Die Herausforderungen des Kulturgüterschutzes durch die

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Sahin, Kulturgüterschutz
Öffentliches Recht
Freilaw 2/2016
Die Herausforderungen des Kulturgüterschutzes durch die Aktionen
des sogenannten Islamischen Staates
Irem Şahin*
A. Abstrakt
Der Islamische Staat (IS) ist ein viel diskutiertes Thema. Die
Organisation ist eine bisher unbekannte Erscheinungsform und
fordert dadurch die gesamte Völkerrechtsordnung konfrontativ
heraus. Unter dem Deckmantel der Religion verfolgt der IS
sehr große Ziele. Angestrebt wird eine Weltherrschaft. Der
Zerstörung von Kulturgut kommt hierbei eine sehr hohe Bedeutung zu. Es gilt die gesamte Vergangenheit der Menschheit
auszulöschen und kulturfreien Boden zu schaffen. Es handelt
sich um ein Verbrechen in der Gegenwart, welches sich gegen
unsere Vergangenheit richtet und unsere Zukunft gefährdet.
Der IS erzwingt den langersehnten Durchbruch des Kulturgüterschutzes.
B. Der Islamische Staat
Die Entstehungsgeschichte des IS ist auf den Irakkrieg 2003
zurückzuführen. Der IS ging aus der Gruppe Tawhid und Jihad
hervor, die gegen die US Invasion im Irak kämpfte und gab
sich den Namen „Al Qaida im Irak“. Im Oktober 2006 rief „Al
Qaida im Irak“ den „Islamischen Staat im Irak“ (ISI) aus. Zu
seinem Führer wurde Abu Omar al-Baghdadi ernannt. Im April
2010 wurde der erste Al-Baghdadi durch US Luftanschläge
getötet und sein Nachfolger Abu Bakr Al-Baghdadi übernahm
die Führung. Die Al-Nusra Front, ebenfalls ein Ableger von Al
Qaida, erklärte Al-Baghdadi zum Bestandteil seiner Organisation, die er fortan unter dem Namen ISIS (Islamischer Staat im
Irak und Al Sham – die Levante) führte. Am 29. Juni 2014, rief
Al Bakr Al-Baghdadi das Kalifat aus. Er nannte sich von nun
an „Kalif Ibrahim – Gebieter der Gläubigen“ und sah sich als
den legitimen Nachfolger des Propheten Mohammed. Gleichzeitig benannte er ISIS in IS (Islamischer Staat) um. Die staatliche Eingrenzung wurde fallen gelassen und der globale Herrschaftsanspruch verdeutlicht. Derzeit beherrscht der IS ein
Gebiet in Syrien und im Irak, das ca. so groß ist wie Großbritannien. Der Aufstieg des IS ist blutig. Die Dschihadisten foltern und verstümmeln, köpfen und kreuzigen. Frauen werden
sexuell ausgebeutet und Kinder nicht verschont. Dieser grausame Terror erstreckt sich auch gegen Kulturgut. Rücksichtslos
vernichtet die Dschihadistenmiliz dieVergangenheit.
C. Kulturgüterschutz im Kriegsrecht
Betrachtet man die menschliche Entwicklungsgeschichte, so
lässt sich eindeutig erkennen, dass die Vernichtung von Kultur
selbst ein Stück Kultur ist. Alle Kulturen bauen auf der Vernichtung einer anderen auf.1 Die Idee, Kulturgüter zu schützen
existiert somit schon sehr lange. Mutwillig Kulturgüter zu
zerstören oder sie aus besetzten Gebieten zu erbeuten, galt
schon im 18. Jahrhundert als Bruch guter Sitten.2 In den darauf
folgenden Jahren bildeten sich konkrete Bestimmungen zum
Schutz von Kulturgütern heraus. Diese fanden Einlass in das
Kriegsvölkerrecht.
Das Kriegsvölkerrecht oder auch Recht der bewaffneten
Konflikte, heute überwiegend als Humanitäres Völkerrecht
bezeichnet, ist die Gesamtheit der rechtlichen Beschränkungen,
die das Völkerrecht den an einem bewaffneten Konflikt Beteiligten auferlegt.3 Die Schutzrichtung des Kulturrechts im
Kriegsvölkerrecht ist determiniert durch die spezifischen Gefahren, die Kulturwerken in bewaffneten Konflikten drohen.
Grundsätzlich sind alle Objekte, die keine militärischen Ziele
sind, durch das Kriegsvölkerrecht geschützt und können weder
angegriffen noch zum Gegenstand von Repressalien gemacht
werden.
1. Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut
bei bewaffneten Konflikten
Den Kern des Kulturgüterschutzrechts bilden die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten
von 1954 und ihr zweites Zusatzprotokoll von 1999.
Schutzgüter sind alle Kulturgüter i.S.v. Art.1 der Konvention, d.h. bewegliches oder unbewegliches Gut, das für das kulturelle Erbe der Völker von großer Bedeutung ist.
Differenziert wird zwischen Allgemeinen Schutzbestimmungen und Sonderschutzbestimmungen. Der allgemeine
Schutz verpflichtet die Vertragsparteien zur Sicherung und
Respektierung des Kulturguts. Die Pflicht zur Sicherung umfasst das Gebot, schon in Friedenszeiten den Schutz des auf
dem eigenen Hoheitsgebiet befindlichen Kulturguts gegen
voraussehbare Folgen eines bewaffneten Konflikts vorzubereiten. Die Pflicht zur Respektierung ist eine Verhaltensanforderung für den Konfliktfall: Diebstahl, Plünderung und jede sinnlose Zerstörung von Kulturgut sind zu verhindern.
Für Kulturgüter, die unter Sonderschutz stehen, wird ein
höheres Schutzniveau bereitgestellt. Die Konventionsstaaten
verpflichten sich, ihre Unverletzlichkeit zu gewährleisten. Die
Verleihung des Sonderschutzes erfolgt durch Eintragung in das
„Internationale Register für Kulturgut unter Sonderschutz“,
welches vom Generaldirektor der UNESCO geführt wird.
