Peer Swiss Medical Forum re 34 23. 8. 2017 705 J. Notter, B. Frey Tirri, F. Bally, et al. Sexuell übertragene Infektionen mit Chlamydia trachomatis 720 R. Fried, P. Muggensturm Akuter Nachtschweiss, Husten, pleuritische Thoraxschmerzen jo u r n al SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer vie we d 724 M. Gassner Aerogener Übertragungs­ modus intestinaler Parasitosen? With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly” 712 A. Mendes, S. Perivier, B. Heyrani Nobari, et al. Chronische Schlafstörungen Offizielles Fortbildungsorgan der FMH Organe officiel de la FMH pour la formation continue Bollettino ufficiale per la formazione della FMH Organ da perfecziunament uffizial da la FMH www.medicalforum.ch Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 701 INHALTSVERZEICHNIS Redaktion Beratende Redaktoren Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Prof. Dr. Stefano Bassetti, Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Dr. Pierre Périat, Basel; Basel; Dr. Ana M. Cettuzzi-Grozaj, Basel (Managing editor); Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal Prof. Dr. ­Martin Krause, Münsterlingen; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern; Prof. Dr. Antoine de Torrenté, La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne; PD Dr. Maria Monika Wertli, Bern Advisory Board PD Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Jérôme Gauthey, Biel; Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds; Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne; Dr. Daniel Portmann, Winterthur Und anderswo …? A. de Torrenté 703Ischialgie: Pregabalin? Editorial R. Heinzer 704Schlaf bei älteren Menschen Vorsicht vor althergebrachten Vorstellungen! Übersichtsartikel mydien-Management Chlamydien-Case-Management re v ie we d Personen Sexuell übertragene Infektionen mit Chlamydia trachomatis – Aktive Suche und Behandlung aller 705 Peer – Optimale Technik bei Probenentnahme C. Hauser, P.– Vernazza, A. J. Schmidt, P. Itin , J. Fehr , A. Calmy, N. Low, P. Tarr Antibiotikabehandlung von infizierten a r tic le J. Notter, B. Frey Tirri, F. Bally, K. Aebi Popp, M. Yaron, D. Nadal, M. Cavassini, durch Eltern elle len domen SexpartnerInfektionen der letzten 6 Monate Sexuell übertragene mit Chlamydia trachomatis werden in den letzten Jahren (im Minimum: des letzten Partners) immer häufiger Chlamydien betreffen vor allem junge Frauen und werden wegen – Keindiagnostiziert. Sex für 7 Tage ausserhalb behandelter Partnerschaft des Risikos–der aufsteigenden Infektion («pelvic inflammatory disease») und der möglichen Erneute Chlamydien-Testung 3–6 Monate nach antibiotischer schweren Komplikationen wie Eileiterschwangerschaft und Unfruchtbarkeit gefürchtet. Diese Chlamydien-Behandlung ektion er STI atientInnen treten deutlich seltener auf als früher angenommen. Das Management der infizierten Personen tsabbruch pirale» sollte verbessert werden. Peer Chronische Schlafstörungen In der geriatrischen Population treten häufig Schlafstörungen auf. Oft werden diese re v ie we d A. Mendes, S. Perivier, B. Heyrani Nobari, K. Cervena, S. Perrig, D. Zekry 712 a r tic le Übersichtsartikel AIM als normales Phänomen des Alterungsprozesses gedeutet. Tatsächlich ändert sich mit steigendem Alter die Schlafarchitektur. Nichtsdestotrotz darf das Alter allein nicht als Ursache von Schlaf­störungen angesehen werden. Versicherungsmedizinische Gutachten – dritte, vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage NEU Prof. Dr. Gabriela Riemer-Kafka (Hrsg.), Universität Luzern Versicherungsmedizinische Gutachten 2017. 187 Seiten. Broschiert. sFr. 43.– / € (D) 43.– / € (A) 43.– EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG in Kooperation mit Stämpfli Verlag AG Bern ISBN 978-3-03754-102-9 ISBN eBook 978-3-03754-103-6 Einwandfrei verfassen, eindeutig verstehen. Ein interdisziplinärer juristisch-medizinischer Leitfaden Das versicherungsmedizinische Gutachten ist ein Beweismittel, das in strittigen Fragen von Versicherungen, Gerichten oder den versicherten Personen selbst in Auftrag gegeben wird. Da eine rasche und richtige Entscheidfindung von der Überzeugungskraft und Qualität des Gutachtens abhängt, müssen die inhaltlichen und formalen Anforderungen an ein solches entsprechend definiert werden. Der vorliegende juristischmedizinische Leitfaden zeichnet sich dadurch aus, dass Ärzte und Juristen gemeinsam die im Zusammenhang mit der Erstellung von Gutachten sich ergebenden Fragen erarbeitet haben, um damit das gegenseitige Verständnis zu fördern und Brücken zwischen diesen beiden unterschiedlichen Disziplinen, jede mit der ihr eigenen Denkweise, zu schlagen. Weitere Informationen finden Sie unter www.emh.ch in der Rubrik «Bücher». Ihre Bestellmöglichkeiten: T +41 (0)61 467 85 55, F +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.emh.ch, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, CH-4132 Muttenz Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 702 INHALTSVERZEICHNIS Was ist ihre Diagnose? v ie we d Peer re Eine 22-jährige medizinische Praxisassistentin wird wegen akuten Nachtschweisses, Husten, a r tic le R. Fried, P. Muggensturm 720A kuter Nachtschweiss, Husten, pleuritische Thoraxschmerzen pleuritischer linksseitiger Thoraxschmerzen sowie Dyspnoesensa­tionen zur Abklärung zugewiesen. Leserbrief M. Gassner 724Aerogener Übertragungsmodus intestinaler Parasitosen? T. Benoit 724Replik Swiss Medical Weekly Editorial Board: Prof. Adriano Aguzzi, Zurich (ed. in chief); Prof. Manuel Battegay, Basel; Dr. Katharina Blatter, Basel (Managing editor); Prof. Jean-Michel Dayer, Geneva; Prof. Douglas Hanahan, Lausanne; Dr. Natalie Marty, Basel (Managing editor); Prof. André P. Perruchoud, Basel (senior editor); Prof. Christian Seiler, Berne; Prof. Peter Suter, Geneva (senior editor) The “Swiss Medical Weekly“ is the official scientific publication of the Swiss Society of Internal Medicine, Swiss Society of Infectiology, Swiss Society of Rheumatology and Swiss Society of Pulmonary Hypertension. The journal is supported by the Swiss Academy of Medical Sciences (SAM) and the Swiss Medical Association (FMH). Abstracts of new articles from www.smw.ch are presented at the end of this issue. Manchmal ist Mama müde Anne-Christine Loschnigg-Barman, Judith Alder Manchmal ist Mama müde Ein Kinderbuch zum Thema Brustkrebs EMH Schweizerischer Ärzteverlag 2011. 36 Seiten, 17 Abbildungen in Farbe. Gebunden. sFr. 14.50 / € 14.50 ISBN 978-3-03754-061-9 Weitere Informationen finden Sie unter www.emh.ch in der Rubrik «Bücher und mehr». Das Kinderbuch «Manchmal ist Mama müde» richtet sich an Kinder im Alter von 2 bis 8, deren Mutter an Brustkrebs erkrankt ist. Das Buch soll den Kindern helfen, die Krankheit der Mutter besser zu verstehen, und die Eltern unterstützen, Worte für das Unfassbare zu finden. Die fröhlichen Illustrationen sprechen Kinder direkt an. Der einfühlsame Text vermittelt ihnen, dass sie mit ihren Sorgen und Ängsten ernst genommen werden und dass die Krankheit nichts an der Liebe zum Kind verändern kann. Ihre Bestellmöglichkeiten: T +41 (0)61 467 85 55, F +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.emh.ch, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, CH-4132 Muttenz Impressum Swiss Medical Forum – Schweizerisches Medizin-Forum Offizielles Fortbildungsorgan der FMH und der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin Marketing EMH / Inserate: Dr. phil. II Karin Würz, Leiterin Marketing und Kommunikation, Tel. +41 (0)61 467 85 49, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected] Redaktionsadresse: Eveline Maegli, Redaktionsassistentin SMF, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 58, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.medicalforum.ch Abonnemente FMH-Mitglieder: FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18, 3000 Bern 15, Tel. +41 (0)31 359 11 11, Fax +41 (0)31 359 11 12, [email protected] Andere Abonnemente: EMH Schweize­ rischer Ärzteverlag AG, Abonnemente, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 75, Fax +41 (0)61 467 85 76, [email protected] Abonnementspreise: zusammen mit der Schweizerischen Ärztezeitung 1 Jahr CHF 395.– / Studenten CHF 198.– zzgl. Porto; ohne Schweize­ rische Ärzte­zeitung 1 Jahr CHF 175.– / Studenten CHF 88.– zzgl. Porto (kürzere Abonnementsdauern: siehe www.medicalforum.ch) Manuskripteinreichung online: http://www.edmgr.com/smf Verlag: EMH Schweizerischer Ärzte­ verlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 55, Fax +41 (0)61 467 85 56, www.emh.ch ISSN: Printversion: 1424-3784 / elektronische Ausgabe: 1424-4020 Erscheint jeden Mittwoch © EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG (EMH), 2017. Das Swiss Medical Forum ist eine Open-­Access-Publika­tion von EMH. Entsprechend gewährt EMH allen Nutzern auf der Basis der CreativeCommons-Lizenz «Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbei­ tung­en 4.0 International» das zeitlich unbeschränkte Recht, das Werk zu ver­ viel­fältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen unter den Bedin­ gungen, dass (1) der Name des Autors genannt wird, (2) das Werk nicht für kommerzielle Zwecke verwendet wird und (3) das Werk in keiner Weise bear­ beitet oder in anderer Weise verändert wird. Die kommerzielle Nutzung ist nur mit ausdrück­licher vorgängiger Erlaub­ nis von EMH und auf der Basis einer schriftlichen Vereinbarung zulässig. Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. Hinweis: Alle in dieser Zeitschrift pu­blizierten Angaben wurden mit der grössten Sorgfalt überprüft. Die mit Verfassernamen gezeichneten Ver­ öffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht zwangsläufig die Meinung der SMFRedaktion wieder. Die angegebenen Dosierungen, Indikationen und Appli­ kationsformen, vor allem von Neuzu­ lassungen, sollten in jedem Fall mit den Fachinformationen der verwende­ ten Medikamente verglichen werden. Herstellung: Schwabe AG, Muttenz, www.schwabe.ch Titelbild: © Monkeybusinessimages | Dreamstime.com See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 703 UND ANDERSWO …? Und anderswo …? Antoine de Torrenté Ischialgie: Pregabalin? Fragestellung Eine Ischialgie ist durch Gesässschmerzen ­gekennzeichnet, die ins Bein ausstrahlen und u.U. mit Lumbalgien einhergehen. Neben diesen Symptomen treten mitunter auch Sensibilitätsstörungen, Muskelschwäche und Hypo-/ Areflexie auf. Pregabalin ist bei bestimmten neuropathisch bedingten, insbesondere post­ herpetischen oder diabetischen Schmerzen wirksam. Es wirkt auf die Kalziumkanäle und verringert die Freisetzung bestimmter Neurotransmitter. Daher erscheint es logisch, die Wirkung von Pregabalin auf ischi­ a lgische Schmerzen zu untersuchen. Das Ziel der PRECISE-Studie (Pregabaline in Addition to Usual Care for Sciatica) war es, diese Fragestellung klären. Methode Die Studie war randomisiert, doppelblind und plazebokontrolliert. Die eingeschlossenen Patienten wurden von einem Studienarzt untersucht, der das klinische Bild einer Ischialgie bestätigte. Die Schmerzen mussten mindestens Wer hat die besten Arterien der Welt? Forscher haben herausgefunden, dass die Tsimane, ein Amazonasvolk aus Bolivien, die gesündesten Arterien haben. 700 der >40 Jahre alten Ureinwohner wurden einem CT unterzogen, um Anzeichen von Koronarverkalkung festzustellen. Die Resultate wurden mit einer Population aus Industrieländern verglichen. 85% der Tsimane wiesen keine Koronarver­ kalkung auf, im Vergleich zu lediglich 14% der Amerikaner. Ihr Geheimnis: 4–7 Stunden körper­liche Betätigung täglich, niedriger Blutdruck, kein Tabakkonsum. Es können nicht alle im Amazonasgebiet Boliviens leben! Kaplan H, et al. Lancet. 2017;389(10080):1730–9. http://thelancet.com/journals/lancet/article/ PIIS0140-6736(17)30752-3/fulltext Resorbierbare Stents: nicht so gut wie gedacht? Die FDA hat eine Warnung bezüglich eines resorbierbaren Stents (CGT1 Bioabsorbable Vascular Scaffold) ausgesprochen, der im Juli 2016 zugelassen worden war. Nach 2 Jahren traten bei 11% der Probanden mit dem resorbierbarem Stent schwere kardiovaskuläre Ereignisse eine der folgenden Eigenschaften aufweisen: in einem bestimmten Dermatom auftreten, bis unterhalb des Knies ausstrahlen, mit sensorischen Defiziten oder verminderten Reflexen einhergehen. Die Symptome mussten eine Woche bis ein Jahr lang bestanden haben. Die Probanden wurden im Verhältnis von 1:1 randomisiert, um eine Initialdosis von 150 mg Pregabalin/Tag mit einer Höchstdosis von 600 mg/Tag oder ein Plazebo zu erhalten. Während der ersten acht Wochen des Follow-up wurden sie bis zu 9 ×/ Woche untersucht. Physiotherapie- sowie Analgetikabehandlungen gemäss WHO-Stufenschema waren zugelassen. Primärer Endpunkt waren die durchschnittlichen Schmerzen (Skala von 0–10) in den 24 Stunden vor dem Zieldatum nach 8 Wochen. Die Patienten wurden bis Woche 52 nachbeobachtet. Resultate 106 Patienten wurden nach dem Intention-toTreat-Prinzip in die Pregabalin- und 101 in die Plazebogruppe eingeschlossen. Zu Studienbeginn betrug die Schmerzintensität in der Pregabalingruppe 6,3 ± 1,8 und unter Plazebo 6,1 ± 1,9. Nach 8 Wochen war sie auf 3,7 bzw. 3,1 auf, gegenüber 8% bei Patienten mit einem Everolimus freisetzenden Metallstent. Auch die Zahl der Stent-Thrombosen war beim resorbierbaren Stent doppelt so hoch. Handelt es sich hierbei um einen Klasseneffekt oder ist der Anstieg durch genau diesen Stent-Typ bedingt? Die Vorstellung eines Stents, der sich nach ­getaner Arbeit auflöst, ist jedoch verlockend! FDA Safety Alerts for Human Medical Products. Posted 03/18/2017 https://www.fda.gov/Safety/MedWatch/SafetyInformation/SafetyAlertsforHumanMedicalProducts/ucm547256.htm Intradiskale Steroidinjektion bei Lumbalgien mit Diskopathie: durchwachsene Resultate? Die intradiskale Steroidinjektion bewirkt zwar eine vorübergehende Schmerzlinderung, ihr Langzeiterfolg ist jedoch unsicher. 