With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”

Werbung
Peer
Swiss
Medical Forum
re
34 23. 8. 2017
705 J. Notter, B. Frey Tirri,
F. Bally, et al.
Sexuell übertragene
Infektionen mit Chlamydia
trachomatis
720 R. Fried, P. Muggensturm
Akuter Nachtschweiss,
Husten, pleuritische
Thoraxschmerzen
jo u r n al
SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer
vie we
d
724 M. Gassner
Aerogener Übertragungs­
modus intestinaler
Parasitosen?
With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”
712 A. Mendes, S. Perivier,
B. Heyrani Nobari, et al.
Chronische Schlafstörungen
Offizielles Fortbildungsorgan der FMH
Organe officiel de la FMH pour la formation continue
Bollettino ufficiale per la formazione della FMH
Organ da perfecziunament uffizial da la FMH
www.medicalforum.ch
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
701
INHALTSVERZEICHNIS
Redaktion
Beratende Redaktoren
Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Prof. Dr. Stefano Bassetti,
Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Dr. Pierre Périat, Basel;
Basel; Dr. Ana M. Cettuzzi-Grozaj, Basel (Managing editor);
Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal
Prof. Dr. ­Martin Krause, Münsterlingen; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern;
Prof. Dr. Antoine de Torrenté, La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Gérard
Waeber, Lausanne; PD Dr. Maria Monika Wertli, Bern
Advisory Board
PD Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Jérôme Gauthey, Biel;
Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds;
Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne;
Dr. Daniel Portmann, Winterthur
Und anderswo …?
A. de Torrenté
703Ischialgie: Pregabalin?
Editorial
R. Heinzer
704Schlaf bei älteren Menschen
Vorsicht vor althergebrachten Vorstellungen!
Übersichtsartikel
mydien-Management
Chlamydien-Case-Management
re
v ie we
d
Personen
Sexuell übertragene
Infektionen mit Chlamydia trachomatis
– Aktive Suche und Behandlung aller
705
Peer
– Optimale Technik bei Probenentnahme
C. Hauser, P.– Vernazza,
A. J. Schmidt,
P. Itin , J. Fehr , A. Calmy, N. Low, P. Tarr
Antibiotikabehandlung
von infizierten
a r tic le
J. Notter, B. Frey Tirri, F. Bally, K. Aebi Popp, M. Yaron, D. Nadal, M. Cavassini,
durch Eltern
elle
len
domen
SexpartnerInfektionen
der letzten 6 Monate
Sexuell übertragene
mit Chlamydia trachomatis werden in den letzten Jahren
(im Minimum: des letzten Partners)
immer häufiger
Chlamydien betreffen vor allem junge Frauen und werden wegen
– Keindiagnostiziert.
Sex für 7 Tage ausserhalb
behandelter Partnerschaft
des Risikos–der
aufsteigenden Infektion («pelvic inflammatory disease») und der möglichen
Erneute Chlamydien-Testung
3–6
Monate nach antibiotischer
schweren Komplikationen
wie Eileiterschwangerschaft und Unfruchtbarkeit gefürchtet. Diese
Chlamydien-Behandlung
ektion
er STI
atientInnen
treten deutlich seltener auf als früher angenommen. Das Management der infizierten Personen
tsabbruch
pirale»
sollte verbessert werden.
Peer
Chronische Schlafstörungen
In der geriatrischen Population treten häufig Schlafstörungen auf. Oft werden diese
re
v ie we
d
A. Mendes, S. Perivier, B. Heyrani Nobari, K. Cervena, S. Perrig, D. Zekry
712
a r tic le
Übersichtsartikel AIM
als normales Phänomen des Alterungsprozesses gedeutet. Tatsächlich ändert sich mit
steigendem Alter die Schlafarchitektur. Nichtsdestotrotz darf das Alter allein nicht als
Ursache von Schlaf­störungen angesehen werden.
Versicherungsmedizinische Gutachten – dritte, vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage
NEU
Prof. Dr. Gabriela Riemer-Kafka (Hrsg.),
Universität Luzern
Versicherungsmedizinische Gutachten
2017. 187 Seiten. Broschiert.
sFr. 43.– / € (D) 43.– / € (A) 43.–
EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG in
Kooperation mit Stämpfli Verlag AG Bern
ISBN 978-3-03754-102-9
ISBN eBook 978-3-03754-103-6
Einwandfrei verfassen, eindeutig verstehen. Ein interdisziplinärer juristisch-medizinischer Leitfaden
Das versicherungsmedizinische Gutachten ist ein Beweismittel, das in strittigen Fragen von Versicherungen,
Gerichten oder den versicherten Personen selbst in Auftrag gegeben wird. Da eine rasche und richtige
Entscheidfindung von der Überzeugungskraft und Qualität des Gutachtens abhängt, müssen die inhaltlichen
und formalen Anforderungen an ein solches entsprechend definiert werden. Der vorliegende juristischmedizinische Leitfaden zeichnet sich dadurch aus, dass Ärzte und Juristen gemeinsam die im Zusammenhang
mit der Erstellung von Gutachten sich ergebenden Fragen erarbeitet haben, um damit das gegenseitige
Verständnis zu fördern und Brücken zwischen diesen beiden unterschiedlichen Disziplinen, jede mit der ihr
eigenen Denkweise, zu schlagen.
Weitere Informationen finden Sie unter
www.emh.ch in der Rubrik «Bücher».
Ihre Bestellmöglichkeiten: T +41 (0)61 467 85 55, F +41 (0)61 467 85 56, [email protected],
www.emh.ch, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, CH-4132 Muttenz
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
702
INHALTSVERZEICHNIS
Was ist ihre Diagnose?
v ie we
d
Peer
re
Eine 22-jährige medizinische Praxisassistentin wird wegen akuten Nachtschweisses, Husten,
a r tic le
R. Fried, P. Muggensturm
720A kuter Nachtschweiss, Husten, pleuritische Thoraxschmerzen
pleuritischer linksseitiger Thoraxschmerzen sowie Dyspnoesensa­tionen zur Abklärung zugewiesen.
Leserbrief
M. Gassner
724Aerogener Übertragungsmodus intestinaler Parasitosen?
T. Benoit
724Replik
Swiss Medical Weekly
Editorial Board: Prof. Adriano Aguzzi, Zurich (ed. in chief); Prof. Manuel Battegay, Basel; Dr. Katharina Blatter, Basel (Managing editor);
Prof. Jean-Michel Dayer, Geneva; Prof. Douglas Hanahan, Lausanne; Dr. Natalie Marty, Basel (Managing editor); Prof. André P. Perruchoud,
Basel (senior editor); Prof. Christian Seiler, Berne; Prof. Peter Suter, Geneva (senior editor)
The “Swiss Medical Weekly“ is the official scientific publication of the Swiss Society of Internal Medicine, Swiss Society of Infectiology,
Swiss Society of Rheumatology and Swiss Society of Pulmonary Hypertension. The journal is supported by the Swiss Academy of
Medical Sciences (SAM) and the Swiss Medical Association (FMH).
Abstracts of new articles from www.smw.ch are presented at the end of this issue.
Manchmal ist Mama müde
Anne-Christine Loschnigg-Barman,
Judith Alder
Manchmal ist Mama müde
Ein Kinderbuch zum Thema
Brustkrebs
EMH Schweizerischer Ärzteverlag
2011. 36 Seiten, 17 Abbildungen
in Farbe. Gebunden.
sFr. 14.50 / € 14.50
ISBN 978-3-03754-061-9
Weitere Informationen finden Sie unter www.emh.ch
in der Rubrik «Bücher und mehr».
Das Kinderbuch «Manchmal ist Mama müde»
richtet sich an Kinder im Alter von 2 bis 8,
deren Mutter an Brustkrebs erkrankt ist. Das
Buch soll den Kindern helfen, die Krankheit
der Mutter besser zu verstehen, und die Eltern unterstützen, Worte für das
Unfassbare zu finden.
Die fröhlichen Illustrationen sprechen Kinder direkt an. Der einfühlsame Text
vermittelt ihnen, dass sie mit ihren Sorgen und Ängsten ernst genommen
werden und dass die Krankheit nichts an der Liebe zum Kind verändern kann.
Ihre Bestellmöglichkeiten: T +41 (0)61 467 85 55, F +41 (0)61 467 85 56, [email protected],
www.emh.ch, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, CH-4132 Muttenz
Impressum
Swiss Medical Forum –
Schweizerisches Medizin-Forum
Offizielles Fortbildungsorgan der FMH
und der Schweizerischen Gesellschaft
für Innere Medizin
Marketing EMH / Inserate:
Dr. phil. II Karin Würz, Leiterin
Marketing und Kommunikation,
Tel. +41 (0)61 467 85 49, Fax +41
(0)61 467 85 56, [email protected]
Redaktionsadresse: Eveline Maegli,
Redaktionsassistentin SMF,
EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG,
Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz,
Tel. +41 (0)61 467 85 58,
Fax +41 (0)61 467 85 56,
[email protected],
www.medicalforum.ch
Abonnemente FMH-Mitglieder:
FMH Verbindung der Schweizer
Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18,
3000 Bern 15, Tel. +41 (0)31 359 11 11,
Fax +41 (0)31 359 11 12, [email protected]
Andere Abonnemente: EMH Schweize­
rischer Ärzteverlag AG, Abonnemente,
Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz,
Tel. +41 (0)61 467 85 75,
Fax +41 (0)61 467 85 76, [email protected]
Abonnementspreise: zusammen
mit der Schweizerischen Ärztezeitung 1 Jahr CHF 395.– / Studenten
CHF 198.– zzgl. Porto; ohne Schweize­
rische Ärzte­zeitung 1 Jahr CHF 175.– /
Studenten CHF 88.– zzgl. Porto
(kürzere Abonnementsdauern: siehe
www.medicalforum.ch)
Manuskripteinreichung online:
http://www.edmgr.com/smf
Verlag: EMH Schweizerischer Ärzte­
verlag AG, Farnsburgerstrasse 8,
4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 55,
Fax +41 (0)61 467 85 56, www.emh.ch
ISSN: Printversion: 1424-3784 /
elektronische Ausgabe: 1424-4020
Erscheint jeden Mittwoch
© EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG
(EMH), 2017. Das Swiss Medical Forum
ist eine Open-­Access-Publika­tion
von EMH. Entsprechend gewährt EMH
allen Nutzern auf der Basis der CreativeCommons-Lizenz «Namensnennung –
Nicht kommerziell – Keine Bearbei­
tung­en 4.0 International» das zeitlich
unbeschränkte Recht, das Werk zu ver­
viel­fältigen, zu verbreiten und öffentlich
zugänglich zu machen unter den Bedin­
gungen, dass (1) der Name des Autors
genannt wird, (2) das Werk nicht für
kommerzielle Zwecke verwendet wird
und (3) das Werk in keiner Weise bear­
beitet oder in anderer Weise verändert
wird. Die kommerzielle Nutzung ist nur
mit ausdrück­licher vorgängiger Erlaub­
nis von EMH und auf der Basis einer
schriftlichen Vereinbarung zulässig.
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
Hinweis: Alle in dieser Zeitschrift
pu­blizierten Angaben wurden mit der
grössten Sorgfalt überprüft. Die mit
Verfassernamen gezeichneten Ver­
öffentlichungen geben in erster Linie
die Auffassung der Autoren und nicht
zwangsläufig die Meinung der SMFRedaktion wieder. Die angegebenen
Dosierungen, Indikationen und Appli­
kationsformen, vor allem von Neuzu­
lassungen, sollten in jedem Fall mit
den Fachinformationen der verwende­
ten Medikamente verglichen werden.
Herstellung: Schwabe AG, Muttenz,
www.schwabe.ch
Titelbild:
© Monkeybusinessimages |
Dreamstime.com
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
703
UND ANDERSWO …?
Und anderswo …?
Antoine de Torrenté
Ischialgie: Pregabalin?
Fragestellung
Eine Ischialgie ist durch Gesässschmerzen
­gekennzeichnet, die ins Bein ausstrahlen und
u.U. mit Lumbalgien einhergehen. Neben diesen Symptomen treten mitunter auch Sensibilitätsstörungen, Muskelschwäche und Hypo-/
Areflexie auf. Pregabalin ist bei bestimmten
neuropathisch bedingten, insbesondere post­
herpetischen oder diabetischen Schmerzen
wirksam. Es wirkt auf die Kalziumkanäle und
verringert die Freisetzung bestimmter Neurotransmitter. Daher erscheint es logisch, die
Wirkung von Pregabalin auf ischi­
a lgische
Schmerzen zu untersuchen. Das Ziel der PRECISE-Studie (Pregabaline in Addition to Usual
Care for Sciatica) war es, diese Fragestellung
klären.
Methode
Die Studie war randomisiert, doppelblind und
plazebokontrolliert. Die eingeschlossenen Patienten wurden von einem Studienarzt untersucht, der das klinische Bild einer Ischialgie
bestätigte. Die Schmerzen mussten mindestens
Wer hat die besten Arterien der Welt?
Forscher haben herausgefunden, dass die Tsimane, ein Amazonasvolk aus Bolivien, die gesündesten Arterien haben. 700 der >40 Jahre
alten Ureinwohner wurden einem CT unterzogen, um Anzeichen von Koronarverkalkung
festzustellen. Die Resultate wurden mit einer
Population aus Industrieländern verglichen.
85% der Tsimane wiesen keine Koronarver­
kalkung auf, im Vergleich zu lediglich 14% der
Amerikaner. Ihr Geheimnis: 4–7 Stunden
körper­liche Betätigung täglich, niedriger Blutdruck, kein Tabakkonsum. Es können nicht
alle im Amazonasgebiet Boliviens leben!
Kaplan H, et al. Lancet. 2017;389(10080):1730–9.
http://thelancet.com/journals/lancet/article/
PIIS0140-6736(17)30752-3/fulltext
Resorbierbare Stents:
nicht so gut wie gedacht?
Die FDA hat eine Warnung bezüglich eines resorbierbaren Stents (CGT1 Bioabsorbable Vascular Scaffold) ausgesprochen, der im Juli 2016
zugelassen worden war. Nach 2 Jahren traten
bei 11% der Probanden mit dem resorbierbarem Stent schwere kardiovaskuläre Ereignisse
eine der folgenden Eigenschaften aufweisen:
in einem bestimmten Dermatom auftreten,
bis unterhalb des Knies ausstrahlen, mit sensorischen Defiziten oder verminderten Reflexen
einhergehen. Die Symptome mussten eine
Woche bis ein Jahr lang bestanden haben. Die
Probanden wurden im Verhältnis von 1:1 randomisiert, um eine Initialdosis von 150 mg
Pregabalin/Tag mit einer Höchstdosis von
600 mg/Tag oder ein Plazebo zu erhalten.
Während der ersten acht Wochen des Follow-up
wurden sie bis zu 9 ×/ Woche untersucht. Physiotherapie- sowie Analgetikabehandlungen
gemäss WHO-Stufenschema waren zugelassen. Primärer Endpunkt waren die durchschnittlichen Schmerzen (Skala von 0–10) in
den 24 Stunden vor dem Zieldatum nach
8 Wochen. Die Patienten wurden bis Woche 52
nachbeobachtet.
Resultate
106 Patienten wurden nach dem Intention-toTreat-Prinzip in die Pregabalin- und 101 in die
Plazebogruppe eingeschlossen. Zu Studienbeginn betrug die Schmerzintensität in der Pregabalingruppe 6,3 ± 1,8 und unter Plazebo
6,1 ± 1,9. Nach 8 Wochen war sie auf 3,7 bzw. 3,1
auf, gegenüber 8% bei Patienten mit einem
Everolimus freisetzenden Metallstent. Auch
die Zahl der Stent-Thrombosen war beim resorbierbaren Stent doppelt so hoch. Handelt es
sich hierbei um einen Klasseneffekt oder ist der
Anstieg durch genau diesen Stent-Typ bedingt?
Die Vorstellung eines Stents, der sich nach
­getaner Arbeit auflöst, ist jedoch verlockend!
