Streutheorie - Universität Wien

Werbung
Streutheorie
Helmut Neufeld
Fakultät für Physik
Universität Wien
Sommersemester 2014
Zusammenfassung
Streuexperimente erlauben die Untersuchung der atomaren und subatomaren Struktur der Materie. Die Grundidee der Bestimmung eines
Wirkungsquerschnitts wird anhand eines einfachen klassischen Modells
erläutert. Die Abseparation der Massenmittelpunktsbewegung bei der Kollision zweier Teilchen führt auf das Problem der Streuung eines Teilchens
in einem äußeren Potential. Im Rahmen der zeitabhängigen Streutheorie werden die Møller-Operatoren und der Streuoperator eingeführt. Das
Konzept des Wirkungsquerschnitts wird auf den quantenmechanischen Fall
erweitert. Der Übergang von der zeitabhängigen zur zeitunabhängigen
Streutheorie liefert leicht handhabbare Formeln für die Berechnung von
Streuamplituden. Die Bornsche Reihe gestattet eine näherungsweise Berechnung der Streuamplitude bei nicht zu starker Wechselwirkung. Als
Anwendungsbeispiel wird die Streuung in einem Yukawapotential behandelt, als deren Grenzfall sich die Rutherfordstreuung ergibt. Das Wechselwirkungsbild führt auf eine Darstellung des S-Operators als zeitgeordnete Exponentialfunktion des Zeitintegrals des Wechselwirkungspotentials.
Feynmandiagramme und Feynmanregeln werden für den Fall der Potentialstreuung diskutiert. Ein radialsymmetrisches Potential gestattet die Partialwellenentwicklung der Streuamplitude, die gesamte Information über
den Streuprozess steckt in diesem Fall in den Streuphasen.
1
1
Klassischer Wirkungsquerschnitt
Abbildung 1 illustriert die Idee der Bestimmung eines Wirkungsquerschnitts. Ein
punktförmiges Projektil wird N-mal mit zufallsverteiltem Stoßparameter (impact parameter) ρ~ (verteilt über eine Fläche F , die größer ist als die Abmessungen
des zu untersuchenden Objekts) auf ein starres Untersuchungsobjekt geschossen.
Werden von den N einlaufenden Teilchen Ngestr gestreut, so wird der totale
F
p~
ρ~
r
✲
✻
✂
✂
✂
✂
✂
✂
✂
✂
✂
✂✂
Abbildung 1: Streuung eines Punkteilchens mit Anfangsimpuls p~ und Stoßparameter ρ~ an starren Objekt.
Wirkungsquerschnitt σ durch die Gleichung
Ngestr
σ
= ,
N
F
Ngestr =
N
σ,
F
|{z}
n
definiert, wobei n = N/F die Anzahl der einlaufenden Teilchen pro Fläche bezeichnet.
Bemerkung: Im hier diskutierten Fall ist σ einfach der geometrische Querschnitt
des Objekts ⊥ ~p.
Man kann aus diesem Experiment noch mehr Information gewinnen, wenn man
nicht nur registriert, ob ein Teilchen abgelenkt wurde oder nicht, sondern auch
2
die Winkelverteilung der gestreuten Teilchen bestimmt. Bezeichnet man mit
Ngestr (∆Ω) die Anzahl der in den Raumwinkel ∆Ω gestreuten Teilchen, so erhält
man durch Ngestr (∆Ω) = n σ(∆Ω) den Anteil σ(∆Ω) des Wirkungsquerschnitts
der in ∆Ω gestreuten Teilchen. Für ein infinitesimales Raumwinkelelement dΩ
definiert dies den differentiellen Wirkungsquerschnitt dσ/dΩ:
σ(dΩ) =
2
dσ
dΩ.
dΩ
Zeitabhängige Streutheorie
In der Praxis wird natürlich nicht ein punktförmiges Projektil an einem starren
Erdapfel gestreut, sondern man betrachtet i. Allg. die Bewegung zweier Teilchen,
die aufeinander eine durch ein Wechselwirkungspotential V (|x~1 − ~x2 |) beschriebene Kraft ausüben. Üblicherweise nimmt man an, dass die Wechselwirkung für
großen Relativabstand |x~1 − ~x2 | der beiden Teilchen verschwindet, oder wenigstens so stark abfällt, dass sich die Teilchen lange Zeit vor und lange Zeit nach
der Wechselwirkung wie freie Teilchen verhalten.1
Wie üblich, lässt sich dieses Zweiteilchenproblem durch Abspalten der Massenmittelpunktsbewegung auf ein Einteilchenproblem reduzieren, also die Bewegung
eines Teilchens mit reduzierter Masse m in einem äußeren Potential V (r). Wir
gehen also von einem Hamiltonoperator der Form
H=
P~ 2
+ V (r)
2m
auf H = B ⊕R aus und interessieren uns für die quantenmechanische Behandlung
des dazugehörigen Streuproblems (Potentialstreuung). Dabei bezeichnet B den
von den Bindungszuständen aufgespannten linearen Unterraum und R = B⊥ das
orthogonale Komplement von B.
Wir nehmen nun an, dass wir einen Zustandsvektor |ψi ∈ H gefunden haben,
dessen Zeitentwicklung (im Schrödingerbild) sich für t → ±∞ der freien Zeitentwicklung annähert, das heißt, dass Vektoren |ψ± i existieren, sodass
||e−iHt/~ |ψi − e−iH0 t/~ |ψ± i|| −→ 0,
t→±∞
H0 = P~ 2 /2m.
Die vorliegende Situation wird in Abbildung 2 in einer symbolischen Darstellung
illustriert. Punkte in der Ebene entsprechen dabei Vektoren im Hilbertraum.
Bemerkung: Dieses asymptotische Verhalten ist natürlich nur für |ψi ∈ R
möglich, da sich die Zeitentwicklung exp(−iHt/~)|φn i = exp(−iEn t/~)|φn i eines Bindungszustands |φn i ∈ B nie der freien Zeitentwicklung annähert.
1
Genauer: Dass sich die Zeitentwicklung jener von freien Teilchen asymptotisch annähert.
3
❆
t → −∞
❆
❆
❆
❆
❆
❆
❆
❆
❆
❆
t → +∞ ✁
e−iHt/~ |ψi ✒
❆
❆
e−iH0 t/~ |ψ− i ❆❆❯
❆
❆
❆
|ψi
✁
✁
r
❆
❆
|ψ− i ❆r
❆
❆
❆
❆
❆
❆
✁
✁
✁
✁
✁
✁
✁
✁✕✁
✁
✁
✁
✁
✁
✁
✁
✁
✁
✁
✁
✁
✁
e−iH0 t/~ |ψ+ i
✁
✁r |ψ+ i
Abbildung 2: Symbolische Darstellung der Zeitentwicklung eines Zustands im
Hilbertraum und der asymptotischen Annäherung an die freie Bewegung.
