186 © Schattauer 2012 Osteonekrose des Kiefers Pathophysiologie des Knochenstoffwechsels bei Osteonekrosen im Zusammenhang mit starker antiresorptiver Therapie F. Jakob; L. Seefried; R. Ebert Orthopädisches Zentrum für Muskuloskelettale Forschung, Universität Würzburg Schlüsselwörter Knochenstoffwechsel, Osteonekrose, antiresorptive Therapie, Bisphosphonate, Denosumab Zusammenfassung Osteonekrosen des Kiefers sind mit der hoch dosierten Langzeittherapie von Knochenmetastasen mit Bisphosphonaten und Denosumab, selten auch mit der niedriger dosierten Therapie der Osteoporose als unerwünschte Ereignisse assoziiert. Wahrscheinlich müssen die beiden starken Antiresorptiva als einer von mehreren Risikofaktoren gelten, die im Zusammenwirken die Zerstörung von Infektionsbarrieren begünstigen und die Regeneration des betroffenen Gewebes verhindern. Mechanische Verletzung bei der Nahrungsaufnahme oder bei oralchirurgischen Eingriffen und medikamentöse Einflüsse wie Chemotherapie zerstören die Epithelbarriere, gefolgt von medikamentöser Beeinträchtigung und Abtötung der Zellen für die verschiedenen immunologischen Verteidigungslinien, das „innate immune system“ (Monozyten/Makrophagen und Granulozyten) und das adaptive Immunsystem (B- und T-Zellen). Osteoklasten als Abräumer des knöchernen Gewebsdetritus werden ebenso beeinträchtigt wie möglicherweise Osteoblastenvorläufer und Endothelien als Ausgangspunkt der knöchernen Regeneration. Der Anteil der Bisphosphonate an den genannten Vorgängen beinhaltet die Einleitung der Apoptose Korrespondenzadresse Prof. Dr. Franz Jakob Orthopädisches Zentrum für Muskuloskelettale Forschung, Universität Würzburg Brettreichstrasse 11, 97074 Würzburg Tel.: 09 31/80 31 580, Fax: 09 31/80 31 599 E-Mail: [email protected] von Monozyten und Osteoklasten und kann theoretisch – so genügend hohe Konzentrationen erreicht werden – auch zur Apoptose osteoblastärer, epithelialer und endothelialer Zellen beitragen. Chemotherapeutika und Immunsuppressiva haben besonders starke Einflüsse auf die Zellen des innate und adaptiven Immunsystems. Letztlich erscheint die Osteonekrose des Kiefers als eine facettenreiche Erkrankung, zu der starke Antiresorptiva wie Bisphosphonate und Denosumab nur einen Teil beitragen, der allerdings im Zusammenhang mit anderen Risikofaktoren nicht unwesentlich ist. Weitere Forschung ist erforderlich für die Klärung der Frage, ob die Biologie des Kieferknochens aufgrund der entwicklungsbiologischen Abstammung Besonderheiten aufweist, welche die Suszeptibilität begünstigen, oder ob die ausgesprochen hohe Exposition dieser Region zu Bakterien und Pilzen im Kontext mit ernsthaft eingeschränkten Immunund Gewebereparaturfunktionen der ausschlaggebende Faktor ist. Keywords Bone turnover, osteonecrosis, antiresorptive therapy, bisphosphonates, Denosumab Summary Osteonecroses of the jaw are adverse events associated with high dose and long term bisphosphonate and denosumab treatment Pathophysiology of bone metabolism in osteonecrosis associated with antiresorptive treatment Osteologie 2012; 21: 186–192 eingereicht: 13. Juli 2012 angenommen: 18. Juli 2012 regimens of bone metastases and may rarely occur in low dose indications like osteoporosis. Both bisphosphonates and denosumab as strong antiresorptive agents are obvious risk factors besides others which favor destruction/alterations of infection barriers and impairment of tissue regeneration. Mechanical injury during nutrition or due to oral surgery as well as treatment associated factors during chemotherapy destroy the epithelial barrier, which is followed by destruction of cells active in various lines of defense against infection, e. g. the innate immune system (monocytes/ macrophages and granulocytes) and the adaptive immune system (T- and B-cells). Osteoclasts which remove bone detritus are impaired, as are osteoblast precursors and endothelial cells, being the sources of bone regeneration. Factors that can be exaggerated by bisphosphonates are induction of apoptosis in monocytes and osteoclasts