Raiffeisen Sommergespräche Bruneck, 11.08.2011 Globale Schuldenkrise und wirtschaftliche Entwicklung Wolfgang Wiegard Universität Universität Regensburg Regensburg Gliederung I. Globale Schuldenkrise 1. Entwicklung der Staatsverschuldung 2. Wege aus der Schuldenkrise 3. Bewertung der Gipfelbeschlüsse vom 21.07.2011 4. Wer profitiert vom Euro? 5. Überlebt die Währungsunion? 6. Die amerikanische Schuldenkrise 7. Die Rolle der Rating-Agenturen II. Konjunktureller Ausblick III. Schlussbemerkung I.1 Entwicklung der Staatsverschuldung These 1 Die explizite staatliche Verschuldung ist in der Finanzund Wirtschaftskrise in den Mitgliedstaaten der EU (sowie weltweit) stark angestiegen. Das war richtig, darf aber nicht zum Dauerzustand werden. S c h u ld e n s ta n d s q u o te n 2007 2012 Quelle: EU spring forecast 2011 IMF WEO April 2011 2 3 3 ,4 1 8 7 ,7 1 6 6 ,1 1 1 9 ,8 1 1 7 ,9 1 0 7 ,4 1 0 5 ,4 1 0 3 ,6 1 0 2 ,9 8 8 ,5 8 7 ,9 8 3 ,3 8 1 ,1 7 1 ,0 6 8 ,3 6 4 ,9 6 6 ,2 5 9 ,0 6 2 ,2 4 4 ,5 3 6 ,1 2 5 ,0 D e u ts c h la n d Ita lie n Sp a n ie n G rie ch e n la n d Irla n d P o rt u ga l Eu r o -R a u m UK E U -2 7 USA Ja p a n I.2 Radikale Wege aus der Schuldenkrise These 2 Radikale Lösungen zur kurzfristigen Bewältigung der europäischen Schuldenkrise wären: 1. Monetäre Lösung: EZB kauft unbegrenzt Staatsanleihen (wie Fed, BoJ, BoE) 2. Fiskalische Lösung: europäischer Finanzausgleich und Euro-Bonds.. I.2 Wege aus der Schuldenkrise These 3 Die in These 2 genannten „radikalen“ Lösungen sind mit den geltenden Europäischen Verträgen nicht vereinbar. AEUV AEUV ESZB Protokoll über über Satzung Satzung des des ESZB und und der der EZB EZB Beide Lösungen wären auch mit Protokoll erheblichen ökonomischen Problemen verbunden: Die monetäre Lösung würde Inflationsgefahren mit sich bringen. Die fiskalische Lösung würde zu Fehlanreizen und erheblichen Umverteilungseffekten führen. Beide Lösungen sind politisch nicht durchzusetzen. I.2 Wege aus der Schuldenkrise These 4 Als weitere Lösungsmöglichkeiten der europäischen Schuldenkrise kommen in Betracht: 1. Ein Schuldenschnitt („haircut“) für hoch verschuldete Länder, die aus eigener Kraft eine wesentliche Reduzierung ihrer Schuldenstandsquoten nicht schaffen werden (Griechenland). 2. Der Austritt hoch verschuldeter Länder aus der EU.. Das eineesriskante Strategie, die nur funktionieren Dazuistwird aber nicht kommen. vgl. These 5 kann, wenn sich Ansteckungseffekte auf andere Län3. Eine glaubwürdige Konsolidierungspolitik in den der weitgehend ausschließen lassen (was gegenwärMitgliedstaaten vgl. Thesen 6,7 tig nicht der Fallder ist).EU. 4. Eine klares, nachvollziehbares und glaubwürdiges europäisches Krisenmanagement. Gegenwärtig ist das Gegenteil der Fall. vgl. Thesen 8,9,10 I.2 Lösungsoption EU-Austritt ? These 5 Nach den geltenden Verträgen kann ein Land weder aus der EU ausgeschlossen werden noch aus der Währungsunion austreten – auch wenn dies immer wieder gefordert wird. Ein Mitgliedstaat kann allenfalls aus MZ, der22.07.2011 EU austreten. MZ, 22.07.2011 EUV EUV Der Vorteil: Mit einer neuen Währung könnte das betreffende Land abwerten und seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Dem stehen aber gravierende Nachteile gegenüber: u. a. Kapitalflucht, massenhafte Insolvenzen, Staatsbankrott. Nach den Gipfelbeschlüssen vom 21.07.2011 kann ein EU-Austritt Griechenlands ausgeschlossen werden. I.2 Lösungsoption Haushaltskonsolidierung (D) These 6 In Deutschland ist die Haushaltskonsolidierung vor allem wegen der im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“ auf gutem Weg. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist in den nächsten Jahren DIE zentrale Aufgabe der deutschen Finanzpolitik. Dies lässt keinen Spielraum für nennenswerte Steuersenkungen. Mit der Haushalts- und Finanzplanung hält der Bund bis 2015/2016 die Vorgaben der Schuldenbremse ein. Auch danach bleibt der Konsolidierungsbedarf erheblich. I.2 Lösungsoption Haushaltskonsolidierung (I) These 7 Innerhalb eines Monats (04.07- 04.08.) sind die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen um 200 Basispunkte angestiegen (von 189 auf 386). Die Reaktion der Finanzmärkte ist allerdings überzogen. Zur Vermeidung einer Schuldenkrise braucht Italien entschieden „mehr Tremonti“ und „weniger Berlusconi“. Die Beschlüsse zur Haushaltskonsolidierung vom Juli waren für die Zeit bis 2013 zu wenig ehrgeizig. Eine Nachbesserung ist angekündigt – allerdings ohne Nennung von Details . Die bestehenden Rettungsschirme reichen nicht aus, um auch Spanien und Italien zu refinanzieren. I.3 Europäisches Krisenmanagement: Gipfel-Beschlüsse vom 21.07.2011 These 8 Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs des Euro-Raums vom 21.07.2008 sind zaghaft, unklar und problematisch. Beschlossen wurde: • Reduzierung der Zinskonditionen auf 3,5 % und Verlängerung der Laufzeiten auf 15 bis 30 Jahre für Kredite aus den Rettungsschirmen; • zusätzlicher Rettungsschirm für Griechenland in Höhe von 109 Mrd Euro: • freiwillige „Beteiligung“ der privaten Gläubiger im Unfang von 50 Mrd Euro bis 2014 und 106 Mrd bis 2019; • erhebliche Ausweitung der Befugnisse der EFSF; • Wachstumsprogramm für Griechenland. I.3 Bewertung der Gipfelbeschlüsse: problematische Aspekte These 9 Eine Bewältigung der Schuldenkrise erfordert ein schnelles und entschlossenes politisches Handeln. Wichtige Details der Beschlüsse (etwa „flexible Kreditlinie“ und Volumen der EFSF) sind offen und sollen erst bis September/Oktober geklärt werden. • Mit der Ausweitung der Befugnisse der EFSF werden durch die Hintertür Euro-Bonds eingeführt und die „no-bail-out“-Klausel des Art. 125 AEUV aufgehoben. Das wird aber verschleiert und bestritten. • Die Reduzierung der Zinskonditionen hilft den betroffenen Ländern, setzt falsche aber Anreize. • Weil die Politik kurzfristig nicht handlungsfähig ist, kauft die EZB Staatsanleihen der Krisenländer. • I.3 Renditedifferenzen zehnjähriger Staatsanleihen Basispunkte 1600 Basispunkte 1600 1400 1400 1200 1200 Griechenland 1000 EU-IWFSchutzschirm Portugal Irland 800 1000 800 Spanien 600 Italien Belgien 400 600 400 Frankreich 200 Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mrz Apr 200 Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez 0 2011 01 .01 .20 10 01 .02 .20 10 01 .03 .20 10 01 .04 .20 10 01 .05 .20 10 01 .06 .20 10 01 .07 .20 10 01 .08 .20 10 01 .09 .20 10 01 .10 .20 10 01 .11 .20 10 01 .12 .20 10 01 .01 .20 11 01 .02 .20 11 01 .03 .20 11 01 .04 .20 11 01 .05 .20 11 01 .06 .20 11 01 .07 .20 11 01 .08 .20 11 01 .09 .20 11 01 .10 .20 11 01 .11 .20 11 01 .12 .20 11 0 Vereinigtes Königreich Stand: 10.08.2011 2010 Quelle: Thomson Financial Datastream I.3 Beurteilung der Gipfelbeschlüsse: problematische Aspekte These 10 Die Politik scheint wesentliche Teile der Beschlüsse zur Beteiligung der privaten Gläubiger nicht verstanden zu haben (was in der Tat auch schwierig war). In die Gipfelbeschlüsse wurde einfach die Vorlage des internationalen Bankenverbands (IIF) übernommen. I.4 