Bezeichnet man mit Hein den Raum aller |ψi ∈ H, deren Zeitentwicklung sich für
t → −∞ der freien Zeitentwicklung annähert und, analog, mit Haus den Raum
aller |ψi ∈ H, deren Zeitentwicklung sich für t → +∞ der freien Zeitentwicklung
annähert, so gilt unter geeigneten Voraussetzungen an V , dass Hein = Haus =
R gilt. Man spricht in diesem Fall von asymptotischer Vollständigkeit und
wir werden im Folgenden annehmen, dass diese Bedingung erfüllt ist. Es gibt
dann zu jedem |ψi ∈ R (eindeutig bestimmte) Vektoren |ψ± i ∈ H mit der
Eigenschaft
||e−iHt/~ |ψi − e−iH0 t/~ |ψ± i||
−→
0
−→
0
t→±∞
m
||eiH0 t/~ e−iHt/~ |ψi − |ψ± i||
t→±∞
m
|ψ± i = lim eiH0 t/~ e−iHt/~ |ψi
t→±∞
4
e−iHt/~ |ϕ eini ✒
❘
|ϕ eini
r
e−iHt/~ |ϕ ausi
❍❍
❨
r |ϕ ausi
✯
✟✟
❍❍
✟
Ω
Ω
ein
aus ✟
❍❍
✟
❍❍ ✟✟
✲
r
e−iH0 t/~ |ϕi
|ϕi
Abbildung 3: Bedeutung von |ϕ
ein
i
aus
und Wirkung der Møller-Operatoren Ω ein .
aus
Umgekehrt kann man sich die Frage stellen, ob es zu jedem |ϕi ∈ H Zustände
|ϕ
ein
aus
i, gibt, sodass
||e−iHt/~ |ϕ
ein
aus
i − e−iH0 t/~ |ϕi|| −→ 0
t→∓∞
gilt. In unserer symbolischen Darstellung hätten wir die in Abbildung 3 gezeigte
Situation.
Man stellt sich also die Frage, ob die Limiten
|ϕ
ein
aus
i = lim eiHt/~ e−iH0 t/~ |ϕi
t→∓∞
für alle |ϕi ∈ H existieren, oder mit anderen Worten, ob die MøllerOperatoren
e−iH0 t/~}
Ω ein = s− lim |eiHt/~ {z
aus
t→∓∞
Ω(t)
auf ganz H definiert sind.2 Falls dies der Fall ist, sagt man, dass die Asymptotenbedingung erfüllt ist.3 In diesem Fall haben wir also zu jedem |ϕi ∈ H
Vektoren
ein
|ϕ aus
i = Ω ein |ϕi ∈ R = B⊥ .
aus
Die Situation ist in Abbildung 4 dargestellt.
Wie bereits angedeutet, ist die Existenz der oben angegebenen Limiten keineswegs selbstverständlich. Man muss bestimmte Forderungen an das Potential V (r)
2
Der starke Limes s− lim An = A einer Folge von Operatoren {An } ist dadurch definiert,
dass es einen Operator A gibt, sodass die Folge reeller Zahlen {||An |ψi−A|ψi||} für alle |ψi ∈ H
gegen Null konvergiert.
3
Eine hinreichende Bedingung wäre etwa V (r) ∈ L2 ( 3 ).
R
5
H
|ϕi
H
H
|ϕ ausi r ✐
PP
PP
PP Ωaus
PP
R
P
PP
PP
✲ r |ϕ eini
r |ϕi
P
✏
P
✏
PP
✏
PP
✏✏
✏
PP
✏✏
PP
✏
B
✏
PP
✏
✏
PP
✏
P
✏✏
Ωein
r
Abbildung 4: Wirkung der Møller-Operatoren Ω ein im Hilbertraum.
aus
stellen. Dieses muss einerseits im Unendlichen stark genug abfallen, damit sich
die Zeitentwicklung asymptotisch tatsächlich der freien Zeitentwicklung annähert.
(Dies ist z.B. wegen seiner großen Reichweite für das Coulombpotential nicht
erfüllt.) Andererseits darf das Potential für r → 0 nicht zu singulär werden,
damit das Teilchen nicht verschluckt“ wird.4
”
Die Operatoren Ω ein sind als (starke) Limiten des unitären Operators Ω(t) isoaus
metrisch (d. h. die Norm eines Vektors wird durch Anwendung von Ω ein nicht
aus
geändert), sie sind jedoch (außer im Fall R = H) nicht unitär,
hΩ(t) χ|Ω(t) ϕi = hχ|ϕi ∀ |χi, ∀ |ϕi ∈ H
⇒ hΩ ein χ|Ω ein ϕi = hχ|ϕi ∀ |χi, ∀ |ϕi ∈ H
aus
aus
⇒ Ω†ein Ω ein = 1,
aus
aus
daraus folgt aber nicht Ω ein Ω†ein = 1, wie dies in einem endlichdimensionalen
aus
aus
unitären Raum der Fall wäre. Bei Anwesenheit von Bindungszuständen sind die
Operatoren Ω ein nämlich nicht surjektiv:
aus
hχ| Ω ein ϕi = 0 ∀ |ϕi ∈ H, ∀ |χi ∈ B
{z }
| aus
∈R
⇒ hΩ†ein χ|ϕi = 0 ∀ |ϕi ∈ H, ∀ |χi ∈ B
aus
⇒ hΩ†ein χ|ϕi = 0 ∀ |χi ∈ B
aus
⇒ Ω ein Ω†ein B = 0.
aus
aus
4
Die mathematische Behandlung dieser Fragen finden Sie in dem Buch von Michael Reed,
Barry Simon: Methods of Modern Mathematical Physics, Vol. 3, Scattering Theory, Academic
Press, New York, 1979.
6
Andererseits lässt sich jedes |ψi ∈ R in der Form |ψi = Ω ein |ψ∓ i schreiben und
aus
man hat daher
Ω ein Ω†ein |ψi = Ω ein Ω†ein Ω ein |ψ∓ i = |ψi ∀ |ψi ∈ R,
aus
aus
aus
aus
| aus{z }
1
also
Ω ein Ω†ein = 0,
aus
Beides kombiniert, ergibt
aus
Ω ein Ω†ein = 1R .
aus
B
aus
B
Ω ein Ω†ein = 1 − PB = PR ,
aus
aus
wobei PB und B die Projektoren auf die Unterräume B und R sind.
Bemerkungen:
1. Ein einfaches Beispiel eines Operators, der zwar isometrisch, aber nicht
unitär ist, kann man so konstruieren: Es sei |0i, |1i, . . . ein vollständiges
Orthonormalsystem eines unendlichdimensionalen Hilbertraums. Der Operator T sei durch
∞
X
T =
|n + 1ihn|
n=0
definiert. Wegen T T = 1 ist T isometrisch. Allerdings ist T nicht surjektiv
(der Vektor |0i gehört nicht zum Bild von T ), dementsprechend ist T nicht
unitär:
∞
X
†
TT =
|nihn| = 1 − |0ih0|.
†
n=1
2. Wegen Ω†ein Ω ein = 1 kann man auch
aus
aus
ein
|ϕ aus
i = Ω ein |ϕi
aus |{z}
| {z }
∈H
⇒
Ω†ein |ϕ
aus
ein
aus
i = |ϕi
∈R
schreiben, bzw.
