GVS-Bulletin 2006.indd - CH-EM

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Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz/Société pour la musique populaire en Suisse
Società per la musica popolare in Svizzera/Societad per la musica populara en Svizra
Society for traditional music in Switzerland
GVS/SMPS
Schweizerische Gesellschaft für Ethnomusikologie/Société suisse d’Ethnomusicologie
Società Svizzera d’Ethnomusicologia/Societad Svizra d’Etnomusicologia
Swiss Society for Ethnomusicology
CH-EM
Bulletin
2006
«So wie es immer war...“ Gedanken
zur Kulturdynamik der Volksmusik
Ländlerkunst oder Kunstländler?
Volksmusik an der Musikhochschule
Aus der Geschichte der
Musikerfamilie Wicky
Essere tradizionale per essere moderno
Die UNESCO-Konvention zur Bewahrung
des immateriellen Kulturerbes
Der Betruf in den Schweizer Alpen
1
Titelfoto: „Gletscher-Anneli“ (gest. 1902) am Hackbrett, Grindelwald (Sammlung Hanny Christen)
Impressum
Bulletin
Informationsblatt der GVS/SMPS
und der CH-EM
Redaktion GVS-Teil: Silvia Delorenzi-Schenkel, Ricco Bergamin & Fabian Müller
Kontakt:
Fabian Müller
Weinplatz 4
CH-8001 Zürich
Tel/Fax: 01/212 83 82
Nachdrucke nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion
2
GVS / CH-EM Bulletin 2006
Inhalt des GVS-Teils:
Editorial
5
«So wie es immer war...» Gedanken zur Kulturdynamik der Volksmusik
von Dieter Ringli
6
Ländlerkunst oder Kunstländler? Erfahrungen und Mutmassungen
zum Einzug der Volksmusik an der Musikhochschule Luzern
von Franz-Xaver Nager
12
Ein Schubs für die Volksmusik
von Hans Hürlemann
23
Welche Zukunft hat die Volkskultur in der Schweiz von morgen?
von Ricco Bergamin
26
Aus der Geschichte der Musikerfamilie Wicky
von Anton Wicky
30
Ein klingendes Zeitporträt besonderer Art
Die Tonbänder von Hanny Christen
von Silvia Delorenzi-Schenkel
39
Die zweite CD von «firau» ist erschienen
von Hans Hürlemann
42
Programmstart im Haus der Volksmusik in Altdorf
von Franz-Xaver Nager
44
3
Inhalt des CH-EM-Teils:
CH-EM
49
Das Projekt „Ethnomusicology interactive“
von Raymond Ammann
50
Essere tradizionale per essere moderno
La musica timbila dei Chopi del Mozambico
di Moira Laffranchini
51
Die UNESCO-Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes
von Marc-Antoine Camp
58
Der Betruf in den Schweizer Alpen
Brigitte Bachmann-Geiser
68
«Indigenous Worldmusic – Indigene Weltmusik»
73
Musikethnologische Publikationen der CH-EM-Mitglieder 2003-2005/06
74
4
Editorial
Die Herausgabe des Bulletins hat sich dieses Jahr aus verschiedenen Gründen etwas verzögert, so dass
wir es unseren Mitgliedern nicht unter den Weihnachtsbaum legen konnten. Dafür ist es uns gelungen,
verschiedene Beiträge von hoher Aktualität aufzunehmen. In der Volksmusik ist im vergangenen Jahr
sehr viel in Bewegung geraten. Als Teil der Volkskultur gerät sie mehr und mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Regional und national, ja sogar grenzüberschreitend wird sie an Symposien, Fachkonferenzen
und an Ausbildungsstätten zum Thema.
Die Stiftung Pro Helvetia hat im September mit einem zweitägigen Symposium in Siders unter dem Titel
echos eine Veranstaltungsreihe eröffnet, die zu einem Forum für die Volkskultur des 21. Jahrhunderts
werden soll. Dabei geht es um das Verhältnis der Schweiz zu ihrer kulturellen Tradition, um unser Kulturgut im Spannungfeld zwischen Tradition und Innovation. Dieter Ringli hat an dieser Veranstaltung
einen Vortrag zur Kulturdynamik der Volksmusik gehalten. Dessen Wortlaut wird hier veröffentlicht.
Ebenfalls im September lud die Schweizerische UNESCO-Kommission in Partnerschaft mit Traditions
pour Demain, CIOFF Schweiz und der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt zu einer gross
angelegten Orientierungs- und Diskussionsveranstaltung in Bern zum Thema Die Schweiz und das immaterielle Kulturerbe ein. Anknüpfungspunkt war die UNESCO-Konvention zur Wahrung des immateriellen Kulturerbes, die von der Schweiz in naher Zukunft ratifiziert werden soll. Lesen Sie den Bericht
über die Veranstaltung im GVS-Teil und im CH-EM-Teil Marc-Antoine Camps eingehende Analyse der
Fragen, die diese Konvention aufwirft.
Den Blick über die Grenzen nach Deutschland und Oesterreich richtet Hans Hürlemanns Beitrag über ein
Symposium der Stiftung Zentrum für Appenzellische Volksmusik und der Pro Helvetia im November in
Appenzell, an dem Aufgaben und Möglichkeiten der Volksmusikzentren ein zentrales Thema war. Mit
den Volksmusikzentren in Ollon, Altdorf und Gonten besitzt die Schweiz drei Sterne in der Aszendenz,
Deutschland und Oesterreich dagegen verfügen seit langem über ganze Sternbilder! Nachholbedarf besteht
bei uns im Bereich der Volksmusik aber auch in der Ausbildung. Dass die tertiären Ausbildungsstätten aus
dem Dornröschenschlaf erwacht sind, konnte Franz-Xaver Nager in seinem Referat über die Kursangebote
der Musikhochschule Luzern überzeugend nachweisen. Wir drucken es in diesem Heft ab.
Dank ihres weit gespannten Beziehungsnetzes kann die GVS auf den verschiedenen Ebenen an der
Meinungsbildung teilnehmen und dazu beitragen, dass die Volksmusik in der Öffentlichkeit und bei
den Behörden endlich die ihr gebührende Beachtung findet. Ohne einen lebendigen Bezug zur täglichen
Musikpraxis bleiben solche Bemühungen jedoch folgenlos. Darum fördert die GVS regelmässig Projekte,
die unser musikalisches Kulturgut verantwortungsvoll und qualitätsbewusst weitertragen. Hierfür sind
wir auf die finanzielle Unterstützung unserer Mitglieder angewiesen. Halten Sie der GVS die Treue und
werben Sie wo immer möglich für sie.
Mit den besten Wünschen zum Jahreswechsel
Ricco Bergamin
GVS-Vorstandsmitglied
5
«So wie es immer war...»
Gedanken zur Kulturdynamik der Volksmusik
von Dieter Ringli
(Referat am Pro Helvetia-Symposium «echos - Volkskultur für morgen», Sierre, 15.9.2006)
Die meisten von uns verbinden mit Tradition Begriffe wie «alt», «beständig», «unveränderlich», kurz:
Tradition ist «so, wie es immer war...» Das gilt auch für die Volksmusik. Ein Grossteil der aktiven Volksmusikanten und -musikantinnen, die Vertreter der entsprechenden Verbände und vor allem auch das
Volksmusikpublikum sehen diese Merkmale als zentral an für die Volksmusik. Es ist ihnen ein Anliegen,
die alte, beständige Tradition unverfälscht und somit unverändert weiterzupflegen. Diese Haltung ist
problematisch, weil sie zwei Dinge vermischt, die historisch gesehen nicht zusammen gehören: «Tradition» war zwar stets das «Althergebrachte» und «Beständige», war aber deshalb nicht «unveränderbar»
- zumindest nicht bis vor rund 50 Jahren. Blicken wir in der Geschichte der Volksmusik zurück, so erkennen wir deutlich, dass diese geprägt ist von Phasen des Wandels und der Weiterentwicklung.
Ich möchte Ihnen zunächst an Hand eines kurzen Rückblicks auf die Ländlermusik - der zentralen Gattung der instrumentalen Volksmusik der Deutschschweiz - zeigen, dass das, was wir heute als Volksmusik bezeichnen, eine wandelvolle Geschichte durchlebt hat, eine Geschichte, die während langer Zeit
nicht nur von Erfindungsreichtum, Experimentierfreude und der Einführung von Neuerungen bestimmt
war, sondern auch prägende Impulse durch die Auseinandersetzung mit fremden Einflüssen erfahren hat.
Als erstes Beispiel ist die Handorgel zu erwähnen. Heute gilt sie als typisches Instrument der Schweizer
Volksmusik; ihr Vorkommen ist gewissermassen ein Definitionskriterium. Das war aber nicht immer so.
Das 1829 in Wien erfundene Instrument wurde zwar schon wenige Jahre später auch in der Schweiz mit
Erfolg hergestellt. Die kleinen Instrumente mit wenigen Knöpfen waren beliebt, weil sie billig und einfach zu erlernen waren und zudem ein einziger Spieler für den Hausgebrauch Melodie, Begleitung und
Rhythmus produzieren konnte. Die Handorgel galt aber lange Zeit als neumodischer ausländischer Import für musikalische Dilettanten und war nicht nur bei Gebildeten und Wohlhabenden verpönt, sondern
auch bei den semiprofessionellen ländlichen Tanzmusikkapellen, die mit Instrumenten wie Klarinette,
Geige, Trompete, Kornett und Tuba oder Kontrabass mit 5-7 Mann gegen Bezahlung zum Tanz aufspielten an Hochzeiten, Fastnacht, Jahrmarkt, Chilbi oder ähnlichen Veranstaltungen.
Erst als in den 1880er Jahren schliesslich im Kanton Schwyz das grössere und vielseitigere Schwyzerörgeli entwickelt wurde - es heisst daher tatsächlich Schwyzer- und nicht Schweizerörgeli -, begann sich
das Instrument ab der Wende zum 20. Jahrhundert auch in den Tanzmusikkapellen durchzusetzen und
verdrängte nach und nach die Geiger und Blechbläser. Es wurde somit erst im 20. Jahrhundert - rund 70
Jahre nach seinem Auftauchen - langsam zum Inbegriff eines Schweizer Volksmusikinstruments.
Die Handorgel ist ein exemplarisches Beispiel für den damaligen Umgang mit dem Fremden und Neuen. Ein importiertes, zunächst verpöntes Instrument wurde lokal weiterentwickelt und so nach und nach
zu einem eigenen gemacht.
Auch in Bezug auf die gespielten Stücke ist ähnliches zu beobachten. Das Repertoire im 19. Jahrhundert war kein altes, nationales, sondern eine bunte Mischung von Melodien aus allen möglichen Ländern und Zeiten. Neben deutschen, österreichischen und italienischen Melodien sind auch Opern- und
Operettenthemen und zum Teil sogar höfische Tänze aus Frankreich zu finden, die aus der Zeit der
napoleonischen Besetzung geblieben waren. Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts änderte sich daran
wenig: Das Repertoire umfasste noch immer zahlreiche Stücke aus den umliegenden Ländern. Zu den
6
beliebtesten Stücken der ländlichen Tanzkapellen gehörten zwischen 1900 und 1930 beispielsweise der
Berliner Gassenhauer Im Grunewald ist Holzauktion der unter dem Titel Holzaktion verbreitet war, oder
auch Josef Franz Wagners Marsch Tiroler Holzhackerbuab‘n, der unter dem Titel D‘Holzhacker-Buebe
gespielt wurde.
Der Kontakt zu den Nachbarländern war also schon immer recht eng, der Umgang mit diesen Einflüssen
unterschied sich allerdings deutlich von späteren Zeiten. Weder wurden neue Einflüsse und Modeströmungen kategorisch abgelehnt, noch kritiklos übernommen. «Neues» oder «Traditionelles» und «Fremdes» oder «Eigenes» waren damals nicht Kategorien des Alters oder der Herkunft, sondern des Umgangs;
Neues und Fremdes wurde unbefangen zum Eigenen, Traditionellen gemacht, indem es adaptiert und in
lokaler Manier verwendet und weiterentwickelt und somit zu einem Teil der eigenen Kultur wurde.
Nach dem 1. Weltkrieg zogen zahlreiche Leute vom Land in die Städte, um Arbeit zu suchen. Dort
pflegten sie ihre gewohnte Musik weiter. Bald schon wurden diese Kapellen in den Städten als neue,
exotische Attraktion entdeckt. Die Leute in der Stadt waren fasziniert vom atemberaubenden Rhythmus,
den diese Bauern- oder Ländlerkapellen - wie sie jetzt neu genannt wurden - produzierten und von der
feuchtfröhlichen Stimmung, die sie verbreiteten. Verglichen mit den Salonorchestern war das eine Revolution, vergleichbar mit dem Aufkommen des Rock ‚n‘ Roll in den 1950er Jahren. So etwas Schlichtes,
Wildes, Mitreissendes hatte man bis anhin noch nicht gehört in der Stadt. So wurde die Ländlermusik
auch in den Städten zur beliebten Tanz- und Unterhaltungsmusik, zumindest bei den unteren Schichten
und im Mittelstand; in gehobeneren Kreisen galt sie - wie alles Ländliche - noch immer als primitiv.
In dieser Zeit begannen die Ländlermusikanten - in den Städten wohlgemerkt - gestickte Trachtenblusen
zu tragen, weil sie gemerkt hatten, dass dies den rustikal-exotischen Reiz ihrer Auftritte beim städtischen
Publikum verstärkte. Wir haben kaum Bilddokumente vor 1920, die ländliche Musikanten in Tracht
zeigt; die Leute spielten damals auf dem Land in ihrem besten Anzug mit weissem Hemd und Krawatte.
Erst in den Städten setzten sich die gestickten Trachtenbluse als publikumswirksame Verkleidung durch,
was auch daran ersichtlich ist, dass die Musikanten damals darunter weiterhin Hemd und Krawatte trugen und sich nicht scheuten, sie mit modischen Hüten wie Zylinder oder Melonen zu kombinieren.
In den Städten waren die Ländlermusikanten verstärkt neuen musikalischen Einflüssen ausgesetzt, dem
Schlager und dem frühen Jazz, zwei damals jungen Gattungen, die sich dank der aufkommenden Medien Radio und Schallplatte rasch zu verbreiten begonnen hatten. Diese neuen Einflüsse hatten deutliche
Auswirkungen: Das Sopransaxofon hielt als Alternative zur Klarinette Einzug in die Ländlerkapellen
und es entwickelte sich eine neue Tanzgattung, indem die ternäre, «swingende» Rhythmik des Jazz in
die Ländlermusik integriert wurde. So entstand Ende der 1920er Jahre der Ländler-Fox, der heute neben
dem Schottisch eine der meistgespielten Tanzgattungen der Schweizer Volksmusik ist.
Wie wenig Berührungsängste die damaligen Ländlermusikanten mit fremden musikalischen Idiomen
hatten, zeigt beispielsweise auch ein Stück des legendären Urner Klarinettisten Kasi Geisser von 1928
mit dem Titel Roman fährt Automobil, das zu einem Klassiker der Ländlermusik geworden ist. Ein Teil
dieses Stücks entstammt einem Tin-Pan-Alley Schlager der Jahrhundertwende mit dem Titel Boston
Cake-Walk, der 1908 unter dem Titel Im Automobil von Hamburg nach Kiel als Deutscher Schlager
bekannt wurde. Geisser übernahm das Thema und verarbeitete es ungeniert zu einem eigenen Stück,
damals ein sehr verbreitetes Kompositionsverfahren.
Die Ländlermusikanten im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts reagierten also auf die Konkurrenz durch die neuen Medien und den dadurch veränderten Publikumsgeschmack, indem sie gewisse
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musikalische Elemente in ihre eigene Musik integrierten. Der Ländler-Fox war die Antwort auf die
Jazz-Begeisterung des städtischen Tanzpublikums, und zu Geissers «Automobil» liess sich zur Not sogar Shimmy oder Charleston tanzen. Und trotzdem verloren die Ländlerkapellen dadurch keineswegs
ihre kulturelle Eigenständigkeit. Im Gegenteil, die einst belächelte ländliche Tanzmusik gewann das
städtische Publikum, weil sie es schaffte, die Zeitströmungen zu integrieren. Bis in die 1930er Jahre war
somit der Umgang mit neuen Einflüssen - nicht nur aus den benachbarten Alpenländern, sondern auch
aus Klassik, Schlager- und Jazzmusik - unbefangen und produktiv, ja die verstärkten Einflüsse durch
die Medien ermöglichten es der ländlichen Tanzmusik im Grunde erst, zu einer gesamtschweizerischen
Musik zu werden, die sowohl auf dem Land als auch in den Städten populär war.
In den 1930er Jahren entstand in der Schweiz dann - als Abgrenzung gegenüber den faschistischen
Nachbarstaaten - jene Bewegung, die als «Geistige Landesverteidigung» in die Geschichte eingegangen
ist. Staat, Schulen und Verbände wie der Eidgenössische Jodlerverband, der Schwinger- und Hornusserverband, die Schweizerische Trachtenvereinigung und die Heimatschutzbewegung entwickelten die
Ideologie einer spezifisch schweizerischen Identität, die sich von den umliegenden Staaten deutlich
unterscheiden sollte. Alles Fremde sollte zurückgedrängt werden oder wie es der Eidgenössische Jodlerverband in seiner Schulungsgrundlage für Jodlerinnen und Jodler von 1943 formulierte: «Alles Unschweizerische ist erbarmungslos auszumerzen.» [EJV 1943:2]
Diese Ideologie einer rein schweizerischen Volkskultur hatte auch auf die Ländlermusik folgenreiche
Auswirkungen. Es entstand eine Bewegung, die sich für eine «authentische» Ländlermusik stark machte
und die nur noch die Instrumente Klarinette, Schwyzerörgeli, Akkordeon und Kontrabass als typisch
schweizerisch gelten liess. In den 1940er Jahren wurde diese vermeintlich «echte» und «authentische»
Form der Ländlermusik durch das Schweizer Radio stark gefördert und verbreitet, nicht zuletzt weil
diese Formationen einfach und billig zu produzieren waren. So verschwand schliesslich die abwechslungsreiche Besetzungsvielfalt früherer Zeiten mit Instrumenten wie Trompete, Kornett, Geige, Posaune, Tuba usw. aus der Schweizer Volksmusik.
Das Tragen der Tracht - einst exotische Verkleidung fürs städtische Publikum - wurde als «typisch
schweizerisch» auch auf dem Land zur Selbstverständlichkeit für die Musikanten. Diese bereinigte und
standardisierte Ländlermusik wurde zur Nationalmusik emporstilisiert, die zu hören und zu pflegen beinahe schon als Bürgerpflicht galt.
Der Aufstieg von einer feuchtfröhlichen Tanz- und Unterhaltungsmusik zum nationalen Kulturgut war
zunächst sehr förderlich. Die 1930er und 40er Jahre waren die goldene Zeit der Ländlermusik. Die Zahl
der Musikanten wuchs beträchtlich. In jeder Stadt gab es zahlreiche Lokale, in denen ausschliesslich
Ländlermusik gespielt wurde, und auf dem Land war die Ländlermusik beliebter denn je. Ländlermusik
war damals Volksmusik, Tanzmusik und Populärmusik zugleich.
Mit dem Ende des Kriegs verlor die Ideologie der geistigen Landesverteidigung zwar an Bedeutung, die
Ländlermusikanten und die Landbevölkerung aber hatten die Idee verinnerlicht, Träger einer Tradition
zu sein, die es unverfälscht und rein zu bewahren galt. Gleichzeitig wurde die Schweiz überschwemmt
von einer Flut ausländischer Populärmusik. Anstatt aber, wie es früher selbstverständlich gewesen war,
auf diese neuen Einflüsse zu reagieren, erachteten es die Musikanten als ihre Aufgabe, die Ländlermusik
als nationales Kulturgut unverändert zu erhalten. Zwar konnte so der musikalische Stil gerettet werden
- wer weiss, vielleicht wäre die Ländlermusik sonst vollständig verschwunden. Der Preis dafür war
allerdings hoch. Zum Opfer fiel dieser Haltung die einzige wirklich uralte Tradition in diesem Genre,
nämlich der stete Wandel und die ständige Anpassung an die sich verändernden Umstände und Bedürfnisse durch die Verarbeitung neuer Einflüsse und Anregungen.
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Seit den 1950er Jahren ist nichts Neues mehr dazu gekommen in der Ländlermusik. Zwar gab und gibt
es noch immer laufend neue Stücke und neue Kapellen, teilweise sogar sehr gute. Aber es kamen in den
letzten Jahrzehnten keine neuen Formen, Rhythmen, Instrumente oder Besetzungen mehr auf, die sich
dauerhaft hätten etablieren können.
Dieser unüberhörbare Stillstand hat dazu geführt, dass sich die Bevölkerung im Lauf der letzten Jahrzehnte zunehmend von der Ländlermusik abgewendet hat. Weil die Ländlermusik nur noch aus sich
selber geschöpft und sämtliche Kontakte mit anderen Gattungen oder Stilen bewusst vermieden hat, ist
sie langweilig geworden. Zwar billigen ihr die meisten Schweizerinnen und Schweizer noch immer zu,
nationales Kulturgut zu sein, aber sie haben das Interesse daran verloren - und der Kreis der Liebhaber,
die sich für diese Musik begeistern, wird zunehmend kleiner. Sowohl die Ausübenden als auch ihr Publikum sehen sich mit einer markanten Überalterung konfrontiert. Darüber können auch einige aktive
Nachwuchskapellen nicht hinwegtäuschen.
Auch bei anderen Gattungen der Schweizer Volksmusik - seien es die Jodlerklubs der Deutschschweiz
oder das Chorwesen in der Romandie - zeigt sich ein ähnliches Bild: Nach einer enthusiastischen Entwicklungsphase in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschrieb man sich nach dem 2. Weltkrieg
einer Bewahrungs-Mentalität, die Veränderungen prinzipiell ablehnte. Dies führte zu einem Entwicklungsstillstand, zu einem Publikumsverlust und zur Überalterung der entsprechenden Szenen. Die Angst
der Trägerschicht der Volksmusik, sich mit neuen, scheinbar fremden Einflüssen auseinander zu setzen,
der Rückzug auf die vermeintlich «eigene Tradition» hat die Volksmusik in der Schweiz somit an den
Rand des Verschwindens gebracht. Nicht nur weil damit die Musik auf dem Stand der 1950er Jahre eingefroren wurde, sondern vor allem weil diese fünfzigjährige Nabelschau der Volksmusik die Grundlage
genommen hat, gerade durch Austausch und Auseinandersetzung mit Fremdem und Neuem einen Beitrag zur eigenen Identitätsfindung zu leisten. Austausch und Entwicklung sind also nicht gleichzusetzen
mit Verfälschung und Verwässerung. Im Gegenteil: sie sind - und waren schon immer - ein unabdingbarer Bestandteil der Tradition.
Heute sind sich immer mehr Akteure in der Volkmusik-Szene dieser Problematik durchaus bewusst. Sie
wissen, dass sie ein neues Publikum ansprechen müssen, weil das gegenwärtige in absehbarer Zeit altershalber ausbleiben wird. Es hat sich in den letzten Jahren die Einsicht entwickelt, dass Veränderungen
und Neuerungen wieder Platz haben müssen. Wie diese allerdings aussehen sollen, darüber scheiden
sich die Geister.
Nach 50 Jahren des Stillstands ist die Distanz zur Populärmusik zu gross geworden, um sich direkt
von dort Anregungen zu holen, so, wie das früher mit Erfolg getan worden ist. Zudem verbietet oder
erschwert heute das Urheberrecht diese althergebrachte Praxis der Übernahme und Veränderung populärer Themen. Erinnern wir uns zurück an Kasi Geissers «Automobil»: Es würde heute unweigerlich zu
urheberrechtlichen Konflikten führen. Wer heute einen Hit schreibt - und Geissers Stück war ein Hit für
damalige Verhältnisse -, bei dem er ein Thema aus einem anderen Stück verwendet, gerät sofort in einen
teuren Rechtsstreit. Dass eines der wichtigsten traditionellen Kompositionsverfahren - das Umgestalten
und Weiterverarbeiten allgemein bekannter Motive und Themen - heute durch das Urheberrecht gesetzlich unterbunden wird, ist eine Problematik, der viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird - und
daran wird leider auch die anstehende Urheberrechts-Gesetzesreform nichts ändern.
Ein weiteres Problem ist, dass die Musikanten und ein Teil der Verbandsfunktionäre oft offener und
fortschrittlich gesinnt sind als das Publikum. Dies wiederum hat direkt zu tun mit der Überalterung der
Szene. Wir wissen heute aus Untersuchungen, dass sich die musikalischen Präferenzen eines Menschen
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vorwiegend im Alter zwischen 15 und 30 ausbilden. Nachher ändert sich der Geschmack nur selten noch
grundlegend - ein Phänomen, dass sich bei allen Generationen und selbst innerhalb einzelner Sparten
beobachten lässt. Das bedeutet aber, dass ein älteres Publikum meist gar kein Bedürfnis nach Neuerungen hat. Die Volksmusik steht somit vor dem Problem, dass Neuerungen vom verbliebenen, überalterten
Publikum abgelehnt werden, es bisher aber nicht gelungen ist, ein jüngeres Publikum anzusprechen.
Seit einigen Jahren gibt es aber zunehmend Musikantinnen und Musikanten, die sich bemühen, die
Volksmusik weiter zu entwickeln, indem sie den Blick wieder über die Grenzen hinaus schweifen lassen. Diese innovativen Musiker sind technisch hervorragend, haben zum Teil eine Ausbildung an einer
Musikhochschule absolviert und kennen sich auch in Sparten wie Klassik, Rock oder Jazz aus. Es sind
nicht nur die umliegenden Alpenländer, die als Quelle der Inspiration für Komposition und Interpretation dienen, sondern auch Skandinavien, Osteuropa, internationale Populärmusik oder experimenteller
Jazz und Neue Musik. Zu erwähnen sind hier Formationen wie Pareglish, die Hujässler, die HanneliMusig, Das Neue Original Appenzeller Streichmusik Projekt, Pflanzplätz, Doppelbock, der Trompeter
und Alphornspieler Hans Kennel oder die Jodlerin Nadja Räss. Ihre Versuche, die Volksmusik wieder
zeitgemäss zu interpretieren, sind ein viel versprechender Anfang.
Aber alle diese Musikerinnen und Musiker sehen sich mit dem Problem konfrontiert, dass sie kaum
wahrgenommen werden. Den verbliebenen Ländlermusik-Liebhabern sind sie zu modern. In den wenigen noch existierenden Ländlermusik-Lokalen und an den Veranstaltungen der Volksmusikverbände
stossen sie zwar auf Respekt, wenn sie sich auf den gewohnten musikalischen Pfaden bewegen, aber
auf wenig Gegenliebe, sobald sie diese verlassen. Umgekehrt haben sie ausserhalb der TraditionalistenSzene kaum Möglichkeiten aufzutreten. Die meisten Veranstalter winken ab, wenn sie nur schon die
Bezeichnung «Schweizer Volksmusik» hören. Zu tief sitzt das Vorurteil einer langweiligen, nationalkonservativen Musik, auch wenn die Exponenten nicht aus den Kreisen der vaterländisch gesinnten Rechten
stammen. Volksmusikmusikanten und -liebhaber sind heute - entgegen der Darstellung in den Medien
und der öffentlichen Wahrnehmung - nicht einfach eine geschlossene Einheit ewiggestriger Nationalisten, sondern - und das ist eine der Stärken der Volksmusik - eine sehr heterogene Gruppe aus fast allen
Schichten und politischen Lagern, bloss äussern sich nicht alle gleich laut in der Öffentlichkeit. Der
Versuch der Vereinnahmung durch gewisse politische Kreise und Parteien erweist sich also als kontraproduktiv, weil er dieses Vorurteil stärkt und die Volksmusik in ihrer Entfaltung behindert.
Auch CDs mit innovativer Schweizer Volksmusik finden nicht immer einen Vertrieb und sind so im
Handel nur schwer erhältlich. Von den Medien werden sie gemieden, einerseits wegen des erwähnten
schlechten Rufs, andererseits auch weil es die Volksmusikszene jahrelang nicht mehr geschafft hat,
Produktionen vorzulegen, die den Qualitätsansprüchen moderner Hörgewohnheiten genügen. So hat
das Schweizer Radio DRS die Volksmusik generell aus dem Tagesprogramm in spärliche Spezialsendungen in den Randstunden verbannt. Diese Spezialsendungen sind aber den Traditionalisten oder dem
volkstümlichen Schlager vorbehalten und so fallen innovative Entwicklungen auch hier zwischen Stuhl
und Bank.
Trotz dieser Schwierigkeiten ist die Schweizer Volksmusik aber auf gutem Weg, wie folgende Punkte
zeigen:
– Die innovativen Musikanten und Musikantinnen haben in den letzten Jahren damit begonnen, eigene
Labels und Konzertagenturen und Internetplattformen aufzubauen, so dass sich in absehbarer Zeit
so etwas wie eine «Independent»-Volksmusikszene entwickeln wird, die auch für ein neues, junges
Publikum attraktiv sein könnte.
– An der Musikhochschule Luzern wird seit diesem Jahr erstmals ein Studiengang Volksmusik angeboten.
Diese Professionalisierung in der Ausbildung ist insofern wichtig, als Volksmusikerinnen und Volks-
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musiker bisher kaum an Musikschulen unterrichten konnten, weil ihnen ein anerkanntes Lehrdiplom
fehlt. Dieser Mangel wird nun behoben.
– Das Alpentöne-Festival in Altdorf im Kanton Uri, das alle zwei Jahre stattfindet und innovativen
Volksmusik-Formationen aus dem In- und Ausland eine Plattform bietet, erweist sich als überraschend
erfolgreich und könnte als Vorbild für ähnliche Veranstaltungen dienen.
– Ebenfalls in Altdorf wurde vor wenigen Monaten ein Zentrum für die Volksmusik eröffnet, das sich
nicht - wie der Vorgänger in Burgdorf - auf die museale Seite der Volksmusik konzentriert, sondern mit
Kursen und Veranstaltungen zu einer lebendigen, offenen Szene beiträgt. Ähnliche Zentren existieren
bereits in Gonten (Appenzell) und Ollon (Waadt).
– Und nicht zuletzt auch diese Veranstaltung hier beweist, dass das Interesse an einer zeitgemässen
Volksmusik kontinuierlich steigt.
Auch wenn noch zahlreiche Vorurteile abgebaut und Hürden überwunden werden müssen, so lässt sich
im Moment eine durchaus positive Bilanz ziehen, denn die Volksmusik ist definitiv aus ihrem Dörnröschenschlaf erwacht und beginnt sich wieder weiter zu entwickeln.
Lassen Sie mich noch einmal kurz zusammenfassen:
Die Schweizer Volksmusik wurde in den letzten 150 Jahren entscheidend geprägt zunächst durch die
produktive Aneignung fremder und neuer Einflüsse, dann aber zunehmend durch die bewusste Abgrenzung gegenüber Neuerungen und Veränderungen.