and – given very high bisphosphonate concentrations can be achieved in the microenvironment – also osteoblastic, osteocytic, epithelial and endothelial cells can be forced into apoptosis. Chemotherapeutic and immunosuppressive compounds clearly influence the cells of the adaptive immune system. In conclusion osteonecrosis of the jaw appears to be a multifaceted disease which is only partly, but substantially propagated by antiresorptives like bisphosphonates and denosumab. Clearly further research is needed to unravel questions like to what extend the developmental biology of bone derived from the neural crest confers a special susceptibility to the disease or if the preference for maxillary bone simply is due to their comparably high exposure to bacteria and fungi in the context of severely impaired immune and repair functions. Osteologie 3/2012 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-10-23 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. F. Jakob; L. Seefried; R. Ebert: Antiresorptive Therapie und Knochenstoffwechsel In den vergangenen Jahrzehnten ist die Therapie mit Bisphosphonaten eine Standardbehandlung bei metabolischen Knochenerkrankungen geworden. Die Hauptindikationen sind die primäre und sekundäre Osteoporose und die Knochenmetastasierung sowie der Morbus Paget. Das gute Risikoprofil hat von Anfang an zur Verbreitung dieser Medikation beigetragen (13, 40). Nun sind in der späten Post-Marketingphase Probleme aufgetreten, die mit der Verordnung von Bisphosphonaten assoziiert sind und deren kausale Verknüpfung diskutiert wird. Es handelt sich um die Osteonekrosen des Kiefers und die atypischen Femurfrakturen (1, 7, 17, 20, 22, 30). Diese assoziierten unerwünschten Wirkungen und die Frage der Anti-TumorWirkung prägen derzeit die Diskussion. Charakteristisch ist hierbei, dass man im Grunde bestimmte Vorgänge um den molekularen Wirkmechanismus immer noch nicht vollständig versteht und dass noch nicht vollkommen geklärt ist, welche Zellen unter den gegebenen klinischen Umständen definitiv in vivo als Zielzellen für Bisphosphonate und Denosumab betrachtet werden können. Weiterhin sind auch pharmakologische Eigenheiten von Bisphosphonaten nicht vollkommen geklärt, die bei bestimmten Begleitpathologien wie Infektionen zum Tragen kommen. Individuelle Unterschiede zwischen einzelnen Bisphosphonaten mögen dabei eine wichtige Rolle spielen (13, 32). Die Frage, inwiefern und mit welchem Aufwand es sich lohnt, in dieser späten Phase der Entwicklung und Vermarktung von Arzneimitteln der Ätiologie der zugrundeliegenden Phänomene weiter nachzugehen, ist diskutabel. Es besteht allerdings eine wissenschaftliche und ärztliche Verpflichtung, zumindest das Verstehen der Wirkungen und Nebenwirkungen von Stoffen weiter zu fördern, die vermutlich noch ein weiteres Jahrzehnt und eventuell darüber hinaus Patienten verordnet werden und die zum Teil noch Jahre lang im Knochen von Patienten verbleiben, die lange und hoch dosiert therapiert worden sind. Die Auswirkungen der Bisphosphonate auf molekulare Mechanismen in der Zelle sind zudem, angefangen von der Wirkung auf den intrazellulären und extrazellulären Phosphatstoffwechsel und die Zelldifferen- zierung bis hin zum Prinzip der Anti-Tumorwirkung als molekulare Targets, weiterhin von Interesse. Bisphosphonate Pharmakologie der Bisphosphonate Die Pharmakologie soll hier nur kurz abgehandelt werden so weit sie möglicherweise mit den assoziierten Wirkungen verknüpft ist. Die akuten Nebenwirkungen wie gastrointestinale Effekte, nephrotoxische Wirkungen und Entzündungsreaktionen der Augen zeigen zumindest deutlich, dass der Knochen nicht das einzige Zielorgan der Bisphosphonate ist, auch wenn nach kurzer Zeit die überwältigende Menge der verabreichten Dosis ausschließlich am Knochen verbleibt (6, 36). Es sei festgehalten, dass Bisphosphonate, abhängig von der Konzentration, auch andere Zellen in die Apoptose treiben können als nur den Osteoklasten (11, 13, 37). Diese Tatsache dokumentiert von vorneherein, dass wir einzig durch die