Ω†ein |ψi = |ψ∓ i.
aus |{z}
∈R
Die Operatoren Ω ein haben die weitere Eigenschaft, dass HΩ ein = Ω ein H0 ist.
aus
aus
aus
Aus
eiHτ /~ Ω(t) = Ω(t + τ )eiH0 τ /~
7
erhält man durch den Limes t → ∓∞ die Beziehung
eiHτ /~ Ω ein = Ω ein eiH0 τ /~
aus
aus
und durch Differentiation nach τ erhalten wir
HΩ ein = Ω ein H0 .
aus
aus
Wegen Ω†ein Ω ein = 1 kann man auch
aus
aus
Ω†ein HΩ ein = H0
aus
aus
schreiben. Aus dieser Relation ist wieder ersichtlich, dass die Møller-Operatoren
i. Allg. nicht unitär sein können. Denn wären sie dies, müssten H und H0 das
gleiche Spektrum haben. Das heißt, nur wenn H keine Bindungszustände besitzt,
können die Møller-Operatoren unitär sein.
3
Streuoperator
Die Streumatrixemente (S-Matrixelemente) hχ aus|ϕ eini gestatten die Berechnung der Wahrscheinlichkeit |hχ aus|ϕ eini|2 dafür, den Zustand |χ ausi zu
messen, wenn der Anfangszustand |ϕ eini präpariert wurde (alles im Heisenbergbild). Wegen
|ϕ eini = Ωein |ϕi,
|χ ausi = Ωaus |χi
kann man das Streumatrixelement in der Form
hχ aus|ϕ eini = hχ| Ω†aus Ωein |ϕi
| {z }
S
schreiben. Den Operator S = Ω†aus Ωein nennt man Streuoperator oder SOperator (der Wechsewirkungsdarstellung). S ist ein auf ganz H definierter
unitärer Operator,
S † S = Ω†ein Ωaus Ω†aus Ωein = Ω†ein Ωein = 1,
| {z }
PR
SS † = Ω†aus Ωein Ω†ein Ωaus = Ω†aus Ωaus = 1,
| {z }
PR
wobei zu beachten ist, dass das Bild von Ω ein = R ist. Aus
aus
HΩ ein = Ω ein H0
aus
aus
8
folgt
[S, H0 ] = 0,
denn
SH0 = Ω†aus Ωein H0 = Ω†aus HΩein = H0 Ω†aus HΩein = H0 S.
Bemerkung: Eine andere Möglichkeit besteht darin, den nur auf R definierten
Operator SH (S-Operator der Heisenbergdarstellung) durch
SH |ϕ ausi = |ϕ eini
zu definieren. Das S-Matrixelement ist dann durch
hχ aus|ϕ eini = hχ aus|SH |ϕ ausi
gegeben.
|ϕ ausi = Ωaus |ϕi
⇒
Ω†aus |ϕ ausi = |ϕi
⇒ Ωein Ω†aus |ϕ ausi = Ωein |ϕi = |ϕ eini
⇒ SH = Ωein Ω†aus .
R
SH ist auf R unitär, denn
†
SH
SH R
† SH SH
R
=
Ωaus Ω†ein Ωein
| {z
1
Ω†aus }
R
= 1R ,
= Ωein Ω†aus Ωaus Ω†ein = 1R
| {z }
R
1
Man kann die Definitionsgleichung für SH auch in hχ aus| = hχ ein|SH umschreiben, wodurch man für das S-Matrixelement
hχ aus|ϕ eini = hχ ein|SH |ϕ eini
erhält. Es ist also egal, ob man SH zwischen ein- oder aus-Zuständen nimmt.
Die gesamte Information über den eigentlichen Streuvorgang steckt in
hχ|S|ϕi − hχ|ϕi,
denn für V = 0 ist S = 1. Durch zweimaliges Einschieben des Einheitsoperators
in der Form
Z
1 = d3 p |~p ih~p |
R3
9
kann man das S-Matrixelement umschreiben,
Z
hχ|S|ϕi = d3 p′ d3 p hχ|~p ′ ih~p ′ |S|~p i h~p |ϕi .
| {z }
| {z }
χ̃∗ (~
p ′)
ϕ̃(~
p)
Durch die Aufspaltung S = 1 + R erhält man
h~p ′|S|~p i = δ (3) (~p ′ − p~ ) + h~p ′|R|~p i.
Wegen [H0 , S] = 0 ⇔ [H0 , R] = 0 gilt
h~p ′ |[H0 , R]|~p i = 0
und somit
p~ 2
,
2m
wodurch die Energieerhaltung während des Streuvorganges zum Ausdruck kommt
(wir haben angenommen, dass der Hamiltonoperator nicht explizit zeitabhängig
ist). Das Matrixelement h~p ′ |R|~p i hat daher die Struktur
(Ep~ ′ − Ep~ ) h~p ′|R|~p i = 0,
Ep~ =
h~p ′ |R|~p i = −2πiδ(Ep~ ′ − Ep~ )T (~p ′, p~ ),
wobei die Funktion T (~p ′, p~ ) nur für |~p ′ | = |~p | definiert ist. Aus hier noch nicht
ersichtlichen Gründen definiert man auch die Streuamplitude
f (~p ′ , ~p ) = −(2π)2 m~ T (~p ′ , ~p ).
4
Wirkungsquerschnitt
Präpariert sei der Anfangszustand |ϕ eini. Die Amplitude
h~p ′ aus|ϕ eini = h~p ′|S|ϕi
gestattet die Berechnung der Wahrscheinlichkeit, das Teilchen nach der Wechselwirkung mit dem Impuls ~p ′ in einem Gebiet des Impulsraums der Größe d3 p′
anzutreffen:
w(|ϕi → d3 p′ ) = d3 p′ |h~p ′ |R|ϕi|2
⇒ w(|ϕi → dΩ) = dΩ
Z∞
dp′ (p′ )2 |h~p ′ |R|ϕi|2,
0
′
h~p |R|ϕi =
Z
10
d3 q h~p ′|R|~q i h~q |ϕi .
| {z }
ϕ̃(~
q)
Dabei wollen wir annehmen, dass die Impulsraumwellenfunktion ϕ̃(~q ) scharf um
den Wert ~q = p~ konzentriert ist. Dieses Experiment wird nun N-mal wiederholt
(siehe Abschnitt 1). Natürlich wird ein Beschleuniger nicht immer wieder das gleiche Wellenpaket produzieren. Wir werden jedoch für den Augenblick annehmen,
dass es möglich wäre Wellenpakete zu produzieren, die sich nur durch zufallsverteilte Verschiebungen ρ~ ⊥ ~p voneinander unterscheiden. Das Experiment
wird also mit Anfangszuständen
~
|ϕρ~ i = e−i~ρ·P /~ |ϕi
N-mal wiederholt, wobei die Stoßparameter ρ~1 , ρ~2 , . . . , ρ~N über die Fläche F zufallsverteilt sind. Für die Anzahl der in den Raumwinkel dΩ gestreuten Teilchen
|ϕρ~i
✻
✁
✁
ρ~
p~
✲
✁
✁
✁
✁
dΩ
V 6=0
|ϕi
Abbildung 5: Einlaufende Wellenpakete im Ortsraum.
