magisterarbeit - E

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MAGISTERARBEIT
Titel der Magisterarbeit
„Ohne Worte –
Die Bedeutung akustischer Reize in
einer neuen Kommunikationsinfrastruktur
Versuch einer theoretischen Implementierung von Audiotypen in
kommunikationswissenschaftlichen Habitaten“
Verfasserin
Ursula Hofmeister, Bakk.phil.
Angestrebter akademischer Grad
Magistra der Philosophie (Mag.phil.)
Wien, 2012
Studienkennzahl laut Studienblatt
A 066/841
Studienrichtung laut Studienblatt
Publizistik- u. Kommunikationswissenschaft
Betreuer
Prof. Dr. Thomas Bauer
Danksagung
Für sein Verständnis, seine Geduld und seine Unterstützung möchte ich meinem
Lebensgefährten Horst Wiesner meine tiefste Dankbarkeit ausdrücken. Er hat mich
durch euphorische und verzweifelte Phasen begleitet, wortlos akzeptiert, dass ich
meine Urlaubstage in meine universitäre Ausbildung und nicht in uns beide investiert
habe und mich auch häufig gegen seine eigene Überzeugung motiviert meine Zeit
dieser Arbeit zu widmen. Einen besonderen Dank und eine Umarmung verdient
meine liebe Freundin Christina Majorkovits für ihre kritischen Anmerkungen und ihre
methodische Hilfe als „Formatierungs-Fee“ und immer anspornender Ansprechpartner. Meinem Arbeitgeber insbesondere der Chefredaktion des ORF Niederösterreichs gebührt mein Dank für die Flexibilität und Großzügigkeit bei meinen Dienstplanwünschen – ihr habt nie vergessen meine Uni-Tage zu berücksichtigen, dafür bin
ich Euch sehr verbunden.
Ein Dankeschön richte ich auch an meine lieben Freunde: Prof. Dr. Herbert Hofstätter, der mir immer das Gefühl gibt, ich kann alles erreichen und Dr. Alexander Lille,
der mich lange Zeit durch mein Studium begleitet und mir zugesprochen hat, auch
trotz Berufstress diese Ausbildung endlich zu beenden und an Eva Maria BorbathVanko, die mit mir den freudvollen Moment der Fertigstellung geteilt hat.
Nicht zuletzt auch ein großes Dankeschön meiner Schwester Isolde und meinem
Vater, für Ihr wertschätzendes Korrekturlesen.
Meiner Familie und meinen Freunden möchte ich danken für die vielen Stunden, in
denen ihr auf mich verzichten musstet ohne es mir Übel zu nehmen.
Ich trage Euch in meinem Herzen.
II
Vorwort
„Haben nun, ach (…) studiert…“ (Goethe, o.J.) – diese Worte aus Goethes Faust
haben eine besondere Bedeutung am Ende eines wissenschaftliche Studiums, wenn
man erkennen muss, dass Wissenschaft nicht zwingend Wissen schafft. Dass fast
jedes Konzept der Wirklichkeit kritisiert werden kann, eine valide Verifizierung oder
Falsifizierung letztendlich vor allem in der Geisteswissenschaft meist ausbleibt, lässt
uns mit dem Bedürfnis nach wahrer Erkenntnis zurück. Was bleibt sind Theorien, die
letztendlich immer eine Reduktion der Komplexität von Wirklichkeit darstellen, um
diese für unseren Verstand fassbar zu machen. In der Hoffnung, dass theoretische
Modelle zumindest einen Zugang – wenn auch einen unvollständigen – zu den untersuchten Forschungsgegenständen ermöglichen, ist auch diese Arbeit entstanden.
Mit der Überzeugung, dass in der Kommunikationswissenschaft in den letzten Jahren
grundlegende Themen nicht ausreichend behandelt worden sind, und daher großer
Nachholbedarf vor allem in der Sinnesforschung besteht, soll hier eine existentiell
fundamentale Kommunikationsform, die akustische, näher untersucht werden. Da die
Kommunikationsforschung aus der Tradition einer Zeitungswissenschaft entstanden
ist, kann ihr eine Konzentration auf schriftliche Informationsvermittlung nicht vorgeworfen werden – allerdings scheint momentan eine verstärkte Aufmerksamkeit auf
neue Medien unter Einbeziehung optischer Reize gelegt zu werden. Wenn die Kommunikationswissenschaft versuchen möchte, tatsächlich theoretisches Wissen über
Kommunikationsprozesse zu schaffen, müssen die unterschiedlichen Wahrnehmungsformen und Artikulationsformen jedoch ganzheitlich betrachtet werden – natürlich auch unter Berücksichtigung jener modernen Kommunikationsinfrastruktur, in der
III
diese Prozesse stattfinden. Das Bekennen zu einer interdisziplinären Ausrichtung ist
hier durchaus hilfreich und auch notwendig.
IV
Inhaltsverzeichnis
Danksagung ...............................................................................................................II
Vorwort ......................................................................................................................III
Abbildungsverzeichnis.......................................................................................... VIII
Einleitung: Am Anfang war das Wort – eine erste Fokussierung .........................9
Kapitel I - Forschungsinteresse .............................................................................20
I-1 Wissenschaftliche Motivation .............................................................................24
I-2 Erkenntnisinteresse............................................................................................25
I-3 Forschungsfrage ................................................................................................25
Weiterführende Fragen .....................................................................................25
I-4 Methode .............................................................................................................26
Kapitel II - Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion...........................26
II-1 Herausforderungen innerhalb und außerhalb der neuen
Kommunikationsinfrastruktur .............................................................................26
II-1.1 Emotion vor Information..........................................................................31
II-1.2 Grenzen der Wirkungsforschung ............................................................41
II-2 Prägnanzbildungsprozesse ...............................................................................45
II-2.1 Kanon .....................................................................................................50
II-2.2 Stereotype ..............................................................................................53
II-2.3 Visiotype .................................................................................................58
Kapitel III - Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch
entwickelten Spezies ...............................................................................................63
III-1 Neurowissenschaftliche Erkenntnisse ...............................................................63
III-1.1 Ohr und Gehirn .......................................................................................65
III-1.2 Hörmodi, Umgebung und Habituation ....................................................70
III-1.3 Akustische Vielfalt - Beziehungen machen Sinn ....................................73
III-1.4 Der Rhythmus bei dem jeder Mensch mit muss .....................................78
III-2 Entwicklungspsychologische Erkenntnisse .......................................................85
III-2.1 Sprache oder Musik ................................................................................87
III-2.2 Der Perfektionismus als Entwicklungsbremse ........................................90
III-3 Musikpsychologische Erkenntnisse...................................................................95
III-3.1 Warum machen Menschen Musik ..........................................................98
V
III-3.2 Musik und emotionale Kontrolle ........................................................... 102
III-3.3 Der „Mozart- Effekt“ und Erkenntnisse akustischer Wirkungsforschung
105
III-4 Funktionale Klänge ......................................................................................... 109
III-4.1 Produktklang und Funktionsklang ........................................................ 111
III-4.2 Sonifikation........................................................................................... 113
III-4.3 Funktionale Musik ................................................................................ 115
III-5 „Vocal Stereotypes“ ........................................................................................ 117
Kapitel IV - Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung ........ 121
IV-1 Allgemeine Definition ...................................................................................... 123
IV-2 Materialistischer Zugang................................................................................. 128
IV-2.1Natürliche Audiotypen .......................................................................... 128
IV-2.2Mechanische Audiotypen ..................................................................... 129
IV-2.3Elektronische Audiotypen..................................................................... 130
IV-3 Formalistischer Zugang .................................................................................. 132
IV-3.1Musikalische Audiotypen...................................................................... 132
IV-3.2Sprachliche Audiotypen........................................................................ 133
IV-3.3Geräusch-Audiotypen........................................................................... 134
IV-3.4Falsche Audiotypen.............................................................................. 135
IV-3.5Gefälschte Audiotype ........................................................................... 137
IV-4 Induzierender Zugang..................................................................................... 139
IV-4.1Handlungsinduzierende Audiotypen..................................................... 140
IV-4.2Emotionsinduzierende Audiotypen....................................................... 142
IV-4.3Unauffällige Audiotypen ....................................................................... 143
IV-5 Geographischer Zugang ................................................................................. 145
IV-5.1Globale Audiotypen .............................................................................. 146
IV-5.2Regionale Audiotypen .......................................................................... 147
IV-5.3Individuelle Audiotypen ........................................................................ 147
IV-6 Zeitdimensionaler Zugang .............................................................................. 149
IV-6.1Vergangene Audiotypen....................................................................... 149
IV-6.2Gegenwärtige Audiotypen .................................................................... 150
IV-6.3Permanente Audiotypen....................................................................... 151
IV-7 Prägnanzdominierender Zugang .................................................................... 151
VI
IV-7.1Audiotypen mit eindimensionaler Prägnanz .........................................152
IV-7.2Audiotypen mit mehrdimensionaler Prägnanz ......................................152
IV-8 Entwicklung eines Gesamtmodells..................................................................154
IV-8.1Modell 1 Materialistischer Zugang ........................................................156
IV-8.2Modell 2 Formalistischer Zugang..........................................................157
IV-8.3Modell 3 Induzierender Zugang ............................................................158
IV-8.4Modell 4 Geographischer Zugang ........................................................159
IV-8.5Modell 5 Zeitdimensionaler Zugang......................................................160
IV-8.6Modell 6 Prägnanzdominierender Zugang............................................161
IV-8.7Modell 7 Gesamtmodell ........................................................................162
Kapitel V - Audiotypen innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur.164
V-1 Zuviel Lärm zum Überleben? ..........................................................................168
V-2 Hörergewohnheiten .........................................................................................172
V-3 Konglomerat von Stereotypen, Visiotypen und Audiotypen ............................176
Fazit.........................................................................................................................180
Ausblick ..................................................................................................................181
Literaturverzeichnis....................................................................................................i
Curriculum Vitae – Ursula Hofmeister Bakk. phil. ..............................................xvii
Abstract ...................................................................................................................xix
Eidesstattliche Erklärung........................................................................................xx
VII
Abbildungsverzeichnis
Abb.1: ARD Media-Analyse:
http://www.ard.de/intern/basisdaten/mediennutzung/zeitbudget_20f_26_23252_
3Br_20audiovisuelle_20medien/-/id=54984/sfyd65/index.html vom 5.3.2011
22.30 Uhr
Abb.2: Jourdain, Robert (1998): Das wohltemperierte Gehirn. Wie Musik im Kopf
entsteht und wirkt. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, S. 32
Abb.3: Jourdain, Robert (1998): Das wohltemperierte Gehirn. Wie Musik im Kopf
entsteht und wirkt. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, S. 27
Abb.4: Jourdain, Robert (1998): Das wohltemperierte Gehirn. Wie Musik im Kopf
entsteht und wirkt. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1998, S. 79
Abb.5: Bronner, Kai (2009): Klangfarbe in Funktion. Ein elementares, aber schwer
fassbares Gestaltungselement. In Spehr, Georg (Hg): Funktionale Klänge. Hörbare Daten, klingende Geräusche und gestaltete Hörerfahrungen. transcript
Verlag, Bielefeld, S. 268
Abb.6 -15: Hofmeister, Ursula (2012)
VIII
Forschungsinteresse
Einleitung: Am Anfang war das Wort – eine erste
Fokussierung
Die abendländischen Christen sagen: „Im
Anfang war das Wort (Logos).“ Die Chinesen sagen: „Im Anfang war das Tao
(Weg).“ Die Inder sagen: „Im Anfang war
der Shabda (Klang).“ (Roland R. Ropers
2007)
Es gibt ein Buch, in dem das „Wort Gottes“ niedergeschrieben wurde, um die moralischen und ethischen Regeln einer Gesellschaft festzuhalten. Seit vielen hundert
Jahren gilt dieses Buch in weiten Teilen der Welt als moralische Autorität: „Es steht
geschrieben…“ – diese Worte werden häufig verwendet um aus diesem Buch zu
zitieren und damit die Wahrheit des Nachfolgenden zu belegen, schließlich handelt
es sich um die sogenannte „Heilige Schrift“. „Es steht geschrieben“ kann aber auch
ein Synonym für die Macht des geschriebenen Wortes sein, das sich mit der Macht
der Religion verbunden hat.
Mit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert hat der Siegeszug des geschriebenen Wortes begonnen – in Europa und der westlichen Welt ist diese Entwicklung untrennbar verbunden mit der Bibel, dem zeitlosen Steadyseller1. In kommunikationswissenschaftlichen Arbeiten, die sich nicht explizit mit religiösen Themen
befassen, wird jedoch nur selten die Bibel zitiert – dabei könnte sie durchaus als
philosophischer Ursprung unserer Kommunikationsgesellschaft bezeichnet werden:
1
Häufig zitiert wird hier die Einschätzung von Russell Ash, der in seinem Buch „The Top Ten
of Everything 2002“ davon ausgeht, dass die Bibel mit Milliarden Exemplaren weltweit
das meist verkaufte Buch ist. (Ash 2002)
9
Wissenschaftliche Motivation
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ (Neues
Testament, Johannesevangelium I/1).
In vielen östlichen Weisheitslehren spielt der Klang eine besondere Rolle. Das „Om“
gilt vor allem im indischen Sprachraum als erste kosmische Schwingung. Aus dem
„Om“ soll demnach das Universum entstanden sein, und auch jetzt schwinge dieser
Klang im Kosmos und sei damit Teil einer absoluten Offenbarung (vgl. Ho Tetso
2007). Auch das christliche „Amen“ könnte als „Om“- ähnliches Mantra charakterisiert
werden, welches im kirchlichen Kontext üblicherweise den Abschluss eines Gesprächs oder einer Überlegung mit und über Gott kennzeichnet. Sprechgesänge und
Klangereignisse sind letztendlich ein fixer Bestandteil vieler religiöser Rituale. Das
Hören und/oder Erzeugen eines Klanges oder eines Wortes (noch vor der Niederschrift des Wortes und damit dem Sehen) wird daher häufig mit dem Beginn menschlicher Erkenntnissuche verbunden.
Der Siegeszug des geschriebenen Wortes hat jedoch die Betrachtung von Erkenntnisprozessen die durch Klang, Musik, Bilder, Gerüche aber auch gesprochene Worte2 entstehen können in den letzten Jahrhunderten in den Hintergrund gedrängt.
Dass Musik und Klang als Informations- und Bildungsträger innerhalb unserer Kommunikation dem geschriebenen Wort unterlegen zu sein scheinen, und auch davon
getrennt betrachtet werden, ist insofern beachtlich, als dass Klang und Sprache
ursprünglich offenbar untrennbar miteinander verknüpft sind. Diese Annahme wird in
der Musikpsychologie auch von neurologischen Forschungen (u.a. Jourdain 2009,
Hannon/Schellenberg 2009, Koelsch/Schröger in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009)
2
…die sich durch die Vielfalt der mit dem Sprecher verbundenen Sinnesreizen von
niedergeschriebenen Worten unterscheiden.
10
Forschungsinteresse
unterstützt, die beschreiben, dass Worte, Sprache und musikalische Klänge in einem
frühen Entwicklungsstadium ähnlich verarbeitet und nach Bedeutung untersucht
werden.
„Auf der Suche nach Bedeutung verarbeiten Kinder Musik und Sprache mit ähnlichen kognitiven Prozessen.“ (Hannon/Schellenberg in Bruhn/Kopiez/Lehmann
2009, S.131)
Es entspricht womöglich der menschlichen Natur, ganz sicher aber der westlichen
Kultur, unsere Entwicklung so rasant voran zu treiben, dass wir mit unserem intellektuellen und emotionalen Verständnis oft ins Hintertreffen gelangen. Dieser Rückstand
zeigt sich unter anderem dadurch, dass viele technische Errungenschaften meist
schon überholt sind, bevor wir sie überhaupt in ihrer Gänze erfasst haben. Beispiele
dafür gibt es viele: Es beginnt mit dem Besitzer eines Mobiltelefons, der sich bereitwillig ein neues Endgerät kauft, weil dieses neue, innovative Funktionen verspricht,
obwohl er die Möglichkeiten seines alten Gerätes weder voll ausgeschöpft noch
verstanden hat,3 und es endet mit der tragischen Etablierung von Technologien, die
es vermögen, die Menschheit auszulöschen, wie beispielsweise die atomare Teilung.
„Die Atombombe ist sowohl als technisches als auch soziales Phänomen das
klassische Endprodukt seiner wissenschaftlichen Leistung und seines sozialen
Versagens.“ (Brecht zitiert nach Wizisala in Renn 2005, S.352)
Unser menschliches Urteilsvermögen scheint in vielen Bereichen nicht sehr weitsichtig zu sein. Besonders in den letzten Jahren hat sich das Wort „Nachhaltigkeit“ in
unserer – auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichteten – Gesellschaft als Gegenpol
3
Vgl. dazu Artikel im Spiegel vom 28.10.2006: „Alleskönner gegen Wenignutzer“: „Neue
Handymodelle sind Multifunktionsgeräte: MP3-Player, Kamera, Videoplayer, Camcorder.
Aber werden die Funktionen überhaupt alle genutzt? (…) Soeben ist eine Studie von
TNS-Infratest über das Nutzungsverhalten von MP3-Hörern erschienen, die ein
vernichtendes Urteil über die tatsächliche Nutzung der Player in Handys enthält:
Anscheinend benutzen nur 56 Prozent der Besitzer von MP3-Player-Handys diese auch
wirklich.“ (Unbekannter Autor, Spiegel 2006)
11
Wissenschaftliche Motivation
zu destruktivem Verhalten etabliert. Jedoch darf daran gezweifelt werden, ob sich
dieses Denken auch langfristig in einer praktischen Umsetzung manifestiert. Es entsteht der Eindruck, dass wir etwas wissen ohne es wirklich nachhaltig zu fühlen und
daher fällt es uns offenbar schwer, entsprechend zu handeln. Erkenntnis durch Sprache ist eben nicht zwingend auch eine emotionale Erkenntnis. Das Wort und die aus
Wörtern zusammengesetzte Sprache – die für viele die Voraussetzung reflektierender Betrachtungen und der Entwicklung einer Wissenschaft, ja sogar des
Menschseins selbst darstellt4 – scheint die Komplexität unserer Umgebung, aber
auch unserer Spezies, nicht annähernd ausreichend fassbar zu machen. Jedoch
erlaubt sie uns, vermeintliche Fehleinschätzungen kunstvoll zu argumentieren.
Seit Jahrzehnten betreiben wir Kommunikationsforschung und dürften uns (wie auch
in anderen Bereichen) dabei selbst überholt haben – wir untersuchen die Wirkung
neuer Medien und haben noch nicht einmal annähernd die Gesetzmäßigkeiten unterschiedlicher „Face to Face“ Kommunikationssituationen verstanden. Der kulturelle
und religiöse Ursprung der marktwirtschaftlich orientierten, westlichen Gesellschaft,
die zurzeit in unserer Welt größtenteils die Vorherrschaft übernommen hat, ist meist
christlich und damit ist es eben auch nicht verwunderlich, dass „das Wort“ in den
letzten Jahrhunderten stetig an Importanz gewonnen hat – denn es steht eben geschrieben: „Am Anfang war das Wort…“ (Neues Testament, Johannesevangelium
I/1). Häufig sprechen wir von einer „Informationsgesellschaft“. Geschriebene, gesprochene bzw. „gepostete“, „gemailte“, „getwitterte“ Worte umschwirren uns in einer
4
Vgl u.a. Ludwig Josef Johann Wittgenstein, der davon ausgeht „daß man nicht außerhalb
seiner Sprache denken kann“ oder Wilhelm von Humboldt, der die „Sprache als Organ
des Denkens“ bezeichnet: "Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache..." (Humboldt
1820 in Hartmann 1998/99)
12
Forschungsinteresse
derartigen Vielzahl, dass sie für das menschliche Gedächtnis kaum mehr zu verarbeiten sind. Es kommt zu eigenartigen kommunikationswissenschaftlichen Phänomenen: Man spricht von: „Desinformation“ in Form von „Überinformation“. Wir sind
„overnewsed but underinformed“ (vgl. u.a. Arnold 1994, S.20ff). Die Wörter, die uns
die Welt fassbar machen sollten, machen sie plötzlich noch unfassbarer als zuvor.
Womöglich haben wir einfach nur zufällig falsch angefangen und befinden uns in
einem sogenannten „Frozen Accident“:
„Gemäß der Evolutionslehre können zufällige Ereignisse einen Organismus
bleibend prägen und in seine Struktur oder in sein >Wesen< eingehen.
Evolutionstheoretiker sprechen deshalb von >frozen accidents<, von
eingefrorenen Zufällen.“ (Schwager 2004, S.126)
Sowohl das Christentum – als vorherrschende Religion auf dieser Welt – als auch
der Islam glauben an das „Wort Gottes“, nicht an den Klang, den Geruch, den Geschmack oder gar das Bild Gottes. Wenn wir davon ausgehen, dass der Begriff
„Gott“ als Synonym für eine allwissende, „menschengleiche“ Existenz verwendet wird
so versuchen wir mit Worten (Gottes) den Sinn unseres Daseins und die damit verbundenen möglichen Erkenntnisse fassbar zu machen. Wir versuchen unsere Existenz zu verstehen, wissenschaftlich zu erforschen, philosophisch zu erkennen und
haben unsere Kommunikation jedoch gleich zu Beginn künstlich eingeengt und wesentliche Kommunikationselemente – akustische, haptische oder olfaktorische – in
unserer Erkenntnisforschung stark vernachlässigt, teilweise sogar weitgehend ausgeblendet. Um eine emanzipatorische Kommunikationswissenschaft zu ermöglichen,
muss daher „das Wort“ als Beginn unserer Betrachtungen gleich zu Beginn unserer
Betrachtungen hinterfragt werden.
Interessanterweise sind in unserem künstlerischen Schaffen und unseren technischen Entwicklungen meist alle Bereiche menschlicher Wahrnehmung abgedeckt.
13
Wissenschaftliche Motivation
Wir machen Musik, kreieren Düfte, produzieren künstlichen Geschmack und bewegte
Bilder. Allerdings muss die Frage gestellt werden: Haben wir eigentlich verstanden,
was wir dabei tun?
Wie Platon in seinem Höhlengleichnis bereits 370 v. Chr. beschreibt (vgl. Heidegger,
1947, S.208ff), scheinen wir nach wie vor nur die Schatten unseres Schaffens zu
sehen – in unserer Kunst und durch unser Tun kommen wir der Erkenntnis zwar
näher, doch wir vermögen nicht die ganzheitliche Schöpfung zu begreifen – mit Platon gesprochen sind unsere Augen wohl nur an das Dunkel der Höhle gewöhnt,
während sich unsere Kunstwerke bereits der Sonne entgegenstrecken.
Durch verbale oder geschriebene Kommunikation versuchen wir Wissen zu schaffen
– nicht durch Musizieren, Riechen oder Spüren. Durch Worte versuchen wir uns und
die Welt fassbar zu machen und zu verstehen. Der Medienphilosoph Frank Hartmann bezieht sich auf Gellner und Burckhardt, wenn er beschreibt, dass unsere
naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auf die Entwicklung des Alphabets zurückzuführen sind.
„Das Alphabet, die abstrakte Zeichenmaschine, steht als Bedingung der Möglichkeit für die spätere Ausbildung der griechischen Naturphilosophie, für das Nachdenken über Natur als ein abstrakt gewordenes Ganzes…“ (Hartmann 2000,
S.243)
Worte sind unsere Bildungswerkzeuge geworden. Es ist uns gelungen komplexe
Sprachen zu entwickeln, die wir nicht nur untereinander verwenden, sondern die es
uns sogar erlauben technische Geräte miteinander kommunizieren zu lassen. Doch
der menschliche Geist steht offenbar im stetigen Spannungsfeld mit der Komplexität
seiner Umgebung, aber auch seiner eigenen Fähigkeiten. Die „Computersprache“
zeigt sich hier als weiterer Nachweis dafür, dass wir etwas erschaffen, dessen Gesetzmäßigkeiten sich in weiterer Folge häufig unserem Verstand entziehen.
14
Forschungsinteresse
Wir sind imstande komplexe Maschinen zu erfinden, die es uns erlauben unseren
Planeten aus dem Universum zu betrachten, während wir nach wie vor die „Maschine Mensch“ nicht verstanden haben.
„Ein Ende der Entwicklung in der Verkehrs- und Nachrichtentechnologie, die dem
modernen Mensch ungeahnte Möglichkeiten internationaler und globaler Mobilität
verschaffen, ist nicht abzusehen, und ihr Entwicklungstempo ist auch nicht aufzuhalten. Es bleibt allerdings die Frage, ob die an dieser Entwicklung als Produzenten und Konsumenten beteiligten Personen von ihrer psychischen Grundstruktur
her, (…) den gegebenen Anforderungen gerecht werden können. Hier sind durchaus Zweifel angebracht, wenn man bedenkt, dass in vielen Bereichen die technischen und sozialen Entwicklungen ein Gestaltungspotential für ein normales Leben und eine hohe Lebensqualität bereitstellen, dass aber die potentiellen Nutznießer aufgrund ihrer historischen, stammesgeschichtlichen und individuellen
Entwicklungsgeschichte noch gar nicht in der Lage sind, den sich bietenden
Reichtum auszuschöpfen.“ (Thomas 2005, S.8f)
Anders gesagt, haben wir bereits technische Hilfsmittel erfunden, die die Voraussetzung für ein friedliches, harmonisches Miteinander in weiten Teilen der Welt sein
könnten, da sie laut Thomas ein „normales Leben“ in einer „hohen Lebensqualität“
ermöglichen würden. Wir haben es offenbar aber noch nicht verstanden oder es
hindern uns gewohnte Verhaltensstrukturen an der Umsetzung neuer, eventuell
konstruktiverer Verhaltensmuster. Anscheinend werden wir uns selbst und unserer
eigenen, von uns geschaffenen Technik nicht gerecht. Die Gründe dafür sind sicherlich vielfältig, einer davon könnte unsere kommunikative „Begrenztheit“ sein. Da
menschliche Individuen, gruppendynamische Prozesse, kulturelle Prädispositionen
und die neuen Technologien komplexer sind, als wir es mit Worten beschreiben
können. Da wir aber das Wort als Bildungswerkzeug verwenden, hindert es uns
daran, unser Weiterentwicklungspotential voll auszuschöpfen. Es ist fast so, als würden wir versuchen mit einem Vorschlaghammer einen Computerchip zu bauen – das
falsche Werkzeug kann uns nicht zum Erfolg führen, Worte allein verschaffen keine
ganzheitliche Erkenntnis.
15
Wissenschaftliche Motivation
Die Kultur des geschrieben Wortes und die damit einhergehende Wissensvermittlung
hat eine differenzierte Betrachtung anderer kommunikativer Elemente, die während
einer Kommunikationssituation wahrgenommen werden können, in den Hintergrund
gedrängt. Der Klang einer Stimme, der Geruch eines Gesprächspartners, der Händedruck und ein Gesichtsausdruck können in einem Buch bestenfalls beschrieben,
aber keineswegs erlebt werden. Akustische und visuelle Kommunikationselemente
haben sich mit der Entwicklung elektronischer Medien zwar etabliert, das geschriebene Wort dominiert aber nach wie vor unser Rezeptions- und Kommunikationsverhalten in vielen Bereichen, vor allem aber in der Bildung und Weiterbildung. Das
Buch ist nach wie vor ein elementares Bildungswerkzeug unserer Gesellschaft, auch
wenn es mittlerweile von Pädagogen wie beispielsweise Wim Veen durchaus hinterfragt wird, und McLuhan bereits in den 1960er Jahren einen Wertewandel feststellte,
der die Bedeutung des geschriebenen Wortes beeinflussen sollte:
„It is true that there is more material written and printed and read today than ever
before, but there is also a new electric technology that threatens this ancient technology of literacy built on the phonetic alphabet. Because of its action in extending
our central nervous system, electric technology seems to favor the inclusive and
participational spoken word over the specialist written word. Our Western values,
built on the written word, have already been considerably effected by the electric
media of Telefon, radio and tv.“ (McLuhan 1964, S.89)
Auch wenn mit dem Einläuten des elektronischen Medienzeitalters eine Veränderung
der menschlichen Kommunikation einhergehen muss – die jahrhundertelange Tradition des geschriebenen Wortes hat nach wie vor einen großen Einfluss auf unser
Verhalten. Reporter erleben häufig, dass Menschen, die sie auf der Straße interviewen, mit ihnen in einer Form von „Schriftsprache“ kommunizieren. Sie scheint als die
„gehobene“ Sprache der „Bildung“ fest in der Gesellschaft verwurzelt zu sein, ebenso
wie die linearen Denkmuster, die mit dem Niederschreiben von Gedanken einhergehen. Der amerikanische Medienexperte Tony Schwartz hat dieses „schriftgeprägte“
16
Forschungsinteresse
Kommunikationsverhalten, das der durch die technische Revolution der Massenmedien geschaffenen Realität widerspricht, bereits in den 1970er Jahren beschrieben:
„Print has dominated our non face-to-face communications environment for the
past five hundred years. During this period, the information most valued by Western societies was communicated in a fixed form, with words following one after
another, left to right, on lines that proceeded down a page. (...) Linearity and a
strong visual orientation are not endemic to all cultures. A society that depends on
auditory communication for the exchange of messages will organize their ‘world’ in
a very different way from our own.” (Schwartz 1974, S.6ff)
Zweifellos muss davon ausgegangen werden, dass sich unsere kommunikativen
Fähigkeiten und Fertigkeiten in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert haben
und sicherlich auch noch verändern werden – das zeigen auch die drastischen Verhaltensunterschiede der Digital Natives und der Digital Immigrants5 – wie wir unsere
Welt und unsere Gedanken organisieren ist dennoch in den letzten Jahrhunderten
durch das geschriebene Wort geprägt worden. Man könnte also unterstellen, die
Schriftkultur habe bisher ein ganzheitliches Verstehen der Kommunikation verhindert
– was aber wäre gewesen, wenn am Anfang nicht das Wort gestanden hätte?
Der französische Arzt und Therapeut Alfred Tomatis plädiert für „eine Neuentdeckung der Welt mithilfe des Gehörsinns“. Auf die Urknall-Theorie referierend geht er
davon aus, dass der Klang der Beginn und der Anfang unseres Universums sei.
„Der Klang erschafft sich seine Umgebung, organisiert sie und gibt ihr Form. Er
verändert die dynamische Struktur ihrer Moleküle, indem er ihr einen Tanz der
Klangvariationen aufzwingt. Ganz ohne Frage verändert sich die Luft, wenn sie
aus der Stille heraus von Schallwellen in Bewegung gesetzt wird. Wenn wir erst
einmal an diesem Punkt angelangt sind, schließen sich unweigerlich bestimmte
5
Als Digital Natives werden Menschen bezeichnet, die nach 1980 und somit im digitalen
Zeitalter geboren wurden und den Computer als selbstverständlich betrachten. Sie
unterscheiden sich im Umgang mit den digitalen Medien deutlich von den Digital
Immigrants, die sozusagen erst in das digitale Zeitalter „hineinwachsen“ mussten und
sich dabei häufiger überfordert fühlen (vgl. u.a. Frieling 2010; Tapscott 2009 oder
Palfrey/Gasser 2008).
17
Wissenschaftliche Motivation
Schlußfolgerungen an, und tatsächlich bildet sich hier eine Leitidee heraus, (…):
Der Klang ist der Ursprung allen Lebens.“ (Tomatis 1996, S.11f)
Ist der Klang der Ursprung unseres Lebens und unserer Erkenntnis und damit dem
Wort überlegen? Und: Welche Rolle spielt dann letztendlich das Bild, dessen Dominanz in den letzten Jahren in einigen kommunikationswissenschaftlichen Arbeiten
formuliert worden ist?
Die Welt hängt davon ab, welches Bild wir uns von ihr machen, und wir davon,
welches Gesicht sie daraufhin uns zukehrt.“ (Pörksen 1997, S.96)
Durch die Entwicklung elektronischer Medien hat vor allem die Bildkommunikation
(auf Plakaten, Logos, im TV und im Internet) verstärkt wissenschaftliches Interesse
auf sich gezogen. Gottfried Boehm kritisierte in den 1990er Jahren sogar, dass sich
neben der Sprachwissenschaft keine adäquate Wissenschaft der Bilder entwickelt
hätte (vgl. Boehm 2001). Manche Wissenschafter vertreten die Ansicht, dass unsere
Sinne quasi Prioritäten setzen, und das Sehen dem Hören überlegen sei:
„Am Anfang des menschlichen Fühlens und Denkens steht das Bild und nicht die
Sprache.“ (Schuster 2002, S.24)
Am Anfang war das Wort – nun kommt das Bild hinzu. Wir möchten uns von allem
„ein Bild machen“ und vernachlässigen wiederum die ganzheitlichen Zusammenhänge unserer Sinne. Schusters Aussage berücksichtigt jedoch nicht, dass der Mensch
– wie übrigens viele Säugetiere – in einem frühen Entwicklungsstadium ein deutlich
besseres Hör- als Sehvermögen besitzt. Es könnte daher auch heißen: „Am Anfang
des menschlichen Fühlens und Denkens steht der Ton und nicht die Sprache.“ Dass
Schuster diesen Satz nicht so formuliert hat, ist ein weiteres Indiz dafür, dass akustische Reize in wissenschaftlichen Betrachtungen – und vor allem in der Kommunikationswissenschaft – bisher eine untergeordnete Rolle gespielt haben. (Im Übrigen
muss die Sprache auch nicht automatisch mit Wörtern verbunden sein – mittlerweile
18
Forschungsinteresse
hat sich der Begriff Bildersprache ja bereits etabliert, ebenso wie Konzepte der Körpersprache.)
Letztlich soll hier aber nicht versucht werden menschliche Kommunikationsmöglichkeiten und die dazugehörigen Sinneswahrnehmungen in Konkurrenz zu setzen.
Worte, Töne und Laute, Bilder, Gerüche, Geschmacksempfindungen, ertastete Eindrücke – sie alle spielen für die menschliche Kommunikation und in weiterer Folge
für das Verstehen unserer Umwelt und uns selbst eine Rolle. Es ist davon auszugehen, dass jegliche Reduktion der Kommunikation, die nur einen unserer Sinne und
die zugehörigen zahlreichen Ausdrucksmittel vernachlässigt, zu keiner annährend
vollständigen Betrachtung unserer kommunikativen Möglichkeiten führen kann.
Demnach kann auch Tomatis, der den Klang an den Anfang der Existenz setzt, nicht
den Anspruch erheben, einen „Weg“ zur Erkenntnis gefunden zu haben, ebenso
wenig wie die Verfechter einer „Bilder Wissenschaft“. Mit der Entwicklung der Sprache haben wir gezeigt, wie komplex Kommunikationsmittel verwendet werden können. Lernen wir mehr auf alle unsere Sinneswahrnehmungen zu achten und damit
weitere kommunikative Fähigkeiten auszubauen, erweitern wir damit unsere Erkenntnismöglichkeiten.
Möglicherweise haben die Sinne eine unterschiedliche Wertigkeit, doch bevor ihnen
diese zugeschrieben werden kann, besteht noch ein umfassendes Forschungsdesiderat. Aus heutiger Sicht scheint noch nicht einmal eine befriedigende Einteilung
aller menschlichen Sinne vorgenommen worden zu sein. Während im allgemeinen
Sprachgebrauch häufig von fünf Sinnen gesprochen wird – Fernsinne: Sehen und
Hören, Nahsinne: Tasten und Schmecken dazwischen befindet sich das Riechen
(vgl. Diaconu 2005, S.17) – untersuchen Physiologen auch den Gleichgewichtssinn,
19
Wissenschaftliche Motivation
Temperatursinn, das Schmerz- und Körperempfinden Biologen untersuchen das
Phänomen, dass Tiere offenbar Erdbeben oder elektromagnetische Wellen sinnlich
wahrnehmen können Esoteriker sprechen vom „sechsten“ Sinn als intuitive Kraft und
der Pädagoge und Anthroposoph Rudolf Steiner unterscheidet bereits 12 Sinne (vgl.
u.a. Steiner 1998).
Geht man davon aus, dass die Kommunikation ein komplexes Zusammenspiel aller
unserer verfügbaren Sinne darstellt, dann fehlen elementare Forschungen in der
Kommunikationswissenschaft, die nur durch eine interdisziplinäre, bzw. transdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Disziplinen stattfinden können. Wie in Kapitel II 1.2 beschrieben wird, ist es
unmöglich die Wirkung eines kommunikativen Reizes zu erforschen, solange die
unterschiedlichen sinnlichen Rezeptionskanäle noch nicht definiert worden sind. Am
Anfang kann also nicht nur das Wort stehen – am Anfang menschlicher Erkenntnis
steht der Mensch, mit seinen gesamten Fähigkeiten.
Kapitel I - Forschungsinteresse
Davon ausgehend, dass die menschliche Kommunikation ein Konglomerat aller
verfügbaren Sinne darstellt, soll hier ein in unserer neuen Kommunikationsinfrastruktur häufig eingesetzter sinnlicher Reiz betrachtet werden: der akustische. Dass das
Erkenntnisinteresse vieler Kommunikationswissenschaftler mittlerweile neben der
Sprache auch das Bild mit einbezieht (und teilweise sogar vorzieht) und von einem
„Iconic“ oder auch „Pictorial Turn“ (vgl. u.a. Mitchell 1992) gesprochen wird, ist – wie
bereits erwähnt – nur ein kleiner Schritt zum besseren Verstehen unserer Kommunikation, und damit auch der von uns geschaffenen medialen Infrastruktur. In dieser
20
Forschungsinteresse
Arbeit soll jedoch kein „Acoustic Turn“ beschrieben werden, denn elektronische Medien transportieren mehr als akustische Stimuli, mehr als visuelle Reize, mehr als
gesprochene Information – sie vermitteln uns bestimmte Gefühle und treffen uns auf
einer breiteren emotionalen Ebene, als uns das häufig bewusst ist:
„(…) the pysical and structural characteristics of media exert greater control over
our ideas and institutions than the content we receive from them. Media extend
our sense into the world about us and structure our ways of learning, understanding and communicating.” (Schwartz 1974, S.81)
Als Kommunikationswissenschaftler befinden wir uns häufig in der Situation mit neuen Technologien und veränderten „Kommunikationsinfrastrukturen“ (vgl. Hartmann
2003) umgehen zu müssen, diese erklären und ihre Wirkungen verständlich machen
zu wollen.