Tradition bedeutete früher eine stete Auseinandersetzung mit der sich verändernden Umwelt und die
Aneignung und Transformation fremder Einflüsse und neuer Entwicklungen in eine eigene kulturelle
Ausdrucksform. Dieses Verhalten ist im Grunde das «Alte» und «Beständige» an der Tradition, nicht
einzelne Formen oder Gattungen. Der Prozess ist das wertvolle, nicht das Objekt. Wenn nur die Objekte
erhalten werden, so werden diese sehr bald museal und können keinen Beitrag zur Bewältigung des
Alltags mehr leisten. Als Prozess der fruchtbaren Auseinandersetzung mit Neuem kann die Tradition
aber eine wichtige Funktion erfüllen: Sie vermittelt Sicherheit und Selbstbewusstsein und festigt die Gemeinschaft, weil sie die Gewissheit gibt, etwas Eigenes, Unverwechselbares zu haben, das uns niemand
streitig machen kann und das schichten- und generationenübergreifend Identität stiftet - und beides ist
unabdingbar, um in der heutigen, schnelllebigen und zunehmend enger zusammenrückenden Welt nicht
nur eine Bedrohung, sondern auch eine Chance zu sehen. Und das wiederum ist die Voraussetzung, um
darin auch in Zukunft zu bestehen.
Zwar hat die Schweizer Volksmusik noch ein Imageproblem und es mangelt ihr noch an öffentlicher
Aufmerksamkeit, aber sie zeigt doch erstmals seit langem wieder deutliche Zeichen von Aufbruch und
Veränderung und damit von Lebendigkeit. Und das lässt für die Zukunft hoffen, nicht nur in musikalischer Hinsicht.
_____________________________________________
Zitierte Literatur:
EJV 1943 Eidgenössischer Jodlerverband [EJV] (Hg.), Schulungsgrundlage für Jodlerinnen und Jodler,
o.O. 1943.
11
Ländlerkunst oder Kunstländler?
Erfahrungen und Mutmassungen zum Einzug der Volksmusik an der
Musikhochschule Luzern
von Franz-Xaver Nager
(Referat am Symposium in Appenzell, 4./5. November 2006, Stiftung Zentrum für Appenzellische Volksmusik, Pro Helvetia,
Schweizer Kulturstiftung)
Zum Wesen einer lebendigen Tradition gehört, dass niemand auch nur auf die Idee käme, die Frage nach
ihrem Fortbestand zu stellen. Albert Rüttimann ist 65 und Präsident des Schweizerischen Jungmusikantentreffens in Zug. In der Hauszeitschrift des Verbands Schweizer Volksmusik (VSV) vom Juli/August
2006 stellte er fest: „Als Präsident der SMTJ habe ich erlebt, dass sich die Qualität der Jungmusikanten
ständig verbessert. Leider bleibt das junge Publikum etwas aus.“ Und weiter: „Wir dürfen aber zuversichtlich sein und den Mut nicht verlieren“1.
Simon Lüthi ist 25 und einer der herausragenden jungen Schwyzerörgeler aus der Ostschweiz. In der
Zeitschrift Alpenrosen vom September/Oktober 2006 meinte Lüthi: „Es gibt unzählige junge Musikantinnen und Musikanten, die instrumental einiges können, beim Publikum aber fehlt es an Nachwuchs.“2
Darf sich eine Volksmusik ohne Publikum noch Volksmusik nennen?
Geschätzte Damen und Herren
Mit Ihnen bin ich hier Gast des Zentrums für Appenzellische Volksmusik. Im nahen Gonten, aber auch
im waadtländischen Ollon und im urnerischen Altdorf, wird neuerdings Schweizer Volksmusik gesammelt, gesichtet und gespeichert. Die Musiker spielen, ihre Förderer hoffen, die Liebhaber archivieren,
und nun kommt auch noch die Musikhochschule Luzern und bietet hoch offiziell Aus- und Weiterbildungskurse in Schweizer Volksmusik an. Viel Liebesmüh für eine Patientin, die nur dank hoch dosierten
Nostalgietropfen und Herzschrittmacher darauf hoffen darf, den Sprung vom Sezierschragen doch noch
zu schaffen. Kann sie das, oder kann sie‘s nicht?
Kasi oder chasi nit? heisst auch der Schottisch aus der Feder des Stammvaters aller Ländlerklarinettisten, den ich Ihnen an dieser Stelle zu Gehör bringen möchte.
(Tonbeispiel 1, Mosibuebä: Kasi oder chasi nit (Kasi Geisser)
3
Ich denke, Sie gehen mit mir einig, dass dieser Tanz kaum zu Kasi Geissers Meisterwerken zählen
dürfte. Dank eher einfacher Melodieführung mit vielen Wiederholungen, formelhaften Wendungen und
beschränktem Tonumfang ist er auch für durchschnittliche Bläser zu bewältigen. Der Beweggrund der
Kultkapelle Mosibüäbä, dieses Stück mit zwei Gastklarinettisten aufzunehmen, dürfte allerdings anderswo liegen. Erklärtermassen bemühen sich die Brüder Lüönd seit drei Jahrzehnten darum, „vergangene Zeiten aufleben zu lassen“ (CD-Covertext). Dieter Ringli führt das Ingenbohler Quartett denn auch
als Beispiel für die rückwärtige Orientierung der Ländlermusiker seit Mitte des 20. Jahrhunderts an4.
Natürlich hat er Recht damit. Falsch wäre nur, wenn diese Retro-Perspektive einen negativ zu wertenden
Konservatismus implizieren würde. Das Gegenteil ist der Fall, wir haben es mit einer Novität zu tun.
12
Der Klarheit halber dies: Die Mosis sind das Schwyzer Paradebeispiel bodenständiger Laienmusiker,
die fest in der Volkskultur verwurzelt sind. „... wer könnte sich den Frühjahrs-Schwinget in Ibach SZ
ohne die urchigen Mosibuebä auf dem „Gigäbank“ vorstellen?“, hält die VSV-Zeitung5 zu deren 30Jahr-Jubiläum fest. Sie spielen problemlos für sechs Stunden zum Tanz auf, ohne ein Stück zu wiederholen, natürlich alles aus dem Gedächtnis. Sie lesen keine Noten, hören sich dafür aber geduldig noch
und noch einmal die gleiche 78er Schellackplatte an, um einen verlorenen Tanz aus dem ersten Viertel
des letzten Jahrhunderts auswendig zu lernen. Was heisst das?
Zunächst einmal ist diese Rückwendung - nicht nur in der Volksmusik - symptomatisch für das wachsende Bedürfnis, sich die eigenen Wurzeln bewusst zu machen. Erhebliche Konsequenzen hat diese
Retro-Fokussierung für eine musikalische Praxis, die bisher vornehmlich darin bestand, dass der Sohn
das lernte, was ihm der Vater vorspielte. Bei dieser oralen Vermittlungsweise reicht das musikalische
Gedächtnis erfahrungsgemäss kaum über mehr als zwei Generationen zurück. Die Grabungen der Mosis
- gewissermassen das volksmusikalische Pendant zu Nikolaus Harnoncourts Neubelebung des Frühbarocks - sind deshalb bedeutsam, weil sie die primär horizontal definierte Vielfalt der Volksmusik um
zusätzlichen Spielraum in der Vertikalen erweitern. Im konkreten Fall lässt sich also konstatieren, dass
der typische Mosi-Stil ebenso sehr historisch wie regional geprägt ist.
Der Hinweis auf die Gruppe Tritonus und deren Rekonstruktion der Schweizer Volksmusik aus der
Renaissance-Zeit6, auf Noldi Alders Jahrzehnte alte Spurensuche im Appenzellischen, auf das Tessiner
Sackpfeifen- und Schalmei-Revival7, auf die Stimmreise von Nadja Räss8 in die Urgründe des Naturjodels und insbesondere auf die Publikation der Hanny Christen-Sammlung9 muss hier als Beleg dafür
genügen, dass die Mosibuebä lediglich ein Puzzle-Stein im vielfarbigen Mosaik musikhistorischer Erkundungen sind.
Die Folgen solcher Blickwürfe in die Vergangenheit sind so wenig absehbar wie die Konsequenzen
aus den zahlreichen Versuchen, durch ungenierten Heckenschnitt im Normengewucher neue Zukunftsperspektiven zu gewinnen. Die Einen werken an den Wurzeln, die Andern an den Blüten. Für die Entwicklung der Volksmusik entscheidend ist die Tatsache, dass in den verschiedenen Forschungs-Camps
Konsens in zweierlei Hinsicht besteht: Erstens müssen Stamm und Blattwuchs erhalten bleiben, und
zweitens braucht sich das Instrumentarium keineswegs auf die altbewährten Baumscheren und Spitzhacken zu beschränken. Wir dürfen konstatieren: Entgegen manchen Unkenrufen aus dem Lager eines
falsch verstandenen Traditionalismus sind hier keine Totengräber, sondern muntere Gartenpfleger am
Werk.
Fehlalarm also von wegen Krise der Schweizer Volksmusik, die Patientin entsteigt der Intensivstation
wie weiland Lazarus seiner Totengruft. Alles bestens also, die Volkmusikanten wissen sich wie dereinst
Willi Tell schon selbst zu helfen, da können ihnen Volksmusikzentren und Musikhochschulen getrost
gestohlen bleiben. Sozusagen ex negativo wären wir damit beim angekündigten Thema meiner Ausführungen angelangt, und ich schicke gleich vorweg: Was ich auftischen kann, ist das Ergebnis einer
bisweilen doch eher spekulativen Kochkunst.
Ich versuche in einem ersten Abschnitt, mit ein paar groben Strichen die nationale Ausgangslage im
internationalen Umfeld zu skizzieren. Daraus möchte ich einige Überlegungen zum Thema Volksmusik
und Hochschule und den Implikationen einer solchen strategischen Partnerschaft ableiten. Schliesslich
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erlaube ich mir, aus persönlicher Sicht ein paar hypothetische Richtpfähle zur Beackerung des volksmusikalischen Nährbodens einzuschlagen.
Was der Innerschweiz das Örgeli, ist dem Appenzell die Geige. Da ist freundeidgenössiche Diplomatie
angezeigt, und also begeben wir uns auf neutrales Terrain:
1. Tèè-tè-rèè oder Umm-tsä-tsä - was bläst die Schweizer Blasmusik?
Die Dampfer in der Szenerie der Aerophone sind die sinfonischen Blasorchester. Leider wurden ihnen die primärfunktionalen Destinationen weitgehend gestrichen, und auch die reichliche Verwendung
von Sigolin und Kleiderbürsten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kapitäne deshalb gewisse
Sorgen mit dem Kursbuch haben. So rar die repräsentativen Auftritte bei militärischen, zivilen und religiösen Highlights geworden sind, so obsolet ist heute die Rolle der Musikvereine als lokale Vermittler
der hehren Tonkunst in Form von Opernouvertüren und Ballettmusik. An volksmusikalischen Restbeständen verbleibt ein Fundus von Märschen und Hymnen. Zwecks Anpassung an Publikumsgeschmack
und Nachwuchswerbung müssen diese allerdings ihre Logenplätze im Repertoire mehr und mehr an
internationale Jazz-, Pop- und Latin-Hits abtreten.
Bei den Brass Bands dagegen ist der Kurs seit eh und je gegeben und gefestigt, der Kompass fix auf die
angloamerikanische Standardliteratur ausgerichtet: „God save the Queen“ statt „Trittst im Morgenrot
daher“, wenn man so will. Uns bleiben die volkstümlichen Blaskapellen. Die aber rudern lieber böhmisch-mährisch auf der Donau, als auf heimischen Seen die Segel zu hissen.
Natürlich ist das alles zu kurz gegriffen und hat obendrein einen etwas hämischen Unterton. Halten wir
also sachlich fest, dass die Blasmusik zwar zur Volksmusik gezählt wird, die schweizerische Note und
die schweizerischen Noten aber ziemlich rar geworden sind. Aus zugegebenermassen etwas unbedarfter
Outsider-Sicht stellt sich mir einfach die Frage: Ist es kulturell wirklich erstrebenswert, dass Blasorchester von der Nordsee bis ans Mittelmeer „In the mood“, „La Paloma“ und „When I‘m Sixty-Four“
spielen?
Alternativen gäbe es sehr wohl. Eine bestünde darin, bei den Mosibuebä abzukupfern: Rückkehr zu den
Wurzeln, und damit wieder mehr „Umm-tsä-tsä“ statt „Tèè-tè-rèè“. In eben diese Richtung bewegte sich
das Forschungsprojekt „Blechblasinstrumente in der Schweizer Volksmusik“ der Musikhochschule Luzern, das wir im Studienjahr 2005/06 realisierten. Ausgangspunkt der Arbeit bildete die vielfach bildlich
dokumentierte Tatsache, dass vor hundert Jahren Blechblasinstrumente in der Schweizer Volksmusik
sehr verbreitet waren.
So soll etwa die Schwyzer Schützenfest-Musik von 1867 ausschliesslich aus Musikern bestanden haben, die auch in Kleinformationen zum Tanz aufspielten. Den Kern dieser Bläserformation bildete die
legendäre Schwyz-Brunnenmusik, die 1862 am ersten eidgenössischen Musikfest in Zofingen zunächst
mit ihren abenteuerlichen Instrumenten und improvisierten Uniformen für Häme, wenig später aber für
betretene Gesichter bei der städtischen Konkurrenz aus Luzern oder Basel sorgte, weil sie mit ihrer Darbietung von Rossinis Tell-Ouvertüre den Siegerpokal nach Schwyz abtransportierten. Dem Bericht von
Karl ab Egg10 zu Folge beherrschten die Sieger die Kunst des Feierns so gut wie die des Blasens. Es soll
Tage gedauert haben, bis sie daheim mit Fahnen und Fackeln empfangen werden konnten.
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Bild 2: Urner Burämusik (Familie Müller)
Bild 1: Septett Kerns
Bild 3: Schützenmusik Schwyz 1867
Bild 6: Notenblatt aus dem Klarinettenbüchlein der
Bürgler Sechser-Musik
Bild 4: Sechser-Musik der Feldmusik Altdorf
15
Bild 5: Sechser-Musik Bürglen
Zurück zum Thema: Die verbreitete Praxis von volkstümlich ausgerichteten Kleinformationen hielt sich
bei den Musikvereinen bis in die 20er Jahre und in manchen Fällen bis zum heutigen Tag.
Bei der Suche nach musikalischem Quellenmaterial stiessen wir unter anderem auf ein Repertoire aus
dem appenzellischen Hundwil, das auf das Jahr 1854 datiert ist. Soweit bekannt, handelt es sich bei
diesem Fund um den ältesten vollständig erhaltenen Satz von Notenbüchlein in der Schweiz. Gut die
Hälfte der 25 Stücke besteht aus Tänzen und Liedern. Zieht man in Betracht, dass bis heute auch der
Marsch als Tanzform beliebt ist, darf man das Hundwiler Repertoire unzweifelhaft der volkstümlichen
Tanzmusik zurechnen11.
Bild 8: Notenblatt aus Hundwil (Galopp Nr. 8)
Bild 7: Musikbüchlein Hundwil (Cover)
16
Bild 9: Blaskapelle Muggli Mönchaltorf
Bild 10: Sammlung Jakob Muggli (Facsimile)
Der Trompeter Basil Hubatka hat drei Stücke aus dem Hundwiler Repertoire praktisch notengetreu für
ein Blechbläserquintett adaptiert. Das folgende Tonbeispiel ist der Rohschnitt einer Einspielung, die
gegen Ende Jahr auf CD erscheinen wird. Um ein möglichst authentische Klangbild zu erhalten, spielen
die fünf Musiker von Lucerne Chamber Brass den Galopp auf historischen Instrumenten.
(Tonbeispiel 2, Lucerne Chamber Brass: Galopp Nr. 8 (anonym, Hundwil, 1854)
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Natürlich haben wir uns nicht mit historischer Aufführungspraxis begnügt. Uns interessierte ebenso
sehr, ob und wie sich historisches Material aus heutiger Sicht kreativ bearbeiten liesse. Der Komponist
Urs Pfister hat dazu rund ein Dutzend Tänze, die zwischen 1920 und 1950 auf 78er Schellack-Platten
erschienen, transkribiert und aus wechselnden Blickwinkeln neu arrangiert. Auch dazu gleich ein Hörexempel, zuvor aber ein Kurzfazit zu besagtem Projekt:
– Weder die Musiker noch der Arrangeur hatten sich zuvor ernsthaft mit instrumentaler Volksmusik
aus der Schweiz beschäftigt und teilten weitgehend die gängigen Vorbehalte gegenüber dieser Musik: simpel gestrickt und daher langweilig, ein Stück tönt wie das andere, schemenhafte Melodik
und banale Harmonik usw.
– Für den Komponisten wie die Musiker erwies sich die Volksmusik als unerwartete Entdeckung und
Respekt fordernde Musikgattung. Alle erachten das Projekt als eine der erfreulichsten Erfahrungen
in ihrem Berufsleben.
– Das erarbeitete Repertoire wird einhellig als hohe technische und interpretatorische Herausforderung
beurteilt. Der Probenaufwand entsprach in etwa jenem, den das Quintett für die Erarbeitung zeitgenössischer Werke einzusetzen gewohnt ist.
– Lucerne Chamber Brass hat das Programm „Bauernmusik revisited“ bisher fünfmal öffentlich aufgeführt. Die Reaktionen des Publikums bewegten sich durchwegs in der Bandbreite von freudig
hochgezogenen Mundwinkeln und begeistertem Applaus.
– Das Projekt verdankt seinen Erfolg nicht nur dem kompromisslosen Engagement aller Beteiligten,
sondern in erheblichem Masse auch der beratenden Mitarbeit von aktiven Volksmusikern. Sie boten
Gewähr dafür, dass bei aller Experimentierfreudigkeit das klangliche Ergebnis unzweifelhaft als
Volksmusik identifizierbar blieb.
(Tonbeispiel 3, Stocker Sepp‘s erste Unterwaldner Blaskapelle: Josef spielt Klarinette)
(Tonbeispiel 4, Lucerne Chamber Brass: Schäfli Schottisch, Gabriel Käslin)
2. Bauernhemd und schwarzer Frack - Volksmusik an der Musikhochschule?
Die eingangs meines Referats gemachten Bemerkungen implizierten, dass für eine Integration der
Volksmusik in den tertiären Bildungsbereich kaum Bedarf bestehe. Dass Bedenken gegenüber einer
„Akademisierung der Volksmusik“ nicht vorschnell in den Wind zu schlagen sind, liesse sich beispielsweise anhand der Erfahrungen mit der beruflichen Jazz-Ausbildung nachweisen. Andererseits zeigt ein
internationaler Rundblick, dass volksmusikalische Berufsausbildungen in zahlreichen Ländern bereits
Tatsache sind und - sofern richtig aufgezäumt - sehr wohl positive Resultate zeitigen.
Im skandinavischen Raum und zunehmend auch im Baltikum führen zahlreiche Musikhochschulen
Volksmusik-Abteilungen. Die 13 wichtigsten Ausbildungsstätten haben sich schon vor 10 Jahren in
einer von der EU unterstützten Dachorganisation namens Nordtrad zusammengefunden, um Lehre und
Forschung gemeinsam zu fördern und weiterzuentwickeln. Die Sibelius-Akademie beispielsweise beschäftigte letztes Jahr rund 60 Lehrpersonen, die 80 Studierende in Volksmusik unterrichteten. Seit
Neuestem wird in Odense, Stockholm und Helsinki auch eine länderübergreifende Masterausbildung in
„Nordic Folk Music“ angeboten.
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Bild 11: Mitgliederliste des Volksmusik-Netzwerks Nordtrad
Daran gemessen, stecken die Eidgenossen natürlich noch in den Kinderschuhen. Diese immerhin scheinen sich als solid zu erweisen. Für den Nachdiplomkurs Schweizer Volksmusik, den die Musikhochschule im Studienjahr 2005/06 erstmals ausschrieb, meldete sich eine Rekordzahl von Interessenten.
Auch der im September gestartete zweite Kurs ist mit 15 Studierenden voll ausgelastet. Seit diesem
Herbst bietet Luzern neu auch ein Berufsstudium mit Schwerpunkt Volksmusik an. Erstmals in der
Schweiz absolviert nun ein Schwyzerörgeler eine professionelle Musikerausbildung. Ich verzichte hier
darauf, Studienpläne und Lernziele vorzustellen12. Stattdessen zitiere ich ein paar Absolventen des letztjährigen Nachdiplomkurses:
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Die Zusammensetzung des Kurses lässt drei wesentliche Grundzüge der volksmusikalischen Aktivitäten
an der Musikhochschule Luzern erkennen:
1. Volksmusik kann grundsätzlich mit jedem Instrument studiert werden13.
2. Ein Volksmusikstudium steht allen talentierten Musikerinnen und Musikern offen, unabhängig davon, ob ihr Hintergrund klassische Musik, Jazz oder Volksmusik ist.
3. Alle Studierenden sollen davon profitieren, dass sie mit Kolleginnen und Kollegen der anderen Ausbildungsprofile in Kontakt kommen.
Sowohl im oben angesprochenen Forschungsprojekt als auch im Nachdiplomkurs und anderen Weiterbildungsangeboten haben sich diese Zielvorgaben rundum bewährt. Die neu gewonnenen Erfahrungen fliessen selbstverständlich laufend ein in die Konzeption neuer Studienangebote. Als besonders
fruchtbar hat sich übrigens der methodische Rückgriff auf tradierte Lern- und Vermittlungspraktiken der
Volksmusik erwiesen (z. B. Spiel nach Gehör, Stegreifmusizieren, ein zumindest anfänglich toleranter
Umgang mit Fehlern zu Gunsten eines spontanen Musizierens und der Bereitschaft, dabei Risken einzugehen).
Natürlich ist abzusehen, dass eine professionelle Ausbildung - so sie denn ihre Kunden findet - die
Schweizer Volksmusikszene verändern wird. In welcher Weise, lässt sich heute noch kaum absehen. An
den Ausbildungsstätten wird es liegen, den meines Erachtens unerlässlichen Bezug zur Basis, den so
genannten Laienmusikern und deren Publikum nämlich, nicht zu verlieren. Den regionalen Volksmusikzentren, aber auch den traditionellen Verbänden dürfte dabei eine wichtige Brückenfunktion zukommen.
Die Entwicklung in Skandinavien bietet Grund zur Annahme, dass auch die helvetische Volksmusik
durch eine Differenzierung von Zielen, Ansprüchen und Betätigungsfeldern an Gewicht und Vielfalt
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gewinnen könnte. Zwei Tonbeispiele aus Schweden und Finnland mögen andeuten, was damit gemeint
ist. Sie illustrieren überdies, was unter einem gemeinsamen abendländischen Volksmusikerbe mit regionalen Ausprägungen zu verstehen wäre.
(Tonbeispiel 5, Blekinge Spelmansförbund: Clog Mazurka14)
(Tonbeispiel 6, Hyperborea: Sielunestun polkka15)
3. Einsichten und Ansichten - ein mutmassendes Zwischenfazit
Ich versuche mich in einer Einzäunung des Ausufernden und betone nochmals, dass dieses Fazit vorläufig sein muss und persönlich gefärbt sein will:
1. Die Schweizer Volksmusik ist nicht als Phänomen per se, sondern als besondere Ausprägung eines
alpen- und abendländischen Kulturerbes zu betrachten.
2. Die kulturelle und wirtschaftliche Diversifizierung und Professionalisierung wird auch in der
Schweizer Volksmusik den Trend zur mehrschichtigen Entwicklung und zu differenzierten Gestaltungsweisen verstärken. Die Frage lautet nicht, ob wir diesen Prozess wollen oder nicht, sondern ob
die Schweiz zum internationalen Volksmusik-Diskurs einen eigenen Beitrag liefern kann und will.
3. Im Vergleich zu Entwicklungen im Ausland befindet sich die Schweizer Volksmusik seit dem 2.
Weltkrieg in einer Phase relativer Stagnation. Deren Konsequenzen manifestieren sich einerseits in
einer gewissen Verflachung (Kommerzialisierung, Eurofolklorismus, Verfestigung bestimmter Stilmerkmale zu Klischees, Anpassung an mediale Etikettierungen usw.), andererseits lässt sich eine
beträchtliche Niveausteigerung sowohl in der Breite wie in der Spitze konstatieren. Innerhalb eng
gefasster formaler und klanglicher Grenzen wurde dabei eine erstaunliche Virtuosität entwickelt.
4. Als bis in die jüngere Zeit primär oral tradierte Kultur besitzt die Schweizer Volksmusik ein kurzes
Gedächtnis und eine geringe Reflexionstiefe. Aufgrund der Jahrzehnte langen gegenseitigen Abund Ausgrenzung von Volks- und Kunstmusik fehlen der Volksmusik weitgehend die referenziellen
Werkzeuge zur theoretischen und ästhetischen Selbstortung. Umgekehrt sind kunstmusikalische
Kriterien bestenfalls beschränkt tauglich, um die essentiellen Charakteristika der Volksmusik befriedigend zu erfassen.
5. Der Einbezug der Volksmusik in den Hochschulbetrieb beinhaltet die Chance, diesen Graben zu
überwinden. Voraussetzung dazu ist, dass Theorie und Praxis sich gegenseitig mit Respekt und
Neugier begegnen.
6. Gelänge dieses Unterfangen, wäre wohl ein wichtiger Grundstein für die Ausbildung und damit für
Fortbestand und Weiterentwicklung der Volksmusik in der Schweiz gelegt:
a) Im Bereich des Laienmusizierens liesse sich die Volksmusik beispielsweise via Verbände und
Musikschulen auch solchen Interessenten öffnen, die nicht über das Privileg verfügen, dank verwandt- oder bekanntschaftlichen Beziehungen einen selbstverständlichen Zugang zur Volksmusik
zu finden.
b) Die Vermittlung von Volksmusik auf Hochschulebene ist ohne eine auf der tradierten Praxis fundierende Theorie und Aesthetik undenkbar. Tatsache ist, dass diese höchstens rudimentär formulierten
Grundlagen erst noch zu entwickeln sind. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass sich für diesen
Prozess der Rückgriff auf Lern- und Vermittlungsformen der Volksmusik bewährt. Diese könnten
sich sehr wohl als methodische Bereicherung auch für den Jazz- und Klassikunterricht erweisen.
7. Aus all dem Vorgesagten ergibt sich, dass die Schweizer Volksmusik des 21. Jahrhunderts um eine
pädagogische, künstlerische und kulturpolitische Professionalisierung nicht herumkommt. Für jun-
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ge Talente, deren Herz für die Volksmusik schlägt, eröffnen sich damit endlich Perspektiven, wie
Jazzer oder Klassikerinnen ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen.
8. Als eigenständige Kulturtradition und künstlerische Ausdrucksform dürfte die Schweizer Volksmusik nur überleben, wenn sie in ihrer ganzen stilistischen Vielfalt erhalten und breiten Bevölkerungskreisen zugänglich bleibt. Die Volksmusik verlöre Sinn und Seele, wenn ihre Protagonisten in die
elitären Lüfte einer hoch subventionierten Kunstmusik entschwebten.
9. Eine Tradition ist solange lebendig, als sie sich entwickelt. Innovation braucht die Auseinandersetzung mit dem Andern und Fremden, aber sie lässt sich nur von innen verändern. Wer die Tradition
nicht kennt und liebt, kann zwar neue Musik erfinden, nicht aber die Volksmusik weiterentwickeln.
10. Volksmusik ist in divergierendem Masse immer auch funktionale Musik. Selbst wenn sie künstlerische Ansprüche erhebt, muss sie sich in ihrem angestammten Umfeld von Brauchtum, Tanz
und Konzert bewähren. Ihre Stärke ist die Vielfalt und sich daraus ergebende Ablehnung absolut
gesetzter Stil- und Qualitätskriterien: Gut ist Volksmusik dann, wenn sie ihren Zweck innerhalb des
jeweils spezifischen Rahmens erfüllt.
Altdorf, 03.11.06
Quellen und Anmerkungen
1 Schweizer Volksmusik, Zeitschrift des Verbands Schweizer Volksmusik, Nr. 4/2006, p. 58
2 Alpenrosen, Folklore-Illustrierte der Schweiz, Nr. 5/2006, p.26
3 Schwyzerörgeliquartett Mosibuebä: Kasi oder chasi nit (K. Geisser). Diänigs usem Schwyzerbiet, CD 0430, WEBA Tonstudio, Oberbottigen, o.D.
4 Ringli, Dieter: Schweizer Volksmusik. Von den Anfängen um 1800 bis zur Gegenwart. Altdorf, Müliradverlag, 2006. Zitat p. 91.
5 Schweizer Volksmusik, Zeitschrift des Verbands Schweizer Volksmusik, Nr. 4/2006, p. 17
6 Siehe www.tritonus.ch
7 Siehe www.zampogna.ch
8 Siehe www.stimmreise.ch
9 Siehe www.muelirad.ch, www.hannelimusig.ch und www.gvs-smps.ch
10 Egg, Karl ab: Die Schwyz-Brunnen-Musik 1862 - 1932. Luzern, 1932.
11 Die dreizehn in Privatbesitz befindlichen Notenbüchlein beinhalten 10 Bläserstimmen und 3 Schlagwerkstimmen. Die
Stücke sind überschrieben mit Marsch (9), Feldschritt (4), Schottisch (3), Lied (3), Polka (2), Walzer (2), Ländler 1 und Galopp (1).
12 Angaben dazu sind auf der Homepage der Musikhochschule Luzern zu finden (www.musikhochschule.ch).
13 Den laufenden NDK 2006/07 besuchen unter anderem eine Harfenlehrerin und ein Orchester-Perkussionist.
14 The Music of Sweden. Arc Music, 2002, EUCD 1718.
15 Hyperborea: Perinearkku. 2004, LEMPI001.
22
Ein Schubs für die Volksmusik
An einem Symposium in Appenzell wurde an einem Netzwerk unter den
deutschsprachigen Volksmusikzentren gestrickt
von Hans Hürlemann
Unterstützt von der Stiftung Pro Helvetia veranstaltete das Zentrum für Appenzellische Volksmusik
am Wochenende vom 4. und 5. November 2006 ein Symposium unter Fachleuten aus Deutschland,
Österreich und der Schweiz, mit der Absicht, die Zusammenarbeit unter den Volksmusikzentren zu
verstärken.
Am Samstagvormittag eröffnete Joe Manser, der Leiter des Zentrums für Appenzellische Volksmusik,
im kleinen Ratsaal in Appenzell eine internationale Veranstaltung, die bei den Teilnehmern, vor allem
natürlich den Schweizern, nach dem Abschluss am Sonntagmittag tiefe Eindrücke hinterliess. Das hängt
damit zusammen, dass die Gäste aus Graz, Wien, Bamberg und München aus jahrzehntelanger Erfahrung und von grossen Institutionen berichten konnten, während der Schweizer Vertreter Franz Xaver
Nager von der Musikhochschule Luzern sich darauf beschränken musste, die ersten, aber viel versprechenden Anfänge der Volksmusik an seiner Musikhochschule zu schildern. Die Idee besteht darin, die
Volksmusik zu den Profis zu bringen und zwar so, dass sie die Bereitschaft entwickeln mit Risiken
umzugehen, zum Beispiel beim ungewohnten Spielen nach Gehör. Der erste der Nachdiplomkurse mit
Volksmusik für Berufsmusiker ist mit grossem Erfolg abgeschlossen worden, und der zweite ist bereits
ausgebucht. Es gehe um das «Werken an den Wurzeln und an den Blüten» sagte Franz Xaver Nager,
und besonders darum, die Musiker zu ermutigen, Dinge zu tun, die bislang in einseitig auf die Klassik
ausgerichteten Lehrgängen kaum möglich waren. Schon von dieser offenen Haltung her ist es logisch,
dass jedes Instrument zugelassen ist.
