Zusammenkunft vom Freitag - Humboldt

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Rotary Club Zürich
Zusammenkunft vom Freitag, 12. Juni 2009
Bulletin
85/45
Sind Religionen gefährlich? Religionspolitische Überlegungen
Nichts, aber auch gar nichts liess an diesem leicht bewölkten, heiteren Sommervormittag erahnen,
dass sich die Zürcher Rotarierschaft zum gewiss gefährlichsten Lunch des diesjährigen Programms
zusammenfand, geborgen im Widderbunker und behütet von einem verlässlichen Sprengmeister,
der mit seinem Dynamit kundig umzugehen weiss. Das Thema lautete nämlich „Sind Religionen
gefährlich?“
Der Programmverantwortliche, Niklaus Peter, stellt den Referenten vor: Rolf Schieder, Professor
für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, einer der herausragenden klugen
Beobachter und Kommentatoren des religiösen Geschehens in Gesellschaft und Politik, weilt zurzeit in Basel als Fellow am Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik. Als gutem Kenner von Religionssoziologie und Politiktheorie gelingt es ihm, über die pauschalen Stereotype von Fundamentalismus und Religionskriegen hinauszukommen und mit scharfem Blick für Extremismusbildung und
religiöse Gewalt dazu anzuleiten, das Lebensförderliche der Religion vom Gefährlichen zu trennen.
Sein Plädoyer für die Zivilisierung der Religion stösst auch im heutigen Rotauditorium auf ungeteilte Aufmerksamkeit.
Rolf Schieder geht angesichts der knappen Redezeit sogleich medias in res. Umfragen belegen,
dass hierzulande nicht die Kirchen, sondern die Religionen von anderen als gefährlich empfunden
werden. Der Referent stellt eine Typologie der Gefährdungsgrade vor Augen, gleichsam eine nach
oben offene Schieder-Skala. Als tiefrot müssen„totalitäre Zivilreligionen“ gelten, in denen der
Staat die totale Herrschaft über das religiöse Leben beansprucht – sozialistische Regime, v.a. aber
die Bioreligion des Nationalsozialismus, deren Führer Hitler sich zu einer veritablen Mission gesandt wusste. Rot markiert sind „dualistisch-apokalyptische Religionen“ aller Konfessionen, die die
Apokalypse in eigener Regie vorantreiben wollen. Von einem Verlierergefühl gegenüber dem Westen getragen rekrutiert sich der Islamismus gerade hierzulande vornehmlich aus religiös entwurzelten jungen Männern. Als orange gelten „nativistische Ethno-Religionen“, beispielsweise im Kosovo; immerhin gelb belegen „demokratische Zivilreligionen“, etwa in Amerika, und „instrumentalisierungsbereite Weltreligionen“, beispielsweise im Sudan. Eine zentrale Lehre der Konfliktforschung besagt nun: Es besteht zwar kein innerer Zusammenhang zwischen Terrorrisiko und religiöser Pluralisierung (die mit der ‚Deterritorialisierung’ des Religiösen einhergeht) – das ist die gute
Nachricht. Wohl aber gibt es eine erhebliche Instrumentalisierungsbereitschaft von Religionen für
politische Anliegen. Religionen sind also nicht Brandstifter, wohl aber Brandbeschleuniger! Dabei
wird der Einflussfaktor des sogenannten Fundamentalismus meist überschätzt.
Was tun? Entscheidend ist das, worauf man sich in der Moderne auch sonst meist erfolgreich versteht: Gefahren in kalkulierbare Risiken umzuwandeln (das A und O jedes Bergsteigers und Abenteuerreisenden). Wer die magische Kraft der Religionen zivilisiert, arbeitet auch mit an der Zivilisierung der Gesellschaft durch Religion. Der Referent setzt vor allem auf die Stärkung der religiösen Bildung, die sich in Europa weit fortgeschrittener ausnimmt als in den USA – die dortige Kluft
zwischen Anhängern der „Schöpfung“ und der „Evolution“ deutet hin auf einen erheblichen Mangel
an religiöser Bildung. Zusammen mit den Leitplanken der strukturellen Toleranz und der relativen
Autonomie von Religionsgemeinschaften schafft Bildung eine innerreligiöse Öffentlichkeit, die potentielle Gefahrenherde gar nicht erst entstehen lässt. Der Bulletinier vermutet, dass viele der
Zuhörer hier spontan an die Minarett-Initiative denken mussten.
Auf eine Rückfrage aus dem rotarischen Auditorium hin bekennt sich der Referent zur Überzeugung, dass menschliche Gesellschaften wahrscheinlich nie ohne Religion auskommen werden, da
sie für ihr Überleben auf Visionen der Bestimmung angewiesen sind. Der designierte Club-Präsident, der nicht ohne Sorge auf sein nahes Amt vorausblickt, wollte seinerseits wissen, ob es im
Nahen Osten nicht eher an Wohlstand statt an Bildung mangle. Die spontan einleuchtende Antwort
bietet die Ökonomie: Es ist just die Bildung, die Wohlstand erzeugt.
Rotary Club Zürich
www.rotary-zuerich.ch
Lunch Freitag 12.15 Uhr
Widder Hotel, Rennweg 7, 8001 Zürich, Tel 044 224 25 26
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Bulletin
Die Rotarierschaft verdankt den anregenden Vortrag gerade im Bewusstsein darum, dass während
dieser Tage im Nahen und Mittleren Osten Geschichte geschrieben wird, in Jerusalem nicht weniger als in Teheran. Zugleich ist die Erleichterung darüber rundum spürbar, zum Aufbruch ins Wochenende den potentiell gefährlichen Lunch gut überstanden zu haben, hat sich doch der Referent
klar und deutlich nicht als risikoverliebter Sprengmeister, sondern als weiser Ratgeber entpuppt –
gleichsam als Ausbildner für angehende Sprengmeister. Einmal mehr findet das allwöchentlich
seinen Gang nehmende rotarische Bildungsprinzip eine eindrückliche Bestätigung.
Samuel Vollenweider
Gut zu lesen:
ROLF SCHIEDER: Sind Religionen gefährlich? Berlin 2008
Dazu die kompetente Besprechung: NIKLAUS PETER, NZZ
11.12.2008, Nr. 290, Seite 46
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Lunch Freitag 12.15 Uhr
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