„Ist der Mensch tatsächlich das „Maß aller Dinge“ in dem Sinne, wie Uwe Pörksen
die Annahme der alten Griechen interpretiert. Nämlich als „erkenntnistheoretische
Einsicht, (...) alles Erkannte hat das Maß der Erkennenden“ (Pörksen 1997, S.94),
so müsste ein Verstehen, der von uns selbst implizierten Kommunikationskultur
und der neuen „Kommunikationsinfrastruktur“ (vgl. Hartmann 2003) zwingend
stattfinden können.“ (Hofmeister 2008, S.4)
Davon ausgehend, dass wir selbst für die Wahl der Kommunikationsmittel und die
Kommunikationsinfrastruktur verantwortlich sind und wir daher als „Maß der Dinge“
gelten, haben wir offenbar das Maß der uns möglichen Erkenntnis noch nicht erreicht
– sonst würden wir uns zahlreiche aktuelle Fragen (sei es im Bezug auf die Wirkungsforschung, die persuasive Kommunikation oder auch die biologischen Auswirkungen6) nicht stellen.
Der Amerikaner Barry Truax hat, als einer der wenigen, versucht, sich systematisch
mit der akustischen Kommunikation, die sich in den letzten Jahren durch die „elec-
6
Der niederländische Pädagoge Wim Veen beschäftigt sich u.a. mit den Auswirkungen
digitaler Medien auf unser Hirn (Veen/Vraking 2006).
21
Wissenschaftliche Motivation
troacoustic technology“ stark verändert hat, auseinanderzusetzen. Wenn auch seine
Arbeit hauptsächlich künstlerisch motiviert zu sein scheint und letztendlich ein Plädoyer für seine eigene elektro-akustische Kompositionsarbeit darstellt, so kritisiert er
doch zurecht, dass die Akustik in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung
bisher eher stiefmütterlich behandelt worden ist:
„In short: what affects us most is what we seem to know the least about.“ (Truax
2000, S.XVII)
In der vorliegenden Arbeit wird versucht, relevante Gesetzmäßigkeiten der akustischen Kommunikation zu beschreiben und dadurch die Kommunikationsforschung
aus einem anderen Blickwinkel – einem nicht sprach- oder wortgeprägten – zu betrachten (sofern das innerhalb unserer schriftgeprägten Kultur mit Worten überhaupt
möglich ist). Das hier entstehende Spannungsfeld liegt in der Tatsache, dass in einer
schriftlichen Form und nach traditionellen Kriterien einer „schriftgeprägten“ wissenschaftlichen Bildungskultur, genau diese in Frage gestellt wird.
Je komplexer unsere Kommunikationsinfrastruktur wird, desto größer werden die
Herausforderungen an Medienmacher, Rezipienten und Wissenschafter. In den
letzten Jahren hat die Kommunikationswissenschaft immer wieder versucht, gegenwärtige Phänomene und ihre Bedeutung für die Zukunft zu erforschen. Dabei sollte
auch ein Blick auf die Vergangenheit, die stets das gegenwärtige Fundament bildet,
geworfen werden. Allerdings ist in diesem Fall damit nicht die Aufarbeitung historischer Ereignisse gemeint, sondern die grundsätzliche Betrachtung menschlicher
Kommunikation, das Hinterfragen bestehender Kommunikationsmodelle und auch
ihrer Gültigkeit innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur. Wie bereits oben
kritisiert, haben in der Vergangenheit nicht alle kommunikationsrelevanten Mittel
ihren Eingang in die Kommunikationsforschung gefunden. Sprache und Bild sollen
22
Forschungsinteresse
daher in dieser Arbeit um einen wichtigen Aspekt ergänzt werden: den Ton – die
Akustik.
Aufbauend auf neurowissenschaftlichen, entwicklungspsychologischen und musikpsychologischen Erkenntnissen soll ein kommunikationswissenschaftlich funktionales
Modell von Audiotypen generiert werden, um ein ganzheitlicheres Verständnis von
Kommunikation und kommunikationsrelevanten akustischen Reizen ansatzweise zu
ermöglichen und einen Zugang für weitere Wirkungsforschungen zu schaffen. Letztendlich soll diese Arbeit der Anstoß sein, eine Art „akustisches Alphabet“ zu entwickeln und damit die Komplexität unserer Kommunikationsfähigkeiten zu erweitern.
Es wurde nunmehr häufig erwähnt, dass ein ganzheitliches Verstehen menschlicher
Kommunikation alle Sinne und Ausdrucksmöglichkeiten erfassen muss, daher ist die
Betrachtung der Akustik auch nur als Teilbereich zu verstehen. Im 17. Jahrhundert ist
der Reformpädagoge Johann Amos Comenius bereits für eine sinnliche Gesamtbildung des Menschen eingetreten:
„`Alles soll wo immer möglich den Sinnen vorgeführt werden, was sichtbar dem
Gesicht, was hörbar dem Gehör, was riechbar dem Geruch, was schmeckbar dem
Geschmack, was fühlbar dem Tastsinn(…)` (Comenius, in Helmes/Köster Hg.
2002:51) (…)Der Pädagoge suchte nach Formen der Vermittlung, welche die konkrete Anschauung der abstrakten textlichen Darbietung vorzog, denn Bildung
braucht Vorbilder und sinnliche Demonstration.“ (Hartmann 2008, S.28)
Bezüglich haptischer, olfaktorischer und anderer Kommunikationselemente gibt es
also ein großes, erkenntnistheoretisches Forschungsdesiderat, das im Rahmen dieser Arbeit aber nicht weiter berücksichtigt werden kann.
23
Wissenschaftliche Motivation
I-1 Wissenschaftliche Motivation
Eine theoretische Implementierung akustischer Kommunikationselemente in der
Kommunikationswissenschaft soll mit der Entwicklung eines Konzepts über Audiotypen erreicht werden (Theoretisches Motiv).
Ausgehend davon, dass die von Lippmann bereits 1922 beschriebenen Stereotypen
(Lippmann 1922 in Petersen/Schwender 2009) und die sich darauf beziehenden
Konzepte visueller Stereotypen (Petersen/Schwender 2009) oder auch Visiotypen
(u.a. Pörksen 1997; Müller 2003; Hartmann 2003; Marquardt 2005) auf Konzepten
zur Komplexitätsreduktion unserer Umwelt beruhen und unter Berücksichtung entwicklungspsychologischer und musikpsychologischer Erkenntnisse, Hörgewohnheiten und Hörfunktionen, sowie phonetischer Theorien bezüglich der „Vocal Stereotypes“ (Kramer 1964; Weirich 2010) und auch der von Truax entwickelten „Sound
Symbols“ (Truax 2001), sollen auditive Reize definiert und kategorisiert werden. Zwar
ist anzunehmen, dass diese Kategorisierung bis zu einem gewissen Grad eine Einschränkung der auditiven Realität darstellt, allerdings soll die Komplexität auditiver
Phänomene durch diese Einteilung in prägnante Gruppen leichter erfassbar gemacht
werden und einen erkenntnistheoretischen Zugang innerhalb der gegenwärtigen
„schriftgeprägten“ Kultur ermöglichen.
Die Entwicklung einer Theorie von Audiotypen soll also die Betrachtung kommunikationswissenschaftlicher Phänomene, die im Bereich der akustischen Wahrnehmungen liegen, vereinfachen (Instrumentelles Motiv).
Durch die Beschreibung emotionaler und persuasiver Wirkungsmuster, die durch
akustische Reize entstehen, soll eine Transparenz für Rezipienten und Produzenten
24
Forschungsinteresse
akustischer Inhalte geschaffen werden (Advokatives Motiv). Darüber hinaus sollen
auch Gestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt werden (Therapeutisches Motiv).
I-2 Erkenntnisinteresse
Das Konzept der Stereotypen und der Visiotypen gilt nur als pragmatisches Gerüst,
welches dialektisch materialistisch diskutiert wird. Die bisherige Vernachlässigung
akustischer Kommunikationselemente verlangt jedoch nach einer klaren theoretischen Implementierung, die es nunmehr zu entwickeln gilt. Vor allem akustische
Phänomene, die in bestimmten Gesellschaften und Kulturkreisen eine gemeinsame
Konnotation erfahren, sollen betrachtet werden.
In diesem Sinne gibt es sowohl ein praktisches Erkenntnisinteresse, dass laut Habermas, als „Sinnverstehen (…) den Zugang zu den Tatsachen bahnt“ (Habermas
1969, S.155ff) und ein emanzipatorisches Erkenntnisinteresse, welches bestehende
Hypothesen kritisch hinterfragt. Das Bewusstsein der Kommunikationswissenschaft
als Sprachwissenschaft an sich wird in Frage gestellt und eine Erweiterung des
Blickwinkels auf andere Sinneswahrnehmungen in interdisziplinärer Zusammenarbeit
in Betracht gezogen.
I-3 Forschungsfrage
Was können Modelle, die die Wissenschaft anbietet, leisten um Kommunikationsprozesse durch akustische Reize, verständlicher zu machen?
Weiterführende Fragen
•
Welchen Zweck erfüllen Töne und Musik für die menschliche Kommunikation?
•
Welche Rolle spielen kulturelle und gesellschaftliche Hintergründe bei der
Decodierung akustischer Reize?
25
Methode
•
Wie wirkt sich die moderne Kommunikationsinfrastruktur auf die akustische
Kommunikation aus?
I-4 Methode
Aufarbeitung des Theorie- und Kenntnisstandes von Wahrnehmungskonzepten unter
besonderer Betrachtung der Stereotypen und Visiotypen als komplexitätsreduzierende Erkenntniskonzepte sowie der Musikwissenschaft und der funktionellen Klangforschung als Vorbereitung für die Entwicklung eines hypothetischen Konzeptes von
Audiotypen als kommunikationswissenschaftlich relevante Komponente menschlicher Verständigung und Entwicklung innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur.
Kapitel II - Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
II-1
Herausforderungen innerhalb und außerhalb der
neuen Kommunikationsinfrastruktur
„Ask someone raised in the religious traditions of the Western world to describe
God, and this (…) might be the answer: „God is all-knowing and all-powerful. He is
a spirit not a body, and He exists both outside and within us. God is (…) everywhere. We can never fully understand Him, because He works in mysterious
ways.“ In broad terms this describes the God of our fathers, but it also describes
electronic media, the second god, which man has created.“ (Schwartz 1983, S.1)
Die neue Kommunikationsinfrastruktur als „moderne Kirche“ – in der wir vor dem
Fernseher oder dem Computer unserem „neuen Gott“ huldigen. Einem Gott, der uns
in verschiedenen bunten Gestalten in unterschiedlichen Welten erscheint: Von einem
mit Comic-Elementen verzierten Dieter Bohlen bis einem weich gezeichneten
George Clooney, von einer von Imageberatern neu gestylten Angela Merkel bis zu
26
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
einer im Tonstudio optimierten Whitney Houston, von computeranimierten Weltkriegsszenarien bis zur virtuellen Liebesgeschichte im „social network“. Tony
Schwartz hat die elektronischen Medien bereits in den 1980er Jahren als allgegenwärtig und gottesgleich beschrieben. Und zahlreiche Untersuchungen zum Mediennutzungsverhalten scheinen ihm Recht zu geben (siehe Abb1.)
1)
Zeitbudget für audiovisuelle Medien
Personen ab 14 Jahre, 5.00 bis 24.00 Uhr, Montag bis Sonntag, in Minuten pro Tag
2000
2005
2006
2007
2008
2009
Radio gesamt
209
193
186
186
176
177
Männer
217
201
194
192
183
180
Frauen
202
186
179
180
169
175
10-19 Jahre
81
84
14-19 Jahre
144
109
108
95
96
99
20-29 Jahre
218
172
155
172
163
157
30-39 Jahre
241
217
212
199
190
181
40-49 Jahre
238
231
214
215
218
206
50-59 Jahre
227
216
219
214
200
216
60-69 Jahre
201
196
197
193
193
205
70 Jahre +
145
155
147
163
154
165
Fernsehen gesamt
187
202
202
192
189
193
Männer
179
191
193
181
182
187
Frauen
193
211
210
202
197
198
10-19 Jahre
140
144
14-19 Jahre
162
161
152
155
149
154
20-29 Jahre
153
166
173
158
153
159
30-39 Jahre
160
177
173
166
164
165
40-49 Jahre
171
187
183
177
177
177
50-59 Jahre
192
200
205
198
198
199
60-69 Jahre
229
240
244
230
232
238
70 Jahre +
239
256
255
243
253
257
Video gesamt
2
4
4
4
4
4
Männer
2
5
5
4
5
4
Frauen
2
3
3
3
4
3
10-19 Jahre
8
7
14-19 Jahre
4
10
9
9
9
8
20-29 Jahre
4
10
9
8
9
8
30-39 Jahre
3
5
5
4
6
5
40-49 Jahre
2
3
3
3
4
3
50-59 Jahre
1
2
2
3
3
2
60-69 Jahre
1
1
1
1
1
2
70 Jahre +
1
1
1
1
1
1
2)
Tonträger gesamt
22
30
30
32
34
32
Männer
23
31
32
34
34
33
Frauen
21
30
28
31
34
32
10-19 Jahre
79
71
14-19 Jahre
50
79
78
94
97
85
20-29 Jahre
49
61
61
67
69
62
30-39 Jahre
25
35
33
37
35
37
40-49 Jahre
20
27
25
25
27
28
50-59 Jahre
13
19
21
18
20
20
60-69 Jahre
9
12
12
13
14
12
70 Jahre +
5
7
9
9
9
9
3)
AV- Medien gesamt
425
465
458
453
453
456
Männer
431
476
471
463
468
466
Frauen
420
455
445
444
440
447
10-19 Jahre
359
354
14-19 Jahre
367
394
392
399
412
409
20-29 Jahre
438
469
455
466
474
469
30-39 Jahre
438
487
475
458
468
465
40-49 Jahre
437
499
479
473
490
480
50-59 Jahre
435
481
486
475
474
490
60-69 Jahre
437
462
463
452
461
475
70 Jahre +
387
422
415
420
421
435
Basis: ma 2000 bis ma 2007: D14+; seit ma 2008: D+EU 10+
1) Ab 2000 Befragung mit CATI-Technik (computerunterstützte Telefonbefragung) durchgeführt, deshalb nur bedingte Vergleichbar2) Schallplatte, Kassette, CD, Tonband.
3) Ab 2000 einschl. PC.
Quelle: Media-Analyse.
Abb.1
Wir verbringen unglaublich viel Zeit vor Computer, Fernseher und Co., lediglich das
Radio hat in den letzten Jahren auffallend unter dem Verlust unserer Aufmerksamkeit
gelitten. Betrachtet man jedoch die vielfältige Konkurrenz medialer Neuentwicklun-
27
Herausforderungen innerhalb und außerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur
gen, so ist das Interesse am Hörfunk nach wie vor beachtlich (vgl. u.a. Schramm
2004, S.443ff).
Natürlich lässt sich Gott – oder der Glaube an Gott nicht einfach abschalten wie ein
Fernsehprogramm, und wahrscheinlich wird er auch nicht so schnell ausgetauscht
wie eine in Ungnade gefallene Lieblingsserie – insofern wirkt natürlich der Vergleich
von Tony Schwartz etwas übertrieben. Andererseits scheint die Macht der Medien
mit der Macht der Religion durchaus konkurrieren zu können (letztendlich waren sie
von jeher eng miteinander verbunden).
Elektronische Medien haben nicht nur unseren Alltag verändert, indem sie unsere
Aufmerksamkeit zusehends mehr an sich binden, sie verändern unsere Umwelt, und
letztendlich auch uns selbst und unser Wertesystem.
„Dass Medien an der Schaffung von Wirklichkeit und an der Gestaltung von Kommunikationsprozessen beteiligt und als Instanz der Sozialisation zu berücksichtigen sind, steht heute außer Zweifel.“ (Hug in Vollbrecht/Wegener 2010, S.32)
Einige Medienkritiker haben dabei einen sehr pessimistischen Blickwinkel und glauben, dass der Wertewandel, der sich im Medienzeitalter vollzogen hat, einem Werteverfall gleichzusetzen ist (vgl. u.a. Postmann 1985). Die Medien werden auch häufig
als Bedrohung des freien Willens betrachtet, da sie durch ihre Manipulationsmacht
unser Denken und unseren Blick auf die Realität verändern sollen (vgl. Traux 2001).
Eine derart komplexe gesellschaftliche Veränderung, wie sie seit Mitte des letzten
Jahrhunderts stattgefunden hat, klar zu beurteilen, erscheint jedoch angesichts der
beinahe unbegrenzten Diversität der Wirkungsmöglichkeiten, unmöglich.
Während nun Naturwissenschaftler unter anderem damit beschäftig sind, den genetischen Code des Homo sapiens zu knacken, die Rätsel seines Körpers zu erklären
und die Geheimnisse seiner Gehirnfunktionen zu entschlüsseln, befinden wir uns
28
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
nach Ansicht einiger Geisteswissenschaftler sogar bereits auf einer neuen Evolutionsstufe, die sich durch den zunehmenden Medienkonsum in unserer Gesellschaft
entwickelt haben soll. Der niederländische Pädagoge Wim Veen beschreibt die im
digitalen
Medienzeitalter
aufgewachsene
Generation
als
„Homo
Zappiens“
(Veen/Vraking 2006) und diskutiert neurologisch nachweisbare Veränderungen in der
Hirnstruktur. Laut Veen haben „Homo Zappiens“ eine veränderte Form der Informationsverarbeitung und -speicherung entwickelt. Damit unterstellt er implizit eine biologische Überforderung „älterer Gehirne“ in der neuen Kommunikationsinfrastruktur.
Gegen diese Annahme spricht freilich die stetige Zunahme der sogenannten Silver
Surfer (über 60-Jährige) im Netz, die 2008 in Deutschland sogar mit über 5 Millionen
Usern die Gruppe der 14 bis 19-Jährigen überholt haben sollen (Schäffer 2010,
S.121). Allerdings muss zweifellos davon ausgegangen werden, dass die Generation
der Digital Natives anders mit den neuen Medien umgeht als die Digital Immigrants
(vgl. Plafrey/Gasser 2008). Die Annahme, dass Menschen im sich rasant bewegenden Informationszeitalter häufig kommunikativ überfordert sind, liegt jedoch nahe.
Diese These wird nicht nur von zahlreichen kommunikativen Missverständnissen
unterstützt, die uns tagtäglich unser kommunikatives Unvermögen vor Augen führen,
sondern auch durch die signfikante Steigerung psychischer Erkrankungen, die auf
Überforderung zurückgeführt werden.7
Im Informationszeitalter leiden immer mehr Menschen, die sich eigentlich in einem
angenehmen Lebensumfeld befinden, unter psychischem Stress.
„Stress wird von Winkel (1979) als Überforderung bei zu starken und zu vielen
Außenreizen definiert. Die entstehende Überforderung kann Angst hervorrufen,
7
„(…) Etwa 500.000 Österreicher sollen unter einem behandlungsbedürftigen BurnoutSyndrom leiden und 1,5 Millionen gefährdet sein, „auszubrennen““ (Mayrhofer 2010)
29
Herausforderungen innerhalb und außerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur
das Gefühl der Überforderung kann aber auch durch Angst ausgelöst werden.
Wird eine Situation von einem Individuum als überfordernd bewertet und keine
Bewältigungsmöglichkeit gesehen, dann entsteht, wie von Krohne (1996) beschrieben, psychologischer Stress.“ (Steiner 2007, S.18)
Gehen wir davon aus, dass Überforderung einerseits durch das Fehlen vorhandener
Bewältigungsstrategien entsteht und andererseits durch emotionalen Stress (bspw.
Angst – dazu könnte auch die Angst etwas zu verpassen, oder die Angst, den dargestellten Idealen nicht zu entsprechen, gezählt werden) aufgrund starker, zahlreicher
Außenreize, dann wäre davon auszugehen, dass wir innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur permanenter Überforderung ausgesetzt sind.
Täglich erleben und beobachten wir durch elektronische Medien emotionale Ausnahmesituationen: Brutale Gewalt, Demütigungen, überschwängliche Freude, verklärte Romanzen etc. und wir leben in einer Welt ständiger Interaktion (viele Berufsgruppen sind 24 Stunden täglich telefonisch erreichbar, dazu kommen häufig Verpflichtungen im Social Network). Zweifellos haben wir bereits zahlreiche Bewältigungsstrategien entwickelt um mit den hohen Anforderungen und der Überinformation umzugehen – letztendlich stoßen wir aber auch häufig auf unsere Grenzen. Bilder, die uns zum Weinen bringen, Computerprogramme, die uns zur Verzweiflung
bringen, Senderprogrammierungen die uns die Qual der Wahl lassen oder Berichte,
die uns bis aufs Blut ärgern sind Zeugen eines emotionalen Drucks innerhalb der
neuen Kommunikationsinfrastruktur. Selbst die Kommunikation im privaten Umfeld
wird durch neue Erwartungshaltungen im Social Network geprägt und auch bewertet:
Mit „I like“ oder „dislike“ wird bspw. auf Facebook kommentiert, welche persönlichen
Meinungen oder Handlungen sozial erwünscht oder unerwünscht sind.
30
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
II-1.1
Emotion vor Information
Überfordert uns nun aber die Komplexität der – durch elektronische Medien und
technische Entwicklungen sich rasant verändernden – neuen Kommunikationsinfrastruktur oder überfordert uns intensive Kommunikation a priori?
Möglicherweise beides gleichermaßen und gleichermaßen nicht. Der Satz: „Wir müssen reden“ kann uns je nach Kontext in psychischen Stress versetzen, oder ein angenehmes Gefühl auslösen, weil damit signalisiert wird, dass sich jemand Zeit für ein
Gespräch mit uns nimmt. So wie ein Vortrag vor einer Gruppe von Menschen, ein
persönliches Gespräch mit einem Arbeitskollegen oder eine klärende Aussprache mit
einem Freund uns kommunikativ lediglich fordern aber auch gegebenenfalls überfordern können, so gilt das auch für den Gebrauch elektronischer Medien, sei es nun
als Rezipient oder aber auch als Produzent.
Als geeignete Bewältigungsstrategien haben sich unterschiedliche Methoden offenbar bewährt: wir reduzieren, simplifizieren und/oder verdrängen, und als „Gewohnheitstiere“ wenden wir eine einmal erfolgreich bewährte Bewältigungsstrategie immer
wieder neu an.
„Dieses Phänomen ist im Bereich der Techniknutzung längst bekannt. So gibt es
beispielsweise im Anlagenbau technologisch hochentwickelte Maschinen und Systemkomponenten, die eine Fülle von unterschiedlichen Funktionen erfüllen können, von denen aber in der Praxis nur 50 Prozent ihrer Potentiale ausgeschöpft
werden, weil die Systemnutzer die sich bietenden vielfältigen Einsatzmöglichkeiten entweder nicht kennen oder auf Grund von Gewohnheiten und Traditionen
immer wieder ein spezifisches Problemlösungsverfahren favorisieren (…).“ (Thomas 2005 S.9)
Was Thomas als Gewohnheit oder Tradition beschreibt, steht womöglich als Emotion
(bspw. dem Gefühl der Sicherheit durch Gewohnheit oder Tradition) einem technischen Know How, einer Information, gegenüber.
31
Herausforderungen innerhalb und außerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur
Entscheidend mutet hier die Bedeutung emotionaler Aspekte an. Denn offenbar
scheinen Überforderungen innerhalb einer Kommunikationssituation und auch innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur häufig eine emotionale Dominanz zu
haben, ebenso wie die nicht gelesene Informationsaufnahme an sich ein hohes Maß
an Emotionalität aufweist.
„Ergebnisse der Hirnforschung zeigen, dass bei der Informationsaufnahme durch
Lesen andere Hirnregionen aktiv sind als bei der Informationsaufnahme durch
Fernsehen (vgl. Pöppel 1996). Auch moderne >Dual-Processing< - Theorien der
Informationsverarbeitung, etwa das >Elaboration-Likelihood-Modell< (ELM) gehen
davon aus, dass durch audiovisuelle Präsentation eine >periphere< Informationsverarbeitung gefördert wird, bei der die Eigenschaften des Redners in den Mittelpunkt rücken, während von der Botschaft selbst abgelenkt wird (vgl. Petty/Cacioppo 1986).“ (Petersen/Jackob/Roessing in Petersen/Schwender 2009,
S.170)
Das bedeutet letztendlich: Immer dann, wenn eine Kommunikationssituation mehr als
einen Rezipienten mit einem Stück Papier (oder einem Bildschirm mit Text) umfasst,
immer dann, wenn visuelle, akustische Komponenten (und auch andere Sinnesreize)
an der Informationsaufnahme stärker beteiligt sind, scheint das Prinzip „Emotion vor
Information“ (Hofmeister 2010, S.1) zu gelten. Die Gefühle, die der Sender der Botschaft und das Kommunikationsumfeld im Rezipienten hervorrufen, werden im Informationsverarbeitungsprozess offenbar tendenziell höher bewertet als der sachliche
Inhalt. Und das gilt augenscheinlich nicht nur für die reichhaltigen Sinneserfahrungen
die durch das Fernsehen ermöglicht werden. Petersen, Jackob und Roessing unterstellen zugleich, dass dieser emotional dominierte Aufnahmeprozess häufig als
oberflächliche, „periphere“ Informationsaufnahme zu verstehen ist, weil die emotionalen Komponenten höher bewertet werden als die inhaltliche Botschaft selbst. Es darf
jedoch angenommen werden, dass viele Produzenten einer Botschaft sich mittlerweile der emotionalen Wirkungen in ihrem Kommunikationsumfeld durchaus bewusst
sind. Also sind eben oft auch genau diese emotionalen „Nebenschauplätze“, wie
32
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
bspw. die Eigenschaften des Redners, Teil einer Botschaft (ein Politiker im SteirerAnzug, der damit Volksnähe demonstriert; eine Moderatorin mit rauchiger Stimme
und tiefem Ausschnitt, die eine langweilige Firmenveranstaltung aufpeppen soll; ein
alternder Hollywoodstar, der noch immer besser kämpfen kann als seine jungen
Gegner, und damit die Werte einer Leistungsgesellschaft, in der man auch im Alter
noch über sich hinauswachsen soll, hochhält etc.). Und ob diese vermeintlich emotionalen Oberflächlichkeiten (Tracht, Ausschnitt, alter Muskelprotz) tatsächlich nur
eine „periphere“ Wirkung auf die Rezipienten haben, darf bezweifelt werden.
Möglicherweise berührt uns die geschriebene Sprache also emotional weniger als
andere Sinneseindrücke (wobei es hier sicherlich je nach Kontext und Konnotation
Ausnahmen gibt, wie beispielsweise Liebesbriefe, Abschiedsbriefe, amtliche Schreiben mit großer Auswirkung auf unser Lebensumfeld etc.). Mit Sicherheit unterscheidet sich die kommunikative Qualität eines Textes von der eines Bildes, eines bewegten Bildes oder eines Tons usw.
Die Kulturwissenschaftlerin Editha Marquardt beschreibt die unterschiedlichen Wahrnehmungsprozesse kommunikativer Reize bei ihren Betrachtungen zu Visualisierungskonzepten von landschaftlichen Regionen:
„Wir haben es hier mit einer anderen Zugangsweise zur Welt als in Form der
Sprache zu tun. Während die Sprache eher Informationen über den Gegenstand
liefert, Alter, Größe und Name des Baumeisters oder eine Beurteilung des Gebäudes, so erhalten wir durch das Bild einen unmittelbaren Eindruck von ihm
selbst. Keine Größenangaben, keine Farbbeschreibung könnte ein Bild in dieser
Hinsicht ersetzen.“ (Marquardt 2005, S.15)
Ebenso wenig können andere Sinnesreize ersetzt werden, weder untereinander noch
durch die Sprache.
Unklar bleibt jedoch, wie bereits in der Einleitung erwähnt, die Wertigkeit der unterschiedlichen Sinneseindrücke im Rahmen unserer Wahrnehmung. Nicht zuletzt auch
33
Herausforderungen innerhalb und außerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur
deshalb, weil meist zahlreiche Sinnesreize innerhalb einer Kommunikationssituation
wirken und sie in ihrer Kombination bzw. Verschmelzung anders bewertet werden
müssen als einzeln.
Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive wurde u.a. bereits der Zusammenhang zwischen Bild und Text näher untersucht. Wobei hier die informative und
dadurch auch kategorisierende Wirkung des Textes als wichtiges Kommunikationselement Beachtung findet.
„So konnten für den Bereich der Werbung direkte Beeinflussungen der emotionalen Wahrnehmung von Bildern und Texten nachgewiesen werden (KROEBERRIEL 1996). Die Analyse der kommunikativen Wirkungsweise von Text, Bild und
Text-Bild-Relation in Anzeigen und Plakaten ergibt eine größere Textabhängigkeit
des Bildes als umgekehrt (SCHIERL 2001). Erst der Text stellt das Bild in einen
Kommunikationszusammenhang und ist damit für die Werbebotschaft unerlässlich. (…) Auf dieses Weise engen die Texte die Vieldeutigkeit des Bildes ein und
lenken die Bildwahrnehmung in eine bestimmte Richtung.“ (Marquardt 2005, S.25)
Die Sprache stellt sich also in diesem Fall als ein geeignetes Mittel zur Komplexitätsreduktion dar – sie kann emotionale Eindrücke sachlich zuordnen und in Kategorien
(traurig, lustig, ironisch, kämpferisch etc.) einteilen. Doch nicht immer erreichen uns
emotionale Eindrücke auf einer derart bewussten Ebene.
Petersen, Jackob und Roessing haben innerhalb eines Kooperationsprojekts zwischen dem Institut für Publizistik der Universität Mainz und dem Institut für Demoskopie Allensbach für den Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRds)
ein Experiment durchgeführt um zu erfahren „welchen Anteil an der Gesamtwirkung
eines Vortrags der Vortragstext, das Erscheinungsbild des Vortragenden sowie seine
Betonung und Gestik haben können.“ (Petersen/Jackob/Roessing in Petersen/Schwender 2009 S.163). In zwei Phasen (einem Feldexperiment mit zwei Gruppen zu je 500 Personen und einem Laborexperiment mit fünf Gruppen mit jeweils 31
34
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
bis 42 Versuchspersonen) wurde die Wirkung eines Textes über die Globalisierung
und die damit einhergehende positive Entwicklung für Deutschland untersucht.
„Demnach geht rund ein Fünftel der Gesamtwirkung, 22 Prozent, auf den Text
selbst zurück, 59 Prozent sind auf den mündlichen Vortrag als solchen zurückzuführen, Betonung und Gestik machen zusammengenommen ein weiteres Fünftel
(19%) der Gesamtwirkung aus.“ (Petersen/Jackob/Roessing in Petersen/Schwender 2009 S.168)
Vordergründig „trivial“ wirkende Kommunikationselemente (Gestik, Betonung, Aussehen, Kleidung des Redners etc.) spielen also, wie bereits erwähnt, eine deutlich
größere Rolle als der Inhalt der Botschaft selbst.
Aufgrund der Untersuchungsergebnisse von Petersen, Jackob und Roessing kann
davon ausgegangen werden, dass die Priorität emotionaler Reize, die letztendlich
auch ohne die reichhaltigen narrativen Gestaltungsmöglichkeiten elektronische Medien nachgewiesen werden konnte, kein Novum des Informationszeitalters darstellt.
Die Bedeutung emotionaler Informationsverarbeitung spielt innerhalb der neuen
Kommunikationsinfrastruktur insofern aber eine große Rolle, da die Reiz- und Manipulationsmöglichkeiten eines Kommunikationssenders durch die elektronischen
Medien drastisch erweitert worden sind. Es muss auch davon ausgegangen werden,
dass von den Rezipienten nicht jeder Reiz, der bei ihnen eine Reaktion hervorrufen
kann, tatsächlich bewusst wahrgenommen, und als solcher deutlich erkannt wird.
In diesem Zusammenhang sind Manipulationen in größerem Ausmaß möglich geworden. Innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur stehen emotionale Eindrücke offenbar vor inhaltlichen Analysen und erhalten eine deutliche Aufwertung in
unserem Bewertungsschema. Politiker werden gewählt weil sie ein gutes „Fernsehgesicht“ haben, schlanke Moderatorinnen in feinem Zwirn werden als „starke Frauen“
bezeichnet, die Reichen und Schönen als Gewinner unserer Gesellschaft gefeiert, zu
35
Herausforderungen innerhalb und außerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur
denen man neidisch aufsieht. Emotionale Dominanz verschiebt unsere Maßstäbe
(und häufig sind wir uns dessen nicht bewusst). So wird es möglich, dass der Chef
des Internationalen Währungsfonds Strauß Khan innerhalb nur einer Woche vor den
Trümmern seiner Karriere steht, weil er beschuldigt wird ein Zimmermädchen vergewaltigt zu haben. Die grausigen, emotionalen Details des sexuellen Missbrauchs
lösen in der Gesellschaft starke Reaktionen aus: „die Großen glauben, sie können
sich alles erlauben“ – es wird mit stereotypen Vorstellungen und Bildern gearbeitet.
Ähnlich wie im Fall Kachelmann (ehemaliger ZDF Wetterreporter, der wegen Vergewaltigungsvorwürfen monatelang deutsche Schlagzeilen gemacht hat) findet eine
mediale und gesellschaftliche Vorverurteilung statt noch bevor Fakten und Beweise –
sprich sachliche Informationen – analytisch betrachtet werden. Wenn Gerüchte,
massenmedial verbreitet, zu moralischen Verurteilungen führen können, die eventuell später widerlegt werden, könnte es nach mehreren, ähnlichen Vorfällen zu einem
Umschwung in der gesellschaftlichen Bewertung kommen – damit würde es für die
realen (möglicherweise unattraktiven) Opfer unpopulärer Täter immer schwerer zu
beweisen, dass ihnen tatsächlich Schreckliches widerfahren ist. Viel zu häufig werden stereotype Vorstellungen in den Medien benutzt um Gut und Böse zu definieren.
Die Regeln der Macht haben sich innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur
anscheinend verändert. Macht hat offenbar jener, der in den Medien gefällt oder
zumindest aufgrund seiner Eigenschaften die Quote steigert.
Der 1894 geborene Wirtschaftshistoriker Harold Adam Innis hat das manipulative
Machtpotential technischer Kommunikationsmittel bereits sehr früh angesprochen,
obwohl er den „digital turn“ (vgl. u.a.Tapscott 2009 oder Günther 2007) noch gar
nicht miterlebt hat:
36
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
„In dieser Form denkt Innis nicht einfach nur über die Bedingungen kulturellen
Wandels nach, sondern über Formen der Macht. Sie erschließen sich eben nicht
über die medial dargebotenen Inhalte; diese Archäologie der technischen Kommunikationsmittel folgt eher der Eigenlogik des Mediums, indem es sich auf die Effekte konzentriert, die das Medium in der Psyche einzelner Personen ebenso zeitigt wie in der Formierung des `Geistes` einer ganzen Gesellschaft. Diese Auffassung bricht natürlich radikal mit der geschichtsphilosophischen Vorstellung frei
handelnder Subjekte.“ (Hartmann 2000, S. 244)
Hier stellt sich jedoch die Frage: Ist es tatsächlich nur die „Eigenlogik des Mediums“,
die die Psyche der Menschen quasi emotional aufs Glatteis führt und die Individuen
nicht mehr frei handeln lässt (wobei vor allem die eingeschränkte Handlungsfähigkeit
eines Rezipienten sicher kein allgemeingültiges Phänomen sein kann, siehe II 1.2) –
oder ist das Prinzip: „Emotion vor Information“ grundsätzlich ein menschlicher Wesenszug, der sich nur in einer neuen Kommunikationsinfrastruktur neue Ausdrucksmöglichkeiten gesucht hat?
Die menschliche Geschichtsschreibung scheint voll zu sein von emotionalen Vorverurteilungen: Von der Verfolgung der Christen bis zur Hexenverbrennung – analytischlogische, sachliche Abwägungen haben die Massen nur selten bewegt. Offenbar hat
sich mit den neuen Medien aber nicht nur die Inszenierung verändert. Menschen und
die von ihnen geschaffen Medien scheinen sich gegenseitig zu beeinflussen:
„Man muß den „technologischen Wandel der Kommunikation“ den Innis so stark
betont hat, ernstnehmen, um zu erkennen, daß das Verhältnis von Medien und
Wirklichkeit nicht nur in dem Sinn besteht, daß die in einer Kultur verwendeten
Medien deren Realität formen und transformieren, sondern daß sie darin selbst ihre eigene Realität konstituieren.“(Hartmann 2000, S.244f)
In dem Sinne ist die Machtdiskussion und auch die Manipulationswirkung von Medien aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Nicht nur die Kommunikatoren, die
Medienmacher oder die den Auftrag erteilenden Produzenten scheinen über Macht
zu verfügen, sondern sie werden offenbar reziprok von ihrem geschaffenen Produkt
37
Herausforderungen innerhalb und außerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur
beeinflusst – das Medium selbst entwickelt nach Ansicht vieler Wissenschaftler ein
„Eigenleben“ und damit Macht über seinen „Schöpfer“.
„Ein Kommunikationsmittel ist immer auch mit einem Bildungsmonopol verbunden,
(…) mit der Mechanisierung des Wissen und einer systematischen Nutzung der
Monopole im Kommunikationswesen durch bestimmte Individuen und gesellschaftliche Gruppen schlägt ihre Fortschrittlichkeit in Rückschritt um: Verflachung
des Kulturniveaus, zunehmende Täuschungsmöglichkeiten durch gesteigerte Abbildbarkeit. Neue Medien haben eine zugleich destruktive wie konstruktive Seite.“
(Hartmann 2000, S.247)
Viele Journalisten kennen das Phänomen: Obwohl sie genau wissen, wie ihre Kollegen arbeiten, und wie manche Medienmacher vermeintliche Realitäten kreieren,
lesen sie eine Schlagzeile, sehen ein Titelbild oder einen TV-Bericht und erleben
eine erste emotionale Reaktion: Wirklich? Großartig! Interessant! Warum habe ich
das nicht herausgefunden? Erst in einer zweiten Reaktion wird ihnen bewusst, dass
die „Story“ so gar nicht stimmen kann, und meist auch keiner fachlichen Recherche
standhält. Diese Reaktion von Medienmachern ist ein Hinweis darauf, wie einfach
Medien eine emotionale Reaktion in uns hervorrufen. Es scheint fast so als könnten
wir – wider besseren Wissens – gar nicht anders reagieren. Im Hollywoodfilm „Wag
The Dog“, der sich unter anderem mit der medialen Massenbeeinflussung beschäftigt, fällt ein Satz in einem Dialog, der diese Situation treffend beschreibt: In Anspielung auf die Vorkommnisse während des Golfkriegs 1991 (vgl. u.a. Virilio 1997) wird
in einem Filmstudio eine Kriegsszene nachgespielt, die der amerikanischen Bevölkerung als reales Vorkommnis im Nahen Osten „verkauft“ werden soll, um einen Krieg
dort gesellschaftlich akzeptabel zu machen. Ein Mann im Film hat Zweifel, ob diese
im Studio inszenierte Geschichte von den Menschen tatsächlich als wahre Begebenheit akzeptiert wird und erhält als Antwort: „Ich habe es im Fernsehen gesehen!“
Tatsächlich ein stichhaltiges Argument. Wir glauben was wir sehen, oder zumindest
möchten wir es glauben. Denn wenn wir alles in Frage stellen würden, was unsere
38
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
Sinne uns als Realität anbieten, dann wäre das Leben sehr anstrengend, und wir
würden uns in paranoiden Denkmustern verlieren.