2
1
vgl. Eveline Lattmann; Schutz der Kulturgüter bei bewaffneten Konflikten, die schweizerische Gesetzgebung und Praxis aufgrund des Haager
www.freilaw.de
3
Abkommens vom 14. Mai 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten; Zürich 1974; S.32.
vgl. Michael Bothe/Dieter Fleck; Handbook of humanitarian law in armed
conflicts, 2. Auflage, Oxford 2008; Rn.902
vgl. Ignaz Seidl- Hohenveldern/ Torsten Stein; Völkerrecht; 13. Auflage,
München 2012; S.250.
ISSN: 1865-0015
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Insgesamt 126 Staaten haben das Haager Abkommen4 ratifiziert (Stand: 2015) und sich sowohl dem Allgemeinen Schutz,
als auch dem Sonderschutz von Kulturgut verpflichtet.
Ebenso wie das gesamte Völkerrecht ist auch das Haager
Abkommen mit der Absicht konzipiert, Beziehungen zwischen
Staaten zu regeln. Inwiefern dem IS Völkerrechtssubjektivität
zugesprochen werden kann, ist fraglich. Barack Obama sagte
im September 2014: „The Islamic State is neither Islamic nor a
state“.5
a. Das islamische Staatsverständnis
Das islamische Staatsverständnis basiert auf dem Absolutheitsanspruch, Totalitätsanspruch und Universalitätsanspruch des
Islams. Das Fundament ist theokratischer Natur, Politik und
Religion existieren als Einheit. Das islamische Recht ist auf ein
Universalgemeinwesen hin orientiert, dem im Laufe der Zeit
alle Mitglieder der Menschheitsfamilie einzugliedern sind. Als
Ideal anerkannt wird die „umma“, die politisch- religiöse Einheit aller Muslime. Zentrale Akteure in der staatlichen Struktur sind im Koran benannt: Gott als oberster Souverän, der
„Kalif“ als weltlich religiöser Herrscher und die „Schura“ als
beratendes Gremium aus Rechtsgelehrten und hervorragenden
Personen. Die „umma“ schuldet dem Kalifen absoluten Gehorsam. Dieser wird auf Lebenszeit gewählt oder ernannt, wobei
eine Selbsternennung, wie bei Abu-Bakr Al-Baghdadi, ausgeschlossen ist. Das einzig gültige Recht ist das göttliche und
daher überlegene islamische Recht, das nicht von der Gegenseitigkeit oder Zustimmung der anderen Seite abhängt. Die
Gerechtigkeit und Überlegenheit dieser Normen sind dabei
durch deren Göttlichkeit indiziert.6 Das Recht zum Dschihad
(heiliger Krieg der Muslime) ist nach Auffassung des Korans
grundsätzlich nur auf Verteidigung des Glaubens legitimiert.
Nach islamischem Verständnis ist die Welt zweigeteilt. Zum
einen das Islamische Territorium (dar-al-islam) und zum anderen das Territorium des Krieges, welches von den Ungläubigen
bewohnt wird (dar-al-harb). Bestrebt wird die religiöse Einheit
der Welt. Da das Völkerrecht primär ein Zwischenstaatenrecht
ist, führt jenes Fernziel einer „globalen umma“ zu Gegensätzen
zwischen dem Völkerrecht auf der einen Seite und auf der
anderen, dem Konzept eines Rechts, bei dem die Beziehungen
zwischen transnationalen religiös homogenen, nichtstaatlichen
Personenkörperschaften im Vordergrund stehen.7
b. Der „Islamische Staat“ als Staat im
völkerrechtlichen Sinne
Nach der auf Georg Jellinek zurückzuführenden Drei-Elemente
Lehre ist die Staatsqualität eines sozialen Gebildes gekennzeichnet durch das Vorhandensein eines Staatsgebietes, eines
4
5
6
7
Haager Abkommen zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten.
vgl.
Homepage
des
Weißen
Hauses,https://www.whitehouse.gov/blog/2014/09/10/president-obama-wewill-degrade-and-ultimately-destroy-isil; zuletzt abgerufen am 29. September 2016.
vgl. Hilmar Krüger; Fetwa und Siyar; Wiesbaden 1978; S.5f.
vgl. Graf Wolfgang Vitzthum; Völkerrecht, 3. Auflage, München 2010;
Rn.83 ff.
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Staatsvolkes und einer hinreichend effektiven Staatsgewalt8.
Umstritten ist, ob bereits das Vorliegen dieser drei Voraussetzungen allein einen Staat im Sinne des Völkerrechts ausmacht
oder ob es zum „Eintritt“ in die Staatengemeinschaft als zusätzliches viertes Merkmal noch der Anerkennung durch andere Staaten bedarf.
(1) Staatsgewalt
Die Staatsgewalt ist die Herrschaftsmacht über Land und Leute, d.h. über Staatsgebiet und die dort befindlichen Leute. Sie
kommt dadurch zum Ausdruck, dass der Staat einseitig Anordnungen erlassen und erforderlichenfalls zwangsweise durchsetzen kann.9
Der IS operiert unabhängig von anderen Staaten und verfügt
über einen funktionierenden Staats- und Verwaltungsapparat.
Die Dauerhaftigkeit dieser Staatsgewalt scheint vorerst noch
ungewiss.
Als bloßer Indikator für das Vorliegen einer effektiven
Staatsgewalt ist die Dauerhaftigkeit allein dann entscheidend,
wenn wie vorliegend durch die Ausübung der Staatsgewalt die
Interessen anderer Staaten, hier Syrien und Irak, unmittelbar
betroffen sind. Unter diesen Voraussetzungen wäre dem Islamischen Staat jedenfalls nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne Staatsgewalt beizumessen.