135 Patienten mit aktiver Diskopathie und täglichen, seit drei Monaten bestehenden Lumbalgien erhielten während des MRT entweder eine intradiskale Steroid- oder eine Plazeboinjektion. 55% der Patienten der Verum-Gruppe verspürten eine rasche Schmerzlinderung, gegenüber 33% unter Plazebo. Leider traten die zurückgegangen (n.s.). Auch in Woche 52 gab es keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Probleme und Kommentar Bei über 84% der Patienten bestand die Ischialgie seit <3 Monaten. Es ist bekannt, dass sich die Schmerzen bei ⅓ der Patienten nach 2 Wochen und bei ¾ nach 3 Monaten bessern. Daher ist die Wirksamkeit eines Medikaments nach 8 Wochen schwer zu beurteilen. Ein anderes Problem besteht darin, dass Patienten mit einer Ischialgie häufig an einer Kombination neuropathischer Schmerzen, die durch Pregabalin gelindert werden könnten und nozizeptiver Schmerzen (Wirbelsäulenarthrose), die nicht auf die Behandlung ansprechen, leiden. Die Studie erlaubt keine Unterscheidung zwischen beiden Schmerzarten. Pregabalin ist nicht frei von Nebenwirkungen (insbesondere Schwindel) und scheint somit bei Ischialgie nicht indiziert zu sein. Negative Resultate sind häufig sehr nützlich, um unwirksame und nebenwirkungsbehaftete Behandlungen zu vermeiden! Mathieson S, et al. N Engl J Med. 2017;376:1111–20. http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1614292 Schmerzen nach drei Monaten erneut auf und nach 12 Monaten gab es keine Unterschiede mehr zwischen den Gruppen. Die Patienten sollten informiert werden, um ihre eigene Entscheidung zu treffen! Nguyen C, et al. Ann Intern Med. 2017;166(8):547–56. http://annals.org/aim/article/2612231/intradiscal-glucocorticoid-injection-patients-chronic-low-back-pain-associated-active Pränatale Supplementierung von Omega3-Fettsäuren: höherer IQ des Kindes? 550 7-jährige Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft entweder 800 mg DHA (Docosahexaensäure) oder ein Plazebo einnahmen, wurden untersucht. Dabei wurden keine positiven Auswirkungen auf IQ, Sprachentwicklung und schulische Leistungen ersichtlich. Merkwürdigerweise war die Einnahme von Omega-3-Kapseln mit mehr Verhaltensproblemen assoziiert … Man kann also getrost darauf verzichten! Gould JF, et al. JAMA. 2017;317(11):1173–5. http://jamanetwork.com/journals/jama/article-abstract/2612605 SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):703 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 704 EDITORIAL Vorsicht vor althergebrachten ­Vorstellungen! Schlaf bei älteren Menschen PD Dr. med. Raphael Heinzer Centre d’investigation et de recherche sur le sommeil, CHUV, Lausanne Raphael Heinzer Wir alle haben wohl das Bild des Grossvaters vor Au- Ein absolut sinnvoller, im Artikel von Mendes et al. ge- gen, der während der Familienmahlzeiten einnickt nannter Vorschlag, insbesondere bei der Versorgung oder an einem schönen Sommernachmittag friedlich älterer Menschen mit Schlafstörungen (Abb. 1, S. 715), auf der Bank vor sich hindöst. Diese Vorstellung einer ist die Suche nach einer ursächlichen Komorbidität. natürlichen altersbedingten Schläfrigkeit ist jedoch Probleme wie chronische Schmerzen, Nykturie oder trügerisch. Schlafapnoe treten in dieser Altersklasse tatsächlich Wie Dr. Mendes und ihre Co-Autoren in dieser Aus- häufiger auf und können die Ursache für Schlafstörun- gabe des Swiss Medical Forum sehr treffend ausführen, gen sein. dürfen Tagesschläfrigkeit oder andere Schlafstörun- Die Verschreibung von Schlafmitteln sollte bei Insom- gen nicht einfach auf das Alter des Patienten zurück- nie, wenn keine andere (insbesondere psychiatrische) geführt werden [1]. Mehrere epidemiologische Stu- Ursache zu finden ist, angesichts des hohen Risikos des dien, darunter die auf der CoLaus-Kohorte basierende damit verbundenen Gewöhnungseffekts, von Stürzen Hypno­Laus-Studie, zeigen eindeutig, dass Schlafbe- oder kognitiven Störungen, lediglich der letzte Ausweg schwerden in dieser für die Allgemeinbevölkerung re- sein. Langwirksame Schlafmittel können auch zu einer präsentativen Stichprobe mit zunehmendem Alter Einschlafneigung am Tage führen, wodurch der Schlaf eher ab- statt zunehmen [2]. Tatsächlich waren die Re- in der darauffolgenden Nacht noch stärker durchein- sultate der an die Probanden ausgeteilten Fragebögen ander gerät. zur Schlafqualität und Einschlafneigung während des Wie von Mendes et. al. angeführt, sollte eine nichtme- Tages bei den Über-60- deutlich besser als bei den dikamentöse Behandlung mit der Empfehlung von Re- 40–60-Jährigen. Dies ist umso erstaunlicher, da mit geln zur Schlafhygiene die Behandlung erster Wahl zunehmendem Alter ein Rückgang der objektiven sein (Tab. 1, S. 714). Die wichtigste dieser Behandlungs- Schlafqualität (häufigeres nächtliches Erwachen, we- methoden ist sicherlich die Abschaffung oder Verkür- niger Tiefschlaf) und eine Zunahme von Schlafstörun- zung von Nickerchen am Tage sowie eine ausrei- gen, wie zum Beispiel dem Schlafapnoesyndrom, zu chende Tageslichtexposition, um den zirkadianen beobachten sind. Rhythmus zu stärken und zu erreichen, dass der Zur Erklärung dieses Paradoxons gibt es mehrere Hy- Schlaf innerhalb eines genau festgelegten Zeitraums pothesen: Es ist zu vermuten, dass aufgrund der gerin- in der Nacht stattfindet. Daher ist es sehr wichtig, äl- geren Anforderungen an die berufliche Leistungs­ tere Menschen tagsüber zum Hinausgehen anzure- fähigkeit bei Rentnern auch deren Erwartungen an die gen, wodurch ihre Tageslichtexposition steigt und das Schlafeffektivität zurückgehen. Möglicherweise haben Risiko für Tagesschläfrigkeit verringert wird. Mit die- Menschen im Rentenalter im Gegensatz zu berufstäti- ser einfachen Massnahme gelingt es in vielen Fällen, gen Personen auch häufiger die Möglichkeit, tagsüber einen schlaflosen älteren Menschen in einen echten ein Nickerchen zu machen, wodurch das Tagesschläf- Schlafchampion zu verwandeln! rigkeitsrisiko logischerweise abnimmt. Was auch immer die Ursache für diesen Unterschied zwischen der beobachteten und subjektiv empfunde- Disclosure statement Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. nen Schlafqualität bei älteren Menschen sein mag, die PD Dr. med. Raphael Heinzer Botschaft von Mendes et. al. ist eindeutig: Wenn ältere Centre d’investigation et Menschen über eine schlechte Schlafqualität oder Ta- de recherche sur le sommeil gesschläfrigkeit klagen, darf dies nicht banalisiert, CHUV CH-1011 Lausanne Raphael.Heinzer[at]chuv.ch sondern es muss nach der entsprechenden Ursache gesucht werden. Literatur 1 Mendes A, Perivier S, Heyrani Nobari B, Cervena K, Perrig S, Zekry D. Chronische Schlafstörungen. Swiss Medical Forum. 2017;17(32):712–8. 2 Luca G, Haba Rubio J, Andries D, Tobback N, Vollenweider P, Waeber G, et al. Age and gender variations of sleep in subjects without sleep disorders. Ann Med. 2015;47(6):482–91. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):704 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 705 ÜBERSICHTSARTIKEL Das Wichtigste für die Praxis Sexuell übertragene Infektionen mit Chlamydia trachomatis Eidgenössische Kommission für Sexuelle Gesundheit, Schweizerische Gesellschaf t für Infektiologie, Dr. med. Julia Notter a , Dr. med. Brigitte Frey Tirri b , Dr. med. Frank Bally c , Dr. med. Karoline Aebi Popp d , Dr. med. Michal Yaron e , Prof. Dr. med. David Nadal f, PD Dr. med. Matthias Cavassini g , Dr. med. Christoph Hauser d , Prof. Dr. med. Pietro Vernazza h , Dr. med. Axel Jeremias Schmidt h , Prof. Dr. med. Peter Itin i , PD Dr. med. Jan Fehr j , Prof. Dr. med. Alexandra Calmy k , Prof. Dr. med. Nicola Low l , Prof. Dr. med. Philip Tarr a Medizinische Universitätsklinik und Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital Baselland, Bruderholz, Universität Basel; b Frauenklinik, Kantonsspital Baselland, Liestal; c Service des Maladies Infectieuses, Institut Central des Hôpitaux, Sion; d Universitätsklinik für Infektiologie, Inselspital Bern, Universität Bern; e Département de gynécologie et d’obstétrique, Hôpitaux Universitaires de Genève; f Pädiatrische Infektiologie, Universitäts-Kinderspital Zürich, Universität Zürich; g Service des Maladies Infectieuses, CHUV Lausanne; h Klinik für Infektiologie, Kantonsspital St. Gallen; i Dermatologische Universitätsklinik Basel, Universität Basel; j Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene, UniversitätsSpital Zürich, Universität Zürich; k Service des Maladies Infectieuses, Hôpitaux Universitaires de Genève; l Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern v ie we d Peer re a r tic le a Sexuell übertragene Infektionen mit Chlamydia trachomatis werden in den letzten Jahren immer häufiger diagnostiziert. Chlamydien betreffen vor allem junge Frauen und werden wegen des Risikos der aufsteigenden Infektion («pelvic inflammatory disease») und der möglichen schweren Komplikationen wie Eileiterschwangerschaft und Unfruchtbarkeit gefürchtet. Diese treten deutlich seltener auf als früher angenommen. Das Management der infizierten Personen sollte verbessert werden. Epidemiologie und Klinik weitere Anstrengungen im Bereich der Primärprävention nötig sind (Abb. 2). Julia Notter Nehmen Chlamydien-Infektionen in der Schweiz zu? Eine Studie aus Basel lässt vermuten, dass es sich hier Im Jahr 2015 wurden dem Bundesamt für Gesundheit nach Chlamydien gesucht, aber der Prozentsatz der po- (BAG) 10 167 Fälle von Infektionen mit Chlamydia tra- sitiven Tests ist über die Jahre stabil geblieben. Wir ent- chomatis gemeldet. Damit sind Chlamydien schweiz- decken also mehr (überwiegend asymptomatische) weit die häufigste diagnostizierte meldepflichtige se- ­Infektionen als früher [2]. Etwa 70% der sexuell übertra- xuell übertragbare Infektion [1]. In den letzten zehn genen Chlamydien-Infektionen werden in der Schweiz Jahren haben sich die Chlamydien-Meldungen in der bei Frauen diagnostiziert, von denen über die Hälfte 15– Schweiz mehr als verdoppelt (Abb. 1). Dies zeigt, dass 24 Jahre alt sind. Fast alle betroffenen Frauen sind im Bestätigte Chlamydiose-Fälle nach Geschlecht seit Beginn der Erfassung, 1988–2015 10000 um eine Pseudozunahme handelt: Es wird häufiger gebärfähigen Alter (Abb. 3). Verläuft eine Chlamydien-Infektion oft asymptomatisch? 8000 Ja. Bei 70–95% der Frauen und über 50% der Männer 6000 mit bestätigter Infektion liegen keine Symptome vor [3]. Vermutlich stellen also die dem BAG gemelde- 4000 ten Fälle nur die «Spitze des Eisberges» dar. Da es kaum 2000 Untersuchungen gibt, sind die Chlamydien-Inzidenz 0 1989 1991 1993 Total 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 männlich weiblich 2013 2015 Geschlecht unbekannt Abbildung 1: Bestätigte Chlamydiose-Fälle nach Geschlecht seit Beginn der Erfassung, 1988–2015 (aus: Bundesamt für Gesundheit BAG. Chlamydiose in der Schweiz im Jahr 2015. BAG Bulletin. 2016; 46:32–3. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des BAG). und -Prävalenz in der Schweiz nicht genau bekannt. In einer Studie bei Patientinnen und Patienten unter 30 Jahren aus STI1-Sprechstunden im Wallis und in der Waadt zeigten Bally et al. ein positives Chlamydien1 Sexually transmitted infections SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 706 Übersichtsartikel Modernes Chlamydien-Management Primärprävention Chlamydien-Case-Management – Sexuelle Aufklärung durch Eltern – Unterricht über sexuelle Gesundheit an Schulen – Promotion von Kondomen – Optimale Technik bei Probenentnahme – Antibiotikabehandlung von infizierten Personen – Aktive Suche und Behandlung aller Sexpartner der letzten 6 Monate (im Minimum: des letzten Partners) – Kein Sex für 7 Tage ausserhalb behandelter Partnerschaft – Erneute Chlamydien-Testung 3–6 Monate nach antibiotischer Chlamydien-Behandlung Klinisch indizierte Chlamydien-Testung – Symptomatische Infektion – Patienten mit anderer STI – Sexualpartner von PatientInnen mit bestätigter STI – Vor Schwangerschaftsabbruch – Vor Einlage einer «Spirale» Abbildung 2: Modernes Chlamydien-Management (Illustration: © Randy DuBurke, Binningen, randyduburke.com). STI = «sexually transmitted infections». vor. Rektale Infektionen verlaufen fast immer asym­ ptomatisch und stellen vor allem bei Männern, die mit 50% Männern Sex haben, (MSM) eine wichtige Quelle für 40% die Infektion der Sexualpartner dar. Pharyngeale In- 30% tisch, ihre Prävalenz ist sehr niedrig und sie werden fektionen verlaufen ebenfalls meistens asymptomanicht als wichtige Quelle punkto Partneransteckung 20% angesehen. 