Die Medien führen uns laut Harold Adam Innis auf gedankliche Handelsrouten „trade
routes of the mind“ (Innis in Hartmann 2000, S.240). Hartmann interpretiert, dass
Innis der Kommunikation damit einen Herrschaftsanspruch einräumt:
„Es geht dabei um die Rolle der Verteilung von Wissen in Zeit und Raum. Medien
werden als materielle Träger der Kommunikation verstanden, welche die soziale
Welt formbildend und verhaltenssteuernd prägen. (…) Ihn interessiert die Materialität der Kommunikationsträger, genaugenommen die Art der Datenträger, und
welche Effekte ihr Einsatz in der sozialen Organisation bewirkt. Innis initiiert damit
eine Art Herrschaftstheorie der Kommunikation…“ (Hartmann 2000, S.240)
Ähnlich wie bei Schwartz wird hier von einer Allgegenwärtigkeit der Kommunikationsträger ausgegangen, die es vermag, die gesellschaftliche Ordnung zu verändern.
Und tatsächlich gehören mittlerweile Smartphones zu unserem Alltag, SMS und
Telefonate unterbrechen persönliche Gespräche oder werden in diese miteinbezogen. Unsere Realität hat sich verändert und wird virtuell ergänzt, wobei wir kaum
mehr zwischen einer realen und einer virtuellen Wirklichkeit unterscheiden. Wir
möchten Videos auf Computern, Infografiken auf Zeitungspapier und Bildern im
Fernsehen glauben, wenn wir sie sehen. Vor allem dann, wenn wir es mit einer „LiveÜbertragung“ zu tun haben – denn dann wird uns das Gefühl vermittelt, wir würden in
„Echtzeit“ (vgl. Virilio 1997) echte Handlungen beobachten.
Die Macht der Medien besteht also unter anderem darin, dass wir Dinge wahrnehmen, die uns auf einer emotionalen Ebene Wahrhaftigkeit suggerieren. Die affektive
Wirkung der dazupassenden Musik und Geräusche wird in dieser Arbeit noch deutlich beschrieben. Wie Hartmann bereits angesprochen hat, ist diese neue Kommunikationssituation einerseits destruktiv, weil wir dadurch leicht getäuscht werden können, andererseits sind aber auch die konstruktiven Komponenten von Massenmedi-
39
Herausforderungen innerhalb und außerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur
en nicht zu unterschätzen. Nicht nur, weil sich durch einen ethischen und verantwortungsvollen Gebrauch zweifellos positive Werte in einer Gesellschaft wirkungsvoll
unterstützen können (was wiederum auch einen manipulativen Charakter hat), sondern weil die neuen Medien verstärkt eine ganzheitliche Kommunikation fördern, wie
McLuhan das bereits angedeutet hat.
„Wenn wir werden was wir wahrnehmen, dann wird in der vernetzten `Kultur ohne
Schrift` ein kosmischer Mensch entstehen: unter Einsatz aller seiner sinnlichen
Fähigkeiten unmittelbar und intensiv ins Geschehen involviert – ein Privileg das
früher nur Künstlern zukam. McLuhan, der Apokalyptiker, lässt sich durchaus als
Alternative zur apokalyptischen Kulturkritik lesen, die immer nur eine Logik des
Zerfalls gelten lässt.“ (Hartmann 2000, S.269)
Der „kosmische“ Mensch, der eine neue Qualität der Wahrnehmung entwickelt, wird
laut McLuhan (vgl. u.a. McLuhan 1994) also durch die neuen Medien möglich. Wenn
wir aber tatsächlich werden was wir wahrnehmen, wird eine kritische Reflexion der
Wahrnehmung, wenn schon nicht unmöglich, dann sehr schwierig, da diese Reflexion immer ein in Frage stellen unserer selbst verlangen würde. McLuhans „kosmischer Mensch“ müsste daher auch über herausragende Fähigkeiten im Bereich der
Selbstkritik verfügen. Das neue massenmediale Kommunikationsumfeld stellt also in
seiner Komplexität zweifellos eine Herausforderung dar. Letztendlich ist diese aber
nicht nur kritisch zu betrachten – vielmehr bietet sie einer schriftgeprägten Gesellschaft die Chance, ihre kommunikativen Möglichkeiten zu erweitern, um damit ein
ganzheitliches Verstehen ihrer Umgebung und auch sich selbst zu verwirklichen.
Emotionale Kompetenz und Intelligenz müssten in diesem Zusammenhang jedoch
neu definiert werden. Noch scheinen wir beim Verstehen der neuen Kommunikationsinfrastruktur aber an unsere Grenzen zu stoßen.
40
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
II-1.2
Grenzen der Wirkungsforschung
Die Entwicklung der Massenmedien hat die Kultur moderner Gesellschaften verändert und auch die Anforderungen, die an die Individuen gestellt werden. Im Informationszeitalter einer Mediengesellschaft müssen die Menschen über andere Kompetenzen verfügen als ihre Vorfahren. Auch ohne ein geschickter Jäger und Sammler zu
sein ist es möglich geworden „die Sippe“ oder auch nur sich selbst zu ernähren.
Jemand, der allerdings keinen Computer bedienen kann und sich den elektronischen
Unterhaltungsmedien entzieht, wird im Medienzeitalter innerhalb der westlichen
Gesellschaft durchaus Anschlussschwierigkeiten haben.
„Diesbezüglich stimmen Alltagserleben und (soziologische) Modellierung der gesellschaftlichen Entwicklung so vollständig überein, dass Medienkompetenz sowohl im wissenschaftlichen wie auch im (kultur-) politischen Diskurs als unverzichtbare Schlüsselkompetenz (vgl. Knauf, 2001) gilt, d.h. als Fähigkeit, die – heute und noch mehr in der Zukunft – eine notwendige Voraussetzung für die konstruktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben darstellt (vgl. Hurrelmann, 2002).“
(Groeben in Mangold/Vorderer/Bente 2004, S.28)
Sich in der neuen Kommunikationsinfrastruktur zurechtzufinden gilt als Schlüsselkompetenz, sie in ihrer Wirkung zu verstehen scheint uns allerdings bisher noch nicht
wirklich gelungen zu sein. Obwohl Groeben den Begriff Medienkompetenz durchaus
nicht nur als technische Handlungskompetenz definiert wissen möchte. Es sollen
auch Reflexionskompetenz sowie „motivational- emotionale und soziale Handlungswie Erlebensaspekte“ miteinbezogen werden (Groeben in Mangold/Vorderer/Bente
2004, S.31f).
Durchaus sind die Mediennutzer im 21. Jahrhundert als emanzipierte Rezipienten zu
betrachten, die nicht Opfer einer medialen Massenbeeinflussung sind, sondern die
unterschiedlichen Angebote innerhalb der Medienwelt tatsächlich kritisch auswählen
und betrachten können. Zumindest entspricht dies vielen modernen Annahmen der
41
Herausforderungen innerhalb und außerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur
Medien-Wirkungsforschung, die von Thesen über Medienallmacht, bis zu Medienohnmacht (vgl. u.a. Bonfadelli, 2004) reichen.
Bonfadelli fasst am Ende seines Grundsatzwerkes den Stand der Wirkungsforschung
zusammen, indem er die Generalisierbarkeit der Befunde gleich vorweg in Frage
stellt um dann folgenden „Generalbefund“ zu formulieren:
„Medieninhalte sind weder eine hinreichende noch eine notwendige Ursache von
direkten Effekten. Der Einfluss der Medien ist im kognitiven Bereich größer als bei
Einstellungen. Massenkommunikation verstärkt in erster Linie existierende Einstellungen, aktiviert latente Positionen und verändert mit geringster Wahrscheinlichkeit existierende oder latente Gegenpositionen.“ (Bonfadelli, 2004, S.283)
Es gibt kaum Verwirrenderes als die Lektüre verschiedener Medienwirkungsforschungen. Die Thesen erscheinen größtenteils logisch und sind meist gut argumentiert, und doch kommen sie häufig zu den unterschiedlichsten Ergebnissen. Die Divergenz der Medienwirkung – bzw. auch ihrer Unwirksamkeit scheint schier unermesslich. Da versuchen Rezipienten durch die Medien aus ihrem Alltag zu flüchten
(Eskapismus), oder sie treten mit den Helden in eine „parasoziale Interaktion“, oder
identifizieren sich mit den medialen Protagonisten, sie wählen Programme, die ihre
schon vorhandenen Einstellungen unterstützen, sehen sich Gewalt an, um sich sicherer zu fühlen, obwohl sie dadurch ängstlicher werden (vgl. u.a. Gerbner 1978 in
Vitouch 2000, S.21ff), spielen Ego-Shooter und umgehen dabei ihr Empathiezentrum8, möglicherweise wird ihr Wissen durch das Agenda-Setting der Medien beeinflusst, wobei wiederum die Medienunternehmen sich am Publikumsinteresse und
damit der Quote orientieren (vgl. u.a. Bonfadelli 2004).
8
„Die Desensibilisierung, die das wiederholte Betrachten von Fernsehkrimis oder gar die
exzessive Beschäftigung mit Computerspielen a la Ego-Shooter herbeiführen (vgl.
Staemmler&Merten 2006), gehört zu den aktuellen kulturellen Einflüssen, die mit großer
Wahrscheinlichkeit ernst zu nehmende Folgen für die Einfühlungsfähigkeit derer mit sich
bringen dürfte, die sich solchem Zeitvertreib gehäuft hingeben.“ (Staemmler 2009, S.10)
42
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
McLuhan geht in seiner Neuinterpretation des Narziß-Mythos sogar davon aus, dass
wir die Entfremdung von uns selbst, die uns neue Medien ermöglichen, bewusst
herbeiführen und damit Erkenntnis, auch die über die Wirkung des kommunikativen
Vorgangs, unmöglich machen:
„Die Pointe dieser Erzählung ist für McLuhan die, dass die Menschen von ihrer eigenen Entfremdung fasziniert sind – von all dem was ihr Selbst erweitert, was
aber nicht sie selbst sind. Es sind die Ausweitungen unserer selbst, unserer technischen Kultur, die uns betäubt. Durch die Blockierung der Wahrnehmung ist keine Selbsterkenntnis mehr möglich.“ (Hartmann 2000, S.255)
Wer beeinflusst oder blockiert nun wen? Die Medien die Rezipienten, die Rezipienten
die Medien, die Medienmacher die Rezipienten, die Rezipienten die Medienmacher,
die Medienmacher die Medien oder die Medien die Medienmacher? Bei den zentralen Fragen der Medienwirkungsforschung kann einem schon schwindlig werden und
die zahlreichen Antworten gehen meist in viele Richtungen. Vielleicht ist es tatsächlich so wie McLuhan andeutet, dass der Mensch keine Erkenntnis über diese Vorgänge erreichen kann, dass die Suche nach existentiellen Antworten eine immerwährende Sehnsucht bleibt, so wie es Goethe in seinem Faust beschrieben oder Beethoven in seiner Mondscheinsonate vertont hat (vgl. Hatzopoulos 2011). Vielleicht
haben wir aber einfach nur die falsche Frage zuerst gestellt. Vielleicht müssen wir in
der Wirkungsforschung zuerst andere Fragen beantworten, bevor wir die nach der
„Beeinflussung“ stellen.
Davon ausgehend, dass in einer Kommunikationssituation – vor allem dann, wenn
viele Sinne angesprochen werden, wie das bei den elektronischen Medien meist der
Fall ist – nicht die inhaltliche Botschaft sondern der emotionale Eindruck unsere
Aufmerksamkeit bindet, müssen wir uns fragen: Auf welchen Sinnesreiz reagieren
wir überhaupt und welche Funktion hat dieser Sinnesreiz für uns? Wenn wir wissen
43
Herausforderungen innerhalb und außerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur
möchten, ob uns Medien beeinflussen, müssen wir zuerst verstehen, auf welchen
Ebenen sie uns ansprechen und auf welche Komponenten wir reagieren. In der visuellen Kommunikationsforschung wird bereits untersucht, wie unser Auge zu lenken
ist, wie wir auf Formen, Farben und Schriftgrößen reagieren – letztendlich muss
jedoch das Zusammenspiel unserer Sinne untersucht werden.
Wenn wir annehmen, dass wir vorhersehen können, wie ein Rezipient auf ein Kommunikationsangebot reagiert, haben wir implizit die Illusion, wir könnten Emotionen
steuern. Aufgrund der unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen der Rezipienten
scheint dies zwar einerseits eine unglaubliche Herausforderung zu sein, andererseits
gelingt die kollektive Gefühls-Auslösung bei fast jedem Rockkonzert, bei vielen
Blockbustern, Kultvideos auf youtoube etc. Um also zu verstehen und zu analysieren, welche Gefühle Sinnesreize in uns hervorrufen, müssen wir zuerst die unterschiedlichen Sinnesreize als solche definieren um eine Kategorisierung derselben
und auch der darauffolgenden Emotionen festhalten zu können.
„Warum nicht die Öffentlichkeit darin unterstützen, das Drama bewusst wahrzunehmen, das unbewußt auf sie einwirken soll?“ (McLuhan 1996 S.7 in Hartmann
2000, S.252)
Der Vorteil, über die Vielfalt und die Wirkung der Sinnesreize detailliert bescheid zu
wissen, besteht nicht nur darin, dass die Effekte der Medienangebote von der „Öffentlichkeit“ besser eingeschätzt werden können. Durch eine ganzheitlichere Wahrnehmung der kommunizierenden Personen und Objekte kann womöglich eine neue
Qualität der Kommunikation gefunden und ermöglicht werden, die hilft Missverständnisse zu reduzieren.
Da jedoch noch keine vollständige Definition der uns zur Verfügung stehenden Sinneswahrnehmungen in der Kommunikationswissenschaft statt gefunden hat, muss
44
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
die Wirkungsforschung zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen. Denn wie kann ich die
Wirkung auf etwas untersuchen, dass ich noch gar nicht ganzheitlich definiert habe?
Die Bedeutung der Emotionen innerhalb kommunikativer Wahrnehmung ist bereits in
der Wirkungsforschung erkannt worden, die Fokussierung auf die Sinne, die diese
Gefühle auslösen, sollte der nächste logische Schritt sein. In diesem Zusammenhang
kann diese Arbeit auch künftige Wirkungsforschungen unterstützen, indem eine
Kategorisierung akustischer Wahrnehmungen zur Verfügung gestellt wird. Sinneswahrnehmungen zu kategorisieren ist zweifellos eine Vereinfachung der Realität –
diese Form der Simplifizierung zugunsten einer Einteilbarkeit scheint jedoch dem
Menschen inne zu wohnen.
II-2 Prägnanzbildungsprozesse
Der deutsche Philosoph Ernst Cassirer ging davon aus, dass „sich der Mensch der
Welt nur durch Prozesse der geistigen Formung nähern kann.“ (Marquardt 2005,
S.36) Demnach ist ein passives oder auch objektives Wahrnehmen der Umwelt unmöglich, weil sich der menschliche „Geist“ immer „aktiv an den Wahrnehmungsprozessen“ beteiligt (ebd. S.36). Eine große Rolle spielt dabei der Versuch die sinnlichen Eindrücke in eine „symbolisch vermittelte Form“ zu transponieren (ebd. S.36ff).
Dieser Prozess kann laut Cassirer u.a. in der „Sprache, Mythos und Religion sowie
Wissenschaft“ als auch in der Kunst, der Geschichte und der Technik stattfinden
(ebd. S.36f). Sein Kollege Oswald Schwemmer spricht von der „symbolischen Existenz“ des Menschen (Schwemmer 1997, S.115).
„Nicht die Reproduktion des in der Welt Vorhandenen, sondern die Erzeugung
dessen durch Symbole ist das Wesen der symbolischen Formung. Die Sprache
45
Prägnanzbildungsprozesse
oder die Kunst wiederholen nicht etwas genau in dieser Art Vorgefundenes, sondern geben ihm erst eine Gestalt und somit Dauer.“ (Marquardt 2005, S.38)
Dass es hier zu einer Reduktion der Komplexität kommen muss, erscheint einleuchtend. Einerseits ist davon auszugehen, dass dadurch die Erinnerungsfähigkeit und
Reproduzierbarkeit einer Wahrnehmung gewährleistet wird, andererseits wäre eine
Konzentration auf alles Wahrnehmbare sicherlich eine Überforderung der menschlichen Leistungsfähigkeit – unser Gehirn muss offenbar filtern.
Doch wie bestimmen wir, welche Reize wir unseren „Symbolen“ hinzufügen, um sie
somit „dauerhaft“ abrufbar zu machen, und welche Wahrnehmungen wir auslassen?
Nach Cassirers Theorie der symbolischen Formen werden „prägnante Eigenschaften“ hervorgehoben, „wodurch allgemeine Momente betont werden“ (Marquardt
2005, S.38).
„Die symbolischen Formen stehen zwischen Mensch und Wirklichkeit, doch wäre
ohne sie keine Erkenntnis der Welt gegeben, sondern der Mensch würde im Zustand der sinnlichen Wahrnehmung verharren. Der menschliche Geist ist also von
Anfang an aktiv an der Formgebung der Wirklichkeit beteiligt. Das Verfahren, welches dabei zur Anwendung kommt, ist das der symbolischen Prägnanzbildung.“
(ebd. 2005, S.40).
Dieser Prozess beginnt bereits beim Wahrnehmungsvorgang selbst, demnach sehen
wir von Anfang an nur „einen Teil dessen was uns umgibt“ (ebd. 2005, S.41). Noch
bevor wir bewusst eine Entscheidung darüber treffen, ob uns das Wahrgenommene
überhaupt interessiert, ob wir nicht lieber wegschauen, „wegzappen“ oder „deleten“
wollen, haben wir bereits einen Teil der Wirklichkeit zugunsten eines anderen, offenbar prägnanteren Teiles ausgelöscht.
„Zu den ersten Schritten der Prägnanzbildung gehört das Absondern von Merkmalen, mittels derer der Gegenstand im Bewusstseinsstrom identifiziert und dargestellt werden kann: Dem Gegenstand wird eine Form gegeben.(…) sie kann ihn
abgrenzen von anderen Zeitpunkten und Orten (…). So wird Rekognition erst
möglich. (…) Die notwendige Voraussetzung hierfür ist eine Ordnung der sinnlichen Phänomene.“ (Marquardt 2005, S.41)
46
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
Durch Ordnen, Einteilen und Kategorisieren findet offenbar der Mensch einen leichteren Zugang zur Wirklichkeit. Auf dieser Theorie basieren auch die nachfolgenden
Konzepte der Stereotypen und Visiotypen, letztendlich auch der in dieser Arbeit
entwickelten Audiotypen.
Doch das Konzept der symbolischen Prägnanzbildung weist eine entscheidende
Schwäche auf. Denn wenn tatsächlich bereits während des Wahrnehmungsprozesses die immer selben, unbewussten Reduktionen der Wirklichkeit zugunsten prägnanter Reize stattfinden würden, dann wäre es für den Menschen unmöglich seine
Wahrnehmungsperspektive zugunsten „neuer Prägnanzen“ bewusst zu verändern.
Besonders die technischen Entwicklungen der letzten Jahre haben aber deutlich
gezeigt, dass auch ungewöhnliche Bilder neu eingeführt und mit starken Konnotationen versehen werden können. Als Beispiel hierfür können die Bilder des nächtlichen
Bombardements auf Bagdad, welche 1991 in „Echtzeit“ im Fernsehen übertragen
worden sind, genannt werden. Statt Panzer, Soldaten und blutüberströmten Menschen zeigt sich der Krieg in diffusen grün-grauen Bildern mit hellen Blitzen – wie
durch den Blickwinkel eines Nachtsichtgerätes wird der „saubere“ Krieg mit „intelligenten“ Waffen als neues „Wahrnehmungsobjekt“ eingeführt (Virilio 1997). Dieses
Beispiel zeigt auch die möglichen Missinterpretationen, die innerhalb einer Prägnanzbildung stattfinden können. Während den Zuschauern vor den Fernsehgeräten
suggeriert wurde, dass die Bomben der Amerikaner im Irak nur gezielt auf feindliche
Gebäude gerichtet wurden, und sozusagen ein „chirurgischer“ Krieg aus der Luft
möglich geworden ist, stellte sich die Realität freilich anders dar (vgl. ebd. 1997).
Wie es aber dazu kommt, dass sich neue Prägnanzbildungen etablieren ist eine
weitere interessante Forschungsaufgabe. Eine mögliche Antwort könnte die Macht
47
Prägnanzbildungsprozesse
der Wiederholung sein, die bereits zu Napoleons Zeiten als geeignetes Massenmanipulationsmittel erkannt wurde:
„Napoleon sagte, es gäbe nur eine einzige ernsthafte Redefigur: die Wiederholung. Das Wiederholte befestigt sich so sehr in den Köpfen, dass es schließlich als
eine bewiesene Wahrheit angenommen wird. Man versteht den Einfluß der Wiederholung auf die Massen gut, wenn man sieht, welche Macht sie über die aufgeklärtesten Köpfe hat. Das Wiederholte setzt sich schließlich in den tiefen Bereichen des Unbewußten fest, in denen die Ursachen unserer Handlungen verarbeitet werden. Nach einiger Zeit, wenn wir vergessen haben, wer der Urheber der
wiederholten Behauptung ist, glauben wir schließlich daran. Daher die erstaunliche Wirkung der Anzeige. Haben wir hundert mal gelesen, die beste Schokolade
sei die Schokolade X, so bilden wir uns ein, wir hätten es häufig gehört und glauben schließlich es sei wirklich so.“ (le Bon 1911, S.88f)
Durch stetige Wiederholung könnten sich also neue Prägnanzbildungsprozesse
eventuell etablieren lassen.
Schwemmer unterscheidet in seiner Weiterentwicklung des Prägnanzbegriffes zwischen „ein- und mehrdimensionaler Prägnanz“ (Schwemmer 1997a, S. 143ff in Marquardt 2005, S.43) ja nach „Art und Grad der Komplexität“ (ebd. S.43):
„Eindimensionale Prägnanz besitzt die Funktion eindeutiger und schnell aufnehmbarer Mitteilungen, die sich am Beispiel von Straßenschildern verdeutlichen lässt.
Deren Figur ist auf einen Blick zu erfassen und zu deuten. Die Aufmerksamkeit
wird (…) nicht festgehalten.“ (Marquardt 2005, S.43)
Im Informationszeitalter ist allerdings Aufmerksamkeit ein hart umkämpftes Gut. Nur
wenige Medien geben sich mit einer kurzen Aufmerksamkeit ihre Rezipienten zufrieden, um diese aber überhaupt zu bekommen, konzentrieren sie sich häufig auf eindimensional-prägnante Kommunikationsangebote. Um die Quoten nach oben zu
treiben, versuchen Medienkonzerne leicht lesbare „eye-catcher“ im Printsektor und
TV und „ear-catcher“ (vgl. u.a Pürer 1996, S.40) im Radio zu entwickeln um damit
Kunden „einzufangen“ – ähnliches gilt für die Werbebranche. Das Problem ist, im
Wettbewerb der zahlreichen Medienangebote will man nicht nur Aufmerksamkeit
bekommen, sondern auch Aufmerksamkeit „binden“. Trotz dieses Wunsches nach
48
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
einer möglichst langen Bindung der Kundenaufmerksamkeit kann nicht davon ausgegangen werden, dass innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur eine
„mehrdimensionale Prägnanz“ von Wahrnehmungsangeboten angestrebt wird. Im
Gegenteil: Besonders die oben angesprochenen „eye- und ear-catcher“ zeichnen
sich durch eine rasche Erkennbarkeit aus und stehen im krassen Gegensatz zu
mehrdimensional geprägten Wahrnehmungsangeboten, wie sie beispielsweise in
„Bildern der Kunst“ (Marquardt 2005, S.43) zu finden sind.
„Die Bildelemente sind aufeinanderbezogen, lassen Überschneidungen und Verschränkungen zu. Die erhöhte Bildkomplexität resultiert in Mehrdeutigkeit des Bildes. Genau diese Unterscheidung lässt den Schluss auf Zeichenhaftigkeit, nämlich Eindimensionalität, massenhaft dargebotener Bilder zu, die zunehmend nur
noch als schnell identifizierbare Zeichen präsentiert werden (…).“ (Marquardt
2005, S.43)
Offenbar hat sich innerhalb der neuen Medien eine Konkurrenz eindimensional geprägter Wahrnehmungsangebote etabliert, um die Rezipienten innerhalb des reichhaltigen Kommunikationsangebotes in der neuen Kommunikationsinfrastruktur rasch
auf sich aufmerksam zu machen. Wie sich hier zeigt, bleibt allerdings das Problem
der Bindung. Angebote mit eindimensionaler Prägnanz sind offenbar vom Rezipienten leicht und schnell lesbar, verlangen jedoch keine längere Auseinandersetzung. In
der Werbung, und der Medienbranche hat sich, dass „KISS- Prinzip“ 9 durchgesetzt
(„Keep it simple and stupid“, oder auch „Keep it small and simple, sweet and simple,
short and simple etc.). „Simple“ ist zwar für den Rezipienten schnell zu dechiffrieren,
kann allerdings auch sehr schnell langweilig werden.
9
Über den Ursprung dieser unter Journalisten häufig gebrauchten Redewendung wird häufig
diskutiert. Angeblich stammt das „KISS-Prinzip“ aus Amerika, es soll vom
Programmierer Charles Moore erfunden worden sein, es gibt jedoch auch Gerüchte,
dass es zuerst in einem militärischen Kontext gebraucht wurde (vgl. u.a. http://www.uniprotokolle.de/Lexikon/KISS-Prinzip.html).
49
Prägnanzbildungsprozesse
Mit diesem Dilemma müssen sich offenbar nicht nur Medienunternehmen auseinandersetzen, die um eine Hörer- oder Seherbindung kämpfen, sondern auch zahlreiche
andere Gruppierungen die kommunikativ um Aufmerksamkeit werben. Sei es die
Bindung an eine politische Partei, ein Produkt oder aber auch an andere Menschen –
im neuen Kommunikationszeitalter scheint die Dauer der Aufmerksamkeit, die wir
bereit sind, zur Verfügung zu stellen, stetig zu schwinden. Angesichts der Tatsache,
dass wir von Reizen mit eindimensionaler Prägnanz überschwemmt werden, ist das
jedoch wenig verwunderlich.
Und dennoch gilt als oberstes Prinzip für die Produzenten einer massenmedialen
Botschaft, diese so einfach und verständlich wie möglich zu machen. Nicht nur um
die Aufmerksamkeit der Rezipienten zumindest für eine kurze Zeit zu erhaschen,
sondern vielleicht auch um den Versuch zu starten ihnen durch Bekanntes, Gewohntes, leicht Durchschaubares ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln, welches sie
schließlich auf ein gewünschtes Objekt (ein Medienunternehmen, eine Partei, ein
Produkt etc.) übertragen und dieses künftig mit positiven (oder auch negativen) Emotionen in Verbindung bringen. Diese vordergründig leicht lesbaren Botschaften können u.a. als „Kanon, Stereotype und Visiotype als Ausdruck von Prägnanzbildung“
(Marquardt, 2005, S.61) in Erscheinung treten.
II-2.1
Kanon
Dem Begriff Kanon werden in der deutschen Sprache mehrere Bedeutungen zugeschrieben. Im Duden wird Kanon u.a. als “Richtschnur“ oder „Leitfaden für jemandes
Verhalten“ oder als „Gesamtheit der für einen bestimmten Bereich geltenden Regeln
und Vereinbarungen“ erklärt (Duden 2011). Das impliziert, dass der Kanon einerseits
als Anweisung zu verstehen ist, die einem Individuum zur Verfügung gestellt wird,
50
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
um sich innerhalb einer Gesellschaft regelkonform verhalten zu können, andererseits
müssen diese Regeln ja auch durch Vereinbarung entstanden sein und könnten
daher wieder verändert werden. Das macht den bereits angesprochenen, notwendigen Veränderungsprozess von Prägnanzbildung möglich (auch wenn das im Begriff
des Kanons ursprünglich nicht vorgesehen war!). Marquardt fügt dem Begriff noch
eine traditionelle Komponente hinzu. Sie beschreibt es
„(…) existieren Schemata, sowohl in Texten als auch in Bildern, die in stereotyper
Form immer wieder verwendet und mit neuem Inhalt gefüllt werden. Sie dienen
damit einer Tradierung bestimmter Wissensinhalte und helfen diesen, lange Zeiträume zu überdauern. Der Tradierungsprozess lässt sich mit dem Begriff der Kanonisierung umschreiben.“ (Marquardt 2005, S.61f)
Ursprünglich, wie so viele Bildungsbegriffe, aus einem religiösen Kontext entstanden,
erklärt Marquardt, dass die Unveränderlichkeit überlieferter Texte (wie beispielsweise
der Bibel) ebenso dem kanonischen Prinzip entspricht wie die Formähnlichkeit an
sich:
„Unter Kanon lässt sich mit Assmann >>die Wirksamkeit eines gegenstrebigen,
zeitübergreifende Formähnlichkeit erzwingenden Prinzips<< (ASSMANN
1995:102) verstehen, das Permanenz institutionalisieren soll.“ (ebd. 2005. S.62)
Durch die Formähnlichkeit, aber auch durch die ursprünglich angestrebte Unveränderlichkeit, die einem Thema durch das kanonische Prinzip garantiert werden sollen,
können laut Marquardt „Beliebigkeit, Willkür und Zufall“ ausgeschaltet werden und
„Sicherung und Stabilisierung“ stattfinden (vgl. Marquardt, 2005, S.63).
„Ein Kanon gibt also Regeln vor, nach denen man sich hinsichtlich gewisser Fragen richten kann. Damit trägt er zur Orientierung der Menschen in einer komplexen Umwelt bei, und zwar durch Reduktion von Komplexität.“ (ebd. 2005, S.63)
Keine Veränderungen, klare Formen und Regeln, starre Werte – das gibt Sicherheit
und ist natürlich auch leicht zu verstehen, kann allerdings der sich ständig verändernden Realität nur schwer standhalten. Wie bereits erwähnt, ist die Definition der
51
Prägnanzbildungsprozesse
„Richtschnur“, die „Vereinbarung von Regeln“ (Duden 2011) ein Prozess, der sich
zwangsläufig in einer sich entwickelten Gesellschaft immer wieder erneuert. Was
allerdings bleibt, ist die Sehnsucht nach zeitlosen, unveränderbaren kanonischen
Prinzipien, weil sie eben Sicherheit vermitteln – und daher könnte man sagen: Jede
Zeit, jede Epoche, jede Gesellschaft durchläuft einen Prozess der Kanonisierung und
schafft sich neue, behält aber auch alte kanonische Werte.
„Die kanonisierten Texte sind dem kollektiven Gedächtnis einer Zeit zuzurechnen.“
(Marquardt 2005, S.62)
„MfG“, „LG“, „glg“ „: )“ usw. könnten als kanonisierte Phrasen und Zeichen unserer
Zeit bezeichnet werden. Durch stetige Wiederholung können sie mittlerweile sofort
decodiert werden und sind Spiegel einer durch schnelle Kommunikationsmedien
geformten, kurz angebundenen Gesellschaft. Der Aufbau eines Zeitungstextes, bestehend aus (zumindest) einer Schlagzeile und einem Lauftext entspricht der Formähnlichkeit des kanonischen Prinzips. Ebenso wie sich Schnitt- und Bildtechnik im
Fernsehen tradierten Regeln unterwerfen, oder der Aufbau eines Hörfunkbeitrags.
Und es scheint auch kein Zufall, dass der Begriff „Kanon“ ebenso in der Musik verwendet wird, für ein Musikstück, indem sich die Melodie versetzt wiederholt und
somit, einer klaren Regel folgend, durch ständige Wiederholung eine musikalische
Verfestigung begünstigt und damit den Protagonisten zu einer erhöhten Melodieund/oder Textsicherheit verhilft.
Für die in dieser Arbeit zu entwickelnde Theorie der Audiotype spielt das kanonische
Prinzip eine wesentliche Rolle. Während manche Geräusche tatsächlich über längeren Zeitraum unverändert bleiben und zur Auslösung tradierter Verhaltensmuster
führen, die gesellschaftlich vereinbart wurden (wie beispielsweise die Sirenen eines
Rettungswagens, die Autofahrer dazu bewegen, auf der Straße Platz zu machen)
52
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
schafft es die Wiederholung bestimmter Melodiemuster – sogar die Vereinbarung
welche Tonabstände in unserer Tonleiter festgelegt wurden, und welche Kombinationen wir davon als Dissonanz, und welche als Harmonie identifizieren – uns in angenehme Gefühlszustände zu versetzten, weil uns Sicherheit und Geborgenheit vermittelt wird.
Der Begriff Kanon soll in dieser Arbeit als (u.a. akustische) Vereinbarungen innerhalb
einer Gesellschaft verwendet werden, die unter Umständen mit bestimmten Verhaltensregeln verbunden sind, und die aufgrund häufig statt gefundener Wiederholungen als „institutionalisierte Permanenz“ (vgl. Assmannn in Marquardt 2005, S.62)
erlebt und von dem „kollektiven Gedächtnis“ (Marquardt 2005, S.62) dieser Gesellschaft erkannt werden, dieser Sicherheit vermitteln und zur „Reduktion von Komplexität“ (ebd. 2005, S.63) beitragen.
II-2.2
Stereotype
Um mit der Vielfältigkeit unserer Welt zurechtzukommen sehnen wir uns offenbar
nach unveränderlichen, leicht lesbaren und schnell verständlichen Kategorisierungen. Ähnlich wie beim kanonischen Prinzip entwickelt sich auch bei den Stereotypen
eine starre Systematisierung, die selbstverständlich der Komplexität, der durch sie
benannten Subjekte und Objekte nicht gerecht werden kann, ihre Funktion als Orientierungshilfe jedoch erfüllt.
„Der Begriff >Stereotyp< (vgl. Historisches Wörterbuch 1998:135-139) aus dem
Buchdruckgewerbe stammend und dort die unbeweglichen Lettern bezeichnend,
später v.a. in der Psychiatrie und Psychologie beheimatet, verweist auf etwas Unveränderliches, Starres. Die Stereotypenforschung hatte zunächst das Ziel, allgemeine Stereotype mit der Realität zu vergleichen und sie so zu widerlegen. Erst
später wurde ihre soziale Funktion erkannt (…).“ (Marquardt 2005, S.64)
53
Prägnanzbildungsprozesse
Der Journalist Walter Lippmann wird häufig als der „Begründer“ des Begriffs „Stereotyp“ bezeichnet. Er hat in seinem 1922 erschienen Buch „Public Opinion“, (in welchem er über die Demokratie und die Rolle der Medien und der Bürger schreibt) den
für Buchdrucker geläufigen Begriff sozialwissenschaftlich neu definiert (vgl. Lippmann 1922):
„Lippmann entdeckte unter dem Eindruck der Wirkung der Propaganda im ersten
Weltkrieg, dass die Vorstellungen der Bevölkerung von der Welt mithilfe der Berichterstattung der Massenmedien eine feste Form annehmen konnten, dass sich
in ihren Vorstellungen gleichsam ein starres Muster bildet – Lippmann sprach von
den >Bildern in den Köpfen< –, das dann unbewusst auf die verschiedensten Lebenssituationen angewendet wurde und die Urteile auch über Dinge prägte, von
denen die Menschen streng genommen gar keine Kenntnis hatten.“ (Petersen/Schwender 2009, S.8)
Es ist anzunehmen, dass die „Karriere“ des Begriffes Stereotyp nicht zuletzt aufgrund
dieses geschichtlichen Hintergrunds früh überschattet wurde. Eine neutrale Betrachtung stereotyper Denk- und Verhaltenmuster fand im wissenschaftlichen Diskurs
eher selten statt – wie auch der Begriff Massenmedium lange Zeit sehr kritisch betrachtet wurde (vgl. Werke der sogen. „Kritischen Theorie“ u.a. Horkheimer/Adorno
1947). Die häufig negative Interpretation von Stereotypen hängt unter Umständen
auch damit zusammen, dass der Begriff vielfach in der Vorurteilsforschung (vgl. u.a.
Heinemann 1998) verwendet, und dort, wie bereits von Marquardt angesprochen,
nicht als funktionales Mittel zur Komplexitätsreduktion anerkannt, sondern vielmehr
als Voraussetzung für Ungerechtigkeit widerlegt werden sollte. Nicht selten wurden
die Begriffe Stereotyp und Vorurteil sogar gleichgesetzt.
„(…) der moderne Vorurteilsbegriff (…) bezeichnet nicht-geteilte, in Sprache ausgedrückte Einstellungen sozialer Gruppen oder `falsche` Erkenntnisse bzw. `vorschnelle` Verallgemeinerungen, denen `richtige` Erkenntnisse und `angemessenere` Urteile entgegengestellt werden. Der Begriff des `Stereotyps`(…) wird, wenn
nicht in einem anderen Erklärungsrahmen reformuliert, häufig für die bildhafte
oder sprachliche Repräsentation des `Vorurteils` gebraucht.“ (Pätzold/Marhoff in
Heinemann 1998, S.73)
54
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
Abgesehen davon, dass die Kategorien „richtige“ und „falsche“ Erkenntnisse bzw.
