1 A Tagungskonzept Was bedeutet das vielfältige Phänomen der

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Internationale Tagung 23. – 25. Februar 2015 in Jena
„Religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften“
WISSENSCHAFTLICHE ZIELSETZUNG DER TAGUNG
A Tagungskonzept
Was bedeutet das vielfältige Phänomen der Postsäkularität für religiöse Rede in der Gesellschaft?
Dieser Forschungsfrage widmet sich die internationale Tagung „Religiöse Rede in postsäkularen
Gesellschaften“ vom 23. – 25. Februar 2015 in Jena.
Der Begriff „postsäkular“ bezeichnet im Anschluss an Jürgen Habermas pluralistischdemokratische Gesellschaften, die mit einer bleibenden Bedeutung von Religion für zumindest
Teile und Teilbereiche der Gesellschaft rechnen und die daher der Religion und ihren
ambivalenten Potentialen eine wieder erwachte öffentliche, wissenschaftliche und kulturelle
Aufmerksamkeit entgegenbringen. Postsäkulare Gesellschaften setzen dabei die weltanschaulichreligiöse Neutralität des Staates voraus und sind geprägt vom Rückgang traditioneller religiöser
Prägekräfte. Diese komplexe Konstellation führt zu verwandelten gesellschaftlichen
Umgangsweisen mit Religion und veränderten individuellen Vollzugweisen von Religion.
Der Begriff „religiöse Rede“ ist definiert durch ihr Subjekt, ihre Intention und ihre Inhalte:
Religiöse Rede geht erstens von einem Subjekt aus, das sich selbst (zumindest in der Situation der
Rede) als religiös versteht. Religiöse Rede verfolgt zweitens die Intention, nicht nur über Religion
zu informieren, sondern Religion bzw. religiöse Deutungen zu affirmieren. Darin unterscheidet
sich religiöse Rede von Rede über Religion. Zur religiösen Rede gehört drittens die Bezugnahme
auf religiöse Themen (z.B. Taufe) oder theologische Topoi (z.B. Geschöpflichkeit) oder
Traditionen (z.B. Reformation).
Für das Verhältnis von Religion und postsäkularen Gesellschaften kommt religiöser Rede eine
Schlüsselstellung zu: Mittels religiöser Rede verständigen sich religiöse Subjekte untereinander
und gegenüber anderen darüber, was es für sie heißt, religiös zu sein und in der heutigen
Gesellschaft religiös zu leben (Selbstverständigungsfunktion). Durch religiöse Rede laden
religiöse Subjekte ein, sich auf religiöse Deutungen einzulassen (Vermittlungsfunktion). Die
Gesellschaft wird durch religiöse Rede in der Öffentlichkeit mit Religion konfrontiert und
reagiert darauf (Faktizität des Religiösen).
Für die religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften erwachsen daraus folgende
Herausforderungen: Wie kann religiöse Rede sich in postsäkularen Gesellschaften ereignen?
Woher gewinnt religiöse Rede ihre sprachlichen Formen und ihre religiösen Inhalte? Wie kann sie
verständlich sein und wer ist verantwortlich für ihre Verständlichkeit? Was bedeutet das für die
institutionell beauftragten Akteure religiöser Rede? Welche Bedeutung hat religiöse Rede für die
politische und kulturelle Öffentlichkeit? Welchen Beitrag kann religiöse Rede für das
Selbstverständnis säkularer Menschen leisten? Wie lässt sich das Deutungsmodell der
Postsäkularität kritisch weiter entwickeln?
Drei wissenschaftliche Zielsetzungen verfolgt die geplante Tagung dabei:
Sie will erstens theologisch klären, wie sich die gesellschaftlichen Bedingungen für religiöse Rede
verändert haben und was das prinzipiell für die Gestaltung religiöser Rede bedeutet. Zweitens soll
erörtert werden, was religiöse Rede für sich als religiös und als säkular verstehende Subjekte
leistet und worin die Schwierigkeiten und Grenzen solcher religiöser Rede liegen. Dabei wird die
Tagung drittens beleuchten, welchen Beitrag religiöse Rede zur Entwicklung von demokratischpluralistischen Gesellschaften leisten kann.
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Internationale Tagung 23. – 25. Februar 2015 in Jena
„Religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften“
Auf diese Weise führt die Tagung drei verschiedene, jeweils in sich bereits interdisziplinäre und
internationale Diskurse zusammen: die Diskurse über die religionspolitischen Thesen von Jürgen
Habermas, über die empiriegestützten Forschungen zur Konfessionslosigkeit und über die
Gestaltung theologisch verantworteter religiöser Rede in der Gegenwart. Dadurch ist eine
stärkere Vernetzung und Vertiefung der jeweiligen Diskurse zu erwarten. Insgesamt leistet damit
die Tagung einen wichtigen Beitrag, die Rolle von Religion für die europäische Zivilgesellschaft
zu verstehen und konstruktiv zu gestalten.