10% 0% 0–14 15–24 25–34 35–44 männlich 45–54 55–64 65+ weiblich Abbildung 3: A ltersverteilung von Personen mit bestätigter Chlamydiose nach Geschlecht (Fälle der letzten 5 Jahre zusammengefasst). Quelle: Bundesamt für Gesundheit (BAG). Chlamydiose in der Schweiz im Jahr 2015. BAG Bulletin. 2016; 46:32–3. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des BAG. Wie gross ist das Risiko von schweren Komplikationen nach einer Chlamydien-Infektion? Chlamydien sind gefürchtet, weil sie bei Frauen zu schweren Komplikationen wie «pelvic inflammatory disease» (PID), ektoper Schwangerschaft und Unfruchtbarkeit führen können (Abb. 4). Das genaue Risiko dieser Komplikationen ist schwierig abzuschätzen, es ist aber sehr wahrscheinlich deutlich kleiner als bisher angenommen. Eine kürzlich durchgeführte umfassende Resultat bei 5,9% der Frauen und 3,9% der Männer [4]. Analyse schätzt, dass 1000 Chlamydien-Infektionen bei In europäischen Zufallsstichproben aus der Allgemein- Frauen zwischen 16 und 44 Jahren im Schnitt zu 171 Epi- bevölkerung lag die durchschnittliche Chlamydien- soden einer PID, zu 2 Episoden ektoper Schwanger- Prävalenz bei etwa 3,5% der Frauen und Männer unter schaft und bei 5 Frauen zu einer Tubensterilität führt 26 Jahren. [5]. Weitere, seltene Komplikationen nach ChlamydienInfektion sind Perihepatitis (Fitz-Hugh-Curtis-Syn- Wie manifestiert sich eine symptomatische Chlamydien-Infektion? drom) und seronegative, reaktive Arthritis. Bei Frauen können vaginaler Ausfluss, Dysurie, Kon- mögliche Komplikationen einer PID, also eines Befalls Zwar sind ektope Schwangerschaften und Infertilität taktblutungen (Blutungen nach vaginalem Sex) und des oberen Genitaltraktes und nicht einer asymptoma- Zwischenblutungen (Blutungen zwischen 2 Menstrua- tischen Infektion des unteren Genitaltraktes. Vermut- tionsblutungen) Hinweise auf eine akute symptomati- lich verläuft eine PID aber nicht selten asymptoma- sche Chlamydien-Infektion sein. Bei Männern kom- tisch: Dies lässt die deutlich höhere Prävalenz von men Dysurie, urethraler Ausfluss und Hodenschmerzen Chlamydien-Antikörpern bei Frauen (ohne PID-Ana­ SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 707 Übersichtsartikel Reinfektion Heilung Urogenitale Chlamydieninfektion Chronische Unterbauchschmerzen PID Eileiterschwangerschaft Eileiterpathologie Tubensterilität Abbildung 4: V erlauf der Chlamydien-Infektion, mögliche Komplikationen (modifiziert nach [23]). Blaue Pfeile zeigen den möglichen natürlichen Verlauf einer Chlamydien-Infektion an. Die roten Pfeile entsprechen möglichen Komplikationen. Grüne Pfeile zeigen eine ­mögliche Heilung mit oder ohne Therapie an. PID = «pelvic inflammatory disease». mnese!) mit Tubensterilität im Vergleich zu Frauen rasekettenreaktion [PCR]). Diese ist sensitiver als an- ohne Tubensterilität vermuten. dere diagnostische Methoden und hat diese daher In zahlreichen Ländern hat die PID-Häufigkeit über die weitgehend ersetzt. Bei Frauen werden zervikale oder letzten Jahre abgenommen – ob dies mit der Zunahme vaginale Abstriche bevorzugt, da Urinproben eine sub- der durchgeführten Chlamydien-Tests zusammen- optimale Sensitivität haben – sie sollen nur verwendet hängt, ist allerdings keineswegs klar. Denn in Ländern, werden, wenn kein Zervix- oder Vaginalabstrich zur wo häufig getestet wird, ist die Prävalenz ähnlich hoch Verfügung steht. Bei Männern wird Erststrahlurin ab- wie in Ländern, wo wenig getestet wird, und es werden genommen; die letzte Miktion sollte mindestens eine generell abnehmende PID-Trends festgestellt [6, 7]. Stunde zurückliegen (dies wird im klinischen Alltag leider nicht immer befolgt). Ein oberflächlicher Ab- Können auch Männer nach einer ChlamydienInfektion unfruchtbar werden? strich aus dem urethralen Meatus scheint gemäss neu- Bei Männern liegen kaum Daten vor, dass Chlamydien probe oder ein (2–4 cm tiefer) Urethralabstrich und zu einer Sterilität führen könnten. Die Therapie einer zudem weniger schmerzhaft als letzterer zu sein [9–11]. Infektion bei Männern zielt also nicht primär auf den Die Angst vor einem schmerzhaften Urethralabstrich Erhalt der männlichen Fertilität ab, sondern soll Sym­ liess in der Vergangenheit manchen Mann mit Urethri- ptome beim betroffenen Mann lindern, Epididymitis tis auf eine STI-Diagnostik verzichten. Für die Dia­ und Orchitis verhindern und die weitere Chlamydien- gnose einer rektalen beziehungsweise pharyngealen Verbreitung eindämmen. Infektion erfolgt die Genamplifikation aus einem eren Daten ähnlich sensitiv wie eine Erststrahl-Urin- Anal- respektive Pharyngealabstrich. Patientinnen Diagnostik und Patienten können nach entsprechender Instruktion vaginale, urethrale, meatale und rektale Abstriche bei sich selber durchführen [8, 10, 12]. Wie wird die Diagnostik der ChlamydienInfektion korrekt durchgeführt? Das optimale Vorgehen ist in Tabelle 1 zusammenge- Sollen bei nachgewiesener Chlamydien-­ Infektion andere STI gesucht werden? fasst [8]. Wir empfehlen zur Chlamydien-Diagnostik Bei Personen mit dokumentierter Chlamydien-Infek- nur noch die Genamplifikation (z.B. mittels Polyme- tion sollte eine Testung auf HIV, Gonorrhoe und Syphi- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 708 Übersichtsartikel Tabelle 1: Optimale Durchführung der Chlamydien-Diagnostik. Vaginal-/ Zervixabstrich Beide Abstrichorte sind ähnlich sensitiv Vaginalabstrich: Vaginalwand unter dreimaliger Rotation mittels Abstrichtupfer abstreichen Zervixabstrich: vor PAP-Abstrich durchführen, mit Tupfer Zervixsekrete entfernen, Abstrichtupfer min. 1–2 cm in Zervix einführen und Zervixwand abstreichen (min. 2 Rotationen) Meatus-/ Urethralabstrich Bei Männern scheint ein Urethral- oder Meatusabstrich ähnlich sensitiv wie ein Erststrahlurin zu sein. Urinprobe Erststrahlurin, Becher bis max. 20 ml füllen Urinprobe frühestens 1 Stunde nach letzter Miktion abnehmen Bei Frauen weniger sensitiv als vaginaler/zervikaler Abstrich Analabstrich Kein Gleitmittel oder Lokalanästhesie verwenden Unter leichter Rotationsbewegung den Abstrichtupfer genügend weit einführen (3–5 cm – das Watteteil des Abstrichtupfers soll nicht mehr sichtbar sein) ittels behutsamer Drehbewegung und leichtem Druck während 30 Sekunden die Anuswand abstreichen, M um die Absorption von Chlamydien und Gonokokken durch den Tupfer zu erhöhen Rachenabstrich Rachenhinterwand inkl. beider Tonsillen gründlich abstreichen Vor Einsenden des Abstrichs Tupfer 15 Sekunden lang an der Wand des Röhrchens abstreichen, um Erreger aus dem Tupfer in die Flüssigkeit auszupressen lis erwogen werden. Umgekehrt sollte bei nachgewie- ginnen und Gynäkologen praktizieren heute aber sener Urethritis (z.B. mit Gonokokken) ebenfalls nach eine Art Chlamydien-Screening, das heisst sie bieten einer Chlamydien-Infektion und anderen STI gesucht einer asymptomatischen, sexuell aktiven Frau <25 Jah- werden. Frauen unter 25 Jahren gehören in der Schweiz ren eine Chlamydien-Testung an, wenn sie sich zum in der Regel keiner HIV-Hochrisikogruppe an, eine Beispiel für eine Jahreskontrolle vorstellt. Zudem wird HIV-Serologie soll in dieser Gruppe je nach individuel- eine Chlamydien-Testung in der Schweiz oft – aber lem Risiko (z.B. Immigrantinnen aus Subsahara-Afrika, ohne offizielle Empfehlung – vor genitalen chirurgi- kommerzielle Sex-Arbeiterinnen) erwogen werden. schen Eingriffen, vor einem Schwangerschaftsab- Jede STI ist zudem eine wichtige Gelegenheit, um bruch und vor Einlage eines «intrauterine device» ­sicherzustellen, dass die Patientin gegen Hepatitis B (IUD, «Spirale») durchgeführt sowie in der Schwan- geimpft ist. gerschaft, denn schwangere Frauen mit Chlamydien haben ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt und Sollen bei allen asymptomatischen Personen Chlamydien gesucht werden? nach vaginaler Geburt kann es beim Baby einer unbe- Nein. Es gibt in der Schweiz aktuell kein offizielles kommen. handelten Mutter zu Konjunktivitis und Pneumonie Chlamydien-Screening und keine Testempfehlungen. Screening-Programme sind aufwendig und teuer, denn sie erfordern eine sehr hohe Testrate. Asympto­matische Behandlung und Partner-Management Chlamydien-Träger sind aber schwierig zu ­erreichen. Chlamydien-Testungen die Chlamydien-Prävalenz in Wie wird eine sexuell übertragene ChlamydienInfektion behandelt? der Bevölkerung, Neuansteckungen oder langfristige Bei einer unkomplizierten Chlamydien-Infektion gibt reproduktive Komplikationen reduzieren. es zwei Erstlinien-Therapieoptionen (Tab. 2): In einer britischen Studie sank mittels Chlamydien- –Doxycyclin 100 mg p.o. 2×/Tag für 7 Tage (Kontra­ Zudem gibt es keine soliden Daten, dass u ­ mfangreiche Testung und antibiotischer Behandlung bei sexuell indikation: Schwangerschaft); aktiven Frauen unter 27 Jahren das Risiko einer PID –Azithromycin 1 g Einzeldosis p.o. innerhalb des nächsten Jahres von 1,9 auf 1,3% [13]. Da- In einer randomisierten Studie zeigten beide Antibio- her empfehlen die «International Union against sexu- tika Heilungsraten von über 97% [15]. Trends zeigen, ally transmitted infections» (IUSTI) [3] und die US- dass Doxycyclin insbesondere bei rektaler und pha- amerikanischen «Centers for Disease Control and ryngealer Chlamydien-Infektion wirksamer als Azi- Prevention» (CDC) [14] eine Chlamydien-Testung bei thromycin ist, weshalb vermutlich Doxycyclin vorzu- Frauen mit folgenden Risikofaktoren: Alter unter ziehen ist. Der Vorteil einer Therapie mit Azithromycin 25 Jahren, neuer Sexpartner oder mehr als ein Sexual- ist, dass sie nur einmalig gegeben werden muss und partner im letzten Jahr. In der Schweiz wird diese die Einnahme direkt vor der Ärztin oder dem Arzt er- Strategie nicht offiziell verfolgt. Manche Gynäkolo- folgen kann. Die deutschen Guidelines [16] empfehlen SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 709 Übersichtsartikel Tabelle 2: Therapieempfehlungen für Infektionen mit Chlamydia trachomatis und assoziierte Syndrome/Erreger. Klinik, Erreger Erstlinientherapie Alternative Kommentar Unkomplizierte genitale, pharyngeale und rektale Chlamydien-Infektion – D oxycyclin 100 mg p.o. 2×/d für 7 Tage* – A zithromycin 1 g einmalig p.o. – Erythromycin 500 mg 2×/d für 7 Tage – Levofloxacin 500 mg 1×/d für 7 Tage * – O floxacin 200 mg 2×/d für 7 Tage * – Partnertherapie – 7 Tage Verzicht auf Sex nach Therapiebeginn, Therapie des Partners und Symptomfreiheit (ausser mit gleichzeitig therapierten Partnern) – Bei rektaler Infektion Doxycyclin* bevorzugt – T herapiekontrolle mittels PCR frühestens 4 Wochen nach beendeter Therapie, falls Azithromycin-Therapie bei rektaler Infektion, Zweitlinientherapie, Schwangerschaft, komplizierte Infektion (PID) Lymphogranuloma venereum – D oxycyclin 100 mg 2×/d für 3 Wochen – A zithromycin 1 g 1×/Woche für 3 Wochen – Erythromycin 500 mg 4×/d für 3 Wochen – Heute fast ausschliesslich anorektale Klinik, v.a. bei HIV-positiven MSM – Rücksprache mit Spezialistin «Pelvic inflammatory disease» (PID) – Rücksprache mit Gynäkologie oder Infektiologie * Kontraindikation: Schwangerschaft MSM = Männer, die mit Männern Sex haben nur noch Doxycyclin als Erstlinientherapie. Die neu- neute Testung soll durchgeführt werden, falls die Sym- esten europäischen (IUSTI) [3], britischen (BASHH) [12] ptome persistieren, bei zweifelhafter antibiotischer und amerikanischen (CDC) [14] Guidelines sehen Adhärenz oder falls eine Reinfektion vorliegen könnte. beide Therapien als gleichwertig an. Aktuell wird Wichtig: Die Genamplifikationsdiagnostik soll frühes- aber vermehrt diskutiert, ob Doxycyclin generell tens vier Wochen nach Beendigung der Therapie ge- dem Azithromycin vorgezogen werden sollte. Eine macht werden, denn vorher kann trotz erfolgreicher Resistenzentwicklung auf Antibiotika hat sich bei Therapie noch Genmaterial von antibiotisch abgetöte- Chlamydien bisher nicht gezeigt – ganz im Gegensatz ten Chlamydien nachweisbar sein. zur heute besorgniserregenden Resistenzsituation Zudem sollte der Heilungserfolg kontrolliert werden bei Gonokokken (siehe unseren Artikel im Swiss Medi- bei Infektionen in der Schwangerschaft, bei kompli- cal Forum [17]). zierten Infektionen (PID) und nach unkonventioneller Therapie. Sollen die Sexualpartner von Personen mit asymptomatischer Chlamydien-Infektion behandelt werden? Soll nach behandelter Chlamydien-Infektion eine Reinfektion gesucht werden? Ja. Mehr als die Hälfte der Sexualpartner von Perso- Es ist empfehlenswert, 3–6 Monate nach Behandlung nen mit Chlamydien sind auch infiziert. Um eine wei- die Chlamydien-Testung zu wiederholen: Bei relativ tere Ausbreitung und Reinfektionen zu verhindern, vielen Patientinnen und Patienten werden so erneut ist also die Partnerbehandlung ein wichtiger Bestand- Chlamydien