verstand in einer neuen Weise – so könnt ihr prüfen, was Gottes Wille ist. Lauft nicht mit der Masse! Lasst euch nicht durch jede Mode beeindrucken! Seid anders! 1.So.n.Epiphanias II Röm.12,1-8 Predigt Bangkok 15.1.2017 Da spricht Paulus etwas in uns an: in einer Welt, in der alles immer ähnlicher, immer eintöniger wird möchten wir gerne Individuen sein Einzelmenschen, die man erkennen kann die auch mal gegen den Strom schwimmen. Denn mit dem Strom schwimmen ja vor allem die toten Fische. Doch, wir möchten schon Individuen sein, unverwechselbar, anders als die anderen. Aber wie lange halten wir das durch, wenn uns die anderen dann merkwürdig ansehen weil wir so anders sind? Wir möchten doch auch dazu gehören zu den anderen. Gebt eure Leiber zum Opfer sagt der Apostel Paulus. Doch, ich glaube, da ist etwas dran: wenn wir wirklich nicht mehr mitmachen wollen, was alle tun dann ist das schon ein Opfer, ein Verzicht. Vielleicht verpasse ich ja etwas wenn ich nicht mitmache, was alle machen? Aber was ist eigentlich ein Opfer? Für die Menschen in der Zeit des Paulus als überall in den Tempeln noch Opfertiere dargebracht wurden war das ziemlich klar. Wie übrigens auch für die Buddhisten in Thailand, die zum meritmaking, zum tamboon in den Tempel gehen. Ein Opfer bringen heißt ich gebe etwas hin, ich gebe etwas von mir auf und ich werde dafür von Gott etwas anderes vielleicht sogar Größeres, Wertvolleres bekommen. Vielleicht ein besseres Karma, das mein Leben heute verbessert, und in zukünftigen Reinkarnationen. Aber Moment: Hat Martin Luther nicht gerade diese Art von Ablassdenken und religiösem Tauschhandel abgeschafft? Stimmt. Aber damit ist ja nicht gesagt, dass auch für Christenmenschen der alltägliche Glaube seinen Preis hat. Denn – wenn wir als Christen anders sind als die anderen – so, wie auch Jesus anders war als die anderen – dann ist das schon ein Opfer, ein Verzicht auszuhalten, dass andere mich für etwas merkwürdig oder gar für verrückt halten. Aber für dieses Opfer, für diesen Verzicht erhalten wir auch etwas: nämlich eine innere Freiheit die uns ein Stück unabhängig macht von dem was andere sagen und denken die uns vielleicht sogar auch ein Stück unabhängig macht von unseren eigenen Gefühlen, Wünschen und Enttäuschungen. Doch, das wäre dann wirklich ein vernünftiger Gottesdienst der mich frei macht zu fragen und zu prüfen: nicht – was wollen und denken die anderen von mir? auch nicht – wozu habe ich gerade Lust oder nicht? sondern – was hat Gott mit mir vor? Was ist der Sinn, was ist die Berufung meines Lebens? Liebe Gemeinde, was ist der Sinn meines Lebens? Was will Gott von mir? Was ist meine Berufung als Kind Gottes, seit ich getauft bin? Natürlich kann Paulus uns keine allgemeingültige Antwort auf diese sehr persönlichen Fragen geben. 1.So.n.Epiphanias II Röm.12,1-8 Predigt Bangkok 15.1.2017 Aber in den folgenden Verse öffnet er uns doch eine wichtige Blickrichtung: Niemand unter euch Gotteskindern halte mehr von sich, als es angemessen ist. Ist das alles? – frei nach dem Sprichwort: Bescheidenheit ist eine Zier und Sie wissen ja, wie die freche Ergänzung spottet: ... doch es geht auch ohne ihr. Der Apostel Paulus hat etwas anderes viel Grundsätzlicheres im Blick. Paulus hat es am eigenen Leibe schmerzhaft erlebt: wir Menschen schwanken in unseren Gefühlen und Gedanken immer wieder zwischen Größenwahn und Verzweiflung. „Ich bin der allergrößte“ – „Ich bin der allerletzte, nichts wert.“ Und auch in unserem Glauben stehen wir immer wieder in der Gefahr so hin- und her zu schwanken. „Ich habe den rechten Glauben, die wahre Erleuchtung“ – „Ich bin der größte Sünder, von Gott vergessen und verstoßen.“ Oder sogar: „Da ist doch gar kein Gott, keine Gerechtigkeit, keine Liebe“ „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“ Das meint Paulus: kommt heraus aus eurem Schwanken aus eurem Größenwahn und aus eurem Selbstmitleid. Seht euch realistisch an. Und realistisch, vernünftig könnt ihr euch nur ansehen wenn ihr euch mit Gottes Augen anseht. Liebe Gemeinde, auch hier ist noch einmal der Einwand erlaubt: das klingt ja alles ganz nett, mit dem „vernünftigen Gottesdienst“ aber ist das wirklich unser Problem? Und wenn ja – was hat das für praktische Folgen? Ich glaube, liebe Gemeinde, in den letzten ein bis zwei Jahren ist für die Christenmenschen (und nicht nur für die) ein Übungsfeld entstanden, auf dem der „vernünftige Gottesdienst“ geradezu überlebenswichtig geworden ist. Sie wissen es alle: Seit den letzten zwei Jahren (und wahrscheinlich schon früher) hat sich weltweit die Kommunikation unter den Menschen verändert. Okay, gestritten wurde immer schon. Auch getrickst, geblufft und manipuliert. Aber irgendwann kam dann auch jemand der den Faktencheck machte. Und dann ließ sich unterscheiden, was Wahrheit war, und was Lüge. Das ist heute anders geworden. In anonymen Internetforen kann jeder und jede die verrücktesten Behauptungen und die hemmungslosesten Beschimpfungen verbreiten. Das wird man doch wohl mal sagen dürfen! Vernunft und Faktencheck zählen nicht mehr sondern vor allem aufgepeitschte Gefühle und manchmal auch der blanke Hass. 1.So.n.Epiphanias II Röm.12,1-8 Predigt Bangkok 15.1.2017 Eigentlich ist es kein Wunder, dass unter solchen Verhältnissen „starke Männer“ an die Macht kommen die uns allesamt versprechen, mit Hilfe des „Volkszorns“ unser Leben erträglicher zu machen und unsere „gekränkte Ehre“ wieder herzustellen. Liebe Gemeinde, kurzfristig wird dieses Versprechen sogar entlastend wirken: Endlich macht sich jemand zum Sprachrohr meiner Wut und meiner Ohnmachtsgefühle. Aber langfristig stürzt uns dieser „Volkszorn“ noch stärker als zuvor in das Hin- und Herschwanken zwischen Größenwahn und Selbstmitleid. Das sagt übrigen nicht nur der Apostel Paulus. Das sagt auch Buddha: Wer es nicht schafft, sich von Dummheit, Gier und Hass zu lösen Wird gefangen bleiben im ewigen Kreislauf des Leidens. Darum: Meditation. Gebet. Vernünftiger Gottesdienst. Nicht dem Zeitgeist verfallen. Damit die Welt erfährt, was wirklich die Not wendet: Nämlich das Gute und das Erfüllende und das Vollkommene. Und der Friede Gottes, der größer ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. Ulrich Holste-Helmer