(2) Staatsvolk
Das Staatsvolk als personelles Substrat des Staates bestimmt
sich über das formale Bindeglied der Staatsangehörigkeit.10 In
den Territorien, welche der IS beherrscht, leben ca. acht Millionen Menschen. Diese gehören zu großen Teilen der sunnitischen Religionsgemeinschaft an und der IS genießt durchaus
den Rückhalt eines signifikanten Bevölkerungsanteils. Trotzdem sind diese keine Staatsbürger des Islamischen Staates.
Unter dem Hinweis auf die gerade bei neuen Staaten häufig
fehlende Staatsangehörigkeitsregelung ist das Bestehen einer
dauerhaften stabilen Gemeinschaft ausreichend. Wie bereits
festgestellt ist die Dauerhaftigkeit des IS zum jetzigen Zeitpunkt aber noch ungewiss.
(3) Staatsgebiet
Das Staatsgebiet bildet das territoriale Substrat des Staates.
Getrennt werden die Gebiete der Staaten durch Grenzen.11 Das
Staatsgebiet definiert sich jedoch nicht allein über seine Staatsgrenzen. Entscheidend ist vielmehr die effektive Beherrschung
des beanspruchten Territoriums.12
Im Falle des IS erfolgt der Erwerb der besetzten Gebiete
durch das Rechtsinstitut der Ersitzung („usa capio“). Eine
8
9
10
11
12
vgl. Andreas von Arnauld; 2. Auflage Heidelberg 2014; Rn.70 ff.
vgl. Anthony Aust; Handbook of International Law, 2. Auflage;
Cambridge 2010; S.136f.
vgl. Matthias Herdegen; Handbook of International Law, 2. Auflage;
Cambridge 2010; §8 Rn.6.
vgl. Matthias Herdegen, Völkerrecht, §8 Rn.5; Graf Wolfgang Vitzthum,
in: Vitzthum, Völkerrecht, III Rn.79.
vgl. Stephanie Baer; Der Zerfall Jugoslawiens im Lichte des Völkerrechts,
Frankfurt 1995; S.49.
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Sahin, Kulturgüterschutz
Öffentliches Recht
Ersitzung liegt vor, wenn ein Staat über einen erheblichen
Zeitraum ununterbrochen und unangefochten die effektive
Herrschaftsgewalt über ein Territorium ausgeübt hat.13 In Abgrenzung zur Okkupation, die die Inbesitznahme von terra
nullius, also von einem staatenrechtlich herrenlosem Land,
zum Gegenstand hat, bezieht sich die Ersitzung auf Territorium, das schon zuvor in Besitz genommen worden war.
Der Islamische Staat besitzt kein eigenes Staatsgebiet, kontrolliert jedoch das Territorium im Nordosten Syriens entlang
des Euphrat bis in den Irak. Das Fortbestehen der Besatzung
kann wiederum erst nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne
bejaht werden.
(4) Anerkennung
Je schwieriger die Beurteilung eines territorialen Gebildes als
Staat ist und je stärker die Zweifel an der Staatsqualität sind,
desto größer ist die Bedeutung der Anerkennung als Staat
durch die internationale Gemeinschaft.14
Andere Staaten verweigern dem IS jedwede Anerkennung,
sodass ihm keine eigene Souveränität zugesprochen werden
kann. Zudem würde jede Anerkennung des IS als Staat die
Souveränität von Syrien und Irak in Frage stellen. Solange eine
Rückeroberung durch die betroffenen Staaten nicht ausgeschlossen ist, gilt das Interventionsverbot. Zumindest in der
Theorie müssen Syrien und Irak ein permanentes Recht dazu
besitzen, die vom IS kontrollierten Gebiete zurück zu erobern.
(5) Zwischenergebnis
Hiermit bestätigt sich erneut, dass die Drei- Elemente Lehre
unzureichend ist. Die „Dreieinigkeit“ kann das Wesen des
Islamischen Staates nicht angemessen erfassen.
(6) Qualifizierter Staatenbegriff
Es besteht die Möglichkeit die Anforderungen an die Staatlichkeit durch eine materiell-rechtliche Komponente zu erweitern.
Gefordert werden ein Mindeststandard hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechten und ein Mindestgrad an Zivilisation. Allgemein können Menschenrechte in islamischen Ländern
nur im Rahmen der im Koran und dem islamischen Gesetz
festgelegten Gebote gewährt und eingefordert werden. Die
Kairoer Erklärung für Menschenrecht im Islam von 1943 ist
der Scharia untergeordnet. Art. 24 besagt, dass alle Rechte und
Freiheiten, die in dieser Erklärung genannt werden der islamischen Scharia unterstehen. Unabhängig davon inwiefern die
Scharia selbst Menschenrechte garantiert, ist festzuhalten, dass
der IS dem Mindeststandard an Menschenrechten keinesfalls
gerecht wird. Ein aktuelles Beispiel ist die Enthauptung des
Chef-Archäologen, Khaled Asaad, von Palmyra. Dieser inhumanen Tat folgte, dass der Leichnam an eine antike Säule in
Palmyra gehängt wurde. Von Zivilisation kann hier kaum die
Rede sein.
Auch nach dem qualifizierten Staatenbegriff ist der IS somit
kein Staat im völkerrechtlichen Sinne.
Konsequenterweise müsste man dieser Auffassung zufolge
auch bestehenden Unrechtsregimen ihre Staatlichkeit absprechen. Dieser Einwand steht dem qualifizierten Staatenbegriff
jedoch nicht entgegen, sondern scheint vielmehr folgerichtig.
