Pocket: Mit 105 Flüchtlingen an Bord nach Lampedusa - Sea-Eye

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Mit 105 Flüchtlingen an Bord nach Lampedusa
By Augsburger Allgemeine,
www.augsburger-allgemeine.de
„Tödliche Flucht übers Mittelmeer“, „Küstenwache rettet 8000 Menschen in 48 Stunden“ – fast täglich
finden sich derartige Schlagzeilen in den Medien. Für Hans Rieß aus Dießen haben diese Nachrichten
eine besondere Bedeutung: Er war selbst Teil einer Rettungsaktion, Kapitän auf der Seefuchs Mission1
der Regensburger Organisation Sea-Eye.
Einmal war er, wie berichtet, bereits im Frühjahr in Italien gewesen, um gemeinsam mit einer Crew der
Sea-Eye Menschen vor dem Ertrinken zu retten, doch damals hatte das Wetter die Helfer am Auslaufen
gehindert. Beim zweiten Mal startete Rieß als Skipper des zweiten ehemaligen Fischkutters der
Organisation Sea-Eye.
Eigentlich ist es die Aufgabe der ehrenamtlichen Seenotretter, die Flüchtlingsboote gewissermaßen
abzusichern, den Menschen Rettungswesten und Wasser zu geben, bis beispielsweise die Küstenwache
sie aufnimmt. An welcher Stelle sie gebraucht werden, bekommen die Helfer laut Rieß von einer Art
Rettungsleitstelle in Rom, die fürs Mittelmeer zuständig ist, dem Maritime Rescue Coordination Centre
(MRCC), gesagt.
Diesmal kam es jedoch anders und härter, als alle in der neunköpfigen Crew erwartet hatten: Von Malta
aus schipperten sie auf einer 38-stündigen Fahrt in die internationalen Gewässer vor der libyschen
Küste. Bei der ersten Alarmierung ging es diesmal jedoch nicht nur darum, Schwimmwesten
auszuteilen, es mussten Flüchtlinge an Bord genommen werden. „Vor Ort war schon eine spanische
Fregatte, die hat Verstärkung angefordert.“
Frauen und Kinder in der Mitte
Der Dießener Metzgermeister zeigt die typischen Bilder der Schlauchboote, auf deren Rändern mit nach
außen baumelnden Beinen zahllose Schwarzafrikaner sitzen. „Die Frauen und Kinder sind in der Mitte.“
In einem kleinen Schlauchboot seien diese Menschen dann in einem Art Pendelverkehr aufs Schiff
geholt worden.
Führe die Seefuchs selbst zum Flüchtlingsboot, bestünde die Gefahr, dass die Menschen aufstehen und
das Schlauchboot kippt. „Den Flüchtlingen zieht es die Beine weg“, beschreibt Rieß, wie vielen ins
rettende Boot geholfen werden muss, da sie nach dem langen, beengten Sitzen keine Kraft mehr in den
Beinen haben. „Wir hatten aber Glück, wir hatten keine Toten.“ Die Flüchtlingsboote werden danach
zerstört, damit sie nicht erneut von Schleppern verwendet werden können.
Bunt wirken die Bilder, die Rieß zeigt – auf den ersten schnellen Blick: Es sind Geflüchtete, eingepackt
in goldene Isolationsfolie. Denn der Wind ist in den Nächten kalt, zehn Grad Celsius war es dann an
Bord. Die Menschen wurden später wieder von einem Schiff der Küstenwache übernommen, „bis um ein
Uhr in der Nacht“ dauerte der Umstieg, erzählt Rieß.
Doch dann kam die noch größere Herausforderung für die Crew: Zwei Tage lang war die Seefuchs laut
Rieß alleine in dieser Seegegend, die mit Flüchtlingen überfüllten Kriegsschiffe seien alle Richtung
Italien gefahren. Die Seefuchs wurde an einem frühen Morgen wieder zu Flüchtlingen in Seenot
dirigiert. „Es war ein Holzboot mit 48 Flüchtlingen drin und ein Schlauchboot mit 120 Personen – die
Seefuchs nahm sie auf, bei starkem Seegang, ein anderes großes Schiff bot Windschutz während der
Aktion.
Dann heißt es umsteigen
Übernehmen sollte die Geflüchteten später „ein 100000-Tonnen-Tanker“, der am Abend kam. Für die
Afrikaner hieß es umsteigen, mit einer Jakobsleiter, das heißt einer Strickleiter den Tanker erklimmen.
Fotos verdeutlichen, wie hoch die Schiffswand des Tankers ist. Es herrscht starker Seegang, eine
seefahrerische Herausforderung für den Skipper. Der Kutter sei immer wieder gegen den Tanker
geschlagen, erzählt Rieß: „Bei 61 Leuten war Schluss“, dann sei wegen des Seegangs kein Umsteigen
mehr möglich gewesen.
Die Direktive lautete nun, die Flüchtlinge nach Lampedusa zu fahren, zwei einzelne Kranke wurden
noch vom italienischen Militär abgeholt. Die, die noch an Bord waren, wurden mit Reis und süßem Tee
versorgt. Über 30 Stunden dauerte die Fahrt, und sie hätte noch länger gedauert, hätte nicht der Tanker
als Windschutz fungiert, wie Rieß erläutert. Es habe Windstärke sieben bis acht geherrscht und schwerer
Seegang, erzählt er, wie schwierig es war, die verbleibenden über 100 Flüchtlinge an Bord vor
Unterkühlung und Nässe zu schützen.
Ob sie es schaffen oder nicht
Nichtregierungsorganisationen wie der Sea-Eye wird vorgeworfen, mit ihrer Hilfe den Schleppern
Vorschub zu leisten. „Die fahren, ob sie’s schaffen oder nicht“, meint Rieß über die Motivation der
Flüchtlinge. Daheim zu verhungern, auf der Flucht in der Wüste zu verdursten, in libyschen
Flüchtlingscamps vergewaltigt oder verletzt zu werden oder auf dem Mittelmeer zu ertrinken, dies seien
die Optionen dieser Menschen. Nicht die Zahl der ehrenamtlichen Retter habe zugenommen, sondern
die EU-Staaten hätten ihre Hilfe zurückgefahren, beschreibt er die Situation auf dem Mittelmeer.
Und Rieß will erneut fahren, wenn es eine Anfrage gibt, er ist weiter in Kontakt mit der Organisation.
Obwohl es anstrengend ist – oft waren für ihn als Kapitän, der die ganze Verantwortung trägt, nicht
mehr als zwei Stunden Schlaf drin. „Es ist zum Glück nichts passiert, wir haben keinen Flüchtling
verloren und es ist kein Crewmitglied verletzt worden.“
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