Rechnen mit Quanten - Theoretische Physik I

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Rechnen mit Quanten ?
Joachim Stolze, Dieter Suter, Ulrike Woggon
Seit dem 1. Oktober 2001 arbeitet an den Fachbereichen Physik und Informatik der Universität Dortmund das DFG-Graduiertenkolleg (GK 726) Materialeigenschaften und Konzepte zur
”
Quanteninformationsverarbeitung“. Beteiligt ist auch eine Gruppe aus der Fakultät für Physik
und Astronomie der Ruhr-Universität Bochum. Ausgestattet mit 1,3 Mio DM für zunächst
drei Jahre, sollen 10 Doktoranden, zwei Postdoktoranden sowie weitere Gastwissenschaftler die Möglichkeiten zur Realisierung von Quanteninformationsverarbeitung in Festkörpern
untersuchen. Wie bei allen GKs gibt es für die Doktoranden ein speziell auf die Thematik
ausgerichtetes Programm von Lehrveranstaltungen, von dem natürlich auch alle anderen Studierenden der beteiligten Fachbereiche profitieren können. Derzeit (15.11.) unterstützt das GK
6 Stipendiat(inn)en aus 4 Ländern und eine Postdoktorandin aus Indien; die ohne Stipendium
teilnehmenden Kollegiaten erhöhen die Anzahl der Herkunftsländer noch einmal um zwei.
—Computer und Quanten—
In einem puristischen Sinne sind bereits alle heutigen Computer Quantencomputer, denn ohne Quantenmechanik ist die Funktionsweise moderner digitaler Elektronik nicht zu verstehen.
Allerdings kann man durchaus auch ohne dieses tiefere Verständnis funktionstüchtige Computer bauen: es genügt eben das gewusst wie“; das gewusst warum“ ist für viele Zwecke
”
”
entbehrlich. Außerdem könnte man im Prinzip alle Funktionen eines modernen Computers mit
völlig quantenmechanik-freien“ elektromechanischen Schaltelementen realisieren, so wie es
”
der Computerpionier (und Dortmunder Ehrendoktor) Konrad Zuse vor 60 Jahren tat.
Lange werden sich die Computer-Experten aber nicht mehr vor dem Kontakt mit der Quantenmechanik drücken können, denn die unter dem Namen Moore’s Gesetz“ bekannte seit
”
mehreren Jahrzehnten anhaltende exponentielle Leistungssteigerung von Mikrochips geht einher mit einer ständigen Verkleinerung aller Strukturen. In nicht zu ferner Zukunft werden die
Strukturen von der Größe eines oder weniger Atome und damit genuin quantenmechanische
Objekte sein. Das wird eine Vielzahl neuer technischer und wissenschaftlicher Probleme mit
sich bringen, die gelöst werden müssen.
Semiconductor Industry Association Roadmap
Strukturgröße / nm
1000
100
10
1
Größe eines Atoms
0.1
2000
2010
2020
2030
2040
—Herausforderung und Chance—
Die Quantenmechanik bringt aber nicht nur Herausforderungen mit sich, sondern auch Chancen, die in den letzten Jahren unter dem Schlagwort Quantencomputer“ zunehmend in der
”
Öffentlichkeit bekannt wurden. Der SPIEGEL ließ in seinem Bericht (25/2000) blaue und grüne
Laserstrahlen durchs Labor flackern (spektakulär wabernde Dämpfe à la Frankenstein sind in
Laserlabors eher selten) und fragte, ob Quantencomputer zukünftig die Siliziumchips ersetzen
werden – eine Möglichkeit, die seriöse Wissenschaftler eher ausschließen. Allerdings sind alle
Beteiligten mit Prognosen sehr vorsichtig geworden; insbesondere mit solchen, die mit den
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Worten Ich erwarte nicht, dass in den nächsten 50 Jahren...“ beginnen. Zu viele unbestritte”
ne Experten auf dem Computersektor werden heute schamrot, konfrontiert man sie mit ihren
eigenen pessimistischen oder auch nur vorsichtigen Prognosen aus den 70er und 80er Jahren.
Sicher ist aber, dass für ganz spezifische Aufgaben ein Quantencomputer, sei er auch schwierig
zu realisieren, unschätzbare Vorteile gegenüber heutigen Computern hätte.