„vorschnelle“ und „angemessenere“ Urteile als solche hinterfragt werden müssen, da
die Bewertung der Kategorien in einem geisteswissenschaftlichen Kontext wohl
kaum zu verifizieren ist, ist die Gleichsetzung des Begriffes Stereotyp mit Vorurteil
ebenso als unzulässige Einschätzung zu beurteilen.
Ausgehend von Cassirers Überlegungen, dass sich Menschen der Welt nur durch
„Prozesse der geistigen Formung“ (Marquardt 2005, S.36) annähern können, scheint
die Entwicklung von Stereotypen als mit symbolischen Eigenschaften versehene
Kategorisierung von Subjekt- bzw. Objektgruppen, beinahe zwingend. Offenbar würde die Berücksichtigung bspw. aller individuellen Eigenschaften der Menschen, die
uns begegnen, eine Überforderung unserer Wahrnehmungsmöglichkeiten darstellen.
Die Reduktion der Eigenschaften und eine Einteilung in bestimmte Gruppen (Frauen,
Männer, Mütter, Väter, Singles, Lehrer, Ärzte, Machos, Blondinen etc.), denen natürlich auch allgemeine Eigenschaften zugeschrieben werden, die selbstverständlich
der Komplexität des Individuums nicht gerecht werden, a priori als negativ zu bewerten, erscheint nicht funktional. Ebenso wenig, wie der Versuch Stereotype gänzlich
aus unserem Sprachgebrauch und unseren Denkmustern verbannen zu wollen und
diese gänzlich zu verurteilen:
„So verurteilenswert Stereotype als aggressive Argumente auch sind – darüber
besteht kein Zweifel -, so hartnäckig halten sich ihre weniger aggressiven Spielarten in unserem Sprachgebrauch.“ (Heinemann 1998, S.9)
Es ist durchaus erstaunlich, dass das Vorurteil, das Stereotyp sei ein Vorurteil, sich
in einigen wissenschaftlichen Diskursen als Stereotyp manifestiert hat.
„Ihre formale und inhaltliche Vereinfachung erlaubt es, Einstellungen ohne größere geistige und kommunikative Anstrengung zu formulieren und ohne die inhaltliche Tiefe dieser Einstellung ausloten und rechtfertigen zu müssen.“ (Heinemann
1998, S.7)
55
Prägnanzbildungsprozesse
Wenn wir jede kommunikative Leistung „rechtfertigen müssten“ und ihre „inhaltliche
Tiefe“ ausloten würden, hätten wir wohl viel zu tun. Dass dieser idealistische Wunsch
einer komplexen, intellektuellen Kommunikationskultur in der Realität nicht zu verwirklichen ist, müsste doch eigentlich klar sein. Warum also nicht die komplexitätsreduzierende Leistung des Stereotyps würdigen? Und anerkennen, dass stereotype
Vorstellungen durchaus flexibel verändert werden können. Zahlreiche Untersuchungen belegen bereits, dass individuelle Erfahrungen die stereotypen Einstellungen
rasch zu verwandeln vermögen. Glaubt man beispielsweise an das Stereotyp der
Frau, die nicht Auto fahren kann, und trifft eine Frau, die sehr gekonnt mit ihrem
Wagen auf den Straßen agiert, so ist man schnell bereit sein stereotypes Bild zumindest für diesen Einzelfall zu revidieren:
„Zugespitzt formuliert heißt das: Kontext schlägt Stereotyp.“ (Klein in Heinemann
1998, S.34)
Davon ausgehend, dass Menschen verallgemeinern wollen und vielleicht sogar müssen, führt ein abwertend kritischer Diskurs über Stereotype offenbar an kein Ziel:
„Er scheitert in der Praxis, und zwar massenhaft.“ (Ehlich in Heinemann 1998,
S.15)
Ein „wertneutraler“ Stereotypenbegriff kann daher in einem psychologischen, soziologischen und kommunikationswissenschaftlichen Kontext durchaus als brauchbares
Konzept bezeichnet werden. Denn wenn das Phänomen der Stereotypisierung als
menschliches Kommunikationsmuster anerkannt und nicht bekämpft wird, dann
werden unter Umständen neue Einblicke, wie sich der Mensch kommunikativ seiner
Umwelt annähert, ermöglicht.
„Durch ein dem Menschen innewohnendes Gefühl der Überforderung durch die
Vielschichtigkeit und Ambivalenz der Welt, wird diese schablonenhaft kategorisiert
und dadurch vereinfacht. Die Bildung von Stereotypen liegt also in der Natur des
Menschen (…).“ (Weirich 2010, S.21)
56
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
Sternkopf betont sogar in einem Abstract über Stereotype in den Medien die „beachtlichen kommunikativ-pragmatischen Leistungen von Stereotypen“ (Sternkopf 1998 in
Heinemann 1998, S.119) und hält ein Plädoyer für eine „vorurteilsfreie Interpretation“
des Stereotyps. Die Notwendigkeit einer klaren Unterscheidung und Trennung des
Stereotypen-Begriffes von Vorurteil, Klischee und Image können nicht oft genug
betont werden. Die Leistung der Stereotype liegt im
„(…) Prozess der Vereinfachung einer in ihrer ganzen Komplexität sonst nicht
strukturierbaren Wirklichkeit, und sie heben das Element der Verallgemeinerung
hervor, die Übertragung der aus dem Stereotyp bekannten Muster auf eigentlich
unbekannte Personen oder Situationen. (…) Wir alle, (…) benötigen und nutzen
stereotype Vereinfachungen, um die vielfachen Signale unserer Umwelt überblicken und einordnen zu können. Stereotype sind – was die Geschwindigkeit der
Aufnahme betrifft – sehr effizient, dabei gleichzeitig aber nicht sehr akkurat.“ (Petersen/Schwender 2009, S.9)
Im Sinne von Schwemmer besitzt ein Stereotyp daher eine eindimensionale Prägnanz (vgl. Schwemmer 1997).
Eine wertneutrale Stereotypendefinition, die davon ausgeht, dass Stereotype erlauben durch Verallgemeinerung einen ersten oberflächlichen Eindruck und eine Einordnung einer Wahrnehmung vorzunehmen, die bei näherer Auseinandersetzung mit
dieser Wahrnehmung jedoch flexibel veränderbar sind, ohne die zuvor angenommenen Verallgemeinerungen zwingend in Frage zu stellen (sozusagen ein möglicher
Übergang eines eindimensional prägnanten Eindrucks auf eine mehrdimensional
prägnante Beobachtung), soll auch als Ausgangspunkt für die in dieser Arbeit entwickelten Audiotype gelten. Wenn das Schreien eines Babys beispielsweise ein
Audiotyp ist, der für uns bedeutet, dass es dem kleinen Wesen nicht gut geht und wir
etwas unternehmen müssen, und wir dann erkennen, das dieser Schrei zu einem
Plastikbaby gehört, dann werden wir unser Verhalten diesem „Baby“ gegenüber
57
Prägnanzbildungsprozesse
verändern und auch anders von ihm „denken“: Audiotype sind also ähnlich wie Stereotype flexibel veränderbar.
II-2.3
Visiotype
In Anlehnung an das Konzept der Stereotype hat sich in den letzten Jahren eine
Theorie der Visiotype entwickelt. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass visuelle
Effekte durch die Entwicklung der neuen Medien in einen wissenschaftlichen Fokus
gerückt wurden. Dass die Konzentration auf visuelle Wahrnehmungen allerdings
noch kein zufriedenstellendes Modell für die Erklärung unserer Aufmerksamkeitsverteilung, und nur ein Aspekt in der Wirkungsforschung unserer Wahrnehmungen sein
kann, betont u.a. der Kunsthistoriker Jonathan Crary:
„Es geht mir (…) um den Nachweis, dass das Sehen lediglich eine Schicht in einem Körper darstellt, der von einer Reihe externer Techniken ergriffen, geformt
und kontrolliert werden kann, der jedoch auch imstande ist, sich einem institutionellen Zugriff zu entziehen und neue Formen, Affekte und Intensitäten zu erfinden.
Ich glaube nicht, dass ausschließlich visuelle Begriffe wie >>Blick(gaze)<< oder
>>Betrachtung (beholding)<< als solche bereits Objekte historischer Betrachtung
sein können. Den problematischen Terminus >>Wahrnehmung<< gebrauche ich
vor allem, um auf ein Subjekt hinzuweisen, dass nicht bloß einsinnig durch die
Modalität des Sehens, sondern auch durch Gehör und Tatsinn und vor allem auch
die unentwirrbaren gemischten Modalitäten definierbar ist, die den >>Visual studies<< zwangsläufig ganz oder weitgehend aus dem Blick geraten.“ (Crary 2002,
S.15)
Die Ansicht, dass menschliche Wahrnehmung grundsätzlich auf vielen, dispersen
Ebenen stattfindet, erschwert den Zugang zu dieser. Um herauszufinden welche
visuellen Reize in welcher Form und Intensität wahrgenommen werden, bedarf es
also nicht nur einer differenzierten Untersuchung von Wahrnehmungsvorgängen an
sich, sondern auch einer klaren Beschreibung der wirksamen Reize. Diese wird vom
Konzept der Visiotype im visuellen Bereich zumindest teilweise angeboten.
58
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
Pörksen beschreibt Visiotype als Bilder, die von einer Gesellschaft, ähnlich wie
Buchstaben gelesen werden können. Als zentrales Beispiel dafür nennt er die Abbildung der Doppelhelix als Sinnbild für die genetische Entschlüsselung des Menschen.
Visiotype können aber auch Pfeile, Infografiken oder gelernte Abbildungsfolgen, wie
beispielsweise die grünen Blitze vor grauem Hintergrund im Fernsehen sein, die seit
dem Golfkrieg 1991 von uns als Bombeneinschläge decodiert werden (vgl.Virilio
1997).
„Wir sind umgeben von solchen Zeichen, sie sind die großen Stimmungsmacher
der Epoche. Denn wichtiger als die Schlagwörter sind inzwischen die Schlagbilder
(…) Sie sind umgeben von einem starken Assoziationshof von Gefühlen und Wertungen sind 'konnotatstark', wie man sprachwissenschaftlich sagen könnte. Es
geht eine beträchtliche Bannkraft von ihnen aus.“ (Pörksen 1994, S.28)
Diese „Schlagbilder“ können uns (bspw. ähnlich wie die „Schlagzeilen“ einer Zeitung)
in die Irre führen. Um Visiotype besser zu verstehen gilt es also offenbar zuerst ihr
Täuschungspotential zu betrachten, dass sich vor allem in massenmedialer Verwendung zeigt und von Pörksen mit dem Täuschungspotential von Worten verglichen
wird:
„Beim Übertritt der visuellen Werkzeuge in die Öffentlichkeit geschieht offenbar
das Gleiche, was sich in solchem Fall an dem Vokabular der Wissenschaft beobachten lässt. Statt des Inhalts wirkt der Nimbus.“ (Pörksen 1994, S.20)
Emotion vor Information – nicht die Abbildung selbst, sondern der Nimbus der Abbildung erreicht den Rezipienten zuerst und unmittelbar. Die Konnotation, die zusätzlichen Bedeutungszuschreibungen, die einem abstrakten Bild, einer Zeichnung oder
einem Photo zugeschrieben werden, geben ihm erst die eigentliche Macht und lassen es wirken – und diese Wirkung kann im Sinne von Pörksen so täuschend sein,
dass durch die Emotion des Abstrakten, die Information der Wirklichkeit verdrängt
werden kann:
59
Prägnanzbildungsprozesse
„Sprache (…) kann sich als Fassade, als Attrappe vor die Wirklichkeit stellen, so
daß diese unsichtbar wird und nicht einmal mehr zu ahnen ist. (…) Das gilt erstaunlicherweise für den Bereich der Bilder noch mehr als für den der Wörter. Bilder können abstrakter sein als die Abstrakta der Sprache, sie bringen unter Umständen ein noch höheres Maß an abgehobener, menschenleerer Objektivität zustande.“ (Pörksen 1994, S.24f)
Infografiken, Tabellen, Skizzen – die kühlen Striche visiotyper Darstellungsformen
legen sich wie eine verhüllende Decke vor die Wirklichkeit. Wenn die Kindersterblichkeitsrate in Afrika in einem Diagramm mathematisch aufgeschlüsselt wird, werden
die kleinen verhungerten Kinderskelette damit erfolgreich verdeckt. Wenn Pfeile zum
Notausgang im Flugzeug zeigen, ist das beruhigender als eine Skizze von panischen
Menschen, die alle in dieselbe Richtung laufen. Visiotype sprechen uns emotional
an, allerdings derart abstrakt, dass sie die wahren Empfindungen, die wir angesichts
der Darstellung haben könnten, nicht zwingend auslösen. Sie scheinen eine oberflächliche Betrachtungsweise zu begünstigen, die, geschickt eingesetzt, die Rezipienten manipuliert, weil sie die reale Tragweite des Dargestellten emotional nicht
mehr so leicht erreicht:
„Wer den Bau einer Autobahn durchsetzen will, im Zuge der neuen Biotechnik eine neue Ethik und Rechtsordnung fordert, einen Ölkrieg als kleinen, sauberen
Eingriff vorführen will, greift zum Visiotyp.“ (ebd. S.27)
Im Sinne einer eindimensionalen Prägnanz passen Visiotype sehr gut in die neue
Kommunikationsinfrastruktur. Sie sind meist einfach zu lesen und helfen, ähnlich wie
Stereotype, die Komplexität der Wirklichkeit zu reduzieren.
„Ich gebrauche das Wort ‚Visiotyp’ parallel zu ‚Stereotyp’ und meine zunächst diesen allgemein zu beobachtenden, durch die Entwicklung der Informationstechnik
begünstigten Typus sich rasch standardisierender Visualisierung. Es ist eine
durchgesetzte Form der Wahrnehmung und Darstellung des Zugriffs auf die „Wirklichkeit“.“ (ebd. S.27)
Ähnlich wie beim Stereotyp lässt Pörksen einen negativen „Beigeschmack“, bei seinem Konzept der Visiotype mitschwingen. Die Simplifizierung, die Täuschung, die
60
Theoretische Konzepte zur Komplexitätsreduktion
Abstraktion, die durch ein Visiotyp stattfinden kann, wird meist als problematisch
beschrieben. Selbst Photos oder bewegte Bilder, die von Pörksen als „Abstraktion
auf hoher Stufe“ (ebd. S. 64) bezeichnet werden, erlauben es dem Betrachter in eine,
in manchen Fällen unzulässige, Distanz zur Wirklichkeit zu gehen:
„Möglicherweise ist die Grausamkeit der anschaulichen Abstraktion noch größer
als die der unanschaulichen.“ (ebd. S.64)
Doch es gilt auch hier wieder die objektive Leistung eines Visiotyps zu würdigen.
Nicht alles was täuschen kann, muss zwingend täuschend sein – nicht immer ist ein
moralisierender, sozialer Standpunkt in der Wissenschaft einzunehmen. Um Unfassbares fassbar zu machen, muss es offenbar erst verändert werden. Die Täuschung
wird damit Teil der Wirklichkeit und kann nicht immer sozial bewertet werden:
„Die Visiotype fungieren jedoch als soziale Werkzeuge. Sie bewirken eine Umgestaltung der Gesellschaft; aber sie sind gerade dies nicht, sozial, konvivial, können
es nicht sein. Ihre Existenz ist einem Beobachterstand geschuldet, der in außermenschlichen Ordnungsdimensionen linst. Ihre lineare Bewegung ins Unendliche,
die auch eine Bewegung in der Zeit ist, zeigt gerade, dass ihnen eine wesentliche
Eigenschaft des Sozialen fehlt: Das Maß. Sie sind maßlos (…).“ (ebd. S. 221)
Maßlos und dennoch einfach zu verstehen, unsozial und dennoch wird die Betrachtung sozialer Entwicklungen ermöglicht – die Maßlosigkeit von Visiotypen spiegelt die
Unendlichkeit wieder, die uns im Weltall begegnet, möglicherweise aber auch unser
Wissen betrifft. Wenn es uns gelingt, die Unendlichkeit bildlich darzustellen, indem
wir einfache „maßlose“ Grafiken entwickeln, so ist möglicherweise die Simplifizierung
der erste Schritt zu einer unendlichen, ganzheitlichen Erkenntnis. Sozusagen in
kleinen, einfachen Schritten erklimmen wir den unendlich hohen Berg. Offenbar ist es
für das menschliche Gehirn notwendig, dass einfache „Wahrnehmungs-Schemata“
wie Visiotype entwickelt werden, um das immer größer werdende Wissen der Menschen, das einer immer größer werdenden Masse von Menschen zugänglich ist, für
den Einzelnen verarbeitbar zu machen. So wie Wittgenstein und Humboldt die Spra61
Prägnanzbildungsprozesse
che als Voraussetzung für das Denken des Menschen betrachtet haben (siehe Hartmann 1998/99), so sind wohl auch Kanon, Stereotype und Visiotype, die eine Kategorisierung unzähliger, disperser Reize ermöglichen, eine Voraussetzung für das
Verstehen unserer Wahrnehmungen. (Sowie die in dieser Arbeit beschriebenen
Audiotype auch zu einem besseren Verständnis von akustischen Reizen beitragen
sollen.) Damit wäre nicht nur die Sprache Voraussetzung für das menschliche Denken, sondern die Fähigkeit, sinnliche Wahrnehmungen zu abstrahieren. Auch wenn
es vorerst absurd erscheint so ermöglicht wohl erst die Simplifizierung und Kategorisierung der Komplexität unser Bewusstsein zu erweitern.
„Das repräsentative Bewusstsein für den Raum scheint sich menschheitsgeschichtlich langsam zu entwickeln. Sehr lange bleibt das Bewusstsein an konkrete
Orte gebunden, ohne dass allgemeine Schemata auf einer abstrakten Ebene vorhanden wären. Erst diese ermöglichen jedoch eine Visualisierung von Raum – um
eine Karte herstellen zu können, muss ich mich von der Anschauung des konkreten Berges lösen und ihn durch ein Zeichen darstellen können.“ (Marquardt 2005,
S.12)
Dass die Forschung dabei ist, eine „Privilegierung der Kategorie Sprache“ zugunsten
einer „Privilegierung der Kategorie Visualität“ (vgl. Crary 2002) aufzugeben, ist ein
erster Schritt, der zur Entwicklung des Konzepts der Visiotype geführt hat – nun
müssen weitere, sinnliche Konzepte folgen, die keine „Privilegierungen“ mehr beinhalten. Vielmehr sollten sie – ähnlich wie die Visiotype – auf einfache Weise maßlos
sein. Sozusagen eine Kategorisierung die beliebig erweiterbar ist. Offen für unendlich
viele Wahrnehmungsmöglichkeiten mit uns vielleicht noch gar nicht bewussten Sinnesorganen. Eine Forschung, die sich nicht a priori von den bisher bekannten Konzepten einschränken lässt, kann damit eine maßlose Weiterentwicklung unseres
bewussten Wissens ermöglichen.
62
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Kapitel III - Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten Spezies
III-1
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
„Glücklicherweise können wir unser Gehirn benutzen, ohne es genau zu verstehen.“ (Jourdain 1998, S.211)
In den letzten Jahren hat die Neurowissenschaft einen regelrechten Boom erlebt.
Wie wir denken, warum wir in bestimmten Situationen bestimmte Dinge fühlen, was
wir wahrnehmen und welche Dinge uns verborgen bleiben – kurz wie unser Gehirn
funktioniert hat die Menschen zwar schon viele Jahrhunderte interessiert, seitdem es
uns aber möglich ist, mit unterschiedlichen Techniken10 die Aktivität in unserem Gehirn grob abzubilden, scheinen wir zu versuchen jede geisteswissenschaftliche These biologisch bzw. neurologisch untermauern zu wollen.
„Neurowissenschaftler reißen schon Witze darüber, daß sich bald nichts mehr
veröffentlichen läßt, was nicht von ein paar Tomographien illustriert wird. Man will
sehen wie das Gehirn arbeitet.“ (Jourdain 1998, S.345)
Dabei möchten wir gerne „übersehen“, dass diese Bilder nur farbliche Kleckse innerhalb eines hoch-komplexen Systems sind, die uns vielleicht erahnen lassen, wo
unser Gehirn bei gewissen Aufgaben, die ihm gestellt werden, hauptsächlich arbeitet.
Wie das Hirn tatsächlich funktioniert, neurologische Nebenschauplätze oder in welcher Reihenfolge die „aufleuchtenden“ Areale aktiviert worden sind – all das kann
10
Techniken, die es gestatten durch radioaktive Substanzen, die Glukosezufuhr in die
unterschiedlichen Hirnareale abzubilden (dieses Verfahren nennt man PositionsEmissions-Tomographie (PET)) oder durch den Einsatz starker Magneten bewirken,
dass Wasserstoffatome Radiowellen aussenden, die zeigen, wo das Gehirn am
stärksten durchblutet ist (dieses Verfahren nennt man funktionelle
Magnetresonanztomographie (fMRT)). (vgl. u.a. Jourdain 1998, S.345)
63
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
(noch) nicht abgebildet werden. Das führt dazu, dass Computertomographien uns
häufig in die Irre führen (vgl. Jourdain 1998, S.345ff). Denn alleine die Tatsache,
dass das Gehirn zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Stelle besonders gut durchblutet ist, sagt noch nicht zwingend etwas über die tatsächliche Aktivität oder den Grad der Anstrengung aus. So wurde beispielsweise nachgewiesen,
dass die Gehirnaktivität beim Lösen einer komplizierten Aufgabe bei manchen Menschen (meist hochintelligenten) abnimmt, bei anderen wiederum deutlich zunimmt.
„Das soll nicht heißen, daß Einsteins Gehirn ein Nickerchen machte, als er die Relativitätstheorie entwickelte; es heißt nur, daß es problematisch sein kann, die Reaktionen erfahrener und unerfahrener Menschen auf denselben Reiz zu vergleichen.“ (ebd. S.347)
Gehirne scheinen also ebenso einzigartig und individuell zu sein wie Fingerabdrücke.
Wie jede Hand – so unterschiedlich sie auch ist – beim Greifen nach einem Glas
einen ähnlichen Vorgang vollzieht, so wird es sicherlich auch in den unterschiedlichen Gehirnen ähnliche Reaktionen auf denselben Reiz geben. Das bestimmte Areale im menschlichen Gehirn fix für bestimmte Funktionen zuständig sind, zeigt sich
meist nach schweren Unfällen – wenn Teile des Gehirns verletzt oder entfernt werden mussten, und schon zuvor definiert werden kann, welche Fähigkeiten die Betroffenen einbüßen werden. Dass andere Teile des Gehirns bei manchen Patienten
„einspringen“ und gewisse Funktionen übernehmen können, zeigt wiederum die
Flexibilität und Individualität des Systems.
Auf die Frage wo im Gehirn gespeichert ist, wie wir beispielsweise ein Musikstück zu
spielen haben, antwortet der amerikanische Wissenschafter Robert Jourdain
„…überall und nirgends. Es stellt sich heraus, daß „Wissen“ ebenso wenig auf die
Aktivierung eines einzelnen neuronalen Netzwerks zurückzuführen ist wie komplexe Bewegungen auf die Aktion eines einzelnen Muskels. Verschiedene Aspekte unserer motorischen Fähigkeiten sind auf unterschiedliche Teile unseres Gehirns verteilt und diffus in jedem einzelnen Teil enthalten:“ (ebd. S.269)
64
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Die neurologischen Verbindungen im Gehirn scheinen also eng miteinander verbunden zu sein. Wenn sich ein Teil bewegt, spielen ihm andere Teile zu. Auch wenn die
rechte Gehirnhälfte bei der Identifizierung von Musik der linken überlegen zu sein
scheint, und die linke Gehirnhälfte dominierend bei der Spracherkennung ist, so
werden doch beide Hemisphären sowohl beim Sprechen als auch beim Musik hören
beschäftigt. Die linke Hemisphäre soll sogar die Wirkung musikalischer Intentionen
verstärken.
„Positiv eingestufte Musik wurde signifikant beruhigender beurteilt, wenn sie über
das rechte Ohr anstatt mit dem linken oder beiden Ohren gehört wurde; negativ
eingestufte Musik wurde dagegen signifikant aktivierender beurteilt wenn sie über
das rechte Ohr anstatt mit dem linken oder beiden Ohren gehört wurde. (…) Daraus ist abzuleiten, dass die zerebrale Verarbeitung von Musik in den Hemisphären
unterschiedlich verläuft. Dies tritt jedoch nur zutage, wenn allein über das rechte
Ohr Musik gehört wird, ihre Verarbeitung also zunächst in der linken Hemisphäre
erfolgt.“ (Kreutz in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.565)
Im Rahmen dieser Arbeit ist es von Interesse herauszufinden, wie das Gehirn mit
akustischen Reizen umgeht und dabei spielt natürlich die Zusammenarbeit des neuronalen Systems mit dem Hörorgan eine große Rolle: wie spielt das Ohr, sozusagen
die Hardware, mit dem Gehirn, der Software, zusammen.
„Listening is the key issue in communication via sound because it is the primary
interface between the individual and the environment.“ (Truax 2001, S.XVIII)
III-1.1 Ohr und Gehirn
Das Hören wird grundsätzlich durch Bewegung von Molekülen, sprich Schallwellen
möglich:
„Ein Molekül schwingt zwanzig mal pro Sekunde für den tiefsten Ton, den wir
wahrnehmen können (das entspricht einer Frequenz von zwanzig Schwingungen
pro Sekunde oder zwanzig Hertz); die höchsten Töne die wir gerade noch hören
können, haben bis zu 20 000 Hertz. Je stärker die Moleküle zusammengedrückt
werden, desto härter drücken sie auf das Trommelfell und desto lauter erscheint
uns der Ton.“ (Jourdain 1998, S.24)
65
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
Die Aufgabe des Ohres ist es, diese Schallwellen in unser Gehirn weiterzuleiten.
Dabei übernimmt die Ohrmuschel die Aufgabe den Schall zu verstärken aber auch
zu selektieren. Die Schallwellen werden beim Auftreffen auf das Trommelfell in mechanische Schwingung umgewandelt:
„Die mechanische Übertragung über die Gehörknöchelkette des Mittelohrs zum
Innenohr zeigt bereits eine deutliche Frequenzabhängigkeit. Höhere Frequenzen
(zwischen 1 und 5 kHz) erhalten eine leichte Verstärkung während tiefere Frequenzen (unter 1 kHz) etwas gedämpft werden.“ (Lercher in Kalivoda/Steiner
1998, S.42)
Jourdain beschreibt, dass die menschliche Ohrmuschel zu klein ist, um niederfrequenten Klang (dem wir offenbar keine große Bedeutung zumessen) zu reflektieren,
mittlere Frequenzen, die für die Sprachwahrnehmung von Bedeutung sind, werden
hingegen besonders verstärkt, auch von den Gehörknöchelchen im Mittelohr. Diese
haben überdies eine Schutzfunktion:
„…sie ziehen sich (…) bei gefährlich lautem Schall reflexartig zusammen und
vermindern damit die Schwingungsenergie, die das empfindliche Innenohr erreicht, um bis zu zwei Drittel.“ (Jourdain 1998, S.30)
Allerdings ist dieser Schutz nur begrenzt wirksam. Nicht nur, dass der volle Effekt
erst nach einer halben Sekunde erreicht wird, und explosionsartige Geräusche dadurch einfach zu schnell auf unser Ohr treffen (und dieses bei starker Intensität auch
schädigen können), die Muskeln, die für das zusammenziehen der Gehörknochen
zuständig sind, können (wie alle Muskeln) erschöpfen und sind damit nicht mehr so
funktional. Das erklärt laut Jourdain die vielen schwerhörigen Rockmusiker (ebd.
S.30).
Das schützenswerte Innenohr wird häufig als das „wahre“ Ohr bezeichnet, denn hier
werden die Schallschwingungen in Informationen für das Hirn übersetzt – Schwin-
66
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
gungen werden hier zu Nervenimpulsen. Dabei übernimmt das „Cortische Organ“
eine Schlüsselrolle.
„An der Peripherie fast jeden sensorischen Systems befindet sich eine große Anzahl örtlich verteilter Rezeptoren. Beim Auge sind dies die Stäbchen und Zäpfchen
der Retina; beim Ohr die Haarzellen des Corti´schen Organs in der Schnecke. Der
adäquate Reiz jenes Rezeptorenfelds hat also stets zwei Hauptaspekte, nämlich
denjenigen des Ortes, an welchem er wirkt, und die Stärke mit welcher er wirkt.“
(Terhardt 1998, S.15)
Abb.2
Eine erste Definition der Lautstärke wird in diesem Teil des Ohres vorgenommen, für
bestimmet Schallfrequenzen sind unterschiedliche Haarsinneszellen verantwortlich.
„Das Cortische Organ besteht aus Anordnungen spezieller Nervenzellen, den
Haarsinneszellen. (…) Jede Gruppe von Haarsinneszellen ist besonders empfindlich für bestimmte Schallfrequenzen – Soprantöne am Anfang der Cochlea, Basstöne in der Spitze der Spirale. Von den Haarsinneszellen stehen winzige Härchen
ab, von denen einige eine gallertartige Membran (die Deckmembran) berühren
(…). Wenn sich die Schallwellen durch die umgebende Flüssigkeit ausbreiten,
bewegt sich die Deckmembran relativ zur Membran, die das Cortische Organ
trägt. Dadurch werden die Härchen abgebogen, worauf die Haarsinneszellen Nervenimpulse feuern – je stärker die Bewegung, umso mehr Impulse geben sie ab.“
(Jourdain 1998, S.31f)
Die Umwandlung „physikalischer Schwingungen“ in „physiologische Information“
(ebd.S.30) findet also in unserem Ohr statt.
67
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
Abb.3
Es ist davon auszugehen, dass die Informationen die ans Gehirn weitergeleitet werden, über einen einzigen akustischen Reiz (und meist erreichen uns mehrere zur
selben Zeit) sehr differenziert sind.
„Interessanterweise kann bereits ein einziger Ton bedeutungstragende Information wie <<hohl>>, <<rau>>, <<spitz>> oder <<hell>> vermitteln und wir können oft
anhand eines einzigen Tons ein Instrument erkennen, Das heißt, dass basale
akustische Parameter uns manchmal schneller semantische Information übermitteln können als die Sprache.“ (Koelsch/Schröger in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009,
S.394)
Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass in der neuronalen Verarbeitung akustischer Reize auch viele emotionale Prozesse involviert sind. Koelsch und Schröger
beschreiben, dass beispielsweise die Musik Einfluss darauf hat, wie wir semantische
Informationen interpretieren. Das Wort gibt sozusagen die Information, der Ton die
entsprechende Emotion. Auch in welcher Tonlage etwas ausgesprochen wird verändert die Bedeutung. „Der Ton macht die Musik“ und ergänzt damit die kommunizierte
Botschaft:
„Nicht nur Bedeutungen werden über die sprachliche Kommunikation vermittelt,
sondern über die Lautstärke, Frequenzlage, das Sprechtempo und die Sprachmelodie (Prosodie) werden auch Informationen über emotionale Zustände oder die
Intention des Sprechers mitgeteilt (z.B. Scherer, Johnston&Klasmeyer 2003).“
(Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.19)
68
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Dass das Gehirn die Emotionen des Gegenübers entschlüsselt, kann unter Umständen lebenswichtig sein, weil es uns signalisiert, ob wir in Sicherheit sind (weil wir
positive, freundliche Signale erhalten) oder lieber das Weite suchen sollten (weil wir
feindliche, aggressive Stimmung orten).
Neben der emotionalen Einschätzung, die uns akustische Information bietet, findet
auch eine „auditorische Gestaltsbildung“ statt.
„Dadurch können beim Hören akustische Objekt verfolgt und eine kognitive Repräsentation der akustischen Umwelt aufgebaut werden, etwa um die Stimme eines Gesprächspartners von den Umgebungsgeräuschen zu trennen.“
(Koelsch/Schröger in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.396f)
Damit das alles möglich wird, brauchen wir nicht nur ein komplexes Hörorgan sondern auch eine komplexe Denkfähigkeit. Es wird angenommen, dass sich das Gehirn
in seiner Entwicklung an die verbesserte Hörfähigkeit, die die Entwicklung des Ohres
mit sich gebracht hat, angepasst hat, es…
„… ging schrittweise über die bloße Wahrnehmung von Schall hinaus – es begann, Schall zu analysieren, zu interpretieren und zu identifizieren.“ (Jourdain
1998, S.36)
Wie wir Geräusche wahrnehmen, wird aber nicht zwingend einer objektiven Realität
entsprechen. Schüler lernen bereits im Physikunterricht, dass ein Tisch eigentlich
kein festes homogenes Objekt ist, so wie wir das sehen, sondern eine Verbindung
schwebender Atome, die verhältnismäßig große Abstände zueinander halten. Ähnlich verhält es sich mit den Tönen, die wir wahrnehmen – manche verschmelzen zu
einem Akkord, andere werden einzeln wahrgenommen obwohl sie von vielen anderen begleitet werden, manche können wir gar nicht hören, manche nur teilweise.
Während bereits im Ohr bestimmte Schallfrequenzen gefiltert, gedämpft oder verstärkt werden, sind die Nervenzellen des auditorischen Cortex im Gehirn offenbar
69
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
auch damit beschäftigt, andere Nervenzellen zu hemmen und damit akustische Informationen zu vereinfachen (vgl. Jourdain 1998, S.81).
Abb.4
Zugunsten einer besseren Erfassbarkeit ist es wohl so…
„… dass sich das Gehirn an Dinge erinnert, indem es sie kategorisiert, nicht indem
es einen lebensechten Schnappschuß davon abspeichert. Auf was auch immer
das Gehirn trifft, sei es ein visueller Reiz, ein Geräusch, ein Geruch oder eine
Tastempfindung, es wird auf seine Grundelemente hin und deren Beziehungen
zueinander abgesucht und zerlegt (…). Das Gehirn funktioniert bei fast allem was
es tut, über solche diffusen, abstrakten Hierarchien.“ (Jourdain 1998, S.210)
Ähnlich wie es bereits bei den Prägnanzbildungsprozessen beschrieben wurde findet
eine Kategorisierung der eintreffenden Reize statt, und nur die, die quasi in das „Erkennungsschema“ passen, werden bewusst weitergeleitet, um uns nicht zu überfordern (kein Wunder, das ein Geschöpf mit einem neuronalen System wie diesem,
Stereotype entwickelt).
III-1.2 Hörmodi, Umgebung und Habituation
Wir können das Gehör offenbar flexibler einsetzten als das Auge. Nicht nur, dass wir
uns den Tönen nicht unbedingt zuwenden müssen, wir können auch, ohne unseren
Standort zu verändern, beliebig unsere Aufmerksamkeit lenken.
70
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
„Der <Coktail-Party-Effekt> beschreibt, wie Menschen in der Lage sind, bewusst
zwischen mehreren, gleich lauten Unterhaltungen hin und her zu schalten (Arons
1992).“ (Frauenberger in Spehr 2009, S.200)
Es ist uns bis zu einem gewissen Grad möglich, bewusst zu entscheiden, was wir
hören und wie wir es hören.
„Schafer und später Truax beschreiben in diesem Zusammenhang das suchende
Hören, welches eine klangliche Umgebung bewusst nach bestimmten Klangströmen durchsucht, sowie das Bereitschaftshören, welches auf vorangegangenen
Lern- und Gedächtnisprozessen, aber auch auf evolutionär bedingten Verhaltensmustern basiert.“ (Hug in Spehr 2009, S.150)
Truax beschreibt auch zwei unterschiedliche Sound-Umgebungen, die beim Hörer
differenzierte Gefühle auslösen und entweder zur Interaktion einladen, und damit das
„Bereitschaftshören“ begünstigen, oder Isolationsgefühle hervorrufen, und damit eher
ein „suchendes Hören“ benötigen (wobei der Begriff „suchend“ in diesem Zusammenhang unglücklich gewählt zu sein scheint, denn nicht immer versuchen wir bewusst etwas zu hören).
„Within the ´hifi´environment, the listening process is characterized by interaction
(…) The ´lofi` environment, in contrast, seems to encourage feelings of being cut
off or seperated from the environment.“ (Truax 2001, S.23)
Innerhalb einer „`hifi` environment“ können Töne klar wahrgenommen werden, eine
Mutter kann ihr Baby in einem anderen Raum schreien hören und gegebenenfalls
interagieren, während in einer „`lofi` environment“ viele unterschiedliche akustische
Reize miteinander verschmelzen, sodass beispielsweise der Ton der eigenen Schritte nicht mehr wahrgenommen werden kann. Truax betont, wie wichtig es ist beide
Hörmodi (das Bereitschaftshören und das suchende Hören) zu üben und kritisiert,
den Anstieg der „`lofi` environments“, durch die, seiner Meinung nach, Beziehungen
und Kommunikationsmöglichkeiten erschwert und limitiert werden (vgl. Truax 2001,
S.22ff). Wobei wir durch Gewöhnungseffekte die „`lofi` environment“ meist kritiklos
akzeptieren.
71
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
Besonders spannend ist, dass sich das Hirn offenbar mehr für Neues interessiert und
Altes, das sich immer wiederholt (und bereits schon einmal kategorisiert und bewertet wurde) richtig gehend ausblenden kann:
„Ungefähr 85 Prozent aller Neuronen des primären auditorischen Cortex zeigen
(…) ein als Habituation (Gewöhnung) bezeichnetes Phänomen: Je länger diese
Neuronen erregt werden, desto weniger sprechen sie an. Das heißt, dass wir ohne
ständige Erneuerung von Schall (oder das Auffrischen unserer Aufmerksamkeit für
diesen Schall) taub würden. Für Psychologen, die schon lange wußten, dass sich
das Gehirn eigentlich nur für Veränderungen interessiert, ist dieses Phänomen
nichts Neues.“ (Jourdain 1998, S.81)
Zahlreiche Studien beweisen hingegen, dass sich Anrainer nur selten an Fluglärm
oder auch lauten Straßenlärm gewöhnen können – offenbar ist es von der Intensität
und Kontinuität des Schalls abhängig, ob eine Habituation stattfinden kann, oder
nicht. Ist die Intensität zu stark, so findet anscheinend keine Gewöhnung statt, die
Menschen werden durch die stetige Aktivierung ihres Körpers gestresst und letztendlich krank (vgl. Lercher in Kalivoda/Steiner 1998, S.44ff). Der Sozialmediziner Peter
Lercher hat überdies herausgefunden, dass nicht nur die Lautstärke, sondern auch
die Frequenz dabei eine große Rolle spielt: tiefere Frequenzen machen uns offenbar
mehr Probleme als höhere (vgl. Lercher in Kalivoda/Steiner 1998, S.50ff), und wie
wir bereits beschrieben haben, ist unser Ohr auch damit beschäftigt, tiefere Frequenzen von vornherein zu dämpfen. Truax geht sogar davon aus, dass auch Lärm, den
wir nicht bewusst wahrnehmen, vielleicht nicht einmal hören können, schädlich sein
kann, und damit auch laute Geräusche, an die wir uns vermeintlich gewöhnt haben,
eine negative Wirkung auf uns haben können (vgl. Truax 2001, S.93ff).
