Datum: 06.05.2017 Süddeutsche Zeitung am Wochenende 81677 München www.sueddeutsche.de Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 470'333 Erscheinungsweise: wöchentlich Seite: 16 Fläche: 110'591 mm² Auftrag: 1092664 Themen-Nr.: 141.004 Zwei Reiche Auf der Wartburg entstand die Bibelübersetzung, dann ein nationaler Kult. Nun läuft dort die Jubiläumsausstellung Luther und die Deutschen" VON WILLI WINKLER seiner Schrift Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe deutscher Theologie und Kirche" verkündet. erkwürdigerweise hat es Walter Grundmann nicht Auch der Zweite Weltkrieg in die Ausstellung ge- wurde mit Luther zum Werk schafft. Weit ist der Weg von Eisenach bis auf die der Liebe" erklärt Wartburg nicht, sechzehn Minuten mit Bus oder Auto, auch zu Fuß nur eine Dreiviertelstunde, und ein bisschen mehr Lokalkolorit hätte nicht geschadet. Doch die zweite Nationale Sonderausstellung", die im Zeichen des Hammers Luther und die Grundmann war nicht der einzige Theologe, den es auf diese keineswegs einsame Höhe drängte. Heinrich Bornkamm, geach- Deutschen" in engere und fernere Beziehung setzen will, hat diesen eminenten protestantischen Theologen leider übergangen. In Eisenach, in der Stadt am Fuße der Wartburg, wo Martin Luther gut vierhun- Heidelberg, gab 1940 für den Tornister der teter Lehrer im Nachkriegsdeutschland und Professor für Kirchengeschichte in siegreich nach Frankreich marschierenden Soldaten Luthers Schrift Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können" heraus. Der Krieg sei ein Werk der Liebe", wehrkraftertüchtigte der gottesgelahrte dert Jahre zuvor das Neue Testament über- Bornkamm, und deshalb dem Christen gesetzt hatte, wurde 1939 mit Grundmann boten. Für 20 Pf., ab 100 Stück 18 Pf., ab als wissenschaftlichem Leiter ein höchst 1000 Stück 16 Pf." lieferte Bornkamm daakademisches Institut zur Erforschung mals zeitgemäße Haltung und wusste sich des jüdischen Einflusses auf das deutsche eins mit Luther. Luther gab mit dieser kirchliche Leben" gegründet. Dass dieser Schrift dem oft verachteten SoldaEinfluss gleich beseitigt" werden sollte, ten= (Söldner=)Stande eine neue Ehre und führte das Unternehmen nur kurz im legte den Grund zu der Verbindung von Schild, ging aber dann umso tatkräftiger Mut und Demut, die in der Geschichte des ans Werk. Luthers Übersetzung, noch von deutschen Heeres lebt." Bert Brecht gerühmt und ausgebeutet, Aber wie deutsch war Martin Luther war mit einem Mal zu jüdisch, sein Paulus überhaupt? Kein Tropfen deutschen Bluts zu rabbinisch, ganz einfach undeutsch. Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei in ihm, schmähte ihm 1549 sein Widersei", wie Luther noch in einer frühen sacher Johannes Cochläus nach, konnte Schrift zur Verteidigung der Juden gegen aber nicht verhindern, dass der drei Jahre die allfälligen Repressionen geschrieben zuvor verstorbene Reformator noch vor hatte, sollte mit allen philologischen Mit- jeder deutschen Nation zum nationalen teln aus dem Bewusstsein verbannt wer- Heros aufstieg. Zu Lebzeiten hatte Lucas den, Christus zu einem Vorläufer der ari- Cranach mit seiner Werkstatt das Bild des schen Rasse umgeschaffen und auf die Hö- Mönchs, des Theologen, des Predigers he der Zeit gebracht werden. Grundmann und Ehemanns tausendfach in die Welt geselber hatte den Plan programmatisch in tragen. Am Ende steht Erich Honecker, der ARGUS DATA INSIGHTS® Schweiz AG | Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich T +41 44 388 82 00 | E [email protected] | www.argusdatainsights.ch Referenz: 65249632 Ausschnitt Seite: 1/4 Datum: 06.05.2017 Süddeutsche Zeitung am Wochenende 81677 München