Die Organisatoren des Symposiums im prächtigen kleinen Ratsaal in Appenzell, von links Roland Inauen und Joe Manser.
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Volksmusik in Bayern
Als erster Referent blickte am Samstag Professor Erich Sepp vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege in die Geschichte seiner Organisation zurück, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts begann.
Ganz anders als in der Schweiz wurde in Deutschland der Stellenwert der vokalen und instrumentalen
Volksmusik auch an den Hochschulen schon früh erkannt, sodass vor allem in den letzten Jahrzehnten
das Dienstleistungsangebot weit über das riesige Archiv in Krumbach hinaus ausgebaut werden konnte
mit Publikationen und Ausbildungslehrgängen an Universitäten und Lehrerbildungsstätten und zahlreichen Kursprogrammen für Zehntausende von Laien, in Bayern, Franken und Schwaben. Die anfänglich
noch auf die einzelnen Regionen beschränkten Anstrengungen wurden 1976 durch den Zusammenschluss der Musikvereinigungen wesentlich vereinfacht und gewannen an Einfluss, unter anderem auch
auf die elektronischen Medien. Heute hat die Volksmusik einen ganz anderen Stellenwert als in der
Schweiz, denn in Bayern gibt es ein gewaltiges Archiv in Krumbach mit Nachlässen ab der Mitte des
18. Jahrhunderts, Tausende von Kursen werden angeboten, Fachbibliotheken, Tonträger, Video und Datenbanken stehen zur Verfügung - darunter eine mit 150 000 Liedstrophen. Volksmusik gibt es auch als
Studienrichtung an den Hochschulen und an den Lehrerbildungsstätten.
Die bayerischen Volksmusikangebote seien bescheiden, wenn man mit Österreich vergleiche, sagte
Erich Sepp und fügte sogleich an, dass Bayern hingegen ganz gut dastehe, verglichen mit anderen
Bundesländern. Als Trost für die Schweizer erwähnte er, dass ganz Bayern immerhin zwölf Millionen
Einwohner habe.
Die Referenten des Symposiums, von links: Michaela Brodl, Franz Xaver Nager, Erich Sepp, Hermann Härtel, Max Peter
Baumann, Irene Riegler.
Vorbild Österreich
Irene Riegler, die Geschäftsleiterin des Österreichischen Volksliedwerks in Wien, zeigte, wie ihre Organisation das kulturelle Erbe bewahren, vermitteln und entdecken hilft und befasste sich auch mit
Kultursponsoring und der Unterstützung der zahlreichen Vereine. Besonders eindrücklich war für die
Schweizer die Tatsache, dass der Staat professionelle Strukturen zur Verfügung stellt, von denen man
in der Schweiz nicht einmal zu träumen wagt. Irene Riegler fasste kurz die lange Geschichte des Volks-
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liedwerks zusammen, das schon 1904 in der Kaiserzeit begonnen, nach 1918 in die Nachfolgestaaten
der Donaumonarchie und in die Bundesländer aufgeteilt wurde. In Wien aber befindet sich der Dachverband, der alle regionalen Organisationen zusammenfasst. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auf
diese Weise eine unglaublich reiche Tätigkeit möglich wird, mit Noteneditionen, Kursen, Publikationen,
Konzertreihen, Ausstellungen, Workshops und vielem mehr.
Eine ganz zentrale Funktion übernimmt dabei das Volksliedarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Über die technischen Details, die Erfassung und Vernetzung der Daten berichtete Irene Rieglers
Kollegin, die Archivleiterin Michaela Brodl, die «Herrin» über 190‘000 Lieder und Melodien, 75‘000
Personendaten, 50‘000 Buchtitel, 10‘000 Bilder und 7‘500 Tondokumente, die auf Click im Internet
abgerufen werden können (www.volksliedwerk.at). Sie berichtete über die Probleme bei der Restaurierung und Haltbarkeit von Tondokumenten und darüber, dass bereits 22 000 analoge historische Tondokumente von Walzen und Schellackplatten, insgesamt 30 000 Stunden Musik, in einer Datenbank erfasst
seien.
Bedrohtes Erbe
Landammann Carlo Schmid benutzte die Gelegenheit, als Präsident des Stiftungsrates für das Zentrum
für Appenzellische Volksmusik im Roothuus Gonten der Stiftung Pro Helvetia für die Unterstützung zu
danken.
Anschliessend zündete der aus dem Kanton Uri stammende Max Peter Baumann, Professor für Musikethnologie an der Uni Bamberg, ein Feuerwerk von Informationen und Anregungen, das die Appenzeller in besonderem Masse beschäftigen wird, denn er legte dar, was nach der Definition der Unesco
unter dem Schutz des immateriellen Kulturerbes zu verstehen ist, der in einer Konvention im Jahr 2003
festgelegt wurde. Er zeigte unter anderem eine Weltkarte mit den bereits bezeichneten kulturellen Erbstücken auf der roten Liste. Aus dem zentralen Europa ist da noch recht wenig verzeichnet, darunter der
Carnaval von Binche, wo das berühmte Maskenmuseum steht. Die Diskussion darüber, ob es wichtig
und notwendig sei, dass auch die appenzellische Musikkultur unter dieses Welterbe zu zählen und entsprechend zu schützen sei, wurde auf später verschoben.
Hausmannskost
Der Grazer Professor Hermann Härtel, Geschäftsführer des Steirischen Volksliedwerks in Graz, lieferte
als letzter der ausländischen Referenten ein überaus farbiges Bild der nach seiner Erfahrung sinnvollen
und nutzbringenden Tätigkeit eines Volksmusikzentrums. Er betonte mehrfach, dass es nicht nur um die
wissenschaftliche Beschäftigung mit der Volksmusik und ausschliesslich um die Bewahrung des kulturellen Erbes gehe, sondern dass man «das Leben zum Klingen bringen» müsse, dass man versuchen
solle, bei den Menschen aller Altersstufen die Freude am eigenen Tun zu wecken, denn so verstandene Volkskultur könne den Menschen als «Haltegriff» dienen. Ein Volksmusikzentrum leiste dann gute
Dienste, wenn es der Überlieferung einen Schubs geben könne und zwar nicht nur für elitäre Fingerübungen, sondern als Aufmunterung für jedermann, sei das nun an Musikantenstammtischen, zum Singen
im Wirtshaus oder in den Vereinen, denn wichtig sei die Vermittlung von «Hausmannskost», also von
Volksmusik jeder Art für den Alltag.
Fotos: Hans Hürlemann
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Welche Zukunft hat die Volkskultur in der Schweiz
von morgen? *
von Ricco Bergamin
Bericht über die Tagung im Hotel Ador, Bern, 12.09.2006
1. Organisation und Zielsetzung
Zur dieser Tagung schreiben die Veranstalter:
Der Prozess, der die Schweiz auf die Ratifikation der UNESCO-Konvention zur Wahrung des immateriellen Kulturerbes (2003) vorbereitet, ist unter Leitung des Bundesamtes für Kultur bereits im Gang.
Zur Begleitung und Unterstützung dieses Prozesses möchten die Schweizerische UNESCO-Kommission, Traditions pour Demain, CIOFF Schweiz und die Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt
einen Informationsaustausch ermöglichen und die Reflexion fördern mittels des Forums für das immaterielle Kulturerbe.
Die Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt vereinigt Kulturorganisationen, Nicht-Regierungsorganisationen und Persönlichkeiten. Sie setzt sich ein für die Förderung und den Schutz der kulturellen
Vielfalt, welche durch die internationale Handelsliberalisierung gefährdet ist.
(http://www.coalitionsuisse.ch)
Das Forum für das immaterielle Kulturerbe sieht seine Aufgabe darin,
– die betroffenen Akteure zu vernetzen;
– auf die Bedeutung und Tragweite der Konvention aufmerksam zu machen;
– Positionen und Strategien im Hinblick auf die nationale Vernehmlassung (2007) zu erarbeiten, und
– als Schnittstelle zwischen der Zivilbevölkerung, den politischen Kreisen und der Bundesverwaltung
zu wirken.
2. Der Teilnehmerkreis
Teilgenommen haben rund 100 Personen aus Kreisen, die in irgendeiner Weise mit der Volkskultur verbunden sind (nationale und regionale Verbände, Institutionen etc.).
3. Die UNESCO-Konventionen
3.1 Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes (17. Oktober 2003)
Diese Konvention verpflichtet die Signatarstaaten,
– Inventare ihres immateriellen Kulturerbes zu erstellen und der UNESCO periodisch über den Stand
der Erhebungen Bericht zu erstatten (Art. 12);
– Massnahmen zur Bewahrung, Entwicklung und Valorisierung des immateriellen Kulturerbes zu
ergreifen (Art. 13);
– Bildung und Erziehung in diesem Bereich zu fördern und professionelle Kapazitäten zu stärken (Art.
14); und
– Gemeinschaften, Gruppen und Individuen, die dieses Erbe schaffen, pflegen und weitergeben,
möglichst weitreichend an diesen Prozessen teilhaben zu lassen und sie aktiv in die Verwaltung des
Kulturerbes einzubeziehen (Art.15).
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3.2 Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt der kulturellen Ausdrucksformen
(Oktober 2005)
Die Konvention ergänzt jene von 2003 und überschneidet sich teilweise mit ihr. Sie ist eine Abwehrreaktion auf die Liberalisierung des Welthandels im Rahmen der WTO, die darauf hinausläuft, Kultur
als Ware zu behandeln und den einzelnen Staaten in letzter Konsequenz das Recht abzusprechen, ihr
immaterielles Kulturerbe zu schützen.1
Der Bundesrat ist entschlossen, die beiden Konventionen zu unterzeichnen, obschon die Schweiz sich
bei der Abstimmung in der UNESCO der Stimme enthalten hat. Der Grund für die Stimmenthaltung war
nicht der Ideengehalt der Konvention (den die Schweiz unterstützt), sondern das etwas überstürzte Verfahren beim Erarbeiten des Textes. Bemängelt wurde auch die Unschärfe des Begriffes «immaterielles
Kulturerbe».2
4. Zur Terminologie
Da es schwierig ist, «Volkskultur» zu kategorisieren,3 hat die UNESCO im Laufe der Jahrzehnte verschiedene Begriffe dafür verwendet: ab 1977 «Folklore», ab 1989 «Überlieferte Volkskultur», seit 2003
«immaterielles Kulturerbe». Dieser letzte Begriff deckt gegenüber seinen Vorgängern einen wesentlich
weiteren Bereich ab. Die Schweizerische UNESCO-Kommission beurteilt unter diesem Begriff das
immaterielle Kulturerbe
– in Bezug auf seine Wertung und was es leistet:
– Es wird von den Gemeinschaften als Bestandteil ihres Kulturerbes angesehen
– Es wird von einer Generation an die andere weitergegeben
– Es wird ständig neu geschaffen
– Es vermittelt den Gemeinschaften ein Gefühl von Identität und Kontinuität
– Es trägt bei zur Förderung des Respekts vor der kulturellen Vielfalt und der menschlichen Kreativität
– in Bezug auf seine Ausdrucksformen:
– Die mündliche Ausdrucksform: Sprache, Märchen, Heldendichtung
– Die darstellenden Künste: Musik, Gesang, Tanz, Theater, Puppenspiel, Pantomime
– Die gesellschaftlichen Praktiken: Brauchtum, Rituale, Feste
– Wissen und Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum
– Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken
Die Gültigkeit dieser Beurteilungskriterien und Kategorisierungen sowie deren Umsetzung in die Praxis
dürften Anlass zu grundsätzlichen Diskussionen geben.
5. Konsequenzen der Konventionen für die Schweiz
Sie wurden von Matthias Knauer (Swissculture, Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt) im folgenden Sinne beschrieben:
Die Ratifizierung der Konventionen ist gleichbedeutend mit dem Abschluss eines Staatsvertrages. Die
Schweiz verpflichtet sich, die Auflagen der Konventionen zu erfüllen, u.a. auch einen finanziellen Beitrag an den «Fonds für die Bewahrung des immateriellen Kulturerbes» zu leisten. Die Umsetzung der
Konventionen dagegen ist Sache der Kantone, daher muss eine Vernehmlassung stattfinden.
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Die Konventionen sind soviel wert, als ihnen Taten folgen. Ein klagbares Recht lässt sich aus ihnen nicht
ableiten. Sie stellen aber insofern einen Meilenstein dar, als das Übereinkommen von 2003 mit Art. 15
in bisher nie dagewesener Deutlichkeit die Mitwirkung der Zivilgesellschaft festschreibt. Dies ist im
Hinblick auf das Kulturförderungsgesetz von grosser Bedeutung.
6. Gedanken und Fragen rund um das immaterielle Kulturerbe
Die Tagungsteilnehmer erhielten ein Blatt mit verschiedenen Fragen zur Materie.4
Das Forum ist sich der Problematik des Begriffes «Bewahrung» bewusst; falsch verstanden, könnte er
zur Zementierung des Überlieferten führen.
Man kann sagen, dass in der Schweiz sämtliche traditionellen kulturellen Ausdrucksformen dokumentiert sind. Wenn man von deren Erhaltung spricht, so ist damit nicht die Registrierung und Inventarisierung von Bräuchen gemeint. Vielmehr sollen sie weiterhin gepflegt und praktiziert werden. Es geht bei
uns nicht um Konservierung, sondern um die Erhaltung der Lebendigkeit, um Belebung und Überlieferung. Dies gelingt uns vornehmlich mit der Unterstützung der Traditionsträger, all jener also, die unser
Kulturerbe am Leben erhalten und weitergeben.5
In diesem Zusammenhang hat Johannes Schmid-Kunz in seinem Referat «Ausdrucksformen der Volkskultur in der Schweiz: aktueller Stand und Entwicklung» mit aller wünschenswerten Deutlichkeit auf
die Herausforderung hingewiesen, der die grossen Verbände (Trachten, Jodel, Volksmusik) heute gegenüberstehen. Insgesamt haben sie in den vergangenen Jahrzehnten kaum Bewegung in die Volkskultur
gebracht. Initiativ sind vor allem die kleinen Gruppierungen und einzelne Vertreter der verschiedenen
Sparten der Volkskultur.
In der Diskussion wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die an sich unterstützungswürdigen
Ziele der Konventionen durch Organisation allein nicht erreicht würden. Entscheidend sei, was die Basis
tue, ob sie gewillt und fähig sei, ihren Beitrag zur Erreichung dieser Ziele zu leisten. Dazu erlaubt sich
der Berichterstatter eine Bemerkung: Art. 15 der Konvention von 2003 erwähnt jene «Gemeinschaften,
Gruppen und gegebenenfalls Individuen, die dieses Erbe schaffen, pflegen und weitergeben». Dieser
Passus verweist zurück auf Art. 14, der Schule und Elternhaus unter dem Allgemeinbegriff «Bildung
und Erziehung» anspricht. Was in Schule und Familie geschieht - oder unterlassen wird - entscheidet in
hohem Masse über Erfolg oder Misserfolg aller anderen Massnahmen zur Bewahrung des Kulturerbes.
7. Kritik und Ausblick
Der geordnete Ablauf der Tagung liess auf eine sorgfältige Vorbereitung durch die Veranstalter schliessen.
Die (meist in französischer Sprache) vorgetragenen Referate waren gehaltvoll und anregend. Ein einziger
Beitrag (Alain Bourban über Immaterielles Kulturerbe und Kreativität) geriet zu lang. Die Teilnehmer
erhielten nützliche Unterlagen zum Thema, z.T. solche weiterführender Art. Die Diskussionen wurden
rege benützt, Fragen aus dem Publikum kompetent beantwortet. Das Ziel der Veranstalter, die Teilnehmer
für die Bedeutung des immateriellen Kulturerbes zu sensibilieren, wurde zweifellos erreicht.
Demgegenüber ist festzuhalten, dass viele Fragen, auch solche grundsätzlicher Art, offen blieben - offen
bleiben mussten. Was auf der hohen Ebene der Abstraktion formuliert worden ist, bedarf für die Anwendbarkeit in der Schweiz einer zusätzlichen Interpretation. Die «Lackmusprobe» des ganzen Unternehmens wird sich schliesslich bei der Umsetzung in die Praxis von selbst ergeben. Dann wird es sich
zeigen, ob an der Basis die Bereitschaft vorhanden ist, etwas für unser tradiertes Kulturgut zu tun - und
zwar, ergänzend zur unentbehrlichen finanziellen Unterstützung durch Staat und Private, auch freiwillig,
aus eigenem Antrieb.
28
Die Tagungsteilnehmer wurden aufgefordert, ihren Mitgliedern über die Zusammenkunft Bericht zu erstatten, um auf diese Weise den Informationsfluss von oben nach unten zu gewährleisten. Zur Vernehmlassung sind alle interessierten Kreise eingeladen. Die nötigen Unterlagen sind bei der Schweizerischen
UNESCO-Kommission erhältlich. Zu Beginn des Jahres 2007 soll eine weitere Tagung stattfinden. Vorgesehen ist eine Orientierung und Aussprache über das Vernehmlassungsverfahren.
Anmerkungen
1
2
3
4
5
So haben sich z.B. die USA bei Wirtschaftsverhandlungen mit Südkorea in dessen Kulturpolitik (Filmförderung) eingemischt. Dass Korea und Kanada zusammen mit Frankreich bei der Vorbereitung der Konvention an vorderster Stelle
standen, ist nicht verwunderlich.
An der Tagung wurde in der Diskussion mit Recht festgestellt, dass jede Ausprägung der Volkskultur sowohl materiell als
auch immateriell sei.
«Volkskultur zeichnet sich kaum durch einen exakt definierten Gegenstand aus, sondern vielfach dadurch, dass sie ständig
mit neuen Referenzobjekten, Stimmungen, Meinungen und Emotionen gefüllt werden kann.» Marius Risi, Von der Volkskultur zur «Volkskultur», Passagen, Pro Helvetia Kulturmagazin No. 42, S. 4.
Gedanken und Fragen rund um das immaterielle Kulturerbe (IKE). Dieses Dokument kann unter http://www.unesco.ch
(>immaterielles Kulturerbe>Das Schweizer Forum>Gedanken und Fragen) abgerufen werden.
Gedanken und Fragen rund um das immaterielle Kulturerbe (IKE)
* siehe dazu auch den Artikel von Marc-Antoine Camp im CH-EM-Teil, S. 58-65
29
Aus der Geschichte der Musikerfamilie Wicky
Von der Concertina über Cornet & Waldhorn
zum Militärflügelhorn und später zum Alphorn
von Anton Wicky
Grossvater Kaspar Wicky-Müller (1866-1917)
Mein Grossvater Kaspar (Abb. 1) war ein grosser Erfinder. Von seinen über 100 Neuerungen liess er
14 patentieren. Er war von Beruf Müller und wanderte 1887 nach Amerika aus. Dort baute er grosse
Mühlen, richtete sie ein und reparierte sie. Im Jahre 1894 kehrte er für immer in die Schweiz zurück
und heiratete Karolina Müller (1872-1928), die Tochter eines Wagners aus Goldach (Abb. 2). Er zog mit
seiner Frau nach Beromünster LU, baute in der Neumatt ein eigenes Haus und richtete eine Werkstatt
mit Drehbänken und einer Kreissäge ein. Vom gestauten Bach wurde eine Leitung zur Turbine im Keller
gelegt, welche die Maschinen antrieb.
Von Interesse dürften vor allem die Musikinstrumente sein, welche er selber schuf: Er konstruierte mit
Dr. D. Kümin die ersten chromatischen Concertinas mit Ganz- und Halbtönen wie bei einem Harmonium oder Klavier. Er baute vier Typen: die kleinere Cosmos-Concertina und drei grössere Schweizer
Concertinas (Abb. 3). 1897 liess er in Leipzig die von Kümin verfasste Schule für die Schweizer Concertina in einer deutschen und englischen Fassung drucken. Auf dem Titelblatt ist Grossvater Kaspar mit
Schnauz abgebildet, wie er seine Concertina spielt (Abb. 4). Um sich vom Gewicht des Instrumentes
zu entlasten, stützt er es links und rechts auf Holzstäbe, die ihrerseits auf einer Bodenplatte ruhen. Auf
einem weiteren Bild (Abb. 5) sehen wir meinen Onkel Kaspar Wicky, meine Grossmutter Karolina Wicky-Müller und meinen Vater Josef Wicky beim Concertina-Spiel.
Interessant ist das Repertoire, das man auf diesen Instrumenten allein, zu zweit oder zu dritt spielte.
Es handelte sich überwiegend um Bearbeitungen klassischer Werke, wie die folgende Auswahl aus der
erwähnten Schule zeigt.
– Sinfonia pastorale von Georg Friedrich Händel
– Andante von Ludwig van Beethoven
– Armes Waisenkind von Robert Schumann
– Stille Nacht Weihnachtslied von Josef Mohr & Franz Xaver Gruber
– Schützen-Quadrille von Robert Strauss
– Walzer Op. 50 von Franz Schubert
– Ave Maria von Jacques Arcadelt (ca. 1550)
– Zu Augsburg steht ein hohes Haus von Friedrich Silcher
– Adagio aus dem Freischütz von Carl Maria von Weber
– Menuetto von Wolfgang Amadeus Mozart
– Es kennt der Herr die Seinen von Felix Mendelssohn-Bartholdy
– Andante religioso aus der 2. Orgel-Sonate von Felix Mendelssohn-Bartholdy
– Kleine Fuge von Johann Sebastian Bach
Für die damalige Zeit waren die in der Neumatt hergestellten chromatischen Concertinas richtige Meisterwerke. Auf einer Zinkplatte wurden auf beiden Seiten kleine Metallscheibchen montiert, die - beim
Öffnen durch die entsprechenden Tasten vom Luftzug in Schwingung gebracht - den gewünschten Ton
erzeugten. Die Holzteile und die Zinkplatten mussten genau ausgefräst und die Klappen und Tasten
exakt verlötet werden. Die Kammern waren luftdicht mit Samt verkleidet.
Grossvater Kaspar widmete sich auch dem Bau von Blechinstrumenten. Er spielte im Stiftsorchester
Beromünster ein selbst gebautes Waldhorn. Er erfand dazu den Patentbogen, der es erlaubte, das Instru-
30
Abb.1
Abb.2
Abb.3
Abb.5
Abb.6
Abb.4
31
ment mit einem einfachen Handgriff in verschiedenen Tonarten zu spielen. Er ist auf Bild 6 sichtbar.
Durch Herausziehen des mit einem Ring versehenen Zylinders wurde der Luftstrom auf einen der Bogen
geleitet. Jeder Bogen entsprach einer Tonart. Das einzige heute noch vorhandene Instrument wurde 2005
von Matthias Estermann, Beromünster, zusammen mit einer ebenfalls von Wicky hergestellten Trompete im Alteisen entdeckt. Wie es dorthin gelangte, ist nicht bekannt.
Mein Grossvater Kaspar stellte auch andere Blechinstrumente her. Er machte alles selber - er war ein
richtiger Künstler. Er trieb die Becher für die Trompeten und fertigte die verschiedenen Rundungen und
Bogen selber. Er baute ein Cornet mit niedrigstem Pistondruck (Abb. 7), auf dem der Bläser die Finger
nur noch halb so weit hinunterdrücken musste.
Kaspar war vielseitig begabt. Er verbesserte das Planetengetriebe, das noch heute in den Radnaben
schwerer Lastwagen eingebaut ist, ebenso die Nortonkatze. Mit ihr konnte die Geschwindigkeit der
Drehbank ohne Auswechseln der Zahnräder reguliert werden.
Er war der Erfinder des Wunderrades W.K.W. (Abb. 8) - la bicyclette merveilleuse, the wondercycle,
la bicicletta meravigliosa. Zu Wickys Neuerungen gehörte der Kettenkasten und die verbesserte Radaufhängung. Das Rad wurde an der Landesausstellung von 1914 in Bern gezeigt, fand aber nicht die
Beachtung, die es verdient hätte. Die Fahrradfabrikanten sahen in der Erfindung ein unerwünschtes
Konkurrenzprodukt und hintertrieben Grossvaters Anstrengungen, es auf den Markt zu bringen. Er beabsichtigte, das Velo günstig zu fabrizieren und es für höchstens 100 Franken an möglichst viele Leute
zu verkaufen. Sein grösstes Ziel wäre der Bau einer Fabrik in Beromünster gewesen. Der Plan scheiterte
am Widerstand des lokalen Gewerbes und an Intrigen politisch einflussreicher Leute. Die Banken verweigerten ihm die nötigen Kredite, und da er seine eigenen Mittel bereits in andere Projekte investiert
hatte, ging er schliesslich in Konkurs.
Er verkaufte nun Velos, Badewannen und Waschmaschinen. Die Waschmaschine war damals etwas
völlig Neues. Man musste die Trommel von Hand fünfmal links und fünfmal rechts herumdrehen. Als
Waschmittel diente Aschenlauge. Grossvater Kaspar liess die Waschmaschine von seiner Frau Karolina
vorführen, um zu beweisen, dass man die ganze Wäsche in einem Tag erledigen konnte. Die Bauern
wuschen damals nur ein- oder zweimal pro Jahr, dafür aber drei bis vier Tage lang mit den TagelöhnerWäscherinnen. Die Neuerung erweckte daher den Zorn der vielen Waschfrauen, welche um ihr Einkommen fürchteten.
Vater Josef Wicky-Furrer (1901-1991)
Mein Vater lernte in Genf Feinmechaniker und musste nach dem Tod seines Grossvaters Franz WickyGalliker auf dem Hof seiner Grossmutter mithelfen.
1927 gründete er mit Marie Furrer aus Schwarzenbach eine eigene Familie, aus der im Laufe der Zeit 13
Kinder hervorgingen, 7 Buben und 6 Mädchen.
Lange Zeit blies er in der Feldmusik Gunzwil das 1. Flügelhorn, bis er im Jahre 1938 in Ruswil LU eine
neue Liegenschaft kaufte.
Mir ist nur bekannt, dass unser Vater während des 2. Weltkrieges im Militär ein sehr guter Trompeter
war. Er blies das Flügelhorn und begrüsste uns immer mit einer Melodie vom Waldrand her, wenn er
in den Urlaub heimkehrte. Nach der Militärdienstzeit hat mein Vater nie mehr geblasen, es sei denn,
dass er uns Buben bei unseren ersten Blasversuchen die Technik des Blasens zu erklären versuchte.
Doch unsere Geduld war bald erschöpft, und wir haben uns erst viel später wieder mit Blasinstrumenten
beschäftigt. Doch waren wir immerhin vier Brüder, die sich der Blechmusik verschrieben haben, teils
länger, teils weniger lang. Heute bin ich noch der einzige Bläser dieser Generation.
32
Abb.7
Abb.8
Abb.9
Josef Wicky (1981)
Abb.10
33
Anton Wicky-Hediger (*1938)
Im Jahr 1950 kam ich nach Abschluss der Primarschule Sigigen bei Ruswil LU ins Internat des ChristKönig-Kollegiums nach Nuolen SZ. Dort bereitete ich mich auf die Matura Typus A mit Latein, Französisch und Griechisch vor.
Meine grosse Leidenschaft galt der Kollegimusik, in der ich lange Zeit das Es-Horn blies. Da es an
Bläsern mangelte, musste ich immer dort aushelfen, wo gerade Not am Mann war. So lernte ich die
Posaune, das Baryton und den Es-Bass kennen und unternahm auch einen kurzen Versuch auf der BKlarinette.
Während der Sommerferienzeit musste ich ein bisschen Geld verdienen. Auf der Grossarni in Küssnacht
SZ pflückte ich in drei Sommern über zehn Tonnen Kirschen fürs Fass. Eines Morgens hatten wir keine
reifen Kirschen mehr und wurden mit dem Bucher-Einachser zu Seebi Schuler auf dem Hof Bürgenstock gebracht. Seine Kühe waren auf Alp Gschwänd im Muothatal. Im leeren Futtertrog entdeckte ich
ein Alphorn. Ich ergriff es voller Freude und machte ohne Mundstück erste Spielversuche. Und höre
da: es gelang. Ich erschrak aber so sehr über meine Töne, dass ich das Instrument wieder blitzartig in
den Futtertrog legte und den Stall verliess, damit ja niemand etwas bemerke. Ich konnte nicht ahnen,
dass Seebi mich einige Jahre später deswegen tadeln würde, denn er hätte mir gerne das Alphorn näher
vorgeführt.
Nach Abschluss des Studiums als Sekundarlehrer an der Universität Freiburg erhielt ich in Gams SG
meine erste Stelle und trat in die dortige Dorfmusik ein. Später wechselte ich zur Harmonie Buchs SG
und wurde ans Baryton gesetzt. Mein grösster Wunsch wäre aber immer das Alphornblasen gewesen.
Im Jahre 1967 hatte ich nach einer Musikprobe Gelegenheit, mit einem Musikkameraden in ein Alphorn
zu blasen. Ich war von diesem Instrument so begeistert, dass wir am folgenden Tag bei Hans Kropf,
Eriz BE, gleich drei neue Alphörner bestellten. Nach Ankunft der Hörner gründeten wir, Andreas Rutz,
Ruedi Beusch und ich das Alphorntrio Werdenberg (Abb. 9).
1967 heiratete ich Anita Hediger aus Laufen und wechselte an die Sekundarschule Siebnen. Mit dem
Trio Werdenberg hatte ich dort den letzten Auftritt.
Die ersten Alphornkurse besuchte ich im Juni 1969 im Frohmattschulhaus in Olten beim Nordwestschweizerischen Jodlerverband. Nach den ersten Lektionen sagte mir der Kursleiter, dass ich keine Ahnung vom Alphornblasen hätte. „Darum bin ich ja hier“ war meine Antwort. Im Herbst desselben Jahres
teilte man mich bereits den Besten zu, und im folgenden Frühling hatte ich die Gelegenheit, Robert
Körnli (1905-1975) persönlich als Lehrmeister zu erleben. Diese Begegnung war für mich bedeutsam,
weil ich am Jodlerfest in Solothurn mit seiner Komposition Vom Althüsli auftreten wollte. Innerhalb von
nicht mehr als zehn Minuten gab mir Robert Körnli das Rüstzeug für mein ganzes Leben mit, und die
Erfolge blieben nicht aus.
Nach zwei Jahren in Baselland kehrte ich definitiv in den Kanton St. Gallen zurück. Dort besuchte ich
Kurse beim Nordostschweizerischen Jodlerverband und wurde Kursleiter, später auch Kampfrichter.
Inzwischen lernte ich Mario Bergamin von der Lenzerheide kennen.