FDA Safety Alerts for Human Medical Products.
Posted 03/18/2017
https://www.fda.gov/Safety/MedWatch/SafetyInformation/SafetyAlertsforHumanMedicalProducts/ucm547256.htm
Intradiskale Steroidinjektion bei Lumbalgien
mit Diskopathie: durchwachsene Resultate?
Die intradiskale Steroidinjektion bewirkt
zwar eine vorübergehende Schmerzlinderung, ihr Langzeiterfolg ist jedoch unsicher.
135 Patienten mit aktiver Diskopathie und täglichen, seit drei Monaten bestehenden Lumbalgien erhielten während des MRT entweder
eine intradiskale Steroid- oder eine Plazeboinjektion. 55% der Patienten der Verum-Gruppe
verspürten eine rasche Schmerzlinderung, gegenüber 33% unter Plazebo. Leider traten die
zurückgegangen (n.s.). Auch in Woche 52 gab
es keine Unterschiede zwischen den Gruppen.
Probleme und Kommentar
Bei über 84% der Patienten bestand die Ischialgie seit <3 Monaten. Es ist bekannt, dass sich
die Schmerzen bei ⅓ der Patienten nach 2 Wochen und bei ¾ nach 3 Monaten bessern. Daher ist die Wirksamkeit eines Medikaments
nach 8 Wochen schwer zu beurteilen. Ein anderes Problem besteht darin, dass Patienten
mit einer Ischialgie häufig an einer Kombination neuropathischer Schmerzen, die durch
Pregabalin gelindert werden könnten und nozizeptiver Schmerzen (Wirbelsäulenarthrose),
die nicht auf die Behandlung ansprechen, leiden. Die Studie erlaubt keine Unterscheidung
zwischen beiden Schmerzarten. Pregabalin ist
nicht frei von Nebenwirkungen (insbesondere Schwindel) und scheint somit bei Ischialgie nicht indiziert zu sein. Negative Resultate
sind häufig sehr nützlich, um unwirksame
und nebenwirkungsbehaftete Behandlungen
zu vermeiden!
Mathieson S, et al. N Engl J Med. 2017;376:1111–20.
http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1614292
Schmerzen nach drei Monaten erneut auf und
nach 12 Monaten gab es keine Unterschiede
mehr zwischen den Gruppen. Die Patienten
sollten informiert werden, um ihre eigene
Entscheidung zu treffen!
Nguyen C, et al. Ann Intern Med.
2017;166(8):547–56.
http://annals.org/aim/article/2612231/intradiscal-glucocorticoid-injection-patients-chronic-low-back-pain-associated-active
Pränatale Supplementierung von Omega3-Fettsäuren: höherer IQ des Kindes?
550 7-jährige Kinder, deren Mütter während
der Schwangerschaft entweder 800 mg DHA
(Docosahexaensäure) oder ein Plazebo einnahmen, wurden untersucht. Dabei wurden
keine positiven Auswirkungen auf IQ, Sprachentwicklung und schulische Leistungen ersichtlich. Merkwürdigerweise war die Einnahme von Omega-3-Kapseln mit mehr Verhaltensproblemen assoziiert … Man kann also
getrost darauf verzichten!
Gould JF, et al. JAMA. 2017;317(11):1173–5.
http://jamanetwork.com/journals/jama/article-abstract/2612605
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):703
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
704
EDITORIAL
Vorsicht vor althergebrachten ­Vorstellungen!
Schlaf bei älteren Menschen
PD Dr. med. Raphael Heinzer
Centre d’investigation et de recherche sur le sommeil, CHUV, Lausanne
Raphael Heinzer
Wir alle haben wohl das Bild des Grossvaters vor Au-
Ein absolut sinnvoller, im Artikel von Mendes et al. ge-
gen, der während der Familienmahlzeiten einnickt
nannter Vorschlag, insbesondere bei der Versorgung
oder an einem schönen Sommernachmittag friedlich
älterer Menschen mit Schlafstörungen (Abb. 1, S. 715),
auf der Bank vor sich hindöst. Diese Vorstellung einer
ist die Suche nach einer ursächlichen Komorbidität.
natürlichen altersbedingten Schläfrigkeit ist jedoch
Probleme wie chronische Schmerzen, Nykturie oder
trügerisch.
Schlafapnoe treten in dieser Altersklasse tatsächlich
Wie Dr. Mendes und ihre Co-Autoren in dieser Aus-
häufiger auf und können die Ursache für Schlafstörun-
gabe des Swiss Medical Forum sehr treffend ausführen,
gen sein.
dürfen Tagesschläfrigkeit oder andere Schlafstörun-
Die Verschreibung von Schlafmitteln sollte bei Insom-
gen nicht einfach auf das Alter des Patienten zurück-
nie, wenn keine andere (insbesondere psychiatrische)
geführt werden [1]. Mehrere epidemiologische Stu-
Ursache zu finden ist, angesichts des hohen Risikos des
dien, darunter die auf der CoLaus-Kohorte basierende
damit verbundenen Gewöhnungseffekts, von Stürzen
Hypno­Laus-Studie, zeigen eindeutig, dass Schlafbe-
oder kognitiven Störungen, lediglich der letzte Ausweg
schwerden in dieser für die Allgemeinbevölkerung re-
sein. Langwirksame Schlafmittel können auch zu einer
präsentativen Stichprobe mit zunehmendem Alter
Einschlafneigung am Tage führen, wodurch der Schlaf
eher ab- statt zunehmen [2]. Tatsächlich waren die Re-
in der darauffolgenden Nacht noch stärker durchein-
sultate der an die Probanden ausgeteilten Fragebögen
ander gerät.
zur Schlafqualität und Einschlafneigung während des
Wie von Mendes et. al. angeführt, sollte eine nichtme-
Tages bei den Über-60- deutlich besser als bei den
dikamentöse Behandlung mit der Empfehlung von Re-
40–60-Jährigen. Dies ist umso erstaunlicher, da mit
geln zur Schlafhygiene die Behandlung erster Wahl
zunehmendem Alter ein Rückgang der objektiven
sein (Tab. 1, S. 714). Die wichtigste dieser Behandlungs-
Schlafqualität (häufigeres nächtliches Erwachen, we-
methoden ist sicherlich die Abschaffung oder Verkür-
niger Tiefschlaf) und eine Zunahme von Schlafstörun-
zung von Nickerchen am Tage sowie eine ausrei-
gen, wie zum Beispiel dem Schlafapnoesyndrom, zu
chende Tageslichtexposition, um den zirkadianen
beobachten sind.
Rhythmus zu stärken und zu erreichen, dass der
Zur Erklärung dieses Paradoxons gibt es mehrere Hy-
Schlaf innerhalb eines genau festgelegten Zeitraums
pothesen: Es ist zu vermuten, dass aufgrund der gerin-
in der Nacht stattfindet. Daher ist es sehr wichtig, äl-
geren Anforderungen an die berufliche Leistungs­
tere Menschen tagsüber zum Hinausgehen anzure-
fähigkeit bei Rentnern auch deren Erwartungen an die
gen, wodurch ihre Tageslichtexposition steigt und das
Schlafeffektivität zurückgehen. Möglicherweise haben
Risiko für Tagesschläfrigkeit verringert wird. Mit die-
Menschen im Rentenalter im Gegensatz zu berufstäti-
ser einfachen Massnahme gelingt es in vielen Fällen,
gen Personen auch häufiger die Möglichkeit, tagsüber
einen schlaflosen älteren Menschen in einen echten
ein Nickerchen zu machen, wodurch das Tagesschläf-
Schlafchampion zu verwandeln!
rigkeitsrisiko logischerweise abnimmt.
Was auch immer die Ursache für diesen Unterschied
zwischen der beobachteten und subjektiv empfunde-
Disclosure statement
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
nen Schlafqualität bei älteren Menschen sein mag, die
PD Dr. med. Raphael Heinzer
Botschaft von Mendes et. al. ist eindeutig: Wenn ältere
Centre d’investigation et
Menschen über eine schlechte Schlafqualität oder Ta-
de recherche sur le sommeil
gesschläfrigkeit klagen, darf dies nicht banalisiert,
CHUV
CH-1011 Lausanne
Raphael.Heinzer[at]chuv.ch
sondern es muss nach der entsprechenden Ursache gesucht werden.
Literatur
1 Mendes A, Perivier S, Heyrani Nobari B, Cervena K, Perrig S,
Zekry D. Chronische Schlafstörungen. Swiss Medical Forum.
2017;17(32):712–8.
2 Luca G, Haba Rubio J, Andries D, Tobback N, Vollenweider P,
Waeber G, et al. Age and gender variations of sleep in subjects
without sleep disorders. Ann Med. 2015;47(6):482–91.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):704
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
705
ÜBERSICHTSARTIKEL
Das Wichtigste für die Praxis
Sexuell übertragene Infektionen
mit Chlamydia trachomatis
Eidgenössische Kommission für Sexuelle Gesundheit, Schweizerische Gesellschaf t für Infektiologie,
Dr. med. Julia Notter a , Dr. med. Brigitte Frey Tirri b , Dr. med. Frank Bally c , Dr. med. Karoline Aebi Popp d ,
Dr. med. Michal Yaron e , Prof. Dr. med. David Nadal f, PD Dr. med. Matthias Cavassini g , Dr. med. Christoph
Hauser d , Prof. Dr. med. Pietro Vernazza h , Dr. med. Axel Jeremias Schmidt h , Prof. Dr. med. Peter Itin i ,
PD Dr. med. Jan Fehr j , Prof. Dr. med. Alexandra Calmy k , Prof. Dr. med. Nicola Low l , Prof. Dr. med. Philip Tarr
a
Medizinische Universitätsklinik und Infektiologie/Spitalhygiene, Kantonsspital Baselland, Bruderholz, Universität Basel; b Frauenklinik, Kantonsspital Baselland,
Liestal; c Service des Maladies Infectieuses, Institut Central des Hôpitaux, Sion; d Universitätsklinik für Infektiologie, Inselspital Bern, Universität Bern;
e
Département de gynécologie et d’obstétrique, Hôpitaux Universitaires de Genève; f Pädiatrische Infektiologie, Universitäts-Kinderspital Zürich, Universität Zürich;
g
Service des Maladies Infectieuses, CHUV Lausanne; h Klinik für Infektiologie, Kantonsspital St. Gallen; i Dermatologische Universitätsklinik Basel, Universität Basel;
j
Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene, UniversitätsSpital Zürich, Universität Zürich; k Service des Maladies Infectieuses, Hôpitaux Universitaires de Genève;
l
Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern
v ie we
d
Peer
re
a r tic le
a
Sexuell übertragene Infektionen mit Chlamydia trachomatis werden in den letzten
Jahren immer häufiger diagnostiziert. Chlamydien betreffen vor allem junge Frauen
und werden wegen des Risikos der aufsteigenden Infektion («pelvic inflammatory
disease») und der möglichen schweren Komplikationen wie Eileiterschwangerschaft
und Unfruchtbarkeit gefürchtet. Diese treten deutlich seltener auf als früher angenommen. Das Management der infizierten Personen sollte verbessert werden.
Epidemiologie und Klinik
weitere Anstrengungen im Bereich der Primärprävention nötig sind (Abb. 2).
Julia Notter
Nehmen Chlamydien-Infektionen in der
Schweiz zu?
Eine Studie aus Basel lässt vermuten, dass es sich hier
Im Jahr 2015 wurden dem Bundesamt für Gesundheit
nach Chlamydien gesucht, aber der Prozentsatz der po-
(BAG) 10 167 Fälle von Infektionen mit Chlamydia tra-
sitiven Tests ist über die Jahre stabil geblieben. Wir ent-
chomatis gemeldet. Damit sind Chlamydien schweiz-
decken also mehr (überwiegend asymptomatische)
weit die häufigste diagnostizierte meldepflichtige se-
­Infektionen als früher [2]. Etwa 70% der sexuell übertra-
xuell übertragbare Infektion [1]. In den letzten zehn
genen Chlamydien-Infektionen werden in der Schweiz
Jahren haben sich die Chlamydien-Meldungen in der
bei Frauen diagnostiziert, von denen über die Hälfte 15–
Schweiz mehr als verdoppelt (Abb. 1). Dies zeigt, dass
24 Jahre alt sind. Fast alle betroffenen Frauen sind im
Bestätigte Chlamydiose-Fälle nach Geschlecht seit Beginn der Erfassung, 1988–2015
10000
um eine Pseudozunahme handelt: Es wird häufiger
gebärfähigen Alter (Abb. 3).
Verläuft eine Chlamydien-Infektion oft
asymptomatisch?
8000
Ja. Bei 70–95% der Frauen und über 50% der Männer
6000
mit bestätigter Infektion liegen keine Symptome
vor [3]. Vermutlich stellen also die dem BAG gemelde-
4000
ten Fälle nur die «Spitze des Eisberges» dar. Da es kaum
2000
Untersuchungen gibt, sind die Chlamydien-Inzidenz
0
1989
1991 1993
Total
1995
1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011
männlich
weiblich
2013 2015
Geschlecht unbekannt
Abbildung 1: Bestätigte Chlamydiose-Fälle nach Geschlecht seit Beginn der Erfassung,
1988–2015 (aus: Bundesamt für Gesundheit BAG. Chlamydiose in der Schweiz im Jahr
2015. BAG Bulletin. 2016; 46:32–3. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des BAG).
und -Prävalenz in der Schweiz nicht genau bekannt. In
einer Studie bei Patientinnen und Patienten unter
30 Jahren aus STI1-Sprechstunden im Wallis und in der
Waadt zeigten Bally et al. ein positives Chlamydien1 Sexually transmitted infections
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
706
Übersichtsartikel
Modernes Chlamydien-Management
Primärprävention
Chlamydien-Case-Management
– Sexuelle Aufklärung durch Eltern
– Unterricht über sexuelle
Gesundheit an Schulen
– Promotion von Kondomen
– Optimale Technik bei Probenentnahme
– Antibiotikabehandlung von infizierten
Personen
– Aktive Suche und Behandlung aller
Sexpartner der letzten 6 Monate
(im Minimum: des letzten Partners)
– Kein Sex für 7 Tage ausserhalb
behandelter Partnerschaft
– Erneute Chlamydien-Testung
3–6 Monate nach antibiotischer
Chlamydien-Behandlung
Klinisch indizierte
Chlamydien-Testung
– Symptomatische Infektion
– Patienten mit anderer STI
– Sexualpartner von PatientInnen
mit bestätigter STI
– Vor Schwangerschaftsabbruch
– Vor Einlage einer «Spirale»
Abbildung 2: Modernes Chlamydien-Management (Illustration: © Randy DuBurke, Binningen, randyduburke.com).
STI = «sexually transmitted infections».
vor. Rektale Infektionen verlaufen fast immer asym­
ptomatisch und stellen vor allem bei Männern, die mit
50%
Männern Sex haben, (MSM) eine wichtige Quelle für
40%
die Infektion der Sexualpartner dar. Pharyngeale In-
30%
tisch, ihre Prävalenz ist sehr niedrig und sie werden
fektionen verlaufen ebenfalls meistens asymptomanicht als wichtige Quelle punkto Partneransteckung
20%
angesehen.
10%
0%
0–14
15–24
25–34
35–44
männlich
45–54
55–64
65+
weiblich
Abbildung 3: A ltersverteilung von Personen mit bestätigter Chlamydiose nach Geschlecht (Fälle der letzten 5 Jahre zusammengefasst).
Quelle: Bundesamt für Gesundheit (BAG). Chlamydiose in der Schweiz im Jahr 2015.
BAG Bulletin. 2016; 46:32–3. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des BAG.
Wie gross ist das Risiko von schweren Komplikationen nach einer Chlamydien-Infektion?
Chlamydien sind gefürchtet, weil sie bei Frauen zu
schweren Komplikationen wie «pelvic inflammatory
disease» (PID), ektoper Schwangerschaft und Unfruchtbarkeit führen können (Abb. 4). Das genaue Risiko dieser Komplikationen ist schwierig abzuschätzen, es ist
aber sehr wahrscheinlich deutlich kleiner als bisher angenommen. Eine kürzlich durchgeführte umfassende
Resultat bei 5,9% der Frauen und 3,9% der Männer [4].