Klassische Computer arbeiten mit Bits, Quantencomputer mit Quanten-Bits, im Jargon Qubits
genannt. Während ein Bit genau zwei Zustände (0 und 1) einnehmen kann, sind diese für ein
Qubit nur die Extremfälle eines ganzen Kontinuums von Möglichkeiten. Die Quantenmechanik
ist nämlich eine lineare Theorie, und damit ist jede Überlagerung (Superposition) zweier erlaubter Zustände wieder ein erlaubter Zustand. Der Zustand eines Qubits kann nur angegeben
werden, wenn bekannt ist, mit welchen Anteilen die beiden Basiszustände“ vertreten sind.
”
Allgemeiner braucht man für n Qubits 2n Zahlen um den Zustand festzulegen; die Dimension
des Zustandsraums nimmt exponentiell mit der Anzahl der Qubits zu.
Dies zeigt, warum quantenmechanische Rechnungen für größere Systeme extrem unangenehm
werden: es müssen mathematische Operationen in Räumen exponentiell wachsender Dimension
durchgeführt werden. Das Problem wird auch durch die Fortschritte moderner (klassischer)
Computertechnik nicht wesentlich gemildert. Daher äußerte Physiknobelpreisträger Richard
Feynman 1982 die Idee, zur Lösung quantenmechanischer Probleme Computer zu verwenden,
die sich die Prinzipien der Quantenmechanik zunutze machen, statt sie mithilfe klassischer
Hardware mit exponentiell steigendem Aufwand zu simulieren. Feynmans Vorstellungen wurden
zunächst als Visionen betrachtet, denn zu diesem Zeitpunkt gab es weder funktionierende
Quanten-Hardware noch die entsprechende Software. In den 90er Jahren wurde aber klar, dass
es auch außerhalb der Quantenmechanik Probleme gibt, die mit Quantencomputern sehr viel
effizienter gelöst werden können als mit klassischen Computern, und in der Folge steigerte sich
das Interesse, funktionierende Quanten-Hardware zu entwickeln. Der Hauptgrund für diese
Effizienzsteigerung liegt im Quanten-Parallelismus“: Wenn man mit vielen unterschiedlichen
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Eingaben die gleiche Rechnung durchführen muss, so erlaubt einem die Quantenmechanik,
diese Eingaben zu überlagern (ein Schritt, der sehr effizient durchgeführt werden kann) und
die Rechnung nur einmal an diesem Überlagerungszustand durchzuführen.
Input
Output
Rechnung
klassischer
Computer
N×
Input
Output
Superposition
Quantencomputer
Rechnung
log N
Schritte
2
1 Schritt
—Quantensoftware und Quantenkommunikation—
Die Paradebeispiele für Quanten-Algorithmen sind die Suche in einer großen unstrukturierten
Datenbank (Grover-Algorithmus) und die Primfaktorzerlegung großer Zahlen (Shor-Algorithmus).
Während die Relevanz der Datenbanksuche offensichtlich ist, mag man sich fragen, wen denn
die Primfaktorzerlegungen irgendwelcher Zahlen interessieren. Dazu muss man wissen, dass
viele moderne Verfahren zur Verschlüsselung und Übermittlung vertraulicher Daten darauf
beruhen, dass es vergleichsweise leicht ist, zwei große Primzahlen miteinander zu multiplizieren, aber extrem schwierig, ein Produkt in zwei (unbekannte) Faktoren zu zerlegen. Die
Absenderin der Daten (traditionell Alice genannt) kann den vom Empfänger Bob öffentlich
hinterlegten Schlüssel (das Produkt zweier großer Primzahlen) benutzen, um ihre Nachricht
zu verschlüsseln. Zum Entschlüsseln braucht Bob die beiden Primfaktoren, die nur er allein
kennt. Die Spionin Eve (to eavesdrop = lauschen) kann versuchen, den öffentlichen Code
zu brechen, indem sie die Primfaktoren ermittelt. Alle bekannten klassischen Verfahren dazu
werden aber mit wachsender Länge des Schlüssels rasch aufwändiger: eine moderate Verlängerung des Schlüssels kann den Zeitaufwand von Tagen auf Jahrtausende steigern und damit eine
Entschlüsselung praktisch unmöglich machen. Bedient sich Eve aber eines Quantencomputers
und des 1994 von Peter Shor vorgestellten Algorithmus, so sind ihre Chancen sehr viel besser,
denn bei diesem Verfahren steigt der Aufwand so langsam mit der Länge des Schlüssels an,
dass auch der längere Code nach ein paar Monaten gebrochen ist.