„Die Verfassung eines Staates sollte so sein, dass sie die Verfassung des Bürgers nicht ruiniert.“15, so Stainslaw Jerzy Lec.16
(7) Conclusio
Unser bisheriges Denken über Staatlichkeit verlangt eine kontinuierliche Anpassung an neue Entwicklungen. Der IS ist ein
totalitäres, expansives und hegemoniales Projekt. Er fordert
einen überstaatlichen Herrschaftsanspruch und bedroht somit
die Staatenwelt insgesamt. Seine zahlreichen Erfolge machen
ihn umso gefährlicher. Die bloße Existenz des Islamischen
Staates kann als Alternative gegenüber dem bisherigen Prinzip
von Staatlichkeit verstanden werden und fordert daher das
bestehende Staatensystem konfrontativ heraus.
c. Der Islamische Staat als de facto-Regime
Im Völkerrecht ist die Anerkennung organisierter Insurgenten,
aber auch noch nicht als Staaten anerkannter territorialer Herrschaften, sogenannter de facto-Regime, als partielle Völkerrechtssubjekte keine neue Erscheinungsform. Bei den de factoRegimen handelt es sich um Völkerrechtssubjekte, die mit
Ausnahme der effektiven Dauer der Staatsgewalt alle Voraussetzungen des Staatsbegriffs erfüllen.17 Sie haben völkerrechtliche Rechte und Pflichten. Ebenso ist anerkannt, dass de facto
Herrschaften für völkerrechtswidrige Verhalten der Staatenverantwortlichkeit unterliegen.18 Die partielle Völkerrechtsubjektivität ergibt sich aus der Tatsache, dass sie die Kontrolle
über ein Territorium ausüben. Durch die Errichtung einer solchen Herrschaft entfallen nicht die völkerrechtlichen Verpflichtungen des betreffenden Staates. Vielmehr bleiben de
facto-Regime hieran gebunden wie neue Regierungen, mit dem
Unterschied, dass sie nur für einen Teil eines Staatsgebiets
sprechen.19 Damit besitzen de facto-Regime eine graduell beschränkte, den jeweiligen Bedürfnissen und Interessen der
Staatengemeinschaft angepasste Völkerrechtssubjektivität.
Dies entspricht dem Willen der Staatengemeinschaft, die Zivilisierung des internationalen Systems durch eine Stärkung der
Herrschaft des Rechts voranzutreiben.20
Trotzdem wird von der Anerkennung organisierter Insurgenten als de facto-Regime selten Gebrauch gemacht. Die
Zurückhaltung der Staaten geht vor allem auf das Bestreben
15
16
17
18
19
20
13
14
vgl. Knut Ipsen; Völkerrecht; 6. Auflage; München 2014; §23 Rn.58ff.
vgl. Matthias Herdegen, Völkerrecht, §8 Rn.11.
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Hans Reichensdorfer; Das kleine Handbuch über die große Wahrhaftigkeit
der deutschen Sprache; Norderstedt 2013; S.31.
StainslawJerzy Lec (1909- 1966), polnischer Lyriker und Aphoristiker
vgl. Albert Bleckmann; Völkerrecht, Baden- Baden 2001; § 3 Rn.127.
vgl. Alfred Verdross/ Bruno Simma; Universelles Völkerrecht, Theorie
und Praxis, 3. Auflage, Berlin 1984; §405f.
vgl. Sabine Schorlemer; Praxishandbuch UNO, Die Vereinten Nationen
im Lichte globaler Herausforderungen, Berlin 2003; S.155.
vgl. Georg Dahm/ Rüdiger Wolfrum; Völkerrecht, Band I/2 Der Staat und
andere Völkerrechtssubjekte, Räume unter internationaler Verwaltung, 2.
Auflage; Berlin 2002; S.303f.
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zurück, die Gegenseite nicht durch eine völkerrechtliche Anerkennung „aufzuwerten“ und ihr einen, wiewohl auf die Anwendung des Kriegsrechts beschränkten internationalen Status
zu verleihen, der über ihren nationalen Status hinausreicht. Die
Anerkennung wirkt sich als ein „Vorgriff auf eine mögliche
Staatlichkeit“ aus.21 Sofern eine solche Anerkennung jedoch
ausbleibt, kann das Kriegsrecht seine die Gewalt eindämmende
Funktion nicht mehr entfalten und es kommt zu einer Eskalation von Gewalt und Gegengewalt, die Kriegführung wird immer grausamer und regelloser. Der IS ist politisch, militärisch
und territorial so fest etabliert, dass seine endgültige Durchsetzung nicht mehr auszuschließen ist. Doch gerade im Zusammenhang mit dem IS scheint ein „Vorgriff“ auf die angestrebte
Weltherrschaft sehr gefährlich.
In der Völkerrechtspraxis spielt die Anerkennung von Aufständischen als kriegführender Partei heute praktisch keine
Rolle mehr. Die Entwicklung des humanitären Völkerrechts
zielt darauf ab, die Anwendung bestimmter humanitärer Mindeststandards in internen Konflikten von der Anerkennung
Aufständischer als kriegführender Partei zu lösen.
Ein Durchbruch für den Kulturgüterschutz ist mit Artikel 19
Haager Abkommen gelungen. Dieser gewährleistet einen Mindestschutz für Kulturgüter bei bewaffneten Konflikten nichtinternationalen Charakters.
d. Nicht-internationaler bewaffneter Konflikt
Zweifelhaft ist, ob vorliegend ein „bewaffneter Konflikt“ im
Sinne des Kriegsvölkerrechts gegeben ist. Die Abwesenheit
einer Legaldefinition des nicht internationalen bewaffneten
Konflikts wirkt im Vergleich zum internationalen bewaffneten
Konflikt zusätzlich erschwerend.
Im Vergleich zu herkömmlichen Kriegen wird vertreten,
dass „das Gefahrenpotenzial des islamischen Terrorismus dem
eines militärischen Gegners gleichwertig“ sei.22 Der IS vermischt asymmetrische Kriegsführung mit klassischer Kriegsführung zu einem hybriden transnationalen Krieg. Die Organisation verfügt auch über ein sehr umfangreiches Waffenarsenal, welches nach den Regeln der klassischen Kriegsführung
eingesetzt wird. Zudem besitzt der IS mehrere 10.000 Kämpfer. Diesen Umfang erreichen sonst nur staatliche Armeen.