erhält man
Ngestr (dΩ) =
N
X
i=1
=
Z
w(|ϕρ~i i → dΩ)
d2ρ
F
N
w(|ϕρ~i → dΩ)
F
|{z}
n
≃ n
Z
R2
d2ρ w(|ϕρ~i → dΩ),
wobei bei der letzten Umformung verwendet wurde, dass w(|ϕρi → dΩ) für große
Werte von |~ρ | verschwindet. Somit erhält man (vgl. Abschnitt 1)
Z
σ(|ϕi → dΩ) = d2ρ w(|ϕρ~i → dΩ),
R2
11
wobei
Z∞
w(|ϕρ~ i → dΩ) = dΩ dp′ (p′ )2 |h~p ′|R|ϕρ~ i|2
0
mit
i
h~p |R|ϕρ~ i =
2πm~
ist. Somit erhalten wir:
′
Z
d3q δ(Ep~ ′ − E~q )f (~p ′, ~q )e−i~ρ·~q/~ ϕ̃(~q )
dΩ
σ(|ϕi → dΩ) =
(2πm~)2
Z
Z∞
d ρ dp′ (p′ )2
2
0
×
Z
d3q δ(Ep~ ′ − E~q)f (~p ′ , ~q )e−i~ρ·~q/~ ϕ̃(~q)
×
Z
d3q ′ δ(Ep~ ′ − E~q ′ )f (~p ′ , ~q ′ )∗ ei~ρ·~q
′ /~
ϕ̃(~q ′ )∗ .
Die zweidimensionale Integration über den Stoßparameter ergibt
Z
′
d2 ρei~ρ·(~q −~q)/~ = (2π~)2δ (2) (~q⊥′ − ~q⊥ ),
wobei
~a⊥ = ~a − ~a ·
p~
|~p |
der auf ~p normal stehendende Anteil des Vektors ~a ist. In dem Ausdruck für
σ(|ϕi → dΩ) tritt daher das Produkt
δ (2) (~q⊥′ − ~q⊥ ) δ(E~q ′ − E~q) = δ (2) (~q⊥′ − ~q⊥ )2mδ(q||′2 − q||2 )
|
{z
}
2mδ(~
q ′2 −~
q 2)
auf, wobei ~q 2 = ~q⊥2 + q||2 ist. Das Integral liefert daher nur für q||′ = ±q|| einen
nicht verschwindenden Beitrag. Ist die Wellenfunktion genügend schmal, so trägt
die Lösung q||′ = −q|| nicht bei und die δ-Funktionen wirken effektiv wie
δ (2) (~q⊥′ − ~q⊥ )δ(E~q ′ − E~q) = δ (3) (~q ′ − ~q )
m
.
q||
Wir erhalten daher
σ(|ϕi → dΩ) = dΩ
Z
d3q
|~q |
|f (~p ′, ~q )|2 |ϕ̃(~q )|2 ,
q||
12
|~p ′ | = |~q |.
Wir nehmen nun an, dass die Impulsraumwellenfunktion ϕ̃(~q ) so scharf um ~q = p~
konzentriert ist, dass sich in diesem Bereich die Funktion |f (~p ′, ~q )|2 |~q |/q|| praktisch nicht ändert. Man kann daher in diesem Teil des Integranden ~q durch p~
ersetzen und erhält das Resultat
Z
′
2
d3q|ϕ̃(~q )|2 ,
σ(|ϕi → dΩ) = dΩ |f (~p , p~ )|
{z
}
|
1
welches unter den angegebenen Bedingungen unabhängig von der genauen Form
von ϕ̃(~q) ist. Wir können daher statt σ(|ϕi → dΩ) einfach σ(~p → dΩ) schreiben.
Weiters verwenden wir die Schreibweise
dσ
σ(~p → dΩ) =
(~p → p~ ′ ) dΩ
dΩ
und somit als Endresultat für den differentiellen Wirkungsquerschnitts die Formel
dσ
(~p → ~p ′ ) = |f (~p ′ , ~p )|2 .
dΩ
Aufgabe: Zeigen Sie, dass aus der Unitarität des S-Operators das optische
Theorem
|~p |
σ(~p )
Im f (~p, ~p ) =
4π~
folgt, welches eine Beziehung zwischen dem Imaginärteil der Vorwärtsstreuamplitude und dem totalen Wirkungsquerschnitt herstellt.
Hinweis: Schreiben Sie den S-Operator in der Form S = 1 + R. Aus S † S = 1
folgt dann R + R† = −R† R. Multiplizieren Sie diese Gleichung von links mit h~p ′|
und von rechts mit |~p i. Nach einigen Umformungen gelangen Sie schließlich für
p~ ′ → p~ zu der oben angegebenen Formel.
5
Zeitunabhängige Streutheorie
Die Limiten t → ±∞ sind zwar konzeptuell durchsichtig, in der Praxis aber
schwer zu handhaben. Man ersetzt sie daher unter Verwendung des folgenden
Lemmas durch einen anderen Limes: Es sei |ψ(t)i ∈ H, t ∈ R+ mit || |ψ(t)i|| ≤
C < ∞ ∀ t ∈ R+ und
ZT
dt |ψ(t)i ∈ H.
s− lim
T →∞
0
Dann gilt:
lim
T →∞
ZT
0
Z∞
dt |ψ(t)i = lim dt e−ǫt |ψ(t)i.
ε↓0
0
13
Wir wenden diese Formel auf den Vektor
|ψ(t)i =
an.
d iHt/~ −iH0 t/~
e
e
{z
} |ϕi
dt |
Ω(t)
Die Møller-Operatoren waren durch
Ω ein = s− lim Ω(T )
T →∓∞
aus
definiert. Differentiation von Ω(t) nach t ergibt
dΩ(t)
i
= eiHt/~ V e−iH0 t/~ ,
dt
~
woraus durch Integration
Ω ein
aus
i
lim
= 1+
~ T →∓∞
i
= 1 + lim
~ ε↓0
ZT
dt eiHt/~ V e−iH0 t/~
0
Z∓∞
dt e±εt eiHt/~ V e−iH0 t/~
0
folgt. Man muss sich diesen Ausdruck auf einen normierbaren Vektor
Z
|ϕi = d3 p |~p ih~p |ϕi
angewendet denken, wobei
Ω ein |~p i = |~p
aus
ein
aus
i = |~p i + lim
ε↓0
1
V |~p i.
Ep~ ± iε − H
|
{z
}
G(Ep~ ±iε)
Der hier auftretende Greensche Operator
G(z) =
1
,
z−H
z ∈ C \ σ(H),
wird in der Mathematik als Resolvente von H bezeichnet. Wegen der Gleichung
(z − H)G(z) = 1 gilt
z+
~2
∆x − V (~x ) h~x|G(z)|~x ′ i = δ (3) (~x − ~x ′ ).
2m
14
Wir wenden nun die Beziehung
A−1 = B −1 + B −1 (B − A)A−1
auf A = z − H, B = z − H0 an,
1
1
1
1
=
V
+
|z −
{zH} |z −{zH0} z − H0 z − H
G(z)
G0 (z)
und erhalten auf diese Weise die Lippmann-Schwinger-Gleichung für G(z):
G(z) = G0 (z) + G0 (z)V G(z).