www.sueddeutsche.de Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 470'333 Erscheinungsweise: wöchentlich 1978 mit der Amtsgewalt des Staatsratsvorsitzenden Martin Luther zu einem der größten Söhne des deutschen Volkes" ernannte und nebenbei zum ideellen Staatsgründer der allerdings weitgehend atheistischen DDR. Seite: 16 Fläche: 110'591 mm² Auftrag: 1092664 Themen-Nr.: 141.004 Auf der Wartburg bekam Luther im 19. Jahrhundert eine Kanzel, von der er nie gepredigt hatte, eine Stube, in der bis auf einen versteinerten Walfischknochen nichts mehr von Luther stammte, aber vor allem erhielt er den Nimbus des Reichseini- Bei aller Hegel'schen Letztbegründung gers, Seit' an Seit' mit dem preußischen bedurfte gerade die DDR solcher Umwid- Kirchenkämpfer Bismarck. mungen. Nach der Wartburg, wo sich die Burschenschaftler bei Fackelschein und Die Ausstellung kann davon naturge- versicherten, musste ja auch der ostdeutsche Staatswagen heißen. Deshalb ist die Wartburg auch der passende Ort für die Rekonstruktion der Luther-Werdung, die sonst auf Erfurt (Klostereintritt), Wittenberg (95 Thesen) und Worms (Auftritt vor dem Kaiser) verstreut wäre. Die volle Wucht der Reformation" ver- gnien, der Baseler Druck der 95 Thesen, ein Ablasszettel und die Bannandrohungs- frohen Gesängen deutscher Art und Größe mäß nur wenig zeigen. Ein paar Reichsinsibulle müssen helfen, Anlass und Ausgangs- punkt der Reformation zu illustrieren; für mehr wären die engen Burgräume auch zu klein. Das Luther'sche Bildmotiv Gesetz und Gnade" konkurriert mit Caspar David Friedrichs Bild von Huttens Grab, mit Un- spricht der Werbe-Jingle des Gedenk- tertassen mit der Aufschrift Ein feste jahrs, einprägsam um die Internetadresse Burg ist unser Gott", mit einem Modell www.3xhammer.de und den legendenhaf- einer der vielen Luther-Kirchen. Als Österten Hammer gruppiert, den Luther wohl reich 1938 heim ins Reich kommen sollte, niemals führte. Seit dem 19. Jahrhundert blinkte hoch oben auf dem Burgfried statt ist er aber nationaltheologisches Acces- des Kreuzes für drei Tage das zeitgemäße Hakenkreuz. soire. Ohne ihn, ohne das Image, das FerdiSchon der amerikanische Journalist nand Pauwels 1872 gleich nach der Reichsgründung in Öl festhielt, fehlte es dem William Shirer sah eine Kontinuität von 500. Reformationsjubiläum offenbar an Luthers antijüdischen Schriften zum Dritder vollen Wucht. Zum Ausgleich grübelt ten Reich. Während dessen Machthaber es von der Stellwand, warum man wider sich wenig um Religionsdinge scherten, besseres Wissen auf ein überholtes Motiv" wetteiferten die Deutschchristen darum, wer es deutschnationaler konnte. Diese zurückgreife. Ja, warum eigentlich? Lutheraneignung findet ihren schaurigen Die Wartburg, auf der sich Luther eingekerkert fühlte, wo er nicht bloß mit dem Höhepunkt im letzten Raum, den die Aus- Wort Gottes, sondern, so berichtete er, stellungsmacher höllenrot grundiert haauch mit dem Teufel rang, wurde zum sym- ben. Bereits 1933 gab der aus Eisenach bolischen Ort nationaler Einigungssehn- stammende sächsische Landesbischof sucht. Die Burschenschaften feierten hier Friedrich Coch die Parole aus Mit Luther den Sieg über Napoleon, und mit verein- und Hitler für Glauben und Volkstum!" ten Kräften wurde die Burg restauriert. Der thüringische Bischof Martin Sasse lieDer Märchendichter Ludwig Bechstein ferte fünf Jahre später zur Reichspogromdie historische Einordnung. Die Synschickte eine Spende, die ursprünglich nacht agogen hätten zu Luthers Geburtstag gemit Holz von jenem Buchenstamm gebrannt, der, getrieben von seinem Gewisrahmt war, der im Mai 1521 Zeuge ward, sen, (...) der größte Antisemit seiner Zeit geals der auf dem Reichstag vom Kaiser geworden