Die grosse Reform VOLLGELD ODER GIRALGELD? __ Der Verein Monetäre Modernisierung will das Schweizer Geldsystem grundlegend reformieren. Die Einführung des staatlichen Vollgeldes anstelle des heutigen privaten Giralgeldes soll mit Finanzkrisen Schluss machen und der Realwirtschaft Vorteile bringen. //__Vollgeld? Giralgeld? Keine Bange, wer da nur Bahnhof versteht, ist nicht allein. Mit dem Geldsystem ist es wie mit dem Handy, alle telefonieren drahtlos, die wenigsten wissen, wie es funktioniert. Aber jedes Kind weiss: Geld regiert die Welt. Die technische Funktionsweise unseres Geldsystems hingegen ist nicht bloss Kindern unverständlich, sondern auch zahlreichen Erwachsenen. Kein Wunder, kennt doch dieses komplexe System drei Geldsorten – nämlich das staatliche Zentralbankgeld, das private Giralgeld und das Bargeld-, die zwischen fünf Akteuren zir kulieren, nämlich der Nationalbank, dem Bankensystem, den öffentlichen Haushalten, den Firmen und den Privatpersonen. Die Nationalbank, auch Zentralbank genannt, verfügt über das Recht, so viel Zentralbankgeld zu schaffen, wie sie es zur Erreichung ihres Zieles Geldwertstabilität unter Beachtung der Konjunkturstabilität für nötig erachtet. Das Zentralbankgeld entsteht per Mausklick auf dem Computer aus dem Nichts. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im August 2007 hat sich das Zentralbankgeld infolge gesteigerten Geldbedarfes für Bankenrettungen und Wechselkursstabilisierung bis August 2011 auf 163 Milliarden Franken vervierfacht. Das Zentralbankgeld zirkuliert ausschliesslich zwischen der Nationalbank und den Banken. Konten für Private und Firmen führt die Nationalbank nicht. Zum Zahlungsmittel im Publikumsverkehr wird das Zentralbankgeld erst durch die darauf basierende private Giralgeldschöpfung: Die Banken geben ihrerseits Kredite an Private und die Unternehmen aus. ven einer Bank die Kreditvergabe in vielfacher Höhe ihrer Reserven. Jeder Bankkredit lässt die Giralgeldmenge um den Kreditbetrag minus die Zahlungsreserve wachsen. Vergibt die Bank per saldo weniger neue Kredite, als die Kunden Altkredite zurückzahlen, schrumpft die Geldmenge. Diese Giralgeldschöpfung der privaten Banken ist der zentrale Mechanismus unserer Geldordnung. Ende August 2011 bezifferte sich die Summe aller ausstehenden Frankenkredite laut Nationalbank auf 950 Milliarden Franken. Subtrahiert man davon die Mindestreserven von rund 75 Milliarden, kommt man auf 875 Milliarden Giralgeld. Allerdings wird dieser Betrag in der Statistik nicht gesondert ausgewiesen. Die breiteste Geldmengendefinition M3 der Nationalbank, das heisst Bargeld sowie Sicht-, Sparund Termineinlagen bei Banken, belief sich im August 2011 auf 762 Milliarden Franken. Vollgeld Die Kritik des Vereins Monetäre Modernisierung am heutigen Geldsystem macht sich primär an der privaten Giralgeldschöpfung fest. «Der Zentralbank ist die Kontrolle über die Geldmenge entglitten», schreibt Professor Joseph Huber (Halle, D) vom Wissenschaftlichen Beirat des Vereins. Im Beirat sitzen mit anderen auch die St. Gal- Die Nationalbank wird als sogenannte Monetative zur unabhängigen vierten Gewalt im Staat aufgewertet. Staatliches Bargeld und privates Giralgeld Noten und Münzen werden aus dem Buchgeld aus- und eingewechselt. Dieser Bargeldbestand wächst und wächst, obwohl im Alltag immer mehr «elektronisches Geld» eingesetzt wird. Ende August 2011 belief sich der Bargeldbestand auf 48 Milliarden Franken. 60 Prozent davon bestehen aus laufend nachgedruckten 1000-Franken-Noten. Die Scheine dienen bei Cash-Geschäften aller Art als weltweit beliebtes Zahlungsmittel. Betrachtet man nicht den Gesamtwert, sondern die Stückzahlen der Noten, sind die Hunderter am häufigsten. Das Schweizer Bankensystem ist als sogenanntes fraktionales Reservesystem (Teilreservensystem) ausgestaltet. Das heisst, eine Bank braucht stets nur einen Bruchteil ihrer Verpflichtungen gegenüber ihrer Kundschaft als jederzeit greifbare Zahlungsreserve zu halten. Umgekehrt gesagt, erlaubt eine gegebene Summe an Zahlungsreser10 ler Professoren Hans Christoph Binswanger und Horace Mastronardi. Laut Joseph Huber verunmöglicht das private Giralgeld eine Geldmengenpolitik der Zentralbanken. «Die Zinspolitik, mit der die Geldschöpfung der Banken indirekt beeinflusst werden soll, ist ein weitgehend unwirksamer Ersatz dafür.» In der unkontrollierten Expansion und der Schrumpfung der Giralgeldmenge, die Haussen und Baissen auf den Finanzmärkten prozyklisch verstärkt, sieht Huber einen zentralen Faktor bei der Entstehung der ständig wiederkehrenden Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Vollgeldreform soll dem destabilisierenden Einfluss des privaten Giralgeldes auf die Realwirtschaft ein Ende bereiten. Giralgeld und Zentralbankgeld sollen zum Vollgeld mit Staatsmonopol verschmelzen. Die konkrete moneta #4 // 23. November 2011 thema Umsetzung des Geldmonopols im Wirtschaftsleben ist Aufgabe der Nationalbank. Diese wird als sogenannte