hohe Affinität zum Knochen vor einer ganzen Serie von möglichen Nebenwirkungen akuter Art verschont bleiben. Ihr Ansatzpunkt der Hemmung der Farnesylpyrophosphatsynthase innerhalb des Mevalonatstoffwechsels ist in jeder Zelle des Körpers von potenzieller Bedeutung, so dass die Spezifität der Knochenwirkung ausschließlich pharmakologisch bedingt ist (die hoch affine Retention am Hydroxylapatit als Matrix) und die Wirkung bei niedrigen Konzentrationen von der Fähigkeit der Zelle abhängt, die Substanzen intrazellulär durch Phagozytose und Pinozytose effektiv anzureichern. Langfristig spielt damit das Mikromilieu eine entscheidende Rolle, das durch die Nachhaltigkeit der Anreicherung von Bisphosphonaten im Knochen einerseits und durch ihre so genannte „off-rate“, ihre lokale Freisetzung, auch unter bestimmten pathologischen Bedingungen wie Infektionen, determiniert wird (41). Biochemischer Wirkmechanismus Die Anreicherung von Bisphosphonaten in der Zelle erfolgt nach derzeitiger Kenntnis in erster Linie durch Phagozytose und Pinozytose. Die rein biochemische Wirkung der Bisphosphonate besteht aus zwei Hauptkomponenten. Zum einen hemmen Bisphosphonate höchst spezifisch und effektiv mit nanomolarer Affinität die Farnesylpyrophosphatsynthase des Mevalonatstoffwechsels. „Stromabwärts“ der Farnesylpyrophosphatsynthase werden somit physiologische Mechanismen unterbunden, die in die Prenylierung von Proteinen münden. Diese Wirkung teilen Bisphosphonate mit Statinen, die weiter „stromaufwärts“ wirken (PAbb. 1). Protein-Prenylierung ist für bestimmte biologisch wichtige Programme essenziell wie z. B. die Polarisierung und Orientierung der Zelle mit allen primären und sekundären Konsequenzen der Anheftung und Stoffwechselinteraktion mit ihrer Adsorptionsfläche. Die Hemmung dieser wichtigen posttranslationalen Modifizierung von Proteinen kann im Prinzip für jede Zelle in die Apoptose führen. Die zweite Hauptkomponente der Wirkung ist die Bildung von Pyrophosphat-Addukten mit den Phosphaten des Energiestoffwechsels wie Adenosindi- und -triphosphat zu Substanzen, die z. B. im Falle des Zoledronat mit dem Kürzel ApppI versehen werden (39). Diese Komponente ist in den ersten Bisphosphonaten wie Clodronat praktisch ausschließlich für die Wirkung verantwortlich, da deren Affinität zu den Enzymen des Mevalonatstoffwechsels sehr gering ist. Die Anreicherung von Phosphaten wie ApppI führt ebenfalls zur Apoptose, allerdings auf einem anderen Wege: vermehrt über mitochondriale Mechanismen. Jenseits davon ist durch den Substratstau stromaufwärts der Farnesylpyrophosphatsynthase auch eine Anreicherung der Phosphatprodukte des Mevalonat-Signalweges gegeben, die auf das Expressions-Niveau der beteiligten Enzyme Einfluss nimmt (PAbb. 1) (12). Die intrazelluläre Konzentration der Phosphatstoffwechselprodukte wird sicher weiter moduliert, beispielsweise durch das Expressionsniveau von Proteinen, die an der Ausschleusung von Pyrophosphaten und ATP aus der Zelle beteiligt sind, wie z. B. bei © Schattauer 2012 Osteologie 3/2012 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-10-23 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 187 188 F. Jakob; L. Seefried; R. Ebert: Antiresorptive Therapie und Knochenstoffwechsel dem durch Vitamin D beeinflussbaren Weg der Ausschleusung von Adenosintriphosphat (3) und bei der Sekretion von Pyrophosphat, wodurch auch eine Verbindung zur pathologischen Kalzifizierung außerhalb des Skeletts hergestellt wird (48). Zellbiologische Wirkung Die starke Hemmung des Mevalonatstoffwechsels durch Bisphosphonate führt wie bereits angedeutet auf unterschiedlichen Wegen in die Apoptose (11, 37). Leichte Hemmung/Modulation oder intermittierende Hemmung beeinflusst eher die Zelldifferenzierung. Hierfür gibt es in Vorstufen von skelettalen Vorläufern und mesenchymalen Stammzellen gute Hinweise (10, 24, 25, 49). Diese Wirkungen lassen sich zum Teil analog auch durch andere Arzneimittel erreichen, wie z. B. Cholesterinsynthese-Hemmer. Die Letzteren allerdings haben nur im Sinne der