Die Tagung gliedert sich in fünf Problem-Aspekte, die jeweils aus verschiedenen disziplinären
Perspektiven beleuchtet werden.
B Tagungsstruktur
I. Postsäkularität oder Säkularisierung? Deutungsmodelle zur religiösen Signatur gegenwärtiger Gesellschaften
Zur religiösen Lage der Gegenwart liegen zahlreiche empirische Studien vor. Religionssoziologen,
Politikwissenschaftler und Theologen diskutieren diese mit den Begriffen ‚konfessionslos’,
‚säkular’, ‚religiös’ und ‚religiös indifferent’ in unterschiedlichen Konstellationen. Jürgen
Habermas führte teils ergänzend, teils alternativ zum Deutungsmodell der Säkularisierung das
Deutungsmodell der Postsäkularität ein.
Welche Deutungsmodelle können welche Phänomene besonders gut erklären? Was leisten die
Deutungsbegriffe „postsäkular“, „konfessionslos“ und „säkular“ und welche Implikationen sind
mit ihnen verbunden?
II. Religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften zwischen Schweigen und Sprachsuche
Die gesellschaftlichen Wandlungen in der Haltung zur Religion führen zu einem Verstummen
traditionell religiösen Sprechens von Gott und zugleich ist eine neue Suche nach religiöser
Sprache zu beobachten.
Wie verhält sich religiöse Sprachlosigkeit zur Transformation religiöser Rede? Sind
Anknüpfungen an die Tradition der theologia negativa sinnvoll? Welchen Beitrag leisten Literatur
und Kunst, um Religion sprachfähig zu machen oder nach religiöser Sprache zu suchen? Welche
neuen Spiritualitätsformen bilden sich aus und wie vollzieht sich in ihren Kontexten religiöse
Rede?
III. Die Übersetzung religiöser Rede in der politischen Öffentlichkeit postsäkularer Gesellschaften als
Aufgabenbestimmung für Theologie und religiöse Bildung
In der politischen Philosophie gibt es seit mehr als zwei Jahrzehnten eine hochdifferenzierte
Debatte über Berechtigung und Grenzen religiöser Begründungen in der politischen
Öffentlichkeit. Für Jürgen Habermas ist die notwendige Übersetzung von religiöser
Argumentation in nicht-religiöse Argumente eine gemeinsame Aufgabe von religiösen und nichtreligiösen Bürgern, die aus der Religionsfreiheit des weltanschaulich neutralen Staates folgt.
Wenn man diese These voraussetzt, was folgt daraus für die öffentliche Aufgabe der Theologie
und was für den Status religiöser Bildung? Soll religiöse Bildung alle Bürger zu solchen
Übersetzungsleistungen befähigen? Wie kann religiöse Bildung für nicht-religiöse Bürger
aussehen und wo sollte sie ihren Ort haben?
IV. Religiöse Rede als Herausforderung für Diakonie, Kirche und Schule in postsäkularen Gesellschaften
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Internationale Tagung 23. – 25. Februar 2015 in Jena
„Religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften“
Postsäkularität fordert kirchliches Verkündigungs- und religiöses Bildungshandeln heraus, weil
vielfach unverständlich geworden ist, was eine religiöse Deutung überhaupt sein könnte und
worin die Plausibilität religiöser Deutungen möglicherweise besteht.
Worin genau besteht diese Herausforderung und wie können die Kirchen damit umgehen? Was
bedeutet das für die Rolle und die Gestaltung von religiöser Bildung? Hat das Folgen für das
diakonische Handeln der Kirchen? Zeigt sich im diakonischen Handeln christliche Religion ‚ohne
Worte‘? Sollte religiöse Rede durch religiös motiviertes ethisches Handeln ersetzt werden? Was
hat religiöse Rede überhaupt mit der Leiblichkeit des Menschen zu tun?
V. Religion und religiöse Rede in postsäkularen Gesellschaften. Soziologie und Theologie im Diskurs
Theologie und Religionssoziologie nehmen in der gemeinsamen Aufgabe der Deutung der
religiösen Lage der Gegenwart vielfältig Bezug aufeinander und eröffnen so neue Diskursräume.
Inwiefern und mit welchen Modifikationen ist dem Deutungsmodell ‚Postsäkularität’
zuzustimmen? Welche Zukunftsperspektiven entwickeln Theologie und Soziologie von der
Postsäkularität her für die Gesellschaft? Kann und soll die Religion mehr und anderes sein als
„Sinnressource“ (Habermas) für gesellschaftliche Fragen? Welche Bedeutung kann Religion im
Sinne der Selbstaufklärung des Menschen in der postsäkularen Gesellschaft einnehmen? Welche
Chancen liegen in der Postsäkularität für die Kirchen und für die christliche Identität der
Individuen?
Eine öffentliche Podiumsdiskussion zu diesem Thema soll die Tagung bündeln.
Prof. Dr. Michael Wermke
Lehrstuhl für Religionspädagogik
Prof. Dr. Miriam Rose
Lehrstuhl für Systematische Theologie
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