Monetative zur unabhängigen vierten Gewalt im Staat aufgewertet, analog der Legislativen, Exekutiven und Judikativen. Zu einer einzig der Verfassung, den Gesetzen, dem Gemeinwohl und dem aktuellen Wissensstand verpflichteten autonomen Geld- und Währungsbehörde. Die Idee des Vollgeldes ist schon alt. Die Trennung von staatlicher Geldschöpfung und privater Kreditgewährung wird in der Ökonomie bereits seit 200 Jahren unter dem Stichwort «Currency School» diskutiert. Namhafte Ökonomen des vergangenen Jahrhunderts wie Irving Fisher, John Maynard Keynes und Milton Friedman befürworteten das staatliche Geldmonopol. Als makroökonomischen Stabilitätsanker zur Abschwächung von Konjunkturschwankungen und Finanzkrisen. Anders sahen es die Anhänger der «Banking School», deren bekanntester Bannerträger der Neoliberale Friedrich von Hayek ist, der die Geldschöpfung als Ganzes den Banken überlassen wollte. Das heutige Giralgeldsystem liegt näher bei den Grundsätzen der «Currency School». Geldschöpfung würde verstaatlicht Glaubt man Joseph Huber, geht die praktische Umsetzung des staatlichen Geldmonopols durch die Nationalbank «einfach und reibungslos» vonstatten. Genauso wie vor über hundert Jahren die Einführung der Zentralbanknoten anstelle der zuvor zirkulierenden Privatbanknoten. Die Girokonten werden aus der Bankbilanz ausgegliedert und bekommen als Geldkonten den gleichen Status wie Banknoten in der Brieftasche. Die Banken verwalten die Geldkonten ihrer Kunden als Dienstleistung, ähnlich wie sie heute deren Wertpapierdepots verwalten. Mit den Eigengeschäften der Bank haben die Geldkonten nichts zu tun. «Die Vollgeldreform bringt keine Bankenverstaatlichung, verstaatlicht wird nur die Geldschöpfung», betont Daniel Meier vom Vorstand des Vereins. Die Kreditvergabe der Banken bleibt auch mit Vollgeld völlig frei. «Was sich ändert, ist, dass die Bank kein selbst geschöpftes Giralgeld mehr ausleihen kann, sondern ausschliesslich staatliches Vollgeld, das sie sich zuvor auf dem freien Markt beschaffen musste.» Im Vollgeldregime sind Geldschöpfung und Kreditgewährung strikte getrennt. Der Geldschöpfungsgewinn (englisch: «seignorage»), der bei der Giralgeldschöpfung an die privaten Banken fliesst, kommt im Vollgeldregime der Allgemeinheit zugute. Vollgeldreform und Finanzmarktreform Die Schweizer Volkswirtschaft ist Teil des globalisierten Finanzkapitalismus, der seit Sommer 2007 von einer permanenten Krise geschüttelt wird. Das Krisenmanagement von Finanzministerien und Zentralbanken aller Länder besteht, vereinfacht gesagt, darin, den Zusammenbruch ihres nationalen Bankensystems und den Bankrott der Staatskasse mit aus dem Nichts geschaffenem Zentralbankengeld zu verhindern. Durch diese Politik sind das nationale und das internationale Geldsystem und die Finanzmärkte völlig aus den Fugen geraten. Heute ist die von der Vollgeldreform anvisierte private Giralgeldschöpfung im fraktionalen Reservebanking bloss noch eines von unzähligen, zum Teil dramatischen Problemen der Geldpolitik, aber nach Ansicht des Vereins Monetäre Modernisierung die Wurzel des Übels. Auf dem Hintergrund dieser Krise hat der Verein zwei Varianten für eine Verfassungsinitiative entwickelt. Die eine postuliert die reine Vollgeldreform, die andere zusätzlich eine Finanzmarktreform. Demnach müsste der Staat neben der Verstaatlichung des Geldes auch die Versorgung der Schweizer Wirtschaft mit Kredit und Finanzdienstleistungen regeln und garantieren. Das wäre eine Radikalreform, die den nationalen Wirtschaftsraum Schweiz näher beim chinesischen Staatskapitalismus positionieren würde als beim amerikanischen Finanzkapitalismus. Ein durchaus valabler Vorschlag. Fragt sich bloss, ob eine Doppelreform das Fuder für eine Verfassungsinitiative nicht überlädt. Eine harte Nuss, die mit dem definitiven Textvorschlag für die Verfassungsinitiative geknackt werden muss. Die im vergangenen Frühling noch vielfach geäusserte Hoffnung, die Finanz- und Wirtschaftskrise werde von allein wieder verschwinden, ist mittlerweile reines Wunschdenken. Die Welt braucht dringend Reformideen zur Reorganisation des Finanzwesens. Gerade in der Schweiz, wo dieser Sektor rund 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Der Verein Monetäre Modernisierung hat die Geld- und Finanzmarktreformdebatte eröffnet.__// Gian Trepp | [email protected] Die Forderungen – die Initiative Der Verein Monetäre Modernisierung fordert 1. Geldschöpfung ausschliesslich durch die öffentliche Hand. Schaffung der «Monetative». 2. Beendigung jeglicher privater Geldschöpfung der Banken. 3. Schulden- und zinsfreie Inumlaufbringung neuen Geldes durch Auszahlung an öffentliche oder private Haushalte. Der Weg zu diesen Zielen führt über die Ergänzung des Bundesverfassungsartikels 99 um den Ausdruck «Giralgeld». Denn für diesen allergrössten Teil der nachfragewirksamen Geldmenge fehlt bisher die Verfassungsgrundlage – als ob Geld noch immer nur aus Münzen und Noten bestünde. www.vollgeld.ch 11