Hemmung der Prenylierung analoge Wirkungen, während die Auswirkungen auf die Phosphatakkumulation eher entgegengesetzt sind, da durch den weit stromaufwärts gelegenen Ansatzpunkt eher ein Substratmangel für die Prenylierungsreaktion auftritt denn ein Substratstau (씰Abb. 1). Die leichte Modifizierung des Mevalonat-Signalweges bedingt in frühen mesenchymalen Vorläufern eine Verstärkung der Induktion der Differenzierung in Richtung Osteozyten, sichtbar durch eine Stimulation der Expression von DMP-1 als Osteozytenmarker (11). In Apoptose-resistenten Tumorzellen haben wir Hinweise für eine Beeinflussung der Differenzierung über Abb. 1 Darstellung der Wirkungsweise der modernen Aminobisphosphonate. Das molekulare Ziel der Bisphosphonate ist die Hemmung der Farnesylpyrophosphatsynthase im Mevalonatstoffwechsel. Dadurch entsteht stromaufwärts ein Substratstau mit Anhäufung von Pyrophosphaten, die Addukte mit Adenosin-Abkömmlingen formen (bei Zoledronat ApppI), stromabwärts eine Verminderung der Prenylierung von Proteinen. Der Mechanismus der Apoptose kann sowohl durch die Hemmung der Prenylierung relevanter Proteine eingeleitet werden als auch durch die Anhäufung von ApppI. Statine können im Vergleich nur eine analoge Hemmung der Proteinprenylierung initiieren. Fig. 1 Mode of action of modern aminobisphosphonates. The molecular target of bisphosphonates is the inhibition of the enzyme farnesyl pyrophosphate synthase as a part of the mevalonate pathway. Thus upstream substrate accumulation causes enhanced concentrations of pyrophosphates, which form adducts with adenosin-derived compounds (ApppI in case of zoledronate). Downstream farnesyl pyrophosphate synthase protein prenylation is impaired. Apoptosis may be induced both by the inhibition of prenylation of relevant proteins and the accumulation of ApppI. Statins in comparison can only analogously cause inhibition of prenylation. nukleäre Transkriptionsfaktoren wie Krueppel-like-factors KLF 2 und 6 (12). Mit Blick auf die zelluläre Alterung gibt es Daten für eine Beeinflussung der LaminA-abhängigen nukleären Zellschädigung durch reaktive Sauerstoffspezies (38). Diese Hinweise für eine zentrale Beeinflussung der Vorgänge um Differenzierung und Tumorwachstum machen den MevalonatSignalweg weiterhin attraktiv für zukünftige Arzneimittelentwicklungen. Im Zusammenhang mit der Betrachtung der Pathogenese der Kieferosteonekrose sind wahrscheinlich die Wirkungen auf die Apoptose die bedeutenderen. Affinität, Halbwertszeit und Konzentration verschiedener Bisphosphonate im Knochen Klinische Daten und experimentelle Invitro-Befunde sprechen dafür, dass die Affinität und Halbwertzeit von Bisphosphonaten im Knochen zum Teil sehr hoch ist und dass die Verweildauer am Knochen über mehrere Jahre anzusetzen ist. Darüber hinaus ist die so genannte OffRate, die Dissoziation von Hydroxylapatit je nach Ladung der Bisphosphonate unterschiedlich. In diesem Zusammenhang scheint die Festigkeit der Bindung für Alendronat und Zoledronat verglichen mit Ibandronat und Risedronat deutlich höher zu sein, so dass es deutlich stärker saures Milieu braucht, um die Ersteren aus ihrer Bindung zu lösen (13, 32). Unter physiologischen Bedingungen spielen solche Unterschiede zwar für die Halbwertszeit eine Rolle, haben aber keine wesentliche akute Bedeutung für die Entstehung höherer Konzentrationen im Mikroenvironment. Hingegen ist es natürlich vorstellbar, dass unter Bedingungen der Hypoxie und der Infektion ein saures lokales Milieu entsteht, das eine sehr hohe lokale BP-Konzentration erzeugen kann, dessen Maximum geschätzt bis zu 1 mM betragen kann (39, 41). Unter solchen Umständen ist es im Zuge einer Infektion und/oder von Durchblutungsstörungen am Knochen durchaus möglich, dass faktisch alle Zellen mit Regenerationspotenzial in ihrer Expansion deutlich gestört werden. Osteologie 3/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-10-23 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. F. Jakob; L. Seefried; R. Ebert: Antiresorptive Therapie und Knochenstoffwechsel