Komplexe militärische Operationen ermöglicht das IS Führungspersonal, zusammengesetzt aus ehemaligen Offizieren.
Trotzdem bilden sich entscheidende Unterschiede im Vergleich zu herkömmlichen Kriegen heraus. Die Gegenmaßnahmen der Staaten sind schwach und stehen der Annahme von
Krieg entgegen. Derzeit beschränkt sich die Verteidigung auf
Luftanschläge und Ausbildungsmaßnahmen regionaler Akteure. Die betroffenen Staaten leisten nicht den erforderlichen
Widerstand gegenüber dem Okkupationsfeldzug des IS. Am
12. Juni 2014 versuchte der damalige irakische Ministerpräsident Al Malikis den Notstand gegenüber dem Parlament auszu-
rufen. Dieser wurde dem Irak unter anderem aufgrund des
fehlenden Widerstandes verwehrt. Allein die mediale Verbreitung führt zu der Impression von Krieg. Die Gotteskrieger
inszenieren ihren heiligen Krieg in Gewaltvideos. Auch die
öffentliche Zerstörung von Kulturgut dient Propagandazwecken. „Terrorismus ist primär eine Kommunikationsstrategie“.23 Laut einer Menschenrechtsorganisation wurden seit
Anfang 2014 in den besetzten Gebieten mehr als 12.000 Zivilisten getötet. Die Opfer sind jedoch größtenteils den Bürgerkriegen in Syrien und im Irak, sowie der kurdischen Aufstandsbewegung zuzurechnen. Der IS nutzt eine im Irak und
Syrien bereits vorgefundene instabile Lage aus und verstärkt
diese allenfalls. Außerdem beschränkt sich der IS auf einzelne
Anschläge, insbesondere Selbstmordattentate. Die zeitlichen
Abstände zwischen den Anschlägen sind im Vergleich zu
kriegsähnlichen Zuständen sehr lang.
Das Gefahrenpotenzial des IS ist mit dem eines bewaffneten
Konflikts keineswegs vergleichbar.
e. Zwischenergebnis
Seit dem 11. September 2001 befindet sich das Völkerrecht in
einer Umbruchphase. Das Völkerrecht verliert an Autorität,
wenn es keine Antworten auf neue Gefahren, wie dem IS,
geben kann. Der deutsche Rechtswissenschaftler Jochen Abraham Frowein verlangt „Kooperation auf der Basis des Völkerrechts“ als „Voraussetzung für eine erfolgreiche internationale
Terrorbekämpfung“. Eine Völkerrechtsänderung dergestalt,
dass das Kriegsvölkerrecht Anwendung auf den „Krieg gegen
den Terror“ findet, scheint jedoch unmöglich. Jeder Versuch,
das humanitäre Völkerrecht gezielt den Erfordernissen der
Terrorismusbekämpfung anzupassen, läuft Gefahr dieses Recht
in seinem Wesensgehalt so sehr zu verändern, dass es seinen
ursprünglichen Schutzzweck, den Einsatz von Gewalt zu vermindern, nicht mehr erfüllen kann. Die Kriegsrhetorik ist kontraproduktiv: „How can you have a war on terrorism when war
itself is terrorism?“24
D. Kulturgüterschutz im Friedensvölkerrecht
Dort wo ein bewaffneter Konflikt herrscht, findet das humanitäre Völkerrecht Anwendung. Dort aber, wo diese Schwelle
nicht überschritten wird, findet das Friedensvölkerrecht Anwendung.
Im Friedensvölkerrecht begann die normative Verankerung
kultureller Belange Mitte des 20. Jahrhunderts und damit deutlich später als im Kriegsvölkerrecht.
1. UNESCO Welterbekonvention
Eine ähnliche Bedeutung, wie die Haager Konvention von
1954 für das Kriegsrecht entfaltet das von der UNESCO ausgearbeitete Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972. Die Welterbekonvention trat am
23
21
22
vgl. Torsten Stein/ Christian Buttlar, Völkerrecht, Rn.1271; Georg Dahm/
Rüdiger Wolfrum, Der Staat und andere Völkerrechtssubjekte, S.296
vgl. Otto Depenheuer; Selbstbehauptung des Rechtsstaates, 2. Auflage,
München 2007; S.46.
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24
Peter Waldmann; Terrorismus: Provokation der Macht; 2. Auflage; Hamburg 2005; S.15.
vgl. Howord Zinn, Our war on Terrorism (November 2004), unter:
http://www.progressive.org/nov04/zinn1104.html, zuletzt abgerufen am
22. August 2015).
ISSN: 1865-0015
www.freilaw.de
Sahin, Kulturgüterschutz
Öffentliches Recht
17. Dezember 1975 in Kraft und stellt den ersten weltweiten
Vertrag zum Substanzschutz von Kulturgütern in Friedenszeiten dar.25 Dem Welterbekomitee gehören 21 Staaten aus allen
Kontinenten an, darunter seit 2011 auch Deutschland. Art.1
Welterbekonvention definiert das Kulturerbe. Umfasst werden
Denkmäler, Gebäudegruppen und Kulturstätten. Dem vom
Europarat entwickelten Modell des europäischen Kulturerbes
folgend und an die Verfassung der UNESCO anknüpfend werden das Kultur- und Naturerbe von außergewöhnlicher Bedeutung zum Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit
erklärt. Die Erfassung und Bestimmung eines Gutes als Kulturerbe ist allein Sache der Belegenheitsstaaten. Dieser legt
dem UNESCO Welterbekomitee ein Verzeichnis des auf seinem Hoheitsgebiet befindlichen Kulturerbes vor, das für eine
Aufnahme in die Liste des Erbes der Welt oder in die Liste des
gefährdeten Erbes der Welt geeignet ist und stellt einen entsprechenden Aufnahmeantrag. Die verbindliche Entscheidung
über die Eintragung obliegt dem Welterbekomitee. Erfassung,
Schutz und Erhaltung des Kulturerbes sind primär Aufgabe des
Belegenheitsstaates. Ist ein Staat finanziell oder tatsächlich
nicht mehr in der Lage, das Kulturerbe zu schützen, kann er
internationale Hilfe beantragen. Das Komitee kann daraufhin
Unterstützung in Form von personellen, finanziellen oder technischen Mitteln zur Verfügung stellen.