gefunden. Je nach sexueller Anamnese teil jeder Chlamydien-Behandlung. Im Idealfall wer- muss dann besprochen werden, ob eine erneute Anste- den alle Partner der letzten sechs Monate behandelt, ckung möglich ist (fehlende oder unzureichende Part- im Minimum aber die Partner der letzten vier Wo- nertherapie, neuer Partner) oder ob allenfalls die Anti- chen. Ausserhalb einer sexuellen Beziehung zu einem biotika nicht eingenommen wurden. gleichzeitig behandelten Partner sollte mindestens In letzter Zeit wird bei Frauen vermehrt auch die Mög- eine Woche nach Behandlungsbeginn und bis allfällig lichkeit einer Autoinokulation von rektal nach vaginal vorhandene Symptome verschwunden sind, Sex ver- oder von vaginal nach rektal diskutiert, unabhängig mieden werden. Dies betrifft sowohl den Indexfall als davon, ob sie Analsex haben [18, 19]. Eine genitale auch die Sexualpartner. Falls keine direkte Vorstel- Re­ ­ infektion nach erfolgreicher Antibiotikatherapie lung des Partners in der Sprechstunde erfolgt, kann könnte demnach im Rahmen einer asymptomatischen der infizierten Person alternativ ein Antibiotika-Re- Chlamydien-Kolonisation des Darmes erfolgen, wo zept zuhanden der Sexualpartner mitgegeben werden. Azithromycin weniger gut wirksam scheint. Bei wiederholtem vaginalem Nachweis von Chlamydien bietet Soll nach der Antibiotikatherapie der Behandlungserfolg kontrolliert werden («test of cure»)? es sich daher an, zusätzlich zum Vaginalabstrich auch Ein «test of cure» soll nicht erfolgen, falls der Patient sexuell erworbenen Reinfektion kann in manchen Fäl- unter Therapie asymptomatisch geworden ist. Eine er- len für die Patientin psychologisch entlastend wirken. anal abzustreichen; eine alternative Erklärung zu einer SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 710 Übersichtsartikel Sollen bei einer PID Chlamydien immer ­m itbehandelt werden? rektalen Gonorrhoe und soll zudem nicht bei asymp- Ja, sogar bei negativen Abstrichen. Denn Chlamydien pathogene Rolle von Mycoplasma hominis, Ureaplas- werden bei ca. 20% aller PID-Fälle gefunden. Sie sind men sowie Gardnerellen ist bisher nicht eindeutig also bei PID häufig und ein negativer zervikaler oder etabliert. tomatischen Personen durchgeführt werden. Eine vaginaler Abstrich kann nicht sicher eine ChlamydienPID-Therapie ist stets eine Kombinationstherapie und Gibt es Infektionen mit Chlamydia trachomatis auch bei Kindern? sollte je nach Schweregrad und Keimen in Absprache Neugeborene und Säuglinge können Infektionen mit Infektion der Tuben oder Ovarien ausschliessen. Die C. trachomatis aufweisen und sind dann Indikator für mit einer Spezialistin oder einem Spezialisten erfolgen. infizierte Eltern. Die Infektion wird während der Ge- Was soll bei Männern, die Sex mit Männern (MSM) haben, besonders beachtet werden? burt beim Durchtritt durch den infizierten Mutter- Bei MSM mit rezeptivem Analverkehr ist die Prävalenz bei Kindern diagnostiziert, sind die Abklärung und Be- vor allem von rektalen Infektionen mit C. trachomatis handlung der Eltern indiziert. erhöht. Diese verlaufen in über 90% asymptomatisch. Bei Neugeborenen tritt am 5.–11. Lebenstag eine vor- Daher soll bei MSM regelmässig eine Untersuchung erst einseitige mukopurulente, manchmal hämorrha- auf rektale, pharyngeale und genitale Chlamydien und gische konjunktivale Sekretion mit einem ausgepräg- andere STI, insbesondere HIV, Gonokokken und Syphi- ten Lidödem auf. Differentialdiagnostisch muss an lis angeboten werden [20]. eine Konjunktivitis infolge einer angeborenen Ano- Weiter soll bei jeder symptomatischen genitalen oder malie (Hasner-Membran an der Mündung des Ductus rektalen Chlamydien-Infektion, insbesondere bei HIV- nasolacrimalis) gedacht werden. Deshalb ist der Nach- positiven MSM, ein Lymphogranuloma venereum weis von C. trachomatis mittels Genamplifikation oder (LGV) gesucht werden. Dabei handelt es um eine Infek- Immunfluoreszenz aus dem Abstrich der Konjunkti- tion mit C. trachomatis mit L1-, L2- oder L3-Serovaren. ven essentiell. mund erworben. Wird also eine Chlamydien-Infektion Ein LGV kann asymptomatisch verlaufen oder eine Proktitis, oberflächliche anale Ulzerationen, Tenesmen und analen Ausfluss verursachen. Unbehandelt können schwerwiegende Komplikationen wie Abszesse, Fisteln, Nekrosen, chronische Lymphangitis und rektale Strikturen auftreten. Wird eine Infektion mit Chlamydia trachomatis bei Neu­geborenen und Säuglingen diagnostiziert, sind die Abklärung und Behandlung der Eltern indiziert. Die LGV-Diagnostik erfolgt ebenfalls mittels Genam­ plifikation aus einem rektalem Abstrich, Ulkusab- Säuglinge können Chlamydien-Infektionen der oberen strich oder Lymphknotenaspirat. Bei Nachweis von Atemwege als Rhinopharyngitis oder Otitis media, C. trachomatis im Rektalabstrich sollte im Labor im- vereinzelt begleitet von einer präaurikulären Lymph- mer eine Genotypisierung des Serovars mittels spezifi- adenopathie zeigen. Die Diagnose erfolgt mittels Gen- scher PCR nachbestellt werden (Labor darüber infor- amplifikation aus dem Nasopharynxabstrich. Sie wird mieren). Das LGV wird länger behandelt: Doxycyclin oft verpasst, da die Symptomatik meist unspezifisch 100 mg 2×/Tag für 3 Wochen. ist. Viel charakteristischer ist die zwischen 3. und 19. Lebenswoche auftretende Pneumonie, welche sich Welche Diagnostik und Therapie ist bei einer symptomatischen Urethritis empfohlen? bei afebrilen Säuglingen mit staccatoartigem, pertussi- Für eine gute Übersicht über Klinik, Diagnostik und und Eosinophilie im Blutbild (>600/µl) manifestiert. formem Husten, expiratorischem Giemen, Tachypnoe Therapie der Urethritis siehe die Artikel von Kälin Die Diagnose wird durch Nachweis spezifischer anti- et al. im Swiss Medical Forum [21, 22]. Ist die Infra- C. trachomatis-IgM-Antikörper gestellt. struktur vorhanden, so erlaubt bei Urethritissympto- Die Behandlung der Neugeborenen oder Säuglinge er- men ein urethrales ­Direktpräparat eine schnelle und folgt mit peroralem Clarithromycin (2 × 10–15 mg/kg/ effiziente Unterscheidung von Chlamydiose und Go- Tag für 14 Tage) oder Azithromycin (1 × 10 mg/kg/Tag norrhoe – der mikroskopische Nachweis von intra- für 3 Tage). Es gibt keine Trachomnarben als Folge der granulozytären Diplokokken erlaubt mit hoher Sen- Konjunktivitis. sitivität eine Gonorrhoe-Diagnose. Wichtig: Wegen An eine Infektion mit C. trachomatis soll auch nach er- ungenügender Sensitivität ist die Mikroskopie nicht folgtem oder möglichem (jüngere Kinder) sexuellen geeignet für den Ausschluss einer zervikalen oder Übergriff gedacht werden. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 711 Übersichtsartikel Das Wichtigste für die Praxis • Sexuell übertragene Infektionen mit Chlamydia trachomatis sind die häufigste meldepflichtige sexuell übertragbare Infektion in der Schweiz – Zunahme der Fälle wahrscheinlich wegen vermehrter Testung. • Schwere Komplikationen wie «pelvic inflammatory disease», Tubensterilität, Eileiterschwangerschaft oder chronische Unterbauchschmerzen sind bei asymptomatischer Chlamydien-Infektion selten. • Ein systematisches Chlamydien-Screening und eine Testung von allen asymptomatischen Frauen wird aktuell nicht empfohlen, denn der potentielle Nutzen ist nicht gut dokumentiert. • Die Diagnostik der Wahl ist die Genamplifikation aus Vaginal-/Zervix­ abstrich (Frauen), Erststrahlurin oder Urethral-/Meatusabstrich (Männer), bei Frauen und Männern mit rezeptivem Analverkehr auch aus Rektalabstrich. • Die unkomplizierte Chlamydien-Infektion wird mit Doxycyclin 100 mg 2×/ Tag p.o. für 7 Tage oder Azithromycin 1 g p.o. Einzeldosis behandelt – alle Sexualpartner der letzten 1–6 Monate sollen mitbehandelt werden. • Bei symptomatischer rektaler Chlamydien-Infektion Suche nach Lymphogranuloma venereum. Dieser Artikel erscheint parallel im BAG-Bulletin 35/2017. Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur Korrespondenz: Prof. Dr. med. Philip Tarr Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Baselland CH-4101 Bruderholz philip.tarr[at]unibas.ch 1 Bundesamt für Gesundheit BAG. HIV, Syphilis, Gonorrhoe und Chlamydiose in der Schweiz im Jahr 2015: eine epidemiologische Übersicht. BAG Bulletin. 2016;12–3. 2 Testing for Chlamydia trachomatis: time trends in positivity rates in the canton of Basel-Stadt, Switzerland. Epidemiology and Infection. 2012;141:1953. 3 Lanjouw E, Ouburg S, de Vries HJ, Stary A, Radcliffe K, Unemo M. 2015 European guideline on the management of Chlamydia trachomatis infections. 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Recommendations for the Laboratory-Based Detection of Chlamydia trachomatis and Neisseria gonorrhoeae – 2014. MMWR – Recommendations and Reports. 2014;63:1–19. 9 Berry L, Stanley B. Comparison of self-collected meatal swabs with urine specimens for the diagnosis of Chlamydia trachomatis and Neisseria gonorrhoeae in men. J Med Microbiol. 2017;66:134–6. 10 Dize L, Barnes P, Barnes M, et al. Performance of self-collected penile-meatal swabs compared to clinician-collected urethral swabs for the detection of Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, Trichomonas vaginalis, and Mycoplasma genitalium by nucleic acid amplification assays. Diagn Microbiol Infect Dis. 2016;86:131–5. 11 Dize L, Agreda P, Quinn N, Barnes MR, Hsieh Y-H, Gaydos CA. Comparison of self-obtained penile-meatal swabs to urine for the detection of C. trachomatis, N. gonorrhoeae and T. vaginalis. 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Swiss Med Forum. 2009;09(06): 121–4. 23 Prevention ECDC. Scientific advice: Guidance on chlamydia control in Europe. 2015. https://ecdc.europa.eu/sites/portal/files/ media/en/publications/Publications/chlamydia-control-europeguidance.pdf . SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 712 ÜBERSICHTSARTIKEL AIM Ein multifaktorielles geriatrisches Syndrom Chronische Schlafstörungen Dr. med. Aline Mendes a , Dr. med. Samuel Perivier a , Dr. med. Bentolhoda Heyrani Nobari a , Dr. med. Katerina Cervena b , Dr. med. Stephen Perrig b , Dr. med. Dina Zekry a a Département de médecine interne, réhabilitation et de gériatrie, Service de gériatrie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Thônex Laboratoire du sommeil, Département de santé mentale et psychiatrie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Chêne-Bourg. v ie we d Peer re a r tic le b In der geriatrischen Population treten häufig Schlafstörungen auf. Oft werden diese als normales Phänomen des Alterungsprozesses gedeutet. Tatsächlich ändert sich mit steigendem Alter die Schlafarchitektur. Nichtsdestotrotz darf das Alter allein nicht als Ursache von Schlafstörungen angesehen werden. Bei Schlafbeschwerden, gleich ob quantitativer oder qualitativer Art, müssen bestimmte Erkrankungen aus­ geschlossen werden, die bei älteren Menschen häufiger vorkommen und von einer spezifischen Behandlung profitieren. Einleitung Schlafbeschwerden nehmen mit steigendem Alter zu. Bei älteren Menschen beträgt die Prävalenz von Schlaf­ störungen über 50%. Sie sind mit einer höheren Morbi­ dität und Mortalität assoziiert und wirken sich auf die kognitiven Fähigkeiten, die Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität der Patienten aus. Die Diagnostik be­ inhaltet das standardisierte geriatrische Assessment und erfordert eine umfassende Versorgung, die sich am Profil der Komorbiditäten orientiert. Es gibt zwei Schlaftypen: den paradoxen («rapid eye movement» [REM]) und den langsamwelligen (NonREM) Schlaf, der wiederum in drei Stadien mit zuneh­ mender Schlaftiefe (N1, N2 und N3) unterteilt wird. Bei älteren Menschen sind der Tiefschlafanteil (N3) und (in geringerem Masse) der Anteil des paradoxen Schlafs verringert, während der Anteil der «leichteren» Schlaf­ stadien (N1 und N2) erhöht ist. Wahrscheinlich resultie­ ren diese Umstrukturierungen aus Veränderungen der homöostatischen Schlafregulation und führen zu ei­ ner Schlaffragmentierung, die sich in einer Zunahme der Aufwachhäufigkeit und des Kurzerwachens äus­ sert. Weitere beobachtete Veränderungen sind die Zu­ nahme der Einschlaflatenz sowie der Gesamtliegezeit im Bett mit einer Abnahme der Schlafeffektivität (Ver­ hältnis zwischen effektivem Schlaf und Liegezeit im Bett) sowie vorzeitigem Aufwachen. Dies soll mit einer und kontinuierliche Abnahme der Amplitude der Me­ latoninsekretion zu beobachten [1]. Diese Veränderungen beginnen ab dem Alter von 60 Jahren und stehen in keinem direkten Zusammen­ hang mit der von den Patienten berichteten Schlafwahr­ nehmung. Eine in der Schweiz durchgeführte Popula­ tionsstudie hat sogar gezeigt, dass die Tagesschläfrigkeit, welche mittels Epworth-Schläfrigkeitsskala erfasst wird, mit steigendem Alter abnimmt. Daher ist es wichtig, ­Komorbiditäten als Ursache für Tagesschläfrigkeit bei älteren Menschen abzuklären [2]. Am wahrscheinlichsten ist, dass einige der oben ge­ nannten physiologischen Veränderungen die Vulne­ rabilität älterer Menschen erhöhen, wodurch Schlaf­ störungen infolge der Wechselwirkung medizinischer und/oder