Eingesetzt in
|~p
ein
aus
i = |~p i + G(Ep~ ± iε)V |~p i
ergibt dies die Lippmann-Schwinger-Gleichung für |~p
|~p
ein
aus
i = |~p i + G0 (Ep~ ± iε)V |~p
Bemerkung: Wegen HΩ ein = Ω ein H0 und |~p
aus
aus
ein
aus
ein
aus
i:
ein
aus
i.
i = Ω ein |~p i ist |~p
aus
ein
aus
normierbarer) Eigenvektor von H zum Eigenwert Ep~ = p~ 2 /2m.
Wie sieht der Vektor |~p
h~x|~p
ein
aus
ein
aus
i ein (nicht
i in der Ortsdarstellung aus? Dazu müssen wir
i = h~x|~p i +
Z
~ x ′ ih~x ′ |~p
d3 x′ h~x|G0 (Ep~ ± iε)V (X)|~
ein
aus
i
= h~x|~p i +
Z
d3 x′ h~x|G0 (Ep~ ± iε)|~x ′ iV (~x ′ )h~x ′ |~p
ein
aus
i
berechnen.
Aufgabe: Zeigen Sie:
√
′
mei 2mz|~x−~x |/~
,
h~x|G0 (z)|~x ′ i = −
2π~2 |~x − ~x′ |
√
z∈
/ σ(H0 ) = R+ , Im z ≥ 0.
Hinweis: Nach Durchführung der Winkelintegration erhalten Sie ein eindimensionales Integral, das Sie mit Hilfe des Residuensatzes berechnen können.
In dem uns interessierenden Fall hat man daher
′
me±i|~p | |~x−~x |/~
h~x|G0 (Ep~ ± iε)|~x i = −
2π~2 |~x − ~x ′ |
′
15
und erhält somit die folgende Integralgleichung für h~x|~p
h~x|~p
ein
aus
ei~p·~x/~
m
i=
−
3/2
(2π~)
2π~2
Z
ein
aus
i:
′
e±i|~p | |~x−~x |/~
dx
V (~x ′ )h~x ′ |~p
|~x − ~x ′ |
3 ′
ein
aus
i.
Es handelt sich also um eine ebene Welle plus eine Superposition von (richtungsabhängigen) aus
-laufenden Kugelwellen. Interessiert man sich für die Wellenfunkein
tion in weiter Entfernung vom Streuzentrum (r = |~x| ≫ |~x ′ |), so kann man die
Näherung
~x
|~x − ~x ′ | = r − ~n · ~x ′ + O(1/r),
~n =
r
verwenden und erhält
ei|~p |r/~
1
i~
p·~
x/~
′
2
e
+
f (~p , ~p ) + O(1/r ) ,
h~x|~p eini =
(2π~)3/2
r
f (~p ′ , ~p ) = −(2π)2 m~h~p ′ |V |~p eini,
p~ ′ = |~p |~n.
Wie wir uns gleich überzeugen werden, stimmt f (~p ′, ~p ) natürlich mit der schon
früher definierten Funktion überein. Ausgedrückt durch T (~p ′, p~ ) entspricht der
hier angegebene Zusammenhang gerade
T (~p ′ , ~p ) = h~p ′ |V |~p eini.
Um dies zu sehen, stellen wir den Zusammenhang mit dem S-Matrixelement her:
h~p ′ aus|~p eini = h~p ′|S|~p i.
Der relevante Teil ist
h~p ′ aus|~p eini − δ (3) (~p ′ − p~ ) = h~p ′ aus|~p eini − h~p ′ ein|~p eini.
Andererseits wissen, dass
|~p
ein
aus
i = |~p i + G(Ep~ ± iε)V |~p i
ist, woraus
|~p ausi − |~p eini = [G(Ep~ − iε) − G(Ep~ + iε)] V |~p i
folgt und schließlich
h~p ′ aus|~p eini − δ (3) (~p ′ − p~ ) = h~p ′ |V [G(Ep~ ′ + iε) − G(Ep~ ′ − iε)] |~p eini
1
1
h~p ′ |V |~p eini.
−
=
Ep~ ′ − Ep~ + iε Ep~ ′ − Ep~ − iε
|
{z
}
−2πiδ(Ep~ ′ −Ep~ )
16
Bemerkung: Bei der Umformung des Ausdrucks in großen runden Klammern
wurde die Formel
1
1
= H ∓ iπδ(x)
x ± iε
x
verwendet.
Man erhält also tatsächlich das Ergebnis
h~p ′ aus|~p eini = δ (3) (~p ′ − ~p ) − 2πiδ(Ep~ ′ − Ep~ )h~p ′ |V |~p eini,
was durch Vergleich mit der am Ende von Abschnitt 3 angegebenen Definition
die Relation T (~p ′, p~ ) = h~p ′ |V |~p eini, bestätigt.
6
Bornsche Reihe
Definiert man den Operator
z ∈ C,
T (z) = V + V G(z)V,
so kann man T (~p ′ , ~p ) in der Form
T (~p ′ , ~p ) = h~p ′|T (Ep~ + iε)|~p i
schreiben, denn
h~p ′|T (Ep~ + iε)|~p i = h~p ′|V + V G(Ep~ + iε)V |~p i
= h~p ′|V (1 + G(Ep~ + iε)V )|~p i
{z
}
|
|~
p eini
= h~p ′|V |~p eini.
Man kann nun die Lippmann-Schwinger-Gleichung
G(z) = G0 (z) + G0 (z)V G(z)
iterieren und erhält eine Störungsreihe für G(z):
G(z) =
∞
X
G0 (z)V
n=0
n
G0 (z).
Eingesetzt in den Ausdruck für T (z) ergibt dies die Störungsreihe
T (z) =
∞
X
n=1
V G0 (z)
n−1
17
V =
∞
X
n=1
T (n) (z)
und damit die Bornsche Reihe für die T -Matrixelemente
′
′
T (~p , ~p ) = h~p |T (Ep~ + iε)|~p i =
∞
X
h~p ′ | V G0 (Ep~ + iε)
{z
|
n=1
T (n) (~
p ′ ,~
p)
sowie in weiterer Folge für die Streuamplitude
′
f (~p , ~p ) =
∞
X
f (n) (~p ′ , ~p ),
n−1
V |~p i ,
}
f (n) (~p ′ , ~p ) = −(2π)2 m~ T (n) (~p ′ , p~ ).
n=1
Als führenden Term in dieser Entwicklung erhält man
Z
m
′
(1)
′
2
′
f (~p , ~p ) = −(2π) m~ h~p |V |~p i = −
d3 x e−i(~p −~p )·~x/~ V (~x),
2
| {z }
2π~
T (1) (~
p ′ ,~
p)
also bis auf einen geeigneten Vorfaktor einfach die Fouriertransformierte des Potentials.
Für den nächsten Born-Term erhält man den Audruck
f (2) (~p ′ , ~p ) = −(2π)2 m~ h~p ′ |V G0 (Ep~ + iε)V |~p i
|
{z
}
T (2) (~
p ′ ,~
p)
2
= −(2π) m~
7
Z
d3 p1 h~p ′ |V |~p1 i
1
h~p1 |V |~p i.