Art. 22 Welterbekonvention nennt konkret wissenschaftliche Untersuchungen, die Bereitstellung von Sachverständigen,
Technikern und Facharbeitern, die Ausbildung von Personal
und Fachkräfte, die Lieferung von Ausrüstungsgegenständen,
Darlehen mit niedrigem Zinssatz oder zinslose Darlehen, die
langfristig zurückgezahlt werden können, in Ausnahmefällen
und aus besonderen Gründen Gewährung verlorener Zuschüsse.
Laut UNESCO ist die Zerstörung von Kulturgut Teil einer
Strategie, die Existenz andere Kulturen zu verneinen. Gefährdet sind folglich alle der 1.031 Denkmäler in 163 Länder, welche sich aktuell (5. Juli 2015) auf der Welterbeliste befinden.
Die Ruinen der Partherstadt Hatra wurden bereits zerstört,
ebenso wie die antiken Stätten von Palmyra. Abu Bakr AlBaghdadi hat auch schon dazu aufgerufen, die Pyramiden und
die Sphinx in Ägypten zu zerstören.
Präventivmaßnahmen sind zu ergreifen! „Empörungsrhetorik allein hilft uns nicht weiter. Politischer Aktionismus wiederum dient nur eigener PR, nicht den Altertümern“, so Parzinger26. Erste Überlegungen wurden hierzu bereits angestellt.
Frankreichs Staatpräsident, François Hollande, verkündete, er
werde eine Mission französischer Fachleute in den Irak entsenden, um sich einen Eindruck von den durch den IS verursachten Schäden am Kulturgut zu machen. Eine Inspektion in einem Gebiet, welches der IS beherrscht, scheint jedoch unmöglich. Der italienische Kultusminister, Dario Franceschini, forderte eine international besetzte schnelle Eingreiftruppe zum
Schutz von Denkmälern und archäologischen Stätten. Die
25
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Weltgemeinschaft soll „Kultur-Blauhelme“ losschicken, nach
dem Vorbild der Friedenstruppen der Vereinten Nationen.
Ohne Rückeroberung der bedrohten Gebiete scheinen diese
„Kultur Blauhelme“ jedoch nutzlos. Zudem bewirken solche
Interventionen genau das Gegenteil: Denkmäler und Archäologische Fundstätten würden erst recht zum Ziel von Angriffen.
Auch die UNESCO hat keine Möglichkeit, die Kulturschätze
mit Militär zu schützen. Solange die Sicherheitslage kritisch
bleibt, ist es kaum möglich, effektive Sicherungsmaßnahmen
an archäologischen Stätten einzuleiten.
Es sind Vorbereitungen notwendig, die zumindest einen
weitgehenden Wiederaufbau des kulturellen Erbes ermöglichen. Ein konkreter Ansatz ist das „Syrian Heritage Archieve
Project“, welches vom Auswärtigen Amt finanziert wird. Hierbei wird die gesamte Dokumentation über die Kulturstätten in
Syrien digitalisiert. Die Datenbank des syrischen Kulturerbes
fördert gezielt einen möglichen Wiederaufbau. Rekonstruktionen sind jedoch nicht ausreichend, denn trotz Wiederherstellungsmaßnahen bleiben die Originale für immer zerstört.
a. 39. Tagung des Welterbekomitees
Vom 28. Juni bis 8. Juli 2015 tagte das UnescoWelterbekomitee im World Conference Center in Bonn. 2.200
Teilnehmer aus 160 Ländern nahmen an der 39. Sitzung des
Welterbekomitees teil. Die Delegierten verabschiedeten einstimmig die „Bonner Erklärung zum Schutz des gefährdeten
Welterbes“.
Das Komitee verurteilt die Zerstörung und Plünderung der
Antiquitäten. In Anlehnung an das UNESCO Übereinkommen
2003 und dem UNESCO Gremium Beschluss (196EX/29) vom
21. April 2015, wurde die Aufgabe der UNESCO und deren
Zuständigkeiten zum Schutz der Kultur in Krisengebieten als
humanitäre Sorge und Sicherheitsangelegenheit betont. Dem
UN Sicherheitsrat wurde empfohlen, den Schutz von Kulturgütern in Friedensmissionen aufzunehmen und alles dafür zu tun,
den internationalen Handel mit gestohlenen Kulturgütern zu
unterbinden. Die UNESCO gründete am 29. Juni 2015 die
Globale Koalition „Unite4Heritage“. Ziel der Globalen Koalition ist es, die Zusammenarbeit zum Schutz des Welterbes zu
stärken, auch mithilfe bewaffnete Truppen, Interpol, der Weltzollorganisation, der Zivilgesellschaft, Medienvertretern, Museen und dem Kunsthandel.
Auf der 39. Tagung des Welterbekomitees wurde zudem die
„Rote Liste“ des gefährdeten Welterbes erweitert. Nach Art. 11
der Welterbekonvention werden in die Liste der gefährdeten
Welterbes Stätten aufgenommen, die infolge von Krieg oder
Naturkatastrophen, durch Verfall, durch städtebauliche Vorhaben oder private Großvorhaben ernsthaft bedroht sind. Mit der
Eintragung in die sogenannte „Rote Liste“ möchte das Welterbekomitee die Aufmerksamkeit der politisch Verantwortlichen
und das öffentliche Interesse am Schutz der gefährdeten Kultur- und
vgl. Kerstin Odendahl; Kulturgüterschutz, Entwicklung, Struktur und
Dogmatik eines Ebenen übergreifenden Normensystems, Tübingen 2005;
S.136.