Meinen ersten Einsatz als Juror absolvierte ich am Nordostschweizerischen Jodlerfest in Glarus. Mario
Bergamin nahm erstmals als Alphornbläser am Wettbewerb teil. Am gleichen Fest gesellte sich Pierre
Bagnoud von Niederurnen als Neuling dazu. Seine Mutter wollte ihm ein Alphorn kaufen und wusste
nicht, wo sie ein solches bestellen könnte. Da war ich ihr behilflich. Pierre war nebenbei Mitglied eines
Musikvereins in Zürich. Aus dieser Bekanntschaft entstand das Alphorntrio Speer (Abb. 10), meine
erste eigene Formation. Wir haben miteinander viele Auftritte bestritten, unter anderem auch mehrere
Jodlerfeste.
34
Abb.11
Abb.12
Anton Wicky auf Pilatus-Kulm
35
Inzwischen wuchs meine Familie auf drei Kinder an. Unser Sohn Andreas (*1968) durfte mit sieben
Jahren erstmals ins Horn blasen. Es folgte zuerst Blockflötenunterricht, anschliessend Klavier. 1983
hatte ich zufällig ein zweites Alphorn zur Verfügung. Da fragte ich Andreas, ob er einmal einen Versuch
wagen wolle. Und siehe da, er begriff es sofort. Von diesem Moment an habe ich viel mit ihm geübt und
bin mit ihm aufgetreten. Sohn Lorenz (*1973) lernte ebenfalls Blockflöte und anschliessend Querflöte.
Im Mai 1985 hatte ich ein drittes Horn zur Verfügung. Auf meine Bitte nahm Lorenz das Instrument
zur Hand, erfasste sogleich die Technik, und nach zehn Minuten trugen wir das Stück meinem ältesten
Schüler Heiri Mächler, Weinfelden, am Telefon vor. Es war dies eine meiner ersten Kompositionen, der
ich den Titel Heilig gab. Das Motiv entnahm ich der Deutschen Messe von Franz Schubert. Ihr folgten
weitere Werke, teils Eigenkompositionen, teils Bearbeitungen klassischer und tradierter Motive. Sie
sind in vier Heften im Eigenverlag erschienen.
20 Jahre Alphorntrio Anton, Andreas & Lorenz (Abb. 11)
Am 16. Juni 1985 hatten wir unseren ersten Auftritt vor dem Hotel Seerose in Meisterschwanden AG
anlässlich eines Familienfestes.
Seit 1988 treten wir immer wieder als Duo mit Orgelbegleitung auf. Alphorn und Orgel sind unsere
Spezialität.
Höhepunkte des Trios waren drei Einladungen zum Schlossfest im luxemburgischen Bourglinster 1987,
1989 und 1995, das die Freunde des Schlosses alljährlich für ihre Mitglieder veranstalteten. Wir hatten
je einen Auftritt im Schlosshof und während des Gottesdienstes in der Kirche.
Mein persönlicher Wunsch war es immer gewesen, dem Hl. Vater mit dem Alphorn Freude zu bereiten,
zumal Sohn Andreas von 1989 bis 1994 Mitglied der Schweizergarde war. Insgeheim hoffte ich, er könne mithelfen, eine Gelegenheit dazu zu finden. Aussichtslos, sagte er mir, es hätten schon andere Leute
vergeblich versucht, eine Audienz zu erlangen. Anlässlich unseres Rombesuches im Jahr 1990 gaben
wir am 2. August unseren Gastgebern, den Salvatorianerpatres, auf der Dachterrasse ihres Klosters ein
Ständchen. Pater Thaddäus aus Polen, der Nachfolger von Papst Johannes Paul II. auf dem Theologielehrstuhl in Warschau, lauschte besonders aufmerksam unseren Klängen. Als ich ihm mein Trio vorstellte, fragte er mich, ob der Hl. Vater uns auch schon gehört hätte. „Ja, anlässlich seines Besuches in Luzern
im Jahre 1984.“ „Er muss es aber unbedingt hier hören. Hätten Sie Lust dazu?“ „Ja“ war meine Antwort.
Unser Sohn Andreas wollte das nicht glauben; auch sah er sich ausserstande, mit uns zu blasen, weil
er Dienst hatte. Tags darauf erhielten wir die Mitteilung, dass wir am Samstag, 4. August, morgens um
halb acht in Castelgandolfo erwartet würden, denn - so hiess es - der Nationalfeiertag der Schweiz liege
nur einige Tage zurück. Als wir gegen ein Viertel nach acht Uhr aufgefordert wurden, mit dem Spiel zu
beginnen, waren wir ganz gerührt, als der Hl. Vater die Treppe herunter kam (Abb. 12). Er begrüsste die
verschiedenen Pilgergruppen und kam auch zu uns. Meine Frau fragte er, ob sie Schweizerin sei. „Ja,
und dort ist mein Mann und hier unser Sohn Lorenz, und der zweite Sohn ist bei der Schweizergarde.“
„Das freut mich aber sehr,“ antwortete der Papst. Der dritte Bläser war mein zukünftiger Schwiegersohn
Peter Hauser aus Näfels GL.
Im September 1992 folgte eine Tournee in den USA mit vier Konzerten. Die Einladung kam von Elliot
R. Wald, einem Dozenten an der Musikhochschule River Falls (Wisconsin), der seinen Studenten die
alpenländische Volksmusik näherbringen wollte. Ich lernte ihn zufällig in Luzern kennen, wo er mit
seinem Chor ein Konzert gab. Als Andenken übergab ich ihm eine meiner CDs. Unser Spiel auf dem
Alphorn gefiel ihm so gut, dass er nicht nur Konzerte an seiner Hochschule und öffentliche Auftritte organisierte, sondern uns auch die Türen der Musikhochschule in Madison öffnete, wo Vernon Sell, einer
seiner befreundeten Kollegen, lehrte.
36
Im Herbst desselben Jahres durften wir mit dem Alphorntrio bei der Saisoneröffnung des Thalia-Theaters in Hamburg mitwirken. Der Schweizer Botschafter hatte uns der Theaterleitung empfohlen.
1993 reisten Sohn Lorenz und ich mit dem Organisten Herbert Keller, Uznach, für zwei Konzerte nach
Frankfurt und Hamburg.
Das Jubiläum zum zehnjährigen Bestehen des Alphorntrios Wicky brachte uns eine einmalige Überraschung: durch Vermittlung der Schweizer Botschaft erhielten wir eine Einladung zu zwei Konzerten in
Washington D.C. anlässlich der Internationalen Pferdeschau 1995.
Am 26. Juni 2005 feierten wir das zwanzigjährige Bestehen unserer Formation. Wo hätten wir den Tag
sinnvoller verbringen können als am Gründungsort, dem Hotel Seerose in Meisterschwanden AG ganz
nach dem Motto „Die Täter kehren an den Tatort zurück.“
Seit 1994 sind Peter Scherrer aus Reichenburg SZ und Köbi Spühler aus Wasterkingen ZH unsere Spielpartner, wenn einer meiner beiden Söhne oder beide ausfallen.
In diesen zwanzig Jahren war es uns vergönnt, in unzähligen Gottesdiensten mit Alphorn und Orgel
Freude zu bereiten und mit dem Trio bei vielen weltlichen Anlässen zu spielen.
Anton Wicky als Jodeldirigent
1975 fand in Aarau ein Eidgenössisches Jodlerfest statt, an dem ich als Solobläser teilnahm. In der
Festansprache forderte der damalige Präsident des Eidgenössischen Jodlerverbandes, Hans Schild, alle
Beteiligten auf, sich als Dirigent eines Jodlerklubs einzusetzen, falls man je ein Interesse dafür hätte.
1978 stand ich in engem Kontakt mit dem Jodelklub Heimelig, Kaltbrunn, besonders mit dessen Dirigenten Anton Hofstetter. An mehreren Proben bereiteten wir zusammen den Auftritt am Bettag in der
Kirche vor. Mein Auftrag als Alphornbläser bestand darin, die Jodlermesse 1 von Jost Marty mit Alphorn- und Orgelklängen zu bereichern. An der Orgel war Benedikt Brazerol, Organist und Berufskollege
in Kaltbrunn.
In einem Winter besuchte ich in Wil einen Chorleiterkurs. Der gab mir das Rüstzeug für meine künftige
Arbeit als Dirigent.
1980 fragte mich der Jodelklub Berggruess St.Gallenkappel, ob ich gewillt wäre, ihren Verein zu leiten.
Der Festbericht des Eidg. Jodlerfestes Schwyz zeigte mir auf, dass dieser Chor knapp vor dem „Sehr
gut“ stand. Das bewog mich, ihn zu übernehmen. Der Erfolg blieb nicht aus, denn schon im Jahre 1981
erreichten sowohl der Klub als auch das Jodelduett erstmals die Klasse 1 am Eidgenössischen Jodlerfest
von Burgdorf. 1986 gab ich das Amt des Dirigenten ab.
Zehn Jahre später wandte ich mich nochmal dem Jodel zu, als der Jodelklub Burgrose Reichenburg SZ
dringend einen Dirigenten suchte. Auch dieser Klub erreichte am Zentralschweizerischen Jodlerfest in
Buochs sein erstes „Sehr gut.“ Aus gesundheitlichen Gründen musste ich allerdings 2004 meine Tätigkeit als Jodeldirigent endgültig aufgeben.
Werkverzeichnis
Falknisblick
Uf der Alp Lüsis
De Gemsjäger
Uf em Rellerligrat
Vo mine Bärge
Heilig, Choral
Morge früeh
Echo-Rufe
37
Willys Traum (Büchel)
Bim Julius (Büchel)
De Küssnachter (Büchel)
Morge früeh (Büchel)
Gruss ans Kleinwil
Le ranz de vaches (Trio-Satz)
Gruss vom Hahnenmosspass
Bim Fasi im Hübali (Büchel)
Uf em Pilatus-Kulm
Stans erläbe (Büchel)
Toggenburger Alphornjutz
Gstaaderluft (Büchel)
Choral für Luzern
Sächsigruess (Büchel)
Hoch auf dem Berg
Bim Waldhüttli (Büchel)
Hans im Sanetsch (Büchel)
Gruss an Rheinau
Bätruef
Publikationen (alle im Eigenverlag erschienen)
Compact-Disc (CD)
1988 CD 5: Ernte-Dank-Sonntag. Alphorn-Duo Anton & Andreas Wicky, Herbert Keller, Orgel.
Kirchenkonzert
1992 CD 4: Anton Wicky - Herbert Keller - Alfred Richter. Alphorn - Orgel - Violoncello
1995 CD 3: Alphorn - Büchel - Jodellied - Volksmusik
2004 CD 2: Jodlermesse 1 von Jost Marty. Jodellied, Alphorn, Volksmusik
Kompositionen und Bearbeitungen (Notenausgaben)
1988 Alphorn & Orgel, herausgegeben von Anton Wicky
1997 Alphorn in F und Orgel, herausgegeben von Anton Wicky
1999 Alphorn in Ges und Orgel, herausgegeben von Anton Wicky. (2., erweiterte Auflage der
Publikation von 1988)
1999 Alphornruef. Melodien für Alphorn und Büchel von Anton Wicky. (3., erweiterte Auflage der
Ausgaben von 1980 und 1984)
1999 Alphorn in F und Violoncello, herausgegeben von Anton Wicky
Kontaktadresse:
Anton Wicky, Kronenpark 1, 6374 Buochs. www.alphorntrio-wicky.info
38
Ein klingendes Zeitporträt besonderer Art *
Die Tonbänder von Hanny Christen
von Silvia Delorenzi-Schenkel
In diesem Artikel möchte ich vor allem beschreiben, was die Tonbänder von Hanny Christen enthalten und wie diese Aufnahmen zustande kamen (biographische Details zur Person von Hanny Christen
(1899-1976) findet man im Band I der 2002 beim Mülirad-Verlag, Zürich, erschienenen „Schweizer
Volksmusik-Sammlung“). Die ersten Tonbandaufnahmen machte Hanny Christen 1956 und die letzten
1973, Direktaufnahmen bei ihren Informanten allerdings nur in der Zeitspanne von 1958 bis 1963. Mit
einem der ersten tragbaren UHER Tonbandgeräte im Gepäck reiste Hanny Christen mit öffentlichen
Verkehrsmitteln und grosse Strecken auch zu Fuss bis in entlegensten Orte durch die Schweiz, um ihre
Informanten zu besuchen. Manchmal handelte es sich dabei um Personen, bei denen sie schon Jahre zuvor einmal war. (Ihre Forschungs- und Sammeltätigkeit hatte sie bereits Ende der 30er Jahre begonnen,
damals aber nur mit Schreibstift und Notizbuch bewaffnet.) Nun hoffte sie, die zuvor schriftlich festgehaltenen Musikstücke und Lieder von den Originalinterpreten vorgetragen auch auf Tonband einzufangen. Diese Tondokumente sind in kulturhistorischer Hinsicht besonders interessant, weil sie weit mehr
als nur Momentaufnahmen aus besagter Zeitspanne von 5 Jahren darstellen. Sie bezeugen auch Ereignisse und Begebenheiten seit Beginn des 20. Jahrhunderts, woran sich die direkt Betroffenen erinnerten
und darüber berichteten. Hanny Christen hat sich dabei auch selbst mit eigenen Berichten und Kommentaren aufgenommen. Bei allen vor 1958 und nach 1963 entstandenen Aufnahmen handelt es sich
um Radiosendungen. Aber auch darunter befinden sich teilweise einmalige Tondokumente, die nur dank
der Aufzeichnung durch Hanny Christen bis heute erhalten blieben und ein recht gutes und vielfarbiges
Klangbild des kulturellen Schaffens jener Jahre darstellen. Darunter sind Aufnahmen von Ausstrahlungen mit Konzerten klassischer Musik, von Festivals und ähnlichen Feierlichkeiten, dann auch Lesungen
und Erzählungen, Gedenksendungen für wichtige Persönlichkeiten, eine komplette Schulfunksendung
zum Thema Volksmusik und natürlich Volksmusik aus der Schweiz und auch anderen Ländern. Obwohl
zahlenmässig nicht sehr gross (die Sammlung umfasst nur um die 70 Tonbänder), hat uns Hanny Christen mit diesem Material ein ganze Palette unterschiedlichster Tonaufnahmen hinterlassen, mit denen
sich ein klingendes Zeitporträt ganz besonderer Art zeichnen lässt. Um dem Leser dieses Artikels einen
kleinen Einblick in die Sammlung zu gewähren und eine Ahnung von der Vielfalt des Materials zu vermitteln, seien folgend einige konkrete Beispiele skizziert und interessante Ausschnitte aus dem Inhalt
wiedergegeben.
Ein etwas moderneres UHER Report-Tonbandgerät als
das von Hanny Christen benutzte.
Tonband mit handschriftlichen Notenaufzeichnungen
und Notizen von Hanny Christen.
39
Anfangs 1958, Radioansage: „Sie hörten einige Schweizer Ländlerweisen. Gesammelt hat sie Hanny
Christen und gespielt wurden sie von Musikern von Radio Bern. Sätze und Leitung: Eugen Huber.“
Solche und ähnliche Ansagen hört man immer wieder auf den Tonbändern von Hanny Christen. Es
handelt sich dabei um Radiosendungen, welche Hanny Christen über ein Mikrophon bei sich zu Hause
während der Ausstrahlung aufgenommen hat. Dank dieser Aufnahmetechnik konnte sie während der
Aufzeichnung persönliche Kommentare zum Gehörten abgeben, die dann ebenfalls auf dem Tonband
festgehalten wurden. Von dieser Möglichkeit hat sie regelmässig Gebrauch gemacht. So bemerkt sie
z.B., dass ein Schottisch zu schnell gespielt werde, oder dass der 3. Teil eines Stücks in dieser Fassung
fehle, oder dass das Radio doch „ihre Spielmanne“, wie sie ihre Gewährsleute nannte, hätte ins Studio
holen können, denn die hätten die Stücke schon richtig gespielt. Hanny Christen hatte bereits 1949 begonnen, mit Radio Bern, und da vor allem mit Eugen Huber, zusammenzuarbeiten. Sie übergab ihm ihre
Notenaufzeichnungen, welche er dann für die Musiker von Radio Bern setzte. Sobald Hanny Christen
in Besitz ihres Tonbandgeräts war, begann sie mittels Tonbandaufzeichnung zu „kontrollieren“ ob ihre
Anweisungen auch befolgt worden waren. Ihre Zusammenarbeit mit Radio Bern dauerte bis 1960 und
dann zog sie sich resigniert zurück, nachdem der Ressortleiter, Dr. Franz Kienberger, ihr mitteilte, dass
die meisten ihrer Spielleute den qualitativen Ansprüchen des Radios nicht genügten. Hanny Christen hat
also nicht nur schriftlich, sondern auch mit ihren Tonaufzeichnungen rund 15 Jahre Radiogeschichte
festgehalten.
Rückseite einer Tonbandschachtel mit handschriftlichen
Angaben und und verschiedene mit Schreibmaschine
geschriebene Aufnahmezettel.
Auswahl von verschiedenen Tonbändern, wie sie Hanny
Christen verwendet und beschrieben hat.
Besonders aufschlussreich sind aber auch die sogenannten Feldaufnahmen, welche Hanny Christen bei
ihren Gewährsleuten machte. Folgend möchte ich mit einem Auszug in direkter Transkription einen
Einblick in dieses Tonmaterial vermitteln. Wir haben den 7. Juli 1960 und Hanny Christen ist zu Besuch
bei Giulia Ferrera, einer 94jährigen Walliserin aus dem Pomattertal (Val Formazza), die in Domodossola
lebt. Sie spricht Gomser-Dialekt vermischt mit italienischen Worten, weil sie die deutschen vergessen
hat.
H.C.: Jetzt Giulia, wie alt sid ihr jetze?
G.F.: 94
H.C.: Ei isch das aber schön, und chönne no so guet brichte. ... Und das Baduzzi-Lied? ... Das han ich
ja ufgschriebe, anno 52.
G.F. Ja, aber ich weisses propri nümme.
H.C.: ... In Wald si sie ufgwachse, in Wald, wo die schöne alte Hüser si.
40
G.F.: Ecco, in Wald bini gebore, in Casa ..., im Hüs ..., und döt bini dablibe bis im ventiquattro und
denn bini uf Domodossola cho.
H.C.: Was heisst das denn „ventiquattro“?
G.F.: Vierezwänzg. ...
Ersilia (Tochter von Giulia): De Mamme isch gebore am zweezwänzigschte aprile, April, aprile, insomma, achthundert-siebenesächzg.
H.C.: Eusi Mame isch 1865 und euse Pape 1856 (gebore). ... Euse Grossvatter isch 1825 gebore ...
mir hei mit eusem Grosspape gsunge und tanzed und er isch anno 14 vor em Chrieg gstorbe. ...
und won-ich de wieder dezue cho bi, dass ich die alte Tänzli ghört ha bi de Trachtelüt, do hets halt
agfange und sitdäm tuen ich sueche, sit achtedrissig. Und jetzt hani us de ganze Schwiiz tuusig und
tuusigi vo Liedli und jede Tag, wenn i nöimi bi, chömed wider nöi. Jetzt säged sie mir au sones
luschtigs Liedli vo früener.
G.F.: Ich cha propri sche nümme. Non mi ricordo più, perché son troppo vecchia.
H.C.: He aber „Uf em Ofe bin i gsässe, ha d‘Hose verbrennt“.
G.F.: „Uf em Ofe bin i gsässe, ha d‘Hose verbrennt, und ha di ganz Nacht gschätzlet und s‘Schätzli nit
kennt.“
H.C.: Das isch es uralts Liedli ... und das han ich ufgschriebe 1950 und has den am Gmeindschrieber
vo Gurin, em Santori, de mit em grosse Schnauz, han ems zeigt. Denn het er mi nume agluegt.
Und der Toni Ferrera hät doch gseit, mir si Schwizer, mir chöme vo Uri, .... und jetzt, was han i
ghört, jetz säge si statt Schwiz und Üri, säge si Schwiz und Türe zue, anstatt Schwiz und Üri zue.
... Luschtig, dass sie immer usem Goms übere cho si go Chnächt si. Die Gomser findet mer uf de
ganze Wält, und es heisst „Gomeni und falsches Gäld, findet mer i de ganze Wält“; aber dass sie
als Chnächte und Jungfere si cho übere Griespass cho schaffe ins Pomatt, das han ich erscht jetze
ghört. ...
G.F.: ... si säget „das Schwizermeitli ...
H.C.: Ja und wie heisst denn das Schwizermeitli in der Schwiz?
G.F.: Fraulein.
H.C.: ... es isch ja nume s‘Musighanneli.
G.F.: No, no. Mir hei mengsmal häderet vo Öch und Pomatter he gseit se häged Öch gern.
H.C.: Und jetzt hemmer doch in Basel das wunderschöni Fescht gha, 500 Johr Universität ...
Auf diese Weise geht das Gespräch von Hanny Christen mit der alten Frau und ihrer Tochter weiter. Weil
die alte Frau nicht singen will, versucht es Hanny Christen zuerst mit vorsprechen und dann kommt sie
ins Erzählen von Ereignissen, die auf sie prägend gewirkt haben, von Personen, die sie kennt oder gekannt hat, und das während rund 24 Minuten. Solche und ähnliche Gespräche findet man immer wieder
eingestreut in die Aufnahmen von Gewährsleuten, die ihr vorspielen oder vorsingen. Das sind Informationen, die man wie Puzzlestücke zusammenfügen kann, und es entsteht ein Zeitporträt der Schweiz und
insbesondere des Brauchtums und der Musikkultur in unserem Lande vom Beginn des 20. Jahrhunderts
bis in die 1960er Jahre.
* Dieser Artikel ist im Memoriav-Bulletin Nr. 13, 6 / 2006 erschienen.
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Die zweite CD von «firau» ist erschienen
von Hans Hürlemann
Die Innerschweizer Gruppe «firau» hat vor Kurzem ihre zweite CD produziert. Sie trägt den Titel «di
bi dä bi» und ist erschienen unter dem Label «Alpentöne». Das CD-Cover verrät nur noch, dass «firau»
ihre Musik als «Swiss rhythm n folk» bezeichnet. Auf dem Titelbild erhebt sich das Matterhorn vor
einem Gewässer, in dem sich der Berg und der Titel «di bi dä bi» spiegeln. Das Booklet enthält kurze
Informationen zu den 15 Titeln und die Namen der Musiker. Das war‘s schon. Alles andere, auch die
Beschreibung der Bandmitglieder findet sich als Download auf der Homepage www.firau.ch, wo auch
die erste CD «was cheibs» und die aktuelle Scheibe bestellt werden können.
Als Appenzeller, der weder die Musiker noch ihre Gruppe kennt, sticht einem natürlich der «Dibidäbi»
ins Auge, denn schliesslich gilt das gemeinhin als Bezeichnung für die Leute am Alpstein. Also, was
cheibs haben denn Innerschweizer damit zu tun?
Da gibt es tatsächlich ein paar Spuren zu entdecken. So klingen im Titel 2 «Anneli tue d Hüener ii» und
in der Nummer 5 «s Underwaldner Meiteli» die Lieder und Jödeli geradeso, wie man im Appenzellischen Ratzliedli (Necklieder) singt. Nur wenige Titel verharren nah bei den Traditionen, so etwa die
Nummer 6 «Nimmä schneller», ein rassiger Schottisch, oder der nächste Tanz «Meh Note als Haar», ein
prächtiger Walzer aus der Sammlung Hanny Christen. Bei diesem letzten Beispiel allerdings wird die
melodieführende Ländlertrompete begleitet von «boomwhackers», gestimmten Klangröhren, und von
einer Melodica.
Für die hartgesottenen Traditionalisten wäre die Nummer 10 zu empfehlen, denn dort wird unter dem Titel «Sachslerbüchler» auf grandiose Weise der Stockbüchel geblasen, so wird das Instrument im Booklet
bezeichnet. Ausgerechnet bei Nummer 4, die «Di Bi Dä Bi» ist rein nichts Appenzellisches zu finden,
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dafür aber Merkmale, die auch bei den anderen Stücken hervorstechen. Es geht dabei um die unglaubliche rhythmische Vielfalt mit den unterschiedlichsten Perkussionsinstrumenten virtuos dargeboten,
um Akkordeon- und Bläserkultur vom Feinsten. Zudem ist die ganze Gruppe von südamerikanischen
Rhythmen imprägniert und fasziniert von der nordbrasilianischen Musik, aus der Gegend, die nach den
Angaben der Gruppe «forrò» heisst, und darum nennen sie ihren Stil auch Latin-Ländlermusik, selbstverständlich mit unüberhörbaren Jazz-Elementen. Das hängt mit der Herkunft der Musiker zusammen,
die allesamt eine Neigung zum Jazz haben und meistens auch einen wesentlichen Teil ihrer Ausbildung
an Jazzschulen bezogen haben. Sämtliche Titel der CD verraten, dass hier hervorragende Berufsmusiker
am Werk sind. Die Gastsängerin Barbara Berger fügt sich problemlos in die Gruppe ein, die mit ihrem
Namen «firau» auf Obwaldnerisch andeutet, dass sie «für alle» spielen. Da hätte ich Zweifel, wenn ich
an den durchschnittlichen Ländlerfestbesucher denke, denn die meisten Stücke wurzeln - manchmal
allerdings nur der Spur nach - in Volkksmusiktraditionen, werden dann aber streckenweise völlig frei
gestaltet und manchmal so schräg, dass der Ursprung nicht mehr auf Anhieb zu erkennen ist. Für liberale
Geister aber sei die CD wärmstens empfohlen, denn sie bietet reichhaltige, abwechslungsreiche Kost,
die niemanden kalt lässt.
Die technischen Daten der CD:
FIRAU, swiss-rhythm-n-folk
Di bi dä bi
Alpentöne 0081352ALP
www.firau.ch
Roli von Flüe
Thomas Stalder
Martin Ledergerber
Jean-Pierre Maillard
Werni Häcki
Heinz della Torre
Als Gast: Barbara Berger
Klarinetten, Alto-Sax
Akustische Bassgitarre, Elektrobass
Akkordeon, Gesang
Perkussion, cavaquinho
Perkussion
Trompete, Büchel, Alphorn, Gesang
Gesang
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Programmstart im Haus der
Volksmusik in Altdorf
von Franz-Xaver Nager
Am 1. Januar 2007, exakt um 00.00 Uhr, knallen die Korken: Nach rund zweijähriger
Vorarbeit startet das Altdorfer Volksmusikhaus offiziell sein Programm mit einer geballten
Ladung Veranstaltungen. Die Schweizer Volksmusik erhält damit ein neues Zuhause, eine
Anlaufstelle, eine Drehscheibe, ein Archiv, einen Treffpunkt, eine Musikküche und vieles
mehr – kurzum ein Zentrum, das sich umfassend der Volksmusik unseres Landes und ihrer
internationalen Einbettung annimmt.
Fulminanter Programmstart
SilFÄSCHTer
Nein, ein Geheimnis ist es nicht, dass die Volksmusik-Sammlerin Hanny Christen mitschuldig
ist an der Schaffung eines Zentrums für die Schweizer Volksmusik. Mit ihrer einzigartigen
Sammlung, welche die Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz (GVS) vor vier Jahren
herausbrachte, wurde das Alte gewissermassen zur Novität in der Volksmusikszene. Da liegt
es natürlich geradezu auf der Hand, dass das Haus der Volksmusik zum Auftakt dem „MusigHanneli“ seine Referenz erweist.
Im Festsaal des Hotels Schlüssel, wo in alten Zeiten die lokalen Volksmusikgrössen zum
Tanz aufspielten, wird also unter lüpfiger Beihilfe der Hanneli-Musig fein gegessen, froh
getrunken und fidel getanzt. Ein richtiges Fest soll es werden, für all jene, die das alte
Jahr gerne mit einem exquisiten Essen in ebenso gemütlicher wie gepflegter Atmosphäre
abschliessen möchten.
Nach vier Monaten des Einrichtens und Vorbereitens öffnet nun also das Haus der Volksmusik
per Anfang 2007 offiziell seine Türen. „Endlich gibt es ein solches Zentrum auch in der
Schweiz, und ich freue mich riesig, dieses einmalige Ereignis gemeinsam mit möglichst
vielen Volksmusikfreunden zu erleben, die mit ihrem Engagement auf und hinter der
Geigenbank ihren Beitrag geliefert haben und liefern werden,“ sagt Markus Flückiger, der
mit Überzeugung im Vorstand des neuen Volksmusikzentrums mitwirkt.
Zwei Dutzend Workshops mit den Hanneli-Musikern
Wie umgehen mit den 10‘000 Tänzen der Hanny-Christen-Sammlung? Beim allerersten
öffentlichen Aktivkurs im Altdorfer Volksmusikzentrum (2. bis 5. Januar) wird unter Anleitung
der sechs Hanneli-Musiker vier Tage lang erprobt und geprobt, diskutiert und vor allem gespielt.
An jedem Vor- und Nachmittag können die Teilnehmenden aus drei Kursangeboten auswählen.
Dazu gibt es abends vielseitige Zusatzangebote, vom ungezwungenen Beizenmusizieren bis
zum hochkarätigen Konzert. Sicher eine attraktive Alternative, die – wie es den Anschein
macht – schneefreie erste Januarwoche zu verbringen.
Rendez-vous mit dem Ländler-Pianisten Hans Frey
Zu diesen Sonderanlässen gehört auch die Präsentation einer neuen CD mit historischen
Aufnahmen des Ländler-Pianisten Hans Frey. Schon vor 50 Jahren verblüffte er die Volksmusikszene mit seinem virtuosen Klavier-Spiel, das er sich selber beigebracht hatte. Zusammen mit
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Fredy Reichmuth pflegt Mathias Knobel das Frey-Erbe. Am 3. Januar berichten die beiden
in Altdorf über ihre Kenntnisse und Erfahrungen zu dieser „Ländler-Ragtime-Legende“ und
präsentieren zusammen mit Marcel Öttiker die neu zusammengetragenen Stücke – live und
natürlich anhand von Originalaufnahmen.
Blech-Gebläse
Am Festival Alpentöne 2005 ernteten die fünf Blechprofis von Lucerne Chamber Brass
mit ihren lüpfigen und virtuosen Neuinterpretationen alter Tänze vergnügtes Jauchzen
und Schmunzeln. Vor zwei Jahren noch hatte das mehrfach ausgezeichnete klassische
Bläserquintett mit Volksmusik wenig bis nichts am Hut, heute spielen sie ihre komplexen und
witzigen Arrangements von Tänzen aus der Zeit von 1850 bis 1950 mit einer Begeisterung,
die – wie ihr jüngstes Konzert bei der Steiner Nach-Chilbi im Rössli zeigte – unmittelbar auf
das Publikum überspringt.
Jetzt präsentiert sich das Quintett live und mit frisch gepresster CD in Zürich, wo die
Bauernmusik in den Goldenen Zwanzigern ihre grössten Triumphe feierte. Angesprochen
sind damit Blasmusik-Liebhaber und Brass Fans genauso wie „Folkies“ oder die Freunde der
Ländlermusik, die ja vor nicht allzu langer Zeit ihren beliebten Zürcher Treffpunkt in der
alten Börse verloren haben. Das Theater Rigiblick (!) soll für das Haus der Volksmusik ein
Standbein in Zürich werden, und mit seiner idyllischen Lage über der Stadt bietet es dazu
den perfekten Rahmen.