Ep~ + iε − Ep~1
Yukawapotential und Rutherfordstreuung
Aufgabe: Berechnen Sie den differentiellen Wirkungsquerschnitt für die Streuung eines Teilchens in dem Yukawapotential
e−κr
V (~x) = γ
,
r
r = |~x|
in niedrigster Bornscher Näherung.
Lösung:
dσ
=
dΩ
2mγ
2
~q + ~2 κ2
2
,
~q = p~ ′ − p~.
Drückt man |~q | durch den Betrag des Impulses und den Streuwinkel θ aus,
θ
|~q | = 2|~p | sin ,
2
18
so kann man die Streuformel auch in der Form
2
2mγ
dσ
=
dΩ
4~p 2 sin2 θ/2 + ~2 κ2
schreiben.
Für κ = 0 und γ = Z1 Z2 e2 erhält man die Rutherfordsche Streuformel
2
dσ
mZ1 Z2 e2
=
.
dΩ
2~p 2 sin2 θ/2
8
Wechselwirkungsbild
Wir zerlegen den Hamiltonoperator H eines quantenmechanischen Systems in
eine Summe aus einem freien“ Teil H0 und einem Wechselwirkungsteil“ V :
”
”
H = H0 + V . Der Einfachheit halber sei angenommen, dass sowohl H0 als auch V
nicht explizit von der Zeit abhängen.5 Das Wechselwirkungsbild ist dadurch
definiert, dass die Zeitentwicklung von Zustandsvektoren gemäß
|ψW (t)i := eiH0 t/~ |ψS (t)i
erfolgt, wobei die Abkürzungen W“ für Wechselwirkungsbild“ und S“ für
”
”
”
Schrödingerbild“ stehen. Für einen zeitunabhängigen Hamiltonoperator H (der
”
von uns betrachtete Fall) bedeutet dies einfach
|ψW (t)i = eiH0 t/~ e−iHt/~ |ψS (0)i = eiH0 t/~ e−iHt/~ |ψH i.
Die Zeitentwicklung von Operatoren im Wechselwirkungsbild,
AW (t) = eiH0 t/~ AS e−iH0 t/~ = eiH0 t/~ AH (0)e−iH0 t/~ ,
ist dadurch festgelegt, dass die Zeitabhängigkeit der entsprechenden Erwartungswerte nicht vom verwendeten Bild abhängen darf:
hψW (t)|AW (t)|ψW (t)i = hψS (t)|AS |ψS (t)i = hψH |AH (t)|ψH i.
Während der unitäre Operator, welcher die Zeitentwicklung vom Anfangszeitpunkt t0 zum Endzeitpunkt t beschreibt, im Schrödingerbild durch
US (t, t0 ) = e−iH(t−t0 )/~
gegeben ist, lautet der entsprechende Operator im Wechselwirkungsbild:
UW (t, t0 ) = eiH0 t/~ e−iH(t−t0 )/~ e−iH0 t0 /~ .
5
Die Verallgemeinerung auf den Fall V = V (t) ist sehr einfach und sei dem Leser überlassen.
19
UW (t, t0 ) erfüllt die Differentialgleichung
i~
∂
UW (t, t0 ) = VW (t)UW (t, t0 ),
∂t
wobei
VW (t) = eiH0 t/~ V e−iH0 t/~
mit V ≡ VS . Integriert man diese Gleichung unter Berücksichtigung der Anfangsbedingung U(t0 , t0 ) = 1, so ergibt sich die Integralgleichung
i
UW (t, t0 ) = 1 −
~
Zt
dτ VW (τ )UW (τ, t0 ).
t0
Durch Iteration erhält man
i
UW (t, t0 ) = 1 −
~
Zt
t0
2 Z t
Zτ ′
i
dτ VW (τ ) + −
dτ ′ dτ VW (τ ′ )VW (τ ) + . . . .
~
t0
t0
Wir bemerken, dass die Integration in dem zweiten Integral über eine Dreiecksfläche verläuft, in der t0 < τ < τ ′ < t gilt, d.h. der linksstehende Operator ist
mit einem späteren Zeitpunkt verknüpft als der rechtstehende. Man kann dieses
Integral daher mit Hilfe des Zeitordnungssymbols T in der Form
Zt
dτ
′
Zτ ′
1
dτ VW (τ )VW (τ ) =
2
′
t0
t0
Zt
t0
dτ
′
Zt
dτ T VW (τ ′ )VW (τ )
t0
schreiben, wobei sich die Integration in dem Ausdruck auf der rechten Seite nunmehr über das gesamte Rechteck [t0 , t] × [t0 , t] erstreckt. An dieser Stelle sei an
die Definition des zeitgeordneten Produkts zweier Operatoren A(τ ′ ) und B(τ )
erinnert:
(
A(τ ′ )B(τ ) falls τ ′ > τ
.
T A(τ ′ )B(τ ) :=
B(τ )A(τ ′ ) falls τ > τ ′
Im allgemeinen Fall eines n-dimensionalen Integrals hat man
Zt
t0
1
=
n!
Zτ3 Zτ2
Zτn
dτn dτn−1 . . . dτ2 dτ1 VW (τn )VW (τn−1 ) . . . VW (τ2 )VW (τ1 )
t0
dτn
t0
t0
t0
Zt
Zt
t0
dτn−1 . . .
Zt
t0
dτ2
Zt
dτ1 T VW (τn )VW (τn−1 ) . . . VW (τ2 )VW (τ1 )
t0
20
mit
T VW (τn )VW (τn−1 ) . . . VW (τ2 )VW (τ1 ) = VW (τin )VW (τin−1 ) . . . VW (τi2 )VW (τi1 ),
wobei i1 , . . . , in jene Permutation von 1, . . . , n ist, für die τin > . . . > τi1 gilt.
Somit ist der Zeitentwicklungsoperator im Wechselwirkungsbild durch
UW (t, t0 ) =
Zt
∞
X
(−i/~)n
n=0
n!

dτn . . .
i
~
=: T exp −
t0
dτ1 T VW (τn ) . . . VW (τ1 )
t0
t0
Zt
Zt

dτ VW (τ )
gegeben, wobei der Ausdruck in der unteren Zeile eine kompakte Kurzschreibweise für die unendliche Summe der Integrale über die zeitgeordneten Produkte
darstellt.
Die Nützlichkeit des Wechselwirkungsbildes in der Streutheorie ergibt sich daraus,
dass man aus UW (t, t0 ) im Limes t0 → −∞, t → ∞ den Streuoperator


Z+∞
i
dτ VW (τ )
S = UW (+∞, −∞) = T exp −
~
−∞
und in weiterer Folge eine alternative Berechnungsmethode der Bornschen Reihe
erhält:
i
h~p |S|~p i = δ (~p − p~ ) −
~
′
(3)
2
i
+ −
~
(3)
Z∞
′
′
Z∞
−∞
−∞
dτ ′
dτ h~p ′ |eiEp~′ τ /~ V e−iEp~ τ /~ |~p i
Zτ ′
dτ h~p ′ |eiEp~′ τ
′ /~
V e−iH0 (τ
′ −τ )/~
V e−iEp~ τ /~ |~p i + . . .