neuropsychatrischer Komorbiditäten be­ günstigt werden. Die am häufigsten verwendete Klassifikation für Schlafstörungen («International Classification of Sleep Disorders» [ICSD-3]) wurde im Jahr 2014 überarbeitet und beinhaltet heute sieben grosse klinische Katego­ rien mit 60 verschiedenen Fachdiagnosen [3]. Sie kann als Ausgangspunkt und zur Standardisierung der ­Nomenklaturen dienen, nichtsdestotrotz ist für eine optimale Behandlung ein Ansatz wichtig, der die Be­ sonderheiten und Nuancen der älteren Population be­ rücksichtigt. Störung des Schrittmachers der inneren Uhr (Nucleus suprachiasmaticus) oder einer Abnahme der Exposi­ tion gegenüber externen Synchronisationsfaktoren Aline Mendes Komorbide Insomnie bei älteren Menschen (verringerte Tageslichtexposition und Tagesaktivität) Insomnie ist definiert als beständige Einschlaf- oder zusammenhängen. Ferner ist im Alter eine progressive Durchschlafschwierigkeiten beziehungsweise gestörte SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 713 Übersichtsartikel AIM Schlafqualität – trotz adäquater Schlafgelegenheiten nie ebenfalls ein Risikofaktor für eine komorbide De­ und -umstände – , die sich auf den Tag auswirken (Mü­ pression ist. Ferner kann die Behandlung einer depres­ digkeit, Unaufmerksamkeit, Reizbarkeit usw.). Beste­ siven Episode die Schlafqualität verschlechtern, wie hen diese Probleme seit mindestens drei Monaten, dies bei Antidepressiva wie selektiven Serotonin-Wie­ handelt es sich um eine chronische Insomnie. deraufnahmehemmern und Serotonin-Noradrenalin- Die Unterschiede zwischen primärer und sekundärer Wiederaufnahmehemmern nachgewiesen wurde, wel­ Insomnie wurden mit der neuen ICSD-3-Klassifikation che eine Abnahme des REM-Schlafs und sogar eine abgeschafft, um die Diagnostik zu vereinfachen und Zunahme der nächtlichen Aufwachhäufigkeit bewir­ weil es schwer ist, eine gesicherte sekundäre Ätiologie ken. Darüber hinaus kann eine komorbide Depression zu bestimmen. Nichtsdestotrotz sind bis zu 83% der äl­ auch bei chronischen Erkrankungen wie Herzinsuffi­ teren Patienten mit Schlafstörungen von Insomnie zienz oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung aufgrund medizinischer und neuropsychiatrischer auftreten. ­Komorbiditäten betroffen. Daher stellt die Untersu­ Bei der Befragung von den Patienten geäusserte starke chung auf Komorbiditäten bei der Evaluation einen Schlafbeschwerden können andere depressive Sym­ wichtigen und unerlässlichen ersten Schritt dar. ptome maskieren. Dies ist insbesondere bei älteren Eine isolierte Insomnie ohne Komorbidität, die durch Menschen der Fall, die häufig subklinische Depressio­ eine ungeeignete Schlafstrategie oder unangemessene nen aufweisen, welche schwer zu erkennen sind. Vor Schlafhygiene bedingt ist, stellt im geriatrischen Be­ diesem Hintergrund wird empfohlen, alle älteren Men­ reich nach wie vor eine Auschlussdiagnose dar. schen mit Schlafbeschwerden, selbst wenn letztere iso­ liert auftreten, anhand einer objektiven Beurteilung Insomnie und Schmerzen mittels einer validierten Skala (wie z.B. der «Geriatric 67–88% der Personen mit einer chronischen Schmerz­ Depression Scale» [GDS]) auf Depressionen zu unter­ störung leiden unter Schlafbeschwerden, wobei der ge­ suchen. naue Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen Der enge Zusammenhang zwischen Schlaf, Depression jedoch noch nicht vollständig geklärt ist. Schlafstörun­ und anderen Komorbiditäten gestaltet die Behandlung gen sollen das Risiko für eine spätere chronische älterer Menschen komplex. Einerseits bestehen häufig Schmerzstörung erhöhen. multiple Ätiologien, andererseits muss die Behand­ Für eine spezifische Behandlung der Insomnie entspre­ lung von Schlafstörungen stets mit einer pharmakolo­ chend der verschiedenen Schmerzstörungen (neuro­ gischen oder nichtpharmakologischen Behandlung gene, muskulo-skelettale, Kopf-, idopathische Schmer­ der Depression einhergehen. Verhaltensmassnahmen zen) gibt es keine Evidenz. und Chronotherapie sind hier besonders erfolgreich Neben einem möglichen pathophysiologischen Zusam­ und sollten ab Versorgungsbeginn so schnell wie menhang beider Erkrankungen, ist Schmerzen eine Ur­ möglich zum Einsatz kommen. Das Prinzip der Chro­ sache für nächtliches Erwachen. Bei Schmerzpatienten notherapie beruht auf der Resynchronisation des sind eine starke Schlaffragmentierung, Durchschlaf­ Schlaf-Wach-Rhythmus. Dabei legt der Arzt die Schla­ störungen unterschiedlichen Ausmasses und häufige­ fenszeiten für die gesamte Woche nach einem stren­ res Kurzerwachen zu beobachten. Die Gesamtschlaf­ gen Protokoll fest. Diese Methode weist keine Neben­ dauer ist im Allgemeinen verringert und der Schlaf wirkungen auf, ist jedoch bei ambulanter Versorgung wird als nicht erholsam wahrgenommen. Die Schlaf­ von der Compliance des Patienten abhängig. Sie kann fragmentierung kann ferner zu schlafbezogenen At­ mit anderen Synchronisationsmethoden wie Mela­ mungsstörungen (Schlafapnoesyndrome werden häu­ toningabe oder Lichttherapie kombiniert werden. In fig durch unruhigen Schlaf begünstigt) führen (oder der klinischen Praxis können wir die Resynchronisa­ diese verstärken). Bei Patienten mit Schlafbeschwer­ tion des zirkadianen Rhythmus umsetzen, indem wir den wird eine Schmerzevaluation empfohlen (und um­ unsere Patienten zu vermehrten Tagesaktivitäten, ins­ gekehrt), um anschliessend eine spezifische Schmerz­ besondere ausserhalb ihres Zuhauses motivieren, um behandlung in Kombination mit Massnahmen zur die mit einer psychosozialen Desynchronisation ver­ Schlafhygiene einzuleiten. bundene Isolation zu verhindern. Insomnie und Depression Insomnie und kognitive Störungen 60–80% der Patienten mit der Diagnose Depression Demenz geht häufig mit Schlafstörungen einher. Diese sind, unabhängig vom Alter, von Insomnie betroffen. können bereits in der Frühphase der Erkrankung auf­ Wie auch bei kognitiven Störungen besteht hierbei treten. 25–40% der Patienten mit leichten kognitiven eine bidirektionale Assoziation, da chronische Insom­ Störungen leiden an subjektiv empfundenen Schlafbe­ SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 714 Übersichtsartikel AIM schwerden. Die am häufigsten beobachteten Verände­ tung auditiver und visueller Reize in der Nacht. Des rungen sind häufiges Erwachen, zu frühes morgendli­ Weiteren haben sich bestimmte psychoedukative ches Erwachen und Tagesschläfrigkeit. Es soll eine Empfehlungen, wie täglich mindestens 30 Minuten Korrelation zum Schweregrad der Demenz bestehen, körperliche Aktivität, zum Beispiel in Form von Spa­ wie man bei fortgeschrittener Alzheimer-Krankheit zierengehen im Freien, bewährt. mit schwergradig gestörter Schlafarchitektur beobach­ Pharmakologische symptomatische Behandlungen ten kann. können zusätzlich zu nichtpharmakologischen Mass­ Die Ätiologie ist multifaktoriell und geht wahrschein­ nahmen verschrieben werden. Die in dieser älteren Po­ lich mit einer Schädigung der am Ein- und Durchschla­ pulation am häufigsten eingesetzten Medikamente fen beteiligten Hirnstrukturen (Nucleus suprachias­ sind sedierende Antidepressiva (Trazodon [Trittico®], maticus) einher, die sich unter anderem in einer Mirtazapin [Remeron®]), Melatonin (Circadin®) und veränderten Melatoninsekretion äussert. In einem Zolpidem (Stilnox®), obgleich diese kaum in randomi­ grös­seren Zusammenhang gesehen ist es wahrschein­ sierten Studien untersucht wurden [4]. Zur Anwen­ lich, dass Patienten mit kognitiven Störungen, beson­ dung sedierender Antidepressiva ist anzumerken, dass ders bei Verhaltensstörungen und anderen Komobidi­ die Dosierung geringer als üblich ist, 25–100 mg bei täten, empfindlicher auf Umweltfaktoren reagieren. Trazodon und 7,5–15 mg bei Mirtazapin. Der Einsatz Schlafstörungen bei Demenz können die kognitiven von Benzodiazepinen ist aufgrund ihrer negativen Funktionen verschlechtern, die Lebensqualität beein­ Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten theore­ trächtigen und die Belastung der Pflegenden erhöhen. tisch untersagt. Der Einsatz von Neuroleptika ist auf In Abbildung 1 sind die einzelnen Reflexionsschritte Patienten mit Symptomen aus dem psychotischen For­ bei der Versorgung dieser Patienten dargestellt. menkreis beschränkt. Der erste Schritt besteht darin, das Schlafprofil zu be­ Die klinische Wirkung von Cholinesterase-Hemmern stimmen, nach Komorbiditäten zu suchen und/oder auf den Schlaf von Demenzpatienten ist nach wie vor bereits bestehende Komorbiditäten zu stabilisieren. umstritten. Die theoretische Wirkung basiert auf der Des Weiteren ist die pharmakologische Behandlung zu Rolle von Acetylcholin bei der Aufrechterhaltung des überprüfen, um Medikamente ausfindig zu machen, Wachzustands. In der Praxis können diese Wirkstoffe die sich negativ auf die Schlafqualität auswirken. Unab­ jedoch Schlaflosigkeit und Alpträume verursachen. hängig von der ermittelten Ursache ist ein nichtphar­ Die Lewy-Körper-Demenz und der Morbus Parkinson makologischer Ansatz die Behandlung erster Wahl. Zu­ gehen häufig mit einer besonderen Schlafstörung ein­ nächst sollten daher Massnahmen zur Schlafhygiene her: einer Verhaltensstörung während des paradoxen (Tab. 1) umgesetzt werden, wie die Vermeidung koffein­ Schlafs (bis zu 30% bei Morbus Parkinson, mitunter haltiger Getränke, die Verkürzung von Nickerchen (auf noch vor dem Auftreten der Erkrankung). Anhand der unter eine Stunde) und der im Schlafzimmer verbrach­ Befragung des Lebenspartners kann eine Verdachts­ ten Zeit (letzteres sollte ausschliesslich zum Schlafen diagnose gestellt werden (anormale, mitunter kom­ genutzt werden) sowie die weitestgehende Ausschal­ plexe Verhaltensweisen, bei denen der Patient im Schlaf spricht, lacht, gestikuliert und sich bewegt, also seine Träume motorisch ausagiert), die anschliessend durch eine Polysomnographie bestätigt wird. Diese Tabelle 1: Regeln zur Schlafhygiene (nach [6]). Eine körperliche Aktivität am Tage einplanen (z.B.: Spazieren­ gehen). Traum-Schlaf-Verhaltensstörung entsteht durch den Verlust der physiologischen Atonie während der REMPhase, in welcher der Patient träumt. Häufig besteht Sich täglich dem Tageslicht aussetzen. ein Zusammenhang zwischen dem Trauminhalt und Vermeiden von Koffein-, Alkohol- und Tabakkonsum am ­späten Nachmittag und Abend. dem anormalen Verhalten. Die Schaffung einer siche­ Vermeiden von psychisch anregenden Tätigkeiten wie Lesen, Fernsehen oder Computernutzung im Bett (die Zeit im Bett sollte dem Schlafen oder sexuellen Aktivitäten vorbehalten sein). Beschränken der im Bett verbrachten Zeit. Vermeiden von Nickerchen tagsüber oder beschränken dieser auf eine Dauer von 30 Minuten vor 15 Uhr. Kontrolle der Schlafumgebung: Temperatur anpassen, Lärmexposition vermeiden und für Dunkelheit sorgen. Erst schlafen gehen, wenn man müde ist. Regelmässige Zubettgeh- und Aufstehzeiten einhalten. ren Schlafumgebung für den Patienten und seinen Le­ benspartner ist unerlässlich, um Stürze aus dem Bett oder Verletzungen zu vermeiden. Die pharmakologi­ sche Behandlung mit Melatonin ist die Behandlung erster Wahl, gefolgt von gering dosiertem Clonaze­pam. Schlafbezogene Atmungsstörungen Zu dieser Gruppe gehören das obstruktive oder zen­ trale Schlafapnoesyndrom sowie das schlafbezogene Hypoventilationssyndrom. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 715 Übersichtsartikel AIM Schlafbeschwerden >3 Monate Initiale klinische Evaluation: – Bestimmung des Schlafprofils (Schlaftagebuch) – Erfassung der Komorbiditäten und Medikamente – Umweltfaktoren Aktive Suche nach Komorbiditäten Beispiele: Untersuchung auf Depressionen, kognitive Störungen, Schmerzstörungen, chronische Erkrankungen (COPD, HI) Positives Screening auf schlafbezogene Atmungs- oder motorische Störungen wie OSAS, RLS oder PLMD Behandlung der komorbiden Erkrankung + Nichtpharmakologische Behandlung: – Schlafhygiene – Psychoedukation – Kognitive Verhaltenstherapie Bei weiterhin bestehenden oder schweren Symptomen (schwere Beeinträchtigung am Tage) Schlaffachkonsultation – Polysomnographie – +/- Aktigraphie (Aufzeichnung von Bewegungen über 1 Woche zur Unterscheidung von Wach-, Schlaf- und inaktiven Phasen) – CPAP, Dopaminagonisten Symptomatische pharmakologische Behandlung: – Melatonin (Circadin®): indiziert bei primärer Insomnie (keine ursächlichen Komorbiditäten), REM-Schlaf-Verhaltensstörungen, bei komorbider Insomnie weniger wirksam. – Trazodon (Trittico®), Mirtazapin (Remeron®): fehlende Evidenz, kann jedoch bei polymorbiden Patienten, kognitiven Störungen, OSAS und COPD eingesetzt werden, da weniger unerwünschte Wirkungen und ein geringerer Gewöhnungseffekt eintreten. – Zolpidem (Stilnox®), Zopiclon (Imovane®): bei Einschlafschwierigkeiten, jedoch mit erhöhtem Risiko für Stürze, geistige Verwirrung/kognitive Störungen und Gewöhnung. – Benzodiazepine (Lorazepam [Temesta®], Oxazepam [Anxiolit®]): sinnvoll bei Angstsymptomen, aber generelle Anwendung untersagt aufgrund des Risikos für Stürze, geistige Verwirrung/kognitive Störungen und des Gewöhnungseffekts. – Neuroleptika: Anwendung bei fehlenden psychotischen Symptomen untersagt (Delirium, Halluzinationen). – Kurze Behandlungsdauer (max. 4 Wochen), niedrige Dosierung, systematische Reevaluation der Wirksamkeit und der Nebenwirkungen. Abbildung 1: Die Behandlung von Schlafstörungen bei älteren Menschen. Abkürzungen: COPD = chronisch obstruktive Lungenerkrankung; HI = Herzinsuffizienz; OSAS = obstruktives Schlafapnoe-­ Hypopnoe-Syndrom; RLS = Restless-Legs-Syndrom; PLMD = «periodic limb movement disorder»; CPAP = «continuous positive airway pressure»; REM = «rapid eye movement» SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 716 Übersichtsartikel AIM Obgleich das obstruktive Schlafapnoe-Hypopnoe-Syn­ ästhesien einhergehen kann, die sich bei Bewegung drom (OSAS) aufgrund der Unkenntnis der geriatri­ teilweise bessern. Es tritt häufiger bei Frauen auf und schen Besonderheiten häufig unterdiagnostiziert ist, seine Prävalenz nimmt mit steigendem Alter zu. Die nimmt seine Häufigkeit mit steigendem Alter zu. Eine Diagnose ist klinisch und ca. 70% der Betroffenen lei­ in der Schweiz durchgeführte Studie (HypnoLaus) hat den zusätzlich an einer «periodic limb mouvement eine Prävalenz des OSAS (Apnoe-Hypopnoe-Index [AHI] disorder» (PLMD), deren Diagnose anhand einer Poly­ gleich oder über 15 Ereignisse pro Stunde) bei 49,7% der somnographie gestellt wird. Die Prävalenz der PLMD Männer und 23,4% der Frauen über 40 Jahren ergeben. beträgt bei älteren Menschen ca. 45%, im Gegensatz zu Eine noch höhere Prävalenz besteht bei Personen mit 5–6% bei jungen Erwachsenen. Durch die Beinbewe­ kognitiven Störungen in Alters- und Pflegeheimen. gungen kommt es zu nächtlichem Erwachen mit einer Weitere Risikofaktoren sind die Einnahme von Benzo­ starken Schlaffragmentierung. Bei älteren Menschen diazepinen und Opiaten, Alkoholkonsum, Rauchen ist es unerlässlich, eine eventuelle sekundäre Ursache und Adipositas. wie eine Lithiumbehandlung, Alkoholkonsum, eine Bei älteren Patienten kann das klinische Erscheinungs­ Polyneuropathie, Eisenmangel und Urämie abzuklä­ bild weniger ausgeprägt oder atypisch sein. Obgleich Ta­ ren. gesschläfrigkeit das Hauptsymptom darstellt, können Bei primärer PLMD und primärem RLS ist der Beginn einige Patienten nächtliche Verwirrtheitszustände oder einer Behandlung mit Dopaminagonisten (Ropinirol Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen am [Requip®], Pramipexol [Sifrol®]) oder Gabapentin (Neu­ Tage zeigen. Überdies hat eine vor kurzem in der rontin®) beziehungsweise Pregabalin (Lyrica®) in Kom­ Schweiz durchgeführte Studie gezeigt, dass über 65-jäh­ bination mit Verhaltensmassnahmen zur Verbesse­ rige Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen rung der Schlafqualität indiziert. Bei älteren Menschen ein höheres Risiko für kognitive Störungen haben [6]. wird empfohlen, eventuelle Nebenwirkungen der oben Die Befragung des Lebenspartners kann Hinweise auf genannten Behandlungen wie orthostatische Hypoto­ die Diagnose liefern, wenn Schnarchen und/oder nie, Schläfrigkeit und Verwirrtheitszustände zu beach­ Apnoen auftreten. Die Tagesschläfrigkeit kann sich in ten. Form von vermehrtem ungewolltem Einnicken wäh­ rend des Lesens oder Unterhaltungen äussern und Insomnie und andere Komorbiditäten beim Autofahren gefährlich werden. Insomnie ist ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Er­ Eine Polysomnographie ist die Untersuchung erster krankungen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass eine Wahl zur Diagnosestellung und erlaubt auch die Beur­ kürzere Schlafdauer mit einem erhöhten Risiko für teilung des Schweregrads der schlafbezogenen At­ Adipositas, Hypertonie, Diabetes, Hypercholesterin­ mungsstörung. Die Behandlung erfolgt mittels CPAP- ämie und weiteren Komorbiditäten assoziiert ist. Auf­ Therapie («continuous positive airway pressure») in grund dieser Evidenz könnte man über die Wirksam­ Kombination mit Verhaltensmassnahmen (Koffein, Al­ keit der Prävention kardiovaskulärer Risikofaktoren kohol, Benzodiazepine und Opiate vermeiden). Es ist durch die frühzeitige Behandlung von Schlafstörun­ wichtig, nicht davon auszugehen, dass das fortgeschrit­ gen im Erwachsenenalter nachdenken. tene Alter eine schlechte Compliance mit der CPAP-The­ Im geriatrischen Bereich sind die Herausforderungen rapie zur Folge hat. Es wurde im Gegenteil gezeigt, dass jedoch vollkommen anderer Natur: Die Patienten sind selbst Patienten mit leichter bis moderater Alzheimer- polymorbid, häufig gebrechlich und die Schlafstörun­ Krankheit die Behandlung akzeptieren, umso mehr, gen nur eines von verschiedenen Symptomen, deren wenn die Pflegenden miteinbezogen werden [6]. Ein in Behandlung komplex ist und welche die Lebensquali­ der Literatur beschriebener Faktor für eine schlechte tät der Betroffenen negativ beeinträchtigen. Mehrere Compliance ist eine Depression, weshalb eine Behand­ chronische Erkrankungen wie die chronisch obstruk­ lung beider Erkrankungen indiziert ist. tive Lungenerkrankung, gastroösophagealer Reflux Die Prävalenz des zentralen Schlafapnoesyndroms und Herzinsuffizienz können Schlaflosigkeit verursa­ nimmt ebenfalls mit steigendem Alter zu und seine chen und/oder verschlimmern. Therapie besteht darin, die Behandlung der kardiovas­ Bei der Assoziation mehrerer Komorbiditäten wird die kulären oder neurologischen Grunderkrankung zu op­ Behandlung der Insomnie für die Ärzte zur Herausfor­ timieren. derung und ist häufig durch Polymedikation sowie die daraus folgenden Medikamenteninteraktionen und Schlafgebundene motorische Störungen unerwünschten Wirkungen beschränkt. In diesem Fall Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist durch einen star­ ist es sinnvoll, akute Dekompensationen chronischer ken Bewegungsdrang gekennzeichnet, der mit Dys­ Erkrankungen zu verhindern und die Schlafstörungen SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 717 Übersichtsartikel AIM gleichzeitig mit nichtpharmakologischen Methoden Eine Behandlung mit Antihistaminika wird aufgrund zu behandeln. Wenn der Beginn einer medikamentösen des Risikos einer orthostatischen Hypotonie und von Behandlung erforderlich ist, sollte das individuelle Verwirrtheitszuständen infolge der anticholinergen Nutzen-Risiko-Verhältnis im Hinblick auf Kontraindi­ Wirkung nicht empfohlen. Für den Off-Label-Use von kationen und die bestmögliche Lebensqualität abge­ Antidepressiva und Neuroleptika zur ausschliessli­ wogen werden. chen symptomatischen Insomniebehandlung gibt es in der Literatur keine Evidenz. Sedierende Antidepres­ Insomnie und Medikamente siva wie Trazodon (Trittico®) und Mirtazapin (Reme­ Mehrere Medikamente wirken sich negativ auf den ron®) können bei Patienten mit Demenz oder chro­ Schlaf aus, indem sie die Schlafarchitektur und/oder nisch obstruktiver Lungenerkrankung eingesetzt -qualität auf verschiedene Weise beeinflussen. Die am werden, um die Verschreibung von Benzodiazepinen häufigsten für Schlaflosigkeit verantwortlichen Medi­ oder Neuroleptika zu vermeiden. kamente sind Diuretika, Kortikosteroide, Antidepres­ Melatoninsupplemente und synthetisches Melatonin siva und Betablocker, letztere aufgrund einer Unter­ scheinen bei älteren Menschen eine positive Wirkung drückung der Melatoninsekretion bei abendlicher mit Verringerung der Einschlafdauer, Verbesserung Einnahme. Andere Substanzen wie Koffein, Nikotin, der wahrgenommenen Schlafqualität und der Auf­ abendlicher Alkoholgenuss sowie Benzodiazepinent­ merksamkeit am Tage zu haben. Sie haben ein interes­ zug wirken sich ebenfalls auf die Schlafarchitektur santes Profil mit dem Vorteil geringerer unerwünsch­ und -qualität aus. Daher muss bei Schlafbeschwerden ter Wirkungen bezüglich des Sturzrisikos und der eine sorgfältige Überprüfung der pharmakologischen kognitiven Fähigkeiten sowie weniger Medikamenten­ Behandlung, Dosierung und Einnahmezeiten erfolgen. interaktionen. Nichtsdestotrotz ist ihre Wirksamkeit Dabei ist es wichtig, auch rezeptfreie Medikamente wie bei der symptomatischen Behandlung komorbider In­ Nahrungsergänzungsmittel oder Vitamine mit einzu­ somnie bei älteren Menschen noch nicht erwiesen. beziehen, da diese Koffein enthalten können. Lichttherapielampen (5000–10 000 Lux) sind spezielle medizinische Geräte, die den zirkadianen Schlafrhyth­ Die Behandlungsprinzipien von Insomnie bei älteren Menschen mus normalisieren können. Zeitpunkt und Dauer dieser Behandlung sind von der klinischen Problematik ab­ hängig. Bei Personen, die abends zu früh einschlafen Die Auswirkungen der Schlafstörungen auf die Leis­ und nachts zu früh aufwachen (z.B. Einschlafen gegen tungsfähigkeit am Tage sind ein wichtiges Indiz zur Be­ 19–20 Uhr und Aufwachen gegen 2–3 Uhr früh) kann die stimmung ihres Schweregrads und dienen zur Beurtei­ Lichttherapie am späten Nachmittag oder frühen Abend lung der Wirksamkeit der Behandlung. Zunächst sollte eingesetzt werden. Im umgekehrten Fall (zu spätes Ein­ der Arzt an die Suche nach einer reversiblen oder schlafen und Aufwachen) wird die Lichttherapie mor­ durch eine Behandlung stabilisierbaren ursächlichen gens so schnell wie möglich nach dem spontanen Erwa­ Komorbidität denken. chen eingesetzt. Diese Behandlung kann mit langsamen Nichtpharmakologische Massnahmen erster Wahl sind schrittweisen Veränderungen der Bett- und Aufstehzei­ die Behandlung der Symptome durch eine entsprech­ ten (Chronotherapie) kombiniert werden, um den ge­ ende Schlafhygiene, die Anpassung der Schlafumgebung wünschten Schlafrhythmus zu erreichen. Die Anwen­ sowie psychoedukative Massnahmen des Patienten und dung der Lichttherapie ist jedoch nicht vollkommen seines Umfelds (Tab. 1). Kognitive Verhaltenstherapie hat nebenwirkungsfrei (zum falschen Zeitpunkt eingesetzt, sich bei älteren Menschen als wirksam erwiesen und kann sie den zirkadianen Rhythmus sogar noch stärker setzt auf Stimulus-Kontrolle, Entspannung und Schlafre­ durcheinanderbringen) und sollte bei ­Patienten mit be­ striktion, um die Schlaf­effektivität zu verbessern (Füh­ stimmten psychiatrischen Erkrankungen (z.B. bipolarer ren eines Schlaftagebuchs). Störung) nur mit Vorsicht eingesetzt werden. Bei Patien­ Zur pharmakologischen Behandlung älterer Menschen ten mit Netzhautproblemen ist sie kontraindiziert. werden noch immer standardmässig Benzodiazepine Abbildung 1 zeigt die verschiedenen zur symptomati­ und andere Beruhigungsmittel eingesetzt. Diese Medi­ schen Insomniebehandlung verschriebenen Wirk­ kamente erhöhen jedoch das Sturz- und Tagesschläf­ stoffe. Unabhängig davon, für welchen sich der Arzt rigkeitsrisiko mit verheerenden Auswirkungen auf die ent­scheidet, wird empfohlen, mit einer geringen Dosie­ kognitiven Fähigkeiten. Überdies haben sie einen Ge­ rung, einer intermittierenden Verschreibung (dreimal wöhnungseffekt zur Folge und der Nutzen der Medika­ pro Woche) und einer begrenzten Verschreibungsdauer mente nimmt langfristig ab, wobei eine hohe Abhän­ (2–4 Wochen) zu beginnen. Der Erfolg der pharma­ko­ gigkeitsgefahr besteht. logischen Behandlung beruht auf der systematischen SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 718 Übersichtsartikel AIM Reevaluation der Wirksamkeit und unerwünschter Behandlung von Insomnie im geriatrischen Bereich ist Dr méd. Aline Mendes ­Wirkungen, ohne die nichtpharmako­logischen Mass­ durch die unerwünschten Wirkungen der psychotro­ Médecin cheffe de clinique nahmen zu vernachlässigen. pen Substanzen beschränkt, weshalb die Entwicklung Korrespondenz: Département de médecine neuer Wirkstoffe mit einem günstigen Sicherheitspro­ interne, réhabilitation et de gériatrie Service de gériatrie Hôpitaux Universitaires Perspektiven fil für polymorbide und kognitiv beeinträchtigte Pa­ tienten erforderlich ist. Derzeit werden mehrere Wirk­ de Genève Derzeit sind die Behandlung der Komorbiditäten und stoffe, welche die Schlafqualität verbessern und gut Chemin du Pont-Bochet 3 Massnahmen zur Schlafhygiene die wichtigsten Eck­ verträglich sind, geprüft: Melatonin-Rezeptor-Agonis­ CH-1226 Thônex Aline.Mendes[at]hcuge.ch pfeiler der Behandlung von Schlafstörungen bei älte­ ten (Ramelteon und Agomelatin) sowie Orexin-Rezep­ ren Menschen. Die symptomatische pharmakologische tor-Antagonisten. Nichtsdestotrotz sind randomisierte Studien erforderlich, um ihre Wirksamkeit und Ver­ träglichkeit bei polymorbiden älteren Menschen zu untersuchen. Das Wichtigste für die Praxis • Obgleich Schlafveränderungen altersbedingt sein können, müssen ent- Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. sprechende Beschwerden durch umfassende Untersuchungen abgeklärt Literatur werden. 1 Wennberg AM, Canham SL, Smith MT, Spira AP. Optimizing sleep in older adults: treating insomnia. Maturitas 2013;76:247–52. 2 Luca G, Haba Rubio J, Andries D, Tobback N, Vollenweider P, Waeber G, et al. Age and gender variations of sleep in subjects without sleep disorders. Ann. Med. 2015;47:482–91. 3 American Academy of Sleep Medicine. International Classification of Sleep Disorders, 3rd ed, American Academy of Sleep Medicine, Darien, IL 2014. 