Akustische Informationen werden im menschlichen Organismus in „zentralnervöse
Zentren und Systeme“ weitergegeben, wobei das „retikuläre System“ hier eine besondere Rolle spielt. Dieses System ist dominierend bei der „Regelung und Steue-
72
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
rung des Wachheitszustands (Aktivierungspegel)“ (Lercher in Kalivoda/Steiner 1998,
S.44). Das erklärt auch, warum uns ein Schuss zusammenzucken lässt, oder wir
neben einer lauten Straße üblicherweise nur schlecht schlafen können, wobei das
retikuläre System eben durchaus gewöhnungsfähig ist.
„Die moderierende Funktion dieses Systems ist neben einer Fülle von dispositionellen Faktoren (Alter, vegetative Labilität, hereditäre Belastung etc.) auch mitverantwortlich für die z.T. große Streuung individueller physiologischer Reaktionen
auf Lärmbelastung (JANSEN/SCHWARZE [103]).“(Lercher in Kalivoda/Steiner
1998, S.45)
Wenn unsere Vorfahren den Schrei eines wilden Tieres gehört haben, hat das retikuläre System sie rasch hellwach gemacht und somit auch handlungsfähig. Welche
akustischen Signale heutzutage das retikuläre System veranlassen uns wach zu
rütteln, wird im Kapitel IV 4.1. im Zusammenhang mit den handlungsinduzierenden
Audiotypen beschrieben.
Truax geht davon aus, dass es nicht unbedingt wichtig ist, welcher akustische Reiz
auf uns trifft, sondern vielmehr in welcher Situation er uns erreicht. (Truax 2001,
S.13) Das Brüllen eines Löwen werden wir in einem Zoo verhältnismäßig entspannt
erleben – in der Wildnis, wo es keine schützenden Gitterstäbe gibt, wird unser retikuläres System sicher sofort Alarm schlagen. Wenn wir von einem Geisterfahrer im
Radio hören, betrifft uns das vorerst wenig, befinden wir uns auf dem Straßenabschnitt für den die Geisterfahrerwarnung gilt, ist davon auszugehen, dass sich unser
Aufmerksamkeitspegel drastisch verändert.
III-1.3 Akustische Vielfalt - Beziehungen machen Sinn
Klänge und Geräusche werden nicht nur von Menschen in unterschiedlichem Kontext
ungleich wahrgenommen sondern auch von Tieren. Deren Wahrnehmungsfähigkeit
unterscheidet sich meist deutlich von unserer. Auch wenn wir über ein hoch entwic-
73
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
keltes Hörsystem verfügen, können wir, durch die Begrenzung der für uns wahrnehmbaren Schallfrequenzen, nur schwer die akustische Vielfalt die uns umgibt
untersuchen. Es liegt also nahe, sich mit den Geschöpfen zu befassen, die offensichtlich eine andere akustische Bandbreite rezipieren können als wir. Diese Forschungen haben zwar eine große biologische Bandbreite unterschiedlicher Hörsystem offenbart (und auch viele interessante alternative Kommunikationssysteme, die
auf Geruch, Temperatur oder Bewegung11 zurückgreifen), bei der Art der neuronalen
Verarbeitung scheinen die Menschen jedoch am weitesten fortgeschritten zu sein.
Zahlreiche Tierforscher haben sich bisher mit der Sprache und damit auch dem Hörvermögen der Tiere beschäftig. In Dresden haben Wissenschaftler nachgewiesen,
dass Singvögel unterschiedliche regionale Dialekte entwickeln (vgl. Münder 2008).
Amerikanischen Wissenschaftlern gelang es, der Schimpansendame Washoe 250
Wörter in Taubstummensprache beizubringen (Becker 2007), und ein militärisches
Projekt der USA in den 1960er Jahren befasste sich mit der kommunikative Leistungsfähigkeit von Delphinen. Den Tieren sollte angeblich die menschliche Sprache
beigebracht werden um sie für militärische Zwecke einsetzten zu können. Das Projekt wurde eingestellt, allerdings geht der kalifornische Wissenschafter Patrick Flanagan davon aus, dass eine Mensch-Delphin-Kommunikation durchaus stattfinden
könnte, möglicherweise sogar ohne technische Hilfsmittel. Denn laut Flanagan besitzen Menschen ein Ultraschall-Organ und zwar auf der Haut (vgl. Klink 2004). Der
Amerikaner hat gemeinsam mit anderen Forschern an einem „Delphin-MenschÜbersetzer“ gearbeitet und dabei das „Neurophon“ entwickelt. Mit diesem Gerät soll
es möglich sein, über die Haut zu hören. Klangsignale werden in Ultraschallwellen
11
Die Tanzsprache der Bienen sei hier als Beispiel genannt.
74
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
ungewandelt, diese Wellen werden über die Haut zum Gehirn weitergeleitet. So soll
es auch Menschen, die kein Innenohr mehr haben, möglich sein, Musik zu hören.
Flanagan spricht von einem „zweiten funktionstüchtigen Hörorgan“ des Menschen
(vgl. Klink 2004). Diese Entdeckung zeigt, wie wenig erforscht unsere potentiellen
Sinneswahrnehmungsmöglichkeiten noch sind. Nachdem sich der Mensch selbst an
der Spitze der evolutionären Entwicklung sieht und sich als die am höchsten entwickelte Spezies der Erde bezeichnet, ist es nicht verwunderlich, dass Versuche, die
aktive Kommunikation mit anderen Lebewesen aufzunehmen, bisher nicht wirklich
ausgereizt worden sind12. Wie Flangans Entdeckung jedoch zeigt, könnten wir über
diesen Weg unter Umständen viel über unsere ungenutzten neuronalen Fähigkeiten
erfahren.
Zurzeit versuchen wir jedoch vielmehr, mit den von uns geschaffenen elektronischen
Hilfsmitteln besser kommunizieren zu können. Spracherkennungssysteme sollen uns
diese Interaktion gestatten. Es ist bereits möglich, den Namen der besten Freundin
ins Telefon zu sprechen, und schon wird ihre Nummer gewählt. Wir steigen ins Auto
und benennen ein Ziel, und das Navigationsgerät leitet uns mit freundlicher Stimme
an den gewünschten Ort. Möglich gemacht haben das Erfindungen wie beispielsweise der von Flanagan mitentwickelte „Phonemdetektor“, der ursprünglich die Kommunikation mit Delphinen unterstützen sollte (vgl. Klink 2004). Während wir der Interaktion mit Tieren also vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit schenken, treiben wir die
Interaktionsmöglichkeiten mit digitalen Maschinen weiter voran. Um diesen Maschi-
12
Nur dann wenn Tiere uns für Hilfsleistungen zur Verfügung stehen sollen (Blindenhunde,
Reittiere etc.) setzten wir uns mit ihrer „Sprache“ auseinander. Wir interessieren uns für
ihre Fähigkeiten gehen aber davon aus, dass wir ihnen kommunikativ deutlich überlegen
sind.
75
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
nen als Gegenüber ein „Gesicht“ zu geben, haben wir ihre Oberfläche sinnigerweise
als „Interface“ bezeichnet.
Was die Tierwelt betrifft, so sind wir am ehesten noch an einer differenzierten Kommunikation mit menschenähnlichen Affen oder mit Delphinen und Walen interessiert.
Offenbar wirken ihre Gesänge auf uns nicht nur geheimnisvoll sondern auch ausreichend komplex. Ein Übersetzungsgerät einzusetzen, das uns befähigt, wie Doktor
Doolittle mit den Tieren zu sprechen, erscheint offenbar aber nicht vernünftig – denn
die Denkmuster anderer Lebewesen muten bisher zu simpel an – da macht es für
uns deutlich mehr Sinn, mit Maschinen zu sprechen. Musikwissenschaftler gehen
davon aus, dass nur menschliche Gehirne komplizierte akustische Signale, wie beispielsweise Melodien, als solche wahrnehmen können, weil es ihnen gelingt, die
vielschichtigen Beziehungsmuster, die zwischen den Tönen existieren, zu entschlüsseln.
„In der Physik besteht Klang in der Tat aus nichts weiterem als aus Schallschwingungen. In der Psychologie jedoch sind Klänge eine Form der Erfahrung, die das
Gehirn von außen wahrnimmt. (…) Man wird niemals einen Goldfisch im Walzertakt tanzen sehen, weil es nicht die Töne eines Walzers, sondern die Beziehungen
zwischen diesen Tönen sind, die einen Körper tanzen lassen.“ (Jourdain 1998,
S.20ff)
Es ist also vorerst unerheblich, ob unser Ohr oder möglicherweise auch unsere Haut
hören kann, denn es ist eigentlich unser Gehirn, das die akustischen Reize in Beziehung setzt und zu einem sinnvollen Informationsmuster verarbeitet. In dem Sinn ist
es unser Gehirn das hört, nicht unser Ohr. Und daher sind tierische Hörorgane, die
andere Frequenzen wahrnehmen können, zwar interessant – wenn ihnen aber tatsächlich die neuronalen Fähigkeiten fehlen, diese Töne in Beziehung zu setzten (und
das zu beweisen steht bei einigen Tierarten noch aus), ist eine Kommunikation mit
dem Menschen auf gleichwertiger Ebene tatsächlich nicht möglich.
76
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Es ist davon auszugehen, dass die Beschränkung unseres Hörsystems auf bestimmte Frequenzen zugunsten unsers Gehirns stattgefunden hat, dass sich eben nur auf
die für uns relevanten Laute konzentrieren möchte: Nämlich diese, die von, für uns
relevante Lebewesen, und das sind hauptsächlich unsere Artgenossen, erzeugt
werden können. Ihnen zuzuhören, mit ihnen zu interagieren, mit ihnen in Beziehung
zu treten, und die komplexen Tonkonstrukte um uns in Beziehung zu setzen, hat
unser Überleben gesichert und ist auch die Basis unserer heutigen Gesellschaft.
Wie wir diese Hörbeziehung eingehen, hat Michel Chion in den „drei Hörarten des
Menschen“ beschrieben:
„1. Kausales Hören: Das Hören dient dem Sammeln von Information über die Ursache oder Quelle des Geräuschs.
2. Semantisches Hören: Das Hören dient der sprachlichen Interpretation einer
Nachricht.
3. Reduziertes Hören: Das Hören bezieht sich auf die Geräuscheigenschaft und
ist unabhängig von der Quelle und der Bedeutung des Geräuschs.“ (Chion 1994
zit. nach Fricke in Spehr 2009, S.55)
Diese Hörarten werden je nach akustischem Reiz eingesetzt und stehen auch immer
in einer Verständigungs-Beziehung, denn nicht immer ist von vornherein eindeutig,
welche Art des Hörens angewendet werden muss.
„Ähnlich wie wir beim Sehen ein Objekt erst dann verstehen, wenn wir es aus unterschiedlichen Perspektiven sehen, und es vornehmlich die Interaktion ist (z.B.
Drehen eines Werkstücks in der Hand), durch die wir aktiv unterschiedliche Ansichten von Alltagsobjekten erzeugen, erzeugen wir auch akustisch unterschiedliche Ansichten (Perauditive), indem wir mit Objekten interagieren.“ (Hermann in
Spehr 2009, S.80)
Also erst, wenn wir mit dem Objekt in Beziehung treten, können wir es verstehen.
Sowie Kommunikation generell Beziehung voraussetzt (denn ohne Sender und Empfänger, die in irgendeiner weise in Beziehung stehen müssen, kann keine Informationsvermittlung stattfinden) (vgl. u.a. Burkart 1983, S.14ff).
77
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
III-1.4 Der Rhythmus bei dem jeder Mensch mit muss
Dass wir imstande sind, Sprache, Melodien, und auch Tierlaute zu erkennen, zuzuordnen und zu entscheiden welche „Hörart“ wir einsetzen, ist stark von unserer Erfahrung abhängig.
„Nur die grundlegendsten Mechanismen für das Erkennen individueller Klänge
sind in unserem Nervensystem „fest installiert“ – also angeboren–, jeder andere
Aspekt des Musikhörens wird ganz oder teilweise erlernt. (…) Letztendlich sind wir
alle zu einem gewissen Grad taub für bestimmte Arten von Musik – besonders für
die fremder Kulturen.“ (Jourdain 1998, S.23)
Jourdain beschreibt, dass unsere Musikwahrnehmung keine reine Schallwahrnehmung ist, sondern vielmehr eine „aktive Interpretation dieses Schalls durch unser
Gehirn.“ (ebd. S.96)
Fest steht, dass sich unser Hörvermögen mit zunehmendem Alter verändert. Und
obwohl unser Gehirn doch eigentlich aufgrund der zahlreichen Erfahrungen seine
Interpretationsfähigkeiten und damit auch seine Hörfähigkeiten verbessern müsste,
ist genau das Gegenteil der Fall. Vor allem das Erkennen von höheren Tönen nimmt
im Laufe eines menschlichen Lebens zusehends ab – man nennt dieses Phänomen
„Presbyacusis“:
„Die Abnahme der oberen Hörgrenze ist bereits bei einem Alter von vierzig Jahren
voll im Gange. (…) das bedeutet, dass ein hochfrequenter Ton zehnmal intensiver
sein muss, um genauso laut wie zwanzig Jahre zuvor wahrgenommen zu werden.
Mit achtzig Jahren hat die Sensitivität in einer Größenordnung abgenommen, die
dem Lautstärkenunterschied zwischen Flüstern und einem Presslufthammer entspricht.“ (Jourdain 1998, S.40)
Liegt es daran, dass unser Körper gar nicht darauf ausgelegt ist so lange zu leben?
Hör- und Sehorgane lassen nach, physische Ermüdungszustände treten vermehrt
auf – haben wir praktisch mit 40 Jahren auch den Zenit unserer Wahrnehmungsfähigkeiten überschritten?
78
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Die Neurophysiologen Michael Falkenstein und Sascha Sommer haben herausgefunden, dass ältere Menschen für bestimmte Aufgaben zwar länger brauchen, dafür
aber weniger Fehleranfällig sind (Falkenstein/Sommer 2006). „Ältere“ Gehirne arbeiten also langsamer aber auch zuverlässiger. Der Wert der Erfahrung, die das Hirn im
Laufe eines menschlichen Lebens macht, ist also nicht unerheblich. Und die nachlassende Fitness unseres Organismus lässt sich mittlerweile technisch kompensieren. Die Reaktion unserer modernen Gesellschaft auf den körperlichen Verfall besteht schlichtweg darin, intelligente Hilfsmittel zu erfinden. Brillen, Hörapparate,
künstliche Hüftgelenke sogar die Entwicklung von Bein- oder Arm-Prothesen, die
sich über Rezeptoren mit unserem Gehirn verbinden und somit auch von uns steuern
lassen, ist uns gelungen. Die berühmte Redewendung des römischen Satirikers
Juvenal „Mens sana in corpore sano“ („Ein gesunder Geist in einem gesunden Leib“)
(vgl. u.a. Bartels in Kussel 2009, S.182) wurde durch den englischen Physiker Stephen
Hawking, der fast völlig bewegungsunfähig seinen Sprachcomputer nur mithilfe
seiner Pupillen steuert, widerlegt. Zweifellos ist ein gesunder Körper eine
erstrebenswerte Sache, und möglicherweise unterstützt dieser auch unsere
Denkfähigkeit, eine Abhängigkeit scheint jedoch nur bedingt vorhanden zu sein,
nämlich dann, wenn eine körperliche Beeinträchtigung unser Gehirn betrifft (und
dieses bspw. mit zu wenig Sauerstoff versorgt oder durch äußere Gewalteinwirkung
massiv verletzt worden ist). Es sind offensichtlich die Fähigkeiten unseres Gehirns,
die uns ausmachen – wir brauchen ein „gesundes“ Gehirn. Wir versuchen den
körperlichen Verfall, der durch Alter oder Krankheit entsteht, so lange wegzudenken
und technisch zu kompensieren, bis er möglicherweise eben auch das Gehirn
erreicht (Alzheimer), denn erst dann sind wir „nicht mehr wir selbst“.
79
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
Dass wir bei der Verzögerung unseres körperlichen Verfalls immer erfolgreicher
werden, ist dabei unumstritten. Wir haben offenbar geistig bereits unsere körperliche
Evolution überholt. Dieses Überholen passt zu unserer „schnellen“ Zeit, in der wir
darauf getrimmt werden, in Superlativen zu denken: „höher, schneller, weiter“13. Das
richtige Tempo zu finden, den optimalen Rhythmus, ist allerdings für das Funktionieren unseres Gehirns essentiell. Die Geschwindigkeit eines Musikstücks, die Dauer in
der ein Bild im Fernsehen gezeigt wird, die Zeitspanne eines jeden Reizes, der auf
uns wirkt hat einen großen Einfluss darauf, wie gut oder wie schlecht wir diesen
entschlüsseln und in unserem Gehirn verarbeiten können.
Nicht nur, dass der Rhythmus für unser Erkennen eine große Bedeutung hat, auch
wir selbst funktionieren offenbar rhythmisch. Es wird davon ausgegangen, „dass der
Mensch über einen internen biologischen Zeitgeber verfügt.“ (Auhagen in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.443). Unser Herzschlag hat eine rhythmische Bandbreite – und nur so lang er innerhalb dieser Bandbreite bleibt gewährt er uns damit
ein Überleben. Das machen wir uns offenbar zu wenig bewusst. Musikwissenschaftliche Forschungen zeigen, dass wir uns kaum mehr mit den unterschiedlichen rhythmischen Tempi beschäftigen.
Jourdain spricht von der „metrischen Verarmung der klassischen abendländischen
Musik“ (Jourdain 1998, S.194) und beschreibt, dass sich westliche Musiker nach der
Renaissance hauptsächlich mit der Harmonik in der Musik beschäftigt haben. Der
Rhythmus spielt seitdem eine untergeordnete Rolle – meist wird auf den Drei- oder
Vierviertel-Takt zurückgegriffen. Wenn wir, wie bereits erwähnt, von einer Überforde-
13
Paul Virilio beschreibt, wie diese „Ordnung der Geschwindigkeit“ die Massen „dressiert“
und zu „modernen Arbeitssklaven“ macht. (Virilio 1978, S.10ff)
80
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
rung des Menschen innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastrukturen ausgehen,
so könnte auch ein möglicher Grund von psychologischen Verunsicherungen in unserer Zeit sein, dass wir unseren Rhythmus verloren haben, sozusagen aus dem Tritt
geraten sind. Die Welt wird immer schneller und wir trotten im 4/4-Takt hinterher.
Warum der Rhythmus, dem wir keine allzu große Bedeutung mehr beimessen, jedoch für unser Verständnis der Umwelt so essentiell wichtig ist, lässt sich am Beispiel, wie wir ein Musikstück verstehen, darstellen.
„…der Rhythmus zieht Linien durch eine musikalische Figur. Eine Folge rhythmischer „Marker“ signalisiert dem Gehirn: „Hier ist der Anfang, hier das Ende eines
musikalischen Objekts.“ (…) Ohne rhythmische Marker aber würde das Gehirn in
der Fülle seiner Beobachtungen untergehen (…) Psychologen nennen diese Form
der Gruppierung Chunking.“ (Jourdain 1998, S.163f)
Wir unterteilen Informationen also in rhythmische Häppchen sogenannte „Chunks“,
die für unser Hirn offenbar leichter verdaulich sind. Jourdain vergleicht diese Art der
musikalischen Informationsverarbeitung mit der sprachlichen. Nachdem wir auch
Sätze in sinnverwandte „Chunks“ aufdröseln, die es uns ermöglichen den Sinn eines
Satzes noch vor dessen Vollendung zu verstehen.
„... zum Beispiel: „Wenn Mary Zeit hat“… „bitte ich sie“… „ihre Gitarre“… „vorbeizubringen“. Eine ähnliche Hierarchie des Verstehens entsteht, wenn wir komplexer Musik zuhören.“ (ebd. S.164)
Um ein ganzes Musikstück, einen mündlichen Vortrag oder ein Buch in seiner Komplexität zu verstehen, brauchen wir die Erinnerungsfähigkeit unseres Gehirns. Dabei
ist es nicht unerheblich, in welcher Geschwindigkeit und in welchem Rhythmus uns
die einzelnen Informationshäppchen, die wir später zu einem Grossen und Ganzen
zusammenfügen müssen, erreichen. Unser Gehirn kann eintreffende Reize nur sehr
kurz speichern – erst wenn diese kategorisiert und eingeteilt worden sind (bsw. in
Chunks), ist eine längere Erinnerung an diese möglich. Jourdain beschreibt das
81
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
unmittelbare Erfassen als eine Art „neurale Nachhallzeit“ – in dieser Zeit hallt der Ton
eines Instruments, oder auch das kurz zuvor gesehene Bild noch in uns nach – steht
uns also noch unmittelbar zur Verfügung. Der „ikonische Speicher“, der für visuelle
Wahrnehmungen zuständig ist, kann demnach ein Nachbild für etwa eine Viertelsekunde halten. Die Verweildauer von Schall ist in unserem Gehirn angeblich noch
kürzer – der „Echospeicher“ hält den Schall nur für eine Achtelsekunde (vgl. ebd.
S.178). Die Zeitspanne, die uns dann zur Verfügung steht, um den Reiz zu erkennen,
in Beziehung zu setzen und in eine für uns brauchbare Information zu filtern, bevor er
endgültig aus dem Gedächtnis verschwindet, variiert – Psychologen gehen davon
aus, dass sie über 2 Sekunden, aber nicht mehr als 10 Sekunden beträgt (vgl. ebd.
S.177). Um einen Reiz überhaupt detailgetreu identifizieren zu können, muss er
unserem Gehirn auch für eine bestimmte (wenn auch relativ kurze) Zeitspanne angeboten werden.
„Wir müssen einen Klang nur ungefähr eine tausendstel Sekunde (eine Millisekunde) lang hören, um ihn bewusst zu registrieren, und wir können zwei Töne als
voneinander getrennt wahrnehmen, wenn sie nur zwei Millisekunden auseinanderliegen. (…) Die Tonhöhe registrieren wir erst nach dreizehn Millisekunden und die
Lautstärke sogar erst nach fünfzig. (…) Ebenso wie die Klangfarbe einzelner Töne
identifizieren wir die Konsonanten der Sprache in ungefähr einer Zehntelsekunde.“
(ebd. S. 181)
Das Tempo, indem gesprochen wird, die Geschwindigkeit, in der ein Musikstück
gespielt wird, die Zeit, die uns zur Verfügung steht um ein Bild als solches im Fernseher zu identifizieren, sodass es in uns „nachhallen“ und schließlich mit nachfolgenden Bildern in Beziehung gesetzt werden kann, bestimmt also, ob und wie wir einen
Reiz oder auch ein Konglomerat aus Reizen verstehen. Eine Sprachaufnahme auf
einem Tonband, das zu schnell abgespult wird, ist für uns nur noch ein unverständliches „Mickey Mouse Gebrabbel“. Wenn ein Auto schnell an uns vorbeirast, ist es für
uns unmöglich, den Fahrer zu erkennen. Diese Dinge sind schlichtweg zu schnell,
82
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
nicht nur für unsere Augen oder Ohren, sondern vielmehr für unser Gehirn. Aber
auch die Melodie eines Liedes, das unendlich langsam, Ton für Ton, gesungen wird,
kann von uns kaum erkannt werden. Zeit, Tempo und Rhythmus sind unverzichtbare
Parameter für eine gelungene Informationsverarbeitung. Einfach gesagt: Ist etwas zu
schnell oder zu langsam für unser Gehirn, können wir es nicht verstehen. Wenn
jemand ein Monat lang brauchen würde, um uns einen Satz mitzuteilen – alle paar
Tage sagt er uns ein Wort, oder einen Buchstaben – dann hätten wir sicherlich große
Schwierigkeiten, den vollständigen Satz am Ende des Monats zusammenzusetzen.
Wir müssten viel Energie aufbringen, uns die einzelnen Wörter in ihrer Reihenfolge
zu merken. Würden mehrere Menschen auf diese besonders langsame Art mit uns
kommunizieren, kämen wir schnell an unsere Grenzen. Wir sind davon abhängig,
dass uns Reize innerhalb der richtigen Zeitspanne, unserer Wahrnehmungsspanne,
zur Verfügung stehen, sonst entziehen sie sich unserer Erkenntnis.
„Das Gehirn analysiert die Welt, indem es sie nachbildet. Es benötigt Zeit, um
Klänge zu isolieren, sie zu objektivieren und sie zu kategorisieren. Erst dann kann
es übergeordnete Beziehungen zwischen den Klängen herstellen und herausfinden, welcher zuerst kam, welcher lauter war und welcher höher klang.“ (Jourdain
1998, S.182)
Besonders in einer Zeit, in der die Informationsmenge, die uns zur Verfügung gestellt
wird, explodiert, scheint die stetig steigende Geschwindigkeit, mit der uns diese Informationen angeboten werden, ein ernsthaftes Problem zu sein.
Den Rhythmus zu vernachlässigen, das Gehirn nicht (mit bsw. rhythmischer Musik)
drauf zu trainieren, auch komplexere und raschere Tempoabfolgen zu decodieren,
hat sicherlich nicht zu einem besseren Verständnis unserer neuen rasanten Umwelt
geführt. Würden wir mehr Augenmerk auf unsere akustische Kommunikation legen,
dann müssten wir uns viel detaillierter mit dem Rhythmus beschäftigen. Wir leben in
83
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
einer Welt des Drei- und Vierviertel-Taktes und erhöhen ständig das Tempo, anstatt
den Rhythmus zu variieren, je nach Bedarf einmal 6/8 dann 3/5 und wenn es gemütlich wird 2/2, und dann kommen noch viele rhythmische Möglichkeiten dazu, die wir
noch gar nicht entdeckt oder ausprobiert haben. Truax beschreibt bspw., dass uns
die Exaktheit elektroakustischer Rhythmen häufig langweilt, und wir diese daher
meist versuchen auszublenden, denn erst die minimalen Unregelmäßigkeiten eines
biologischen Rhythmus sprechen uns emotional an (vgl. Truax 2001, S.73ff). Hier
liegt offensichtlich ein weiteres unbeachtetes Feld menschlicher Wahrnehmung.
Die von Jourdain beschriebenen verbesserten Hörfähigkeiten professioneller Musiker
beweisen, dass mit entsprechender Übung, die durch eine regelmäßige Anwendung
automatisch erfolgt, eine Verbesserung der menschlichen Wahrnehmungsspanne
möglich wird. Nach Ansicht einiger Forscher gibt es sogar ein eigenes Wahrnehmungsorgan für rhythmische Bewegungsenergien – das Vestibularorgan. (Trusulit
1938/Todd 1999 in Auhagen in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.453). Und auch
Platon hat in seinen philosophischen Überlegungen – lange bevor die rhythmischen
Bewegungen der Gehirnwellen auf einem Elektroenzephalogramm (EEG) nachgewiesen werden konnten – dem Rhythmus eine große Bedeutung für die geistige
Entwicklung des Menschen zugemessen (Jourdain 1998, S.189). Er stellte fest…
„… dass wir, obwohl wir körperlich in vielem den Tieren ähnlich sind, in allem, was
wir tun, weit mehr rhythmische Aktivitäten entwickeln und weit mehr Kontrolle über
den Rhythmus ausüben. Nach seiner Auffassung kommt der Rhythmus aus dem
Geist und nicht aus dem Körper.“ (Jourdain 1998, S.189)
Weil durch den Rhythmus Gruppierungen entstehen, Einzelstrukturen zu ganzen
Einheiten zusammengefasst werden (ebd. S.177) hilft er uns zu strukturieren und zu
kategorisieren und ist damit ein unverzichtbares Element der menschlichen Auffassungsgabe. Wenn wir uns jedoch vom Rhythmus (bei dem jeder mit muss) entfernen,
84
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
und unterschiedliche Geschwindigkeiten oder auch eine künstliche Exaktheit akzeptieren, die nicht mehr unserer Wahrnehmungsspanne entsprechen (vielleicht auch
nur deshalb, weil wir sie zu wenig geübt haben, unserem Gehirn also die Erfahrung
fehlt), entfernen wir uns vom Erkennen und Verstehen, fühlen uns getrieben und
überfordert. Besonders innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur scheint
es von größter Bedeutung zu sein, unser Bedürfnis nach dem richtigen Rhythmus zu
würdigen.
III-2
Entwicklungspsychologische Erkenntnisse
Vermutlich um Angreifer rechtzeitig zu erkennen, hat sich der komplizierte Hörsinn in
der evolutionären Entwicklung durchgesetzt.
„Wo Bewegung ist, da entsteht Schall (…). Das Gehör ist also im Prinzip ein Bewegungsmelder – rund um die Uhr bereit, aus allen Richtungen kommende Aktivitäten zu registrieren. Entsprechend kann Schall aktivierungsregulierend wirken
d.h. Neugier weckend oder aufregend, Angst erzeugend oder auch beruhigend
sein.“ (Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.17)
Damit wir die unterschiedlichen Schallinformationen unserer Umwelt auch entsprechend deuten können und daher eine sinnvolle Reaktion auf sie zeigen, wurde unser
Gehör im Laufe der Zeit „modifiziert und verändert und ist auf sehr komplexe und
empfindliche mechanische Strukturen innerhalb des Körpers angewiesen.“ (Jourdain
1998, S.20)
Dieser Vorgang hat wahrscheinlich vor gut dreihundert Millionen Jahren begonnen
(vgl. Jourdain 1998, S.12). Bereits der Parasaurolophus, ein Dinosaurier, soll über
ein feines Gehör verfügt haben. Paläontologen nehmen an, dass der riesige, hohle
Kopfschmuck des Parasaurolophus dazu gedient hat, laute Trompetenrufe zu erzeugen (vgl ebd. S.53ff), damit hat der Dinosaurier vermutlich mit seinen Artgenossen
85
Entwicklungspsychologische Erkenntnisse
kommuniziert und wahrscheinlich auch den ein oder anderen Feind verschreckt. Um
dem lauten Trompeter aus dem Weg zu gehen, war es natürlich notwendig zu wissen, woher der Ton erklingt.
Es wird vermutet, dass die Schallokalisation, das Erkennen woher ein Geräusch
kommt, eine der wichtigsten und auch ersten Leistungen des menschlichen Hörvermögens war:
„Es nutzt nicht viel, zwischen den Geräuschen eines Beutetiers oder eines Angreifers unterscheiden zu können, solange man nicht weiß, in welche Richtung man
sich anpirschen oder wohin man fliehen soll.“ (ebd. S.41)
Für diese Theorie spricht auch, dass die Schallokalisation „entwicklungsgeschichtlich
den ältesten Teil unseres auditorischen Cortex“ (ebd. S.41) darstellt. Das rasche
Erfassen woher ein Geräusch kommt spielt also für den Menschen, aber auch viele
Tiere, eine wichtige Rolle:
„Manchmal kann man ein Reh mit seinen Ohren regelrecht starren sehen.“ (ebd.
S.42)
Es steht außer Frage, dass die Bildung eines Hörorgans ein wichtiges Überlebenskriterium ist. Daher kann das Hören wahrscheinlich auch nicht „abgeschaltet“ werden.
„Entwicklungsgeschichtlich dient das Hörsystem nämlich nicht nur der Orientierung und Kommunikation, sondern es ist Teil einer Alarmanlage, die uns auf die
jeweiligen Erfordernisse des Lebens vorbereitet.“ (Lercher in Kalivoda/Steiner
1998 S.44)
Wenn diese Alarmanlage zu oft und zu laut „klingelt“ (wie das mittlerweile häufig der
Fall ist), kann das für uns Menschen, und auch Tiere, sehr unangenehm werden –
wir bezeichnen das meist als Lärm – ein zunehmendes Phänomen unserer Zeit, dass
später noch detaillierter behandelt werden soll (Kapitel V.1).
Interessanterweise gelingt es uns viel einfacher, natürliche Geräusche zu orten als
Musik, und auch die Position, woher ein Geräusch kommt, hat einen Einfluss auf
86
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
unsere Hörfähigkeit, beispielsweise Laute, die von oben kommen, überraschen uns
Menschen häufig (Jourdain 1998, S.45).
III-2.1 Sprache oder Musik
Mit der Fähigkeit zu Hören wurde die Voraussetzung geschaffen, über eine gewisse
räumliche Distanz zu kommunizieren – mit zunehmender Spezialisierung entwickelte
sich letztendlich die Sprache. Auffallend dabei ist, dass wir mittlerweile deutlich zwischen Musik und Sprache unterscheiden, obwohl wir ursprünglich beide Fertigkeiten
als Kommunikationsmittel eingesetzt haben – das Erzeugen von unterschiedlichen
Tönen ist sogar Voraussetzung für Sprache.
„Aus evolutionärer Sicht baut Musik daher nicht auf der Entwicklung von Sprache
auf, sondern Musik ist tatsächlich Grundlage der Sprache.“ (Koelsch/Schröger in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.409f)
Das wir uns sozusagen für die intensivere Verwendung des einen Systems (der
Sprache) entschieden und die Handhabung des andere Systems (der Musik) nur
einigen Spezialisten (den Musikern) überlassen, ist nicht unbedingt schlüssig. Denn
nach wie vor zeigt sich in unserer Entwicklung, dass wir beide Komponenten nicht a
priori trennen. Kleinkinder unterscheiden angeblich nicht zwischen Sprache und
Musik:
„Die meisten Kleinkinder erfahren Musik größtenteils als Sprache, eine Sprache,
die in Intonation und Rhythmus verzerrt ist. Die reine Musikwahrnehmung löst sich
erst allmählich von der Sprache.“ (Jourdain 1998, S.90f)
Es ist kein Zufall, dass wir von der Sprachmelodie sprechen, oder manche Aussagen
nicht stimmig für uns sind, wenn wir annehmen, dass Sprache und Musik ursprünglich untrennbar miteinander verbunden waren.
Dennoch gehen einige Wissenschaftler davon aus, dass die menschliche Fähigkeit
Musik zu produzieren und wahrzunehmen, sozusagen ein „evolutionäres“ Nebenpro-
87
Entwicklungspsychologische Erkenntnisse
dukt, ein „Auditory Cheescake“ (Pinker zitiert in Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann
2009, S.20), ist, dass nur dem reinen Vergnügen und der Lust dienen soll. Berücksichtigt man die große Bedeutung, die die Musik auch innerhalb der modernen, aufgeklärten Gesellschaft hat, so erscheint dieser Ansatz keineswegs logisch. Das differenzierte Erkennen musischer Muster deutet vielmehr auf einen weiteren Schritt in
der Evolution hin, eine Weiterentwicklung unserer Kommunikationsfähigkeiten.
„Musik könnte sich daher als eine Form der akustischen Kommunikation von
Emotionen entwickelt haben, begründet im sozialen Verhalten, das von der differenzierten Mitteilung von Emotionen profitiert (Huron, 2003).“ (Hellbrück in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.20)
In Anbetracht meiner eingangs aufgestellten These, dass die Konzentration auf das
Wort, als unverzichtbares Element unserer Sprache, eine Einschränkung unseres
kommunikativen Potentials darstellt, soll hier deutlich darauf hingewiesen werden,
dass der Mensch bereits sehr früh über musikalische Fähigkeiten verfügt, die im
Laufe der Entwicklung innerhalb unserer Gesellschaft meist wieder verkümmern.
Damit lassen wir natürlich auch ein mögliches Kommunikationsinstrument kommunikationswissenschaftlich weitgehend unbeachtet, dass vor allem auf emotionaler
Ebene ein großes Entwicklungspotential aufweist. Während durch Wörter abstrakte
Informationen weitergegeben werden, liefert die Musik die entsprechende Emotion.
Kleinen spricht sogar von der Musik als „affektives Kommunikationssystem“ das eine
„Verbindung von emotionalen Erlebnissen und geistigen Aktivitäten darstellt.“ (Kleinen in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.61).
Die akustische Kommunikation generell scheint eine emotionale Dominanz aufzuweisen. Bereits im Mutterleib reagieren Föten auf akustische Reize…
„...mit etwa 24 Wochen sind die Cochlea, die Hörbahn und der Neokortex so weit
gereift, dass die Übertragung von aufgenommenem Schall in Nervensignale gelingt.“ (Hannon/Schellenberg in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.131)
88
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Hannon und Schellenberg beschreiben, dass sich der Herzschlag der Kinder verändert, und dass „vorgeburtliche“ Erfahrungen der Babys zu „nachgeburtlichen Bevorzugen (Präferenzen)“ führen (Hannon/Schellenberg in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009,
S.131ff). Dass bestimmte Lieder offenbar wiedererkannt werden, ist ein Zeichen
dafür, dass ein musisches Empfinden bereits beim Fötus vorhanden ist. Instinktiv
sprechen wir mit Babys in einer leicht singenden, höheren Tonart der sogenannten
„Ammensprache“, auf die die Kinder meist auch dann reagieren, wenn nicht in ihrer
Muttersprache gesprochen wird (obwohl sie bei dieser deutlich aufmerksamer sind)
(Hannon/Schellenberg in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.133ff).
Tatsächlich ist der komplexe Aufbau der Musik, das Entschlüsseln der harmonischen
Beziehungen für den Menschen bereits in einem sehr frühen Stadium (noch vor der
Entwicklung der Sprache) durchführbar, und Klänge wirken auch anziehend auf uns.