Analyse schätzt, dass 1000 Chlamydien-Infektionen bei
In europäischen Zufallsstichproben aus der Allgemein-
Frauen zwischen 16 und 44 Jahren im Schnitt zu 171 Epi-
bevölkerung lag die durchschnittliche Chlamydien-
soden einer PID, zu 2 Episoden ektoper Schwanger-
Prävalenz bei etwa 3,5% der Frauen und Männer unter
schaft und bei 5 Frauen zu einer Tubensterilität führt
26 Jahren.
[5]. Weitere, seltene Komplikationen nach ChlamydienInfektion sind Perihepatitis (Fitz-Hugh-Curtis-Syn-
Wie manifestiert sich eine symptomatische
Chlamydien-Infektion?
drom) und seronegative, reaktive Arthritis.
Bei Frauen können vaginaler Ausfluss, Dysurie, Kon-
mögliche Komplikationen einer PID, also eines Befalls
Zwar sind ektope Schwangerschaften und Infertilität
taktblutungen (Blutungen nach vaginalem Sex) und
des oberen Genitaltraktes und nicht einer asymptoma-
Zwischenblutungen (Blutungen zwischen 2 Menstrua-
tischen Infektion des unteren Genitaltraktes. Vermut-
tionsblutungen) Hinweise auf eine akute symptomati-
lich verläuft eine PID aber nicht selten asymptoma-
sche Chlamydien-Infektion sein. Bei Männern kom-
tisch: Dies lässt die deutlich höhere Prävalenz von
men Dysurie, urethraler Ausfluss und Hodenschmerzen
Chlamydien-Antikörpern bei Frauen (ohne PID-Ana­
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
707
Übersichtsartikel
Reinfektion
Heilung
Urogenitale
Chlamydieninfektion
Chronische
Unterbauchschmerzen
PID
Eileiterschwangerschaft
Eileiterpathologie
Tubensterilität
Abbildung 4: V
erlauf der Chlamydien-Infektion, mögliche Komplikationen (modifiziert nach [23]). Blaue Pfeile zeigen den möglichen natürlichen Verlauf einer Chlamydien-Infektion an. Die roten Pfeile entsprechen möglichen Komplikationen. Grüne Pfeile
zeigen eine ­mögliche Heilung mit oder ohne Therapie an. PID = «pelvic inflammatory disease».
mnese!) mit Tubensterilität im Vergleich zu Frauen
rasekettenreaktion [PCR]). Diese ist sensitiver als an-
ohne Tubensterilität vermuten.
dere diagnostische Methoden und hat diese daher
In zahlreichen Ländern hat die PID-Häufigkeit über die
weitgehend ersetzt. Bei Frauen werden zervikale oder
letzten Jahre abgenommen – ob dies mit der Zunahme
vaginale Abstriche bevorzugt, da Urinproben eine sub-
der durchgeführten Chlamydien-Tests zusammen-
optimale Sensitivität haben – sie sollen nur verwendet
hängt, ist allerdings keineswegs klar. Denn in Ländern,
werden, wenn kein Zervix- oder Vaginalabstrich zur
wo häufig getestet wird, ist die Prävalenz ähnlich hoch
Verfügung steht. Bei Männern wird Erststrahlurin ab-
wie in Ländern, wo wenig getestet wird, und es werden
genommen; die letzte Miktion sollte mindestens eine
generell abnehmende PID-Trends festgestellt [6, 7].
Stunde zurückliegen (dies wird im klinischen Alltag
leider nicht immer befolgt). Ein oberflächlicher Ab-
Können auch Männer nach einer ChlamydienInfektion unfruchtbar werden?
strich aus dem urethralen Meatus scheint gemäss neu-
Bei Männern liegen kaum Daten vor, dass Chlamydien
probe oder ein (2–4 cm tiefer) Urethralabstrich und
zu einer Sterilität führen könnten. Die Therapie einer
zudem weniger schmerzhaft als letzterer zu sein [9–11].
Infektion bei Männern zielt also nicht primär auf den
Die Angst vor einem schmerzhaften Urethralabstrich
Erhalt der männlichen Fertilität ab, sondern soll Sym­
liess in der Vergangenheit manchen Mann mit Urethri-
ptome beim betroffenen Mann lindern, Epididymitis
tis auf eine STI-Diagnostik verzichten. Für die Dia­
und Orchitis verhindern und die weitere Chlamydien-
gnose einer rektalen beziehungsweise pharyngealen
Verbreitung eindämmen.
Infektion erfolgt die Genamplifikation aus einem
eren Daten ähnlich sensitiv wie eine Erststrahl-Urin-
Anal- respektive Pharyngealabstrich. Patientinnen
Diagnostik
und Patienten können nach entsprechender Instruktion vaginale, urethrale, meatale und rektale Abstriche
bei sich selber durchführen [8, 10, 12].
Wie wird die Diagnostik der ChlamydienInfektion korrekt durchgeführt?
Das optimale Vorgehen ist in Tabelle 1 zusammenge-
Sollen bei nachgewiesener Chlamydien-­
Infektion andere STI gesucht werden?
fasst [8]. Wir empfehlen zur Chlamydien-Diagnostik
Bei Personen mit dokumentierter Chlamydien-Infek-
nur noch die Genamplifikation (z.B. mittels Polyme-
tion sollte eine Testung auf HIV, Gonorrhoe und Syphi-
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
708
Übersichtsartikel
Tabelle 1: Optimale Durchführung der Chlamydien-Diagnostik.
Vaginal-/
Zervixabstrich
Beide Abstrichorte sind ähnlich sensitiv
Vaginalabstrich: Vaginalwand unter dreimaliger Rotation mittels Abstrichtupfer abstreichen
Zervixabstrich: vor PAP-Abstrich durchführen, mit Tupfer Zervixsekrete entfernen,
Abstrichtupfer min. 1–2 cm in Zervix einführen und Zervixwand abstreichen (min. 2 Rotationen)
Meatus-/
Urethralabstrich
Bei Männern scheint ein Urethral- oder Meatusabstrich ähnlich sensitiv wie ein Erststrahlurin zu sein.
Urinprobe
Erststrahlurin, Becher bis max. 20 ml füllen
Urinprobe frühestens 1 Stunde nach letzter Miktion abnehmen
Bei Frauen weniger sensitiv als vaginaler/zervikaler Abstrich
Analabstrich
Kein Gleitmittel oder Lokalanästhesie verwenden
Unter leichter Rotationsbewegung den Abstrichtupfer genügend weit einführen
(3–5 cm – das Watteteil des Abstrichtupfers soll nicht mehr sichtbar sein)
ittels behutsamer Drehbewegung und leichtem Druck während 30 Sekunden die Anuswand abstreichen,
M
um die Absorption von Chlamydien und Gonokokken durch den Tupfer zu erhöhen
Rachenabstrich
Rachenhinterwand inkl. beider Tonsillen gründlich abstreichen
Vor Einsenden
des Abstrichs
Tupfer 15 Sekunden lang an der Wand des Röhrchens abstreichen, um Erreger aus dem Tupfer
in die Flüssigkeit auszupressen
lis erwogen werden. Umgekehrt sollte bei nachgewie-
ginnen und Gynäkologen praktizieren heute aber
sener Urethritis (z.B. mit Gonokokken) ebenfalls nach
eine Art Chlamydien-Screening, das heisst sie bieten
einer Chlamydien-Infektion und anderen STI gesucht
einer asymptomatischen, sexuell aktiven Frau <25 Jah-
werden. Frauen unter 25 Jahren gehören in der Schweiz
ren eine Chlamydien-Testung an, wenn sie sich zum
in der Regel keiner HIV-Hochrisikogruppe an, eine
Beispiel für eine Jahreskontrolle vorstellt. Zudem wird
HIV-Serologie soll in dieser Gruppe je nach individuel-
eine Chlamydien-Testung in der Schweiz oft – aber
lem Risiko (z.B. Immigrantinnen aus Subsahara-Afrika,
ohne offizielle Empfehlung – vor genitalen chirurgi-
kommerzielle Sex-Arbeiterinnen) erwogen werden.
schen Eingriffen, vor einem Schwangerschaftsab-
Jede STI ist zudem eine wichtige Gelegenheit, um
bruch und vor Einlage eines «intrauterine device»
­sicherzustellen, dass die Patientin gegen Hepatitis B
(IUD, «Spirale») durchgeführt sowie in der Schwan-
geimpft ist.
gerschaft, denn schwangere Frauen mit Chlamydien
haben ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt und
Sollen bei allen asymptomatischen Personen
Chlamydien gesucht werden?
nach vaginaler Geburt kann es beim Baby einer unbe-
Nein. Es gibt in der Schweiz aktuell kein offizielles
kommen.
handelten Mutter zu Konjunktivitis und Pneumonie
Chlamydien-Screening und keine Testempfehlungen.
Screening-Programme sind aufwendig und teuer, denn
sie erfordern eine sehr hohe Testrate. Asympto­matische
Behandlung und Partner-Management
Chlamydien-Träger sind aber schwierig zu ­erreichen.
Chlamydien-Testungen die Chlamydien-Prävalenz in
Wie wird eine sexuell übertragene ChlamydienInfektion behandelt?
der Bevölkerung, Neuansteckungen oder langfristige
Bei einer unkomplizierten Chlamydien-Infektion gibt
reproduktive Komplikationen reduzieren.
es zwei Erstlinien-Therapieoptionen (Tab. 2):
In einer britischen Studie sank mittels Chlamydien-
–Doxycyclin 100 mg p.o. 2×/Tag für 7 Tage (Kontra­
Zudem gibt es keine soliden Daten, dass u
­ mfangreiche
Testung und antibiotischer Behandlung bei sexuell
indikation: Schwangerschaft);
aktiven Frauen unter 27 Jahren das Risiko einer PID
–Azithromycin 1 g Einzeldosis p.o.
innerhalb des nächsten Jahres von 1,9 auf 1,3% [13]. Da-
In einer randomisierten Studie zeigten beide Antibio-
her empfehlen die «International Union against sexu-
tika Heilungsraten von über 97% [15]. Trends zeigen,
ally transmitted infections» (IUSTI) [3] und die US-
dass Doxycyclin insbesondere bei rektaler und pha-
amerikanischen «Centers for Disease Control and
ryngealer Chlamydien-Infektion wirksamer als Azi-
Prevention» (CDC) [14] eine Chlamydien-Testung bei
thromycin ist, weshalb vermutlich Doxycyclin vorzu-
Frauen mit folgenden Risikofaktoren: Alter unter
ziehen ist. Der Vorteil einer Therapie mit Azithromycin
25 Jahren, neuer Sexpartner oder mehr als ein Sexual-
ist, dass sie nur einmalig gegeben werden muss und
partner im letzten Jahr. In der Schweiz wird diese
die Einnahme direkt vor der Ärztin oder dem Arzt er-
Strategie nicht offiziell verfolgt. Manche Gynäkolo-
folgen kann. Die deutschen Guidelines [16] empfehlen
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
709
Übersichtsartikel
Tabelle 2: Therapieempfehlungen für Infektionen mit Chlamydia trachomatis und assoziierte Syndrome/Erreger.
Klinik, Erreger
Erstlinientherapie
Alternative
Kommentar
Unkomplizierte genitale,
pharyngeale und rektale
Chlamydien-Infektion
– D oxycyclin 100 mg p.o.
2×/d für 7 Tage*
– A zithromycin
1 g einmalig p.o.
– Erythromycin 500 mg
2×/d für 7 Tage
– Levofloxacin 500 mg
1×/d für 7 Tage *
– O floxacin 200 mg
2×/d für 7 Tage *
– Partnertherapie
– 7 Tage Verzicht auf Sex nach Therapiebeginn, Therapie
des Partners und Symptomfreiheit (ausser mit gleichzeitig
therapierten Partnern)
– Bei rektaler Infektion Doxycyclin* bevorzugt
– T herapiekontrolle mittels PCR frühestens 4 Wochen nach
beendeter Therapie, falls Azithromycin-Therapie bei rektaler
Infektion, Zweitlinientherapie, Schwangerschaft, komplizierte
Infektion (PID)
Lymphogranuloma
venereum
– D oxycyclin 100 mg
2×/d für 3 Wochen
– A zithromycin 1 g
1×/Woche für 3 Wochen
– Erythromycin 500 mg
4×/d für 3 Wochen
– Heute fast ausschliesslich anorektale Klinik,
v.a. bei HIV-positiven MSM
– Rücksprache mit Spezialistin
«Pelvic inflammatory
disease» (PID)
– Rücksprache mit Gynäkologie
oder Infektiologie
* Kontraindikation: Schwangerschaft
MSM = Männer, die mit Männern Sex haben
nur noch Doxycyclin als Erstlinientherapie. Die neu-
neute Testung soll durchgeführt werden, falls die Sym-
esten europäischen (IUSTI) [3], britischen (BASHH) [12]
ptome persistieren, bei zweifelhafter antibiotischer
und amerikanischen (CDC) [14] Guidelines sehen
Adhärenz oder falls eine Reinfektion vorliegen könnte.
beide Therapien als gleichwertig an. Aktuell wird
Wichtig: Die Genamplifikationsdiagnostik soll frühes-
aber vermehrt diskutiert, ob Doxycyclin generell
tens vier Wochen nach Beendigung der Therapie ge-
dem Azithromycin vorgezogen werden sollte. Eine
macht werden, denn vorher kann trotz erfolgreicher
Resistenzentwicklung auf Antibiotika hat sich bei
Therapie noch Genmaterial von antibiotisch abgetöte-
Chlamydien bisher nicht gezeigt – ganz im Gegensatz
ten Chlamydien nachweisbar sein.
zur heute besorgniserregenden Resistenzsituation
Zudem sollte der Heilungserfolg kontrolliert werden
bei Gonokokken (siehe unseren Artikel im Swiss Medi-
bei Infektionen in der Schwangerschaft, bei kompli-
cal Forum [17]).
zierten Infektionen (PID) und nach unkonventioneller
Therapie.
Sollen die Sexualpartner von Personen mit
asymptomatischer Chlamydien-Infektion
behandelt werden?
Soll nach behandelter Chlamydien-Infektion
eine Reinfektion gesucht werden?
Ja. Mehr als die Hälfte der Sexualpartner von Perso-
Es ist empfehlenswert, 3–6 Monate nach Behandlung
nen mit Chlamydien sind auch infiziert. Um eine wei-
die Chlamydien-Testung zu wiederholen: Bei relativ
tere Ausbreitung und Reinfektionen zu verhindern,
vielen Patientinnen und Patienten werden so erneut
ist also die Partnerbehandlung ein wichtiger Bestand-
Chlamydien gefunden. Je nach sexueller Anamnese
teil jeder Chlamydien-Behandlung. Im Idealfall wer-
muss dann besprochen werden, ob eine erneute Anste-
den alle Partner der letzten sechs Monate behandelt,
ckung möglich ist (fehlende oder unzureichende Part-
im Minimum aber die Partner der letzten vier Wo-
nertherapie, neuer Partner) oder ob allenfalls die Anti-
chen. Ausserhalb einer sexuellen Beziehung zu einem
biotika nicht eingenommen wurden.
gleichzeitig behandelten Partner sollte mindestens
In letzter Zeit wird bei Frauen vermehrt auch die Mög-
eine Woche nach Behandlungsbeginn und bis allfällig
lichkeit einer Autoinokulation von rektal nach vaginal
vorhandene Symptome verschwunden sind, Sex ver-
oder von vaginal nach rektal diskutiert, unabhängig
mieden werden. Dies betrifft sowohl den Indexfall als
davon, ob sie Analsex haben [18, 19]. Eine genitale
auch die Sexualpartner. Falls keine direkte Vorstel-
Re­
­
infektion nach erfolgreicher Antibiotikatherapie
lung des Partners in der Sprechstunde erfolgt, kann
könnte demnach im Rahmen einer asymptomatischen
der infizierten Person alternativ ein Antibiotika-Re-
Chlamydien-Kolonisation des Darmes erfolgen, wo
zept zuhanden der Sexualpartner mitgegeben werden.