4 McCleery J, Cohen DA, Sharpley AL. Pharmacotherapy for sleep disturbances in Alzheimer’s disease. Cochrane Database Syst Rev. 2014;21:3:CD009178. 5 Heinzer R, Vat S, Marques-Vidal P, Marti-Soler H, Andries D, Tobback N, et al. Prevalence of sleep-disordered breathing in the general population: the HypnoLaus study. Lancet Respir. Med. 2015;3:310–8. 6 Haba-Rubio J, Marti-Soler H, Tobback N, Andries D, Marques-­ Vidal P, Waeber G, et al. Sleep characteristics and cognitive impairment in the general population: The HypnoLaus study. Neurology. 2017;88:463–9. • Die Behandlung von Schlafstörungen bei älteren Menschen beruht hauptsächlich auf der Suche nach den ursächlichen Komorbiditäten und ihrer Behandlung. • Als Therapie erster Wahl gilt die nichtpharmakologische Behandlung durch Massnahmen zur Schlafhygiene und Psychoedukation sowie ko­ gnitive Verhaltenstherapie, während die pharmakologische symptomatische Behandlung durch unerwünschte Wirkungen und Interaktionen der psychotropen Substanzen beschränkt ist. • Ein fortgeschrittenes Alter und/oder eine leichte bis moderate Demenz stellen keine Kontraindikationen für eine CPAP-Therapie («continuous positive airway pressure») beim obstruktiven Schlafapnoe-HypopnoeSyndrom (OSAS) dar. • Beim Verdacht auf Restless-Legs-Syndrom (RLS) oder «periodic limb mouvement disorder» (PLMD) muss eine sekundäre Ursache wie Eisenmangel oder eine Polyneuropathie ausgeschlossen werden. Das Editorial zu diesem Artikel finden Sie auf S. 704 in dieser Ausgabe. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 720 WAS IST IHRE DIAGNOSE? Auch junge Schweizerinnen haben gelegentlich alte Krankheiten Akuter Nachtschweiss, Husten, pleuritische Thoraxschmerzen Dr. med. Ron Fried, Dr. med. Patrick Muggensturm v ie we d Peer re a r tic le Klinik für Innere Medizin, Spital Zollikerberg, Zollikerberg Fallbeschreibung ein linksseitiger septiert imponierender Pleuraerguss mit konsekutiver partieller Kompressionsatelektase Eine 22-jährige medizinische Praxisassistentin (MPA) des linken Unterlappens (Abb. 1). wird durch ihren Hausarzt, der auch ihr Arbeitgeber ist, Die anschliessende Pleurapunktion links ergab ein wegen akuten Nachtschweisses, Husten, pleuritischer zellreiches gemischtzelliges lympho- und granulozy- linksseitiger Thoraxschmerzen sowie Dyspnoesensa­ täres Pleuraexsudat mit einem normalen pH von 7,45 tionen mit Verdacht auf eine Lungenembolie zur Abklä- sowie einer tiefen Glucose von <3,3 mmol/l; direktmik- rung zugewiesen. Zwei Monate zuvor hielt sich die Pa­ roskopisch und kulturell konnten weder Bakterien tientin ferienhalber auf den Kapverdischen Inseln auf, noch Mykobakterien nachgewiesen werden; zytolo- wo sie von einem Insekt gestochen worden sei; zusätz- gisch fanden sich keine malignen Zellen. lich hatte sie in der Hausarztpraxis Kontakt mit einem Patienten mit offener Lungentuberkulose. Frage 1: Welche Differenzialdiagnose ist zum aktuellen In der klinischen Untersuchung imponierten bei der Zeitpunkt am wahrscheinlichsten? subfebrilen eupnoischen Patientin ein linksseitig abgeschwächtes vesikuläres Atemgeräusch mit einer linksbasalen Dämpfung. Elektrokardiographisch ergab sich ein Normalbefund. Laborchemisch zeigten sich erhöhte Entzündungszei- Ron Fried a) Pleuritis / parapneumonischer Pleuraerguss b)Pleuraempyem c) Tuberkulöse Pleuritis d) Rheumatologische Grundkrankheit / Kollagenose e)Pleurakarzinose chen (Leukozyten 8,54 G/l, CRP 136 mg/l) sowie positive Bei dieser jungen Patientin ohne Risikofaktoren mit D-Dimere; eine HIV-Serologie sowie ein Vaskulitis-Scree- akuter Krankheit ist trotz gemischtzelligen Pleuraex- ning (RF, ANA, ANCA) fielen negativ aus; Zika-, Dengue- sudates mit tiefer Glukose eine Pleurakarzinose sehr und Chikunguyavirus-Serologien waren im Verlaufe unwahrscheinlich. Ebenso ist eine rheumatologische ebenfalls negativ. Grundkrankheit / Kollagenose bei unilateralem Befall, Computertomographisch konnte schliesslich die an- fehlenden typischen Beschwerden sowie negativem fängliche klinische Verdachtsdiagnose von Lungenem- Vaskulitis-Screening sehr unwahrscheinlich. Bei einem bolien ausgeschlossen werden; allerdings zeigte sich gemischtzelligen Pleuraexsudat mit normalem pH ist Abbildung 1: Computertomographie des Thorax mit Kontrastmittel (Weichteil- [links] und Lungenfenster [rechts]) mit septiertem linksseitigem Pleuraerguss mit partieller ­Kompressionsatelektase des Unterlappens. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):720–723 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 721 Was ist ihre diagnose? trotz septiert imponierenden Pleuraergusses links ein Pleuritis vorgenommen werden. Die Einlage einer Pleurempyem unwahrscheinlich. Eine tuberkulöse Pleu- Bülaudrainage ist bei geringer Wahrscheinlichkeit für ritis ist bei entsprechender Anamnese grundsätzlich das Vorliegen eines Pleuraempyems nicht indiziert, möglich, in der Differenzialdiagnose aber viel unwahr- zumal sie auch keine weiteren diagnostischen Infor- scheinlicher als eine virale/bakte­rielle Pleuritis oder ein mationen liefert, welche über eine Pleurapunktion parapneumonischer Pleuraerguss. hin­ausgehen. Eine Pleurablindbiopsie kann bei diffu- Unter der Verdachtsdiagnose eines parapneumoni- sen sowie eine Thorakoskopie bei eher lokalisierten schen Pleuraergusses erfolgte initial eine empirische Pleuraprozessen vorgenommen werden. intravenöse Antibiotikatherapie mit Amoxicillin/Cla- Die zweite Pleurapunktion ergab wiederum ein zellrei- vulansäure und im Verlaufe bei fehlendem klinischen ches, nun rein lymphozytäres Pleuraexsudat mit einem und laborchemischen Ansprechen mit Piperacillin/Ta- normalen pH sowie einer ADA unterhalb der Detek­ zobactam. Nach insgesamt siebentägiger empirischer tionsgrenze; mikrobiologisch und zytologisch konnten Antibiotikatherapie zeigte sich weder klinisch noch la- erneut weder eine Infektion noch eine Neoplasie bestä- borchemisch ein adäquates Ansprechen. tigt werden. In der Folge wurde schliesslich die Indi­ kation für eine diagnostische Thorakoskopie gestellt, Frage 2: Welche der folgenden Abklärungen ist aktuell indiziert? a)Erneute diagnostische Pleurapunktion mit Bestimmung der Adenosindeaminase (ADA) b)Erneute diagnostische und therapeutische Pleurapunktion mit Einlage einer Bülaudrainage c)Pleurablindbiopsie mittels Abrams-Nadel d)Diagnostische Thorakoskopie e) «Interferon-gamma release assay» (IGRA) Vor invasiveren diagnostischen Massnahmen (Pleurablindbiopsie, Thorakoskopie) ist insbesondere bei einer jungen Frau mit indeterminiertem Pleuraerguss welche den untenstehenden makroskopischen Befund ergab (Abb. 2). Frage 3: Welches histologische Resultat ist anhand der bisherigen Zusatzuntersuchungen am ehesten zu erwarten. a)Nachweis eines intrapleuralen Lymphoms b)Nachweis einer Pleurakarzinose c)Nachweis einer sterilen granulozytären nichtverkäsenden Entzündung d)Nachweis einer granulozytären verkäsenden Entzündung mit Nachweis von Mykobakterien e)Nachweis eines benignen Asbest-assoziierten Pleuraergusses links die nochmalige diagnostische Pleurapunktion Bei einem isolierten lymphozytären Pleuraerguss ohne angezeigt; die Adenosindeaminase (ADA) ist ein sehr hilomediastinale Lymphadenopathie oder intrapulmo- spezifischer Parameter für eine tuberkulöse Pleuritis; nale Läsionen ist eine Sarkoidose sehr unwahrschein- anhand des «Interferon-gamma release assay» (IGRA) lich. Bei einem rezidivierenden sterilen lymphozytären hingegen kann keine Unterscheidung zwischen laten- Pleuraexsudat ist differenzialdiagnostisch neben einer ter Tuberkuloseinfektion und aktiver tuberkulöser tuberkulösen Pleuritis auch eine Neoplasie in Betracht zu ziehen, wobei bei einer 22-jährigen Nichtraucherin sowohl eine Pleurakarzinose als auch ein intrapleurales Lymphom eine Rarität darstellen. Bei positiver PCR für Mycobacterium-tuberculosis-Komplex sowie kulturellem Nachweis von Mycobacterium tuberculosis konnte schliesslich die Verdachtsdiagnose einer tuberkulösen Pleuritis definitiv bestätigt werden. Frage 4: Welche therapeutischen Massnahmen sind angezeigt? a)Exspektatives Prozedere und Spontanheilung abwarten Abbildung 2: Intraoperatives Bild der diagnostischen Thorakoskopie mit Nachweis einer schweren feinnodulären fibrinösen Pleuritis. b) Exspektatives Prozedere und Spontanheilung abwarten unter aerogener Isolation und Arbeitsplatzkarenz für mindestens 2 Wochen c)Präventive Tuberkulosetherapie mit Isoniazid für 9 Monate oder Rifampicin für 4 Monate d)Klassische tuberkulostatische Kombinationstherapie für insgesamt 6 Monate in Analogie zur Therapie der Lungentuberkulose e)Erweiterte tuberkulostatische Kombinationstherapie in der Annahme einer multiresistenten (MDR-) Tuberkulose SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):720–723 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 722 Was ist ihre diagnose? Eine präventive Tuberkulostherapie ist nur bei latenter, Diskussion [1] nicht aber bei aktiver Tuberkulose adäquat. Obschon eine tuberkulöse Pleuritis auch unter symptomatischer Die Tuberkulose ist eine durch Mykobakterien verur- Therapie in der Regel spontan abheilt, besteht ohne sachte Infektionskrankheit, welche aerogen via Tröpf- Therapie ein hohes Risiko, innerhalb der nächsten fünf chen übertragen wird. Weltweit treten pro Jahr ca. Jahre eine pulmonale oder extrapulmonale Tuberku- 9 Millionen Erkrankungen mit 1,5 Millionen Todesfäl- lose zu entwickeln. Somit folgt zwingendermassen die len auf. In 80% der Fälle handelt es sich um eine Lun- Indikation einer klassischen Tuberkulosetherapie. Kli- gentuberkulose, prinzipiell kann jedoch jedes Organ nisch liegen keine Risikofaktoren für das Vorliegen ei- befallen sein; bei der extrapulmonalen Tuberkulose ner multiresistenten (MDR-) Tuberkulose vor. steht nach der Lymphknotenbeteiligung die tuberku- Wir begannen eine tuberkulostatische 4er-Kombina­ löse Pleuritis im Vordergrund [2, 3]. Die Pathogenese tionstherapie mittels Pyrazinamid, Rifampicin, Etham- der tuberkulösen Pleuritis ist bis heute unklar. Es wird butol und Isoniazid für zwei Monate. Nach erfolgrei- angenommen, dass sich der Pleuraerguss aufgrund ei- cher Beendigung der Initialphase wurde auf eine ner verzögerten Hypersensitivitätsreaktion auf die 2er-Kombinationstherapie mit Isoniazid und Rifampi- Mykobakterien und deren Antigene im Pleuraspalt cin für weitere vier Monate reduziert. Bereits nach entwickelt [2, 3]. Die tuberkulöse Pleuritis ist in der Re- zweiwöchiger Therapie war die Patientin wiederum als gel selbstlimitierend und heilt meist spontan aus, wo- MPA berufstätig. bei zeitlebens insbesondere bei jungen Patienten ein Reaktivierungsrisiko besteht. Allerdings kann sich der Frage 5: Welche Verlaufskontrollen sind angezeigt? Zustand der Patienten auch verschlechtern und die Infektion sich zu einem Empyem weiterentwickeln. Des- a)Klinische und laborchemische Verlaufskontrollen alle 2 Wochen in der Initialphase und alle 4 Wochen in der Erhaltungsphase; Röntgen-Thorax nach Abschluss der Initialphase sowie der Erhaltungsphase b)Klinische, laborchemische und radiologische Verlaufskon­ trollen alle 2 Wochen in der Initialphase und alle 4 Wochen in der Erhaltungsphase c)Computertomographische Verlaufskontrolle nach Abschluss der Initialphase sowie der Erhaltungsphase d)Obligatorische ophthalmologische Standortbestimmung und Verlaufskontrolle bei Therapiebeginn sowie nach Abschluss der Initialphase sowie der Erhaltungsphase e)Ausschliessliche Verlaufskontrollen beim Infektiologen und/ oder Pneumologen halb wird grundsätzlich eine medikamentöse Behandlung empfohlen. In der Mehrheit der Fälle handelt es sich bei der tuberkulösen Pleuritis bei Erwachsenen um eine Reaktivierung der Erkrankung, bei Kindern vorwiegend um eine Primärinfektion; sie kann aber – wie bei unserer Patientin – auch in jedem Alter als Primärinfektion auftreten [4, 5, 6]. In 94% der Fälle zeigen die Patienten eine typische Klinik mit akutem Fieber mit nicht-produktivem Husten beziehungsweise in 78% mit pleuritischen Schmerzen ohne Erhöhung der peripheren weissen Blutkörperchen [2]; weitere unspezifische Symptome sind Schwä- Zur Beurteilung des Behandlungserfolges sowie zum che, Nachtschweiss und Gewichtsverlust; charakteris- Erfassen allfälliger Nebenwirkungen wurden für die tisch treten die Ergüsse praktisch immer unilateral Schweiz von der Lungenliga entsprechende Richtlinien auf, häufiger rechts wie links, von der Grösse eher klein erarbeitet und publiziert [1]. Die Verlaufskontrollen er- bis mittelgross [7]. Diagnostisch ist mindestens eine folgen in der Regel durch den Hausarzt sowie einen Pleurapunktion erforderlich. Hier zeigt sich in der Re- entsprechenden Spezialisten. Computertomographi- gel ein saures lymphozytäres Pleuraexsudat (pH <7,4) sche oder ophthalmologische Verlaufskontrollen sind mit einer tiefen Glukose-Konzentration [2, 3]; weitere unter klassischer tuberkulostatischer Kombinations- sinnvolle Untersuchungen bei Verdacht auf eine tuber- therapie nicht Routine. kulöse Pleuritis sind die