„Die erste Reaktion eines Säuglings auf einen musikalischen Reiz besteht darin
sich ihm zuzuwenden. Mit einem Monat bereits kann ein Baby zwischen Tönen
unterschiedlicher Frequenz unterscheiden. (…) Im Alter von sechs Monaten
reagiert ein Kind auf Veränderungen einer melodischen Linie, aber es zeigt
interessanterweise keine Reaktion wenn eine Melodie in eine höhere oder tiefere
Lage transponiert wird. Dies verdeutlicht, daß selbst das Gehirn eines Kleinkinds
eine bestimmte Tonfolge nicht einfach im Gedächtnis speichert, sondern vielmehr
eine Reihe von Beziehungen zwischen den Tönen wahrnimmt.“ (Jourdain 1998,
S.91)
Bereits im Alter von vier Jahren sollen Kinder laut Jourdain komponieren – also selbständig neue Melodien erfinden und diese vor sich her summen. Offenbar reagiert
aber ihre Umwelt mehr auf die Sprache. Wenn ein Kind zum ersten Mal „Mama“ oder
„Papa“ sagt, wird das gefeiert, es wird meist viel gelächelt und applaudiert. Das erste
gesummte Lied eines Kindes findet nur selten solche Beachtung. Weil diese Fähigkeit also nicht gefördert, das Kind in seiner musikalischen Entwicklung nicht bestärkt
wird, hört es einfach damit auf.
89
Entwicklungspsychologische Erkenntnisse
Gleichwohl gab es viele bedeutende Künstler und Komponisten im 16. und 17. Jahrhundert, die offenbar in ihrer musischen Begabung gefördert und anerkannt worden
sind, ja als Wunderkinder gefeiert wurden (vgl. Jourdain 1998, S.244ff). Die Musik
spielt für den „modernen“ Menschen zwar nach wie vor eine bedeutende Rolle –
wenn auch nicht in dem Ausmaß wie es die Sprache tut, offenbar verliert sie jedoch
die gesellschaftliche Anerkennung. Die exzessive Konsumation musikalischer Stücke14 spiegelt ebenso wie die unzähligen Gesang-Casting-Shows im Fernsehen, wie
wichtig musikalische Reize und ihre Auswirkungen auch für die junge Generation
innerhalb unserer Gesellschaft sind. Dennoch wird eine akustische Verarmung innerhalb der modernen Welt von einigen Wissenschaftern kritisiert (u.a. Truax 2002,
Jourdain 1998).
III-2.2 Der Perfektionismus als Entwicklungsbremse
Wo sind die musikalischen Wunderkinder unserer Zeit? Besonders jetzt da wir im
Zeitalter der „weißen Pädagogik“ (vgl. Miller 1980) angekommen sind, indem wir
unsere Kinder größtenteils liebevoll behandeln und ihnen einen nie gekannten
Wohlstand und Luxus bieten können, in einem Zeitalter, indem ein Computer uns das
mühsame Notenschreiben abnimmt, und wir zu praktisch jeder Tageszeit bei vollem
(elektrischen) Licht arbeiten können (wann auch immer uns die Muse küsst). Gerade
unter diesen Bedingungen müsste doch eigentlich eine unbändige Kreativität freigesetzt werden. Kritiker orten hingegen eine künstlerische Krise der Menschheit im 21.
Jahrhundert.
14
„Das Hören von populärer Musik und Diskothekenbesuche zählen heute zu den
beliebtesten Freizeitunternehmungen und sozialen Aktivitäten junger Menschen
überhaupt.“ (Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.21)
90
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
„Zum Vergleich konnte ein interessierter Konzertbesucher in den fünfzig Jahren
von 1790 bis 1840 Mozart und Haydn dirigieren sehen, der Premiere von Beethovens Neunter Symphonie beiwohnen und Premieren der besten Werke von Rossini, Schubert, Mendelssohn, Schuhmann, Chopin und Liszt hören. (…) Die moderne Welt bietet den Wohlstand, die Möglichkeit und auch einfach die Zahl an Individuen, um fünfzigmal mehr Mozarts hervorzubringen (…). Wenn wir uns diese
Rechnung vergegenwärtigen, dann befinden wir uns tatsächlich in einem düsteren
Zeitalter, und das betrifft alle Künste!“ (Jourdain 1998, S.244f)
Nun könnte man dagegen argumentieren, dass man 2011 die Premiere eines Udo
Jürgens Musicals ebenso wie die CD- Präsentation von Nickelback oder Susan Boyle erleben und daneben noch Konzerte von Bon Jovi, U2 und Lady Gaga besuchen
konnte. Zweifellos interessante Künstler mit mehr oder weniger profunden musikalischen Fertigkeiten, und doch scheint der Vergleich mit Mozart oder Beethoven blasphemisch. Die kurzweiligen meist melodischen Ergüsse zeitgenössischer Musiker
sind mit den komplexen, mehrstimmigen, reifen Werken der Klassik technisch nicht
vergleichbar – und die abstrakte nicht melodiöse „Weiterentwicklung“ moderner
Künstler wie Schönberg oder Nitsch finden in unserer Gesellschaft nur wenig Anklang. Natürlich beschäftigen sich nach wie vor Komponisten mit dem Genre der
Oper15, allerdings ernten sie für ihre Werke nur bedingt öffentlichen Beifall. Unabhängig von Geschmack und persönlicher Musikpräferenz scheint es so, dass die
musikalische, kompositorische Reife der Klassiker mittlerweile verschwunden und
nicht erfolgreich weiterentwickelt werden konnte (vgl. u.a. Jourdain 1998, S.244ff).
Warum werden moderne anspruchsvolle Musikstücke nur selten akzeptiert? Warum
begnügen wir uns hauptsächlich mit musikalischem „Fast-Food“, wenn wir bereits im
Stande waren, die Kost von „Spitzenköchen“ zu genießen?
15
Bspw. Gerhard Rosenfelds oder Helmut Lachenmann
91
Entwicklungspsychologische Erkenntnisse
Kurioserweise sieht Jourdain den Grund in diesem musikalischen Stillstand (wenn
nicht Rückschritt) in unserem Streben nach Perfektionismus. Tatsächlich leben wir in
einer Welt voller Spezialisten, die sich meist darauf konzentrieren, eine Sache besonders gut zu lernen – die Bereitschaft, sich auch mit anderen Spezialgebieten
(anderen Instrumenten im Orchester, anderen Stimmen) zu beschäftigen, ist dünn
gesät – zu groß ist der Zeitdruck, aber auch der Leistungsdruck bei zumindest „einer
Sache“ hervorragende Ergebnis zu erzielen. Um komplexe, orchestrale Stücke zu
komponieren, werden jedoch vielfältigere Kenntnisse benötigt. Nur selten lernen wir
mehr als ein Musikinstrument zu spielen, und auch die Wertigkeit der Improvisation
hat sich verändert.
„Und vielleicht das Wichtigste: Die Erfindung des Plattenspielers hat dafür gesorgt,
daß nur wenige Musiker die Vorstellungskraft entwickeln, Musik beim Notenlesen
zu „hören“. Der Plattenspieler war für die Entwicklung musikalischer Vorstellungsgabe so verhängnisvoll wie der Fernseher für die Entwicklung der literarischen
Vorstellung.“(Jourdain 1998, S.245)
Aber nicht nur im musischen Kontext begegnen uns Tonträger, die eine immer wieder abrufbare „perfekte“ Wiederholung der Töne ermöglichen (ihnen zuzuhören,
raubt uns nach Jourdain die Fähigkeit sich Melodien auch ohne „Beschallung“ vorzustellen). Auch beim Einschalten eines Computers erklingt regelmäßig dasselbe Geräusch in gleichbleibender Qualität, und ebenso das Klicken beim Bedienen eines
Smartphones bleibt unverändert. Die „Soundscapes“ unserer elektronischen Umwelt
machen eine periodische „perfekte“ Wiederholung von Klängen möglich, die…
„…aufgrund ihrer statischen, repetitiven Natur oft schnell als langweilig, ärgerlich
oder überflüssig wahrgenommen und tatsächlich häufig vom Nutzer deaktiviert
werden.“ (Rath in Spehr 2009, S.223)
Die Perfektionierung von Klängen führt zu künstlichen Soundscapes, die unter Umständen also als Lärm empfunden werden (vgl. u.a. Truax 2001, S.54ff), und daher
versuchen wir, uns diesen Klängen zu entziehen. Durch das Deaktivieren der akusti92
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
schen Möglichkeiten eines elektronischen Gerätes können wir jedoch von dem Nutzen, den dieser für uns leistet (siehe Kapitel III-4.), auch nicht mehr profitieren.
Nun ist es natürlich einfach, in den Kanon der ständigen Neuzeit-Kritik einzustimmen
und mit Bedauern auf die „gute alte Zeit“ zurückblickend voller Überzeugung zu denken, „früher war alles besser“, und die neuen Medien machen uns als Mensch unvollständiger. Viel sinnvoller wäre es aber zu analysieren, welche Fähigkeiten für
unsere Entwicklung notwendig sind und welche aus gutem Grund verkümmern. Müssen wir tatsächlich beim Lesen eines Notenblattes bereits die Musik hören? Es
scheint doch sehr effizient zu sein, dass wir einige Dinge „elektronisch ausgelagert“,
sozusagen außerhalb unseres Gehirns an ein Gerät delegiert haben, damit wir uns
anderen Dingen widmen können. Und vielleicht ist gerade das die Kunst.
Wir schreiben keine erfolgreichen Opern mehr, aber wir operieren an offenen Herzen. Uns fehlen womöglich geniale, große Komponisten wie Mozart oder Beethoven,
aber wir haben hervorragende Techniker. Die Kunstform des 21. Jahrhunderts ist
vielleicht nicht die Musik oder die Malerei oder die Bildhauerei sondern die Technik.
Ebenso, wie die klassischen Komponisten über ein hohes Maß analytischer Fähigkeiten verfügen mussten, gilt das auch für Techniker und Erfinder. Sie schaffen keine
Kunst ihm herkömmlichen Sinne, entwickeln aber Roboter, Raumschiffe, neue Medikamente, Computergrafiken und Interfaces, mit denen wir kommunizieren können
und zwar auf mehreren Sinneskanälen – taktil, visuell, akustisch.
Vielleicht stehen Kunst und Technik aber auch in einer Interdependenz. Das Zeitalter
der großen Komponisten, die ihre Gehirne und die ihrer Zuhörer trainiert haben,
komplexe, harmonische Beziehungen aufeinander abzustimmen, ist dem Zeitalter
der Techniker, die komplexe, technische Komponenten aufeinander abstimmen,
93
Entwicklungspsychologische Erkenntnisse
gewichen. Ob die Technik sich aber tatsächlich ohne Kunst weiterentwickeln kann
bzw. soll, ist zu bezweifeln.
Unsere technischen Erfindungen haben zwar die Welt verändert, berühren sie uns
aber auch emotional? Wir staunen zwar über die neuen Möglichkeiten, über ihre
Präzision und Perfektion, aber tiefe Empfindungen rufen sie selten in uns hervor. Das
Hören von Beethovens Neunter Symphonie oder Mozarts Requiem ermöglicht uns
einen anderen Zugang zu unseren affektiven Wahrnehmungsmöglichkeiten.
Während uns die Technik meist nur oberflächlich berührt, verschafft uns die Musik
einen tieferen Einblick in unsere Gefühlswelt. Ein Musiker kennt den emotionalen
Qualitätsunterschied der zwischen dem Bedienen seines Smartphones und dem
spielen seines Instruments liegt – und auch die Programmierer von Computerspielen
scheinen ihn zu kennen, sonst würden sie nicht so viel Zeit an ein ausgeklügeltes
„Soundsystem“ verschwenden, welches die User emotional binden soll.
Das wir uns, in unserem „schnellen“ Zeitalter, voller eindimensional-prägnanter Reize, an die Oberflächlichkeit gewöhnt haben, ist nicht verwunderlich – die Sehnsucht
nach tiefen Gefühlen scheint aber zu bleiben. Heutzutage dominiert das Diktat des
„Perfektionismus“. Wie wollen ein „perfektes“ Soundsystem, perfektionieren unsere
Geräte, und wenn sie nicht „perfekt“ sind, müssen sie rasch ausgetauscht werden.
In der (nicht elektronischen) Musik finden wir keine „Perfektion“: die Tempi variieren
je nach Künstler, es bleibt Platz für Interpretation, ja manchmal sogar für Improvisation, und jeder Komponist weiß: nur perfekt abgestimmte Harmonien bringen keine
Spannung. Es ist die Auflösung der vorher erzeugten Dissonanz und auch das NichtErfüllen der Hörer-Erwartung, das ein Musikstück erst wirklich genial macht. (vgl. u.a.
Jourdain 1998 oder Ebeling in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009). Zu verstehen, dass es
94
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
häufig die „nicht perfekten“ Dinge sind, die uns tief berühren, heißt zu verstehen,
dass Entwicklung nur dann möglich ist, wenn nicht ausschließlich nach Perfektion
gesucht wird. Viele Erfindungen sind durch Zufall entstanden, viele Erkenntnisse
durch Improvisation. Die Kunst scheint gegen die Perfektion regelrecht zu rebellieren.
Wenn wir uns in einfacher, oberflächlicher Kunst verlieren, weil wir Angst haben, für
mehr fehlt uns die Perfektion, besteht die Gefahr, dass wir verlernen, komplexe kreative Kunstwerke zu schaffen. Benötigen wir komplexe Kunstwerke um uns weiter zu
entwickeln (auch in der Technik)? Diese Frage kann erst in den nächsten hundert
Jahren beantwortet werden. Verlieren wir jedoch emotionalen Tiefgang, verlieren wir
auch den Zugang zu einer wichtigen kommunikativen Fähigkeit und gefährden auch
soziale Verhaltensmuster. Der bereits angesprochene Empathieverlust (vgl.
Staemmler 2009, S.10), der durch die neuen Medien begünstigt werden könnte,
begünstigt die Entwicklung einer egoistischen Gesellschaft. Soziale Fähigkeiten
brauchen Emotion – und Gefühle kann man schwer mit Worten ausdrücken – musische, künstlerische Fertigkeiten haben uns bisher in diesem Bereich gute Dienste
geleistet. Vielleicht sollten wird uns darauf konzentrieren, diese wieder zu fördern
und weiterzuentwickeln – wenn auch mit technischer Unterstützung.
III-3
Musikpsychologische Erkenntnisse
„Warum ergreift uns Musik, warum wühlt sie uns auf und spricht uns manchmal
auf eine Weise an, wie es Sprache nicht vermag?“ (Jourdain 1998, S.13)
Mit dieser Frage haben sich bereits die Gelehrten der Antike beschäftigt. Pythagoras
ortete (500 v.Chr.) „Eine Ordnung in der Musik, die die Ordnung der Welt und damit
95
Musikpsychologische Erkenntnisse
der Seele widerspiegelt“ (Stoffer in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.655). Auch Platon schloss sich diesem „Ordnungsprinzip“ gut 100 Jahre später an, und Aristoteles
betonte die Bedeutung der Erfahrung, die es dem Menschen ermöglicht, die musischen Zusammenhänge zu erklären. Die barocke Affektenlehre schrieb der Musik die
Funktion zu, menschliche Affekte (mit entsprechenden musikalischen Floskeln) abzubilden (Stoffer in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.655f). Damit wurden der Musik
offensichtlich sehr früh stereotype Eigenschaften zugeschrieben. Ihre „Floskeln“
halfen, die (emotionale) Welt zu kategorisieren, sie einzuteilen, und damit auch zu
vereinfachen. Dabei spielt die Kultur, in der die Musik stattfindet, eine besondere
Rolle – denn wie Aristoteles bereits annahm, so wird der Musik, erst mit der Erfahrung der Sozialisation, auch die entsprechende Bedeutung zugeschrieben.
„Unterschiedliche Kulturen, soziale Schichten und individuelle Persönlichkeiten
haben unterschiedliche Erwartungen an Musik.“ (Jourdain 1998, S.16)
Die Erfahrung schult unser Gehör offensichtlich für eine bestimmte Musikgattung
(ebd. S. 16f). Dass wir heutzutage Musikstücke in Dur als fröhlich und Kompositionen
in Moll als traurig empfinden, ist höchstwahrscheinlich angelernt, ebenso wie die
Bevorzugung der im Westen gebräuchlichen chromatischen 12-Ton Skala. Auch
welche Musikstile wir bevorzugen, hängt offenbar mit familiären und gesellschaftlichen Prädispositionen zusammen. Nicht zu unterschätzen sind allerdings auch die
marktwirtschaftlichen Entwicklungen in der Musikindustrie. Nur wenige Großkonzerne, u.a. Sony oder Time Warner, entscheiden welche Künstler für die Massenproduktion geeignet sind:
„The general result is that most consumers are exposed to quite a limited range of
musical styles – limited by contrast to the potential variety that exists. Essentially
they are kept musically ignorant. Local successes and trends are quickly picked
up and integrated into an acceptable, international commercial style (…) the focus
of this discussion is to show that the commercial basis of industry creates a largely
96
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
homogenized sense of community that lacks variety and depth…“ (Truax 2001,
S.214f)
Während Truax empfiehlt, die Manipulation des Geschmacks als demokratiepolitisches Problem zu betrachten, soll in dieser Arbeit lediglich auf das Machtpotential
der Kontrolle akustischer Vorlieben hingewiesen werden.
Wobei die musikalischen Präferenzen eines Individuums durchaus dispers sein können. In einer amerikanischen Studie heißt es, man müsse ein Modell…
„…der musikalischen <<Allesfresser>> (Omnivore) bzw. <<einseitigen Ernährungsweise>> (Univore) annehmen. Demnach gehören Individuen mit hohem beruflichem Ansehen zum omnivoren Typ der Musikkonsumenten (…)und gehen zu
Sinfoniekonzerten ebenso wie zu Musicals. (…) Eine einfache Übertragung der
Hypothese auf europäische Publika ist jedoch problematisch (Neuhoff, 2001), und
es scheint zumindest in Deutschland noch den Typus des univoren Konzertbesuchers mit hohem sozialen Status zu geben.“ (DeNora in Bruhn/Kopiez/Lehmann
2009, S.72).
Innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur stehen uns viele unterschiedliche
musikalische Konsumations- und Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung. Die auch
die Möglichkeiten akustischer Kommunikation erweitern (und daher nicht nur negativ
zu betrachten sind, auch wenn ihre fehlende Komplexität kritisiert werden kann). Um
herauszufinden, warum einige Musikstile eine breite Masse ansprechen (Pop, Rock),
während andere ein Nischen-Dasein führen (Jazz) sind nicht nur individuelle soziokulturelle Faktoren zu beachten. Wie bereits in der Antike angenommen, geht es
auch um die „Einteilbarkeit“, die Ordnungsmöglichkeit, die uns Musik bietet. Und
innerhalb einer reizüberfluteten Gesellschaft wird hier offenbar weniger komplexen
Systemen der Vorrang gegeben.
97
Musikpsychologische Erkenntnisse
III-3.1 Warum machen Menschen Musik
Einige Theorien gehen davon aus, dass unsere musischen Fähigkeiten einen Überlebensvorteil bieten – sei es nun weil sie das Paarungsritual unterstützten16, oder
wichtige soziale Funktionen übernehmen (Jourdain 1998, S.373). Durch die Vermittlung von Information und Emotion hilft die Musikalität die Stimmung in einem bestimmten Umfeld einzuschätzen oder auch beeinflussen zu können. Durch die Töne
kann die Absicht des Gegenübers leichter „abgestimmt“ werden – die stetige Interaktion kann Vertrauen schaffen und damit die gesellschaftlichen Bindungen stärken
(Jourdain 1998, S.374).
„Musik als elementare Ausdrucksform des Menschen ermöglicht es, ohne Sprache
Beziehungen zu gestalten. (Plahl in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.630).
Auch der scheinbar „triviale“ Lust- und Genussfaktor hat dabei eine soziokulturelle
Bedeutung. Die Musik…
„…verbindet durch Lieder Menschen, beispielsweise bei der Arbeit oder beim Gottesdienst. Sie synchronisiert durch Marschmusik den Gleichschritt bei einer Parade, sie kann Menschen gemeinsam zu Begeisterungsstürmen hinreißen und sogar
Massenhysterien auslösen.“ (Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.21 )
Musik kann identitätsstiftend sein, das Gruppenbewusstsein stärken, sie kann uns
mit zuversichtlichen Melodien in Sicherheit wiegen und uns harte Arbeit erleichtern.
Nicht nur die Einstellung zur Arbeit kann musikalisch positiv beeinflusst werden, auch
die Arbeitsleistung von Menschen kann durch gemeinsames musizieren gestärkt
werden. Als Beispiel seien hier die Grubenlieder der Bergleute oder auch Feldlieder
in bäuerlichen Raum genannt. Diese Gesänge können von…
16
Charles Darwin ging davon aus, dass die Musik dem Balzverhalten dient. (Jourdain 1998,
S.373)
98
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
„…erinnerungstechnischem Nutzen sein, denn sie strukturieren, koordinieren und
synchronisieren die Tätigkeit der Gruppenarbeiten; sie können auch durch den
gemeinschaftsstiftenden Effekt stimulieren und motivieren.“ (Hellbrück in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.24 )
Dabei sind es meist die Melodien, die vor allem eine motivationale Funktion übernehmen (diese wird bei den genannten Beispielen auch meist von den Texten in
ihrer Absicht unterstützt). DeNora sieht in der Musik als „soziale Handlung“ eine
„Alternative
zu
den
textzentrierten
Herangehensweisen“
(DeNora
in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.69).
Bereits im Kapitel III-2.1 wurde angesprochen, dass Musik als Kommunikationsform
in manchen Aspekten der Sprache überlegen sein kann – dazu gehört auch, dass
Melodien unsere Merkfähigkeit unterstützen und uns voran treiben. Der Text eines
Liedes sprudelt nur so aus uns heraus, wenn wir es singen – sich die Worte ohne
musikalische Unterstützung zu merken fällt uns oft schwerer. Die Musik fließt und
treibt uns weiter, gerät dieser Vorgang ins Stocken, verlieren wir den Text oder die
Melodie, wird auch der Informationsfluss (und auch der Motivationsfluss) gestoppt.
Die Ureinwohner Australiens sollen sich diesen geistigen Fluss, der durch die Musik
ermöglicht wird, zunutze gemacht haben, indem sie mit komplexen Gesängen musikalische Landkarten erstellt haben. Der Gesang hat die Landschaft wiedergegeben
und führte damit die Reisenden an ihr Ziel (Jourdain 1998, S.295). Auch in therapeutischen Kontexten zeigt sich die Stärke der nicht sprachgebundenen Kommunikationsmöglichkeiten der Musik. Oliver Sacks beschreibt in seinem Buch „Zeit des Erwachens“ den Einfluss, den Musik auf Parkinson-Patienten hat. Ihre Symptome konnten, durch den Musikfluss getragen, in manchen Fällen deutlich gelindert, ja sogar
zum Verschwinden gebracht werden (Sacks in Jourdain 1998, S.366ff). Musik hat
99
Musikpsychologische Erkenntnisse
demnach meist eine Funktion und gilt nicht nur dem Vergnügen, auch wenn sie uns
zweifellos häufig Vergnügen bereitet.
Schon früh begann sich in manchen Kulturen die Frage nach den Urheberrechten zu
stellen:
„Anthropologen kennen schon seit langem traditionelle Kulturen, in denen Lieder
Privateigentum sind, die gehandelt, vererbt oder weiterverschenkt werden: zum
Beispiel die Indianer Nord-West Amerikas. Wenn man in diesen Kulturen ein Lied
unerlaubt singt, kommt das einem Diebstahl gleich und wird entsprechend geahndet.“ (Jourdain 1998, S.88)
Dieses Beispiel zeigt die Wertigkeit, die der Musik in vielen Kulturen zugeschrieben
wird. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass wir rasch begonnen haben mit der
Musik zu experimentieren. Alleine der Klang der menschlichen Stimme ist für unser
komplexes Musikempfinden offenbar nicht auszureichend gewesen. Bereits sehr früh
hat der Mensch zahlreiche Hilfsmittel in Anspruch genommen um sich musikalisch
auszudrücken.
„Unsere Ohren lieben komplexe Klänge; deshalb haben wir Musikinstrumente
entwickelt, die über einen großen Frequenzbereich hinweg mitschwingen.“ (Jourdain 1998, S.61)
Durch die musikalische Diversität vermag die Musik Dinge auszudrücken, für die uns
häufig die Worte fehlen – und selbst wenn es Worte dafür gäbe, könnten sie vermutlich die vielfältigen, harmonischen Verknüpfungen nicht zweckmäßig ersetzten.
Durch die Musik erreichen die Menschen einen Zugang zu einer nicht-sprachlichen
Dimension, die dem Gedächtnis harmonische Unterstützung bietet.
„Wie Untersuchungen ergaben, haben Schachprofis etwas 50 000 Stellungen abrufbereit in ihrem Gedächtnis. Außer für Grundstellungen gibt es zur Beschreibung
dieser Stellungen kaum passende Begriffe, weswegen Sprache zur Erinnerung
nicht sehr hilfreich ist. Auch der Vorrat an musikalischen Einfällen eines Komponisten geht in die Zehntausende; die Musiktheorie benennt aber nur wenige (…) der
Großteil des Wissens eines Komponisten läßt sich besser durch Singen als durch
Beschreiben mitteilen.“(Jourdain 1998, S.212f)
100
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Interessant dabei ist jedoch, dass die Musik trotzt ihrer Divergenz keineswegs kompliziert zu entschlüsseln ist. Meist ermöglicht sie uns eine unmittelbare Erkenntnis
über komplexe Vorgänge.
„Da die Musik zur Schilderung solcher komplexen Ereignisse nur eine begrenzte
Anzahl von Stimmen verfügt, vereinfacht sie auf geniale Weise die Erfahrung, die
sich nachahmt, indem sie Konturen entwirft (…).“ (Jourdain 1998, S.360f)
Wieder ist es dass „ordnende Prinzip“ der Musik, das offenbar der menschlichen
Auffassungsgabe entgegenkommt. Die Musik wird dadurch zu einem effizienten
Kommunikationsmittel, das manchmal auch helfen kann, die gesellschaftlichen
Schichten zu „ordnen“. Dass sich bestimmte Menschengruppen durch bestimmte
Musikstile einer Gruppe zugehörig fühlen, hat dazu geführt, dass Musikvorlieben
mittlerweile auch zu Manipulationszwecken eingesetzt werden. Dazu gehört unter
anderem, dass Akademiker ein klassisches Konzert besuchen, nur um ihren Bildungsstatus zu unterstreichen, und amerikanische Ladenbesitzer erfolgreich klassische Musik einsetzen, um Jugendbanden zu vertreiben (Jourdain 1998, S.321).
Menschen machen Musik, weil die Welt für sie dadurch einteilbar und durchschaubarer wird, weil die Musik soziale Sicherheit vermitteln kann:
„Musik erweitert die Wahrnehmung, vertieft das affektive Erleben, aktiviert, motiviert, stimuliert die emotionale Verarbeitung und strukturiert das gemeinsame
Handeln.“ (Plahl in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.630)
Menschen erhoffen sich durch Musik aber auch transzendentale Erfahrungen. Jourdain beschreibt wie große Komponisten davon berichten, mit ihrer Musik Gott näher
gekommen zu sein.
„Ein Bediensteter fand Händel in Tränen aufgelöst, während er in einer 24tägigen
Raserei den gesamten „Messias“ niederschrieb: <<Ich dachte, ich sehe den Himmel vor mir und Gottvater selbst.>> Oder Puccini: <<Die Musik zu dieser Oper
wurde mir von Gott eingegeben (…).>> Oder Brahms: <<Ich fühlte mich im
Gleichklang mit der Unendlichkeit, es gibt nichts Erregenderes.>>.“ (Jourdain
1998, S.216)
101
Musikpsychologische Erkenntnisse
III-3.2 Musik und emotionale Kontrolle
Die affektive Wirkung von Musik wurde bereits eingehend erläutert. Dass Musik von
Menschen eingesetzt wird, um ihre Gefühle oder die Gefühle des anderen zu kontrollieren, ist eine logische Konsequenz. Damit das gelingt muss zuerst einmal sicher
gestellt werden, dass die musikalische Botschaft auch tatsächlich verstanden wird.
„Emotionen musikalisch zu kommunizieren bedeutet (…), dass dem Sender (z.B.
der Komponist oder Interpret) eine emotionale Ausdrucksabsicht und dem Empfänger (der Interpret oder externer Hörer) Empfindungen von Emotionen (im Sinne
eines emotionalen Verstehens) zugeschrieben werden. Musik dient demnach als
Medium zu Kodierung und Dekodierung emotionaler Bedeutungen.“ (Kreutz in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.555)
Die (kodierten) emotionalen Bedeutungen zu vermitteln (zu dekodieren) gelingt innerhalb einer Kultur in den meisten Fällen. Kreutz führt das Beispiel der Wiegenlieder
an,
die
Mütter
singen,
um
ihre
Säuglinge
zu
beruhigen
(Kreutz
in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.556). Auch bei einer Untersuchung musikalischer
Grundgefühle bestätigte sich die Annahme, dass musikalische Botschaften die Rezipienten meist mit ihrer ursprünglichen Intention erreichen:
Kreutz führte 2002 einer Studie „zu den Stereotypen musikalischer Basisemotionen“
(Kreutz in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.558f) mit Musikstudenten durch. Es zeigte
sich, dass „Ausdruck, Hervorrufung und Beeinflussung von 32 ausgewählten Basisemotionen“ mit hoher Übereinstimmung beurteilt wurde. „Bezüglich des Ausdrucks
wurden Freude, Trauer, Sehnsucht und Schmerz am höchsten bewertet“ (Kreutz in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.558f).
Der identische kulturelle Hintergrund ist jedoch Voraussetzung dafür, dass musikalische Botschaften von einer breiten Masse an Rezipienten ähnlich verstanden werden. Indonesische Gamelan-Musik, die sich völlig von unserer chromatischen 12-Ton
Skala unterscheidet, ist von uns kaum zu decodieren (Jourdain 1998, S.340). Es ist
102
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
zu bezweifeln, dass wir diese Art von Musik überhaupt als solche wahrnehmen, vielmehr würden wir sie wahrscheinlich als „Lärm“ bezeichnen (vgl. u.a. Truax 2001
S.96ff). Die Bedeutung der Gefühle, die durch diese Musik ausgedrückt werden
sollen, bleibt uns meist verborgen.
Um mithilfe der Musik Emotionen zu kontrollieren, muss also einerseits gesichert
werden, dass der Rezipient über genügend Erfahrung mit der eingesetzten Tonskala
verfügt, andererseits ist es auch hilfreich, wenn seine Vorliebe, seine musikalische
Präferenz angesprochen wird. Truax kritisiert u.a. die Manipulationsversuche großer
Konzerne durch die bekannten Stimmungsmelodien der Firma Muzak: das Kaufverhalten, Empfindungen und Arbeitsmoral sollen durch bestimmte Musikstücke beeinflusst werden (vgl. Truax 2002, S.107ff). So einfach scheint menschliches Verhalten
jedoch nicht steuerbar zu sein.
Viele Mobilfunkhersteller und Produzenten von Computerspielen haben sich im
Rahmen der „User Variability“ damit auseinandergesetzt, dass sich Konsumenten
lieber einem Produkt zuwenden, das sie „personalisieren“ können – die Möglichkeiten, beliebig austauschbare individuelle Klingeltöne auf dem Mobiltelefon zu installieren, war eine Konsequenz davon. Damit Produkte akustisch positiv emotional besetzt
werden können, muss der musikalischen Erfahrung und auch den Präferenzen der
Käufer Rechnung getragen werden. Denn diese zeigen offensichtlich bei akustischen
Reizen nicht sehr viel Toleranz, wie Truax sogar selbst beschreibt:
„People clearly have strong prejudices about what they hear. Just as some people
are more sensitive to sound and noise, others regard the styles of music they listen to or the audio products they consume as an important part of their „lifestyle“.
Those who do not share their preferences are regarded as unsympathetically“(Truax 2001, S.20)
103
Musikpsychologische Erkenntnisse
Um ein Produkt mit einem akustischen Interface erfolgreich am Markt platzieren zu
können, wird es daher immer wichtiger, den unterschiedlichen akustischen Präferenzen der User Rechnung zu tragen.
Das Phänomen der Mitsprache durch den Benutzer (…) verändert die Entwurfsqualitäten des Produkts. Beispiel Mass Customization: Der Nutzer wird zu wachsenden Anteilen mit in den Entwurf einbezogen.“ (Hußlein in Spehr 2009, S.132)
Es ist daher keineswegs so, dass wir von dem uns umgebenden „Soundscape“ stetig
manipuliert werden oder musikalische Kontrollversuche auf uns einwirken. Vielmehr
übernehmen wir häufig selbst die Kontrolle und wenden uns offenbar den akustischen Reizen zu, die uns in einer gegenwärtigen Situation (vermeintlich) gut tun.
„Studien über die Rolle der Musik bei der Selbstregulierung von Gefühlen und
körperlichen Empfindungen (…) haben gezeigt, wie Akteure Musik in voller Absicht benutzen, um ihre eigenen aktuellen Gefühlszustände und Verhaltensweisen
zu modellieren.“ (DeNora in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.78).
Das bedeutet, wer sich entspannen will greift zu ruhiger Musik, wer beim Autofahren
mit der Müdigkeit kämpft, greift zu schnellen Rhythmen, wer sich auf eine Party vorbereitet, legt schon einmal Tanzmusik auf. Diese Art der Selbstmanipulation kann
auch erfolgreich eingesetzt werden, um sich in bestimmten Situationen bewusst
abzugrenzen. Als Beispiel dient hier eine berühmte Szene in dem französischen
Filmklassiker „La-Boom“- die Fete. Während alle Jugendlichen ausgelassen tanzen,
setzt der männliche Hauptdarsteller der weiblichen Hauptdarstellerin einen Kopfhörer
auf. Sie hört einen langsamen „Schmusesong“, und die beiden tanzen dazu langsam
und eng umschlungen. Sie befinden sich plötzlich in einem anderen „Soundscape“
als die restlichen Partygäste.
„Indem man die Musik verändert (mittels Kopfhörer und tragbarem Abspielgerät),
ist man in der Lage die Natur des räumlichen und szenischen Terrains, indem
man funktionieren muss, umzugestalten.“ (DeNora in Bruhn/Kopiez/Lehmann
2009, S.81).
104
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Durch eine musikalische Veränderung manipulieren wir also unsere Empfindungen
und verändern unser Umfeld. Das kann unter Umständen auch gefährlich sein, weil
wir wichtige akustische Reize außerhalb unseres bewusst gewählten Soundscapes
nicht mehr wahrnehmen können (siehe auch Kapitel V-I).
Die affektive Wirkung musikalischer Reize hat dazu geführt, dass die manipulative
Wirkung von Musik häufig überschätzt wird. In England hat sich beispielsweise eine
Organisation formiert, die gegen Hintergrundmusik demonstriert. DeNora zitiert aus
ihrer Website:
„<<Kühe, die gemolken werden, sollen produktiver sein, wenn sie mit Hintergrundmusik eingelullt werden; dasselbe Prinzip wird benutzt, um uns bis zur Sinnlosigkeit zu verdummen, bevor wir uns von unserem Geld, unserem Stimmrecht
und unserem Geist verabschieden.>>“ (DeNora in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009
S.81)
Die unmittelbare Auswirkung musikalischer Reize ist jedoch sehr umstritten. Eine der
populärsten Annahmen in diesem Bereich wird als „Mozart-Effekt“ bezeichnet.
III-3.3 Der „Mozart- Effekt“ und Erkenntnisse akustischer Wirkungsforschung
Dass das Hören von Mozarts Musik das räumliche Vorstellungsvermögen verbessert
und die Intelligenz steigern könnte, ist erstmal 1993 in einem wissenschaftlichen
Artikel der Zeitschrift Nature veröffentlicht worden. Die amerikanische Wissenschafterin Frances Rauscher hat gemeinsam mit Kollegen eine Studie durchgeführt, bei
der die Probanden ihre Intelligenzleistung verbesserten, nachdem sie Mozarts Sonate für zwei Klaviere (KV448) gehört hatten (Rauscher/Shaw/Ky 1993). Die Annahme
„Mozart macht schlau“, wurde rasch zu einem populärwissenschaftlichen Mythos, der
vor allem in den USA für Aufregung gesorgt hat.
105
Musikpsychologische Erkenntnisse
„1998 erhielt im Bundesstaat Georgia in den USA jede Mutter bei der Geburt eine
Klassik-CD, im selben Jahr wurde in Florida ein Gesetz erlassen, dass jeder Kindergarten jeden Tag klassische Musik spielen musste, ja nicht nur das, Gefängnisinsassen, mussten Mozart hören und man beschallte sogar Rosen bei der Keimung.“ (Welp 2007, S.23)
Alfred A. Tomatis prägte letztendlich den Begriff: „Mozart Effekt“ (Welp 2007, S.2),
und der Amerikaner Don Campbell ließ sich diesen sogar patentieren.17 Mit der Behauptung, dass sich mit Mozart die Intelligenz von Babys und Kleinkindern steigern
lässt, ließ sich viel Geld verdienen. Und offenbar waren die Kinder durchaus interessiert an den klassischen Kompositionen.
„Vier und sechs Monate alte Säuglinge hören bevorzugt Versionen von MozartMenuetten, welche Pausen innerhalb, statt zwischen den Phrasen aufweisen.