Azithromycin weniger gut wirksam scheint. Bei wiederholtem vaginalem Nachweis von Chlamydien bietet
Soll nach der Antibiotikatherapie der Behandlungserfolg kontrolliert werden («test of cure»)?
es sich daher an, zusätzlich zum Vaginalabstrich auch
Ein «test of cure» soll nicht erfolgen, falls der Patient
sexuell erworbenen Reinfektion kann in manchen Fäl-
unter Therapie asymptomatisch geworden ist. Eine er-
len für die Patientin psychologisch entlastend wirken.
anal abzustreichen; eine alternative Erklärung zu einer
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
710
Übersichtsartikel
Sollen bei einer PID Chlamydien immer
­m itbehandelt werden?
rektalen Gonorrhoe und soll zudem nicht bei asymp-
Ja, sogar bei negativen Abstrichen. Denn Chlamydien
pathogene Rolle von Mycoplasma hominis, Ureaplas-
werden bei ca. 20% aller PID-Fälle gefunden. Sie sind
men sowie Gardnerellen ist bisher nicht eindeutig
also bei PID häufig und ein negativer zervikaler oder
etabliert.
tomatischen Personen durchgeführt werden. Eine
vaginaler Abstrich kann nicht sicher eine ChlamydienPID-Therapie ist stets eine Kombinationstherapie und
Gibt es Infektionen mit Chlamydia trachomatis
auch bei Kindern?
sollte je nach Schweregrad und Keimen in Absprache
Neugeborene und Säuglinge können Infektionen mit
Infektion der Tuben oder Ovarien ausschliessen. Die
C. trachomatis aufweisen und sind dann Indikator für
mit einer Spezialistin oder einem Spezialisten erfolgen.
infizierte Eltern. Die Infektion wird während der Ge-
Was soll bei Männern, die Sex mit Männern
(MSM) haben, besonders beachtet werden?
burt beim Durchtritt durch den infizierten Mutter-
Bei MSM mit rezeptivem Analverkehr ist die Prävalenz
bei Kindern diagnostiziert, sind die Abklärung und Be-
vor allem von rektalen Infektionen mit C. trachomatis
handlung der Eltern indiziert.
erhöht. Diese verlaufen in über 90% asymptomatisch.
Bei Neugeborenen tritt am 5.–11. Lebenstag eine vor-
Daher soll bei MSM regelmässig eine Untersuchung
erst einseitige mukopurulente, manchmal hämorrha-
auf rektale, pharyngeale und genitale Chlamydien und
gische konjunktivale Sekretion mit einem ausgepräg-
andere STI, insbesondere HIV, Gonokokken und Syphi-
ten Lidödem auf. Differentialdiagnostisch muss an
lis angeboten werden [20].
eine Konjunktivitis infolge einer angeborenen Ano-
Weiter soll bei jeder symptomatischen genitalen oder
malie (Hasner-Membran an der Mündung des Ductus
rektalen Chlamydien-Infektion, insbesondere bei HIV-
nasolacrimalis) gedacht werden. Deshalb ist der Nach-
positiven MSM, ein Lymphogranuloma venereum
weis von C. trachomatis mittels Genamplifikation oder
(LGV) gesucht werden. Dabei handelt es um eine Infek-
Immunfluoreszenz aus dem Abstrich der Konjunkti-
tion mit C. trachomatis mit L1-, L2- oder L3-Serovaren.
ven essentiell.
mund erworben. Wird also eine Chlamydien-Infektion
Ein LGV kann asymptomatisch verlaufen oder eine
Proktitis, oberflächliche anale Ulzerationen, Tenesmen und analen Ausfluss verursachen. Unbehandelt können schwerwiegende Komplikationen wie
Abszesse, Fisteln, Nekrosen, chronische Lymphangitis und rektale Strikturen auftreten.
Wird eine Infektion mit Chlamydia trachomatis
bei Neu­geborenen und Säuglingen diagnostiziert, sind die Abklärung und Behandlung der
Eltern indiziert.
Die LGV-Diagnostik erfolgt ebenfalls mittels Genam­
plifikation aus einem rektalem Abstrich, Ulkusab-
Säuglinge können Chlamydien-Infektionen der oberen
strich oder Lymphknotenaspirat. Bei Nachweis von
Atemwege als Rhinopharyngitis oder Otitis media,
C. trachomatis im Rektalabstrich sollte im Labor im-
vereinzelt begleitet von einer präaurikulären Lymph-
mer eine Genotypisierung des Serovars mittels spezifi-
adenopathie zeigen. Die Diagnose erfolgt mittels Gen-
scher PCR nachbestellt werden (Labor darüber infor-
amplifikation aus dem Nasopharynxabstrich. Sie wird
mieren). Das LGV wird länger behandelt: Doxycyclin
oft verpasst, da die Symptomatik meist unspezifisch
100 mg 2×/Tag für 3 Wochen.
ist. Viel charakteristischer ist die zwischen 3. und
19. Lebenswoche auftretende Pneumonie, welche sich
Welche Diagnostik und Therapie ist bei einer
symptomatischen Urethritis empfohlen?
bei afebrilen Säuglingen mit staccatoartigem, pertussi-
Für eine gute Übersicht über Klinik, Diagnostik und
und Eosinophilie im Blutbild (>600/µl) manifestiert.
formem Husten, expiratorischem Giemen, Tachypnoe
Therapie der Urethritis siehe die Artikel von Kälin
Die Diagnose wird durch Nachweis spezifischer anti-
et al. im Swiss Medical Forum [21, 22]. Ist die Infra-
C. trachomatis-IgM-Antikörper gestellt.
struktur vorhanden, so erlaubt bei Urethritissympto-
Die Behandlung der Neugeborenen oder Säuglinge er-
men ein urethrales ­Direktpräparat eine schnelle und
folgt mit peroralem Clarithromycin (2 × 10–15 mg/kg/
effiziente Unterscheidung von Chlamydiose und Go-
Tag für 14 Tage) oder Azithromycin (1 × 10 mg/kg/Tag
norrhoe – der mikroskopische Nachweis von intra-
für 3 Tage). Es gibt keine Trachomnarben als Folge der
granulozytären Diplokokken erlaubt mit hoher Sen-
Konjunktivitis.
sitivität eine Gonorrhoe-Diagnose. Wichtig: Wegen
An eine Infektion mit C. trachomatis soll auch nach er-
ungenügender Sensitivität ist die Mikroskopie nicht
folgtem oder möglichem (jüngere Kinder) sexuellen
geeignet für den Ausschluss einer zervikalen oder
Übergriff gedacht werden.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
711
Übersichtsartikel
Das Wichtigste für die Praxis
• Sexuell übertragene Infektionen mit Chlamydia trachomatis sind die häufigste meldepflichtige sexuell übertragbare Infektion in der Schweiz – Zunahme der Fälle wahrscheinlich wegen vermehrter Testung.
• Schwere Komplikationen wie «pelvic inflammatory disease», Tubensterilität, Eileiterschwangerschaft oder chronische Unterbauchschmerzen
sind bei asymptomatischer Chlamydien-Infektion selten.
• Ein systematisches Chlamydien-Screening und eine Testung von allen
asymptomatischen Frauen wird aktuell nicht empfohlen, denn der potentielle Nutzen ist nicht gut dokumentiert.
• Die Diagnostik der Wahl ist die Genamplifikation aus Vaginal-/Zervix­
abstrich (Frauen), Erststrahlurin oder Urethral-/Meatusabstrich (Männer),
bei Frauen und Männern mit rezeptivem Analverkehr auch aus Rektalabstrich.
• Die unkomplizierte Chlamydien-Infektion wird mit Doxycyclin 100 mg 2×/
Tag p.o. für 7 Tage oder Azithromycin 1 g p.o. Einzeldosis behandelt –
alle Sexualpartner der letzten 1–6 Monate sollen mitbehandelt werden.
• Bei symptomatischer rektaler Chlamydien-Infektion Suche nach Lymphogranuloma venereum.
Dieser Artikel erscheint parallel im BAG-Bulletin 35/2017.
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
Korrespondenz:
Prof. Dr. med. Philip Tarr
Medizinische Universitätsklinik
Kantonsspital Baselland
CH-4101 Bruderholz
philip.tarr[at]unibas.ch
 1 Bundesamt für Gesundheit BAG. HIV, Syphilis, Gonorrhoe und
Chlamydiose in der Schweiz im Jahr 2015: eine epidemiologische
Übersicht. BAG Bulletin. 2016;12–3.
 2 Testing for Chlamydia trachomatis: time trends in positivity rates
in the canton of Basel-Stadt, Switzerland. Epidemiology and
Infection. 2012;141:1953.
 3 Lanjouw E, Ouburg S, de Vries HJ, Stary A, Radcliffe K, Unemo M.
2015 European guideline on the management of Chlamydia
trachomatis infections. Int J STD AIDS. 2015;27:333–48.
 4 Bally F, Quach A, Greub G, et al. Opportunistic testing for
urogenital infection with Chlamydia trachomatis in south-western
Switzerland, 2012: a feasibility study. Euro Surveill. 2015;20:21051.
 5 Price MJ, Ades AE, Soldan K, et al. The natural history of Chlamydia
trachomatis infection in women: a multi-parameter evidence
synthesis. Health Technol Assess. 2016;20:1–250.
 6 Rekart ML, Gilbert M, Meza R, et al. Chlamydia public health
programs and the epidemiology of pelvic inflammatory disease
and ectopic pregnancy. J Infect Dis. 2012;207:30–8.
 7 Moore MS, Golden MR, Scholes D, Kerani RP. Assessing Trends in
Chlamydia Positivity and Gonorrhea Incidence and Their
Associations With the Incidence of Pelvic Inflammatory Disease
and Ectopic Pregnancy in Washington State, 1988–2010.
Sex Transm Dis. 2015;43:2–8.
 8 Papp JR, Schachter J, Gaydos CA, Van Der Pol B. Recommendations
for the Laboratory-Based Detection of Chlamydia trachomatis and
Neisseria gonorrhoeae – 2014. MMWR – Recommendations and
Reports. 2014;63:1–19.
 9 Berry L, Stanley B. Comparison of self-collected meatal swabs with
urine specimens for the diagnosis of Chlamydia trachomatis and
Neisseria gonorrhoeae in men. J Med Microbiol. 2017;66:134–6.
10 Dize L, Barnes P, Barnes M, et al. Performance of self-collected
penile-meatal swabs compared to clinician-collected urethral
swabs for the detection of Chlamydia trachomatis, Neisseria
gonorrhoeae, Trichomonas vaginalis, and Mycoplasma
genitalium by nucleic acid amplification assays. Diagn Microbiol
Infect Dis. 2016;86:131–5.
11 Dize L, Agreda P, Quinn N, Barnes MR, Hsieh Y-H, Gaydos CA.
Comparison of self-obtained penile-meatal swabs to urine for
the detection of C. trachomatis, N. gonorrhoeae and T. vaginalis.
Sex Transm Infect. 2012;89:305–7.
12 Nwokolo NC, Dragovic B, Patel S, Tong CYW, Barker G, Radcliffe K.
2015 UK national guideline for the management of infection with
Chlamydia trachomatis. Int J STD AIDS. 2015;27:251–67.
13 Oakeshott P, Kerry S, Aghaizu A, et al. Randomised controlled trial
of screening for Chlamydia trachomatis to prevent pelvic
inflammatory disease: the POPI (prevention of pelvic infection)
trial. BMJ. 2010;340:c1642.
14 Workowski KA, Bolan GA. Sexually transmitted diseases treatment
guidelines, 2015. MMWR Recomm Rep. 2015;64:1–137.
15 Geisler WM, Uniyal A, Lee JY, et al. Azithromycin versus
Doxycycline for Urogenital Chlamydia trachomatis Infection.
N Engl J Med. 2015;373:2512–21.
16 Bremer V, Brockmeyer NH, Frobenius W, et al. S2k-Leitlinie:
Infektionen mit Chlamydia trachomatis. AWMF online 2016;
17 Toutous Trellu L, Oertle D, Itin P, Furrer H, Scheidegger C, Stoeckle
M, et al. Gonorrhoe: neue Empfehlungen zu Diagnostik und
Behandlung. Swiss Med Forum. 2014; 14(20):407–9.
18 Heijne JCM, van Liere GAFS, Hoebe CJPA, Bogaards JA, van Benthem
BHB, Dukers-Muijrers NHTM. What explains anorectal chlamydia
infection in women? Implications of a mathematical model for
test and treatment strategies. Sex Transm Infect. 2016;sextrans–2016–052786.
19 Rank RG, Yeruva L. Hidden in plain sight: chlamydial gastrointestinal infection and its relevance to persistence in human genital
infection. Infect Immun. 2014; 82:1362–71.
20 Bundesamt für Gesundheit BAG – 2011. Sex unter Männern: Für
eine bessere sexuelle Gesundheit 2012. https://www.bag.admin.ch/
bag/de/home/service/publikationen/broschueren/publikationenuebertragbare-krankheiten/maenner-sex.html
21 Kälin U, Lauper U, Lautenschlager S. Urethritis. Erregerspektrum,
Abklärung und Therapie …Teil 1. Swiss Med Forum. 2009;09(05):
101–4.
22 Kälin U, Lauper U, Lautenschlager S. Urethritis. Erregerspektrum,
Abklärung und Therapie … Teil 2. Swiss Med Forum. 2009;09(06):
121–4.
23 Prevention ECDC. Scientific advice: Guidance on chlamydia
control in Europe. 2015. https://ecdc.europa.eu/sites/portal/files/
media/en/publications/Publications/chlamydia-control-europeguidance.pdf .
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):705–711
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
712
ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
Ein multifaktorielles geriatrisches Syndrom
Chronische Schlafstörungen
Dr. med. Aline Mendes a , Dr. med. Samuel Perivier a , Dr. med. Bentolhoda Heyrani Nobari a ,
Dr. med. Katerina Cervena b , Dr. med. Stephen Perrig b , Dr. med. Dina Zekry a
a
Département de médecine interne, réhabilitation et de gériatrie, Service de gériatrie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Thônex
Laboratoire du sommeil, Département de santé mentale et psychiatrie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Chêne-Bourg.
v ie we
d
Peer
re
a r tic le
b
In der geriatrischen Population treten häufig Schlafstörungen auf. Oft werden diese
als normales Phänomen des Alterungsprozesses gedeutet. Tatsächlich ändert sich
mit steigendem Alter die Schlafarchitektur. Nichtsdestotrotz darf das Alter allein
nicht als Ursache von Schlafstörungen angesehen werden. Bei Schlafbeschwerden,
gleich ob quantitativer oder qualitativer Art, müssen bestimmte Erkrankungen aus­
geschlossen werden, die bei älteren Menschen häufiger vorkommen und von einer
spezifischen Behandlung profitieren.
Einleitung
Schlafbeschwerden nehmen mit steigendem Alter zu.
Bei älteren Menschen beträgt die Prävalenz von Schlaf­
störungen über 50%. Sie sind mit einer höheren Morbi­
dität und Mortalität assoziiert und wirken sich auf die
kognitiven Fähigkeiten, die Leistungsfähigkeit und die
Lebensqualität der Patienten aus. Die Diagnostik be­
inhaltet das standardisierte geriatrische Assessment
und erfordert eine umfassende Versorgung, die sich
am Profil der Komorbiditäten orientiert.