Stellen des Zahndurchbruchs gefährdet, da hier potenzielle Verbindungen bis in den Knochen entstehen können. Zudem ist diese Schleimhaut ständigen Verletzungen durch Nahrungsmittelbestandteile ausgesetzt, so dass sie permanente Leckagen als erste Linie der Abwehr gegen das Eindringen von Mikroorganismen erfährt, die ebenso permanent repariert werden müssen. Es gibt viele In-vitro-Untersuchungen, die demonstrieren, dass epitheliale Zellen jeglicher Art und auch Bindegewebszellen durch Bisphosphonate entweder nekrotisch werden können (denkbar z. B. bei intestinalen Zellen, die extrem hohen Kon- Targetzellen und Targetgewebe für Bisphosphonate und Denosumab Epithelien Epithelien der Mundschleimhaut sind in ungewöhnlich hohem Ausmaß der Besiedlung durch Bakterien und Pilze ausgesetzt. Die Oralflora ist die vielfältigste unseres gesamten Organismus und sie enthält auch pathogene Keime. Die Kontinuität der Schleimhautbedeckung der unterliegenden Gewebe ist natürlicherweise an vielen zentrationen durch aufliegende Tabletten ausgesetzt sein können) oder in die Apoptose gehen, wenn hohe Konzentrationen in der Mikroumgebung sind (9, 27). Die Exposition in vivo ist jedoch in der Regel in diesem Ausmaß für die Mundschleimhaut nicht denkbar, solange nicht der Raum zum Knochen eröffnet ist und dadurch anliegende Abschnitte von Epithel den hohen Bisphosphonat-Konzentrationen ausgesetzt sind, die z. B. durch lokale pH-Änderungen verursacht werden. Dies macht auch plausibel, dass ein operativer Eingriff nicht selten der erste Auslöser der Entzündung mit nachfolgender Osteonekrose ist, Tab. 1 Auflistung der Barrieren für Infektionen und der für die Knochenregeneration relevanten Mechanismen. An vielen Stellen können Medikamente wie Bisphosphonate und Denosumab interferieren, die eigentlich nur zur Vermeidung des Knochenverlusts eingesetzt werden. Dadurch werden sie im Zusammenwirken mit anderen Faktoren zum Risiko für die Knochennekrosen. Table 1 Description of lines of defense for infections and of mechanisms relevant for bone regeneration. Bisphosphonates and Denosumab, when applied to avoid bone loss, may interfere at many sites, thus promoting the risk for osteonecrosis together with a series of other factors. Zellen/Gewebe Funktion Epithelien ● ● Störmechanismen der spezifischen Gewebefunktion mechanische Barriere gegen Infektion Residenz mukosaler memory T-Zellen ● ● innates (angeborenes) „first line of defense“ gegen Infektionen Immunsystem – Monozyten/ Makrophagen ● innates (angeborenes) „first line of defense“ Immunsystem – Granulozyten ● adaptives Immunsystem ● „second line of defense“ ● ● ● ● ● ● ● ● Knochenheilung Knochenregeneration ● ● ● ● Osteoblasten/ Osteozyten Endothelien ● ● ● ● Knochenheilung Knochenregeneration ● Knochenheilung Knochenregeneration ● ● ● ● ● Sekundäre Folgen erhöhter Load an Chemotherapie (Mukositis) Bakterien und Pilzen Verletzungen und operative Eingriffe (Bisphosphonate nur nach Eröffnung der Knochenoberfläche als Regenerationshemmung denkbar) bakterielle Infektionen und Mykosen der Schleimhäute und des Periosts Chemotherapie immunsuppressive Medikamente Bisphosphonate Denosumab ● erhöhter Load an Bakterien und Pilzen verminderte Clearance ● Chemotherapie Tumorleiden ● erhöhter Load an Bakterien und Pilzen verminderte Clearance ● ● ● ● Osteoklasten Primäre Folgen ● ● Infektionen der tieferen Schichten ungebremste Zerstörung von Gewebe Infektionen der tieferen Schichten ungebremste Zerstörung von Gewebe Chemotherapie Immunsuppressiva Bisphosphonate (γδ-T-Zellen) Denosumab? verminderte spezifische Abwehr von Bakterien und Pilzen ungebremste Ausbreitung von Erregern Chemotherapie protrahierte Entzündung Bisphosphonate Denosumab Abraum toten Materials gestört Persistenz der Nekrose Chemotherapie protrahierte Entzündung Bisphosphonate in hohen (lokalen) Konzentrationen (pH-Änderungen durch Infektion und Hypoxie) Defektreparatur gestört Ausbreitung der nekrotischen Zonen angiogenese-hemmende Medikamente, Chemotherapie, Bisphosphonate in hohen Konzentrationen (pH-Änderungen durch Infektion und Hypoxie) Defektreparatur gestört Ausbreitung nekrotischer Zonen © Schattauer 2012 Osteologie 3/2012 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-10-23 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 189 190 F. Jakob; L. Seefried; R. Ebert: Antiresorptive Therapie und Knochenstoffwechsel da er besonders bei der Zahnextraktion praktisch alle Barrieren der Entzündung zerstört. Diese Überlegungen touchieren Diskussionen um die Frage, ob die Osteonekrose ein „inside-out“-Ereignis ist oder doch ein „outside-in“-Ereignis und sie würden das Letztere favorisieren. Einmal ausgelöst allerdings sind beide Wege denkbar und begehbar (27). Neuere Erkenntnisse sprechen dafür, dass die regionale Immunität sehr stark durch regionale und mukosale Memory-T-Zellen getriggert wird. Es ist vorstellbar, dass im Rahmen von Mukositiden durch Chemotherapie hier neben der ersten Infektionsbarriere Epithel auch bereits eine Komponente des adaptiven Immunsystems (siehe unten) geschädigt werden kann (43). Innate Immunsystem (Monozyten/ Makrophagen) und adaptives Immunsystem (B- und T-Zellen) Das innate (angeborene) Immunsystem der Mundhöhle ist ständig aktiv, da es einer chronischen Stimulation durch Erreger und generell durch Stimulatoren der Tolllike-Rezeptoren als Mediatoren proinflammatorischer Reize ausgesetzt ist (19). Im Alter sind diese Mechanismen der Abwehr deutlich beeinträchtigt (18, 29). Die Hypothese, dass Kieferosteonekrosen sehr viel mit Infektionen zu tun haben, liegt daher nahe. Da unter Denosumab bei hoch dosiertem Einsatz in der Onkologie mindestens ebenso viele Kiefernekrosen entstehen wie unter hoch dosierter BisphosphonatGabe, kann man mit Blick auf den molekularen Wirkmechanismus Hypothesen generieren, welche pathophysiologischen Mechanismen bei der Kiefernekrose führend sind. Denosumab ist ein hoch spezifischer Antikörper gegen RANKL, der jegliche RANKL-abhängige Differenzierung von Monozyten in Richtung Osteoklasten unterbindet, möglicherweise auch die Attraktion/Migration und die ClearanceFunktion von Monozyten bereits beeinträchtigt (4, 28). Sowohl die Entfernung von RANKL als ein Migrationsfaktor für monozytäre Zellen durch Denosumab als auch die Hemmung der Migration von Monozyten selbst durch Aminobisphosphonate können somit die Rekru- tierung monozytärer Zellen zum Ort einer Infektion beeinträchtigen (14, 25). Makrophagen nehmen auch in gleicher Weise wie Osteoklasten Bisphosphonate auf. Daten hierzu gibt es einerseits experimentell und andererseits aus der Transplantationsmedizin, wo Bisphosphonate zur Depletion von Monozyten/Makrophagen aus Transplantatorganen verwendet werden (8, 39, 46). Vor diesem Hintergrund käme zumindest bei der Pathogenese der Kiefernekrose der Rolle der Monozyten eine Schlüsselposition zu (14). RANKL-abhängige Funktionen in Zellen des Immunsystems wären dem gemäß ein wichtiges Target, das in die Pathogenese der Nekrosen involviert sein könnte. Zwar kommen die meisten Reviews und Diskussionsforen zu dem Schluss, dass die Entfernung von RANKL mittels Denosumab keine gehäufte Rate an Infektionen zeigt und damit auch kein Zusammenhang mit Infektionen hergestellt werden könnte. Diese Reviews stufen aber zum einen die Kieferosteonekrose nicht als ein infektiologisches Geschehen ein und zum anderen sind solche Studien auch in der Regel nicht unter extremen Challenge-Bedingungen für das Immunsystem gefahren, die ohne Zweifel in einem Setting von z. B. Mukositis, Immunkompromittierung und Load an Bakterien und Pilzen anzunehmen sind, wie es in der Mundhöhle von multifaktoriell erkrankten Patienten vorliegt (14, 15, 34). Wie bereits beschrieben, sind Makrophagen sehr plausible Zielzellen für Bisphosphonate und möglicherweise auch für die RANKL-Inhibition mit Denosumab. Makrophagen nehmen in vitro Bisphosphonate auf und mit nanomolaren Konzentrationen kann eine weitgehende Hemmung der Prenylierung erreicht werden (39). Eine sehr gute Übersichtsarbeit sammelt die Evidenz für eine führende Rolle der Makrophagen