Kult mit Mälchfett
Wer in den letzten zwölf Monaten die Homepage der HujGroup besuchte, stiess auf die
Mitteilung: „Unser Masterörgeler Markus Flückiger nimmt sich im Jahr 2006 eine Auszeit,
weshalb dieses auch zum offiziellen HujGroup Bühnen-Pausen-Jahr erklärt wird.“ Seit einiger
Zeit gibt es die Ergänzung: „Hujässler arbeitet zurzeit an der neuen Produktion welche den
internen Arbeitstitel „Gränzgänger-Nachfolger“ trägt. Rechtzeitig aufs „Comeback“ im
Frühjahr 2007 soll das neue Album mit Eigenkompositionen im Dezember 2006 erscheinen.
Ausserdem werden einige Gastmusiker diese Produktion bereichern!“
Die einjährige Verschnaufpause geht dem Ende zu, und das Kult-Quartett meldet sich in
alter Frische zurück: mit bewährtem Programm-Mix von rund bis frech, wie versprochen
mit Gästen und mit der lange erwarteten neuen CD, die nun auch einen definitiven Titel
bekommen hat: „Mälchfett“ – da wird offensichtlich gehörig zugepackt. Zu hoffen ist, dass
sich dieses Fett nicht in den Töpfen der Zuger Casino-Küche wiederfindet, die die Hujs und
ihre Fans beim Comeback bekochen wird.
Krippenmusik – ein ausserordentliches Dreikönigskonzert
Auch wenn die Jodlermessen eine relativ junge Entwicklung sind, ziehen sich die Verbindungen
zwischen Volks- und Kirchenmusik doch seit Jahrhunderten wie ein roter Faden durch die
Geschichte. So finden sich etwa in der religiösen Musik des italienischen Trecento Werke,
die offensichtlich volksmusikalische Spuren aufweisen.
Fast so alt ist vermutlich eine Musiktradition, die der Sackpfeifenspieler Ilario Garbani
und der Schalmei-Bläser Carlo Bava seit einigen Jahren im Tessin wiederbeleben. Jeweils
zur Weihnachtszeit zogen ländliche Musiker durch Dörfer und Städte und spielten auf der
„Zampogna“ und „Ciaramella“ feierliche Volksweisen. Zeugnisse davon finden sich auf
Jahrhunderte alten Altarbildern, die Hirten mit diesen Instrumenten an der Krippe abbilden.
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Zu Dreikönigen veranstaltet das Haus der Volksmusik nun ein aussergewöhnliches
Kirchenkonzert, bei dem diese südländische Hirtenmusik auf weihnächtliche Musik von
diesseits der Alpen stösst. Wolfgang Sieber, Organist an der Hofkirche Luzern, und der Sarner
Trompeter und Alphornbläser Heinz della Torre, die beide schon seit vielen Jahren Kirchenund Volksmusik zu immer wieder überraschenden Klängen verbinden, bieten Gewähr, dass
dieses Trans-Gotthard-Treffen zu einem ebenso spannenden wie stimmigen Erlebnis wird.
Musiktheorie ist keine Hexerei
Mit einem Theoriekurs möchte das Altdorfer Zentrum einem Wunsch nachkommen, den sogar
bekannte Ländlergrössen mehrfach vorbrachten. Der Intensivkurs wird auf die besonderen
Kenntnisse und Interessen von Volksmusikerinnen und Volksmusikern abgestimmt.
Voraussetzungen zum Besuch sind ein gutes Gehör, Notenkenntnisse und die Bereitschaft,
sich über etwa drei Monate hinweg etwa einen Tag pro Woche Zeit zu nehmen. Der Kurs ist
auch für talentierte Jugendliche geeignet, die sich zu gegebenem Zeitpunkt einen Einstieg in
ein musikalisches Berufsstudium vorstellen könnten.
Der Kurs, der die gängigen Theoriebildungselemente (Notenkunde, Harmonielehre, Gehörbildung, Akkordbezeichnungen etc.) beinhaltet, wird von anfangs Februar bis Ende April dauern
(10 Halbtage zu 3-4 Stunden). Geleitet wird er von Urs Pfister, der an der Musikhochschule
Luzern Dozent für Arrangement ist. Der Organist und Schulmusiker komponiert regelmässig
für Chöre und Orchester und leitet selber eine Bigband. Er hat verschiedentlich Volkslieder
sowie für das Quintett Lucerne Chamber Brass Ländlermusik komponiert und arrangiert
(siehe oben).
Veranstaltungen im Überblick
31. Dezember, 18.30h, Volksmusikhaus und Hotel Goldener Schlüssel, Altdorf
Festliches Silvester-Bankett mit der Hanneli-Musig
2.-5. Januar, jeweils ab 09.30h, Volksmusikhaus, Altdorf
Kurswoche: Uff dä Spüürä vum Müsig-Hannäli
3. Januar, 20h, Haus der Volksmusik, Altdorf
Präsentation: Der Ländler-Pianist Hans Frey
4. Januar, 20h, Theater Rigiblick, Zürich
Konzert und CD-Taufe: Lucerne Chamber Brass „Bauernmusik revisited“
5. Januar, 19.30h, grosser Casino-Saal, Zug
Konzert & Essen: Hujässler in der Schwiizer Chuchi
6. Januar, 20h, Pfarrkirche St. Martin, Altdorf
Volksmusikalisches Dreikönigs-Konzert: Adorazione dei pastori
Anfangs Februar bis Ende April, jeweils am Freitag, Haus der Volksmusik, Altdorf
Intensivkurs Musiktheorie für Volksmusikerinnen und Volksmusiker
Verein Haus der Volksmusik
Überblick zur Entstehungsgeschichte
Die Idee zur Errichtung eines nationalen Kompetenzzentrums für die Volksmusik in
der Schweiz wird im Kanton Uri seit dem Jahr 2002 diskutiert. Die Entwicklung bis zur
Betriebsaufnahme lässt sich - im Sinne eines kurzen Rück- und Überblicks - anhand folgender
Meilensteine nachzeichnen:
18. Dezember 2002: Der Komponist und Volksmusikant Fabian Müller und Urban Frye, künstlerischer
Leiter des internationalen Musikfestivals Alpentöne, präsentieren dem Urner Regierungsrat ihre Vision
eines Volksmusikhauses in Altdorf.
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November 2003: Die Hochschule für Wirtschaft (HSW) der Fachhochschule Zentralschweiz nimmt
den Auftrag zur Erstellung einer Machbarkeitsstudie entgegen.
28. September 2004 : Gestützt auf die Machbarkeitsstudie der HSW gibt die Urner Regierung grünes
Licht für eine vierjährige Pilotphase und stellt dafür jährliche Beitragsleistungen im Umfang von CHF
30‘000 in Aussicht. Der Altdorfer Gemeinderat zieht in gleichem Sinne nach.
28. November 2005 : Die von Kanton und Gemeinde beauftragte Expertengruppe liefert das Grobkonzept
für eine erste Betriebsphase (2006-2009) ab.
17. Juni 2006 : Im Rahmen der Volkmusiktage Uri wird der Trägerverein Haus der Volksmusik Altdorf
gegründet.
1. September 2006 : Das Volksmusikhaus nimmt mit dem Bezug der Räumlichkeiten im Altdorfer Zeughaus seinen Betrieb auf.
Ausblick
Die Hauptarbeit der ersten drei Betriebsmonate bestand in der Herrichtung einer funktionierenden Infrastruktur - vom Büchergestell über die Anschaffung von Instrumenten
und EDV bis zum vorliegenden Newsletter. Viel Zeit wurde auch in den Aufbau eines
Partnerschaftsnetzes investiert, von dem schon in den kommenden Monaten erste konkrete
Ergebnisse zu erwarten sind.
Angesichts der kurzen Planungszeit sind die ersten Veranstaltungen des Jahres geprägt von
Personen und Körperschaften, die schon bei der Planungs- und Aufbauarbeit mitwirkten.
Das Haus der Volksmusik profitiert dabei von einer Pionierarbeit, die insbesondere seitens
der Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz (GVS) und der Musikhochschule
Luzern geleistet wurde. Das Programm des ersten Jahresquartals bildet denn auch eine Art
Bestandesaufnahme mit Schwergewicht auf Weiterbildungsangeboten sowie Konzerten und
CD-Präsentationen, die in diesem Umfeld entstanden sind.
Noch kaum zur Geltung kommen andere, für das Haus der Volksmusik ebenso wichtige
Betätigungsfelder, die ab dem Jahresbeginn 2007 intensiver beackert werden sollen.
Sammlung und Dokumentation
Ein besonderes Augenmerk gilt der Sammlung von verlustgefährdeten volksmusikalischen
Quellen. Seit dem 1. September konnten bereits drei wertvolle Sammlungen entgegengenommen werden. Der Fundus des Bündner Klarinettisten Peter Davoli (datiert 1895)
umfasst Hunderte handschriftlich notierter Tänze, gedruckte Noten und weitere Schrift-stücke.
Dem Haus übergeben wurde auch eine Notensammlung, die früher im Besitz des bekannten
Schwyzer Volksmusikanten Rees Gwerder war, sowie die Notenbüchlein von Rudolf Wichser,
die als älteste erhaltene Glarner Quelle gelten und von der bekannten Volksmusik-Sammlerin
Hanny Christen trotz jahrelanger Bemühungen nicht aufgefunden werden konnten.
Treffpunkt der Volksmusik
Pflege und Förderung der Volkmusik muss sich am Bestehenden orientieren. Das Altdorfer
Volksmusikzentrum will deshalb in erster Linie die nationale Begegnungsstätte für aktive
Volksmusikerinnen und Volksmusiker sowie jene Personen und Institutionen sein, die sich
für die Volksmusik engagieren. Der Grossteil der Aktivitäten soll nicht für, sondern mit den
„Kunden“ entwickelt werden. Dieses Leitprinzip ist gewissermassen die Rückversicherung
dafür, dass die Verankerung in der Bevölkerung erhalten bleibt.
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Amateure und Profis - das Eine nicht ohne das Andere
Die Schaffung von volksmusikalischen Berufsausbildungen an der Musikhochschule bedeutet ebenso wie die Eröffnung des Volksmusikhauses eine Professionaliserung in einem
Musikbereich, der bisher fast ausschliesslich in Händen von (teilweise auf professionellem
Niveau arbeitenden) Amateuren lag. Diese Veränderung ist auf dem Hintergrund der internationalen Entwicklungen unabdingbar für den Fortbestand und die Erneuerung der nationalen
Volksmusiktradition(en). Deren Reichtum und Eigenständigkeit zu wahren und zu mehren,
muss oberste Richtlinie für das Haus der Volksmusik sein. Die Umsetzung dieser Richtlinie
wird nur gelingen, wenn sich die „Spitze“ auf die „Breite“ abstützen kann: Volksmusik ohne
Volk ist keine Volksmusik.
Und schliesslich: Was das Haus der Volksmusik nicht ist.
Das Haus der Volksmusik ist eher eine Gärtnerei als ein Blumenladen: Hier wird nicht
Eingekauftes feil geboten, sondern gepflanzt und gepflegt. Im Klartext: Das Altdorfer
Volksmusikzentrum ist weder ein Konzertveranstalter noch ein Geldverteiler. Wenn es
selber Publikumsanlässe durchführt, dann tut es dies in erster Linie, um die selber oder von
Partnern gezüchteten Gewächse der Öffentlichkeit vorzustellen. Wenn es sich -immer im
Rahmen seiner beschränkten Möglichkeiten - personell oder finanziell engagiert, dann vor
allem im Hinblick auf einen späteren „Gewinnrückfluss“ ideeller oder materieller Art. Das
Volksmusikzentrum betreibt also ein Nullsummenspiel, bei dem alle Beteiligten Gewinner
sind; was am Ende herausschaut, ist das, was zuvor hineingesteckt wird. Oder wie der Urner
zu sagen pflegt: Wer will nä, müäss äü wèllä gä.
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Swiss Society for Ethnomusicology CH-EM
Schweizerische Gesellschaft für Ethnomusikologie
Société Suisse d’Ethnomusicologie
Società Svizzera d’Etnomusicologia
Societad Svizra d’Etnomusicologia
Die CH-EM bezweckt die Förderung aller Bestrebungen, die der Dokumentation, Erforschung und Verbreitung traditioneller und populärer Musik aller Länder dienen, einschliesslich der entsprechenden Formen des Tanzes und des Theaters. Sie vertritt als
National Committee Switzerland die Interessen des International Council for Traditional
Music (ICTM) in der Schweiz. Die Mitgliedschaft steht allen natürlichen und juristischen Personen offen, die sich für die Tätigkeiten der CH-EM interessieren.
La CH-EM a pour but d’encourager toutes les actions mises en faveur de la documentation, de la recherche et de la diffusion des musiques traditionnelles et populaires de tous
les pays, y compris les formes de danse et de théâtre qui leur sont liées. Elle représente
en tant que Comité national suisse les intérêts en Suisse de l’International Council for
Traditional Music (ICTM). L’adhésion est ouverte à toute personne physique et morale
s’intéressant aux activités de la CH-EM.
La CH-EM ha come scopo quello d’incoraggiare tutte le azioni volte a favorire la documentazione, la ricerca e la diffusione delle musiche tradizionali e popolari di tutti i paesi,
comprese le forme di danza e di teatro ad esse collegate. La CH-EM rappresenta in Svizzera gli interessi dell’ International Council tor Traditional Music (ICTM). L’adesione è
aperta a qualsiasi persona fisica e giuridica interessata alle attività della CH-EM.
La CH-EM ha la finamira da sustegnair mintga acziun en favur da la documentaziun, perscrutaziun e diffusiun da las musicas tradiziunalas e popularas da tut ils pajais, cumprais
las furmas relativas da saut e teater. La CH-EM represchenta sco Comité naziunal svizzer
ils interess da l’International Council for Traditional Music (ICTM). La commembranza
è averta a tut las persunas natiralas e giuridicas che s’interessan per las activitads da la
CH-EM.
CH-EM c/o Musikethnologisches Archiv, Andreasstrasse 15, CH-8050 Zürich,
E-Mail: [email protected]
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Das Projekt „Ethnomusicology interactive“
von Raymond Ammann
Gegenstand des Projektes ist die Entwicklung eines internetbasierten Kurses in Musikethnologie (Ethnomusicology Interactive – EMI), der aus einer flexibel erweiterbaren Anzahl exemplarischer und interaktiv
präsentierter musikethnologischer Fälle zusammengesetzt ist. Der Kurs kann in die Studiengänge der
unterschiedlichen Hochschultypen integriert werden. EMI verfolgt dabei folgende zwei Hauptziele:
- Im Zusammenhang mit der Einführung von BA/MA Studiengängen soll mit EMI die Vertiefungsrichtung
Musikethnologie an Schweizer Hochschulen ermöglicht werden.
- Authentisches Dokumentationsmaterial sowie Ausstellungsstücke verschiedener Museen sollen für
Lehrzwecke didaktisch aufbereitet zugänglich gemacht werden.
EMI präsentiert musikethnologische Themen aus der ethnologischen und musiktheoretischen Perspektive
und ist damit sowohl für die Musikwissenschaft und die Musikerausbildung als auch für das Studium der
Sozialwissenschaften (Ethnologie, Kulturwissenschaft, Kunstwissenschaft) als Lehrmittel geeignet. EMI
kann auf universitärer Ebene und auf der Ebene der Fachhochschule (Hochschulen für Musik) eingesetzt
werden; auch für Besucher von Kulturmuseen können ausgewählte Module in den Ausstellungsräumen
zugänglich gemacht werden.
Durch die Finanzierung des Lean Tech Net der Universität Basel, konnte im Herbst/Winter 04-05 ein
Pilotmodul erstellt werden. Das Gesamtprojekt wird seit Januar 2006 vom Swiss Virtual Campus finanziell unterstützt und soll bis Ende 2007 abgeschlossen werden. Verschiedene Musikethnologen von
CH-EM sind am Projekt beteiligt.
Startseite zum PC-Programm „Ethnomusicology interactive“
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Essere tradizionale per essere moderno
La musica timbila dei Chopi del Mozambico
di Moira Laffranchini
Le scienze umane hanno conosciuto questi ultimi anni un interesse crescente attorno alla questione della
tradizione e della modernità al seguito dei lavori di Terence Ranger, Eric Hobsbawn, Bruno Latour, o
ancora di Mondher Kilani, come pure di filosofi africani come P.E.A. Ilungo con Tradizione africana e
razionalità moderna o Marcien Towa. L’antropologia dapprima e l’etnomusicologia poi, non sfugge a
questo dibattito; ma alla luce delle ricerche effettuate in Mozambico attorno alla musica timbila sembrerebbe che questa dicotomia, tradizione-modernità, non sia scientificamente sostenibile. Ne è l’esempio
l’utilizzazione che Simão, e come lui altri giovani musicisti chopi, fa della tradizione musicale per integrasi
alla modernità, tradizione analizzata attraverso la mediazione scientifica dei lavori dell’etnomusicologo
Hugh Tracey.
Mentre per molto tempo i due concetti sono stati frequentemente utilizzati in opposizione l’uno all’altro
oggi si è più propensi ad applicarli congiuntamente. Nella nostra ricerca di terreno siamo arrivate alla
conclusione che l’utilizzazione contemporanea del timbila1 come postulato decostruttivo della dicotomia
tradizione-modernità era indispensabile per capirne la sua utilizzazione e evoluzione durante i secoli.
Nella nostra prospettiva, il ritorno alla tradizione diventa quindi indispensabile per accedere al mondo
moderno.
Le fonti inglesi e portoghesi fanno risalire il gruppo Chopi ai Chona-Caranga e alla regione dell’Africa
centrale del XV secolo. Missionari, antropologi e viaggiatori hanno riconoscito la particolarità del gruppo
chopi come ad esempio l’organizzazione sociale e militare, la particolare libertà delle donne, la costruzione delle case e così pure della musica. Nel XIX secolo si assiste nell’insieme dell’Africa australe alle
conquiste e invasioni degli zulu ai quali i chopi hanno sempre resistito fisicamente e soprattutto culturalmente, in particolare attraverso la musica timbila. Con la conquista portoghese del Mozambico i chopi
sono poi dispersi fra la provincia di Inhambane, loro luogo di origine, la capitale Lourenço Marques,
oggi Maputo, e la vicina Africa del Sud.
L’etnomusicologo sudafricano di origine inglese Hugh Tracey si interesserà durante gli anni quaranta alla
musica chopi fino a pubblicare una monografia molto dettagliata dedicata a questo genere musicale e alla
sua espressione culturale. Con Chopi Musicians : their music, poetry and istruments (1970; prima ed.
1948) Tracey attesta l’importanza di questa musica e dà inconsapevolmente l’inizio al suo interessamento
scientifico, politico e culturale. I suoi lavori e quelli di etnomusicologi che hanno seguito la sua scia, hanno
dimostrato che il timbila è contemporaneamente un’arte musicale, strumento e coreografia; esso non è
solamente una manifestazione culturale bensì una parte essenziale della produzione-riproduzione sociale
che ristabiliva con chiarezza la geopolitica etnica: ma soprattutto il timbila era un mezzo privilegiato per
la critica sociale. I timbileiros erano quindi i veri interpreti della loro cultura, erano senza dubbio i più
abili a contestualizzare l’eredità lasciatagli dagli antenati. Insomma, tramite il timbila i chopi stabilivano
i criteri estetici per apprendere il bello, per determinare il giusto, la musica diventa uno strumento per
stabilire l’ordine sociale nuovo, ricavato da un ordine storico.
Tre momenti sono fondamentali per capire la storia del popolo chopi, momenti che provocheranno delle
ripercussioni marcate sulla loro identità e che si riveleranno di conseguenza fondamentali per l’analisi
etnomusicologica per la comprensione del timbila. Questi fattori storici sono l’invasione zulu, la colonizzazione portoghese e l’ottenimento dell’indipendenza politica del Mozambico nel 1975. Ora, questi
tre elementi possono essere qualificati di fattori di origine esogena:
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- agli zuli i chopi non si sono mai sottomessi malgrado siano stati arruolati come guerrieri grazie alla
loro abilità con l’arco2; anzi, la musica è servita per lottare culturalmente a questa sottomissione e a
criticare l’assimilazionismo zulu. Ciò non ha nondimeno impedito ai chopi di adottare l’abbigliamento
e una coreografia di origine zulu;
- la colonizzazzione portoghese del Mozambico porta i responsabili politici a sfruttare il timbila per la difesa
della causa coloniale facendo adattare i contenuti poetici e le melodie ad uno stile più occidentale;
- allo stesso tempo che il potere coloniale sostituitsce i capi tradizionali e obbliga l’adattamento musicale, i chopi partecipano alla resistenza politica e culturale con la creazione dapprima di canti legati al
movimento di liberazione del Mozambico e dopo l’Indipendenza, di canti che esprimevano la ritrovata
libertà e l’appartenenza nazionale.
Culturalmente e etnologicamente si può quindi affermare che durante queste tre fasi di cambiamento, i
chopi abbiano sempre saputo proteggere, conservare e riaffermare la loro specificità etnica malgrado i
ripetuti attacchi.
In questo contesto storico la pubblicazione di Chopi Musicians di H. Tracey svolge un ruolo non secondario
catalizzando l’interesse attorno a questa musica di ambienti svariati: come già citato, il potere politico
obbliga l’adattamento musicale e dei contenuti alla causa coloniale; in seguito sarà la volta dell’inculturazione religiosa, in quanto questo strumento dopo il Concilio Vaticano II tenutosi nel 1962, permette
agli strumenti e alle lingue tradizionali di essere utilizzate per accompagnare la messa ; quindi il timbila
si adatterà ad intonare gli inni a Dio. A questo livello subentra la decostruzione critica della danza: Padre
Fonseca, musicologo di origine chopi, accetta senza problemi lo strumento timbila in chiesa, ma nega
assolutamente l’accompagnamento dell’omonimo ballo in quanto di origine guerriera, di conseguenza
contro il messaggio di pace veicolado dal cristianismo. Tuttavia, non bisogna dimenticare che dei testi
storici attestano l’esistenza dell’orchestra timbila già nel XVI secolo, mentre la danza che è stata tramandata fino ad oggi sarebbe verosimilmente originaria del XIX secolo, periodo delle invasioni zulu nel sud
del Mozambico. Non da ultimo il timbila cerca di uscire dal quadro tradizionale per conquistare il jazz.
L’opera di Tracey significa da una parte il primo trattamento sistematico e musicale del timbila e dall’altra il riconoscimento di questa musica e danza nell’ambito dell’etnomusicologia. Questa monografia
è diventata un classico dell’etnomusicologia mozambicana e per tutti gli studi della musica chopi; ecco
perché quest’autore è diventato paradigmatico e di passaggio obligato per l’apprendimento del timbila.
Ma i risultati delle ricerche di Tracey vennero pubblicati in un momento estremamente critico della vita
identitaria dei chopi, i quali dopo tante resistenze storiche e la difesa della propria identità contro l’attacco
degli zulo, dei shangana, dei portoghesi, avevano perso tutta la capacità di resistere a nuove pressioni
contro il loro orgoglio etnico, separati e dispersi a causa del chibalo3 tra São Tomé, le miniere d’Africa
del Sud e il servizio della nettezza urbana di Maputo. Ci sembra poter difendere l’idea che nonostante
la musica abbia sempre accompagnato la vita culturale chopi, il lavoro di Tracey offre l’opportunità di
avere un nuovo spazio per l’affermazione dell’orgoglio identitario. Di conseguenza, le sue ricerche modificano lo statuto della musica presso i chopi stessi e trasforma la stessa musica in strumento di orgoglio
identitario più rivolto verso l’esterno che verso l’interno. Infatti, dalla pubblicazione di Chopi Musicians
la tribù-etnia chopi classificata etnograficamente come parte del gruppo tsonga secondo l’etnografo e
missionario Henri-Alexandre Junod (1936), si è affermata come un gruppo indipendente e autonomo
sostenuto dalle importanti differenze rispetto ai gruppi vicini e in particolare si presenta come gruppo di
musicisti detentori dell’esclusività della musica timbila ormai aprezzata e riconosciuta in tutto il paese.
52
Il termine timbila designa allo stesso tempo lo strumento, uno xilofono di legno con casse di risonanza fatte con l’involucro del
frutto sala (pl. masala), come pure la musica prodotta e la danza che l’accompagna.
53
In questa moltitudine di movementi i chopi tentano di riappropriarsi della loro musica ma soprattutto del
paradigma « Tracey dixit ». Infatti le ricerche di Tracey non hanno avuto solo il pregio di far conoscere
la musica timbila ma hanno, malgrado lui, fissato un’immagine della tradizione vista come la sola vera
e autentica. I chopi, timbileiros e comunità tutt’intera, sotto l’influenza del mondo scientifico integrano
quindi quella tradizione descritta da Hugh Tracey negli anni quaranta. In questo senso, si può senza
dubbio affermare che i chopi siano stati inventati etnomusicologicamente a partire dalle pubblicazioni
di Tracey.
Nel frattempo il Mozambico conquista la sua indipendenza nel 1975 e il partito unico FRELIMO di stampo
marxista-leninista è al potere. Immediatamente si assiste alla nascita di un’etnomusicologia rivoluzionaria e politizzata che scaturisce con il 1° Festival Nazionale di Danza Popolare attuato con il postulato
ideologico « eliminare l’etnia per far nascere la nazione ! ». Nel documento di base dell’organizzazione
del festival (1977) si può leggere “…facciamo del 1° Festival Nazionale di Danza Popolare non un mero
spettacolo culturale, ma un grande avvenimento politico che contribuisca al rinforzo dell’UNITÀ e alla
consolidazione del POTERE POPOLARE…”4. I mozambicani hanno allora imparato a conoscere i balli
di tutti i gruppi del paese, di cui alcuni hanno avuto un grande impatto sulla popolazione. Allo stesso
tempo, la tradizione musicale è stata messa al servizio della “nazione” e delle sue finalità unificatrici.
Al seguito del festival si assiste alla nascita del sincretismo musicale del Gruppo Nazionale di Canto
e Danza, gruppo formato da ballerini provenienti da tutte le regioni del paese che interpretano canti e
danze mozambicane con lo scopo di farle conoscere all’interno del paese come pure all’estero. Una volta
di più si assiste all’utilizzazione della musica mozambicana in generale e quella chopi in particolare,
per soddisfare i bisogni dell’ideologia politica. La tradizione è ancora una volta chiamata a manifestarsi
sotto forma attualizzata.
Con la fine di una terribile guerra detta civile (1978-1990), ma in realtà estensione della guerra fredda, il
Mozambico proclama la seconda repubblica nel 1992 con base democratica molto chiara ma con la necessità di dare a questa democrazia uno marchio locale. In questo quadro le tradizioni endogene adulterate
dal colonialismo portoghese e abbandonate dal marxismo della prima repubblica hanno conosciuto un
fulgurante risorgimento. È così che gli organismi internazionali finanziano volentieri le manifestazioni
di pratiche culturali del passato viste come una forma di sostenere la democrazia nascente. Tra queste
pratiche culturali, una delle più riuscite è senza dubbio il rewivals dello msaho. Come si trattava di ritornare alle origini, il passo è stato breve per recuperare gli scritti autorevoli Huhg Tracey. In questo senso
coincide la rinascita timbila con la figura dell’etnomusicologo sudafricano; o meglio ancora, è tramite la
lettura e reinterpretazione delle ricerche di Tracey che il rewivals chopi sarà possibile.
È così che i bisogni della modernità politica passano per la mobilizzazione della detta tradizione ancestrale
e contrariamente ai luoghi comuni, questo processo non è svolto dagli africani stessi bensì dagli “esperti”
politologi, cooperanti e scienziati i quali subordinano il modello ideale della democrazia occidentale a
una struttura storica che passa per degli elementi indigeni culturalmente radicati nel momento stesso
in cui gli africani sembrano abbandonare le loro pratiche per adattarsi a quelle per l’appunto di origine
occidentale.
Infatti, molti esempi di questo ritorno alla tradizione come condizione alla modernizzazione possono
essere menzionati nella storia etnomusicologica chopi; questo va dalle figure storiche come i compositori-informatori analizzati da Tracey, Catini e Gomukomu, si trova nei compositori più recenti come
Mbande che da minatore in sudafrica diventa professore invitato in diverse accademie in Europa e negli
Stati Uniti, in viaggio perenne per esibirsi in tutti i teatri del mondo, o come Massangai che da operatore
ecologico diventa star del “Gruppo Nazionale di Canto e Danza”, compositore, direttore e soprattutto
manager del “Timbila ta Xipamanine”, gruppo ormai mitico della capitale mozambicana.
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La relazione fra tradizione e modernità è messa particolarmente in luce dal percorso di un giovane chopi di
nome Simão; alla base un giovane qualsiasi che sogna la città, il successo e che vede il suo villaggio e la
sua cultura come una prigione che non gli darà mai nulla. Come tanti altri giovani, e soprattutto come tanti
altri uomini, Simão lascia Zavala per Maputo. Lí si dirige nel quartiere di Xipamanine dove si concentra
per l’essenziale la comunità chopi. D’apprima si arrangia come può facendo il venditore ambulante, poi
scopre il gruppo timbila che ripete nella corte del servizio della nettezza urbana: a poco a poco si rende
conto che quella musica tradizionale ha una certa importanza, è riconosciuta dagli etnomusicologi, apprezzata dal pubblico internazionale per il quale il gruppo ha l’abito di intrattenere e svolge pure il ruole
di catalizzatore della mozambicanità, o dell’unità nazionale. La sua ascensione passa per la “Casa della
Cultura dell’Alto Maé”, centro culturale di quartiere fondato durante l’epoca marxista-leninista, dove è
impiegato come timbileiro professionista per accompagnare le danze tradizionali di tutto il paese come
pure i teatri lì prodotti. Successo porta successo, e Simão sarà chiamato ad occupare un posto ancora più
importante nel “Gruppo Nazionale di Canto e Danza”. Allo stesso tempo partecipa con il suo gruppo
Silita formato con il percussionista e compositore Lourindo Cuna e con la cantante e compositrice Tania
Jacob ad un concorso musicale indetto dal “Centro Culturale franco-mozambicano” con la collaborazione dell’Ambasciata Francese. I tre artisti vincono inaspettatamente il concorso e come premio saranno
invitati a Parigi per registrare il loro primo CD intitolato Ziva Tako (Lusafrica, 2001).
Grazie al timbila Simão realizza qualche cosa che non aveva mai né pensato né sognato; dalla sua partenza da Zavala le sue condizioni materiali sono andate migliorandosi di giorno in giorno ottenendo non
soltanto un lavoro ma soprattutto delle conoscenze professionali. Il suo successo è indubbiamente legato
a quella “cultura” dalla quale voleva per l’appunto distanziarsi con l’atto della partenza, del viaggio.