ist, der Warner seines Volkes wibannte Luther bei Altenstein von Soldaten der die Juden". seines treuen Kurfürsten entführt und zu seinem Schutz auf die Wartburg verbracht wurde. Ein Mythos braucht nicht anders Der Weg hinab von der Burg als die Religion seine Gläubigen. Moritz wird zum Trimm-dich-Pfad von Schwind malte den Sängerkrieg, protestantischen Deutschtums Richard Wagner gab die schwellende Musik dazu, Luther wurde Vorläufer, PropaEine ideologische Auseinandersetzung gandist und Bewahrer eines nicht ganz taumit dem, was an Luther womöglich besonsendjährigen deutschen Reiches. ARGUS DATA INSIGHTS® Schweiz AG | Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich T +41 44 388 82 00 | E [email protected] | www.argusdatainsights.ch Referenz: 65249632 Ausschnitt Seite: 2/4 Datum: 06.05.2017 Süddeutsche Zeitung am Wochenende 81677 München www.sueddeutsche.de Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 470'333 Erscheinungsweise: wöchentlich Seite: 16 Fläche: 110'591 mm² Auftrag: 1092664 Themen-Nr.: 141.004 ders deutsch ist, traut sich die von Marc Höchner kuratierte Ausstellung dann aber lieber nicht zu. Wie weit ist es von Luthers trotzigem Hier stehe ich, ich kann nicht anders" (wenn er es gesagt hat) zum Terro- risten Holger Meins, der sich mit dem Spruch Entweder Schwein oder Mensch/ Entweder überleben um jeden/ Preis oder Kampf bis zum Tod" tatsächlich bis zum Tode hungerte? Schließlich war auch Luther bereit gewesen, in den Tod zu gehen, als er 1521 auf den Reichstag nach Worms geladen wurde. Der Weg hinab von der Wartburg ist ein lutherischer Trimm-dich-Pfad durch die nationale Selbstvergewisserung. In bestem historisierenden Öl malten Ferdinand Pauwels und Paul Thumann einen zwar nicht unbedingt historischen, aber sehr deutschen Luther: Luther als Grübler, Luther als Thesenanschläger, Luther vor dem Kaiser, Luther auf der Wartburg, Luther als Bibel-Übersetzer. Und Grundmann? Er folgte seiner ganz eigenen Zwei-Reiche-Lehre, mit der Mar- tin Luther den Protestantismus auf deut- schem Boden verankerte. Lange nach Grundmanns Tod 1976 wurde bekannt, dass er seine kirchliche Laufbahn nach dem Ende des Dritten Reiches fortsetzen und nebenberuflich als Informeller Mitar- beiter für das Ministerium für Staatssicherheit wirken konnte. Diese war so lebhaft an Nachrichten aus dem gesamtdeutschen Kirchenraum interessiert, die Grundmann zuverlässig lieferte, dass man ihn pensionssteigernd zum Kirchenrat erhob. Alles, was er getan habe, rechtfertigte sich Grundmann in schönstem LutherDeutsch, habe er aus Liebe zu Jesus" getan. Aber war nicht auch Jesus Deutscher? Luther und die Deutschen. Wartburg, Eisenach, bis 5. November. Der (im Unterschied zur Ausstellung) sehr informative Katalog kostet 29,95 Euro. Info: www.wartburg.de ARGUS DATA INSIGHTS® Schweiz AG | Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich T +41 44 388 82 00 | E [email protected] | www.argusdatainsights.ch Referenz: 65249632 Ausschnitt Seite: 3/4 Datum: 06.05.2017 Süddeutsche Zeitung am Wochenende 81677 München www.sueddeutsche.de Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 470'333 Erscheinungsweise: wöchentlich Seite: 16 Fläche: 110'591 mm² Auftrag: 1092664 Themen-Nr.: 141.004 j Oben die Niederlage der Protestanten in der Schlacht von Mühlberg 1547, die die Kirchenspaltung aber nicht aufhalten konnte; unten Die Pfarrerskinder" von Johann Peter Hasenclever (Aussschnitt), um 1847. FOTOS: KUNSTKAMMER WIEN, STIFTUNG SAMMLUNG VOLMER ARGUS DATA INSIGHTS® Schweiz AG | Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich T +41 44 388 82 00 | E [email protected] | www.argusdatainsights.ch Referenz: 65249632 Ausschnitt Seite: 4/4