Messungen der Adenosindea- Gemäss einer MIRU-VNTR-Analyse («variable number of minase (ADA). tandem repeats – mycobacterial interspersed pepetitive Die Adenosindeaminase hat grundsätzlich eine hohe units») am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Sensitivität sowie Spezifität [8]; in Regionen mit einer Universität Zürich konnte schliesslich eine sehr hohe ge- hohen Tuberkuloseprävalenz haben solche nicht-inva- netische Übereinstimmung der Mykobakterien­isolate siven Testverfahren im Gegensatz zu Ländern mit einer der Patientin sowie des mutmasslichen Indexpatienten tiefen Tuberkuloseprävalenz wie die Schweiz einen bewiesen werden. Somit kann – trotz kurzer Kontaktzeit ­hohen diagnostischen Stellenwert [9]. von weit weniger als acht Stunden – mit einer sehr ho- Eine positive Kultur der Pleuraflüssigkeit zeigt sich in hen Wahrscheinlichkeit von einer Primoinfektion am den meisten Studien in weniger als 20–30%, eine Pleu- Arbeitsplatz als MPA in der Hausarztpraxis ausgegangen rabiopsie erhöht die diagnostische Ausbeute auf >90%. werden. Eine Pleurabiopsie ist gerechtfertigt, wenn eine mode- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):720–723 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 723 Was ist ihre diagnose? rate bis hohe Wahrscheinlichkeit einer Tuberkulose be- resorbiert mit einer mehrheitlichen restitutio ad inte- steht und wenn die Untersuchung der Pleuraflüssigkeit grum. Bei einzelnen Patienten kann eine systemische nicht diagnostisch ist. Pleuragewebe kann einerseits Steroidgabe diese langen Heilungszeiten verkürzen, durch eine diagnostische Thorakoskopie oder eine ge- ­allerdings bestehen nur wenige Daten zur Risikostra­ schlossene perkutane Nadelbiopsie entnommen wer- tifizierung und Nutzen einer systemischen Steroid­ den. Die histologische Untersuchung und die Kultur therapie. der Pleura sind die sensitivsten Tests zum Nachweis einer tuberkulösen Pleuritis; die Biopsie weist in 50–97% Disclosure statement Granulome nach und die Kultur ist in 40–80% der Fälle Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. positiv, wobei die Sensitivität mit zunehmender Zahl der Biopsien steigt. Die antibiotische Behandlung der tuberkulösen Pleuritis entspricht derjenigen der pulmonalen Tuberkulose. Ohne Therapie haben die Patienten ein Risiko von 65% [10], innerhalb der nächsten 5 Jahre eine pulmonale oder extrapulmonale Tuberkulose zu entwickeln. Therapeutische Drainagen reduzieren zwar die Dyspnoe, haben jedoch keinen langfristigen Einfluss auf den Heilungsverlauf. Studien zeigten, dass weder die Lungenfunktion noch die Entwicklung einer Pleuraschwarte durch eine therapeutische Drainage günstig beeinflusst werden. Unter angemessener Therapie werden die meisten Patienten innerhalb zwei Wochen afebril; die Pleurafüssigkeit wird innerhalb von sechs Wochen Korrespondenz: Dr. med. Ron Fried Spital Zollikerberg Trichtenhauser Str. 20 Antworten CH-8125 Zollikerberg ron.fried[at]outlook.com Frage 1: a. Frage 2: a. Frage 3: d. Frage 4: d. Frage 5: a. Literatur 1 Barben J, C.B., Böttger EC, Egger J-M, et al. Tuberkulose in der Schweiz. 2014 [cited 2017 05.02.2017]; Handbuch Tuberkulose – ­revidierte Kurzversion 2014. Available from: http://www.tbinfo. ch/de/publikationen/handbuch-tuberkulose. 2 Berger HW, Mejia E. Tuberculous pleurisy. Chest. 1973;63(1):88–92. 3 Epstein DM, et al. Tuberculous pleural effusions. Chest. 1987;91(1):106–9. 4 Gopi A, et al. Diagnosis and treatment of tuberculous pleural effusion in 2006. Chest. 2007;131(3):880–9. 5 Torgersen J, et al. Molecular epidemiology of pleural and other extrapulmonary tuberculosis: a Maryland state review. Clin Infect Dis. 2006;42(10):1375–82. 6 Merino JM, et al. Tuberculous pleural effusion in children. Chest. 1999;115(1):26–30. 7 Valdes L, et al. Tuberculous pleurisy: a study of 254 patients. Arch Intern Med. 1998;158(18):2017–21. 8 Valdes L, et al. Adenosine deaminase (ADA) isoenzyme analysis in pleural effusions: diagnostic role, and relevance to the origin of increased ADA in tuberculous pleurisy. Eur Respir J. 1996;9(4):747–51. 9 Valdes L, et al. Value of adenosine deaminase in the diagnosis of tuberculous pleural effusions in young patients in a region of high prevalence of tuberculosis. Thorax. 1995;50(6):600–3. 10 Roper WH, Waring JJ. Primary serofibrinous pleural effusion in military personnel. Am Rev Tuberc. 1955;71(5):616–34. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):720–723 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 724 LESERBRIEFE Leserbrief Aerogener Übertragungsmodus intestinaler Parasitosen? Leserbrief zu: Benoit TM, Majer S, Nickel B, Traichel B. Ungewöhnliche Ursache einer Eosinophilie. Swiss Med Forum. 2017;17(08):201–4. Der Bericht über eine Eosinophilie und die Symptomatik einer Toxocariose bei einer Frau aus Thailand ist sehr interessant. Wie wird Toxocara übertragen? Im Rahmen seroepidemiologischer Untersu­ chungen der Schulkinder von Grabs 1983– 2007 [1) untersuchten wir 1986 auch die Sero­ reaktivität auf Toxocara («Ascaris von Hund, Katze») [2, 3]. Uns interessierte, ob Schüler mit einem hohen IgE-Wert, speziell ohne Aller­ gien, vermehrt Infektionen mit Parasiten durchgemacht hatten. 3 von 85 Schülern rea­ gierten seropositiv auf Toxocara (5%). Überra­ schend korrelierte dies nicht mit der Haltung von Hunden und Katzen, sondern mit jener von Kaninchen. Zwei Familien akzeptierten auch eine Unter­ suchung der Familienmitglieder und ihrer Kaninchen. Bei den Eltern reagierte nur eine Mutter grenzwertig seroreaktiv. Zwei Drittel der untersuchten Geschwister reagierten ebenso seroreaktiv. Von den 29 untersuchten Kaninchen waren nur zwei in einer Familie seroreaktiv. In die­ ser Familie wurden neben den Kaninchen zu Hause auch Vögel gezüchtet, die vor Hunden und speziell Katzen geschützt werden muss­ ten. Die beiden seroreaktiven Kaninchen wa­ ren alte Rammler (männliche Kaninchen), die überwintert hatten. Sie wurden mit Heu aus einem Stall gefüttert, wo sich viele Hunde und Katzen aufhielten. Somit war eine Über­ tragung über das Heu gegeben. Die beiden seroreaktiven Kaninchen wurden im Tierspi­ tal Bern untersucht. Es konnte histologisch keine invasive Toxocariose nachgewiesen werden. Deshalb ist auch eine Übertragung über Kaninchenfleisch unwahrscheinlich. Die Menschen essen kein Heu. Bei der Fütte­ rung von Tieren mit gelagertem Heu entstehen aber immense Mengen von Staub. Dieser wird eingeatmet. Auch grosse Partikel sedimentie­ ren in den oberen Atemwegen und werden über den Schleim abtransportiert. Der grösste Teil wird dem Magen-Darm-Trakt zugeführt, das Ziel intestinaler Parasiten. Ihre Eier sind nur etwa dreimal so gross wie übliche Pollen. Ein aerogener Infektionsmodus intestinaler Parasitosen ist deshalb plausibel. Infektionen mit dem menschenpathogenen Ascaris (A. lumbricoides) bei Schulkindern wa­ ren früher sehr häufig, eher in stadtnahen Re­ gionen. 1926 waren in Bümpliz bei Bern 78,8%, in der Stadt 46,1% der Kinder befallen (P. Laue­ ner, zitiert aus [4]). Dies prägte später den Be­ griff «Schrebergartenkrankheit», weil in den Nachkriegsjahren in Nachbarländern Gülle humaner Provenienz speziell hier angewendet wurde. Ein massiver Ascaris-Befall kann letal verlaufen. 1983/1984 fand Christian Bussmann bei Patienten des Kinderspitals Zürich keine Ascaris-Eier, bei Kindern im Kanton Appen­ zell-Innerrhoden aber bei 5%. Unterschiede in der Handhygiene, dem Trink- und Abwasser, der Verwendung der Hofgülle zur Düngung der Wiesen, nicht des Hofgärtchens, konnte diese Unterschiede nicht erklären [4]. Seine Zusammenstellung der Häufigkeiten aus der Literatur belegt, dass ein Ascaris-­ Befall bei Tropenrückkehrern und Kanalar­ beitern seltener nachweisbar ist. Diskutiert wurde eine Übertragung durch Fliegen, nicht die direkte aerogene Übertragung der Aska­ ris-Eier über Heustaub. Diese wäre plausibler als die indirekte über die Fliegen. Die Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz hat sich im letzten Jahrhundert massiv verän­ dert, zum Beispiel Traktoren, Kunstdünger, Si­ lage [5]. Heute haben Laubbläser die Rechen der Bergbauern und Besen der Stadtgärtner ersetzt. Offensichtlich sind neue aerogene Expositionen entstanden, deren Bedeutung wir nicht kennen. Das Immunsystem auch der heutigen Bevölkerung ist sehr erfolg­ reich. Deshalb sind zwar Infektionen mögli­ cherweise zunehmend häufiger, Erkrankun­ gen aber selten, vielleicht sogar wegen der üblichen Effizienz unserer eosinophilen Leu­ kozyten mit ihrer IgE-Produktion. Dies gilt für Nematoden, eher nicht für Zestoden (z.B. Echinokokken). Wenn ein Kind sein fallengelassenes Butter­ brot vom Trottoir aufnimmt und isst, nehmen wir ein hohes expositionelles Risiko einer In­ fektion an. Der Begleitung oder Begegnung mit einem «Laubbläser» in Aktion wird kein Risiko zugeordnet, ob zu Recht, ist nicht be­ kannt. Vielleicht ist es für Schwangere sinnvoll, den Laubbläsern nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen, nicht nur wegen aufgewirbelter Eier von Toxocara, auch wegen anderer Parasiten aus dem Kot von Hunden, Katzen, Füchsen und Vögeln. In Aktion sind diese Bläser im­ merhin gut hörbar. Dr. med. Markus Gassner, Grabs Schweiz. Gesellschaft für Aerobiologie (SGA) Literatur 1 Gassner M. Wüthrich B. Bauernkinder leiden selten an Heuschnupfen und Asthma. Dtsch Med Wschr. 2000;125: 923–31. 2 Stürchler D. Weiss N. Gassner M. Transmission of toxocariasis.J Infect Dis. 1990;162:571. 3 Gassner M. Gualzata M. Weiss N. Stürchler D. Toxo­ cara and Rabbits – Aerogenic Transmission of intes­ tinal Parasites. (Abstr.), 8th Congress of ISAM, Davos, 15.04.1991. J Aerosol Med 1991;4:Suppl.1, 37. 4 Bussmann Ch. Intestinalparasiten bei Schweizer Land- und Stadtkindern mit einer Literatur-Ueber­ sicht zur epidemiologischen Situation in der Schweiz und ihren Nachbarländern. Diss. Zürich 1988. 5 Gassner M. Farmers and Their Environment: Protec­ tive Influences of the Farming Environment against the Development of Allergies. Bergmann K-C, Ring J. (eds): History of Allergy. Chem Immunol Allergy. Basel, Karger 2014;100:278–86. Replik Herzlichen Dank für Ihre spannende For­ schungsarbeit im Rahmen der Aerobiologie und der in diesem Zusammenhang vermute­ ten Assoziation mit der aerogenen Übertra­ gung der Toxocariose. Der Begriff der Toxocariose steht für die In­ fektion eines menschlichen Fehlwirts mit Toxocara canis oder Toxocara cati. Beide Para­ siten gehören der Ordnung der Ascaridida, der Überfamilie der Ascaridiodea, sowie der Fa­ milie der Toxocaridae an, was die Ähnlichkeit zur Infektion mit dem menschenpathogenen Ascaris lumbricoides nahelegt. Die Haupt­ wirte von Toxocara canis und Toxocara cati sind der domestizierte Hund beziehungs­ weise die Katze, wobei eine parasitäre Besiede­ lung des Dünndarms entsteht. Die tierische In­ fektion kann entweder über die Ingestion von lebensfähigen, befruchteten Parasiteneiern über kontaminierte Quellen oder eine trans­ plazentäre Infektion in utero durch ein infi­ ziertes Muttertier erfolgen. Im Gegensatz dazu ist der Mensch ein aberranter Fehlwirt, in dem nach fäko-oraler Übertragung der nor­ male Lebenszyklus der Parasiten nicht vollen­ det werden kann. Stattdessen kommt es zur invasiven Infektion mit unterschiedlich schweren Krankheitsverläufen. Ihre Forschungsresultate zeigen möglicher­ weise neue Aspekte der Übertragungsweise von Toxocara canis und Toxocara cati auf. Die bislang gültige Lehrmeinung geht davon aus, dass die akzidentelle Ingestion von ToxocaraEiern, zum Beispiel während des Spielens in kontaminierten Sandkästen oder auf konta­ SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):724–725 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 725 LESERBRIEFE minierten Spielplätzen, zur entsprechenden Infektion führt. Eine aerogene Übertragung ist bislang nicht bekannt und kann durch Ihre Forschungsarbeit auch nicht sicher belegt werden. Obwohl 3 von 85 untersuchten Schü­ ler seropositiv für Toxocara waren, kann eine entsprechende Infektion trotz fehlender Kor­ relation mit der eigenen häuslichen Haltung von Hunden und Katzen aufgrund der fehlen­ den kontrollierten Bedingungen auch ander­ weitig mit einer ausserhäuslichen Spieltätig­ keit, einem Kontakt zu Nachbarstieren oder mit der Ingestion von kontaminierten Nah­ rungsmitteln erklärt werden. Zum sicheren Nachweis einer aerogenen Infektion wären demnach weitergehende Studien mit grösse­ ren Fallzahlen und kontrollierten Bedingun­ gen notwendig. Literatur – Despommier D. Toxocariasis: Clinical Aspects, Epide­ miology, Medical Ecology, and Molecular Aspects. Clinical Microbiology Reviews. 2003;16:265–72. – Fillaux J, Magnaval JF. Laboratory diagnosis of hu­ man toxocariasis. Vet Parasitol. 2013;193:327–36. – Woodhall DM, Eberhard ML, Parise ME. Neglected Parasitic Infections in the United States: Toxocaria­ sis. Am J Trop Hyg. 2014;90:810–3. Dr. med. Tobias Benoit, Münsterlingen SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):724–725 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html