Ma la vita ha voluto che proprio la sua ispirazione di compositore, proprio la sua anima di artista, fosse
intrinsicamente legata alla tradizione. Tuttavia le musiche di Simão non si possono qualificare né di moderne né di tradizionali: non sono tradizionali perché non entrano nello schema del ngodo5ma neanche
degli altri “stili” di musica timbila e soprattutto perché non vogliono ricreare la tradizione. Simão vuole
apertamente comporre della musica più sincretica, vuole essere libero di esprimersi attraverso la musica
e non seguire delle regole prestabilite da chicchessia. Allo stesso tempo le sue composizioni non sono
per niente “moderne” in quanto si basano fondamentalmente su delle composizioni antiche in particolare
per quanto concerne la struttura cellulare. Prova ne è la dedica del suo primo CD Ziva Tako (2001): Em
primeiro lugar agradecemos aos nossos avôs que nos ensinaram a música tradicional e preservaram
os próprios instrumentos6. Questa attitudine ricorda quella di Weldon Johnson, intellettuale della Black
Renaissance, che lascia Harlem per andare al sud degli Stati Uniti alla ricerca dello “spirito del passato”
e delle melodie che racchiudevano questo spirito. L’idea di Johnson non era quella di ritornare al sud
e ancora meno di ritornare alla schiavitù bensì quella di ritrovare gli aspetti del passato suscettibili di
sopportare l’avventura verso il futuro. Questa attitudine sembra accompagnare anche Simão nella sua
avventura musicale.
Questi esempi mostrano come la tradizione contrariamente all’immagine comunemente accettata nella
cultura occidentale di permanenza del passato nel presente, dell’antico che persiste nel nuovo, non sia un
“qualche cosa” di un passato sorpassato (un passé dépassé). Al contrario, conforme alla teoria sostenuta
da Gérard Lenclud (1987), la tradizione è un elemento culturale fondamentale, in costante movimento,
quindi mai fissata, e che è sempre pronta per essere reinterpretata per i bisogni del presente e del futuro;
bisogna abbandonare il presupposto che la tradizione esista già pronta per essere registrata e che quindi gli
uomini la riceverebbero passivamente, la conserverebbero ripetendola in modo stereotipato; e in secondo
luogo, bisogna abbandonare il presupposto che la tradizione sia racchiusa nel passato. Questa nozione di
tradizione associa in realtà tre idee molto differenti e neppure coerenti fra loro: quella di conservazione
nel tempo, quella di messsaggio culturale, quella di modo particolare di trasmissione. Lenclud (1987)
aggiunge “Non si tratta di mettere il presente nel passato ma di trovare in quest’ultimo lo schizzo di
soluzioni che crediamo giuste oggi non perché sono state pensate ieri ma perché le pensiamo oggi”.
Quindi non è più il passato che produce il presente bensì il presente che modella il suo passato. La storia
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dei chopi mostra chiaramente questo dialogo fra tradizione e modernità o, come detto più sopra, l’indispensabile attualizzazione del passato per l’adattamento alla realtà del momento.
Anche il filosofo mozambicano Severino Elias Ngoenha nel suo libro Por uma dimensão moçambicana
da consciência histórica (1992) va in questo senso. Egli sostiene che dopo l’ultima rivolta armata all’interno del Mozambico -la grande insurrezione dello Zambese e la rivolta makonde del 1917- la resistenza
mozambicana si è cristallizata sotto forma poetica e musicale. In effetti, la resistenza all’interno del Mozambico ha continuato a svilupparsi in modo creativo attraverso i balli, la letteratura orale e la musica,
grazie ai quali la gente poteva esprimere le proprie preoccupazioni. Le canzoni che facevano sovente
riferimento in maniera diretta o indiretta a delle esperienze collettive sono le più accessibili fra quelle
manifestazioni, riflesso della coscienza popolare e dell’identità di un gruppo determinato. Le quarantasei
canzoni raccolte da Hugh Tracey illustrano questo modo di scrivere la storia sociale e attestano altresì la
capacità dei timbileiros di attualizzare le proprie risorse, in questo caso attraverso la musica, e di portare
la tradizione a contribuire per il presente.
In definitiva, i chopi non hanno mai smesso di sottomettersi a svariate metamorfosi in nome di ciò che
i diversi sguardi esogeni percepivano come essere la tradizione al fine di non perdere di vista la loro
modernità. In altri termini, la storia moderna dei chopi, o meglio, resa moderna dal contatto con il sapere
scientifico occidentale che comincia con Tracey, consiste in realtà in appropriarsi della valorizzazione
assiologica occidentale, in particolare dell’etnomusicologia, per affermare un’identità. Dato che lo statuto
societale della scienza occidentale prima per questa dimensione del sapere e dopo per la relazione di forza
tra sapere e potere come sosteneva Foucault, faceva che i risultati della ricerca scientifica risultassero più
importanti del sapere tradizionale non solo per la scienza e gli occidentali ma anche per gli indigeni con il
loro sapere. I diversi timbileiros sono realmente degli ermeneuti che hanno accettatto di assumersi questo
ruolo e di sottomettere la loro comprensione della tradizione alla comprensione che l’etnomusicologia
aveva della tradizione come condizione della legittimazione della loro musica esteriorizzata da eventi come
l’interesse della ricerca scientifica, la partecipazione all’esposizione universale in Portogallo, l’interesse
per la fusione jazz, l’inculturazione religiosa post-Vaticano II, dai festivals nazionali e vari rewivals.
I chopi nello sguarso occidentale sono stati sempre tradizionali, vale a dire gli altri, i diversi, produttori
di musica altra. Tuttavia, ciò che ha sempre attirato l’attenzione dei moderni non è la loro tradizionalità
bensì la somiglianza analogica della loro tradizionalità (musicale) alla modernità occidentale. Ciò significa
che la modernità è l’elemento regolatore.
Se i chopi pre-traceyani erano dei veri conservatori della tradizione, i principali apologeti de mantenimento di un ordine gerarchico-politico contre gli attacchi esterni, i chopi post-traceyani si dimostrano
molto permeabili e si appropriano, come lo avevano già fatto con la danza zulu, delle influenze esogene
diminuendo così la dimensione nazionalistica. La prova di quest’apertura risiede nello spostamento dell’asse interpretativo che hanno operato i msicisti in seguito all’impato dei lavori di Hugh Tracey; essi si
rendono conto dell’importanza che la loro musica può avere e sfruttano questa possibilità per rivendicare
una particolarità storica. La musica risulta essere l’unico elemento che il mondo esterno gli riconosce al
punto di identificarla non tanto come una musica etnica bensì nazionale, simbolo della mozambicanità7
(unità nazionale). Sarà quindi il timbila a permettere l’affermazione del gruppo di fronte ai gruppi vicini
(shangana, tsonga), al resto del paese e internazionalmente.
56
Referenze bibliografiche
Dide Munguambe, Amândio
2000
1977
A Música chope. Maputo: Promédia.
Documentos de base sobre a organização do I° Festival
Nacional de Dança Popular
Ministério da Educação e Cultura. Maputo: Imprensa
Nacional.
Junod, Henri-Alexandre
1936
Moeurs et coutumes des Bantous. Paris: Payot.
Laffranchini, Moira
1997
“Musique et identité culturelle chopi”.
Tsantsa 2, 146-150.
2001
“The two rewivals of the timbila dance: 1975 and 1994”, Actes du
colloque du groupe d’étude en ethnochoréologie de l’ICTM (Inter
national Council of Traditional Music), Korcula, Institut
d’ethnologie, Zagreb.
Lenclud, Gérard
1987
“La tradition n’est plus ce qu’elle était… Sur les
notions de tradition et de société traditionnelle en ethnologie”.
Terrain 9, oct., pp. 110-123.
Ngoenha, Severino Elias
1992
Por uma dimensão moçambicana da consciência
histórica. Porto: Edições Salesianas.
Tracey, Hugh
1970 (1948)
Chopi Musicians: Their Music, Poetry and
Instruments. International African Institute, Oxford University
Press.
Discografia
Giger, Peter
1993
Mozambique meets Europe. Featuring Peter Giger’s
Family of Percussion & Friends and Grupo Timbila Eduardo Durão.
Frankfurt: B&W Music.
Mbande, Venâncio
1994
Timbila ta Venâncio Mbande. Xilophone Music from
the Chopi People. Berlin: Haus der Kulturen der Welt.
Silita
2001
Ziva Tako. Pantin, France: Lusafrica.
(Footnotes)
1
Il termine timbila designa allo stesso tempo lo strumento, uno xilofono di legno con casse di risonanza fatte con
l’involucro del frutto sala (pl. masala), come pure la musica prodotta e la danza che l’accompagna.
2
Infatti la parola “chopi” deriva da ku tchopa che significa tirare all’arco.
3
Chibalo, in portoghese, designa la deportazione per i lavori forzati.
4
Nostra traduzione.
5
Significa tutta l’orchestra, i ballerini, ma soprattutto designa l’insieme dei pezzi musicali, traducibile anche con
“opera”.
6
In primo luogo ringraziamo i nostri nonni che ci hanno insegnato la musica tradizionale e preservarono i propri
strumenti.
7
Dall’indipendenza del paese la radio nazionale (Radio Moçambique) inizia la programmazione alle quattro del
mattino con un pezzo di timbila composto negli anni quaranta dal grande maestro Catini, intervistato da Huhg
Tracey.
57
Die UNESCO-Konvention zur Bewahrung des
immateriellen Kulturerbes
von Marc-Antoine Camp
Nach jahrelangen Bestrebungen zur Schaffung eines verbindlichen internationalen Rechtsinstruments
zum Schutz der Folklore haben die Mitgliedstaaten der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung,
Wissenschaft und Kultur (UNESCO) an ihrer 32. Generalkonferenz am 17. Oktober 2003 in Paris die
Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes (kurz: KIKE) verabschiedet.1 Das Rechtsinstrument bezweckt die Pflege und die Förderung des immateriellen Kulturerbes (kurz: IKE), welches
traditionelle kulturelle Ausdruckweisen, Praktiken und Wissensbestände in ihrer kreativen Vielfalt umfasst.
Die Vertragsstaaten der KIKE sind auf nationaler Ebene und durch internationale Zusammenarbeit dazu
angehalten, die Rahmenbedingungen für die vielfältige Praxis und die intergenerationale Weitergabe des
IKE sicherzustellen, wobei deren Träger eingeschlossen werden und sich aktiv bei der Ausgestaltung von
Bewahrungsmassnahmen beteiligen sollen. Zahlreiche Staaten aus allen Weltregionen haben sich bereits
dem Übereinkommen verpflichtet, und auch die Schweiz plant nun dessen Ratifikation.
Im folgenden Text gehe ich genauer auf die KIKE ein und behandle ihren grundlegenden Ansatz (die
Konzeption von Folklore als Kulturerbe), ihren Gegenstandsbereich (den Begriff des immateriellen
Kulturerbes) und die empfohlenen Eingriffe in die Praxis des IKE (den Begriff der Bewahrung). Beim
Versuch, die wichtigsten Punkte des Konventionstextes auszulegen, werden zahlreiche konkrete Fragen
auftauchen, die sich auch bei der internationalen und den nationalen Umsetzungen des Übereinkommens
stellen werden. Die KIKE zeigt sich als begrifflich neuartiges internationales Übereinkommen, das zwar
wenige direkte Verpflichtungen für die Vertragsstaaten enthält, dafür einen kulturpolitisch wegweisenden
programmatischen Charakter aufweist.
1) Folklore als Kulturerbe?
Die KIKE reiht sich in die relativ junge Kulturerbe-Politik des 20. Jahrhunderts ein, welche seit den
1950er Jahren mit verschiedenen Abkommen eine internationale Dimension der Normsetzung erlangte.
Federführend war dabei die 1945 gegründete UNESCO. Diese hatte sich mit ihrer Verfassung zur Erhaltung des Welterbes („world’s inheritance”), zum Schutz von Kunstwerken, historischen Monumenten
und geistigen Erzeugnissen verpflichtet.2 Ihrem Auftrag kam die UNESCO durch Programme und durch
zahlreiche Erklärungen und Empfehlungen nach, welche die Konzeption des „Erbes“ (frz. „patrimoine“, engl. „heritage“) zum festen Begriff des Völkerrechts und staatlicher Kulturpolitiken gemacht
haben. Ebenso hat die internationale Gemeinschaft im Laufe der Jahre durch die UNESCO verbindliche
Schutzvereinbarungen für bewegliche und unbewegliche Kulturgüter sowie Naturlandschaften erlassen.
Die bedeutendsten unter diesen Konventionen zeigen das offensichtlich zunehmende Bedürfnis nach
internationalen Regelungen der Kulturerbe-Bewahrung, widerspiegeln dabei auch ihre jeweiligen Entstehungskontexte:3 Der kriegsrechtliche Kulturgüterschutz4 entstand nach den gewaltigen Zerstörungen
des Zweiten Weltkriegs, die viele Kulturgüter in Mitleidenschaft gezogen hatte; das Übereinkommen
über den Kulturgütertransfer5 war von der nationalen Ausrichtung der postkolonialen Staatenordnung
her motiviert, in der junge unabhängige Staaten durch Ein- und Ausfuhrregelungen für Kulturgüter
Ansprüche auf ihr identitätsstiftendes Kulturerbe einbrachten; und das Übereinkommen zum Schutz des
Kultur- und Naturerbes der Welt (kurz: Welterbe-Konvention von 1972)6 schloss an bestehende nationale
Regelungen über unbewegliche materielle Elemente an – in der Schweiz an die Regelungen des Naturund Heimatschutzes7 – und nahm das entstehende Bewusstsein um die Zusammenhänge von kulturellen
und natürlichen Ressourcen für eine nachhaltige Entwicklung auf.
Auch die KIKE ist als Ausdruck ihrer Zeit zu verstehen. Kulturelle Traditionen, Tanz, Theater, Musik
sowie traditionelle Wissensbestände und Fertigkeiten rückten in den 1990er Jahren stärker ins gesell-
58
schaftliche Bewusstsein. Indem die Globalisierung mit der raschen Ausbreitung der Marktwirtschaft, den
Entwicklungen der Kommunikationstechnologie und den Möglichkeiten der digitalen Vervielfältigung
immer stärker auch immaterielle Bereiche erfasste, indem kulturelle Angleichungstendenzen zwischen
Gesellschaften sich beschleunigten und indem Minderheiten-Gruppen grössere Aufmerksamkeit auf ihre
kulturellen Eigenheiten lenken konnten, wuchsen die Forderungen nach Bewahrungsmassnahmen der
weltweit vielfältigen traditionellen Kulturen.
Es waren vor allem Entwicklungsländer mit ihrem reichen IKE, die in jüngerer Zeit diese Ausweitung
des Kulturerbe-Schutzes auf immaterielle Bereiche eingefordert und die Schaffung einer Konvention
vorangetrieben haben. Für die KIKE stark gemacht haben sich ferner zahlreiche Länder Osteuropas und
Ostasiens, darunter vor allem Japan, wo bereits in den 1950er Jahren erstmals nationale Regelungen zur
Bewahrung des IKE erlassen worden waren.8 Die Entstehungsgeschichte der KIKE geht aber weiter zurück. Bereits mit der Verabschiedung der Welterbe-Konvention von 1972 hatten sich Länder des Südens
um Schutzregelungen und Bewahrungsmassnahmen für das IKE bemüht.9 Dabei zielten die Forderungen
jedoch nicht auf eine Erweiterung des materiellen Kulturerbes auf immaterielle Kulturaspekte, sondern
es dominierte ein immaterialgüterrechtlicher Ansatz. Die urheberrechtlich als Gemeingut bestimmte
„Folklore“ sollte im Anschluss an die Revisionen der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der
Literatur und Kunst (kurz: Berner Übereinkunft) in den Jahren 1967 in Stockholm und 1971 in Paris unter
einen umfassenden staatlichen Schutz gestellt werden.10 Bis in die 1980er Jahre erörterte die UNESCO
in Zusammenarbeit mit der UNO-Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO) verschiedene Optionen für einen solchen Schutz.11 1989 verabschiedeten die UNESCO-Mitgliedstaaten schliesslich die
Empfehlung zum Schutz der traditionellen Kultur und Folklore (kurz: UNESCO-Empfehlung von 1989),
die den Mitgliedstaaten Richtlinien zu Identifizierung, Bewahrung, Verbreitung und Schutz von Folklore
bietet.12 An der WIPO wiederum prüft seit 2000 ein zwischenstaatliches Komitee (Intergovernmental
Committee on Intellectual Property and Genetic Resources, Traditional Knowledge and Folklore, kurz:
ICG) Optionen für einen international verbindlichen Schutz des IKE, welches dort unter den (mit dem
IKE nicht ganz deckungsgleichen) Begriffen „traditionelles Wissen“ und „traditionelle kulturelle Ausdrucksweisen“ erfasst wird.13 Diskutiert werden dabei die Möglichkeiten, dass deren Träger die Erlangung
von Rechten über ihr traditionelles Wissen und ihre traditionellen kulturellen Ausdrucksweisen durch
Dritte verhindern können („’defensive’ protection“) oder auch Schutzrechte im Hinblick auf kommerzielle
Nutzung erwerben können („’positive’ protection“).
Die Diskussionen an der WIPO wurden aufgenommen, weil sowohl die Regelung der revidierten Berner
Übereinkunft und die im Laufe der 1970er und 1980er Jahre entwickelten Modelle für einen umfassenden Schutzes von Folklore wie auch die als soft law kaum Wirkung entfaltende UNESCO-Empfehlung
von 1989 in Expertentreffen und Studien im Laufe der 1990er Jahre als unbefriedigend eingeschätzt
worden waren.14 Jedoch scheinen in den gegenwärtigen Diskussionen die bereits früher angesprochenen
Probleme eines immaterialgüterrechtlichen Schutzes von Folklore auf. Denn es hat sich als äusserst
schwierig erwiesen, eine immaterialgüterrechtliche Globallösung zu finden, welche die unterschiedlichen
nationalen und lokalen Schutzforderungen einschliessen könnte, dem IKE angemessen und praktikabel
ist. Ausserdem zeigten die bisherigen Erörterungen, dass nur ein Teil des IKE als geistiges Eigentum
ein grösseres ökonomisches Nutzungspotential aufweist und viele Trägergruppen des IKE nicht über die
Voraussetzungen zur Einforderung ihrer Rechte verfügen (beispielsweise, weil sie Analphabeten sind).
Die Durchsetzung immaterialgüterrechtlicher Regelungen für das IKE könnte deshalb nur mit einer Reihe aufwendiger Massnahmen gelingen, die den Rechtszugang der begünstigten Gruppen und Personen
garantieren. Letztendlich bedeutet dies, dass mit solchen Regelungen unverhältnismässig hohe staatliche
Verwaltungskosten entstehen würden.15
Aufgrund der weitreichenden Probleme hat sich die UNESCO im Laufe der 1990er Jahre von ihren
Bestrebungen um Schutzregelungen für Folklore abgewandt. 1997 schuf die UNESCO das Programm
der „Proclamation des chefs-d’oeuvre du patrimoine oral et immatériel de l’humanité“,16 das sich in seinem Ansatz als erfolgreich für die Bewahrung des IKE erwies. Mitgliedstaaten der UNESCO konnten
59
Elemente ihres nationalen IKE für eine internationale Anerkennung nominieren, die dann von einem
Expertengremium begutachtet, in einer internationalen Liste verzeichnet und mit dem Gütesiegel der
UNESCO-“Meisterwerke der Menschheit“ versehen wurden. Dieses Programm richtete sich auf Folklore
wie Volksmusik, Theater und Handwerk, schloss aber auch kulturelle Praktiken im weitesten Sinne sowie
kulturelle Räume ein, in denen traditionelle Aktivitäten konzentriert sind (beispielsweise der Djemna el
Fna Platz in Marrakesch). Im Gegensatz zu einem immaterialgüterrechtlichen Ansatz zum Schutz von
Folklore bot dieses Programm eine gewisse Flexibilität bei der Auswahl bewahrungswürdiger Kulturpraktiken und bei der Ergreifung von Bewahrungsmassnahmen. Zudem wurde mit diesem Programm
der Ausdruck „Folklore“ aufgrund der Weite des Gegenstands, aufgrund seiner vielerorts pejorativen
Konnotationen und früherer Vereinnahmungen durch nationalistische nicht-demokratische Regimes
zugunsten des Begriffs des „immateriellen Kulturerbes“ aufgegeben.17
Die KIKE schloss direkt an dieses Programm der „Meisterwerke“ an, verzichtete wie dieses auf einen
immaterialgüterrechtlichen Schutz des IKE und ging dafür von einem ganzheitlichen Kulturerbe-Ansatz
aus.
2) Immaterielles Kulturerbe?
Der Begriff des „immateriellen Kulturerbes“ kommt im schweizerischen Landesrecht nicht vor. Auch
im Völkerrecht ist der Ausdruck relativ jung. Er fand anfangs der 1990er Jahre im Sprachgebrauch der
UNESCO Eingang und geht auf die Ausdrücke des „immateriellen Kulturgutes“ und des „nicht-physischen
Erbes“ zurück.18 In der KIKE wird das IKE, der Gegenstand der Konvention, in zwei Teilen definiert.
Das IKE umfasst nach dem ersten Teil (Art. 2 Abs. 1 KIKE) Praktiken, Darbietungen, Ausdrucksweisen,
Kenntnisse und Fertigkeiten sowie die damit verbundenen Instrumente, Objekte, Artefakte und Kulturräume, die
(1) im Selbstverständnis ihrer Schöpfer, Träger und Nutzer (Gemeinschaften, Gruppen und
gegebenenfalls Individuen) als Bestandteil ihres Kulturerbes gelten;
(2) den Gemeinschaften und Gruppen ein Gefühl von Identität und Kontinuität vermitteln;
(3) von einer Generation an die nächste weitergegeben werden;
(4) von Gemeinschaften und Gruppen in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, ihrer Interaktion
mit der Natur und ihrer Geschichte fortwährend neu zum Ausdruck und zur Anwendung
gebracht werden;
(5) zur Förderung des Respekts gegenüber der kulturellen Vielfalt und der menschlichen Kreativität
beitragen;
(6) mit den bestehenden internationalen Rechtsinstrumenten zu den Menschenrechten sowie mit
der Forderung nach gegenseitiger Achtung der Gemeinschaften, Gruppen und Individuen
kompatibel sind;
(7) mit einer nachhaltigen Entwicklung im Einklang stehen.
Dieser Katalog von Kriterien bestimmt den Gegenstandsbereich jedoch nicht eindeutig. Vielmehr stellen
sich zahlreiche Verständnis- und Eingrenzungsfragen:
- An erster Stelle enthält der Katalog die Bedingung der selbstbestimmten Qualifizierung einer Praxis als IKE
(Kriterien 1 und 2). Es sind demnach die Träger eines IKE selbst und nicht aussenstehende Experten oder
staatliche Verwaltungsbehörden, die einer Praxis ihren Wert als IKE zuschreiben. Anerkannt wird damit, dass
kulturelle Praktiken primär für ihre Trägergruppen eine sinnstiftende Bedeutung als Kulturerbe besitzen. Die
‚Selbstbestimmungskriterien’ sagen jedoch nichts darüber aus, wie sich Selbstverständnisse von Trägern eines IKE in ihrer Gesamtheit sowie die abstrakten Begriffe „Kulturerbe“ und „Identität“ bestimmen lassen.
60
- Ein Kriterium, welches allgemein bestimmbar und intersubjektiv überprüfbar ist, scheint dann in der
Bedingung der Weitergabe gegeben (Kriterium 3). Unklar ist hierbei jedoch, wie dieses ‚Tradierungskriterium’ zu verstehen ist: Genügt die gegenwärtige Vermittlung an die nächste Generation, damit eine
Praxis als IKE anerkannt werden kann, oder muss die Tradierung belegbar auf mehrere – und wie viele
– Generationen zurückgehen?
- Gleichfalls scheint das ‚Praxiskriterium’ (4) zunächst eine allgemeine Bestimmung des IKE zu ermöglichen, indem allein die „lebendige Kultur“ in den Bereich des IKE eingeschlossen wird, nicht aber
vergangene und nur noch in Dokumentationen zugängliche Ausrucksweisen und Kenntnisse. Jedoch stellt
sich hier die Frage nach den Revitalisierungen oral-aural tradierter Kulturen. Ist in unserem Alltag, der
heute mit Hilfe relativ günstiger Technologien fortwährend dokumentiert wird, die „Auseinandersetzung
mit der Geschichte“, und zwar mit der audio-visuell dokumentierten Geschichte, nicht zunehmend sowohl
ein zentrales Mittel für die Bewahrung von Traditionen als auch eine Quelle der Kreativität?19
- Kriterien (5) bis (7) schliesslich verweisen auf nachhaltige Entwicklung, auf anerkannte Werte und
Menschenrechte aus internationalen Rechtsinstrumenten, wie sie in der Präambel der KIKE explizit
erwähnt sind.20 Dabei hatten die Gestalter der KIKE unmenschliche Praktiken im Blick, die mit Hinweis
auf eine Tradition legitimiert werden, so beispielsweise Mädchenbeschneidungen. Eingeschlossen sind
in diesen ‚Kompatibilitätskriterien’ dann auch stillschweigend die Regelungen des Übereinkommens
zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau.21 Frauen und Männer sollen demnach bei
Bewahrungsmassnahmen des IKE gleichermassen in die Entscheidungsfindungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene eingeschlossen werden.22 Doch finden sich in zahlreichen Praktiken des IKE
gesellschaftlich sanktionierte Rollenaufteilungen zwischen den Geschlechtern, die häufig bestärkender
Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen der Entscheidungsfindung sind. Müssten sich nun nicht zahlreiche
Traditionen grundlegend verändern und gar in der heutigen Form verschwinden, wenn der Forderung
nach Gleichbeteiligung der Geschlechter entsprochen werden soll?
Die aufgeworfenen Fragen zeigen, dass bei der Bestimmung des IKE durch die ‚Selbstbestimmungskriterien’, das ‚Tradierungskriterium’, das ‚Praxiskriterium’ und die ‚Kompatibilitätskriterien’ bewusst
eine gewisse Unschärfe in Kauf genommen wurde. Diese wird auch durch die Konkretisierung des IKE
in einem Katalog der Manifestationen, der den zweiten Teil der IKE-Definition bildet, nicht ausgeräumt
(Art. 2 Abs. 2 KIKE). Das IKE ist demnach unter anderem wahrnehmbar als
(1) traditionelle kulturelle Ausdrucksweisen wie mündliche Erzählungen, Gesänge, musikalische
und theatralische Darbietungen, Tänze;
(2) gesellschaftliche Praktiken wie Initiationsrituale oder Brauchtumsanlässe im Jahreskreis;
(3) traditionelles Wissen im Umgang mit der Natur und dem Universum wie lokale Kenntnisse der
nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen oder der Anwendung von Heilpflanzen;
(4) als Fachwissen traditioneller Handwerkstechniken wie die Verarbeitung von Holz, Erde, Metall,
Leder, Glas, Papier oder wie Bauernmalerei, herkömmliche Webtechniken und die traditionelle
Verarbeitung von Speisen.
Da die KIKE festhält, dass dieser Katalog nicht abgeschlossen und mit weiteren Manifestationen erweiterbar ist, wird die Vagheit der IKE-Bestimmung, wie sie im ersten Teil der Definition erscheint, zusätzlich
unterstrichen. Deshalb ergeben sich verschiedene Fragen zur konkreten Eingrenzung des Gegenstandsbereichs der KIKE, von denen ich fünf kurz ansprechen möchte:
- Der Begriff des traditionellen Wissens: Bei der Ausarbeitung der KIKE wurde das Verhältnis zu bestehenden und im Entstehungsprozess befindlichen Programmen und Übereinkommen betreffend das
„traditionelle Wissen“ zu klären versucht. Eine Reihe von internationalen Organisationen anerkennen
die Rolle des traditionellen Wissens und herkömmlichen Praktiken von lokalen Gemeinschaften für
deren nachhaltige sozio-ökonomische Entwicklung, fördern Projekte, welche traditionelles kulturelles,
61
biologisches und medizinisches Wissen einschliessen, und erörtern Fragen eines immaterialgüterrechtlichen Schutzes dieses Wissens.23 Der Begriff des „traditionellen Wissens“ ist jedoch nicht klar definiert.
Auch an der WIPO gibt es keine verbindliche terminologische Bestimmung des Begriffs „traditionelles
Wissen“. In seiner Arbeitsdefinition unterteilte das bereits erwähnte, seit 2000 an der WIPO tagende
Zwischenstaatliche Komitee (ICG) „traditionelles Wissen lato sensu“ in zwei Bereiche, einerseits in „traditionelles Wissen stricto sensu“ wie Kenntnisse der traditionellen Heilprodukte oder landwirtschaftliches
Wissen, andererseits in „traditionelle kulturelle Ausdrucksweisen“ oder „Ausdrucksweisen der Folklore“
wie Musik, Tanz, materielle handwerkliche Erzeugnisse und andere Produkte, denen ästhetischer Wert
zugeschrieben wird.24 Die KIKE erfasst nun in ihrem Regelungsbereich unter anderem „Kenntnisse und
Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum“ (Art. 2 Abs. 2 Bst. d KIKE), was im Sinne
des ICG an der WIPO als „traditionelles Wissen stricto sensu“ verstanden werden kann. Andererseits hat
das ICG bislang nur im Rahmen der Erörterung über „traditionelle kulturellen Ausdrucksweisen“ Bezug
auf die KIKE genommen.25 Offensichtlich verwenden die UNESCO, die WIPO und andere internationale Organisationen unterschiedliche Begriffsumschreibungen von IKE und traditionellem Wissen, die
zukünftig in ihrem Verhältnis zueinander geklärt und aufeinander abgestimmt werden müssen.
- Transnationales IKE: Aufgabe der KIKE-Vertragsstaaten ist es, die erforderlichen Massnahmen zur
Bewahrung des auf ihrem Hoheitsgebiet praktizierten IKE zu ergreifen (Art. 11 Bst. a KIKE). Es gibt aber
in den meisten Ländern Elemente des nationalen IKE, die auch in Grenzregionen benachbarter Staaten
praktiziert oder – durch Migration – in weit entfernten Staatsterritorien tradiert werden. Fasnachtsbräuche
der deutschen Schweiz beispielsweise sind kulturgeschichtlich mit denjenigen des süddeutschen Raums
eng verbunden. Der brasilianische Kampftanz capoeira andererseits hat sich durch die Vermittlung von
„Meistern“ und Netzwerkverbindungen zwischen praktizierenden Personen in vielen Ländern ausserhalb
Brasiliens – so auch in der Schweiz – verbreitet.26 Wie müssen Vertragsstaaten der KIKE zukünftig ihre
im Konventionstext ausdrücklich erwähnte multi- und bilaterale Zusammenarbeit gestalten (Art. 19
Abs. 2 KIKE), damit auch das transnationale IKE in Grenzregionen und von Zuwanderergruppen bei
Bewahrungsmassnahmen gebührend berücksichtigt wird?
- Populärkultur: In der KIKE wird auf eine Unterscheidung von Hochkultur und Popular-, Volks- und
Alltagskultur verzichtet. Der Anspruch, die ganze globale Vielfalt traditioneller kultureller Ausdrucksweisen und Praktiken in den Gegenstandsbereich einzuschliessen, führte dazu, dass die Definition der
KIKE über den engeren Bereich der „Folklore“ hinausgeht, die primär Gegenstand der KIKE sein sollte.