Phrasengrenzen in der Sprache sind ebenso durch fallende Tonhöhen und längere Tondauern gekennzeichnet, wodurch auch unerfahrene Hörer – und zu den gehören junge Kinder – Musik und Sprache richtig segmentieren können.“ (Hannon/Schellenberg in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.138)
Vielleicht ist das Mozarts Geheimnis: Seine Musik kommt unserer Sprache sehr
nahe, er hat komponiert wie er gesprochen hat. Er hat den richtigen Rhythmus, das
richtige Tempo gefunden. Das ist (wie wir bereits in Kapitel III-1.4 festgestellt haben)
ein wichtiger Faktor für unser Gehirn. Mozarts Musik spricht also quasi mit uns und
spricht uns daher an (das gilt aber sicherlich auch für die Musik anderer Komponisten). Der angeblich intelligenz-steigernde Effekt von Mozart Musik, den Rauscher,
Shaw und Ky entdeckt haben wollen, konnte in keiner anderen Studien mehr glaubhaft nachgewiesen werden. Versuche, die Rauscher gemeinsam mit Kollegen 1998
mit jungen Ratten durchgeführt hat, sollten einen weiteren Beweis liefern, dass Mozarts Musik signifikante Auswirkungen vor allem auf die räumliche Vorstellungskraft
17
Mehr zu seinen Vermarktungsstragien auf seiner offiziellen Website:
www.mozarteffect.com
106
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
bei Menschen und bei Tieren hat. Die Studie brachte hingegen ihre wissenschaftliche
Reputation ins Wanken:
„So zeigte sie, dass Ratten, die sowohl während ihrer pränatalen Zeit als auch 60
Tage nach der Geburt 12 Stunden pro Tag die besagte Mozart-Sonate hörten, signifikant besser einen Weg aus einem T-Labyrinth lernen konnten als Ratten, die
nur die minimalistische Glass-Musik oder Hintergrundgeräusche hörten.(…) Ein
beeindruckendes Ergebnis, wäre nicht zu bedenken, dass Ratten bis 11 Tage
nach der Geburt taub sind und sie darüber hinaus viel höhere Frequenzen als
Menschen hören. Analysiert man unter diesem Gesichtspunkt die in der besagten
Mozart-Sonate erklingenden Noten, wird deutlich, dass die Ratten nur die Noten
hören konnten, die höher sind als das C in der 5. Oktave, was insgesamt nur 31 %
der Noten ausmachte (Steele, 2001).“ (Jansen-Osmann 2006, S.3)
„Den „Mozart-Effekt“ gibt es nicht“ lautete schließlich eine Schlagzeile auf der Website des ORF-science am 4. Mai 2010 (Unbekannter Autor 2010, ORF-science). Am
Institut für Psychologische Grundlagenforschung in Wien hatte ein Forscherteam
eine Studie mit 3000 Testpersonen durchgeführt. Laut Studienleiter Jakob Pietschnig
konnte kein musikspezifischer Effekt auf das Raumvorstellungsvermögen nachgewiesen werden. Bereits 2006 wurde der Mozart-Effekt vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung vernichtend bewertet: Er habe „keine wissenschaftliche Grundlage“ (Kopiez in Bruhhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.541).
Zur Wirkung musikalischer Reize gibt es zahlreiche Untersuchungen – spezifische
Bewertungen sind allerdings selten. Die Landesvereinigung der Milchwirtschaft von
Nordrhein-Westfalen e.V. veröffentlichte 1998 eine Studie, derzufolge ihre Milchkühe
bei Musikbeschallung 0,8 Liter mehr produzieren als Kühe, die keine Musik im Stall
hören können. Und die Amerikanerin Dorothy Retallack veröffentlichte 1973 ihre
Studien zur Auswirkung von Musik auf Pflanzen. Angeblich wenden diese sich Lautsprechern zu, wenn aus ihnen Bach erklingt, bei Jimi Hendrix oder Led Zeppelin
gingen sie ein (Kopiez in Bruhhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.542f).
107
Musikpsychologische Erkenntnisse
„Diese Art von Studien gehört ins Skurrilitätenkabinett der Wissenschaft.
(…)Solche Studien sind eher ein Beleg für die Bereitschaft der Öffentlichkeit, in
Zusammenhang mit Spekulationen über die Wirkung von Musik selbst die abwegigsten Hypothesen noch zu akzeptieren.“ (Kopiez in Bruhhn/Kopiez/Lehmann
2009, S.543).
Nach wie vor sind Konsumenten bereit, für das Fleisch des japanischen Wagyu-Rind,
das angeblich täglich massiert und mit Mozart-Musik berieselt wird, viel Geld auszugeben (vgl. u.a. Lücke 2006). Die Vorstellung, dass Musik keine messbaren Veränderungen in einem Organismus hinterlässt, fällt uns offenbar schwer.
Einige Wissenschafter gehen nach wie vor davon aus, dass das Hören von Musik
zumindest für einen kurzen Zeitraum unsere Intelligenz steigert.
„Wenn wir sagen, daß Musik unser Gehirn für den Moment über das normale Maß
hinaushebt, dann bedeutet das, daß sie uns intelligenter macht – und das ist keine
maßlose Übertreibung.(…) Durch ihren durchdachten Aufbau vermag es Musik also, ein Gehirn in einer Weise zu organisieren, wie es durch eine herkömmliche,
chaotische Erfahrung unmöglich wäre.“ (Jourdain 1998, S.369)
Vielmehr scheint Musik aber bei der Aufnahme von Lerninhalten als Störfaktor wahrgenommen zu werden, und auch beim Autofahren soll sich Musikbeschallung tendenziell negativ auf die Fahrsicherheit auswirken (Kopiez in Bruhhn/Kopiez/Lehmann
2009, S.531ff). Geht man davon aus, dass Musik als Teil der akustischen Kommunikation durchaus eine Fülle von (affektiven) Informationen für uns bereithält (und uns
somit die Aufnahme und Analyse weiterer Informationen erschwert), so sind diese
Ergebnisse nicht verwunderlich.
Die Widerlegung des Mozart-Effekts bedeutet, dass die Musik offenbar nicht unser
Wesen (oder unsere Intelligenz) verändern kann. Es bedeutet aber keineswegs, dass
Musik oder auch andere akustische Reize wirkungslos sind – ihre Wirkung ist ganz
offensichtlich nur bedingt nachzuweisen. Ebenso wenig können wir präzise wissenschaftlich beweisen, welche Wirkung bestimmte (verbale oder geschriebene) Aussa-
108
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
gen auf uns haben. Und dennoch bestreiten wir nicht den Einfluss (die Wirkung) von
Propaganda. Musik wird durchaus häufig funktional eingesetzt, mit der Intention zur
Manipulation (siehe Kapitel III 4.3). Wie bereits im Kapitel III-3.2 beschrieben wurde,
können mithilfe der Musik Botschaften/Informationen transportiert werden, die wir
durchaus in einem passenden soziokulturellen Kontext decodieren können. Was
diese Botschaften mit uns – oder wir mit ihnen – machen, führt uns zurück zum Dilemma der Wirkungsforschung (siehe Kapitel II-1.2). Bevor wir diese Frage beantworten können, müssen, wie bereits angedeutet, die akustischen Reize als solche
erst definiert und kategorisiert werden.
Mit der Betrachtung funktionaler Klänge und funktionaler Musik beschreiben wir nicht
nur die von Erzeugern intendierte Wirkung, sondern wir kommen auch der Definition
der zu entwickelnden Audiotypen bereits sehr nahe und damit auch einer Kategorisierung akustischer Reize.
III-4
Funktionale Klänge
„Funktionale Klänge übertragen Informationen, beschreiben Zustände und spiegeln Arbeitsprozesse. Sie helfen Vorgänge zu erkunden, unklare Situationen zu
deuten und unbekannte Strukturen zu verstehen. Sie dienen als Werkzeug, verändern unsere nächste Umgebung und erzählen kleine Geschichten. Wir agieren
mit ihnen, bewusst und unbewusst.“ (Spehr 2009, S.9)
Wir sind heute mehr denn je umgeben von funktionalen Klängen. Der Geschirrspüler,
der mit einem Piepston signalisiert, dass er seine Aufgabe erfolgreich beendet hat,
das Summen eines elektronischen Türöffners, der signalisiert, dass wir ein Gebäude
betreten können, eine Autohupe, die uns warnt. Viele Objekte haben wir mit Klängen
ausgestattet, deren einzige Funktion es ist, mit uns zu kommunizieren. Bereits sehr
früh hat die Technik den Ton als funktionales Mittel entdeckt: Mit dem Stethoskop
109
Funktionale Klänge
messen Mediziner den Rhythmus des Herzens, mit dem Geigerzähler die radioaktive
Belastung (vgl. Frauenberger in Spehr 2009, S.198) – es gibt unzählige Beispiele wie
Klänge zu technischen Hilfsmitteln werden:
„Ein frühes Beispiel kommt von Galileo Galilei in seinem Experiment zum freien
Fall (1603). Er befestigte Glocken in regelmäßigen Abständen, entlang der Laufbahn einer Kugel auf einer schiefen Ebene. Der Rhythmus der Glockenschläge
bildete für ihn die Grundlage zur Definition mathematischer Gesetzmäßigkeiten.“
(Frauenberger in Spehr 2009, S.197)
Die narrative Qualität von Klängen – ihr Vermögen uns sehr rasch eine komplexe
Geschichte zu erzählen – wird in ihrer funktionalen Nutzung bewusst eingesetzt und
praktisch angewandt und hat durch die elektroakustische Entwicklung und zunehmende Digitalisierung beinahe grenzenlose Möglichkeiten erhalten. Innerhalb der
neuen Kommunikationsinfrastruktur gehört es zum Alltag, dass akustische Reize
versuchen, uns auf etwas aufmerksam zu machen, uns zu warnen oder bei einer
Tätigkeit zu unterstützen. Wenn wir ein Auto starten ohne uns anzuschnallen, startet
der Alarm, in manchen Fahrzeugen wird er immer lauter und penetranter – es ist
beinahe unmöglich nicht angeschnallt und damit „ungesichert“ weiterzufahren. Bevor
der Tank leer ist, ertönt ein Warnsignal, die Einparkhilfe piepst und das Navigationsgerät gibt ein Geräusch ab um zu signalisieren, dass es aufgeladen werden muss.
Die Fülle akustischer Reize, die uns mittlerweile in einem Fahrzeug umgibt, kann
auch zum Sicherheitsrisiko werden. Vor allem wenn sich der Fahrer in einer „sicherheitskritischen“ Situation befindet (Fricke in Spehr 2009, S.47), bei der er all seine
Aufmerksamkeit braucht.
„Besonders in solchen zeit- und sicherheitskritischen Situationen ist es deshalb
sinnvoll, <intuitive> Warntypen zu gestalten, damit eine Verwechslung oder Missverständnisse verhindert werden können und eine erfolgreiche Konfliktbewältigung
erreicht wird.“ (Fricke in Spehr 2009, S.47)
110
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Das bedeutet für die Entwickler funktionaler Klänge, dass sie diese mit Bedacht
schaffen und einsetzten müssen.
III-4.1 Produktklang und Funktionsklang
Der „Funktionsklang“, der gestaltet wird, um eine Information zu vermitteln, ist grundsätzlich vom „Produktklang“, dem mechanisch bedingten Klang des Produktes, zu
unterscheiden (Kloppenburg/Herzer in Spehr 2009, S.94). Auch der Produktklang
kann eine funktionale Wirkung haben. Wenn wir eine Tür hinter uns zuschlagen und
uns (ohne uns umzudrehen) akustisch vergewissern können, dass diese auch wirklich schließt, dann übernimmt der Klang die Funktion, ein Feedback auf unsere
Handlung zu geben (mehr dazu im Kapitel IV). Mittlerweile wird auch der Produktklang bewusst gestaltet, meist um das Image eines Produktes zu unterstützen.
„Limousinen und Sportwagen eines Herstellers werden häufig vom gleichen Motor
angetrieben. Der <<Sound>> des jeweilige Fahrzeugs muss jedoch der Funktion
des Wagens angepasst sein:“ (Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.31)
Während der gestaltete Funktionsklang offen mit uns kommuniziert, zielt der gestaltete Produktklang meist auf unterbewusste Wahrnehmungen ab. Es wird versucht,
mit einer Aufwertung des Produktklangs auch das Produkt aufzuwerten. Damit das
gelingt, muss allerdings die akustische Sozialisation der Kundenzielgruppe berücksichtigt werden.
„Ein Studie, die herausfinden sollte, mit welchem Klang beim Öffnen eines Feuerzeugs <Luxus> assoziiert wird, konnte anhand der Urteile der Versuchspersonen
deutlich zwei Gruppen mit unterschiedlichen Bewertungsprofilen unterscheiden.
Für die eine Gruppe war es ein gleichmäßiger, dunkler, tiefer Klang, der Luxus
symbolisierte, wogegen die andere Gruppe Luxus klare, resonante, klickende
Klänge zuordnete (vgl. Lageat et al. 2003). Dieses Beispiel zeigt, dass bei der
Klanggestaltung von Produkten verschiedene Zielgruppen berücksichtigt werden
sollten, deren Zusammensetzung sich aufgrund des Alters, des kulturellen Hintergrunds oder des Milieus ergeben kann.“ (Bronner in Spehr 2009, S.267f)
111
Funktionale Klänge
Nachdem Menschen in den seltensten Fällen Produktklänge bewusst und prüfend
wahrnehmen (eine Ausnahme wäre hier der Motorsound einer Harley Davidson, der
ganz bestimmte Kriterien für einen Käufer zu erfüllen hat), ist das manipulative Potential, das ihnen innewohnt, kohärent. Ein unvermeidbarer Produktklang (der bspw.
beim Öffnen oder Schließen einer Türe oder eines Produktverschlusses entsteht)
wird dabei vermutlich eher unterbewusst auf uns wirken, als ein gestalteter Funktionsklang. Manche unauffällige Produktklänge werden in der Werbung aber gewollt
bewusst gemacht. Beispielsweise wird bei Toblerone der Klang, der beim Abbrechen
eines dreieckigen Schokoladestücks entsteht in der Werbung bewusst inszeniert und
verbal verstärkt: „Knack Dir einen Gipfel ab“. Auch das Zischen beim Öffnen einer
Bierdose oder das Prickeln eines Mineralwassers wurde bereits werblich inszeniert.
Dabei sollen nicht nur Objekte, durch Produkt- oder Funktionsklänge in ihrer Wertigkeit verändert werden, sondern auch digitale Erlebniswelten, die sich zum Beispiel
bei der Benutzung eines Softwareprogramms akustisch entfalten.
„Funktionsklänge eines Interfaces werden noch unbewusster aufgenommen als
die Form, die Oberflächengestaltung oder das Verhalten eines interaktiven Systems.“ (Hußlein in Spehr 2009, S.131)
Ob die Klangkulisse eines digitalen Interfaces tatsächlich immer unbewusst aufgenommen wird, darf bezweifelt werden. Vor allem, wenn die akustischen Signale häufiger auftreten, werden sie von den Usern als lästig wahrgenommen und rasch abgeschaltet (vgl. Kapitel III-2.2). Das ergibt auch durchaus Sinn, denn wie bereits mehrfach erwähnt worden ist, dienen akustische Signale dem Menschen als wichtige
Informationsquelle, die auch unseren Aktivierungszustand regeln. Indem wir versuchen, lästige, für uns nicht relevante Geräusche zu eliminieren, schaffen wir genügend „Ruhe“, um überlebenswichtige akustische Reize wahrnehmen zu können.
112
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Wobei wir durchaus eine Vielzahl von Geräuschen um uns herum ertragen und auch
decodieren können. Als Beispiel seien hier die Funktionsklänge medizinischer Geräte
angeführt, die einem Arzt während einer Operation einen akustischen Überblick über
den Zustand seines Patienten liefern können.
„Medizinische Information wird durch akustische Signale während einer Operation
räumlich eingespielt, ohne abzulenken. Die Vorteile solcher Sound Signalization in
der komplexen Klangwelt des Alltags, unserer Sundscape, liegen auf der Hand:
Klänge lassen sich nebenbei wahrnehmen; sie kommen aus allen Richtungen;
Geräusche lenken weniger ab als Sprache; Sound lässt sich digital formen; Hörbilder sind leicht zu verstehen und zu lernen.“(Werner in Spehr 2009, S.36)
Die akustische Darstellung medizinischer bzw. wissenschaftlicher Daten hat in diesem Fall nicht nur den Vorteil, dass Hörbilder leicht zu verstehen sind, und eine Warnung oder ein Alarm (also eine drastische Änderung des Hörbildes) rasch unsere
Aufmerksamkeit bekommen, sondern auch, dass andere, wichtige Sinne frei gespielt
werden. Der Arzt kann sich visuell und taktil dem Operationsfeld widmen und bekommt dennoch Informationen über bspw. den Herzschlag oder die Atmung seines
Patienten.
III-4.2 Sonifikation
In der Medizin werden die Vorteile einer akustischen Datenvermittlung bereits sehr
häufig benutzt, aber auch in vielen anderen Bereichen kann die sogenannte Sonifikation gut eingesetzt werden.
„Sonifikation, das akustische Pendant zur wissenschaftlichen Visualisierung, wurde knapp als <<nicht-sprachliche Nutzung von Klang zur Informationsvermittlung<< definiert (Kramer et.al. 1999).“ (Hermann in Spehr 2009, S.69)
Wenn ein „vorhandener Klang als Aufnahme in einen neuen Kontext“ eingebaut wird,
so funktioniert dieser laut Hartmann ähnlich wie ein „Zitat“ (Hartmann 2008, S.34).
Dabei sind drei Sonifikationstechniken zu unterscheiden:
113
Funktionale Klänge
Erstens die „Audifikation“ - eine „sehr direkte Umwandlung von Daten in Klang“, wie
sie beispielsweise von einem EEG oder einem Seismographen geleistet wird (Hermann in Spehr 2009, S.72).
Zweitens die „Parameter-Mapping-Sonifikation“, die als das „akustische Analogon
zum Streudiagramm“ bezeichnet werden kann (ebd. S.74) und die in dieser Arbeit
beim Audiotypen-Modell eingesetzt wird.
„Beispielsweise könnte das Merkmal Temperatur von meteorologischen Daten
auf die Tonhöhe eines Klangs abgebildet werden, während die Luftfeuchtigkeit auf
die klangliche Schärfe und der Bewölkungsgrad auf die Lautstärke abgebildet
wird.“ (ebd. 2009, S.74)
Und drittens die „Modellbasierte Sonifikation“, die…
„…erst dann Klänge erzeugt, wenn es vom Nutzer angeregt wird. Ähnlich wie z.B.
oft eine Melone mit der Hand angeschlagen wird, um den Reifegrad zu hören
(…).“ (ebd. 2009, S.78)
Diese Sonifikationstechniken können künftig vermehrt zum Verständnis komplexer
Daten eingesetzt werden und damit die Vorteile des Hörens (ein unmittelbares Verständnis komplexer Tonbeziehungen) nutzen. Beispielsweise beschreibt Hermann
die „akustische Zusammenfassung“ von psychotherapeutischen Gesprächen.
„Emotional positive und negative sowie abstrakte Wörter werden durch unterschiedliche Klänge (hohe/tiefe Töne, Becken, Claves) dargestellt und man gewinnt
einen schnellen Überblick (<Überhör>) über die Therapiesitzung. Derartige akustische Zusammenfassungen können helfen, schneller untypische Gespräche in einer Vielzahl von Sitzungen zu entdecken.“ (Hermann in Spehr 2009, S.82)
Dass wir mittlerweile die technischen Möglichkeiten haben, rasch ein „Überhör“ zu
erstellen, und damit ein Pendant zum Überblick schaffen, zeigt, dass McLuhans
Überlegungen gar nicht so abwegig waren. Durch die elektronischen Medien gelingt
uns ein ganzheitliches Erleben und Verstehen.
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Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
III-4.3 Funktionale Musik
Eine riesige weiße Couch in einem freundlich gestrichenen Raum – an der gegenüberliegenden Seite ein großer Flachbildschirm auf dem in HD-Qualität große Naturaufnahmen abgespielt werden. Diese Bilder werden von beruhigender Musik begleitet. In langsamem Adagio werden die harmonischen Töne eines Synthesizer Klaviersounds miteinander verbunden, ein leises Plätschern eines Zimmerbrunnen ist zu
hören. Das Wasser läuft über eine riesige Buddha-Figur, die mit gelb-orangen Farbtönen beleuchtet wird. Wir befinden uns in dem Wartezimmer eines Zahnarztes in
Linz/Urfahr18 und es wird schnell klar, hier hat man alle Register gezogen, um die
Patienten zu beruhigen. Der Innenarchitekt hat das raumakustische Erlebnis einer
Zahnarztpraxis gegen das eines Wellness-Tempels ausgetauscht. Sowohl visuell, als
auch akustisch sind alle Reize darauf ausgelegt, uns ein wohliges, friedliches Gefühl
zu vermitteln – die panische Angst vor dem Zahnarzt-Bohrer soll einfach verdrängt
werden. Funktioniert das? Sieht man in die ängstlichen Gesichter einiger Patienten,
dann wohl nicht. Wir haben bereits gehört: „Kontext schlägt Stereotyp“ (Klein 1998 in
Heinemann 1998, S.34) und indem Fall schlägt der Kontext auch die visuelle und
akustische New-Age Inszenierung. Anders gesagt: Zahnschmerzen lassen sich nicht
mit Musik und schönen Bildern „wegzaubern“.
Die Versuche, mit Musik und Geräuschen die Gefühle der Rezipienten zu beeinflussen sind vielfältig und reichen bereits bis in die Antike zurück, in der sich Architekten
Gedanken zur „akustischen Charakteristik“ von Gebäuden gemacht haben (Hartmann 2008, S.30f). Wie bereits erwähnt gibt es Unternehmen, die mit „manipulati-
18
Dr. Guserl und Partner, Hauptstraße 33 4040 Urfahr
115
Funktionale Klänge
ven“ Kompositionen in den letzten Jahren viel Geld verdient haben19, die Stücke, die
sie vertreiben, werden als „funktionale Musik“ bezeichnet:
„Unter funktionaler Musik versteht man Musik, die zu außermusikalischen Zweckbestimmungen komponiert oder arrangiert wurde, also beispielsweise für die akustische Hintergrundgestaltung in Kaufhäusern, Arbeitseinrichtungen oder öffentlichen Plätzen.“ (Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.25 )
Anders als bei Funktionsklängen, die durchaus objektive, brauchbare Informationen
vermitteln können, versucht funktionale Musik meist nur zu manipulieren. Die Wirkung dieser Musik ist, wie bereits beschrieben, höchst umstritten. Zweifellos wird
damit versucht, eine Stimmung zu induzieren und eine „psychophysische Aktivierung“ zu bewirken (Kopiez in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.537), die das Verhalten
der Zuhörer beeinflusst. Dass funktionale Musik tatsächlich Menschen dazu bringen
kann, mehr zu kaufen, keine Angst mehr zu haben oder ihre Einstellung zu einem
Produkt zu verändern, ist keineswegs bewiesen. Die Ergebnisse unterschiedlicher
Studien sind inkongruent:
„In einer vielzitierten Studie (Milliman, 1982) wurde das Tempo der in einem Supermarkt gespielten Musik verändert und der Einfluss auf den Umsatz des Geschäfts und die Geschwindigkeit des Einkaufs gemessen. Man fand, dass bei
langsamer Musik die Aufenthaltsdauer und dadurch der Umsatz zunimmt (…) um
erstaunliche 38 Prozent. Dieses Ergebnis ist allerdings mit Skepsis zu betrachten,
denn eine mehrwöchige Feldstudie in einem deutschen Supermarkt (Rötter&Plößner, 1995) ergab keine Umsatzsteigerung mit Musik (…).“(Kopiez in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.537)
Ganz ohne Wirkung bleibt die Musik aber dennoch nicht. Laut Kopiez hat die funktionale Musik eher eine „indirekte“ Wirkung. So besuche ich vielleicht ein Kaffeehaus
noch einmal, nicht nur weil der Kaffee eine gute Qualität hatte, sondern auch, weil
die Stimmung dort so angenehm war – diese „angenehme Stimmung“ kann durchaus
musikalisch unterstützt oder sogar induziert worden sein.
19
Bsw. Muzak oder Reditune (vgl Kopizez in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.537)
116
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Auch Corporate Sounds, Werbejingles oder Filmmusik versuchen Melodien zu funktionalisieren, um Einfluss auf die Einstellung der Rezipienten zu nehmen. Häufig wird
hier die Musik mit der Stimme eines Sprechers kombiniert – und auch diese Stimme
hat offenbar bestimmte Kriterien zu erfüllen, um entsprechend wirken zu können.
III-5
„Vocal Stereotypes“
„Baba und Fall net“ singt der bekannte österreichische Künstler Wolfgang Ambros
2011 in einem Radio- und Fernsehwerbespot der AUVA20, die ehemalige Fernsehansagerin Chris Lohner kündigt mit ihrer markanten Stimme die ein- und abfahrenden Zügen auf den österreichischen Bahnhöfen an, und unvergesslich ist das hämische Lachen des Synchronsprechers Wolfgang Pampel, der seine Stimme J.R Ewing
in der Serie Dallas geliehen hat.21 Drei Menschen, die in völlig unterschiedlichen
Kontexten gehört werden – ihre Stimmen sind für die meisten Österreicher leicht
wiederzuerkennen. Es gibt sicherlich viele Gründe, warum eine Stimme „Karriere“
machen kann. Die öffentliche Funktion oder die Popularität des Sprechers oder der
Sprecherin ist eine Möglichkeit (Angela Merkel), das Timbre, die Klangfarbe, oder der
Ausdruck der Stimme kann ein anderer Grund sein (Synchronsprecher). Die Stimme
ist Identifikationsmerkmal und Sympathieträger.
„Wenn ich hinter mir die Worte: „Die Fenster sind offen.“ Höre, so sagt mir die
Stimme des Sprechers äußerst viel. (…) Selbst ohne mich umzudrehen, weiß ich
in der Regel, ob ich von einem Mann oder einer Frau angesprochen worden bin.
Auch über das Alter werde ich recht gute Vermutungen anstellen können und ich
20
Mehr dazu auf der Homepage der AUVA:
http://www.auva.at/portal27/portal/auvaportal/channel_content/cmsWindow?p_tabid=3&
p_menuid=66272&action=2
21
Mehr zu Wolfgang Pampel auf der Homepage der Deutschen Synchronkartei:
http://www.synchronkartei.de/?action=show&type=talker&id=492
117
„Vocal Stereotypes“
kann wahrscheinlich auch etwas über die geographische Herkunft und die soziale
Schicht des Sprechers oder der Sprecherin sagen. In extremen Fällen werde ich
vielleicht sogar Aussagen über den Gesundheitszustand machen können, und ich
werde eine ungefähre Vorstellung von der Größe des Sprechenden haben; mit Sicherheit aber wird mir die Stimme etwas über dessen Gefühlszustand sagen.“
(Eckert/Laver 1994, S.21f)
Der Klang der Stimme kann unbewusst aber auch ganz bewusst eingesetzt werden
um unserem Gegenüber klar zu machen, wie wir zu ihm stehen. Wenn ein Satz auf
einer „pragmatischen Ebene“ im „Kontext zwischenmenschlichen Verhaltens“
(Eckert/Laver 1994, S.23) analysiert wird, kann er „dieselbe Wirkung haben, wie
eine Ohrfeige“ (ebd., S.24). Die „paralinguistische Ebene“ dient dem Ausdruck von
Emotionen während sich auf der „extralinguistischen Ebene“ unterbewusste Elemente der individuellen Stimme (Näseln, Dialekt) ausdrücken (ebd., S.26).
„There are not many ways of writing “tonight,“ but Stanislavsky used to ask his
young actors to pronounce and stress it fifty different ways while the audience
wrote down the different shades of feeling and meaning expressed. Many a page
of prose and many a narrative has been devoted to expressing what was, in a effect, a sob, a moan, a laugh, or a piercing scream. The written word spells out in
sequence what is quick and implicit in the spoken word.“ (McLuhan, 1964, S.85)
Zweifellos können wir durch die vielfältigen Betonungsmöglichkeiten unserer Stimme
mehr Information vermitteln, als durch geschrieben Worte.
„Der menschlichen Stimme ist es möglich, Worte nicht nur rein inhaltlich wiederzugeben, sondern sie klanglich auch so auszugestalten, dass die affektiven Intentionen des Redners deutlich werden.“ (Spehr 2009, S.13)
Doch offenbar gibt es Menschen, die dieses Instrument Stimme besser beherrschen
als andere, und auch Menschen die aufgrund ihrer biologischen Stimmfarbe angenehmer wirken als andere. Tatsächlich scheint es so zu sein, dass wir diese „stimmbegabten“ Menschen (bei populären Persönlichkeiten ist die Begabung nicht immer
als solche vorhanden) in der Summe ihrer Eigenschaften häufig besser beurteilen als
Menschen mit stimmlichen Defiziten. Diese Einteilung stimmlicher Stereotypen erfahren Frauen vielfach im Alltag, wenn sie als hysterisch bezeichnet werden, in dem
118
Akustische Phänomene: Das Hörvermögen als Zeichen einer hoch entwickelten
Spezies
Moment, wo sie ihren affektiven Ausdruck verstärken, oder Männer mit undeutlicher
Artikulation und tiefer Stimme als „unnahbare Brummbären“ klassifiziert werden.
Selbstverständlich kann die persönliche Erfahrung, die wir mit dem Sprecher oder
der Sprecherin gemacht haben, diese Einschätzung verändern (der Einfluss des
Kontexts auf Stereotypen wurde bereits eingehend besprochen), dennoch wurde die
Annahme, dass es so etwas wie stimmliche Stereotypen gibt, in einer Studie von
Melanie Weirich bestätigt. Die Stimmen von 32 Männern im Alter zwischen 21 und 41
Jahren wurden untersucht. Weirich wollte herausfinden, ob die stimmlichen Reize zu
einer Einschätzung der Persönlichkeit führen, und inwieweit diese Einschätzungen
übereinstimmen.
„Aufgrund der hohen(…)Übereinstimmungen der Hörerurteile, kann festgehalten
werden (…), dass die Stimme einer Person auf alle Hörer in derselben Art und
Weise wirkt und diese mit dem wahrgenommenen Stimmklang dieselben Persönlichkeitseigenschaften assoziieren.(…) Es existiert eine Stereotypisierung der Persönlichkeit eines Menschen aufgrund von dessen Stimme.“ (Weirich 2010, S.114)
Tatsächlich konnte Weirich auch bestimmte Faktoren identifizieren, die sich positiv
oder negativ auf die Beurteilung einer Stimme auswirken. „Auffälliges, häufiges Atmen“ und „laryngale Anspannung“ wurden ebenso wie „monotone Sprechweise“ eher
negativ empfunden, während „pharyngale Weite“ meist positiv erlebt wird. Eine „starke Intonation“ wirkt sich überdies positiv auf die „Kompetenzeinschätzung“ aus (ebd.
2010, S.118ff). Mit diesen Ergebnissen liefert Weirich eine objektive Bewertungsskala der menschlichen Stimme, die letztendlich von Unternehmen die eine „Corporate
Voice“ oder auch „Brand Voice“ (Kloppenburg/Herzer in Spehr 2009, S.93) suchen,
eingesetzt werden kann.
Ein bedeutender Schwachpunkt in Weirichs Untersuchungsdesign ist allerdings, dass
lediglich die Wirkung männlicher Stimmen analysiert worden ist – ob auch ähnliche
119
„Vocal Stereotypes“
Ergebnisse bei der Analyse weiblicher Stimmen erzielt werden, muss daher noch
bewiesen werden (Weirich geht in ihren Überlegungen jedoch davon aus).
Die Tatsache, dass vor allem männliche Stimmen in Radiowerbespots eingesetzt
werden um Kompetenz und Sicherheit zu vermitteln, wird von Barry Truax kritisiert.
Er glaubt darin eine Manifestation gesellschaftlicher Werte, einer „mans world“ zu
erkennen:
„…the communication of such values seems impossible to escape. Moreover, the
distracted listener does not consciously screen an evaluate what is being heard,
and therefore is a prime target for what might be termed the subliminal inculcation
of values.“ (Truax 2001, S.175)
Der unbewusste, nicht reflektierte Umgang mit akustischen Reizen und auch Stimmen erleichtert laut Truax emotionale Manipulationen. Allerdings kann das Auswählen bzw. die Bevorzugung männlicher Stimmen auch mit ihrer meist niedrigeren Frequenz zu tun haben, die wir ja, wie bereits beschrieben, als weniger prägnant und
damit häufig auch als angenehmer empfinden. Vielleicht beruht die „Macht der Männer“ auch auf diesem auditiven Vorteil: weil ihre Stimmen häufig tiefer sind und damit
mehr Ruhe ausstrahlen, scheinen sie besonnener und einer Gesellschaft als Führer
besser geeignet? Wobei Frauen heutzutage deutlich tiefer sprechen als noch in den
1950er Jahren (vgl. Eckert/Laver 1994, S.36) – vielleicht ist dies die akustische Manifestation der Emanzipation? Eine wissenschaftliche Untersuchung dieser These steht
freilich noch aus und ist nur ein weiterer Hinweis darauf, dass die akustische Wirkungsforschung interessante kommunikationswissenschaftliche Ansatzpunkte bietet.
Eckert und Laver zitieren Studien, wonach die Stimmen unterschiedlicher Nationalitäten auch unterschiedliche Frequenzen bevorzugen, ebenso wird eine divergierende
Verwendung des Stimmraumes festgestellt. Amerikaner sprechen beispielsweise
120
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
tiefer als Deutsche (Eckert/Laver 1994, S.136), diese Unterschiede scheinen von uns
zum Teil auch bewusst wahrgenommen zu werden.
„Wenn Briten in Komikersendungen einen Deutschen nachmachen wollen, dann
benutzen sie dabei fast alle einen ganz bestimmten Stereotypen. Der typische
Deutsche in diesen Sendungen hat folgende Stimmeigenschaften: Der Rachenraum ist verengt und der Kehlkopf meist hoch gezogen. Die Anspannung der
Muskeln im gesamten Stimmapparat ist recht groß.“ (Eckert/Laver 1994, S.136)
„Vocal Stereotyps“, also markante Stimmen (seien sie nun angenehm oder auch
nicht), können bewusst oder unbewusst zur Erzeugung eines Audiotyps eingesetzt
werden. Bei manchen Prominenten, wie beispielsweise Chris Lohner, ist die Stimme
selbst bereits ein regionaler Audiotyp.
Kapitel IV - Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
Bevor akustische Geräusche und ihre Bedeutung für die Menschen kategorisiert
werden, sollen zuerst noch einmal die Eigenheiten des Hörens genauer betrachtet
werden. In Kapitel III wurden akustische Phänomene, und in welcher Weise wir diese
wahrnehmen, bereits detailliert erläutert. Dabei wurde ganz bewusst keine explizite
Trennung zwischen Tönen/Geräuschen und Musik vorgenommen.
Zwar wird in der Psychoakustik häufig angenommen, dass das „Everyday Listening“,
das Wahrnehmen von „Alltags-/Umweltgeräuschen“, sich vom „Musical Listening“,
dem Hören musikalischer Töne und Klänge (Fricke in Spehr 2009, S.55), unterscheidet, „doch eigentlich hängt die Art und Weise, wie ein Geräusch wahrgenommen
wird, vom aktuellen situativen Kontext ab“ (Fricke in Spehr 2009, S.55). Das bedeutet, wie wir Musik oder Geräusche interpretieren, hängt einerseits von individuellen,
prädispositionalen Faktoren (Kultur, Milieu, Erfahrung), unserer Aufmerksamkeit und
121
„Vocal Stereotypes“
der Umgebung, in der die akustischen Reize auf uns treffen, ab, und natürlich auch
davon, ob und wie wir sie decodieren können.
Schneider beschreibt, dass Everyday Sounds des Everyday Listenings meist direkt
einer Klangquelle zugeordnet werden, und die Rezipienten dazu neigen „diese Geräusche als akustische Reproduktion der Interaktion oder der Materialien, die den
Klang verursachen zu betrachten.“ (Schneider in Spehr 2009, S.180) Während den
Klängen beim Musical Listening „mehr eine ästhetische als eine informative Bedeutung zugewiesen“ wird (Schneider in Spehr 2009, S.180). Dabei übersieht Schneider
die eigentlich Stärke unsers Hörvermögens, nämlich die gleichzeitige Aufnahme
komplexer Informationen. Der Mensch kann sowohl die „ästhetische“ als auch die
„informative“ Bedeutung eines Klangs oder eines Musikstücks deuten, und auch das
Material, dass diesen Klang erzeugt, identifizieren. Die narrative Bedeutung musikalischer Wirkungen wird tatsächlich sehr oft dazu eingesetzt, Informationen zu vermitteln (siehe Kapitel III).
Die Unterscheidung zwischen Everyday Sounds und Musical Sounds ist jedoch beispielhaft für die Versuche einer Kategorisierung akustischer Reize und ihrer Hörwahrnehmung (siehe Spehr 2009) und zeigt, wie schwierig es ist, ein valides und
wirklich aussagekräftiges Einteilungsschema zu finden. Die Gefahr bei der Kategorisierung akustischer Reize besteht darin, die komplexen Wahrnehmungs- und Deutungsmöglichkeiten von Musik und Geräuschen einzuengen. Ein einteilendes Ordnungsschema dient zwar zur Komplexitätsreduktion, kann daher nicht alle Details
und Aspekte eines Reizes berücksichtigen, darf die Vielseitigkeit jedoch nicht ausschließen (wie es beispielsweise das Konzept des Everyday und Musical Listenings
tut).
122
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
Pörksens Visiotype erfüllen diese Bedingung zur Offenheit durch ihre bereits angesprochene Maßlosigkeit. In diesem Sinne maßlos und offen für jedwede mögliche
Erweiterung und Flexibilität soll auch das Konzept der Audiotype betrachtet werden,
dass sich daher auch ganz bewusst nicht von der verbalen Sprache abtrennt.
IV-1 Allgemeine Definition
Audiotype sind akustisch standardisierte Wahrnehmungen, die das Vermögen besitzen, kollektive Assoziationen oder Emotionen in ihren Rezipienten hervorzurufen, da
sie (wie Visiotype) eine „durchgesetzte Form der Wahrnehmung und Darstellung des
Zugriffs auf die 'Wirklichkeit'“ (Pörksen 1994, S.27) beinhalten. Sie sind in einem
gesellschaftlichen, kulturellen und zeitlichen Zusammenhang zu betrachten. Die
Emotionen und Assoziationen, die sie hervorrufen, sind innerhalb einer Gesellschaft
natürlich gelernt und durch ständige Wiederholung gefestigt und zum Teil kanonisiert
worden. Audiotype können ähnlich wie Visiotype auch neue stereotypisierte Wahrnehmungsmuster einführen.22
Der Schrei eines Babys, quietschende Reifen, ein Revolverschuss, das nervige
Summen einer Mücke, der Erkennungsjingle eines Radiosenders oder auch ein
Nokia-Klingelton oder die Melodie beim Starten des Windows-Betriebssystems – das
22
Pörksen beschreibt die Entstehung eines Visiotyps anhand der Fernsehübertragungen
während des Golfkriegs: „Da die durchgelassenen Fakten und Bilder äußerst spärlich
waren, trat eine neue Form der Vermittlung an deren Stelle, ein neuer Visiotyp:
graphische Darstellung der Waffenstärke, der verschiedenen Waffengattungen und ihrer
Funktionsweise. Das von der US-Regierung erfolgreich gelenkte Informationsdesign des
Golfkriegs hat anscheinend Heerscharen von Graphikern beschäftigt. Danach kam auch
bei uns das Wort 'Infografik' in Gebrauch.“ (Pörksen 1994, S.26f)
123
Allgemeine Definition
alles können Audiotype sein. Sie ziehen uns ebenso in den Bann, rufen Gefühle in
uns hervor, sind ebenso „konnotatstark“ wie Visiotype.