Wer profitiert vom Euro ? These 11 Mit Verweis auf den Exportboom der letzten Jahre wird Deutschland häufig als Gewinner der gemeinsamen Währung deklariert. Tatsächlich dürften die anderen Mitgliedstaaten stärker als Deutschland vom Euro profitiert haben. Der Grund: Den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen stehen gleich hohe Netto-Kapitalexporte gegenüber. Mit diesen Kapitalexporten wurde in den vergangenen Jahren der Aufschwung (auch der Immobilienboom) in anderen Ländern finanziert. Dem stand ein verhaltenes Wachstum in Deutschland gegenüber. Griechenland, Portugal, Spanien, Italien haben den mit der Einführung des Euro verbundenen Zinsvorteil nicht zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte genutzt. I.4 Entwicklung der Nominalzinsen vor und nach der EWU I.5 Überlebt die Währungsunion? These 12 Ein Ende der europäischen Schuldenkrise ist nicht absehbar, solange die Politik sich nur in Trippelschritten bewegt und kein klares Konzept erkennen lässt. Gleichwohl wird die Währungsunion nicht auseinanderbrechen. Die eigentliche Frage ist nicht, ob die Währungsunion scheitert, sondern was es „kostet“, den Bestand der Währungsunion zu sichern – und wer den „Preis“ zahlt. Das wird letztlich (wieder) der Steuerzahler sein. I.6 Die amerikanische Schuldenkrise These 13 Die amerikanische Schuldenkrise ist anders gelagert als die europäische. Zum einen kann und wird die Notenbank unterstützend eingreifen. Sie hat am 09.08.2011 angekündigt, den Leitzins bis 2013 unverändert zu lassen. Zum anderen steht die Bonität amerikanischer Staatsanleihen trotz der Herabstufung durch S&P auf AA+ nicht in Frage. Gleichwohl muss auch der Staatshaushalt in den USA entschlossen konsolidiert werden. Das Hauptproblem in den USA ist das vergiftete politische Klima zwischen Demokraten und Republikanern. I.7 Die Rolle der Rating-Agenturen These 14 Die Rating-Agenturen haben bei der Bewertung strukturierter Finanzprodukte versagt und zur Finanzkrise beigetragen. Sie sind aber NICHT verantwortlich für die Schuldenkrise. Auch eine unabhängige „europäische“ Rating-Agentur könnte die Schuldensituation in Griechenland und den übrigen Ländern kaum anders beurteilen. Reichlich unsinnig ist der Vorschlag, ein Rating für Länder auszusetzen, die sich über die europäischen Rettungsschirme refinanzieren. Mit der Kritik an den Rating-Agenturen lenkt die Politik in Europa und den USA von eigenen Versäumnissen ab. II. Konjunktureller Ausblick These 15 Die europäischen Volkswirtschaften wachsen mit zwei Geschwindigkeiten: Deutschland ist vom Wachstumsschlusslicht zur europäischen Konjunkturlokomotive geworden. Dazu haben Restrukturierungsmaßnahmen in den Unternehmen und moderate Tarifabschlüsse beigetragen, aber auch wirtschaftspolitische Reformen in den vergangenen Jahre. Italien wird in den nächsten Jahren unterdurchschnittlich wachsen. Im Hinblick auf glaubwürdige Strukturreformen besteht erheblicher Handlungsbedarf. II.1 Veränderungsraten des realen BIP Deutschland Euro-Raum Italien 3,6 3,4 Quelle: consensus forecast July 2011 2,0 1,9 1,7 1,6 1,2 1,0 0,9 2010 2011 2012 II.2 Wirtschaftspolitische Reformen in Deutschland Agenda 2010 mit Arbeitsmarktreformen Reform der Sozialen Sicherungssysteme Riester-Rente, RV-Nachhaltigkeitsgesetz Reform der Einkommensbesteuerung Unternehmensteuerreform 2008 Rente mit 67 „Schuldenbremse“ III. Schlussbemerkung Trotz Schuldenkrise, Konjunktursorgen, Inflationsängsten: Günstige Perspektiven für Deutschland und Südtirol