in dieser Situation (34). Eine diskrete Population von Makrophagen bevölkert ostale Oberflächen als residente Gewebsmakrophagen, die wohl auch Osteoblasten regulieren (5). Monozyten exprimieren RANK-Rezeptor und RANKL stimuliert proinflammatorische Zytokine, Monozytenmigration und schützt Monozyten vor der Apoptose. Hieraus ließen sich auch Erklärungen für die Denosumab-assoziierten Kiefernekrosen ableiten (4, 42). Einige Autoren bringen den mit der Kieferosteonekrose häufig koinzidenten Vitamin-D-Mangel mit der Pathogenese der Kieferosteonekrose in Verbindung. Die mangelnde Produktion des Antibakteriellen Cathelicidin in Makrophagen, die zu wenig Vitamin D aufweisen, kann die Infektion fördern und die Bakterien-Clearance beeinträchtigen. In einem Tierexperiment entwickelten VitaminD-defiziente Ratten vermehrt Kieferosteonekrosen unter der Gabe von Bisphosphonaten (21). Die sogenannte weiße Reihe der Immunzellen, die Granulozyten in ihren verschiedenen Differenzierungslinien, sind nach der Literatur nicht durch Bisphosphonate beeinträchtigt. Ihre Funktion und Nachbildung im Rahmen der Infektion werden eher durch Chemotherapeutika und Immunsuppressiva gestört. Die rheumatoide Arthritis (RA) und/oder generell die chronisch entzündliche Konstellation wird als weiterer Risikofaktor für die Entstehung einer Kieferosteonekrose diskutiert. Interessant an diesem Aspekt ist, dass eine ausgeprägte Periodontitis als Risikofaktor für die RA gilt und die oralen Infektionen eine gewichtige Rolle für den chronisch entzündlichen Prozess spielen, dass sie sogar RA triggern können. Man kann also davon ausgehen, dass bei RA-Patienten von vorn herein eine spezielle immunologische und bakteriologische Situation in der Mundhöhle vorliegt (35). Regeneration des Knochens Für die Regeneration von Knochen jedenfalls sind die Vorstellungen zur Pathophysiologie der Kieferosteonekrose unter Denosumab insofern schwer in ein pathophysiologisches Konzept zu bringen, als es Befunde gibt, die zeigen, dass für die Knochenheilung nach Fraktur kein RANKL benötigt wird, da sie unter Denosumab nicht wesentlich beeinträchtigt ist (16). Im Zusammenhang mit Diskussionen um die Hemmung der Regeneration des Knochens durch Bisphosphonate und die konsekutiv auftretenden Nekrosen respektive atypischen Insuffizienzfrakturen erhebt sich die Frage nach den auslösenden Faktoren und damit nach den Zellen der Osteologie 3/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-10-23 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. F. Jakob; L. Seefried; R. Ebert: Antiresorptive Therapie und Knochenstoffwechsel Osteogenese, die von einer lokal erhöhten Konzentration an Bisphosphonate betroffen sind. In erster Linie sind dies im Knochen natürlich Osteoklasten, die Bisphosphonate auch bei sehr niedrigen Konzentrationen im nanomolaren Bereich effektiv aufnehmen. Untersuchungen zu (epithelialen) Tumorzellen, mesenchymalen Stammzellen und Osteoblasten aus unserer Arbeitsgruppe und anderen Publikationen zeigen, dass für die effektive Aufnahme der Bisphosphonate in diese Zellen mikromolare Konzentrationen notwendig sind und dass sie dann auch in die Apoptose gehen können (11, 12, 37). Es ist sicherlich denkbar, dass auch Endothelien als Zielzellen angesehen werden können, ebenso wie Zellen des Immunsystems. Ausschlaggebend für die klinische Relevanz solcher „In-vitro“-Phänomene und pharmakologischer Daten der Bisphosphonate ist die Frage nach der lokalen Konzentration in physiologischen und pathophysiologischen Situationen. Unter Bedingungen der Hypoxie und der Erniedrigung des pHWerts durch Infektionen und konsekutiv mangelnde Blutversorgung wäre eine verstärkte lokale Freisetzung aus der pH-abhängigen Bindung an Hydroxylapatit denkbar (32). Inwiefern der osteoporotische Knochen eine gewisse Suszeptibilität für Regenerationsstörungen in Zusammenhang mit der Kieferosteonekrose aufweist, bliebe zu prüfen. Defekte in der Regenerationskapazität sind in dieser Situation auch intrinsisch nachzuweisen. Mesenchymale Vorläuferzellen