Es gibt zwei Schlaftypen: den paradoxen («rapid eye
movement» [REM]) und den langsamwelligen (NonREM) Schlaf, der wiederum in drei Stadien mit zuneh­
mender Schlaftiefe (N1, N2 und N3) unterteilt wird. Bei
älteren Menschen sind der Tiefschlafanteil (N3) und (in
geringerem Masse) der Anteil des paradoxen Schlafs
verringert, während der Anteil der «leichteren» Schlaf­
stadien (N1 und N2) erhöht ist. Wahrscheinlich resultie­
ren diese Umstrukturierungen aus Veränderungen der
homöostatischen Schlafregulation und führen zu ei­
ner Schlaffragmentierung, die sich in einer Zunahme
der Aufwachhäufigkeit und des Kurzerwachens äus­
sert. Weitere beobachtete Veränderungen sind die Zu­
nahme der Einschlaflatenz sowie der Gesamtliegezeit
im Bett mit einer Abnahme der Schlafeffektivität (Ver­
hältnis zwischen effektivem Schlaf und Liegezeit im
Bett) sowie vorzeitigem Aufwachen. Dies soll mit einer
und kontinuierliche Abnahme der Amplitude der Me­
latoninsekretion zu beobachten [1].
Diese Veränderungen beginnen ab dem Alter von
60 Jahren und stehen in keinem direkten Zusammen­
hang mit der von den Patienten berichteten Schlafwahr­
nehmung. Eine in der Schweiz durchgeführte Popula­
tionsstudie hat sogar gezeigt, dass die Tagesschläfrigkeit,
welche mittels Epworth-Schläfrigkeitsskala erfasst wird,
mit steigendem Alter abnimmt. Daher ist es wichtig,
­Komorbiditäten als Ursache für Tagesschläfrigkeit bei
älteren Menschen abzuklären [2].
Am wahrscheinlichsten ist, dass einige der oben ge­
nannten physiologischen Veränderungen die Vulne­
rabilität älterer Menschen erhöhen, wodurch Schlaf­
störungen infolge der Wechselwirkung medizinischer
und/oder neuropsychatrischer Komorbiditäten be­
günstigt werden.
Die am häufigsten verwendete Klassifikation für
Schlafstörungen («International Classification of Sleep
Disorders» [ICSD-3]) wurde im Jahr 2014 überarbeitet
und beinhaltet heute sieben grosse klinische Katego­
rien mit 60 verschiedenen Fachdiagnosen [3]. Sie kann
als Ausgangspunkt und zur Standardisierung der
­Nomenklaturen dienen, nichtsdestotrotz ist für eine
optimale Behandlung ein Ansatz wichtig, der die Be­
sonderheiten und Nuancen der älteren Population be­
rücksichtigt.
Störung des Schrittmachers der inneren Uhr (Nucleus
suprachiasmaticus) oder einer Abnahme der Exposi­
tion gegenüber externen Synchronisationsfaktoren
Aline Mendes
Komorbide Insomnie bei älteren Menschen
(verringerte Tageslichtexposition und Tagesaktivität)
Insomnie ist definiert als beständige Einschlaf- oder
zusammenhängen. Ferner ist im Alter eine progressive
Durchschlafschwierigkeiten beziehungsweise gestörte
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
713
Übersichtsartikel AIM
Schlafqualität – trotz adäquater Schlafgelegenheiten
nie ebenfalls ein Risikofaktor für eine komorbide De­
und -umstände – , die sich auf den Tag auswirken (Mü­
pression ist. Ferner kann die Behandlung einer depres­
digkeit, Unaufmerksamkeit, Reizbarkeit usw.). Beste­
siven Episode die Schlafqualität verschlechtern, wie
hen diese Probleme seit mindestens drei Monaten,
dies bei Antidepressiva wie selektiven Serotonin-Wie­
handelt es sich um eine chronische Insomnie.
deraufnahmehemmern und Serotonin-Noradrenalin-
Die Unterschiede zwischen primärer und sekundärer
Wiederaufnahmehemmern nachgewiesen wurde, wel­
Insomnie wurden mit der neuen ICSD-3-Klassifikation
che eine Abnahme des REM-Schlafs und sogar eine
abgeschafft, um die Diagnostik zu vereinfachen und
Zunahme der nächtlichen Aufwachhäufigkeit bewir­
weil es schwer ist, eine gesicherte sekundäre Ätiologie
ken. Darüber hinaus kann eine komorbide Depression
zu bestimmen. Nichtsdestotrotz sind bis zu 83% der äl­
auch bei chronischen Erkrankungen wie Herzinsuffi­
teren Patienten mit Schlafstörungen von Insomnie
zienz oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung
aufgrund medizinischer und neuropsychiatrischer
auftreten.
­Komorbiditäten betroffen. Daher stellt die Untersu­
Bei der Befragung von den Patienten geäusserte starke
chung auf Komorbiditäten bei der Evaluation einen
Schlafbeschwerden können andere depressive Sym­
wichtigen und unerlässlichen ersten Schritt dar.
ptome maskieren. Dies ist insbesondere bei älteren
Eine isolierte Insomnie ohne Komorbidität, die durch
Menschen der Fall, die häufig subklinische Depressio­
eine ungeeignete Schlafstrategie oder unangemessene
nen aufweisen, welche schwer zu erkennen sind. Vor
Schlafhygiene bedingt ist, stellt im geriatrischen Be­
diesem Hintergrund wird empfohlen, alle älteren Men­
reich nach wie vor eine Auschlussdiagnose dar.
schen mit Schlafbeschwerden, selbst wenn letztere iso­
liert auftreten, anhand einer objektiven Beurteilung
Insomnie und Schmerzen
mittels einer validierten Skala (wie z.B. der «Geriatric
67–88% der Personen mit einer chronischen Schmerz­
Depression Scale» [GDS]) auf Depressionen zu unter­
störung leiden unter Schlafbeschwerden, wobei der ge­
suchen.
naue Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen
Der enge Zusammenhang zwischen Schlaf, Depression
jedoch noch nicht vollständig geklärt ist. Schlafstörun­
und anderen Komorbiditäten gestaltet die Behandlung
gen sollen das Risiko für eine spätere chronische
älterer Menschen komplex. Einerseits bestehen häufig
Schmerzstörung erhöhen.
multiple Ätiologien, andererseits muss die Behand­
Für eine spezifische Behandlung der Insomnie entspre­
lung von Schlafstörungen stets mit einer pharmakolo­
chend der verschiedenen Schmerzstörungen (neuro­
gischen oder nichtpharmakologischen Behandlung
gene, muskulo-skelettale, Kopf-, idopathische Schmer­
der Depression einhergehen. Verhaltensmassnahmen
zen) gibt es keine Evidenz.
und Chronotherapie sind hier besonders erfolgreich
Neben einem möglichen pathophysiologischen Zusam­
und sollten ab Versorgungsbeginn so schnell wie
menhang beider Erkrankungen, ist Schmerzen eine Ur­
möglich zum Einsatz kommen. Das Prinzip der Chro­
sache für nächtliches Erwachen. Bei Schmerzpatienten
notherapie beruht auf der Resynchronisation des
sind eine starke Schlaffragmentierung, Durchschlaf­
Schlaf-Wach-Rhythmus. Dabei legt der Arzt die Schla­
störungen unterschiedlichen Ausmasses und häufige­
fenszeiten für die gesamte Woche nach einem stren­
res Kurzerwachen zu beobachten. Die Gesamtschlaf­
gen Protokoll fest. Diese Methode weist keine Neben­
dauer ist im Allgemeinen verringert und der Schlaf
wirkungen auf, ist jedoch bei ambulanter Versorgung
wird als nicht erholsam wahrgenommen. Die Schlaf­
von der Compliance des Patienten abhängig. Sie kann
fragmentierung kann ferner zu schlafbezogenen At­
mit anderen Synchronisationsmethoden wie Mela­
mungsstörungen (Schlafapnoesyndrome werden häu­
toningabe oder Lichttherapie kombiniert werden. In
fig durch unruhigen Schlaf begünstigt) führen (oder
der klinischen Praxis können wir die Resynchronisa­
diese verstärken). Bei Patienten mit Schlafbeschwer­
tion des zirkadianen Rhythmus umsetzen, indem wir
den wird eine Schmerzevaluation empfohlen (und um­
unsere Patienten zu vermehrten Tagesaktivitäten, ins­
gekehrt), um anschliessend eine spezifische Schmerz­
besondere ausserhalb ihres Zuhauses motivieren, um
behandlung in Kombination mit Massnahmen zur
die mit einer psychosozialen Desynchronisation ver­
Schlafhygiene einzuleiten.
bundene Isolation zu verhindern.
Insomnie und Depression
Insomnie und kognitive Störungen
60–80% der Patienten mit der Diagnose Depression
Demenz geht häufig mit Schlafstörungen einher. Diese
sind, unabhängig vom Alter, von Insomnie betroffen.
können bereits in der Frühphase der Erkrankung auf­
Wie auch bei kognitiven Störungen besteht hierbei
treten. 25–40% der Patienten mit leichten kognitiven
eine bidirektionale Assoziation, da chronische Insom­
Störungen leiden an subjektiv empfundenen Schlafbe­
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
714
Übersichtsartikel AIM
schwerden. Die am häufigsten beobachteten Verände­
tung auditiver und visueller Reize in der Nacht. Des
rungen sind häufiges Erwachen, zu frühes morgendli­
Weiteren haben sich bestimmte psychoedukative
ches Erwachen und Tagesschläfrigkeit. Es soll eine
Empfehlungen, wie täglich mindestens 30 Minuten
Korrelation zum Schweregrad der Demenz bestehen,
körperliche Aktivität, zum Beispiel in Form von Spa­
wie man bei fortgeschrittener Alzheimer-Krankheit
zierengehen im Freien, bewährt.
mit schwergradig gestörter Schlafarchitektur beobach­
Pharmakologische symptomatische Behandlungen
ten kann.
können zusätzlich zu nichtpharmakologischen Mass­
Die Ätiologie ist multifaktoriell und geht wahrschein­
nahmen verschrieben werden. Die in dieser älteren Po­
lich mit einer Schädigung der am Ein- und Durchschla­
pulation am häufigsten eingesetzten Medikamente
fen beteiligten Hirnstrukturen (Nucleus suprachias­
sind sedierende Antidepressiva (Trazodon [Trittico®],
maticus) einher, die sich unter anderem in einer
Mirtazapin [Remeron®]), Melatonin (Circadin®) und
veränderten Melatoninsekretion äussert. In einem
Zolpidem (Stilnox®), obgleich diese kaum in randomi­
grös­seren Zusammenhang gesehen ist es wahrschein­
sierten Studien untersucht wurden [4]. Zur Anwen­
lich, dass Patienten mit kognitiven Störungen, beson­
dung sedierender Antidepressiva ist anzumerken, dass
ders bei Verhaltensstörungen und anderen Komobidi­
die Dosierung geringer als üblich ist, 25–100 mg bei
täten, empfindlicher auf Umweltfaktoren reagieren.
Trazodon und 7,5–15 mg bei Mirtazapin. Der Einsatz
Schlafstörungen bei Demenz können die kognitiven
von Benzodiazepinen ist aufgrund ihrer negativen
Funktionen verschlechtern, die Lebensqualität beein­
Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten theore­
trächtigen und die Belastung der Pflegenden erhöhen.
tisch untersagt. Der Einsatz von Neuroleptika ist auf
In Abbildung 1 sind die einzelnen Reflexionsschritte
Patienten mit Symptomen aus dem psychotischen For­
bei der Versorgung dieser Patienten dargestellt.
menkreis beschränkt.
Der erste Schritt besteht darin, das Schlafprofil zu be­
Die klinische Wirkung von Cholinesterase-Hemmern
stimmen, nach Komorbiditäten zu suchen und/oder
auf den Schlaf von Demenzpatienten ist nach wie vor
bereits bestehende Komorbiditäten zu stabilisieren.
umstritten. Die theoretische Wirkung basiert auf der
Des Weiteren ist die pharmakologische Behandlung zu
Rolle von Acetylcholin bei der Aufrechterhaltung des
überprüfen, um Medikamente ausfindig zu machen,
Wachzustands. In der Praxis können diese Wirkstoffe
die sich negativ auf die Schlafqualität auswirken. Unab­
jedoch Schlaflosigkeit und Alpträume verursachen.
hängig von der ermittelten Ursache ist ein nichtphar­
Die Lewy-Körper-Demenz und der Morbus Parkinson
makologischer Ansatz die Behandlung erster Wahl. Zu­
gehen häufig mit einer besonderen Schlafstörung ein­
nächst sollten daher Massnahmen zur Schlafhygiene
her: einer Verhaltensstörung während des paradoxen
(Tab. 1) umgesetzt werden, wie die Vermeidung koffein­
Schlafs (bis zu 30% bei Morbus Parkinson, mitunter
haltiger Getränke, die Verkürzung von Nickerchen (auf
noch vor dem Auftreten der Erkrankung). Anhand der
unter eine Stunde) und der im Schlafzimmer verbrach­
Befragung des Lebenspartners kann eine Verdachts­
ten Zeit (letzteres sollte ausschliesslich zum Schlafen
diagnose gestellt werden (anormale, mitunter kom­
genutzt werden) sowie die weitestgehende Ausschal­
plexe Verhaltensweisen, bei denen der Patient im
Schlaf spricht, lacht, gestikuliert und sich bewegt, also
seine Träume motorisch ausagiert), die anschliessend
durch eine Polysomnographie bestätigt wird. Diese
Tabelle 1: Regeln zur Schlafhygiene (nach [6]).
Eine körperliche Aktivität am Tage einplanen (z.B.: Spazieren­
gehen).
Traum-Schlaf-Verhaltensstörung entsteht durch den
Verlust der physiologischen Atonie während der REMPhase, in welcher der Patient träumt. Häufig besteht
Sich täglich dem Tageslicht aussetzen.
ein Zusammenhang zwischen dem Trauminhalt und
Vermeiden von Koffein-, Alkohol- und Tabakkonsum am
­späten Nachmittag und Abend.
dem anormalen Verhalten. Die Schaffung einer siche­
Vermeiden von psychisch anregenden Tätigkeiten wie Lesen,
Fernsehen oder Computernutzung im Bett (die Zeit im Bett
sollte dem Schlafen oder sexuellen Aktivitäten vorbehalten
sein).
Beschränken der im Bett verbrachten Zeit.
Vermeiden von Nickerchen tagsüber oder beschränken dieser
auf eine Dauer von 30 Minuten vor 15 Uhr.
Kontrolle der Schlafumgebung: Temperatur anpassen, Lärmexposition vermeiden und für Dunkelheit sorgen.
Erst schlafen gehen, wenn man müde ist.
Regelmässige Zubettgeh- und Aufstehzeiten einhalten.
ren Schlafumgebung für den Patienten und seinen Le­
benspartner ist unerlässlich, um Stürze aus dem Bett
oder Verletzungen zu vermeiden. Die pharmakologi­
sche Behandlung mit Melatonin ist die Behandlung
erster Wahl, gefolgt von gering dosiertem Clonaze­pam.
Schlafbezogene Atmungsstörungen
Zu dieser Gruppe gehören das obstruktive oder zen­
trale Schlafapnoesyndrom sowie das schlafbezogene
Hypoventilationssyndrom.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
715
Übersichtsartikel AIM
Schlafbeschwerden >3 Monate
Initiale klinische Evaluation:
– Bestimmung des Schlafprofils (Schlaftagebuch)
– Erfassung der Komorbiditäten und Medikamente
– Umweltfaktoren
Aktive Suche nach Komorbiditäten
Beispiele: Untersuchung auf
Depressionen, kognitive Störungen,
Schmerzstörungen, chronische
Erkrankungen (COPD, HI)
Positives Screening auf schlafbezogene Atmungs- oder
motorische Störungen wie OSAS,
RLS oder PLMD
Behandlung der komorbiden Erkrankung
+ Nichtpharmakologische Behandlung:
– Schlafhygiene
– Psychoedukation
– Kognitive Verhaltenstherapie
Bei weiterhin
bestehenden oder
schweren Symptomen
(schwere Beeinträchtigung
am Tage)
Schlaffachkonsultation
– Polysomnographie
– +/- Aktigraphie (Aufzeichnung
von Bewegungen über 1 Woche
zur Unterscheidung von Wach-,
Schlaf- und inaktiven Phasen)
– CPAP, Dopaminagonisten
Symptomatische pharmakologische Behandlung:
– Melatonin (Circadin®): indiziert bei primärer Insomnie (keine ursächlichen
Komorbiditäten), REM-Schlaf-Verhaltensstörungen, bei komorbider Insomnie
weniger wirksam.