Hermann Parzinger, Archäologe und Präsident der Stiftung Preußischer
Kulturbesitz.
www.freilaw.de
ISSN: 1865-0015
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Sahin, Kulturgüterschutz
Öffentliches Recht
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Naturerbestätten wecken.
alle Antiquitäten. Auch bei den zerstörten Antiquitäten könnte
es sich um Täuschungen handeln, sodass die Originale dem IS
weiterhin als Einnahmequelle dienen.
b. Zwischenergebnis
Die Eintragung der schützenswerten Kulturgüter in die UNESCO Welterbeliste ist jedoch kontraproduktiv. Die UNESCO
Welterbeliste dient dem Zweck der Menschheit die kulturelle
Vielfalt vor Augen zu führen. Im vergangenen Jahrzehnt hat
das Welterbe-Komitee immer mehr authentische, einzigartige
und unzerstörte Stätten rund um den Globus benannt. Die gezielte Vernichtung genau dieser Stätten eignet sich hervorragend für die Propaganda der IS und liefert die gewünschte
mediale Aufmerksamkeit.
2001 sprengte die Taliban die bis dahin größten Buddhastatuen der Welt in Bamiyan (Afghanistan). Auch die Al-Qaida
zerstörte große Teile vom Weltkulturerbe in der malischen
Wüstenstadt Timbuktu, als Reaktion auf die Entscheidung der
UNESCO, die Stadt auf die Liste des gefährdeten Welterbes zu
setzen. „Wer ist schon die UNESCO“ fragte der Anführer der
Al-Qaida provokativ. Diese Provokation besteht weiterhin fort
und gilt der gesamten westlichen Staatenwelt. Durch Zerstörung des Weltkulturerbes demonstriert der IS seine Macht. Der
UNESCO und mithin der gesamten westlichen Welt wird ihr
Versagen vor Augen geführt, das selbsternannte geschätzte
kulturelle Welterbe nicht schützen zu können.
Die UNESCO-Konvention vom 14. November 1970 über
Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut widmet
sich vor allem dem Schutz vor illegalem Handel mit Kulturgütern. Eine illegale Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung liegt vor,
wenn sie im Widerspruch zu den vertraglichen Bestimmungen
steht oder während der Besetzung eines Landes durch eine
fremde Macht erzwungen wird, vgl. Art.3 und Art. 11 Pariser
Konvention von 1970. Dabei sind die Vertragsstaaten der
Konvention gerade dazu verpflichtet, entsprechende strafbewehrte nationale Export- und Importverbote aufzustellen. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Übereignungen von Kulturgut zu verhüten, durch die eine unzulässige
Einfuhr oder Ausfuhr desselben begünstigt werden könnte,
sowie Verfahren zur Wiedererlangung verloren gegangenen
oder gestohlenen Kulturguts zuzulassen, die vom rechtmäßigen
Eigentümer oder in seinem Namen angestrengt werden können.
Verstöße gegen die Ein- und Ausfuhrbestimmungen sind unter
Strafe zu stellen.
Der Handel mit Kulturgut ist einer der Haupteinnahmequellen des IS. Die Tatsache, dass immer mehr Gas- und Ölfelder
durch die Luftangriffe als Einnahmequellen nicht mehr zur
Verfügung stehen, macht den illegalen Handel mit Kulturgut
nur noch interessanter. Die Extremisten vernichten längst nicht
28
vgl. Marie- Theres Albert/ Birgitta Ringbeck; 40 Jahre Welterbekonvention: Zur Popularisierung eines Schutzkonzeptes von Kultur- und Naturgütern (Heritage Studies); S.197.
Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der
unzulässigen Einfuhr. Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, v.
14.11.1970.
126
UNESCO-Experte Edouard Planche warnt zurecht: „Wer illegalen Handel mit Antiquitäten betreibt, finanziert den Terror“. Einer der Dschihadisten deklamierte: „Auch wenn diese
Dinge hier Milliarden von Dollar wert sind, für uns sind sie
absolut nichts“29. Zwar mögen die Kulturschätze für den IS
keinen ideellen Wert haben, trotzdem ist sich die Terrormiliz
des materiellen Wertes der Antiquitäten bewusst. UNESCO
und Interpol taxieren das globale Volumen des illegalen Antikenhandels mittlerweile auf insgesamt sechs bis acht Milliarden Dollar.
Eine EU-Richtlinie zu einem verbesserten Schutz gegen den
Handel mit illegalen Kulturgütern wurde bereits im Mai 2014
erfolgreich novelliert. Novellierungsvorhaben sind die Stärkung der Umsetzung der UNESCO Konvention von 1970
durch Schaffung von Einfuhrregelungen und Vereinfachung
der Rückgaberegelungen hinsichtlich unrechtmäßig verbrachten Kulturgutes und Maßnahmen gegen Raubgrabungen.
Hinzu kommt das neue nationale Forschungsprojekt ILLICID, welches den illegalen Handel mit Kulturgut in Deutschland untersuchen soll.
E. Fazit
28
2. Pariser Konvention von 1970
27
Freilaw 2/2016
Die zuvorderst stehende Frage ist: Warum zerstört der Islamische Staat Kulturgut?
Der IS beruft sich hierbei auf eine sehr strenge Interpretation des Islams, der die bildliche Darstellung von Mensch und
Gott verbietet. Jede vermeintlich religiöse Rechtfertigung
scheint im Zusammenhang mit dem IS jedoch grotesk. Jürgen
Todenhöfer kommentiert sehr zutreffend: „Der IS hat mit dem
Islam genauso wenig zu tun, wie Vergewaltigung mit Liebe“.
Unter dem Deckmantel der Religion verfolgt der IS sehr
große Ziele. Angestrebt wird eine Weltherrschaft. Der Zerstörung von Kulturgut kommt hierbei sehr hohe Bedeutung zu.