exprimieren in dieser Situation beispielsweise von Anfang an vermehrt Inhibitoren der osteogenen Differenzierungswege wie z. B. Sclerostin (2, 22). Die Aktivierung von Osteoklasten ist nach heutigem Wissen ein entscheidender Auslöser der Knochenregeneration. Der „Stammzell-Faktor“ für Osteoklasten ist der RANK-Ligand, der von untergehenden Osteozyten unter normalen Umständen in hohem Ausmaß produziert wird (31). Dieser Vorgang der Attraktion von monozytären Elementen und Differenzierung und Aktivierung von Osteoklasten ist unter den Umständen einer hohen lokalen Konzentration von Bisphosphonaten sicher gestört, indem bereits zu frühen Zeitpunkten der Osteoklastendifferenzierung die Zellen in die Apoptose geschickt werden. Ähnliches geschieht in Anwesenheit von Denosumab, das jegliches Molekül von RANKL effektiv neutralisiert und damit auch den Abraum von totem Material verhindert (28, 39, 41). Ist RANKL als Induktor der Regeneration durch absterbende Osteozyten erst einmal neutralisiert und sind weitere Osteozyten nicht mehr verfügbar, so kann in dem betroffenen Gebiet erst recht keine Reaktion und Attraktion monozytärer Elemente mehr erfolgen und die Nekrose wird als solche stabilisiert. Angiogenese und Osteonekrose Bisphosphonate haben antiangiogene Effekte in vitro und können die Spiegel angiogenetischer Faktoren deutlich und nachhaltig senken (44, 49). Der antiangiogene Effekt lässt sich jedoch nicht wirklich als zentraler Faktor der Pathogenese von Kieferosteonekrosen festmachen, da histologisch Endothelien und Gefäße gefunden werden. Weiterhin spricht auch die Pathogenese unter dem Angiogenese-neutralen Denosumab gegen eine wesentliche Beteiligung an der Pathogenese (34). Allerdings wurde kürzlich berichtet, dass unter Zoledronat die Frakturheilung in der Mandibula – anders als bei peripheren Frakturen – deutlich beeinträchtigt ist, unter anderem durch eine reduzierte Angiogenese, ein Befund der weitere Forschung notwendig macht (47). Besonderheiten der Knochenbiologie der Kieferregion Die Knochen des Gesichtsschädels entwickeln sich aus dem Neuroektoderm. Dies zeichnet sie gegenüber allen anderen Knochen des menschlichen Organismus aus, die sich aus dem Mesoderm entwickeln, genauer gesagt, das axiale Skelett stammt aus dem paraxialen Mesoderm, das appendikuläre Skelett aus dem Mesoderm der „Lateral Plate“ (33). Knochen des kraniofazialen Skeletts heilen via direkte membranöse Knochenheilung, während Knochen des peripheren Skeletts meist den Weg über die enchondrale Ossifikation verfolgen (siehe oben). Die In-vitro-Untersuchung von primären osteoblastären Zellen aus kraniofazialen Regionen zeigte, dass es tatsächlich Unterschiede im Proliferationsverhalten im Vergleich zu Zellen des restlichen Skeletts gibt. Auch Osteoklasten aus diesem Gebiet verhalten sich in mancher Beziehung unterschiedlich (26, 27, 45). Es ist jedoch noch völlig unklar, inwiefern diese Unterschiede in der Biologie der Knochenregeneration intrinsische Besonderheiten darstellen, die für die Entwicklung dieser Form von Osteonekrosen prädisponierend wären. Hier besteht erheblicher Forschungsbedarf. Interessenkonflikt F. Jakob hat Honorare für Vorträge und Beratungen von folgenden Firmen erhalten: Lilly, Amgen, Novartis, Merck Sharp and Dohme (MSD), Nycomed, Servier und Roche; L Seefried hat Honorare für Vorträge erhalten von Lilly, Amgen, Novartis und Abbott; F. Jakob und R. Ebert haben „unrestricted research grants“ von Novartis erhalten. F. Jakob und L. Seefried sind an klinischen Studien beteiligt, die von Lilly, Amgen, Servier und Novartis initiiert wurden und Osteoporose-Medikamente prüfen. Literatur 1. Arrain Y, Masud T. A current update on osteonecrosis of the jaw and bisphosphonates. Dental update 2011; 38: 672–676, 678. 2. Benisch P, Schilling TM, Klein-Hitpass L et al. The transcriptional profile of mesenchymal stem cell populations in primary osteoporosis is distinct and shows overexpression of osteogenic inhibitors. PLoS One 2012, in press. 3. 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