1. Worum geht es (in der Ontologie)? Was es gibt und wie es ist Erste Sitzung: Worum es geht Benjamin Schnieder Philosophisches Seminar der Universität Hamburg 1 0 Was ist die Ontologie? a. Sein Das Wort und die Sache Der Terminus „Ontologie“ ist anscheinend eine Neuschöpfung des 17. Jahrhunderts (von R. Göckel bzw. Goclenius). Übersetzt heißt es soviel wie „die Lehre vom Seienden“. Aber auch, wenn der Terminus relativ jungen Datums ist – was mit ihm bezeichnet wird, ist ein alter Zweig der Philosophie, der bereits bei Platon und Aristoteles eine prominente Rolle einnahm. 2 3 Was ist die Ontologie? Was ist die Ontologie? Christian Wolff – Philosophia prima sive ontologia (1736) Wolffs Antwort Die Ontologie oder auch Erste Philosophie ist die Wissenschaft des Seienden im allgemeinen, oder anders gesagt, die Wissenschaft des Seienden, insofern es seiend ist. Die Ontologie untersucht das Seiende im Allgemeinen. Die Ontologie untersucht das Seiende, insofern es Seiendes ist. Wie ist die zweite Charakterisierung zu verstehen? Antwort: – Ein und dasselbe Ding kann vieles zugleich sein. Z.B. kann etwas zugleich ein Tier, ein Mensch, ein Dozent, und ein Allergiker sein. – Etwas zu untersuchen, insofern es F ist, heißt, es in Hinblick auf sein F-sein zu untersuchen (und in Absehung anderer Beschaffenheiten). – Etwas zu untersuchen, insofern es seiend ist, heißt, es in Hinblick auf sein Sein zu untersuchen. 4 5 1 Was ist die Ontologie? b. Was heißt denn hier „Sein“? Willard van Orman Quine – „On What There Is“ (1948) A curious thing about the ontological problem is its simplicity. It can be put in three Anglo-Saxon monosyllables: ‘What is there?’ 6 7 8 9 Was ist die Ontologie? Quines Antwort Die Leitfrage der Ontologie lautet: Anders formuliert (nach Quine): Was gibt es? Was existiert? Quines Position könnte man als die Inventar-Auffassung der Ontologie bezeichnen. c. Die Inventar-Auffassung der Ontologie 10 11 2 Die Inventar-Auffassung der Ontologie Die Inventar-Auffassung der Ontologie Willard van Orman Quine – „On What There Is“ (1948) Antworten auf die ontologische Leitfrage A curious thing about the ontological problem is its simplicity. It can be put in three Anglo-Saxon monosyllables: ‘What is there?’ Die Leitfrage der Ontologie lautet: Die simple Antwort lautet: It can be answered, moreover, in a word—‘Everything’—and everyone will accept this answer as true. Was gibt es? Alles. Frage: Aber wieso betrachtet Quine die Antwort als unkontrovers? Antwort: Er hält „alles“ und „alles, was es gibt“ für austauschbar. Angenommen, die simple Antwort ist eine korrekte Entgegnung auf die Ausgangsfrage. Dann sollte die Inventar-Auffassung der Ontologie weitere Anforderungen an die Beantwortung ihrer Leitfrage stellen – um nicht sofort aufgrund von Trivialität zu verschwinden. Die Antwort sollte in einem gewissen Maße spezifisch sein (nicht völlig allgemein). 13 12 Was ist die Ontologie? Ontologie Willard van Orman Quine – „On What There Is“ (1948) William Shakespeare – Hamlet (1. Akt, 5. Szene) A curious thing about the ontological problem is its simplicity. It can be put in three Anglo-Saxon monosyllables: ‘What is there?’ It can be answered, moreover, in a word—‘Everything’—and everyone will accept this answer as true. (Der Geist tritt auf …) HORATIO O day and night, but this is wondrous strange! HAMLET And therefore as a stranger give it welcome. There are more things in heaven and earth, Horatio, Than are dreamt of in your philosophy. However, this is merely to say that there is what there is. There remains room for disagreement over cases; and so the issue has stayed alive down the centuries. 