−∞
′ (1)
= δ (~p − p~ ) + h~p |S |~p i + h~p ′ |S (2) |~p i + . . .
Der Term erster Ordnung h~p ′|S (1) |~p i in der Störungsreihe ist das Integral über
alle Zeiten τ des Matrixelements
h~p ′ |eiEp~′ τ /~ (−iV /~) e−iEp~ τ /~ |~p i,
was die folgende anschauliche Interpretation nahelegt: das Teilchen bewegt sich
zunächst frei mit dem Impuls ~p bis zum Zeitpunkt τ . (Das entspricht dem Faktor
exp(−iEp~ τ /~)|~p i.) Zum Zeitpunkt τ erhält es durch das Potential einen Stoß
21
(entspricht dem Faktor −iV /~) und bewegt sich wieder frei mit dem Impuls p~ ′
weiter (Faktor h~p ′ | exp(iEp~ ′ τ /~)). Diese Abfolge von Ereignissen kann man durch
das in Abbildung 6 gezeigte linke Feynmandiagramm illustrieren. Da nicht
feststellbar ist zu welchem Zeitpunkt τ die Wechselwirkung mit dem Potential
stattfindet, muss schließlich noch über den Bereich aller möglichen Werte von τ
integriert werden.
~
✒p
τ s
p
✒~
τ′ s
′
❅ p
❅ ~
■
❅
❅
τ
p
✒~
′
s
p1
✻~
s
❅ ~
❅ p
■
❅
❅
′
❅ p
❅ ~2
■
❅
❅
s
~1
✒p
s
❅ p
❅ ~
■
❅
❅
Abbildung 6: Graphische Darstellung von Termen der Störungsreihenentwicklung.
Zur Interpretation des zweiten Terms der Störungsentwicklung schieben wir den
Einheitsoperator in der Form
Z
1 = d3 p1 |~p1 ih~p1 |
ein und erhalten
Z∞ Zτ ′ Z
−iV −iE (τ ′ −τ )/~ −iV −iE τ /~
′
p~1 e p~1
p~ e p~ .
h~p ′ |S (2) |~p i = dτ ′ dτ d3 p1 eiEp~′ τ /~ ~p ′ ~p1 ~
~
−∞ −∞
Die physikalische Interpretation ist offensichtlich: das Teilchen bewegt sich bis zur
Zeit τ mit dem Impuls p~, wird dann durch das Potential V in einen Zwischenzu”
stand“ mit dem Impuls p~1 befördert um schließlich zum Zeitpunkt τ ′ durch eine
nochmalige Wechselwirkung mit dem Potential im Endzustand mit dem Impuls
p~ ′ zu landen. Da weder τ und τ ′ noch ~p1 beobachtet werden, muss über alle diese
Größen integriert werden, wobei −∞ < τ < τ ′ < ∞ zu beachten ist. Dieser
Beitrag zur Streuamplitude wird durch das mittlere Diagramm in Abbildung 6
dargestellt.
Wir wollen uns nun davon überzeugen, dass unsere Entwicklung tatsächlich
mit der bereits in Abschnitt 6 diskutierten Bornschen Reihe übereinstimmt.
Tatsächlich ergibt
h~p ′ |S (1) |~p i =
Z∞
dτ ei(Ep~′ −Ep~ ) τ /~ h~p ′ | (−iV /~) |~p i = −2πiδ(Ep~′ − Ep~)h~p ′ | V |~p i,
−∞
22
was genau dem Beitrag des ersten Born-Terms
T (1) (~p ′ , ~p ) = h~p ′| V |~p i
zu
h~p ′ |S|~p i = δ (3) (~p ′ − p~ ) − 2πiδ(Ep~ ′ − Ep~ )T (~p ′ , ~p )
entspricht.
Bei der Umformung des zweiten Terms h~p ′|S (2) |~p i muss man sich erinnern, dass
man eigentlich ein Matrixelement mit normierten Zuständen (also hχ|S (2) |ϕi)
berechnen sollte. Man sieht dann mit Hilfe des in Abschnitt 5 angegebenen Lemmas leicht, dass man in dem an sich nicht definierten Integral über τ nur einen
konvergenzerzeugenden Faktor einführen muss, um dann wieder fröhlich mit den
nichtnormierbaren Impulseigenzuständen weiterrechnen zu können:
Zτ ′
dτ eετ ei(Ep~1 −Ep~ )τ /~ =
−∞
i~
′
ei(Ep~1 −Ep~ )τ /~ .
Ep~ − Ep~1 + iε
Nach der Integration über τ ′ erhalten wir daher
Z
′ (2)
h~p |S |~p i = −2πiδ(Ep~ ′ − Ep~ ) d3 p1 h~p ′ |V |~p1 i
1
h~p1 |V |~p i,
Ep~ − Ep~1 + iε
was genau dem erwarteten Resultat,
T (2) (~p ′ , p~ ) = h~p ′ |V G0 (Ep~ + iε)V |~p i,
entspricht.
In Abbildung 6 ist ganz rechts jenes Feynmandiagramm dargestellt, welches dem
Beitrag dritter Ordnung zur T -Matrix entspricht:
T (3) (~p ′ , p~ ) = h~p ′ |V G0 (Ep~ + iε)V G0 (Ep~ + iε)V |~p i
Z
3
Z
= d p2 d3 p1 h~p ′ |V |~p2 i
1
1
h~p2 |V |~p1 i
h~p1 |V |~p i.
Ep~ − Ep~2 + iε
Ep~ − Ep~1 + iε
Wie wir sehen, wird die freie Ausbreitung in einem Zwischenzustand |~pk i zwischen
zwei Stößen (nach Durchführung der Zeitintegration) durch den Propagator“
”
1
Ep~ − Ep~k + iε
beschrieben.
23
Die Feynmanregeln für die Berechnung von T (n) (~p ′ , p~ ) lassen sich nun leicht
zusammenstellen:
1. Zeichne das entsprechende Feynmandiagramm mit n Vertizes“ (d.h. n
”
Wechselwirkungen mit dem Potential).
2. Schreibe für jeden Vertex einen Faktor h~pk+1|V |~pk i an, wobei p~0 = p~ und
~pn = p~ ′ .
3. Schreibe für die freie Ausbreitung in jedem der Zwischenzustände mit Impulsen ~pk = ~p1 , . . . p~n−1 jeweils einen Faktor 1/(Ep~ − Ep~k + iε) an.
4. Integriere über alle inneren Impulse ~p1 , . . . ~pn−1 .
9
Partialwellenentwicklung
Wir betrachten die Streuung in einem radialsymmetrischen Potential V (r). In
diesem Fall vertauscht nicht nur H0 = P~ 2 /2m, sondern auch H = H0 + V mit
~ Da die Møller-Operatoren und
allen Komponenten des Drehimpulsoperators L.
der aus ihnen gebildete Streuoperator Limiten von Funktionen von H0 und H
sind, handelt es sich auch bei Ωein , Ωaus und S um drehinvariante Operatoren.