– Trazodon (Trittico®), Mirtazapin (Remeron®): fehlende Evidenz, kann jedoch
bei polymorbiden Patienten, kognitiven Störungen, OSAS und COPD eingesetzt
werden, da weniger unerwünschte Wirkungen und ein geringerer
Gewöhnungseffekt eintreten.
– Zolpidem (Stilnox®), Zopiclon (Imovane®): bei Einschlafschwierigkeiten,
jedoch mit erhöhtem Risiko für Stürze, geistige Verwirrung/kognitive Störungen
und Gewöhnung.
– Benzodiazepine (Lorazepam [Temesta®], Oxazepam [Anxiolit®]): sinnvoll bei
Angstsymptomen, aber generelle Anwendung untersagt aufgrund des Risikos
für Stürze, geistige Verwirrung/kognitive Störungen und des Gewöhnungseffekts.
– Neuroleptika: Anwendung bei fehlenden psychotischen Symptomen untersagt
(Delirium, Halluzinationen).
– Kurze Behandlungsdauer (max. 4 Wochen), niedrige Dosierung, systematische
Reevaluation der Wirksamkeit und der Nebenwirkungen.
Abbildung 1: Die Behandlung von Schlafstörungen bei älteren Menschen.
Abkürzungen: COPD = chronisch obstruktive Lungenerkrankung; HI = Herzinsuffizienz; OSAS = obstruktives Schlafapnoe-­
Hypopnoe-Syndrom; RLS = Restless-Legs-Syndrom; PLMD = «periodic limb movement disorder»; CPAP = «continuous positive
airway pressure»; REM = «rapid eye movement»
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
716
Übersichtsartikel AIM
Obgleich das obstruktive Schlafapnoe-Hypopnoe-Syn­
ästhesien einhergehen kann, die sich bei Bewegung
drom (OSAS) aufgrund der Unkenntnis der geriatri­
teilweise bessern. Es tritt häufiger bei Frauen auf und
schen Besonderheiten häufig unterdiagnostiziert ist,
seine Prävalenz nimmt mit steigendem Alter zu. Die
nimmt seine Häufigkeit mit steigendem Alter zu. Eine
Diagnose ist klinisch und ca. 70% der Betroffenen lei­
in der Schweiz durchgeführte Studie (HypnoLaus) hat
den zusätzlich an einer «periodic limb mouvement
eine Prävalenz des OSAS (Apnoe-Hypopnoe-Index [AHI]
disorder» (PLMD), deren Diagnose anhand einer Poly­
gleich oder über 15 Ereignisse pro Stunde) bei 49,7% der
somnographie gestellt wird. Die Prävalenz der PLMD
Männer und 23,4% der Frauen über 40 Jahren ergeben.
beträgt bei älteren Menschen ca. 45%, im Gegensatz zu
Eine noch höhere Prävalenz besteht bei Personen mit
5–6% bei jungen Erwachsenen. Durch die Beinbewe­
kognitiven Störungen in Alters- und Pflegeheimen.
gungen kommt es zu nächtlichem Erwachen mit einer
Weitere Risikofaktoren sind die Einnahme von Benzo­
starken Schlaffragmentierung. Bei älteren Menschen
diazepinen und Opiaten, Alkoholkonsum, Rauchen
ist es unerlässlich, eine eventuelle sekundäre Ursache
und Adipositas.
wie eine Lithiumbehandlung, Alkoholkonsum, eine
Bei älteren Patienten kann das klinische Erscheinungs­
Polyneuropathie, Eisenmangel und Urämie abzuklä­
bild weniger ausgeprägt oder atypisch sein. Obgleich Ta­
ren.
gesschläfrigkeit das Hauptsymptom darstellt, können
Bei primärer PLMD und primärem RLS ist der Beginn
einige Patienten nächtliche Verwirrtheitszustände oder
einer Behandlung mit Dopaminagonisten (Ropinirol
Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen am
[Requip®], Pramipexol [Sifrol®]) oder Gabapentin (Neu­
Tage zeigen. Überdies hat eine vor kurzem in der
rontin®) beziehungsweise Pregabalin (Lyrica®) in Kom­
Schweiz durchgeführte Studie gezeigt, dass über 65-jäh­
bination mit Verhaltensmassnahmen zur Verbesse­
rige Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen
rung der Schlafqualität indiziert. Bei älteren Menschen
ein höheres Risiko für kognitive Störungen haben [6].
wird empfohlen, eventuelle Nebenwirkungen der oben
Die Befragung des Lebenspartners kann Hinweise auf
genannten Behandlungen wie orthostatische Hypoto­
die Diagnose liefern, wenn Schnarchen und/oder
nie, Schläfrigkeit und Verwirrtheitszustände zu beach­
Apnoen auftreten. Die Tagesschläfrigkeit kann sich in
ten.
Form von vermehrtem ungewolltem Einnicken wäh­
rend des Lesens oder Unterhaltungen äussern und
Insomnie und andere Komorbiditäten
beim Autofahren gefährlich werden.
Insomnie ist ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Er­
Eine Polysomnographie ist die Untersuchung erster
krankungen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass eine
Wahl zur Diagnosestellung und erlaubt auch die Beur­
kürzere Schlafdauer mit einem erhöhten Risiko für
teilung des Schweregrads der schlafbezogenen At­
Adipositas, Hypertonie, Diabetes, Hypercholesterin­
mungsstörung. Die Behandlung erfolgt mittels CPAP-
ämie und weiteren Komorbiditäten assoziiert ist. Auf­
Therapie («continuous positive airway pressure») in
grund dieser Evidenz könnte man über die Wirksam­
Kombination mit Verhaltensmassnahmen (Koffein, Al­
keit der Prävention kardiovaskulärer Risikofaktoren
kohol, Benzodiazepine und Opiate vermeiden). Es ist
durch die frühzeitige Behandlung von Schlafstörun­
wichtig, nicht davon auszugehen, dass das fortgeschrit­
gen im Erwachsenenalter nachdenken.
tene Alter eine schlechte Compliance mit der CPAP-The­
Im geriatrischen Bereich sind die Herausforderungen
rapie zur Folge hat. Es wurde im Gegenteil gezeigt, dass
jedoch vollkommen anderer Natur: Die Patienten sind
selbst Patienten mit leichter bis moderater Alzheimer-
polymorbid, häufig gebrechlich und die Schlafstörun­
Krankheit die Behandlung akzeptieren, umso mehr,
gen nur eines von verschiedenen Symptomen, deren
wenn die Pflegenden miteinbezogen werden [6]. Ein in
Behandlung komplex ist und welche die Lebensquali­
der Literatur beschriebener Faktor für eine schlechte
tät der Betroffenen negativ beeinträchtigen. Mehrere
Compliance ist eine Depression, weshalb eine Behand­
chronische Erkrankungen wie die chronisch obstruk­
lung beider Erkrankungen indiziert ist.
tive Lungenerkrankung, gastroösophagealer Reflux
Die Prävalenz des zentralen Schlafapnoesyndroms
und Herzinsuffizienz können Schlaflosigkeit verursa­
nimmt ebenfalls mit steigendem Alter zu und seine
chen und/oder verschlimmern.
Therapie besteht darin, die Behandlung der kardiovas­
Bei der Assoziation mehrerer Komorbiditäten wird die
kulären oder neurologischen Grunderkrankung zu op­
Behandlung der Insomnie für die Ärzte zur Herausfor­
timieren.
derung und ist häufig durch Polymedikation sowie die
daraus folgenden Medikamenteninteraktionen und
Schlafgebundene motorische Störungen
unerwünschten Wirkungen beschränkt. In diesem Fall
Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist durch einen star­
ist es sinnvoll, akute Dekompensationen chronischer
ken Bewegungsdrang gekennzeichnet, der mit Dys­
Erkrankungen zu verhindern und die Schlafstörungen
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
717
Übersichtsartikel AIM
gleichzeitig mit nichtpharmakologischen Methoden
Eine Behandlung mit Antihistaminika wird aufgrund
zu behandeln. Wenn der Beginn einer medikamentösen
des Risikos einer orthostatischen Hypotonie und von
Behandlung erforderlich ist, sollte das individuelle
Verwirrtheitszuständen infolge der anticholinergen
Nutzen-Risiko-Verhältnis im Hinblick auf Kontraindi­
Wirkung nicht empfohlen. Für den Off-Label-Use von
kationen und die bestmögliche Lebensqualität abge­
Antidepressiva und Neuroleptika zur ausschliessli­
wogen werden.
chen symptomatischen Insomniebehandlung gibt es
in der Literatur keine Evidenz. Sedierende Antidepres­
Insomnie und Medikamente
siva wie Trazodon (Trittico®) und Mirtazapin (Reme­
Mehrere Medikamente wirken sich negativ auf den
ron®) können bei Patienten mit Demenz oder chro­
Schlaf aus, indem sie die Schlafarchitektur und/oder
nisch obstruktiver Lungenerkrankung eingesetzt
-qualität auf verschiedene Weise beeinflussen. Die am
werden, um die Verschreibung von Benzodiazepinen
häufigsten für Schlaflosigkeit verantwortlichen Medi­
oder Neuroleptika zu vermeiden.
kamente sind Diuretika, Kortikosteroide, Antidepres­
Melatoninsupplemente und synthetisches Melatonin
siva und Betablocker, letztere aufgrund einer Unter­
scheinen bei älteren Menschen eine positive Wirkung
drückung der Melatoninsekretion bei abendlicher
mit Verringerung der Einschlafdauer, Verbesserung
Einnahme. Andere Substanzen wie Koffein, Nikotin,
der wahrgenommenen Schlafqualität und der Auf­
abendlicher Alkoholgenuss sowie Benzodiazepinent­
merksamkeit am Tage zu haben. Sie haben ein interes­
zug wirken sich ebenfalls auf die Schlafarchitektur
santes Profil mit dem Vorteil geringerer unerwünsch­
und -qualität aus. Daher muss bei Schlafbeschwerden
ter Wirkungen bezüglich des Sturzrisikos und der
eine sorgfältige Überprüfung der pharmakologischen
kognitiven Fähigkeiten sowie weniger Medikamenten­
Behandlung, Dosierung und Einnahmezeiten erfolgen.
interaktionen. Nichtsdestotrotz ist ihre Wirksamkeit
Dabei ist es wichtig, auch rezeptfreie Medikamente wie
bei der symptomatischen Behandlung komorbider In­
Nahrungsergänzungsmittel oder Vitamine mit einzu­
somnie bei älteren Menschen noch nicht erwiesen.
beziehen, da diese Koffein enthalten können.
Lichttherapielampen (5000–10 000 Lux) sind spezielle
medizinische Geräte, die den zirkadianen Schlafrhyth­
Die Behandlungsprinzipien von Insomnie
bei älteren Menschen
mus normalisieren können. Zeitpunkt und Dauer dieser
Behandlung sind von der klinischen Problematik ab­
hängig. Bei Personen, die abends zu früh einschlafen
Die Auswirkungen der Schlafstörungen auf die Leis­
und nachts zu früh aufwachen (z.B. Einschlafen gegen
tungsfähigkeit am Tage sind ein wichtiges Indiz zur Be­
19–20 Uhr und Aufwachen gegen 2–3 Uhr früh) kann die
stimmung ihres Schweregrads und dienen zur Beurtei­
Lichttherapie am späten Nachmittag oder frühen Abend
lung der Wirksamkeit der Behandlung. Zunächst sollte
eingesetzt werden. Im umgekehrten Fall (zu spätes Ein­
der Arzt an die Suche nach einer reversiblen oder
schlafen und Aufwachen) wird die Lichttherapie mor­
durch eine Behandlung stabilisierbaren ursächlichen
gens so schnell wie möglich nach dem spontanen Erwa­
Komorbidität denken.
chen eingesetzt. Diese Behandlung kann mit langsamen
Nichtpharmakologische Massnahmen erster Wahl sind
schrittweisen Veränderungen der Bett- und Aufstehzei­
die Behandlung der Symptome durch eine entsprech­
ten (Chronotherapie) kombiniert werden, um den ge­
ende Schlafhygiene, die Anpassung der Schlafumgebung
wünschten Schlafrhythmus zu erreichen. Die Anwen­
sowie psychoedukative Massnahmen des Patienten und
dung der Lichttherapie ist jedoch nicht vollkommen
seines Umfelds (Tab. 1). Kognitive Verhaltenstherapie hat
nebenwirkungsfrei (zum falschen Zeitpunkt eingesetzt,
sich bei älteren Menschen als wirksam erwiesen und
kann sie den zirkadianen Rhythmus sogar noch stärker
setzt auf Stimulus-Kontrolle, Entspannung und Schlafre­
durcheinanderbringen) und sollte bei ­Patienten mit be­
striktion, um die Schlaf­effektivität zu verbessern (Füh­
stimmten psychiatrischen Erkrankungen (z.B. bipolarer
ren eines Schlaftagebuchs).
Störung) nur mit Vorsicht eingesetzt werden. Bei Patien­
Zur pharmakologischen Behandlung älterer Menschen
ten mit Netzhautproblemen ist sie kontraindiziert.
werden noch immer standardmässig Benzodiazepine
Abbildung 1 zeigt die verschiedenen zur symptomati­
und andere Beruhigungsmittel eingesetzt. Diese Medi­
schen Insomniebehandlung verschriebenen Wirk­
kamente erhöhen jedoch das Sturz- und Tagesschläf­
stoffe. Unabhängig davon, für welchen sich der Arzt
rigkeitsrisiko mit verheerenden Auswirkungen auf die
ent­scheidet, wird empfohlen, mit einer geringen Dosie­
kognitiven Fähigkeiten. Überdies haben sie einen Ge­
rung, einer intermittierenden Verschreibung (dreimal
wöhnungseffekt zur Folge und der Nutzen der Medika­
pro Woche) und einer begrenzten Verschreibungsdauer
mente nimmt langfristig ab, wobei eine hohe Abhän­
(2–4 Wochen) zu beginnen. Der Erfolg der pharma­ko­
gigkeitsgefahr besteht.
logischen Behandlung beruht auf der systematischen
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
718
Übersichtsartikel AIM
Reevaluation der Wirksamkeit und unerwünschter
Behandlung von Insomnie im geriatrischen Bereich ist
Dr méd. Aline Mendes
­Wirkungen, ohne die nichtpharmako­logischen Mass­
durch die unerwünschten Wirkungen der psychotro­
Médecin cheffe de clinique
nahmen zu vernachlässigen.
pen Substanzen beschränkt, weshalb die Entwicklung
Korrespondenz:
Département de médecine
neuer Wirkstoffe mit einem günstigen Sicherheitspro­
interne, réhabilitation et de
gériatrie
Service de gériatrie
Hôpitaux Universitaires
Perspektiven
fil für polymorbide und kognitiv beeinträchtigte Pa­
tienten erforderlich ist. Derzeit werden mehrere Wirk­
de Genève
Derzeit sind die Behandlung der Komorbiditäten und
stoffe, welche die Schlafqualität verbessern und gut
Chemin du Pont-Bochet 3
Massnahmen zur Schlafhygiene die wichtigsten Eck­
verträglich sind, geprüft: Melatonin-Rezeptor-Agonis­
CH-1226 Thônex
Aline.Mendes[at]hcuge.ch
pfeiler der Behandlung von Schlafstörungen bei älte­
ten (Ramelteon und Agomelatin) sowie Orexin-Rezep­
ren Menschen. Die symptomatische pharmakologische
tor-Antagonisten. Nichtsdestotrotz sind randomisierte
Studien erforderlich, um ihre Wirksamkeit und Ver­
träglichkeit bei polymorbiden älteren Menschen zu
untersuchen.