Kulturgüter sind für Menschen und Nationen seither identitätsstiftend. Der IS setzt bewusst an den kulturellen Wurzeln an
und entzieht den Staaten damit ihr Fundament. Es ist ein Angriff auf die Geschichte und insbesondere auf die Entwicklung
der Menschheit. Es gilt, die gesamte Vergangenheit der
Menschheit auszulöschen und kulturfreien Boden zu schaffen.
Ein leeres Blatt Papier, welches nach Belieben neu beschriftet
werden kann, eine Menschheit ohne jegliche Identität, deren
Entwicklung zu beherrschen ist. Jede Meinung, jeder Gedanke
und jedes Verhaltensmuster ist kulturgeprägt. Der Zerfall des
kulturellen Bewusstseins entzieht der menschlichen Persönlichkeit Stabilität. Der Kulturvandalismus des IS richtet sich
damit gegen die gesamte Menschheit. Maria Böhmer erklärte
gegenüber der UN Generalversammlung: „Let us stand together against such barbarism. And let us speak out with a single
voice for the preservation of the culture and diversity which we
29
Zerstörung für die Propaganda, Schmuggel für die Kriegskasse; Martin
Gehlen;
unter:
http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-02/mosulmuseum-zerstoerung-islamischer-staat.
ISSN: 1865-0015
www.freilaw.de
Sahin, Kulturgüterschutz
Öffentliches Recht
have inherited from the past – because without them we have
no future.“
Die Herausforderungen an den Kulturgüterschutz durch die
Aktionen des sogenannten Islamischen Staates sind somit
enorm. Der IS erzwingt den lang ersehnten Durchbruch des
Kulturgüterschutzes. Anderenfalls wird die Menschheit nicht
nur ihre Vergangenheit, sondern auch ihre Zukunft verlieren!
F. Neuste Entwicklungen
Im August 2016 wurde erstmals die Zerstörung von Kulturgut
als Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Gerichtshof in
den Haag verhandelt.
Ein ehemaliger Islamist aus Mali gestand vor dem ehemaligen Strafgerichtshof in den Haag seine Beteiligung an der
Zerstörung von religiösen Stätten in Timbutku.30
2012 hatten radikale Kämpfer von Al- Qaida die Oasenstadt
in Timbutku teilweise besetzt und Zerstörungen angewiesen.
Der Angeklagte Ahmad al-Faqi al-Mahdi soll die Zerstörung
von neun Mausoleen und eines Teils der Sidi-Yahia-Moschee
in der Wüstenstadt im Norden Malis angeordnet haben.31 Dem
Angeklagten drohen bis zu 30 Jahre Haft.
Freilaw 2/2016
weitere Zerstörung von Kulturgütern in Kriegs - und Krisengebieten zu verhindern. Ein Fortschritt zum Schutz des Kulturerbes ist gegeben, jedoch nicht ausreichend. Mit dem Prozess in
Den Haag wird die Schwere des Delikts, Kulturgüter zu vernichten, endlich anerkannt. Der Prozess hat aber vielmehr
einen symbolischen und generalpräventiven Charakter.
Gerade im Falle des IS entfaltet das ausstehende Urteil keine besondere Wirkung. Sowohl Syrien, als auch der Irak gehören nicht zu den Vertragsstaaten des IStGH. Unter diesen Umständen ist ein Verfahren nur möglich, wenn ein Beschluss des
UN- Sicherheitsrates gegeben ist. Bereits 2014 scheiterte die
Überstellung der Situation in Syrien an den IStGH an dem
Veto von Russland und China. Die einzige Möglichkeit besteht
nunmehr darin gegen einzelne Verantwortliche in Syrien oder
Irak vorzugehen, sofern diese einem Vertragsstaat des IStGH
angehören. Die Erfolgsaussichten hierbei sind jedoch sehr
gering.
Das ausstehende Urteil des IStGH gegen Al Mahdi ist somit
vielmehr als eine „symbolische Strafe“ für ein „symbolisches
Verbrechen“.32
* Die Autorin studiert im neunten Semester Rechtswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit dem
Schwerpunkt „Deutsches Europäisches und Internationales
Öffentliches Recht“. Der Artikel beruht auf einer im November 2015 erstellten Seminararbeit zu dem Thema „Die Herausforderungen des Kulturgüterschutzes durch die Aktionen
des sog. Islamischen Staates“ im Rahmen des von Prof. Dr.
Diana zu Hohenlohe geleiteten Seminars „Kulturgüterschutz
in nationaler, europäischer und internationaler Perspektive“.
Ahmad al Faqi al Mahdi ist jedoch nahezu der einzige Verantwortliche, der für die Zerstörung der religiösen Stätten in
Timbutku vor Gericht belangt wird. Hierdurch wird das ausstehende Urteil gegen ihn relativiert, macht es aber nicht wertlos. Der IStGH kann seiner Konzeption nach ohnehin stets nur
Einzelne an Kriegsverbrechen Beteiligten zur Verantwortung
ziehen.
Die Staatsanwaltshaft hofft jedenfalls mit dem Prozess die
30
31
vgl.
Süddeutsche
Zeitung,
22.
August
2016;
unter:
http://www.sueddeutsche.de/panorama/angeklagter-raeumt-beteiligungan-zerstoerungen-in-timbuktu-ein-1.3132144 (abgerufen am: 14.09.2016).
vgl.
Zeit
Online,
22.
August
2016;
unter:
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-08/mali-timbuktu-unescoweltkulturerbe-strafgerichtshof-kriegsverbrechen
(abgerufen
am:
16.09.2016).
www.freilaw.de
32
vgl. Zeit Online; Symbolische Verbrechen Symbolische Strafen; 22. März
2016; unter: http://www.zeit.de/politik/2016-08/zerstoerung-kulturguetermali-den-haag-timbuktu-internationaler-strafgerichtshof/seite-2 (abgerufen
am: 10.09.2016).
ISSN: 1865-0015
127
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