Sofern das Tradierungskriterium der KIKE weniger stark gewichtet wird, könnte das IKE deshalb auch
der kulturelle Raum einer Karaoke-Bar umfassen, ebenso Anlässe von Hip-Hop-Gruppen mit ihren
communities.27 Bei der Umsetzung der KIKE stellt sich also die Frage, inwieweit Popularkulturen Teil
des IKE sein sollen.
- Hochkultur: Ebenso klammert die KIKE den Kunstbegriff aus. Dieser ist im Übereinkommen nur insofern
relevant, als er den Begründungszusammenhang für das kulturelle Selbstverständnis einer Gruppe bilden
kann; die Übertragung einer bestimmten kunstästhetischen Anschauung von einer kulturellen Praxis auf
eine andere wird als problematisch anerkannt. Zu Recht wurde bei der Ausarbeitung der KIKE darauf
hingewiesen, dass keine wertende Hierarchie zwischen Kulturen und Elementen des IKE geschaffen
werden kann, wenn zugleich der identitäts- und kontinuitätsstiftenden Bedeutung eines IKE für eine
Lokalgemeinschaft grosses Gewicht beigemessen wird. Mit diesem Relativismus hat die UNESCO die
Idee eines ästhetischen Weltgerichts definitiv abgeschafft, so wie es noch in der Welterbe-Konvention
von 1972 und im erwähnten Programm der „Proclamation des chefs-d’oeuvre du patrimoine oral et
immatériel de l’humanité“ erschienen ist. Im Gegensatz zur Konzeption einer universellen Hierarchie
von Kultur im Singular, die es erlaubt einzelnen Kulturelementen einen herausragenden Wert für die
ganze Menschheit zuzusprechen, hat sich in der UNESCO inzwischen die Idee der „Repräsentativität“
durchgesetzt, welche Aspekte eines IKE an ihrer Bedeutung für den inneren Zusammenhang der jeweiligen Kultur misst.28 Entsprechend lassen sich auch schriftbasierte Manifestationen der sogenannten
Hochkultur im IKE einzuschliessen, wenn sie für die Identität einer Region oder einer Gemeinschaft
62
von Bedeutung sind, über längere Zeit tradiert wurden und in der Praxis aktualisiert werden. Gerade mit
Bezug auf nationale Regelungen zum IKE in Japan oder Korea, die die KIKE wesentlich geprägt haben
und Hoch- und Volkskultur gleichermassen berücksichtigen, liesse sich beispielsweise die Kunstmusik
europäischer Tradition („klassische Musik“) unter dem Aspekt ihrer fortwährenden Darbietungen im
europäischen Kulturleben durchaus als IKE verstehen.29 Obwohl Partituren gemeinhin als Träger der
wesentlichen Ideen und Strukturen eines Werks und als „präskriptive Notationen“ gelten,30 enthalten sie
nicht alle Aspekte eines Musikwerks. Interpretationsgeschichtliche Ansätze haben Partituren denn auch
als Memorierungshilfe, als Hilfsmittel der oral-auralen Tradierung und des nachahmenden Erlernens
einer Technik im Sinne der KIKE bestimmt. Denkbar wäre es, dass die Wiener Philharmoniker mit ihrem
speziellen Aufführungsort des Goldenen Saals, mit ihren Repertoiretraditionen von Strauss-Walzern oder
Brahms-Symphonien und ihrer eigenen Interpretationskultur als IKE anerkannt werden.
- Kulinarische Traditionen: Umstritten ist, inwiefern kulinarische Lokal- und Regionaltraditionen unter
das IKE fallen. Spezielle Verarbeitungsweisen von Landwirtschaftprodukten und kulinarische Rezepte
wurden in einigen Ländern als traditionelles Wissen zum nationalen IKE erklärt. Denkbar wäre dies
auch für die Schweiz. Allerdings gibt es bereits einen immaterialgüterrechtlichen Schutz für traditionelle
Bezeichnungen von lokal und regional verankerten landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Im Register der
Ursprungsbezeichnungen (GUB/AOC) und geographischen Angaben (GGA/IGP) finden sich Schweizer
Qualitätsprodukte wie Gruyère, Saucisse au choux vaudoise oder Walliser Roggenbrot.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Gegenstand der KIKE dem weiten und sozialwissenschaftlich geprägten Kulturbegriff entspricht, wie er an der Zweiten Weltkonferenz über Kulturpolitik
1982 in Mexiko formuliert worden war und für die UNESCO verbindlich wurde.31 In der KIKE wurde
die Forderung von Experten nach einer Definition des IKE erfüllt, die dem Zusammenhang von verschiedenen Elementen einer Tradition gerecht wird, einen einschliessenden Charakter aufweist und der
globalen Vielfalt des IKE Rechnung trägt.
3) Bewahrung?
Die KIKE bestimmt „Bewahrung“ als Massnahmenpaket, das sich auf die „Sicherung der Lebensfähigkeit“
des IKE richtet und zusammensetzt aus „der Identifizierung, der Dokumentation, der Erforschung, der
Erhaltung, des Schutzes, der Förderung, der Aufwertung, der Weitergabe, insbesondere durch formale
und informelle Bildung, sowie der Neubelebung der verschiedenen Aspekte dieses Erbes“ (Art. 2 Abs.
3 KIKE). Im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte der KIKE lassen sich vier zentrale Punkte
für die Ergreifung von Massnahmen zur Bewahrung des IKE festhalten:
- Bewahrung statt Schutz: Im verbindlichen französischen Wortlaut heisst die KIKE „Convention pour la
sauvegarde du patrimoine culturel immatériel“. Da es im Deutschen keinen dem „sauvegarde“ entsprechenden Begriff gibt, mussten verschiedene Übersetzungsoptionen geprüft werden. Eine erste offizielle
deutschsprachige Version der Konvention, die von Luxemburg erstellt wurde, übersetzte „sauvegarde“ mit
„Schutz“. Gegen diese Übertragung wurde jedoch eingewendet, dass der Begriff des „Schutzes“ in seinem
Zusammenhang mit der Welterbe-Konvention von 1972 und vor allem mit immaterialgüterrechtlichen
Regelungen („Schutz des Autors“) bereits besetzt ist. Schutz im Sinne der Welterbe-Konvention von 1972
meint die Konservierung und den Erhalt materieller Kultur- und Naturgüter. Schutz im immaterialgüterrechtlichen Sinne bedeutet, dass Dritte von einer nichtautorisierten Nutzung einer Kreation, Innovation
oder eines Identitätsausdrucks ausgeschlossen werden, unlauterer Wettbewerb verhindert wird und die
Eigentümer vor einem Schaden bewahrt werden. Beide Schutzbegriffe werden dem primären Ziel der
Bewahrung und Förderung sowie dem dynamischen und wandelbaren Charakter des IKE nicht gerecht.
Deshalb ist „sauvegarde“ mit „Bewahrung“ zu übersetzen und mit der Durchführung der KIKE jeweils
ein Bündel von Massnahmen zu ergreifen, das dem betroffenen IKE angemessen ist.
- Einbindung und Förderung der IKE-Träger: Das IKE unterscheidet sich grundlegend vom materiellen
Kulturerbe, welches Gegenstände der Archäologie, denkmalpflegerisch bedeutende Monumente und
Bauten sowie bewegliche Kulturgüter umfasst. Es geht in der KIKE nicht um eine Konservierung von
63
Objekten, sondern um die Kommunikation und Interaktion zwischen kulturell aktiven Menschen sowie um
die Förderung von Trägern traditionellen Wissens und Fertigkeiten bei der Weitergabe ihres dynamischen
IKE. Die Partizipation der Gemeinschaften und Gruppen ist ein zentrales Charakteristikum der KIKE
gegenüber früheren top-down-Ansätzen zur Bewahrung des IKE.32 Die KIKE nennt als Träger des IKE
„Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Individuen“ (Art. 1 Bst. b, Art. 2 KIKE), anerkennt sie
zwar nicht als Völkerrechtssubjekte, spricht ihnen aber eine aktive Rolle bei der Bewahrung ihres IKE
zu (Präambel KIKE). Die Vertragsstaaten der KIKE werden dazu ermutigt, die Gemeinschaften, Gruppen
und gegebenenfalls Individuen bei den Bewahrungsmassnahmen des IKE einzubinden (Art. 15 KIKE),
insbesondere bei der Identifizierung ihres IKE (Art. 11 Bst. b KIKE). Den Vertragsstaaten empfiehlt die
KIKE ferner, den Zugang zum IKE unter Berücksichtigung der herkömmlichen Praktiken der Gemeinschaften und Gruppen zu gewährleisten (Art. 13 Bst. d ii KIKE). Schliesslich sollen Vertragsstaaten die
intergenerationale Vermittlung durch Bildungs- und Trainingsprogramme in den betreffenden Gemeinschaften und Gruppen fördern (Art. 14 Bst. a ii KIKE). Insgesamt zielt die KIKE auf eine kulturelle
Selbstverwaltung und Förderung der IKE-Träger und nicht auf eine Musealisierung des IKE.
- Bestärkung bestehender immaterialgüterrechtlicher Regelungen: Obwohl bei der Schaffung der KIKE
von früheren Bestrebungen nach immaterialgüterrechtlichen Ausnahmeregelungen zum Schutz der Folklore Abstand genommen wurde, behalten bestehende immaterialgüterrechtliche Regelungen für die Bewahrung des IKE ihre Gültigkeit. Es wird explizit festgehalten, dass durch die Regelungen der KIKE keinerlei
Rechte und Pflichten aus internationalen Rechtsinstrumenten zur Regelung der geistigen Eigentums oder
der Nutzung der biologischen und ökologischen Ressourcen berührt werden und an die Vertragsstaaten
der KIKE gebunden sind (Art. 3 Bst. b KIKE). Bei der Dokumentation und dem Zugänglichmachen von
traditionellen kulturellen Ausdrucksweisen des IKE (Art. 13 Bst. d ii KIKE) können Träger des IKE sich
auf die Aufführungsrechte berufen, als Aufführende die Dokumentation und deren Verbreitung verbieten
und Schutzrechte an Aufnahmen während fünfzig Jahren beanspruchen.33 Im WIPO Performances and
Phonograms Treaty, welches die Schweiz auch ratifizieren soll, sowie im Revisionsentwurf des schweizerischen Urheberrechtsgesetzes gehören zu den ausübenden Künstlern ausdrücklich auch diejenigen, die
„Ausdrucksweisen der Folklore“ darbieten.34 Die KIKE ist indirekt eine Bestärkung solcher Regelungen
und soll dazu beitragen, dass Träger des IKE ihre Rechtsansprüche einlösen können.
- Zusammenhang mit dem audio-visuellen Kulturerbe: Vermehrt wird in Zukunft einerseits das IKE verschriftlicht und dokumentiert, andererseits werden Dokumentationen als Tradierungshilfe beigezogen,35
teilweise gar zur Revitalisierung von nicht mehr praktizierten Traditionen. Die UNESCO hat bereits
1992 ein Programm geschaffen, das die Sicherung und das Zugänglichmachen von dokumentarischen
Zeugnissen in Archiven, Bibliotheken, Museen und anderen Dokumentationsinstitutionen fördern soll
und die Grundlage für Revitalisierungen des IKE bieten kann. Unter dem Titel „Memory of the World“
werden bedeutungsvolle Buchbestände, Handschriften, Partituren, Bild-, Ton- und Filmdokumente in ein
Weltregister aufgenommen. Darunter finden sich Dokumentationen des IKE (beispielsweise Tondokumente
des Berliner und des Wiener Phonogrammarchivs, die Aufnahmen von Musiktraditionen seit dem Ende
des 19. Jahrhunderts sichern) und Dokumente, die im immateriellen Ausdruck einer Aufführung ihre
eigentliche Form erhalten (beispielsweise Beethovens 9. Sinfonie).36 Bei der Umsetzung der KIKE wird
die Bewahrung des IKE im Zusammenhang mit der Dokumentation und Bewahrung des schriftlichen
und audio-visuellen Kulturerbes genauer zu bestimmen sein.
4) Die Bedeutung der Konvention?
Die Tätigkeiten der UNESCO sind so bunt wie die traditionellen Kulturen, die diese Organisation durch
die KIKE zu bewahren sucht. Im Übereinkommen von 2003 zeigen sich die unterschiedlichen Sichtweisen,
Interessen und Bedürfnisse von Juristen, Diplomaten aus den verschiedenen Weltregionen, staatlichen
Verwaltungsbehörden, Trägern des IKE – repräsentiert durch Nichtregierungsorganisationen – sowie
Experten wie Musikethnologen. Die Beteiligung dieser verschiedenen Gruppen bei der Schaffung des
Übereinkommens hat eine Definition des Gegenstandsbereichs hervorgebracht, die das IKE im wörtli-
64
chen und inhaltlichen Sinne nicht leicht fassbar macht. Im Urteil von Kritikern ist das Übereinkommen
denn auch bloss ein unbedeutendes Flickwerk, dessen mangelnde Kohärenz und Unbestimmtheiten der
Begriffe für die Durchsetzung von Bewahrungsmassnahmen des IKE nicht effektiv sein können.
Eine solche Kritik verkennt die eigentliche Bedeutung der KIKE. Als international verbindliches Rechtsinstrument entfaltet es seine Wirkung in der Beziehung zwischen internationalen Bewahrungsmassnahmen
der UNESCO, nationalen Kulturpolitiken und dem Engagement der Träger des IKE. Um den weltweit unterschiedlichen traditionellen Ausdrucksweisen und Wissensbeständen gerecht zu werden, den Einschluss
der ganzen globalen Vielfalt des IKE zu erlauben, die Umsetzung der KIKE in allen Weltregionen zu
ermöglichen und dabei die Partizipation der Trägern des IKE innerhalb der Ordnung souveräner Staaten
zu gewährleisten, bedarf eine internationale Normsetzung zur Bewahrung des IKE einer offenen Definition
des IKE und unterschiedlicher, jeder Tradition angemessener Bewahrungsmassnahmen. Vertragsstaaten
der UNESCO und Träger des IKE werden damit in einen fortwährenden Kulturdialog eingebunden und
zur periodischen Überprüfung ihrer Kulturerbe-Konzepte veranlasst. Auch in der Schweiz ist eine breit
geführte und anhaltende Diskussionen über die Kulturerbe-Politik, die Bedeutung des IKE und die nationale Umsetzung der KIKE wünschbar.
Anmerkungen
Der Text der Konvention findet sich auf der Webseite der UNESCO (www.unesco.org/culture/ich_convention), eine nicht-amtliche
Übersetzung ins Deutsche auf der Webseite der Schweizerischen UNESCO-Kommission (www.unesco.ch/work-d/ike1.htm).
1
2
3
Art. 1 Verfassung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, unterzeichnet in London am
16. November 1945, in Kraft getreten für die Schweiz am 28. Januar 1949 [SR 0.401].
Vgl. Blake, Janet 2000: „On defining the cultural heritage”, International and comparative law quarterly 49:61- 85, hier 61; Odendahl, Kerstin 2005: „Die Bewahrung des immateriellen Kulturerbes als neues Thema des Völkerrechts“, Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht (SZIER) 15.3:445-457, hier 446-448.
Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (und Ausführungsbestimmungen sowie Protokolle
von 1954 und 1999), abgeschlossen in Den Haag am 14. Mai 1954, in Kraft getreten für die Schweiz am 15. August 1962 [SR
0.520.3].
4
Übereinkommen über Massnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von
Kulturgut (Pariser Konvention), abgeschlossen in Paris am 14. November 1970, in Kraft getreten für die Schweiz am 3. Januar
2004 [SR 0.444.1]; in der Schweiz umgesetzt im Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (KGTG) vom 20.
Juni 2003, in Kraft getreten am 1. Juni 2005 [SR 444.1].
5
Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, abgeschlossen in Paris am 23. November 1972, in Kraft getreten
für die Schweiz am 17. Dezember 1975 [SR 0.451.41]; Ratifikation der Schweiz durch den Bundesbeschluss über zwei Übereinkommen der UNESCO betreffend Schutz des Kultur- und Naturgutes und Erhaltung der Feuchtgebiete vom 19. Juni 1975 [SR
451.41].
6
Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG) vom 1. Juli 1966, in Kraft getreten am 1. Januar 1967 [SR 451].
7
8
9
Vgl. Tomoaki Fujii: “Protection of those who make available and of those who collect expressions of folklore”, UNESCO-WIPO
World Forum on the Protection of Folklore (UNESCO publication CLT/CIC/98/1, WIPO publication 758), organized by the
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) and the World Intellectual Property Organization (WIPO) in cooperation with the Department of Intellectual Property, Ministry of Commerce, Government of Thailand in
Phuket, Thailand, April 8-10, 1997, Geneva: WIPO, 1998, 131-142; UNESCO/Japan Funds-in-Trust for the preservation and promotion of the intangible cultural heritage, Paris: UNESCO Intangible Heritage Section, 2006.
Vgl. Blake, Janet 2003: „On developing a new international convention for safeguarding intangible cultural heritage”, Arts, antiquity
and law 8.4:381-411, hier 381f.; Kurin, Richard 2003: „UNESCO considers draft for Intangible Cultural Heritage Convention“,
Talk story (spring) 23:8-9 (www.folklife.si.edu/center/cultural_policy/publications.html, Zugriff 12. Juni 2006).
10
11
Vgl. Art. 15 Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst, Revision abgeschlossen in Paris am 24. Juli
1971, in Kraft getreten für die Schweiz am 25. September 1993 [SR 0.231.15].
Vgl. Tunis Model Law on Copyright for Developing Countries, erarbeitet und verabschiedet in Tunis zwischen dem 23. Februar
und 2. März 1976, Paris: UNESCO / Geneva: WIPO; Actes de la Conférence Générale, 21e session, Belgrade, 23 september - 28
octobre 1980, volume 1, Paris: UNESCO, 1980, résolution 5/03; Model Provisions for National Laws on the Protection of Expressions of Folklore Against Illicit Exploitation and Other Prejudicial Actions, verabschiedet 1982 in Paris von der UNESCO und
der WIPO; UNESCO-WIPO Draft Treaty for the Protection of Expressions of Folklore Against Illicit Exploitation and Other Prejudical
Actions, 1984; Actes de la Conférence Générale, 23e session, Sofia, 8 octobre - 9 novembre 1983, volume 1, Paris: UNESCO, 1985, résolution 15.3; Kuruk, Paul 1999: „Protecting folklore under modern intellectual property regimes: a reappraisal of the tensions
between individual and communal rights in Africa and the United States, American University law review 48:769-849, hier 813-16;
Sherkin, Samantha: “A Historical Study on the Preparation of the 1989 Recommendation on the Safeguarding of Traditional Culture and Folklore”, Safeguarding Traditional Cultures: a global assessment of the 1989 UNESCO Recommendation on the Safeguarding of Traditional Culture and Folklore, edited and webbed by Peter Seitel, Washington, DC: Smithsonian Institution, Center for
Folklife and Cultural Heritage, 2001 (www.folklife.si.edu/resources/Unesco/index.htm, Zugriff 12. Juni 2006).
65
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
Recommandation sur la sauvegarde de la culture traditionnelle et populaire 1989, Actes de la Conférence Générale, 25e session,
Paris 17 octobre - 16 novembre 1989, volume 1, Paris: UNESCO, 1989.
Vgl. UNESCO-WIPO World Forum on the Protection of Folklore (UNESCO publication CLT/CIC/98/1, WIPO publication 758),
organized by the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) and the World Intellectual Property Organization (WIPO) in cooperation with the Department of Intellectual Property, Ministry of Commerce, Government of
Thailand in Phuket, Thailand, April 8-10, 1997, Geneva: WIPO, 1998; Intellectual property needs and expectations of traditional
knowledge holders: WIPO report on fact-finding missions on intellectual property and traditional knowledge (1998-1999), Geneva:
WIP0; Symposium Traditional Knowledge, intellectual property, and indigenous culture (Cardozo journal of internation and comparative law 11.2), New York: Yeshiva University, 2003; Wendland, Wend 2004: „Intangible heritage and intellectual property:
challenges and future prospects“, Museum international 56.1-2:97-107; The protection of traditional cultural expressions / expressions of folklore: revised objectives and principles, Intergovernmental Committee on intellectual Property and Genetic Resources,
traditional knowledge and folklore, 9th session (Geneva, April 24-28, 2006), WIPO Dokument WIPO/GRTKF/IC/9/4, 9. Januar
2006; The protection of traditional knowledge: revised objectives and principles, Intergovernmental Committee on intellectual
Property and Genetic Resources, traditional knowledge and folklore, 9th session (Geneva, April 24-28, 2006), WIPO Dokument
WIPO/GRTKF/IC/9/5, 9. Januar 2006; Intellectual property and genetic resources, traditional knowledge and traditional cultural
expressions/folklore: information resources (WIPO Dokument WIPO/GRTKF/INF/1), Geneva: WIPO, 2006. Auf den Ausdruck des
„traditionellen Wissens” gehe ich weiter unten noch genauer ein.
Safeguarding Traditional Cultures: a global assessment of the 1989 UNESCO Recommendation on the Safeguarding of Traditional Culture
and Folklore, edited and webbed by Peter Seitel, Washington, DC: Smithsonian Institution, Center for Folklife and Cultural
Heritage, 2001 (www.folklife.si.edu/resources/Unesco/index.htm, Zugriff 12. Juni 2006); Rapport relatif à l’étude préliminaire sur
l’opportunité de réglementer à l’échelon international, par un nouvel instrument normatif, la protection de la culture traditionnelle
et populaire, Conseil Exécutif, 161e session, Point 3.4.4 de l’ordre du jour provisoire, UNESCO Dokument 161 EX/15, Paris:
UNESCO, 16. Mai 2001, Anhang; Van Zanten, Wim 2004: „Constructing new terminology for intangible cultural heritage”,
Museum international 56.1-2:36-44.
Vgl. Brown, Michael F. 1998: „Can culture be copyrighted?” [und Kommentare], Current anthropology 39.2:193-220; Nayyar,
Deepal: „Intellectual property, the new millennium and the least developed countries: some reflections in the wider context of development”, The new millennium, intellectual property and the Least Developed Countries (LDCs): compendium of the proceedings of
the First High-Level Interregional Roundtable on Intellectual Property for the LDCs, Geneva, September 30, 1999 (WIPO publications
766), Geneva: WIPO, 1999, 23-32; Camp, Marc-Antoine: „Wer darf das Lied singen? Musikethnologische Anmerkungen zum
rechtlichen Status traditioneller Musikkulturen“, Sic! Zeitschrift für Immaterialgüter-, Informations- und Wettbewerbsrecht, Bern:
IGE, April 2005, p. 307-315, www.sic-online.ch (Arbeitsübersetzung ins Englische mit einer Aktualisierung bis März 2006 auf
www.musicandcopyright.org); Camp, Marc-Antoine: „O congado formalizado: organização jurídica de guardas do reinado na zona
rural de Minas Gerais (Brasil)”, Discursos sobre (l)a pobreza. América Latina y/e países luso-africanos (Nexos y diferencias 17), ed.
Martin Lienhard, Madrid / Frankfurt: Iberoamericana / Vervuert, 2006, 329-340; Expert meeting on community invovlement in
safeguarding intangible cultural heritage: towards the implementation of the 2003 Convention, 13-15 March 2006, Tokyo, Japan: Report
(UNESCO Dokument CLT/CH/ITH/DOCEM0306 REV.1), Paris: UNESCO Intangible Heritage Section, 2006.
Actes de la Conférence Générale, 29e session, Paris, 21 octobre - 12 novembre 1997, Volume 1, Paris: UNESCO 1997, résolution 23;
Proclamation of Masterpieces of the Oral and Intangible Heritage of Humanity: guide for the presentation of candidature files, Paris:
UNESCO Intangible Heritage Section, 2001; Masterpieces of the Oral and Intangible Heritage of Humanity: Proclamations 2001,
2003 and 2005, Paris: UNESCO, 2006; vgl. www.unesco.org/culture/intangible-heritage.
Vgl. Kirshenblatt-Gimblett, Barbara 1995: „Theorizing heritage”, Ethnomusicology 39.3:367-380.
Der Ausdruck „nicht-physisches Erbe“ benannte ein 1982 geschaffenes UNESCO-Programm; vgl. Actes de la Conférence Générale,
22e session, Paris, 25 octobre - 26 novembre 1983, volume 1, Paris: UNESCO, résolution 11.2; vgl. Programme et budget approuvés
pour 1992-1993, Paris: UNESCO, Januar 1992, Item III.1.2; zur Festlegung der Begriffe für die KIKE vgl. Van Zanten, Wim:
Glossaire patrimoine culturel immatériel, préparé par une réunion internationale d’experts à l’UNESCO, 10-12 juin 2002, La
Haye: Commission nationale néederlandaise pour l’UNESCO, 2002.
Vgl. Kasfir, Sidney Littlefield / Yai, Olabiyi Babalola Joseph 2004: „Current debate: authenticity and diaspora”, Museum international 56.1-2:190-197, hier 192-195
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 A (III) der Vollversammlung der Vereinigten Nationen vom 10. Dezember 1948; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I), abgeschlossen in New York am
16. Dezember 1966, in Kraft getreten für die Schweiz am 18. September 1992 [SR 0.103.1]; Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II), abgeschlossen in New York am 16. Dezember 1966, in Kraft getreten für die Schweiz
am 18. September 1992 [SR 0.103.2].
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), abgeschlossen am 18. Dezember 1979, in
Kraft getreten für die Schweiz am 26. April 1997 [SR 0.108].
Vgl. Expert meeting „Gender and intangible heritage”, 8-10 December 2003: final report, Paris: UNESCO Intangible Heritage Section,
2004; Moghadam, Valentine M. / Bagheritari, Manilee: Cultures, conventions, and the human rights of women: examining the Convention for safeguarding intangible cultural heritage, and the Declaration on cultural diversity (SHS Papers in Women’s Studies/Gender Research 1), Paris: UNESCO, Gender Equality and Development Section, 2005.
„Traditionelles Wissen“ ist Thema bei ECOSOC, FAO, UNCCD, UNCED, UNCTAD, UNDP, UNEP, UNIFEM, UNWGIP, WHO,
ILO, WTO, Weltbank; es erscheint in vier internationalen Übereinkommen: Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern (ILO-Übereinkommen Nr. 169), verabschiedet in Genf am 7. Juni 1989 von
der 76. Generalkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, in Kraft getreten am 5. September 1991 [von der Schweiz
bisher nicht ratifiziert]; Übereinkommen über die biologische Vielfalt, verabschiedet von der Konferenz der Vereinten Nationen zu
Umwelt und Entwicklung (UNCED), abgeschlossen in Rio de Janeiro am 5. Juni 1992, in Kraft getreten für die Schweiz am 19.
Februar 1995 [SR 0.451.43]; Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung in den von Dürre
66
und/oder Wüstenbildung schwer betroffenen Ländern, insbesondere in Afrika, abgeschlossen in Paris am 17. Juni 1994, für die
Schweiz in Kraft getreten am 26. Dezember 1996 [SR 0.451.1]; Internationaler Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für
Ernährung und Landwirtschaft, abgeschlossen in Rom am 3. November 2001, in Kraft getreten für die Schweiz am 20. Februar
2005 [SR 0.910.6].
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
Owens, Richard / Odibo, Faith: „Presentation on global intellectual property issues and the LDCs”, The new millennium, intellectual
property and the Least Developed Countries (LDCs): compendium of the proceedings of the First High-Level Interregional Roundtable
on Intellectual Property for the LDCs, Geneva, September 30, 1999 (WIPO publications 766), Geneva: WIPO, 1995, 45-52, hier
48; Overview of activities and outcomes of the Intergovernmental Comittee, Intergovernmental Committee on intellectual Property
and Genetic Resources, traditional knowledge and folklore, 5th session (Geneva, July 7 to 15, 2003), WIPO Dokument WIPO/
GRTKF/IC/5/12, 3. April 2003, paras 36-38; Blake, Janet: Preliminary study into the advisability of developing a new standard-setting instrument for the safeguarding of intangible cultural heritage: elements for consideration (UNESCO Dokument CLT-2001/WS/8
Rev.), Paris (rev. ed.), 2002, hier 47-59.
The protection of traditional cultural expressions / expressions of folklore: revised objectives and principles, Intergovernmental Committee on intellectual Property and Genetic Resources, traditional knowledge and folklore, 9th session (Geneva, April 24-28,
2006), WIPO Dokument WIPO/GRTKF/IC/9/4, 9. Januar 2006, Annex, 43 und 11-12 = Art. 1 und Kommentar der materiellen
Regelungen.
Zu den Zuwandererkulturen in der Schweiz vgl. Soukous, Kathak und Bachata: Musik und Tanz aus Afrika, Asien und Lateinamerika in
der Schweiz, ed. Kultur & Entwicklung, Mauro Ambühl et alii, Zürich: Limmat Verlag, 2004.
Vgl. Kurin, Richard 2004: „Safeguarding intangible cultural heritage in the 2003 UNESCO Convention: a critical appraisal”,
Museum international 56.1-2:66-77, hier 69.
„Repräsentativität“ wurde nicht allein für die KIKE bestimmend, sondern hat mittlerweile als subsidiäres Selektionskriterium
auch in die Richtlinien zum Vollzug der Welterbe-Konvention von 1972 Eingang gefunden; vgl. Richtlinien für die Durchführung
des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, Paris: UNESCO-Zentrum für das Erbe der Menschheit, 2005,
Abs. 54; Déclaration de Budapest sur le Patrimoine Mondial (UNESCO Dokument WHC-02/CONF.202/25), verabschiedet vom
Welterbe-Komitee an seiner 26. Sitzung am 28. Juni 2002 in Budapest.
Vgl. Kirshenblatt-Gimblett, Barbara 2004: „Intangible Heritage as Metacultural Production”, Museum international 56.1-2:52-65,
hier 56f.
Seeger, Charles 1958: „Prescriptive and descriptive music-writing“, Musical quarterly 44.2:184-195.
An der Weltkonferenz für Kulturpolitik 1982 wurde Kultur „als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen und materiellen,
intellektuellen und emotionalen Aspekte einer Gesellschaft oder sozialen Gruppe verstehen; eingeschlossen sind darin Kunst
und Literatur sowie Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensvorstellungen“; vgl.
Déclaration de Mexico sur les politique culturelles, verabschiedet in Mexiko an der Zweiten Weltkonferenz über Kulturpolitik der
UNESCO, 26. Juli - 5. August 1982 (UNESCO Dokument CLT/MD/l, 39-44), Präambel und Abs. 23.
Safeguarding Traditional Cultures: a global assessment of the 1989 UNESCO Recommendation on the Safeguarding of Traditional Culture
and Folklore, edited and webbed by Peter Seitel, Washington, DC: Smithsonian Institution, Center for Folklife and Cultural
Heritage, 2001 (www.folklife.si.edu/resources/Unesco/index.htm, Zugriff 12. Juni 2006); Albro, Robert: The challenges of asserting,
promoting, and performing cultural heritage (Theorizing cultural heritage 1.1), Washington, DC: Smithsonian Center for Folklife
and Cultural Heritage, 2005 (www.folklife.si.edu/center/cultural_policy/publications.html, Zugriff 12. Juni 2006).
Art. 13 Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, vom 9. Oktober 1992 [SR 231.1]; Art. 14 Abkommen zur
Errichtung der Welthandelsorganisation, Anhang 1C: Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), abgeschlossen in Marrakesch am 15. April 1994, in Kraft getreten für die Schweiz am 1. Juli 1995 [SR 0.632.20].