Das Wichtigste für die Praxis
• Obgleich Schlafveränderungen altersbedingt sein können, müssen ent-
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
sprechende Beschwerden durch umfassende Untersuchungen abgeklärt
Literatur
werden.
1 Wennberg AM, Canham SL, Smith MT, Spira AP. Optimizing sleep
in older adults: treating insomnia. Maturitas 2013;76:247–52.
2 Luca G, Haba Rubio J, Andries D, Tobback N, Vollenweider P,
Waeber G, et al. Age and gender variations of sleep in subjects
without sleep disorders. Ann. Med. 2015;47:482–91.
3 American Academy of Sleep Medicine. International Classification
of Sleep Disorders, 3rd ed, American Academy of Sleep Medicine,
Darien, IL 2014.
4 McCleery J, Cohen DA, Sharpley AL. Pharmacotherapy for sleep
disturbances in Alzheimer’s disease. Cochrane Database Syst Rev.
2014;21:3:CD009178.
5 Heinzer R, Vat S, Marques-Vidal P, Marti-Soler H, Andries D,
Tobback N, et al. Prevalence of sleep-disordered breathing in the
general population: the HypnoLaus study. Lancet Respir. Med.
2015;3:310–8.
6 Haba-Rubio J, Marti-Soler H, Tobback N, Andries D, Marques-­
Vidal P, Waeber G, et al. Sleep characteristics and cognitive
impairment in the general population: The HypnoLaus study.
Neurology. 2017;88:463–9.
• Die Behandlung von Schlafstörungen bei älteren Menschen beruht
hauptsächlich auf der Suche nach den ursächlichen Komorbiditäten und
ihrer Behandlung.
• Als Therapie erster Wahl gilt die nichtpharmakologische Behandlung
durch Massnahmen zur Schlafhygiene und Psychoedukation sowie ko­
gnitive Verhaltenstherapie, während die pharmakologische symptomatische Behandlung durch unerwünschte Wirkungen und Interaktionen der
psychotropen Substanzen beschränkt ist.
• Ein fortgeschrittenes Alter und/oder eine leichte bis moderate Demenz
stellen keine Kontraindikationen für eine CPAP-Therapie («continuous
positive airway pressure») beim obstruktiven Schlafapnoe-HypopnoeSyndrom (OSAS) dar.
• Beim Verdacht auf Restless-Legs-Syndrom (RLS) oder «periodic limb
mouvement disorder» (PLMD) muss eine sekundäre Ursache wie Eisenmangel oder eine Polyneuropathie ausgeschlossen werden.
Das Editorial zu diesem Artikel finden Sie auf S. 704 in dieser
Ausgabe.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):712–718
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
720
WAS IST IHRE DIAGNOSE?
Auch junge Schweizerinnen haben gelegentlich alte Krankheiten
Akuter Nachtschweiss, Husten,
pleuritische Thoraxschmerzen
Dr. med. Ron Fried, Dr. med. Patrick Muggensturm
v ie we
d
Peer
re
a r tic le
Klinik für Innere Medizin, Spital Zollikerberg, Zollikerberg
Fallbeschreibung
ein linksseitiger septiert imponierender Pleuraerguss
mit konsekutiver partieller Kompressionsatelektase
Eine 22-jährige medizinische Praxisassistentin (MPA)
des linken Unterlappens (Abb. 1).
wird durch ihren Hausarzt, der auch ihr Arbeitgeber ist,
Die anschliessende Pleurapunktion links ergab ein
wegen akuten Nachtschweisses, Husten, pleuritischer
zellreiches gemischtzelliges lympho- und granulozy-
linksseitiger Thoraxschmerzen sowie Dyspnoesensa­
täres Pleuraexsudat mit einem normalen pH von 7,45
tionen mit Verdacht auf eine Lungenembolie zur Abklä-
sowie einer tiefen Glucose von <3,3 mmol/l; direktmik-
rung zugewiesen. Zwei Monate zuvor hielt sich die Pa­
roskopisch und kulturell konnten weder Bakterien
tientin ferienhalber auf den Kapverdischen Inseln auf,
noch Mykobakterien nachgewiesen werden; zytolo-
wo sie von einem Insekt gestochen worden sei; zusätz-
gisch fanden sich keine malignen Zellen.
lich hatte sie in der Hausarztpraxis Kontakt mit einem
Patienten mit offener Lungentuberkulose.
Frage 1: Welche Differenzialdiagnose ist zum aktuellen
In der klinischen Untersuchung imponierten bei der
Zeitpunkt am wahrscheinlichsten?
subfebrilen eupnoischen Patientin ein linksseitig abgeschwächtes vesikuläres Atemgeräusch mit einer
linksbasalen Dämpfung.
Elektrokardiographisch ergab sich ein Normalbefund.
Laborchemisch zeigten sich erhöhte Entzündungszei-
Ron Fried
a) Pleuritis / parapneumonischer Pleuraerguss
b)Pleuraempyem
c) Tuberkulöse Pleuritis
d) Rheumatologische Grundkrankheit / Kollagenose
e)Pleurakarzinose
chen (Leukozyten 8,54 G/l, CRP 136 mg/l) sowie positive
Bei dieser jungen Patientin ohne Risikofaktoren mit
D-Dimere; eine HIV-Serologie sowie ein Vaskulitis-Scree-
akuter Krankheit ist trotz gemischtzelligen Pleuraex-
ning (RF, ANA, ANCA) fielen negativ aus; Zika-, Dengue-
sudates mit tiefer Glukose eine Pleurakarzinose sehr
und Chikunguyavirus-Serologien waren im Verlaufe
unwahrscheinlich. Ebenso ist eine rheumatologische
ebenfalls negativ.
Grundkrankheit / Kollagenose bei unilateralem Befall,
Computertomographisch konnte schliesslich die an-
fehlenden typischen Beschwerden sowie negativem
fängliche klinische Verdachtsdiagnose von Lungenem-
Vaskulitis-Screening sehr unwahrscheinlich. Bei einem
bolien ausgeschlossen werden; allerdings zeigte sich
gemischtzelligen Pleuraexsudat mit normalem pH ist
Abbildung 1: Computertomographie des Thorax mit Kontrastmittel (Weichteil- [links] und Lungenfenster [rechts]) mit septiertem
linksseitigem Pleuraerguss mit partieller ­Kompressionsatelektase des Unterlappens.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):720–723
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
721
Was ist ihre diagnose?
trotz septiert imponierenden Pleuraergusses links ein
Pleuritis vorgenommen werden. Die Einlage einer
Pleurempyem unwahrscheinlich. Eine tuberkulöse Pleu-
Bülaudrainage ist bei geringer Wahrscheinlichkeit für
ritis ist bei entsprechender Anamnese grundsätzlich
das Vorliegen eines Pleuraempyems nicht indiziert,
möglich, in der Differenzialdiagnose aber viel unwahr-
zumal sie auch keine weiteren diagnostischen Infor-
scheinlicher als eine virale/bakte­rielle Pleuritis oder ein
mationen liefert, welche über eine Pleurapunktion
parapneumonischer Pleuraerguss.
hin­ausgehen. Eine Pleurablindbiopsie kann bei diffu-
Unter der Verdachtsdiagnose eines parapneumoni-
sen sowie eine Thorakoskopie bei eher lokalisierten
schen Pleuraergusses erfolgte initial eine empirische
Pleuraprozessen vorgenommen werden.
intravenöse Antibiotikatherapie mit Amoxicillin/Cla-
Die zweite Pleurapunktion ergab wiederum ein zellrei-
vulansäure und im Verlaufe bei fehlendem klinischen
ches, nun rein lymphozytäres Pleuraexsudat mit einem
und laborchemischen Ansprechen mit Piperacillin/Ta-
normalen pH sowie einer ADA unterhalb der Detek­
zobactam. Nach insgesamt siebentägiger empirischer
tionsgrenze; mikrobiologisch und zytologisch konnten
Antibiotikatherapie zeigte sich weder klinisch noch la-
erneut weder eine Infektion noch eine Neoplasie bestä-
borchemisch ein adäquates Ansprechen.
tigt werden. In der Folge wurde schliesslich die Indi­
kation für eine diagnostische Thorakoskopie gestellt,
Frage 2: Welche der folgenden Abklärungen ist aktuell
indiziert?
a)Erneute diagnostische Pleurapunktion mit Bestimmung der
Adenosindeaminase (ADA)
b)Erneute diagnostische und therapeutische Pleurapunktion
mit Einlage einer Bülaudrainage
c)Pleurablindbiopsie mittels Abrams-Nadel
d)Diagnostische Thorakoskopie
e) «Interferon-gamma release assay» (IGRA)
Vor invasiveren diagnostischen Massnahmen (Pleurablindbiopsie, Thorakoskopie) ist insbesondere bei einer jungen Frau mit indeterminiertem Pleuraerguss
welche den untenstehenden makroskopischen Befund
ergab (Abb. 2).
Frage 3: Welches histologische Resultat ist anhand der
bisherigen Zusatzuntersuchungen am ehesten zu erwarten.
a)Nachweis eines intrapleuralen Lymphoms
b)Nachweis einer Pleurakarzinose
c)Nachweis einer sterilen granulozytären nichtverkäsenden
Entzündung
d)Nachweis einer granulozytären verkäsenden Entzündung
mit Nachweis von Mykobakterien
e)Nachweis eines benignen Asbest-assoziierten Pleuraergusses
links die nochmalige diagnostische Pleurapunktion
Bei einem isolierten lymphozytären Pleuraerguss ohne
angezeigt; die Adenosindeaminase (ADA) ist ein sehr
hilomediastinale Lymphadenopathie oder intrapulmo-
spezifischer Parameter für eine tuberkulöse Pleuritis;
nale Läsionen ist eine Sarkoidose sehr unwahrschein-
anhand des «Interferon-gamma release assay» (IGRA)
lich. Bei einem rezidivierenden sterilen lymphozytären
hingegen kann keine Unterscheidung zwischen laten-
Pleuraexsudat ist differenzialdiagnostisch neben einer
ter Tuberkuloseinfektion und aktiver tuberkulöser
tuberkulösen Pleuritis auch eine Neoplasie in Betracht
zu ziehen, wobei bei einer 22-jährigen Nichtraucherin
sowohl eine Pleurakarzinose als auch ein intrapleurales
Lymphom eine Rarität darstellen.
Bei positiver PCR für Mycobacterium-tuberculosis-Komplex sowie kulturellem Nachweis von Mycobacterium
tuberculosis konnte schliesslich die Verdachtsdiagnose
einer tuberkulösen Pleuritis definitiv bestätigt werden.
Frage 4: Welche therapeutischen Massnahmen sind
angezeigt?
a)Exspektatives Prozedere und Spontanheilung abwarten
Abbildung 2: Intraoperatives Bild der diagnostischen Thorakoskopie mit Nachweis
einer schweren feinnodulären fibrinösen Pleuritis.
b)
Exspektatives Prozedere und Spontanheilung abwarten
unter aerogener Isolation und Arbeitsplatzkarenz für mindestens 2 Wochen
c)Präventive Tuberkulosetherapie mit Isoniazid für 9 Monate
oder Rifampicin für 4 Monate
d)Klassische tuberkulostatische Kombinationstherapie für insgesamt 6 Monate in Analogie zur Therapie der Lungentuberkulose
e)Erweiterte tuberkulostatische Kombinationstherapie in der
Annahme einer multiresistenten (MDR-) Tuberkulose
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):720–723
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
722
Was ist ihre diagnose?
Eine präventive Tuberkulostherapie ist nur bei latenter,
Diskussion [1]
nicht aber bei aktiver Tuberkulose adäquat. Obschon
eine tuberkulöse Pleuritis auch unter symptomatischer
Die Tuberkulose ist eine durch Mykobakterien verur-
Therapie in der Regel spontan abheilt, besteht ohne
sachte Infektionskrankheit, welche aerogen via Tröpf-
Therapie ein hohes Risiko, innerhalb der nächsten fünf
chen übertragen wird. Weltweit treten pro Jahr ca.
Jahre eine pulmonale oder extrapulmonale Tuberku-
9 Millionen Erkrankungen mit 1,5 Millionen Todesfäl-
lose zu entwickeln. Somit folgt zwingendermassen die
len auf. In 80% der Fälle handelt es sich um eine Lun-
Indikation einer klassischen Tuberkulosetherapie. Kli-
gentuberkulose, prinzipiell kann jedoch jedes Organ
nisch liegen keine Risikofaktoren für das Vorliegen ei-
befallen sein; bei der extrapulmonalen Tuberkulose
ner multiresistenten (MDR-) Tuberkulose vor.
steht nach der Lymphknotenbeteiligung die tuberku-
Wir begannen eine tuberkulostatische 4er-Kombina­
löse Pleuritis im Vordergrund [2, 3]. Die Pathogenese
tionstherapie mittels Pyrazinamid, Rifampicin, Etham-
der tuberkulösen Pleuritis ist bis heute unklar. Es wird
butol und Isoniazid für zwei Monate. Nach erfolgrei-
angenommen, dass sich der Pleuraerguss aufgrund ei-
cher Beendigung der Initialphase wurde auf eine
ner verzögerten Hypersensitivitätsreaktion auf die
2er-Kombinationstherapie mit Isoniazid und Rifampi-
Mykobakterien und deren Antigene im Pleuraspalt
cin für weitere vier Monate reduziert. Bereits nach
entwickelt [2, 3]. Die tuberkulöse Pleuritis ist in der Re-
zweiwöchiger Therapie war die Patientin wiederum als
gel selbstlimitierend und heilt meist spontan aus, wo-
MPA berufstätig.
bei zeitlebens insbesondere bei jungen Patienten ein
Reaktivierungsrisiko besteht. Allerdings kann sich der
Frage 5: Welche Verlaufskontrollen sind angezeigt?
Zustand der Patienten auch verschlechtern und die Infektion sich zu einem Empyem weiterentwickeln. Des-
a)Klinische und laborchemische Verlaufskontrollen alle 2 Wochen in der Initialphase und alle 4 Wochen in der Erhaltungsphase; Röntgen-Thorax nach Abschluss der Initialphase sowie der Erhaltungsphase
b)Klinische, laborchemische und radiologische Verlaufskon­
trollen alle 2 Wochen in der Initialphase und alle 4 Wochen
in der Erhaltungsphase
c)Computertomographische Verlaufskontrolle nach Abschluss
der Initialphase sowie der Erhaltungsphase
d)Obligatorische ophthalmologische Standortbestimmung
und Verlaufskontrolle bei Therapiebeginn sowie nach Abschluss der Initialphase sowie der Erhaltungsphase
e)Ausschliessliche Verlaufskontrollen beim Infektiologen und/
oder Pneumologen
halb wird grundsätzlich eine medikamentöse Behandlung empfohlen. In der Mehrheit der Fälle handelt es
sich bei der tuberkulösen Pleuritis bei Erwachsenen
um eine Reaktivierung der Erkrankung, bei Kindern
vorwiegend um eine Primärinfektion; sie kann aber –
wie bei unserer Patientin – auch in jedem Alter als Primärinfektion auftreten [4, 5, 6].