Da weiters, wie in Abschnitt 3 besprochen, H0 und S miteinander kommutieren,
~ 2 , Lz und S gleichzeitig diagonalisiert werden. Es gibt also eine
können H0 , L
(verallgemeinerte) Basis von gemeinsamen Eigenvektoren |E, ℓ, mi, wobei
H0 |E, ℓ, mi = E|E, ℓ, mi,
~ 2 |E, ℓ, mi = ~2 ℓ(ℓ + 1)|E, ℓ, mi,
L
Lz |E, ℓ, mi = ~m|E, ℓ, mi,
S|E, ℓ, mi = e2iδℓ (E) |E, ℓ, mi,
E ∈ R+ ,
ℓ = 0, 1, 2, . . . ,
m = −ℓ, . . . , ℓ,
δℓ (E) ∈ R.
Die Form des Eigenwerts von S folgt aus der Unitarität des Streuoperators, weiters kann man sich leicht davon überzeugen, dass die Streuphase δℓ (E) nicht
von m abhängt.
Die Normierung der Basisvektoren sei durch
hE ′ , ℓ′ , m′ |E, ℓ, mi = δ(E ′ − E) δℓ′ ℓ δm′ m
festgelegt, die Vollständigkeitsrelation schreibt man dann in der Form
Z∞
∞ X
ℓ
X
dE
|E, ℓ, mihE, ℓ, m| = 1
0
ℓ=0 m=−ℓ
24
an. Eine besonders einfache Form haben die entsprechenden Impulsraumwellenfunktionen:
1
h~p |E, ℓ, mi = √ δ(Ep~ − E)Yℓm (p~ˆ ),
p~ˆ := ~p/p.
mp
Wegen der Radialsymmetrie des Potentials kann die Streuamplitude f (~p ′ , p~ ) nur
vom Betrag des Impulses p = |~p | = |~p ′ | und dem Streuwinkel θ abhängen:
f (~p ′, ~p ) = f (p, θ),
~p · ~p ′ = p2 cos θ.
Wie wir wissen (siehe Abschnitt 3), ist der Zusammenhang zwischen der Streuamplitude und dem S-Matrixelent ist durch
i
δ(Ep~ ′ − Ep~ ) f (~p ′, p~ )
2πm~
gegeben. Wir formen nun die linke Seite um:
h~p ′ |S − 1|~p i =
Z∞ X
dE
h~p ′ |S − 1|E, ℓ, mihE, ℓ, m|~p i
h~p ′ |S − 1|~p i =
0
ℓ,m
Z∞ X
ℓ
∞
X
2iδℓ (E)
h~p ′ |E, ℓ, mihE, ℓ, m|~p i
e
−1
=
dE
0
m=−ℓ
ℓ=0
Z∞ X
∞
e2iδℓ (E) − 1
=
dE
0
ℓ=0
′
ℓ
∗ ˆ
X
(p~ )
δ(Ep~ ′ − E)Yℓm (p~ˆ ) δ(Ep~ − E)Yℓm
√ ′
×
√
mp
mp
m=−ℓ
=
ℓ
∞
X
X
′
1
∗ ˆ
Yℓm (p~ˆ )Yℓm
(p~ )
e2iδℓ (Ep~ ) − 1
δ(Ep~ ′ − Ep~ )
mp
m=−ℓ
ℓ=0
Somit erhalten wir für die Streuamplitude den Ausdruck
ℓ
∞
X
′
4π~ X
∗ ˆ
iδℓ (p)
Yℓm (p~ˆ )Yℓm
(p~ ),
f (p, θ) =
sin δℓ (p) e
p ℓ=0
m=−ℓ
Nun verwenden wir die Formel
ℓ
X
′
2ℓ + 1
∗ ˆ
Yℓm (p~ˆ )Yℓm
(p~ ) =
Pℓ (cos θ),
4π
m=−ℓ
25
δℓ (p) ≡ δℓ (Ep~ ).
mit den durch
Pℓ (x) =
1 dℓ 2
(x − 1)ℓ ,
2ℓ ℓ! dxℓ
−1 ≤ x ≤ 1,
definierten Legendrepolynomen. Dies liefert die Partialwellentwicklung der
Streuamplitude:
f (p, θ) =
∞
X
(2ℓ + 1)
ℓ=0
sin δℓ (p) eiδℓ (p)
Pℓ (cos θ).
p/~
|
{z
}
=:fℓ (p)
Die Partialwellenamplitude fℓ (p) kann natürlich durch Benützung der Orthogonalitätsrelation der Legendrepolynome,
Z1
dx Pℓ (x)Pℓ′ (x) =
2δℓℓ′
,
2ℓ + 1
−1
aus der vollen Amplitude f (p, θ) zurückgewonnen werden:
1
fℓ (p) =
2
Z1
d cos θ f (p, θ) Pℓ(cos θ).
−1
Wir sehen, dass die gesamte Information über den Streuprozess in den Partialwellenamplituden fℓ (p) (bzw., äquivalent dazu, in den Streuphasen δℓ (p)) steckt.
Die Partialwellenentwicklung führt zu einer Doppelreihe für den differentiellen
Wirkungsquerschnitt dσ/dΩ = |f (p, θ)|2 als Summe von Produkten von Legendrepolynomen. Integriert man diesen Ausdruck über den gesamten Raumwinkel
um den totalen Wirkunksquerschnitt zu erhalten, fallen die gemischten Terme
wegen der Orthogonalitätsbeziehung der Legendrepolynome weg und man erhält
σ(p) =
∞
X
σℓ (p),
σℓ (p) = 4π(2ℓ + 1)|fℓ (p)|2 = 4π(2ℓ + 1)
ℓ=0
sin2 δℓ (p)
.
(p/~)2
Wegen | sin δℓ | ≤ 1 sind die Beiträge der einzelnen Partialwellen zum totalen
Wirkungsquerschnitt durch
σℓ (p) ≤
4π(2ℓ + 1)
(p/~)2
nach oben beschränkt. Diese Ungleichung wird Unitaritätsschranke genannt,
da sie aus δℓ (p) ∈ R und somit aus der Unitarität von S folgt. σℓ (p) nimmt
seinen Maximalwert genau dann an, wenn die dazugehörige Streuphase δℓ (p) ein
26
ganzzahliges Vielfaches von π/2 ist. Dies ist beim Auftreten von Resonanzen
der Fall.
Die praktische Bedeutung der Partialwellenentwicklung liegt darin, dass für niedrige Energien nur eine kleine Anzahl von Phasenwinkeln nicht verschwindet. Dies
gestattet eine Parametrisierung der Amplitude f (p, θ) durch eine kleine Anzahl
von Parametern, wobei die Konsistenz mit der Unitarität von S automatisch
durch die Realität der Phasenwinkel sichergestellt ist.
Literatur:
John R. Taylor: Scattering Theory, John Wiley & Sons, New York, 1972
Walter Thirring: Lehrbuch der Mathematischen Physik, Band 3, Quantenmechanik von Atomen und Molekülen, Springer, Wien, New York, 1994
27
Herunterladen