Art. 2 Bst. a WIPO Performances and Phonograms Treaty (WPPT), angenommen in Genf am 20. Dezember 1996, in Kraft getreten am 20. Mai 2002; Art. 33 Abs. 1 Revisionsentwurf des schweizerischen URG.
Die Dokumentation des IKE und die Einrichtung von zugänglichen Dokumentationszentren für das IKE werden in der KIKE
explizit empfohlen (Art. 2 Abs. 3; Art. 13 Bst. d iii KIKE); vgl. Expert meeting on documenting and archiving intangible cultural
heritage, UNESCO, Paris, 12-13 January (UNESCO Dokument CLT/CH/ITH/DOCEM0106), Paris: UNESCO, 2006.
Vgl. portal.unesco.org/ci/en/ev.php-URL_ID=1538&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html.
67
Der Betruf in den Schweizer Alpen
Brigitte Bachmann-Geiser
Einleitung
Unter den Begriffen Bättruef (Betruf), Alpsäge (Alpsegen) und, seltener, Ave Maria, versteht man ein
altes Sennengebet, das in katholischen Alpengebieten vor allem der deutschsprachigen Schweiz während
des Alpsommers noch heute jeden Abend nach der Arbeit erklingt.
Ein Älpler ruft den einstimmigen, unbegleiteten Sprechgesang in einem mundartlich gefärbten Hochdeutsch
durch die trichterartig vor den Mund gehaltenen Hände oder durch einen hölzernen Milchtrichter.
Der Milchtrichter wird in der Innerschweiz Volle genannt. Dieser Begriff lässt sich aus dem Volleschübel
erklären, dem Kolbenbärlapp, dessen Wurzel früher in den Trichter gestopft wurde, um die gröbsten
Unreinlichkeiten in der Milch beim Umgiessen vom Melkeimer in die Milchkanne aufzufangen.
Der Künstler Ludwig Vogel, der von 1788-1879 lebte, hielt mit dem Zeichenstift alles fest, was er auf
Wanderreisen durch die Schweiz sah. In einem Skizzenbuch, das im Schweizerischen Landesmuseum
in Zürich aufbewahrt wird, auch den aus einzelnen Brettern zusammengesetzten Milchtrichter mit dem
Kolbenbärlapp und dem handschriftlich notierten Dialektbegriff (LM Inv. 27630; Abb. 1).
1. Ludwig Vogel (1788-1879) Volle
(Milchtrichter) und andere Gegenstände
aus einer Sennerei. Bleistiftzeichnungen
Schweizerisches Lndesmuseum Zürich
LM 27630
Beim abendlichen Alpsegen, der nicht mit der Einsegnung einer Alp zu Beginn des Alpsommers verwechselt werden darf, bittet der Betrufer Gott, Mutter Maria, Jesus, den Heiligen Geist und ausgewählte
Heilige um Schutz für alle Lebewesen auf der Alp vor den möglichen Gefahren der bevorstehenden
Nacht. Der Obersenne oder ein Hirte mit guter Stimme muss von einer Anhöhe auf der Alp aus, wo in
der Regel auch ein Holzkreuz steht, möglichst laut rufen, denn so weit wie seine Stimme reicht, reicht
nach der Meinung der Älper auch der Schutzbann.
Das Betrufen bei jedem Wetter bis zum letzten Tag des Alpsommers gilt als Pflicht, die entweder mit
einem Laib Käse, dem sogenannten Ruefchäs, oder einem Trinkgeld belohnt wird. In einem Arbeitsrapport für Alpwirtschaft vom 30. 11. 1977 aus dem Muotatal, Kanton Schwyz, wird der Betrag von Sfr.
20.00 fürs Alpsegenrufen verlangt (freundliche Mitteilung von Hans Steinegger, Erziehungsdepartement
Kanton Schwyz)
68
Historische Tradition
In seiner «Collectanea Chronica» von 1565 erwähnte der Luzerner Chronist Renward Cysat den Alpsegen
unter dem Begriff Ave Maria, er sei ein gebett oder christlicher geistlicher spruch uff alte tütsche rymen
(Cysat 1969, S. 692). Martin Staehelin erhärtet die Vermutung, eine Art von Alpsegen sei schon im Mittelalter bekannt gewesen mit Hinweisen auf Viehsegen aus dem 14. Jahrhundert (Staehelin 1982, S. 6f.).
Auf das hohe Alter des Alpsegens deuten zudem der lateinische Mariengruss „Ave Maria“, der Einbezug
des Johannes-Evangeliums, Texte aus dem Glaubensbekenntnis, dem Unser Vater und dem Requiem, die
Scheuchrufe «Ho-ho-ho» sowie Vieh- und Wettersegen.
Moritz Anton Kappeler veröffentlichte 1767 in seiner «Pilati Montis Historia» erstmals den Text eines
Bättruefs (Cappeler 1767, S. 10f.).
1867 publizierte Heinrich Szadrowsky eine Transkription von Text und Melodie des Alpsegens auf der
Alp Lasa im st. gallischen Sarganserland (Szadrowsky 1867/68, S. 315ff.; Senti 1994, 49 und 116).
Forschungsbericht
Der Betruf, der sich in den Schweizer Alpen seit rund 450 Jahren nachweisen lässt, gilt als älteste, im
Prinzip gleich gebliebene und noch immer lebendige Form der Schweizer Volksmusik und stellt in der
einmaligen Kontinuität einer ausschliesslich oralen Tradition einen Glücksfall dar. In lokalen, volkskundlichen und alpinen Zeitschriften lässt sich denn auch viel Material zu diesem alten geistliche Hirtenlied
finden, aber es handelt sich dabei fast ausnahmslos um Mitteilungen von Alpsegen-Texten, örtliche und
historische Angaben, bestenfalls um das Bild eines Betrufers oder eine Beschreibung des Brauches. Die
musikalische Volkskunde aber hat sich bisher wenig um den Alpsegen bemüht.
Der spätere Staatsarchivar von Obwalden, August Wirz, verfasste zwar 1943 unter dem Titel «Der Betruf
in den Schweizer Alpen» eine leider ungedruckt gebliebene Dissertation. Sie enthält ein umfangreiches,
nach Kantonen geordnetes Material, Transkriptionen und Analysen der Endformen von Verszeilen.
1977 publizierte Max Peter Baumann einen Aufsatz unter dem Titel «Zur Bedeutung des Betrufes in
Uri» (Baumann 1977, S. 71-83). 1981 folgte Justin Winklers Artikel «Der Betruf des Sarganserlandes»
(Winkler 1981, S. 88-91) und 1982 veröffentlichte Martin Staehelin seine «Bemerkungen zum sogenannten
Alpsegen. Wesen und historische Tiefe» (Staehelin 1982, S.1-35).
1994 erschien Alois Sentis Monographie «Der Sarganserländer Alpsegen». In seinem Lebenswerk, das
im Frühling 2007 erscheinen soll, hat Josef Wyss aus Publikationen und auf dem Korrespondenzweg
123 verschiedene Alpsegen-Texte, unter ihnen 35 aus Uri, aber auch vereinzelte aus dem Fürstentum
Liechtenstein, dem Allgäu und aus Vorarlberg, sowie 18 Melodien zusammengetragen (freundliche
Mitteilung des Autors).
1965 brachte die Schweizerischen Kabelwerke Daetwyler in Altdorf eine Langspielplatte unter dem Titel
«Uri. Fest und Brauch. Sage und Dichtung» heraus, die den Urner Betruf vom Seelisberg wiedergibt. Im
Schweizer Teil der «Collection Constantin Brailoiu», der 1950-52 auf 13 Schellackplatten und 1986 auf
2 Langspielplatten (Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde und Archives Internationales de musique populaire, VDE 30-477/78) herauskommen konnte, sind der Nidwaldner Betruf auf der Triebenalp
(1947) und der Sarganserländer Alpsegen (1943) enthalten. Im Film «Ur-Musig» (1989-1993) von Cyrill
Schläpfer und der entsprechenden Tonspur (CSR-2 CD 91512) werden Betrufe vom Urnerboden, aus
dem Schächental, aus Nidwalden und Innerrhoden wiedergegeben. 1999 publizierten Gerlinde und Hans
Haid einen 1985 augenommenen Alpsegen aus Obwaldeb in «Musica Alpina» IV. In der Reihe Ocora von
Radio France ist 2005 die CD «Suisse, paysages musicaux» erschienen, die den Alpsegen vom Stoos
dokumentiert(CD Ocora C 600017, Nr.7).
69
Heutige Tradition
Obwohl das Alpsegenrufen als zeitaufwendiges und anstrengendes Ehrenamt gilt, erklingt der Bättruef
in den Alpengebieten der Kantone Appenzell Innerrhoden, des st. gallischen Sarganserlandes, im luzernischen Entlebuch und in den Kantonen Ob- und Nidwalden, Schwyz und insbesondere Uri, nach wie
vor. Selten geworden ist die Alpsegen-Tradition im Oberwallis. Schon Schulkinder lernen seinen lokalen
Wortlaut zusammen mit dem «Unser Vater», dem «Ave Maria» und dem Glaubensbekenntnis auswendig.
Auch wenn es nicht an zahlreichen Niederschriften fehlt und gedruckte Alpsegen-Texte als Wadschmuck
in vielen Sennhütten hängen, werden die Betruf-Texte nach wie vor mündlich weitergegeben.
In ihren Elementen sind alle Betrufe ähnliche Schutzgebete, mit denen aber auch die Kühe zur Vorsicht
aufgefordert und die Gespenster vertrieben werden sollen. Bereits Renward Cysat hat 1565 darauf hingewiesen, dass böse Geister die Herde entführten, sollte auf einer Alp der Betruf einmal vergessen werden:
…und da sollches nitt beschähe, werde jenen jr vych uff der stett von dem gespenst jn lüfften hinweg
gefüert und getriben, komme erst am dritten tag wider gar übel abgehelcht, ermüdet und ellend (Cysat
1969, S. 692). Diese Sage kann Josef Wyss an über 50 Orten belegen.
An typischen Merkmalen lassen sich aber lokale Varianten erkennen. Im Oberwallis beginnt der Alpsegen
immer mit dem Johannes-Evangelium Im Anfang war das Wort. Den Ostschweizer Betruf erkennt man
noch heute am Tierkatalog. Sankt Peter möge dem Wolf den Zahn/dem Bären den Tatzen/dem Raben den
Schnabel/dem Wurm den Schweif/dem Stein den Sprung bannen. Im Innerschweizer Alpsegen ist das
Merkmal der goldene Ring, der Kreis um die Alp, der den Schutzbann bezeichnet. In diesem Sinn lässt
sich auch der goldene Graben mit den drei Knaben, nämlich Gott Vater, Jesus und der Heilige Geist,
verstehen. Die dritte Formel bezeichnet den goldenen Thron, auf dem die Mutter Maria mit ihrem Kind
sitzt.
Die Anrufung der vier Evangelisten ist für den Betruf im Kanton Schwyz typisch. Sie wirken gegen
Unwetter, Wölfe, Räuber und Gespenster.
Die halb gesprochenen, halb gesungenen Vortragsweisen der Betrufe sind verschieden. Die Notationen
und Aufnahmen lassen syllabische Rezitationen mit je einem Ton pro Silbe in einfachen Melodien im
Umfang einer Quarte beobachten. In den Finalbildungen an den Versenden erkennt man melismatische
Ausgestaltungen mit mehreren Tönen auf eine Silbe im Tonumfang einer Quarte oder Quinte. Und
schliesslich dürfen eigentliche Melodien im Umfang bis zu einer Sexte erwähnt werden.
Der Alpsegen vom Stoos
Dieser Alpsegen wurde 1965 auf der Alp Frontal am Stoos im Kanton Schwyz durch Radio DRS, Studio
Zürich aufgenommen (Archiv Nummer 62-232; CD Bättruef-Alpsegen, Swiss Alpine Prayer ZYT 4587,
Nr.2). Der Sänger, Paul Ehrler, (23.2.1909-13.1.1993), ein Bauernknecht aus Ibach, war viele Jahre lang
sommersüber Älpler und galt als guter Jodler. Sein Sprechgesang ist denn auch gut verständlich.
Der Betruf vom Stoos beginnt mit dem Englischen Gruss, gefolgt von der Segensformel Es walte Gott.
Danach werden Vieh und Leute sowie das Land dem Schutze von Maria und Gottvater anvertraut. Unter
den Heiligen werden Josef, der Nährvater Jesu, Anton, der Schutzpatron der Haustiere, Wendelin, der
Patron der Hirten, Philipp, der in Einsiedeln gefeierte Apostel, Jakobus und Isidor, die Beschützer der
Bauern, sowie die vier Evangelisten und die Engel, angerufen. Sie sollen alle Lebewesen auf der Alp vor
Übel, Unglück, Gefahren, vor Blitz, Hagel, Wetterstrahl und vor bösen Geistern bewahren.
Es ist schwierig, den Alpsegen auf Frontal zu datieren. Auf eine jüngere Entstehungszeit lassen die
Endreime schliessen. Der Wettersegen und die damit verbundene Anrufung der vier Evangelisten, die
mittelalterliche Segensformel Das walte Gott, der lateinische Mariengruss Ave Maria und der blosse
Tonvorrat einer Quarte weisen aber auf sein hohes Alter hin.
Es ist nicht einfach, einen Alpsegen mit all den Zwischentönen und den unregelmässigen Längen zu
transkribieren. Der Komponist Alfred Schweizer hat den Alpsegen vom Stoos bewusst eine Terz tiefer
notiert, um mit dem einfachen Notenbild in F die Ruhe und Spiritualität des geistlichen Hirtenliedes auf
70
den ersten Blick wiederzugeben (Abb. 2). Er verzichtete zudem ganz bewusst auf eine metrische Transkription, also auf Taktstriche, und wählte eine Notenschrift, die den frei psalmodierenden Rhythmus
des Betrufes visualisiert.
2. Alpsegen auf Fronalp am Stoos, Kanton Schwyz, Aufnahme 1965 (CD Ocora C 600017, Nr.7),
Transkription Alfred Schweizer.
Die Verwandtschaft zwischen dem gregorianischen Choral und dem Alpsegen auf Frontal fällt in dieser
Notationsweise auf. Sie lässt sich aber auch musikwissenschaftlich bestätigen. Er entspricht in seinen
einfachen Lektions-Tönen und Litanei-Melodien dem mittelalterlichen Vortrag liturgischer Lesungen und
71
Gebete. Rezitiert wird auf dem Ton g, dem zweithöchsten Ton. Der Spitzenton a wird nur bei der Nennung
von Christus erreicht. Die achtmalige Anrufung von Maria wird durch die leichte Melodiebewegung e-g
bekräftigt. Auch ein melodisch noch so sparsamer Betruf verfügt somit über Mittel der Differenzierung
und des Ausdrucks. Innerhalb der minimalen melodischen Bewegung des Alpsegens vom Stoos ist für
die Schlußformel Amen eine klare Steigerung zu beobachten.
Der deutschschweizerische Betruf lässt sich als volkstümlichen gregorianischen Gesang erklären. Kompositorische Elemente, wie sie sich am Beispiel des Alpsegens vom Stoos nachweisen lassen, erlauben
den Vergleich mit mittelalterlichen Litaneigesängen und biblischen Rezitationen. Im alten Hirtengebet
der Schweizer Älpler ist der gregorianische Gesang bis heute mündlich tradiert worden (Dem Musikwissenschaftr PD Dr. Josef Willimnn, Universität Basel sei für die Diskussion dieses Alpsegens gedankt).
Das Album «Bättruef-Alpsegen/Swiss Alpine Prayer»
Die Autorin hat sich während vielen Jahren um eine Sammlung von Tondokumenten der verschiedenen
Betrufe bemüht. Eigene Aufnahmen aus dem Feld waren wegen Fluglärms unbrauchbar geblieben.
Systematische Sucharbeit in den Archiven von Radio DRS haben rund 50 gute, zum Teil nicht einmal
inventarisierte Aufnahmen, meistens aus den 1960er Jahren, zu Tage befördert. Aus diesem Fundus wurden
9 Alpsegen ausgewählt und 2006 um eine neue Aufnahme aus dem Entlebuch ergänzt.
Mehrere Verlage lehnten einen ausschliesslich dem Alpsegen gewidmeten Tonträger ab. Erst die Zusammenarbeit mit dem Zytglogge Verlag und die finanzielle Unterstützung der Schweizer UNESCO Kommission sowie aller Kantone, die den Betruf kennen, führten zum Ziel. (ZYT 4587; www.zytglogge.ch).
Benutzte Literatur in chronologischer Folge
Cysat 1565
Renward Cysat, Collectanea Chronica und denkwürdige Sachen pro Chronica Lucernensi et Helvetiae, bearb. von Josef Schmid, Erste Abt.,
1. Bd., 2. Teil, Luzern 1969 (=Quellen und Forschungen zur Kulturgeschichte von Luzern und der Innerschweiz, Bd. 4,2.Teil), S. 692.
Cappeler 1767
Moritz Anton Cappele, Pilati Montis Historia in Pago Lucernensi Helvetiae siti, Basel 1767, S. 10.
Szadrowsky 1867/68
Heinrich Szadrowsky, Die Musik und die tonerzeugenden Instrumente der Alpenbewohner, in: Jahrbuch des SAC (Schweizer Alpenclub)4,
1867/68, S. 315-317.
Schering 1900/01
Arnold Schering, Ein Schweizer Alpen-Bet-Ruf, in: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft 2, 1900/1901, S. 669-262.
Bukofzer 1935/36
Martin Bukofzer, Magie und Technik in der Alpenmusik, in: Schweizer Annalen 1, 1935/36, S. 205-215.
Wirz 1943
August Wirz, Der Betruf in den Schweizer Alpen, Diss. maschgeschr. Freiburg i. Ue. 1943.
Staehelin 1973
Martin Staehelin, Volksmusikalisches aus den Schweizer Alpen im Nachlass von Johann Gottfried Ebel, in: Festschrift für Robert Wildhaber
zum 70. Geburtstag 1972, Basel 1973, S. 640-649.
Helmer 1975
Paul Helmer, European pastoral calls and their possible influence on western liturgical chant, Diss. Columbia University 1975, Ann Arbor
1978.
Baumann 1977
Max Peter Baumann, Zur Bedeutung des Betrufes in Uri«, In: Festschrift für Felix Hoerburger zum 60. Geburtstag, Regensburg 1977, S.
71-83.
Winkler 1981
Justin Winkler, Der Betruf des Sarganserlandes, in: Schweizer Volkskunde 71, 1981, S. 88-91.
Staehelin 1982
Martin Staehelin, Bemerkungen zum sogenannten Alpsegen. Wesen und historische Tiefe, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 78,
1982, S.1-35.
Senti 1994
Alois Senti, Der Sarganserländer Alpsegen, Mels 1994.
Wyss 2007
Josef Wyss, Betruf/Alpsegen (Arbeitstitel), Appenzell (Druck in Vorbereitung).
Adresse: Prof. Dr. Brigitte Bachmann-Geiser, Sonnenbergrain 16, CH-3013 Bern, T/F 0041 31 332 20 29,
e-mail [email protected]
72
«Indigenous Worldmusic – Indigene Weltmusik»
Soeben ist der Kalender 2007 der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) zum Thema „Indigenous
Worldmusic - Indigene Weltmusik“ erschienen. Der Kalender zeigt nicht nur monatlich in bunten
Bildern indigene Musiker/innen und Tänzer/innen aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt,
sondern bringt zudem mit informativen Hintergrundtexten die Welt der portraitierten Menschen näher.
Die GfbV ist eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für bedrohte indigene Völker und
verfolgte ethnische und religiöse Minderheiten einsetzt.
Kalender der Gesellschaft für bedrohte Völker: LEBENSZEICHEN 2007
Musik und Tanz bei indigenen Völkern
(Farbbildkalender mit Sachtexten auf der Rückseite, Format A3, Fr. 35.- zzgl. Versandkosten).
Der Reinerlös des Kalenders LEBENSZEICHEN kommt der Menschenrechtsarbeit der Gesellschaft
für bedrohte Völker zu.
Bestellung an: Gesellschaft für bedrohte Völker, Wiesenstrasse 77, 3014 Bern Tel.: 031/ 311 90 08;
Fax: 031 311 90 65. E- Mail: [email protected], Internet: www.gfbv.ch
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Musikethnologische Publikationen der CH-EM-Mitglieder 2003-2005/06
Publications ethnomusicologiques des membres de la CH-EM 2003-2005/06
A) BÜCHER / LIVRES
Aubert, Laurent: Les feux de la déesse. Rituels villageois du Kerala. Avec la collaboration de Ravi Gopalan
Nair et Dominique Wohlschlag. Collection Anthropologie – Terrains. Lausanne, Payot, 2004, 496 p., 32 planches
couleurs.
- Il ritmo degli dei. Arti e rituali del Kerala (India del Sud). Traduzione italiana di Marco Mazzolini. Prefazione
di Enzo Restagno. Millano, Ricordi, coll. Popoli & Musiche, 2004, 182 p., ill. couleurs.
- Formes musicales. Cahiers de musiques traditionnelles 17. Publication dirigée par Laurent Aubert. Genève,
Georg éditeur / Ateliers d’ethnomusicologie, 2004, 414 p., ill. n.b.
- Musiques migrantes. De l’exil à la consécration. Ouvrage collectif dirigé par Laurent Aubert. Collection Tabou. Gollion, In Folio / Genève, Musée d’ethnographie, 2005, 235 p.
- Entre femmes. Cahiers de musiques traditionnelles 18. Publication dirigée par Laurent Aubert. Genève, Georg
éditeur / Ateliers d’ethnomusicologie, 2005, 360 p., ill. n.b.
Ringli, Dieter: Schweizer Volksmusik im Zeitalter der technischen Reproduktion, Dissertation Universität Zürich, 2003, 268 p.
Sorce Keller, Marcello: Note in libertà – storie di musica e di musicisti, Lugano, Radiotelevisione della Svizzera Italiana, 2005.
B) AUFSÄTZE / ARTICLES
Ammann, Raymond: Staubkorn des Kolonialreichs. Neukaledonien: Ein Modell für eine schonende Dekolonisierung (in Zusammenarbeit mit Oswald Iten). In: Der Überblick, Zeitschrift für ökumenische Begegnung und
internationale Zusammenarbeit 1 (2004), p. 68-71.
- Musique de Vanuatu: Le tamtam (tambour à fente). / Les danses du Vanuatu « pablik danis ». In : 101 mots
pour le Vanuatu, Nouméa, Nouvelle Calédonie, Editions Ile de Lumière, 2005.
- Wenn die Insel zur Bühne wird. Tänze aus der Südseeinsel Tanna, Südpazifik. In: Regio Basiliensis 47/1
(2006), p. 5-10.
Aubert, Laurent: Question de mémoire : les nouvelles voies de la tradition. In : Le patrimoine culturel immatériel : les enjeux, les problématiques, les pratiques. Internationale de l’Imaginaire 17. Arles, Babel, 2004, p.
113-123.
- Un pacte avec les dieux. Introduction à Johnathan Watts : Kerala : Des dieux et des hommes. Milano, Editions
des Cinq Continents, 2004, p. 7-20, avec trad. anglaise.
- Apprendre la musique de l’autre : un voyage transculturel. In : Mauro Abbühl, Chudi Bürgi et Dagmar Kopse,
ed. : Soukous, kathak et bachata. Musiques et danses d’Afrique, d’Asie et d’Amérique latine en Suisse. Lausanne, Editions d’en bas / Berne, Culture et développement, 2004, p. 231-240.
74
- Musiques du monde : Genève à la croisée des cultures. Entretien avec Pierre Rouyer. In : Animan 121/106,
avril 2004, p. 24-32.
- La collecte de terrain a-t-elle encore un sens ? In : Totem 41, journal du Musée d’ethnographie de Genève,
2004,
p. 3.
- Les cultures musicales dans le monde. Traditions et transformations. In : Musiques, une Encyclopédie pour
le XXIe siècle, vol. III : Musiques et cultures, coordonné par Jean-Jacques Nattiez. Paris, Cité de la Musique /
Arles, Actes Sud, 2005, p. 39-107.
- La voix des ancêtres. Notes sur l’usage de la musique dans les sociétés traditionnelles. In : Les pouvoirs de la
musique. À l’écoute du sacré. Connaissance des Religions 75-76 (2005), p. 11-14.
- Le goût musical, marqueur d’identité et d’altérité. In : Erica Deuber-Ziegler et Geneviève Perret, dir. : Nous
autres. Collection Tabou. Gollion, In Folio / Genève, Musée d’ethnographie, 2005, p. 137-153.
- Prélude. In : Laurent Aubert, dir. : Musiques migrantes. De l’exil à la consécration. Collection Tabou. Gollion,
In Folio / Genève, Musée d’ethnographie, 2005, p. 11-14.
- Les passeurs de musiques : images projetées et reconnaissance internationale. In : Laurent Aubert, dir. : Musiques migrantes. De l’exil à la consécration. Collection Tabou. Gollion, In Folio / Genève, Musée d’ethnographie,
2005, p. 109-127.
- Georges Montandon et la ‘‘généalogie des instruments de musique’’. In : Philippe Mathez et Sylvain Froidevaux, dir. : Nous autres. Petit guide de l’exposition. Genève, Musée d’ethnographie, 2005, p. 40.
- Les beautés aimées des dieux. Entretien avec Pierre Rouyer. Animan 129 (2005), p. 22-23.
- Chamanisme et possession : une question de méthode. In : Totem 42, journal du Musée d’ethnographie de
Genève, 2005, p. 8.
- Les Feux de la Déesse, mythes et rituels du Kerala. In : Totem 42, journal du Musée d’ethnographie de
Genève, 2005, p. 2.
- Le nouvel essor des AIMP (avec Ignacio Cardoso, Patrik Dasen et Najva Esfahani). In : Totem 43, journal du
Musée d’ethnographie de Genève, 2005, p. 5.
Bachmann-Geiser, Brigitte: Der Betruf in den Schweizer Alpen. In: Schweizer Musikzeitung 7, 11. November
2004, p. 3-4.
- Täufermusik. In: Berns mächtige Zeit. Das 16. und 17. Jahrhundert neu entdeckt, hg. von André Holenstein,
Bern 2006, p. 261.
- Musikinstrumente. In: Berns mächtige Zeit. Das 16. und 17. Jahrhundert neu entdeckt, hg. von André Holenstein, Bern 2006, p. 336.
- Der Sound der Berner Fasnacht. Feldforschung im Kostüm. In: Der Bund, 2. März 2006, p. 2.
- Der Betruf in den Schweizer Alpen. In: Cultures alpines / Alpine Kulturen, Redaktion: Reto Furter, Anne-Lise
Head-König, Luigi Lorenzetti, Zürich, Chronos Verlag, 2006, p. 27-36.
Baumann, Dorothea: Further Thoughts on Marchetto’s Semitones and Their Relevance for Performance Practice in Fourteenth Century Italy. In: Commemoration, Ritual and Performance: Essays on Medieval and Early
Modern Music, Sydney 2004, edited by Jane Morlet Hardie. Ottawa: Institute of Mediaeval Music, 2006, p.
17-36.
75
Böhm, Susanne: Frauen, traditionelle Musik und Kommunikation in Mauretanien. In: Bulletin GVS/CH-EM
2005, p. 67-72.
- Mann und Musikerin zugleich. In: Südwind, Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung 9
(2006), p. 24-25.
Borel, François: Deux expériences musicales au Musée d’ethnographie de Neuchâtel. In: Musiques à voir.
Cahiers de musiques traditionnelles 16 (2003), 137-153.
- Jean Gabus au Sahara : de l’ethnographe au muséographe. In : M.-O. Gonseth, J. Hainard, R. Kaehr (dir.), Cent
ans d’ethnographie sur la colline de Saint-Nicolas 1904-2004, Neuchâtel, MEN, 2005, p. 175-199.
- De l’ethnologie musicale à l’ethnomusicologie. In : M.-O. Gonseth, J. Hainard, R. Kaehr (dir.), Cent ans
d’ethnographie sur la colline de Saint-Nicolas 1904-2004, Neuchâtel, MEN, 2005, p. 221-226.
- Compte rendu du CD : Ilê Omolu Oxum. Cantigas e toques para os orixás, édité par E. Pereira et G. Pacheco et
réalisé par le Museu Nacional de Rio de Janeiro, 2004. In : Entre femmes. Cahiers de musiques traditionnelles 18
(2005), p. 338-339.
Burkhalter, Thomas: Mapping Out the Sound Memory of Beirut. A survey of the music of a war generation.
Beirut, Institut Français du Proche Orient IFPO, 2006.
Camp, Marc-Antoine: Wer darf das Lied singen? Musikethnologische Anmerkungen zum rechtlichen Status
traditioneller Musikkulturen. In: Sic! Zeitschrift für Immaterialgüter-, Informations- und Wettbewerbsrecht,
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C) COMPACT DISCS / DVD / FILM
Ammann, Raymond: Von Basel nach Vanuatu. Film VKS-Productions Port Vila, 27 Min. Filmdokumente zu
den Objekten in der Ozeanien Abteilung des Museums der Kulturen in Basel (werden z.Zt. im Museum von
Vanuatu archiviert und dienen als Basis einer kulturellen Renaissance). Port Vila / Basel, Kulturfonds, 2004.
- Karum nupu, basket of songs. Film VKS-Productions Port Vila, 36 Min. Dokumentation über die Entstehung
und Lehrvorgänge von Liedern und Tänzen auf der Insel Tanna. Port Vila / Bern, DEZA, 2005.
Aubert, Laurent: Kerala (Inde du Sud). Le chant des Pulluvan. Enregistrements et texte de Laurent Aubert.
1 CD AIMP LXXIII/VDE CD-1147, 2004.
- Varanasi Ras. Prem Kishor Mishra, Inde. Direction artistique et texte de Laurent Aubert. 1 CD ETHNOMAD/
Arion ARN 64644, 2004.
- Les dieux ne meurent jamais. Film de Laurent Aubert, Ravi Gopalan Nair, Patricia Plattner et Johnathan Watts
(DVD 52’). Genève : Light Night / Musée d’ethnographie, 2004.
Bachmann-Geiser, Brigitte: Volksmusik aus dem Kanton Schwyz, Traditional Music from the Canton Schwyz.
Musica Helvetica MH CD 91.2, Swissinfo, in Zusammenarbeit mit der Kulturkommission des Kantons Schwyz.
- Bättruef/Alpsegen. Swiss alpine prayer, CD ZYT 4587.
- Customs & Traditions in Switzerland. Swiss Folk Customs from Season to Season, DVD Swissworld, SRG
SSR Idée Suisse, Bern 2005 (this DVD with English or Japanese comment can be ordered free of charge at Swiss
Info, Giacomettistrasse 1, CH-3006 Bern). The same item appears in 2006 as a multimedia DVD with comments
in English, german, Japanese and Chinese (www. Presence.ch).
- Swiss Alpine Music, Special in six languages about Alpine horn and Yodel published on swissinfo/Swiss Radio International (http://www.swissalpinemusic.ch) Les instruments de musique populaire en suisse.
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