In 94% der Fälle zeigen die Patienten eine typische Klinik mit akutem Fieber mit nicht-produktivem Husten
beziehungsweise in 78% mit pleuritischen Schmerzen
ohne Erhöhung der peripheren weissen Blutkörperchen [2]; weitere unspezifische Symptome sind Schwä-
Zur Beurteilung des Behandlungserfolges sowie zum
che, Nachtschweiss und Gewichtsverlust; charakteris-
Erfassen allfälliger Nebenwirkungen wurden für die
tisch treten die Ergüsse praktisch immer unilateral
Schweiz von der Lungenliga entsprechende Richtlinien
auf, häufiger rechts wie links, von der Grösse eher klein
erarbeitet und publiziert [1]. Die Verlaufskontrollen er-
bis mittelgross [7]. Diagnostisch ist mindestens eine
folgen in der Regel durch den Hausarzt sowie einen
Pleurapunktion erforderlich. Hier zeigt sich in der Re-
entsprechenden Spezialisten. Computertomographi-
gel ein saures lymphozytäres Pleuraexsudat (pH <7,4)
sche oder ophthalmologische Verlaufskontrollen sind
mit einer tiefen Glukose-Konzentration [2, 3]; weitere
unter klassischer tuberkulostatischer Kombinations-
sinnvolle Untersuchungen bei Verdacht auf eine tuber-
therapie nicht Routine.
kulöse Pleuritis sind die Messungen der Adenosindea-
Gemäss einer MIRU-VNTR-Analyse («variable number of
minase (ADA).
tandem repeats – mycobacterial interspersed pepetitive
Die Adenosindeaminase hat grundsätzlich eine hohe
units») am Institut für Medizinische Mikrobiologie der
Sensitivität sowie Spezifität [8]; in Regionen mit einer
Universität Zürich konnte schliesslich eine sehr hohe ge-
hohen Tuberkuloseprävalenz haben solche nicht-inva-
netische Übereinstimmung der Mykobakterien­isolate
siven Testverfahren im Gegensatz zu Ländern mit einer
der Patientin sowie des mutmasslichen Indexpatienten
tiefen Tuberkuloseprävalenz wie die Schweiz einen
bewiesen werden. Somit kann – trotz kurzer Kontaktzeit
­hohen diagnostischen Stellenwert [9].
von weit weniger als acht Stunden – mit einer sehr ho-
Eine positive Kultur der Pleuraflüssigkeit zeigt sich in
hen Wahrscheinlichkeit von einer Primoinfektion am
den meisten Studien in weniger als 20–30%, eine Pleu-
Arbeitsplatz als MPA in der Hausarztpraxis ausgegangen
rabiopsie erhöht die diagnostische Ausbeute auf >90%.
werden.
Eine Pleurabiopsie ist gerechtfertigt, wenn eine mode-
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):720–723
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
723
Was ist ihre diagnose?
rate bis hohe Wahrscheinlichkeit einer Tuberkulose be-
resorbiert mit einer mehrheitlichen restitutio ad inte-
steht und wenn die Untersuchung der Pleuraflüssigkeit
grum. Bei einzelnen Patienten kann eine systemische
nicht diagnostisch ist. Pleuragewebe kann einerseits
Steroidgabe diese langen Heilungszeiten verkürzen,
durch eine diagnostische Thorakoskopie oder eine ge-
­allerdings bestehen nur wenige Daten zur Risikostra­
schlossene perkutane Nadelbiopsie entnommen wer-
tifizierung und Nutzen einer systemischen Steroid­
den. Die histologische Untersuchung und die Kultur
therapie.
der Pleura sind die sensitivsten Tests zum Nachweis einer tuberkulösen Pleuritis; die Biopsie weist in 50–97%
Disclosure statement
Granulome nach und die Kultur ist in 40–80% der Fälle
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
positiv, wobei die Sensitivität mit zunehmender Zahl
der Biopsien steigt.
Die antibiotische Behandlung der tuberkulösen Pleuritis entspricht derjenigen der pulmonalen Tuberkulose.
Ohne Therapie haben die Patienten ein Risiko von 65%
[10], innerhalb der nächsten 5 Jahre eine pulmonale
oder extrapulmonale Tuberkulose zu entwickeln. Therapeutische Drainagen reduzieren zwar die Dyspnoe,
haben jedoch keinen langfristigen Einfluss auf den Heilungsverlauf. Studien zeigten, dass weder die Lungenfunktion noch die Entwicklung einer Pleuraschwarte
durch eine therapeutische Drainage günstig beeinflusst werden. Unter angemessener Therapie werden
die meisten Patienten innerhalb zwei Wochen afebril;
die Pleurafüssigkeit wird innerhalb von sechs Wochen
Korrespondenz:
Dr. med. Ron Fried
Spital Zollikerberg
Trichtenhauser Str. 20
Antworten
CH-8125 Zollikerberg
ron.fried[at]outlook.com
Frage 1: a. Frage 2: a. Frage 3: d. Frage 4: d. Frage 5: a.
Literatur
 1 Barben J, C.B., Böttger EC, Egger J-M, et al. Tuberkulose in der
Schweiz. 2014 [cited 2017 05.02.2017]; Handbuch Tuberkulose –
­revidierte Kurzversion 2014. Available from: http://www.tbinfo.
ch/de/publikationen/handbuch-tuberkulose.
 2 Berger HW, Mejia E. Tuberculous pleurisy. Chest. 1973;63(1):88–92.
 3 Epstein DM, et al. Tuberculous pleural effusions. Chest.
1987;91(1):106–9.
 4 Gopi A, et al. Diagnosis and treatment of tuberculous pleural
effusion in 2006. Chest. 2007;131(3):880–9.
 5 Torgersen J, et al. Molecular epidemiology of pleural and other
extrapulmonary tuberculosis: a Maryland state review.
Clin Infect Dis. 2006;42(10):1375–82.
 6 Merino JM, et al. Tuberculous pleural effusion in children.
Chest. 1999;115(1):26–30.
 7 Valdes L, et al. Tuberculous pleurisy: a study of 254 patients.
Arch Intern Med. 1998;158(18):2017–21.
 8 Valdes L, et al. Adenosine deaminase (ADA) isoenzyme analysis
in pleural effusions: diagnostic role, and relevance to the origin
of increased ADA in tuberculous pleurisy. Eur Respir J.
1996;9(4):747–51.
 9 Valdes L, et al. Value of adenosine deaminase in the diagnosis
of tuberculous pleural effusions in young patients in a region
of high prevalence of tuberculosis. Thorax. 1995;50(6):600–3.
10 Roper WH, Waring JJ. Primary serofibrinous pleural effusion in
military personnel. Am Rev Tuberc. 1955;71(5):616–34.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):720–723
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
724
LESERBRIEFE
Leserbrief
Aerogener Übertragungsmodus
intestinaler Parasitosen?
Leserbrief zu: Benoit TM, Majer S, Nickel B, Traichel B.
Ungewöhnliche Ursache einer Eosinophilie.
Swiss Med Forum. 2017;17(08):201–4.
Der Bericht über eine Eosinophilie und die
Symptomatik einer Toxocariose bei einer
Frau aus Thailand ist sehr interessant. Wie
wird Toxocara übertragen?
Im Rahmen seroepidemiologischer Untersu­
chungen der Schulkinder von Grabs 1983–
2007 [1) untersuchten wir 1986 auch die Sero­
reaktivität auf Toxocara («Ascaris von Hund,
Katze») [2, 3]. Uns interessierte, ob Schüler mit
einem hohen IgE-Wert, speziell ohne Aller­
gien, vermehrt Infektionen mit Parasiten
durchgemacht hatten. 3 von 85 Schülern rea­
gierten seropositiv auf Toxocara (5%). Überra­
schend korrelierte dies nicht mit der Haltung
von Hunden und Katzen, sondern mit jener
von Kaninchen.
Zwei Familien akzeptierten auch eine Unter­
suchung der Familienmitglieder und ihrer
Kaninchen. Bei den Eltern reagierte nur eine
Mutter grenzwertig seroreaktiv. Zwei Drittel
der untersuchten Geschwister reagierten
ebenso seroreaktiv.
Von den 29 untersuchten Kaninchen waren
nur zwei in einer Familie seroreaktiv. In die­
ser Familie wurden neben den Kaninchen zu
Hause auch Vögel gezüchtet, die vor Hunden
und speziell Katzen geschützt werden muss­
ten. Die beiden seroreaktiven Kaninchen wa­
ren alte Rammler (männliche Kaninchen), die
überwintert hatten. Sie wurden mit Heu aus
einem Stall gefüttert, wo sich viele Hunde
und Katzen aufhielten. Somit war eine Über­
tragung über das Heu gegeben. Die beiden
seroreaktiven Kaninchen wurden im Tierspi­
tal Bern untersucht. Es konnte histologisch
keine invasive Toxocariose nachgewiesen
werden. Deshalb ist auch eine Übertragung
über Kaninchenfleisch unwahrscheinlich.
Die Menschen essen kein Heu. Bei der Fütte­
rung von Tieren mit gelagertem Heu entstehen
aber immense Mengen von Staub. Dieser wird
eingeatmet. Auch grosse Partikel sedimentie­
ren in den oberen Atemwegen und werden
über den Schleim abtransportiert. Der grösste
Teil wird dem Magen-Darm-Trakt zugeführt,
das Ziel intestinaler Parasiten. Ihre Eier sind
nur etwa dreimal so gross wie übliche Pollen.
Ein aerogener Infektionsmodus intestinaler
Parasitosen ist deshalb plausibel.
Infektionen mit dem menschenpathogenen
Ascaris (A. lumbricoides) bei Schulkindern wa­
ren früher sehr häufig, eher in stadtnahen Re­
gionen. 1926 waren in Bümpliz bei Bern 78,8%,
in der Stadt 46,1% der Kinder befallen (P. Laue­
ner, zitiert aus [4]). Dies prägte später den Be­
griff «Schrebergartenkrankheit», weil in den
Nachkriegsjahren in Nachbarländern Gülle
humaner Provenienz speziell hier angewendet
wurde. Ein massiver Ascaris-Befall kann letal
verlaufen. 1983/1984 fand Christian Bussmann
bei Patienten des Kinderspitals Zürich keine
Ascaris-Eier, bei Kindern im Kanton Appen­
zell-Innerrhoden aber bei 5%. Unterschiede in
der Handhygiene, dem Trink- und Abwasser,
der Verwendung der Hofgülle zur Düngung
der Wiesen, nicht des Hofgärtchens, konnte
diese Unterschiede nicht erklären [4].
Seine Zusammenstellung der Häufigkeiten
aus der Literatur belegt, dass ein Ascaris-­
Befall bei Tropenrückkehrern und Kanalar­
beitern seltener nachweisbar ist. Diskutiert
wurde eine Übertragung durch Fliegen, nicht
die direkte aerogene Übertragung der Aska­
ris-Eier über Heustaub. Diese wäre plausibler
als die indirekte über die Fliegen.
Die Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz
hat sich im letzten Jahrhundert massiv verän­
dert, zum Beispiel Traktoren, Kunstdünger, Si­
lage [5]. Heute haben Laubbläser die Rechen
der Bergbauern und Besen der Stadtgärtner
ersetzt. Offensichtlich sind neue aerogene
Expositionen entstanden, deren Bedeutung
wir nicht kennen. Das Immunsystem auch
der heutigen Bevölkerung ist sehr erfolg­
reich. Deshalb sind zwar Infektionen mögli­
cherweise zunehmend häufiger, Erkrankun­
gen aber selten, vielleicht sogar wegen der
üblichen Effizienz unserer eosinophilen Leu­
kozyten mit ihrer IgE-Produktion. Dies gilt
für Nematoden, eher nicht für Zestoden (z.B.
Echinokokken).
Wenn ein Kind sein fallengelassenes Butter­
brot vom Trottoir aufnimmt und isst, nehmen
wir ein hohes expositionelles Risiko einer In­
fektion an. Der Begleitung oder Begegnung
mit einem «Laubbläser» in Aktion wird kein
Risiko zugeordnet, ob zu Recht, ist nicht be­
kannt.
Vielleicht ist es für Schwangere sinnvoll, den
Laubbläsern nach Möglichkeit aus dem Weg
zu gehen, nicht nur wegen aufgewirbelter Eier
von Toxocara, auch wegen anderer Parasiten
aus dem Kot von Hunden, Katzen, Füchsen
und Vögeln. In Aktion sind diese Bläser im­
merhin gut hörbar.
Dr. med. Markus Gassner, Grabs
Schweiz. Gesellschaft für Aerobiologie (SGA)
Literatur
1 Gassner M. Wüthrich B. Bauernkinder leiden selten
an Heuschnupfen und Asthma. Dtsch Med Wschr.
2000;125: 923–31.
2 Stürchler D. Weiss N. Gassner M. Transmission of
toxocariasis.J Infect Dis. 1990;162:571.
3 Gassner M. Gualzata M. Weiss N. Stürchler D. Toxo­
cara and Rabbits – Aerogenic Transmission of intes­
tinal Parasites. (Abstr.), 8th Congress of ISAM, Davos,
15.04.1991. J Aerosol Med 1991;4:Suppl.1, 37.
4 Bussmann Ch. Intestinalparasiten bei Schweizer
Land- und Stadtkindern mit einer Literatur-Ueber­
sicht zur epidemiologischen Situation in der
Schweiz und ihren Nachbarländern. Diss. Zürich
1988.
5 Gassner M. Farmers and Their Environment: Protec­
tive Influences of the Farming Environment against
the Development of Allergies. Bergmann K-C, Ring J.
(eds): History of Allergy. Chem Immunol Allergy.
Basel, Karger 2014;100:278–86.
Replik
Herzlichen Dank für Ihre spannende For­
schungsarbeit im Rahmen der Aerobiologie
und der in diesem Zusammenhang vermute­
ten Assoziation mit der aerogenen Übertra­
gung der Toxocariose.
Der Begriff der Toxocariose steht für die In­
fektion eines menschlichen Fehlwirts mit
Toxocara canis oder Toxocara cati. Beide Para­
siten gehören der Ordnung der Ascaridida, der
Überfamilie der Ascaridiodea, sowie der Fa­
milie der Toxocaridae an, was die Ähnlichkeit
zur Infektion mit dem menschenpathogenen
Ascaris lumbricoides nahelegt. Die Haupt­
wirte von Toxocara canis und Toxocara cati
sind der domestizierte Hund beziehungs­
weise die Katze, wobei eine parasitäre Besiede­
lung des Dünndarms entsteht. Die tierische In­
fektion kann entweder über die Ingestion von
lebensfähigen, befruchteten Parasiteneiern
über kontaminierte Quellen oder eine trans­
plazentäre Infektion in utero durch ein infi­
ziertes Muttertier erfolgen. Im Gegensatz
dazu ist der Mensch ein aberranter Fehlwirt,
in dem nach fäko-oraler Übertragung der nor­
male Lebenszyklus der Parasiten nicht vollen­
det werden kann. Stattdessen kommt es zur
invasiven Infektion mit unterschiedlich
schweren Krankheitsverläufen.
Ihre Forschungsresultate zeigen möglicher­
weise neue Aspekte der Übertragungsweise
von Toxocara canis und Toxocara cati auf. Die
bislang gültige Lehrmeinung geht davon aus,
dass die akzidentelle Ingestion von ToxocaraEiern, zum Beispiel während des Spielens in
kontaminierten Sandkästen oder auf konta­
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):724–725
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
725
LESERBRIEFE
minierten Spielplätzen, zur entsprechenden
Infektion führt. Eine aerogene Übertragung
ist bislang nicht bekannt und kann durch Ihre
Forschungsarbeit auch nicht sicher belegt
werden. Obwohl 3 von 85 untersuchten Schü­
ler seropositiv für Toxocara waren, kann eine
entsprechende Infektion trotz fehlender Kor­
relation mit der eigenen häuslichen Haltung
von Hunden und Katzen aufgrund der fehlen­
den kontrollierten Bedingungen auch ander­
weitig mit einer ausserhäuslichen Spieltätig­
keit, einem Kontakt zu Nachbarstieren oder
mit der Ingestion von kontaminierten Nah­
rungsmitteln erklärt werden. Zum sicheren
Nachweis einer aerogenen Infektion wären
demnach weitergehende Studien mit grösse­
ren Fallzahlen und kontrollierten Bedingun­
gen notwendig.
Literatur
– Despommier D. Toxocariasis: Clinical Aspects, Epide­
miology, Medical Ecology, and Molecular Aspects. Clinical Microbiology Reviews. 2003;16:265–72.
– Fillaux J, Magnaval JF. Laboratory diagnosis of hu­
man toxocariasis. Vet Parasitol. 2013;193:327–36.
– Woodhall DM, Eberhard ML, Parise ME. Neglected
Parasitic Infections in the United States: Toxocaria­
sis. Am J Trop Hyg. 2014;90:810–3.
Dr. med. Tobias Benoit, Münsterlingen
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(34):724–725
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Herunterladen