Quantencomputer bedrohen also heutige Verfahren der sicheren Kommunikation, und es ist
verständlich, dass beispielsweise Sicherheitsdienste sich für Möglichkeiten und Grenzen dieser
Technologie interessieren. Auf der anderen Seite ist aber auch klar geworden, dass quantenmechanische Verfahren dazu benutzt werden können, Kommunikation sicherer zu machen. Dazu
nutzt man die seit Heisenberg bekannte Tatsache aus, dass jede Messung ein quantenmechanisches Sytem auch beeinflusst. Unsere Protagonisten Alice und Bob können zwar Eve nicht
daran hindern, die Qubit-Leitung (z.B. eine Glasfaser) anzuzapfen, aber an den Veränderungen
der bei ihm eintreffenden Qubits bemerkt Bob sofort, dass Eve mithört und kann Alice warnen.
Ein dafür benutztes mathematisches Werkzeug ist die Bell’sche Ungleichung“. Noch vor nicht
”
allzu vielen Jahren galt die Erforschung der damit zusammenhängenden Grundlagenfragen der
Quantenmechanik selbst vielen akademischen Physikern als weltabgewandte Spielerei einiger
leicht verstiegener Theoretiker – ein hübsches Beispiel dafür, wie untrennbar Grundlagenforschung und Anwendung mit einander verbunden sind, und wie wenig planbar wissenschaftlicher
Fortschritt ist.
—Was tut das Graduiertenkolleg?—
Bevor die Quantencomputer rechnen können, müssten sie aber erst einmal gebaut werden,
und dazu sind noch sehr viele Probleme zu lösen. Die in einem Qubit gespeicherte Information darf nicht infolge der Wechselwirkung des Qubits mit seiner Umgebung verändert werden
(und damit verloren gehen), solange die Rechnung noch andauert (Dekohärenz-Problem). Die
Qubits müssen einzeln gezielt angesprochen und manipuliert werden können (Addressierbarkeitsproblem); andererseits muss ein Quanten-Prozessor aber eine möglichst große Anzahl von
Qubits bearbeiten, ohne dass mit wachsender Anzahl der Qubits der dazu nötige Aufwand zu
stark wächst (Skalierbarkeitsproblem). Möglichkeiten zur Lösung dieser Probleme kritisch zu
beleuchten und die physikalischen Grundlagen dafür zu klären, ist das Ziel des Dortmunder
Graduiertenkollegs.
Einige viel diskutierte Konzepte zur Quanteninformationsverarbeitung passen genau zu den
Forschungsrichtungen der Dortmunder Festkörperphysik. So werden die Spins (Eigendrehimpulse) von Elektronen oder Atomkernen als gute Kandidaten für Qubits angesehen, da sie
mithilfe bekannter Resonanztechniken (Elektronenspinresonanz ESR, Magnetische Kernresonanz NMR) sehr gut manipuliert werden können. Die Addressierung kann in diesem Fall z.B.
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Abbildung 1: Aktive Atome in Fulleren-Hülle auf einer Festkörperoberfläche
über die leicht unterschiedlichen Resonanzfrequenzen verschiedener Atome eines Moleküls erfolgen. Durch Einbringen ins Innere eines C60 -Moleküls (Fulleren, Fußballmolekül“) können
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spintragende Atome von einander isoliert werden. Diese Moleküle sind groß genug, um sie bequem (z.B. mit einem Rastertunnelmikroskop) auf einer Festkörperoberfläche zu positionieren
und die darin gefangenen Qubits auszumessen.
Halbleiterquantenpunkte, nanometerkleine gezielt veränderte Bereiche in einem geeigneten
Material, können gleichfalls dazu dienen, gut manipulierbare Qubits zu bauen. Hier ist die
Zusammenarbeit mit dem Bochumer Lehrstuhl für Angewandte Festkörperphysik wichtig, der
über hervorragende Möglichkeiten der Probenpräparation verfügt. Nicht minder wichtig ist
die theoretische Untersuchung von Mechanismen der Dekohärenz, die zu Informationsverlust
beispielsweise durch Kopplung der Qubits an Kristallschwingungen (Phononen) führen. Die
experimentelle Untersuchung solcher Prozesse mit spektroskopischen Methoden muss ebenfalls verstärkt werden. Da die bisher bekannten Quanten-Algorithmen in ihrem Aufbau wenig
intuitiv erscheinen, soll in der beteiligten Arbeitsgruppe der Informatik untersucht werden, ob
neue Algorithmen mit der an die biologische Evolution angelehnten Methode der genetischen
Programmierung auf bestimmte Leistungsmerkmale hin “gezüchtet” werden können.
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