14 Die Inventar-Auffassung der Ontologie 15 Die Inventar-Auffassung der Ontologie Antworten auf die ontologische Leitfrage Antworten auf die ontologische Leitfrage Die Leitfrage der Ontologie lautet: Die Leitfrage der Ontologie lautet: Was gibt es? Was gibt es? Eine mögliche, spezifische Antwort lautet: Eine mögliche Antwort lautet: Unter anderem George Bush, die Weltwirtschaftskrise und Mars. Unter anderem George Bush, die Weltwirtschaftskrise und Mars. Die Antwort nennt einzelne Dinge, die es gibt. Auf die Weise gelangt man (ziemlich sicher) nie zu einer vollständigen Antwort. Eine weitere Antwort auf die Leitfrage lautet: Politiker, Krisen und Planeten. Die Antwort nennt Arten von Dingen, die es gibt. Damit ist sie allgemeiner als die vorherige Antwort, aber noch immer spezifischer als die simple Antwort „alles“. 16 17 3 Was ist die Ontologie? c. Ein alternatives Verständnis von „Sein“ Eine sinnvolle Ergänzung von Quines Antwort Die Leitfrage der Ontologie lautet: Was gibt es? Eine angemessene Antwort möglichst allgemeine Kategorien nennen. Beispiele könnten lauten: – – – – – materielle Dinge raumzeitlich verortete Dinge Geschehnisse Eigenschaften und Zustände von Dingen mathematische Dinge und Strukturen (z.B. Zahlen, Mengen, Ringe) 18 Was etwas ist 19 Was ist die Ontologie? Essenz Eine mögliche Antwort Unter dem Sein eines Dings könnte auch verstanden werden, was das Ding ausmacht, was ihm wesentlich ist (sofern es so etwas gibt), was sein Essenz ist – in Abgrenzung dazu, was ein Ding bloß unwesentlich ist, was ihm äußerlich ist. Die Ontologie ist die Lehre vom Sein. Die Inventar-Auffassung interpretiert „Sein“ dabei wie „Existenz“. Die Kern-Auffassung interpretiert „Sein“ dabei wie „Essenz“ oder „Wesen(tlichkeit)“. 20 21 Die Kern-Auffassung der Ontologie d. Eine weitere Auffassung zur Ontologie Voraussetzung Damit der Ontologie auch Arbeit verbleibt, sollte die Kern-Auffassung freilich voraussetzen, dass der Begriff der Wesentlichkeit nicht leer ist – dass es also innerhalb der Beschaffenheiten eines Dings eine echte Unterscheidung zwischen denen gibt, die ein Ding ausmachen, und denen, die ihm unwesentlich sind. 22 23 4 Was ist die Ontologie? Eine mögliche Antwort Die Ontologie ist die Lehre vom Sein. Inventar-Auffassung: also die Lehre von der Existenz Kern-Auffassung: also die Lehre von der Essenz Was beide Auffassungen anscheinend unter den Tisch fallen lassen, sind Aspekte des Aufbaus, Zusammenhangs und der Organisation der Dinge. Doch auch so könnte man die Ontologie verstehen. 24 25 Was ist die Ontologie? Eine mögliche Antwort Die Ontologie ist die Lehre vom Sein. Inventar-Auffassung: also die Lehre von der Existenz Kern-Auffassung: also die Lehre von der Essenz Struktur-Auffassung: also die Lehre von der Struktur 27 26 Ausblick auf Inhalte der Vorlesung 2. Worum geht es in der Vorlesung? Einige ontologische Grundbegriffe 1. Abstraktheit und Konkretheit 3. Identität (verstanden als Relation, ausgedrückt in Aussagen der Form „x = y“) und Verschiedenheit Existentielle Abhängigkeit Teil-Ganze Beziehungen 4. 5. 28 Existenz und Nichtexistenz 2. 6. Veränderung 7. Identität (verstanden als das Wesen oder die Natur einer Sache) 29 5 Ausblick auf Inhalte der Vorlesung Einige ontologische Kategorien 1. 2. Materielle Gegenstände Ereignisse 3. Eigenschaften bzw. Beschaffenheiten 4. Zahlen 5. Fiktive Figuren fin 30 31 6