Sie können als sogenannten „Auditory Icons“ die als Alltagsgeräusche zu definieren
sind erscheinen oder als „Earcons“, der…
„…Kombinationen abstrakter, synthetischer Töne oder kurze rhythmische Sequenzen mit unterschiedlichen Tonhöhen und Intensitäten, deren Bedeutung noch
nicht existiert und erlernt werden muss.“ (Fricke in Spehr 2009, S.53f)23
Aber sie können sich auch aus komplexen akustischen Reizen, wie beispielsweise
Musikstücken, oder aus verbal unterstützen akustische Ereignissen zusammensetzen.
Der Kommunikationswissenschafter Barry Truax würdigt jede Information eines akustischen Reizes als einzigartig. Wird dieser jedoch häufig wiederholt, bis die Rezipienten ihm eine einheitliche Bedeutung zuschreiben und ihn somit in einem ähnlichen Kontext wahrnehmen, wird der akustische Reiz zu einem „Sound Symbol“:
„Sound symbols function analogously to Jung´s (1964) archetypes (which are
strongly visual) in that they are mental and cultural images of great suggestive
power.“ (Truax 2001, S.80)
Das Konzept der Audiotype schließt sich diesen Sounds Symbols an, soll aber weitergefasst und gedacht werden (so sollen bspw. auch „falsche“ Audiotypen, die nur
vermeintlich suggestive Kraft besitzen, miteinbezogen werden). Obwohl die manipulative Bedeutung die Truax im Zusammenhang mit Sound Symbols formuliert durchaus nachzuvollziehen ist, soll die Einteilung der Audiotypen wertneutral erfolgen. Wie
23
Auditory Icons haben sich laut Fricke als Warnsignale im Auto bewährt, weil sie „intiuitiv
verstanden“ werden können. Bei nicht „zeitkritischen Situationen“ soll eine Verbindung
von „Earcons“ und „Auditory Icons“ sinnvoll sein. (Fricke in Spehr 2009, S.56)
124
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
bereits bei der Definition der Stereotypen erläutert, soll eine Systemeinteilung auch
als solche gewürdigt werden.
Weil sie bereits über Jahrhunderte in vielen Kulturen ähnliche Bedeutung haben,
werden Sound Symbols natürlich aufgrund ihrer starken abstrahierenden Leistung
häufig in der akustischen Kommunikation eingesetzt. Truax meint diese akustischen
Reize symbolisieren die Beziehung des Rezipienten zu seiner Umwelt. Nachdem die
elektronischen Medien den „Soundscape“ völlig verändert haben, und elektroakustische Klangsysteme als organisierter Schall in unsere Lebenswelt eindringen
(vgl. u.a. Truax 2001 oder Werner in Spehr 2009, S.27f), haben sich die Möglichkeiten der „Manipulation, Reproduzierbarkeit, Synthese und Simulation jedweder
Klangwelt“ (Werner in Spehr 2009, S.28) verändert.
Bei dem hier zu entwickelnden Entwurf der Audiotypen sollen sowohl alte, tradierte
akustische Reize, als auch moderne „elektroakustische“ gleichwertig betrachtet werden. Um als Audiotyp bezeichnet werden zu können muss ein akustischer Reiz folgende Voraussetzungen erfüllen:
- Kollektive unmittelbare Bedeutungszuschreibung:
Einem Audiotyp muss innerhalb mindestens eines Kollektivs, einer Gruppe (und sei
sie auch noch so klein), eine übereinstimmende Bedeutung zugeschrieben werden.
Dieser Vorgang erfolgt meist unmittelbar nach dem Erkennen des Audiotyps.
- Similare Reproduzierbarkeit:
Um von einem Kollektiv erkannt zu werden müssen die Audiotypen eine Wiederholungs-Historie aufweisen. Nur wenn sie als akustische Reize periodisch immer wieder auf eine Gesellschaft treffen, kann ihnen eine generalisierte Wahrnehmungsbedeutung zugeschrieben werden. Das bedeutet, dass sie nicht einzigartig sondern
125
Allgemeine Definition
reproduzierbar sein müssen – wobei die Reproduktion nicht immer völlig identisch
sein muss. Häufig genügt es, wenn der akustische Reiz in einer ausreichenden Ähnlichkeit, einer Similarität, wiederholt wird (bspw. erkennen wir das Lied „Alle meine
Entlein“ von unterschiedlichen Sängern, den Klang einer zugeschlagenen Autotür
sowohl bei einem Lkw als auch einen Kleinwagen etc.).
- Abgeschlossenheit:
Ein Audiotyp wird als Einheit erkannt, auch wenn die Wahrnehmungsdauer stark
variieren kann (ein Musikstück dauert natürlich deutlich länger als bspw. ein Gewehrschuss). Überdies benötigt ein Audiotyp auch keine zusätzliche visuelle oder haptische Information. Auch wenn er häufig in einem Konglomerat mit anderen Reizen
auftreten kann, ist er als akustischer Reiz in sich abgeschlossen.
Truax definiert die drei wichtigsten Komponenten (Hauptsysteme) akustischer Kommunikation als „speech, music and soundscape“ (Truax 2001, S.21ff). Auch die hier
zu beschreibenden Audiotypen können sowohl sprachlich oder musisch erzeugt
werden, als auch Teil einer Klanglandschaft sein. Natürlich verlaufen die Grenzen
hier fließend. So können sowohl die Melodie als auch der gesungene Text eines
Liedes (oder ein gesprochener Text) gemeinsam ein Audiotyp bilden – als Beispiel
wären hier typische Fußball-Fanhymnen oder Stadionlieder: „Immer wieder, immer
wieder…“ zu nennen.
Auch wenn Audiotype kollektiv erkannt werden müssen, müssen sie nicht identisch
bewertet werden, ebenso wenig wie die von Truax beschriebenen Sound Symbols.
„It is possible that two individuals in the same sound environment may have contrasting relationship to it.“ (Truax 2001, S.13)
126
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
Das betrifft jedoch nicht nur die persönliche Einstellung zu einem Audiotyp. So kann,
um beim Beispiel der Fußball-Fanhymne zu bleiben, diese Fanhymne als solche
erkannt werden und entweder auf Ablehnung oder Zustimmung treffen. Wenn dieselbe Fan-Hymne allerdings, in einer Kindergruppe in Afrika gesungen, nicht als Fußball-Hymne erkannt, sondern als Motivationssong für eine andere Tätigkeit eingesetzt wird, so bleibt der Audiotyp dennoch bestehen. Allerdings handelt es sich dann
um eine Audiotyp mit zwei unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen und somit
für einen kulturellen Grenzgänger.
Audiotypen, die in unterschiedlichen Kollektiven unterschiedlich wahrgenommen
werden, sind keineswegs selten. So wird die Begrüßung „Heil“ in Tirol als freundliches „Grüß Gott“ wahrgenommen, während Menschen aus östlichen Bundesländern
unter Umständen zusammenzucken, weil sie sich an einen längt überholten NaziGruß erinnern. Ein Schuss in einem Kriegsgebiet wird andere Assoziationen hervorrufen, als ein Schuss bei einer Jagdveranstaltung. Letztendlich bleibt auch bei der
kollektiven Bedeutungszuschreibung immer eine Unschärfe, da es letztendlich unmöglich festzustellen ist, wie die Individuen in einem Kollektiv tatsächlich fühlen.
„Hörspiele z.B. erzeugen in uns Bilder, die nicht existieren und doch zu jedem von
uns gehören. Aus der Klangpädagogik ist bekannt, dass Geräuschfolgen völlig unterschiedliche Geschichten der Rezipienten auslösen. Hörbares ist wie ein akustischer Rohrschachttest, mehrdeutig und vielseitig.“ (Werner in Spehr 2009, S.35)
Das bedeutet natürlich auch, dass ein akustischer Reiz für eine Gruppe von Individuen als Audiotyp fungiert, der für andere Menschen schlichtweg kein Audiotyp ist.
Bei dem nun folgenden Versuch Audiotype zu kategorisieren gilt die Maßlosigkeit
des Ordnungsschemas auch insofern, dass ein Audiotyp in mehreren Kategorien
eingeteilt werden kann – so kann ein Geräusch-Audiotyp auch häufig ein Mechani-
127
Materialistischer Zugang
scher Audiotyp sein, ein elektronischer ein musikalischer usw. Im folgenden Text
wird das Wort Audiotyp mitunter mit den Buchstaben AT abgekürzt.
IV-2 Materialistischer Zugang
In diesem Ordnungsschema werden Audiotypen nach dem Kriterium ihrer Erzeugung
unterschieden. Entscheidend ist, durch welche Materialien oder welchen Organismus
der wahrnehmbare Klang erzeugt wird. Hier kommt es auch häufig zu Verwechslungen oder Irritationen, die dann letztendlich zu „falschen“ Audiotypen führen können.
IV-2.1 Natürliche Audiotypen
Atmen, Husten, Schnäuzen, Brüllen, Wasserplätschern, Vogelzwitschern … – zu den
natürlichen Audiotypen zählen Geräusche, die durch einen menschlichen, tierischen
oder pflanzlichen Organismus erzeugt werden, bzw. natürlichen Ursprungs sind
(Wasserplätschern, Gewitterklänge) und sich auch in der Natur häufig wiederholen.
Natürliche Audiotypen werden erfahrungsgemäß von einem großen Kollektiv verstanden (Babyschrei, Löwengebrüll) und beinhalten meist auch die akustischen Reize, die uns entwicklungsgeschichtlich das Überleben gesichert haben.
„Archetypische Klänge wie Donner, Regen, Schreie von Tiere oder Kleinkindern
beispielsweise sind a priori nicht kulturell kodiert, sondern wirken auf einer unmittelbaren Ebene.“ (Hug in Spehr 2009, S.153)
Im Gegensatz zu mechanischen Audiotypen werden natürliche Audiotypen grundsätzlich nicht technisch unterstützt – im neuen Medienzeitalter sind die Grenzen
zwischen diesen beiden Audiotypen allerdings immer mehr verschwommen (bspw.
wenn ein Husten mit einem Aufnahmegerät wiedergegeben wird, oder ein Wasserplätschern in einem Zimmerbrunnen künstlich herbeigeführt wird). Daher ist es not-
128
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
wendig ein weiteres Unterscheidungskriterium einzuführen. Es gilt hier die Dominanz
des ursprünglichen akustischen Reizes: Das bedeutet auch ein aufgezeichneter
Vogelgesang soll als natürliches Audiotyp („Vogelgezwitscher“) bezeichnet werden,
sollte jedoch das Band, auf dem der Gesang aufgenommen wurde, beim Abspielen
untypische Geräusche abgeben (durch leiern, scheuern, springen etc.) und diese
Töne mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dominiert der mechanische, akustische
Reiz, und die Tonaufnahme wird zum mechanischen Audiotypen („Fehlerhafte Tonbandaufnahme“) oder verliert sogar seinen Status als Audiotyp und wird lediglich zu
einem Geräusch. Ein weiteres Beispiel wäre das Plätschern eines Zimmerbrunnens
– solange das Wasserplätschern dominant ist, handelt es sich um einen natürlichen
Audiotypen („Wasserplätschern“), sollten jedoch die Pumpgeräusche des Brunnens
lauter werden (wie es häufig passiert, wenn bereits zuviel Wasser verdunstet ist),
dann mutiert der „Sound“ des Zimmerbrunnens zu einem mechanischen Audiotypen
(„leerer Zimmerbrunnen“). Wobei sich auch hier die Frage stellt, ob es sich noch um
einen echten, von einem Kollektiv gleich verstandenen, Audiotypen handelt, oder ob
wir es hier nicht schon mit einem falschen Audiotypen zu tun haben (vgl. Kapitel IV3.4).
IV-2.2 Mechanische Audiotypen
Wir sind ständig umgeben von mechanischen Audiotypen – sie entstehen durch
mechanische Reibung und leisten uns gute Orientierungshilfe in unserer Umwelt:
Quietschende Autoreifen, ein Hammerschlag, das Klicken des Lichtschalters, die
Liste ließe sich endlos fortsetzen. Mechanische und mittlerweile auch elektronische
Audiotypen sind die akustischen Wegweiser in unserer Umgebung. Wenn wir ein
Glas auf einen Tisch stellen, und es würde kein charakteristischer Ton entstehen,
129
Materialistischer Zugang
wären wir ziemlich verunsichert, denn die mechanischen Audiotypen geben uns ein
akustisches Feedback unserer Handlungen und auch der Handlungen anderer Menschen, die uns umgeben. Durch sie finden wir uns in unserer Umwelt leichter zurecht
und können leichter einschätzen, welcher Aktivierungsgrad von uns gefordert wird.
Andererseits macht es uns offenbar auch Freude zu hören, welchen „Einfluss auf die
Welt“ wir nehmen.
„Auch Chions Konzept der Freude am Sich-Selbst-Hören, (…) darf zu den archetypischen und präsemiotischen Klangerfahrungen gezählt werden.“ (Hug in Spehr
2009, S.154)
Allerdings geht es dabei nicht nur um Macht und Einfluss, den wir akustisch manifestieren, sondern auch um Kontrolle: Beim Einschenken von Wasser in ein Glas spielt
das akustische Feedback der eigenen Handlung eine bedeutende Rolle, um auch
wieder rechtzeitig aufhören zu können, bevor das Wasser über den Glasrand läuft
(Hug in Spehr 2009, S.154ff).
Funktions- und Produktklänge gehören auch in diese Audiotypengruppe. Wobei
diese bereits häufig elektronisch unterstützt oder erzeugt werden.
IV-2.3 Elektronische Audiotypen
Nachdem innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur bereits viele elektronische Geräusche geschaffen worden sind, die ähnliche Funktionen übernehmen, wie
mechanische Töne, müssen diese eng verknüpft betrachtet werden. Viele elektronische Audiotypen haben eine ähnliche Orientierungsfunktion wie mechanische Audiotypen. Das elektronisch erzeugte „Tacken“ von Verkehrsampeln, das blinden Menschen signalisiert, wann sie die Straße überqueren können, ist dafür ein offensichtliches Beispiel. Elektronische Audiotypen werden oft bewusst designed um eine Funktion zu übernehmen.
130
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
Fricke teilt die Funktionsklänge in drei Klassen ein, dabei lässt sich genau erkennen,
wie elektronische und auch mechanische Geräusche als Aktivierungsregulator wirken. Fricke unterscheidet
erstens „Alarme und Warnungen“, die eine „Handlung
unterbrechen“ und „sofortige Zuwendung“ benötigen (daher finden sich diese auch
wieder in den handlungsinduzierenden Audiotypen), zweitens „Zustands- und Überwachungsinformationen“, die sozusagen nur der „Auskunft“ dienen, und drittens
„Enkodierte Nachrichten“, die „numerische Daten in Soundmustern“ wiedergeben
(Fricke in Spehr 2009, S.48ff). Nicht alle diese Klänge sind automatisch Audiotypen,
denn vor allem enkodierte Nachrichten werden häufig nicht unmittelbar von einem
Kollektiv verstanden. Dabei fällt auf, dass die meisten mechanischen und elektronischen Audiotypen, die wir im Alltag hören, uns als „Zustands- oder Überwachungsinformation“ dienen. Wenn wir beispielsweise im Büro sitzen, das Surren der Klimaanlage (ev. elektronischer AT für das Kollektiv der Bürokollegen), das Klackern der
Tatstatur (mechanischer AT), das Gebläse des Computers oder das Sessel rücken
der Kollegen wahrnehmen, so wird unserem Organismus akustisch signalisiert, dass
es offenbar ein ganz normaler Arbeitstag ist.
Elektronische Audiotypen können aber, anders als mechanische Audiotypen, sich
völlig von einer Umwelt- und damit Orientierungssituation lösen. Das passiert häufig
bei elektronisch erzeugter Musik, die orts- und situationsunabhängig rezipiert werden
und in unterschiedlichen Kontexten gleichbleibende Emotionen auslösen kann oder
ein Handyklingelton, der sowohl im Büro als auch in der Badewanne oder beim
Waldspaziergang verstanden wird.
131
Formalistischer Zugang
IV-3 Formalistischer Zugang
Hier soll betrachtet werden, in welcher Wahrnehmungsform (Musik, Sprache, Geräusch) uns ein Audiotyp begegnet. Die unterschiedlichen Wahrnehmungsformen
von akustischen Reizen haben einen großen Einfluss darauf, wie wir diese auffassen, verstehen und decodieren. Dabei nehmen Sprache, Geräusche und Musik zwar
unterschiedliche Positionen ein, sind aber dennoch auch häufig untrennbar miteinander verbunden. Wie in jeder Kommunikationsform sind auch in der akustischen
Kommunikation Missverständnisse und Täuschungen möglich. Die Bestimmung, ob
es sich tatsächlich formal gesehen bei einer bestimmten akustischen Wahrnehmung
um einen Audiotypen handelt, soll durch den hier beschriebenen formalistischen
Zugang erleichtert werden.
IV-3.1 Musikalische Audiotypen
Musik lässt sich sowohl mit natürlichen, mechanischen oder elektronischen Mitteln
erzeugen, doch unterscheidet sich die Wahrnehmungsform musikalischer Reize, wie
bereits ausführlich beschrieben, sehr stark von der Wahrnehmungsform anderer
Geräusche, aufgrund der affektiven Dominanz, die durch Musik geschaffen wird. Es
ist daher kaum verwunderlich, dass vor allem in der Werbung regelmäßig versucht
wird, einen musikalischen Audiotyp zu schaffen. Beim Dreiklang der Mobilkom ist es
beispielsweise gelungen. Häufiger finden sich musikalische Audiotypen in der Filmund Fernsehbrache. Die Erkennungsmelodie von Fernsehserien (Dallas, „Hey, Hey
Wickey“, etc), die Hauptthemen bekannter Filme (Harry Potter, Indiana Jones…)
aber auch die musische Untermalung eindringlicher Film-Szenen (die klassische
Duschszene im Film „Psycho“ oder der Angriff im „weißen Hai“) sind bekannte musikalische Audiotypen. Auch die Erkennungsmelodie von Radiosendern („Hitradioooo
132
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
Ööööööö 3) sollen zumindest innerhalb ihrer Stammhörerschaft die Funktion eines
Audiotyps übernehmen. Das musikalische Audiotyp nutzt seine narrative Qualität um
ein Produkt, eine Firma oder eine szenische Darstellung, mit der es in enger Verbindung steht, affektiv aufzuladen.
Nur selten werden musikalische Audiotypen singulär wahrgenommen, meist erzeugen sie die berühmten „Bilder im Kopf“ und werden direkt mit anderen Objekten,
Subjekten oder Gefühlen in Verbindung gesetzt.
Angst, Spannung, Heldentum – um einen vielschichtigen akustischen Reiz wie ein
Musikstück zu einem leicht erkennbaren Audiotypen zu machen, ist es notwendig, an
die kulturellen Hörerfahrungen der Rezipienten anzuschließen, wie das bereits in
Kapitel III ausführlich beschrieben worden ist. Gelingt es jedoch, einen wirksamen
musikalischen Audiotypen zu kreieren besitzt dieser wahrscheinlich ein weitaus höheres emotionales Potential als beispielsweise mechanische Audiotypen.
IV-3.2 Sprachliche Audiotypen
„Danke, ganz lieb!“ – dieser Satz aus dem österreichischen Film „Indien“ ist für eine
gewisse Zeit zum „Running Gag“ für manche Menschen geworden – er wurde häufig
wiederholt, meist mit dem Versuch den Wiener Dialekt des ursprünglichen Sprechers
(Alfred Dorfer) und die Intonation zu imitieren und hat daher einen regionalen Audiotypen-Status erreicht. Nicht jeder Satz, nicht jedes Zitat und nicht jedes Wort werden
innerhalb eines Sprachkollektivs zum Audiotypen, denn das würde bedeuten, dass
die Sprache an sich als Audiotyp zu betrachten ist (tatsächlich lebt gesprochene
Sprache von Redewendungen und besitzt insofern einen audiotypen Charakter). Ein
sprachliches Audiotyp unterscheidet sich von „normalen“ Sätzen oder Wörtern durch
eine immer gleichbleibende Intonation und meist auch eine enge Verbindung mit
133
Formalistischer Zugang
dem ursprünglichen Kommunikator. Der Satz: „Guten Abend die Madeln, Servas di
Buam“ ist in den 50er Jahren von ORF Moderator Heinz Conrads zum Audiotypen
gemacht worden. Die deutsche Moderatorin Nina Ruge hat den von ihr regelmäßig
verwendeten Schlusssatz: „Alles wird gut“ mittlerweile literarisch und musikalisch
vermarktet – auch dieser Satz funktioniert als sprachlicher Audiotyp. Um ein berühmtes oder bekanntes Zitat von einem sprachlichen Audiotypen zu unterscheiden, ist es
notwendig darauf zu achten, ob wir eine ganz bestimmte Sprachmelodie, vielleicht
sogar eine bestimmte Stimme mit dem fraglichen Satz oder auch Wort verbinden
können. Jeder Österreicher der bei dem Satz „Zug fährt ein“ sofort innerlich Chris
Lohners Stimme hört, hat damit einen sprachlichen Audiotypen identifiziert.
IV-3.3 Geräusch-Audiotypen
Viele Geräusche haben audiotype Funktionen – das Zuschlagen einer Autotür, Straßenlärm, Hupen, das Klackern von Stöckelschuhen, das Klappern eines SkiSesselliftes. Das alles wird von vielen Menschen erkannt, es kann immer wieder
reproduziert werden und wird als in sich geschlossene Einheit wahrgenommen. Zu
den zahlreichen mechanischen Geräuschen fügen sich nun durch die technischen
Fortschritte immer mehr elektronische Geräusche dazu, und gerade diese schier
unendliche Erweiterung unserer Geräuschkulisse limitiert kurioserweise die zu identifizierenden Audiotypen. Studien zeigen, dass jedes Jahr der Schallpegel in nordamerikanischen Städten um ein Dezibel steigt (Truax 2001, S.100). Die unterschiedlichen
Geräusche zu identifizieren wird daher immer schwieriger, auch weil sie sich häufig
ähneln, und unsere Wahrnehmung damit in die Irre führen.
Max Schneider zitiert eine Versuchsanordnung in der zwischen „Amorphus Sound
Sequences“ und „Sound Events“ unterschieden wird:
134
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
„Unter Amorphus Sound Sequences sind Klänge zu verstehen, die die Versuchspersonen keiner eindeutigen Klangquelle zuordnen konnten und als abstrakte Geräusche beschrieben (…). Als Sound Events werden die Klänge bezeichnet, die
von den Versuchspersonen klar einer Tätigkeit oder einem Objekt zugeordnet
werden konnten.“ (Schneider in Spehr 2009, S.178)
Bei den Sound Events wurde bei den Rezipienten kein Unterschied zwischen dem
Klang und dem Ereignis selbst gemacht „vielmehr wurden beide als Einheit wahrgenommen.“ (Schneider in Spehr 2009, S.178). Es kann davon ausgegangen werden,
dass die Bedeutungszuschreibung des Sound Events sich auf Erfahrungen gründet,
diese also bereits mehrmals wiederholt worden sind. Sound Events sind, sofern sie
nur aus Geräuschen und nicht aus musikalischen oder sprachlichen Elementen bestehen, als Geräusch-Audiotypen zu bezeichnen (und ev. auch als mechanische
oder elektronische AT).
Nur Geräusche, die eindeutig und unmittelbar ohne zusätzliche optische, verbale
oder taktile Hilfsmittel von einem Kollektiv identifiziert werden können, sind auch
Geräusch-Audiotypen. Häufig glauben wir es mit einem Geräusch-Audiotyp zu tun zu
haben, dabei handelt es sich um ein falsches Audiotyp, das streng genommen KEIN
Audiotyp ist, aber hier beschrieben werden soll, weil es häufig für ein Audiotyp gehalten wird.
IV-3.4 Falsche Audiotypen
Junge Hörfunkredakteure oder Moderatoren werden sehr rasch mit dem Problem der
falschen Audiotypen konfrontiert – nämlich dann, wenn sie zur Untermalung ihres
Beitragstextes Geräusche verwenden, die vom Hörer einfach nicht zu erkennen sind.
„Da summt irgendetwas komisch im Hintergrund“ kritisiert dann häufig ein erfahrener
Kollege. „Das ist doch…“ heißt es dann meist, (…die Waschmaschine, der Spielwürfel, das Kühlsystem etc). Es gibt viele Geräusche, die wir nur anhand des Klanges
135
Formalistischer Zugang
(wenn wir sie nicht sehen oder spüren können) nicht verstehen. Ein Summen wird
dann von einem Hörer als fliegende Biene, von dem andern als Gelse oder Fliege
und von einem dritten als Kühlschrankgeräusch identifiziert. Das bedeutet: nicht alle
Alltagsgeräusche sind Audiotypen! Und weiter: Was für die eine Gruppe ein Audiotyp
ist, ist für andere einfach nur ein Geräusch. Wie bereits erwähnt, ist eine wichtige
Voraussetzung für ein Audiotyp, dass es eine kollektive unmittelbare Bedeutungszuschreibung erfährt. Nun gibt es zwei Möglichkeiten:
Erstens: Ein „echtes Audiotyp“, das in einer Gruppe funktioniert, wird von anderen
nicht erkannt, ist für diese spezielle Gruppe also KEIN Audiotyp. Es handelt sich
daher um einen regionalen oder individuellen Audiotypen.
Zweitens: Es wird angenommen, dass wir ein Geräusch bereits so oft gehört haben,
dass es ein Audiotyp sein muss. Das heißt, wir glauben den akustischen Reiz zu
kennen, erkennen ihn aber letztlich aus dem Zusammenhang gerissen nicht mehr.
Das sind „falsche Audiotypen“ und damit streng genommen auch KEINE Audiotypen.
Ein Beispiel für ein falsches Audiotyp hat die Autorin im Frühling 2011 in einem österreichischen Radiosender gehört. Ein Moderator hat das Aufheulen eines Motors
immer und immer wieder abgespielt und dabei erzählt, wie großartig es sei, dass sich
„Motorfreaks“ jetzt wieder treffen könnten. Das Geräusch klang durch den Äther
eindeutig wie ein Motorrad. Als der Moderator dann am Ende des Beitrags das GTITreffen am Wörthersee in Kärnten erwähnte, war die Hörerin zuerst verwirrt – das
Motorgeräusch hatte eine andere Assoziation (Motorrad nicht Auto) hervorgerufen:
„Das Potential zu Missinterpretationen bei Klängen ist recht hoch, gerade weil sie
vorübergehende Phänomene sind, die stark von Umgebungsfaktoren beeinflusst
werden. Außerdem spielt es eine Rolle, in welchem <Hörmodus> (…) die Hörerin
sich befindet.“ (Hug in Spehr 2009, S.151)
136
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
Audiotypen werden unmittelbar erkannt, auch wenn keine zusätzliche visuelle oder
haptische Information mitgeliefert wird. „Falsche Audiotypen“ werden hingegen missinterpretiert, sie erfahren vielfältige Deutungsmöglichen und benötigen zu ihrer eindeutigen Identifizierung eine zusätzliche Information – diese Tatsache entzieht ihnen
den Audiotypen-Status.
IV-3.5 Gefälschte Audiotype
Hier handelt es sich im Gegensatz zu falschen Audiotypen, die letztendlich keine
Audiotypen sind, sondern nur für Audiotypen gehalten werden, tatsächlich um audiotype akustische Reize. Allerdings täuschen sie unser Hörvermögen, indem sie vorgeben etwas zu sein, was sie nicht sind. Ein Klassiker unter den gefälschten Audiotypen ist das Zusammenschlagen von Kokosschalen, das wie klappernde Pferdehufe
klingt. Auch ein Stimmenimitator, der eine bekannte Stimme so täuschend echt
nachahmen kann, dass wir den Unterschied zum Original nicht erkennen können,
kann einen gefälschten Audiotypen produzieren. Diese unechten Audiotypen sind
damit die perfekte Nachahmung eines echten Audiotyps, eine Fälschung.
Durch die elektroakustische Entwicklung ist es möglich geworden, dass sich diese
Fälschungen aus unterschiedlichen Ressourcen zusammenfügen und darüber hinaus auch noch eine eigene „Wirklichkeit“ kreieren. Die Fälschung kann dadurch paradoxerweise zum Original werden. Hug und Turax sprechen in diesem Zusammenhang von der „Schisophonie“, hier verbindet sich die „natürliche Klangsphäre“ mit
„elektroakustischen Klängen.“
„So ist es grundsätzlich möglich, die Eigenschaften von Klängen zu abstrahieren
und auf neue Klänge zu transferieren, um so Dinge und Vorgänge mit neuen Bedeutungsebenen >aufzuladen< (…)“ (Hug in Spehr 2009, S.165)
Damit kann das „narrative Potential der Klänge“ voll ausgeschöpft werden.
137
Formalistischer Zugang
„Sehr oft erhalten Objekte durch Klang eine Seele, einen Charakter“ (Hug in
Spehr 2009, S.159)
Als Beispiel beschreibt Hug hier singende Schwerter im Film oder auch die akustische Kommunikation von R2D2 im Blockbuster „Star Wars“. Diese Technik bezeichnet Hugh als „sweetening“ – hier werden unterschiedliche Klänge „übereinandergeschichtet“ – wobei häufig mit archetypischen Klangkonzepten eine vermeintliche
Vertrautheit erzeugt wird (vgl. Hug in Spehr 2009 S.58ff):
„So wurde beispielsweise das übersteuerte Brüllen eines Menschen auf diverse
Flugzeuggeräusche montiert, um das Geräusch des Raumschiffs von Darth Vader
in Star Wars herzustellen, was einerseits ein nervenzerreißendes Geräusch ergibt,
gleichzeitig aber über eine beängstigende <Menschlichkeit> im Klang verfügt.“
(Hug in Spehr 2009, S.160)
Und der Klang kann auch „abwesende Sinneseindrücke der Haptik“ kompensieren.
Hug nennt hier das „knarrende Geräusch“ beim Spannen eines Bogens in einem WiiComputerspiel (Hug in Spehr 2009, S.162)
„Es darf dabei ferner nicht vergessen werden, dass beispielsweise Filmklänge
keineswegs authentische Reproduktionen von natürlichen Vorgängen sind, sondern oft mit anderen Mitteln hergestellt werden, oder dass bestimmte Klänge
durch den medialen Gebrauch stereotypisiert und als Indexe etabliert werden, jenseits von tatsächlichen akustischen Zusammenhängen.“ (Hug in Spehr 2009
S.153)
Da ich nur fälschen kann, was gut bekannt oder gut etabliert worden ist, dominiert bei
den gefälschten Audiotypen, die Bedeutungszuschreibung. Die gefälschten Audiotypen werden also mit dem erreichten Effekt gleich gesetzt (bspw. singende Schwerter
oder Raumschiff) und nicht mit den dazu verwendeten Mitteln (bspw. Fluglärm,
menschliche Stimmen). Das bedeutet auch, der Audiotyp „Hufeklappern“ bleibt bestehen, ob es sich nun um echte Pferdehufe oder Kokosnüsse handelt – wenn es
allerdings Kokosnüsse sind handelt es sich um einen „gefälschten Audiotyp“ wobei
echte Pferdehufe ein „natürlicher Audiotyp“ sind und es sich in beiden Fällen um
einen „mechanischen Audiotypen“ handelt.
138
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
IV-4 Induzierender Zugang
Der Zusammenhang zwischen akustischen Reizen und körperlicher Aktivierung
durch das retikuläre System wurde bereits mehrmals erwähnt. Manche Klänge fordern uns auf, unverzüglich zu handeln, andere wiederum versetzen uns spontan in
eine bestimmte Stimmung. In der hier beschriebenen Kategorisierung soll berücksichtigt werden, welche Reaktionen ein Audiotyp in uns auslöst, was er induziert.
Eine Beschreibung dieser Audiotypen kann auch in Anlehnung an Russels „circumplex model of affect“ (siehe Abb.5) stattfinden, das auch Kai Bronner verwendet hat,
um den Effekt von Funktionsklängen zu beschreiben (Bronner in Spehr 2009, S.268).
Abb.5
139
Induzierender Zugang
IV-4.1 Handlungsinduzierende Audiotypen
Handlungsinduzierende Audiotypen sind Geräusche die den Rezipienten zu einer
Handlung aktivieren (SMS Nachrichten, Telefonklingeln, Rettungshorn hinter Autofahrern, Feuerwehrsirenen in einem Feuerwehrhaus).
Manche dieser Audiotypen können bewusst ignoriert werden (Telefonklingeln), auf
manche muss man nicht sofort reagieren, auf andere wiederum unverzüglich. Fricke
unterscheidet hier zwischen Alarm und Warnung:
„Als Alarm kann ganz grundlegend jede Art von <Sound> bezeichnet werden, der
die Funktion hat Aufmerksamkeit einer Person auf sich zu ziehen. Historisch gesehen bedeutet Alarm, dass ein Angreifer zugegen ist und entweder Kampf oder
Flucht als Reaktion darauf zu folgen hat.(…) Erst mit dem Einzug der industriellen
Revolution sind komplexere Probleme aufgetreten, die es erforderlich machten
den Begriff Warnung einzuführen.(…) Im Unterschied zum Alarm enthält eine
Warnung noch zusätzliche Information über die Gefahrensituation und möglicherweise noch Hinweise zur Verhinderung bzw. zu adäquaten Handlungen.“ (Fricke
in Spehr 2009, S.48)
Im Auto bspw. gibt es akustische „Zustandsinformationen“ die keine Reaktion erforderlich machen, „Hinweise“ (der Tank ist leer), die „mittelfristig Beachtung finden“
müssen und „Warnungen“ – sie
„erfordern sofortige Handlung“ (Fricke in Spehr
2009, S.49). Eine Warnung sollte laut Fricke:
„…kurz sein,
…ein hohes Signal-zu Hintergrundgeräuschen Verhältnis haben,
…nicht zu laut sein, damit sie nicht nervt,
…klar und unterscheidbar von anderen Geräuschen sein,
…eine niedrige Falscher-Alarm-Rate haben,
…Anpassung in der Entdeckungssensibilität zulassen.“ (ebd. 2009, S.53)
Während eine Warnung oder ein Alarm eine rasche Handlung fordert, gibt es auch
akustische Reize, die versuchen uns zum Handeln zu verführen, obwohl keine Not-
140
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
wendigkeit dafür besteht. Werbe- und Kaufhausmusik versuchen auf diese Weise,
handlungsinduzierend zu sein. Sie sollen zuerst eine Emotion beim Rezipienten
hervorrufen, der dann eine Handlung folgt (Kauf des Produkts). Ihre Wirkung konnte,
wie bereits erwähnt, bisher nicht valide nachgewiesen werden, und meist handelt es
sich bei diesen musikalischen Manipulationsversuchen um keine Audiotypen, weil sie
nicht kollektiv erkannt werden. Als Ausnahme könnten prominente Werbejingles
angeführt werden – diese sind sicherlich zur Gruppe der musikalischen Audiotypen
zu zählen, ob sie tatsächlich auch als handlungsinduzierende Audiotypen wirken
können, müsste im Einzelfall untersucht, soll aber nicht ausgeschlossen werden.
Auch Sounddesigns von Computerspielen können unter Umständen die Spieler zum
Handeln auffordern. Bei dem Spielklassiker Pacman beispielsweise, verändert sich
der Ton nachdem man einen dicken Punkt „gefressen“ hat. Diese Soundveränderung
signalisiert, dass ich nun beginnen kann die „Jäger“ zu fressen. Der „neue“ Ton fordert die Spieler also auf, eine neue Handlung im Spiel zu setzten oder zumindest
eine Entscheidung zu treffen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die spezifischen Soundveränderungen unterschiedlicher Computerspiele von einem Spielerkollektiv eindeutig und unmittelbar verstanden werden – damit werden diese Sounddesigns zu musikalischen Audiotypen, unter Umständen aber auch zu handlungsinduzierenden und emotionsinduzierenden Audiotypen.24
24
Wobei mit der technischen Entwicklung sich auch die Diversität der Sounddesigns derart
weiterentwickelt hat, dass manche Klangwelten so unterschiedlich und komplex
geworden sind, dass sie einem Spiel, geschweige denn einer bestimmten Handlung
nicht mehr eindeutig zugeschrieben werden können. Damit verlieren sie wieder ihren
Status als Audiotyp.
141
Induzierender Zugang
IV-4.2 Emotionsinduzierende Audiotypen
Bei emotionsinduzierenden Audiotypen handelt es sich meist um musikalische Reize
– bekannte Filmmusik oder ein Titel der mit einer bestimmten Erinnerung in Verbindung gebracht wird (ev. individuelle Audiotype), aber auch akustische Reize die
Angst machen (Sirenen, Gewehrschüsse etc.). Wenn akustischen Reize eine Emotion in uns auslösen, aber keiner kollektiven Erfahrung zuordenbar sind (neue Musikstücke), sind es (noch) keine Audiotype. Bei manchen affektauslösenden Reizen
handelt es sich auch um falsche Audiotype, weil ihnen eine „falsche“ Bedeutung
zugeschrieben wird (bspw. ein Krachen, welches fälschlicherweise als Schuss identifiziert wird).
Emotionsinduzierende Audiotype können sehr vielschichtig und vieldeutig sein und
dennoch kollektiv erkannt werden. Kirchenglocken, Gesang, Musik, unter Umständen
auch der spezifische Soundscape einer Umgebung (die Atmosphäre in einem gefüllten Fußballstadion) können innerhalb einer Gruppe unmittelbare Gefühle auslösen.
„Schon im materialen Klang ist die einzelne Dresdner Glocke mehrfach zugleich
Ton, Geräusch, Musik und Stimme der Macht; sich ausdehnendes Klangzeichen
und gegenläufig soziopetale Funktion; Hörtradition in Stadtkultur und ländlichem
Raum. Diese Mehrdeutigkeit strahlt in andere Welten aus und bleibt doch Teil einer eindeutigen Soundscape“ (Werner, in Spehr 2009, S.14)
Werner zeigt in diesem Zusammenhang auch die soziale Funktion emotionaler Audiotype auf. Dadurch, dass sie ähnliche Gefühle in Rezipienten hervorrufen ermöglichen sie ein kollektives Gruppenerlebnis, das unter Umständen auch die sozialen
Bindungen festigen kann.
Allerdings können emotionsinduzierende Audiotypen auch singulär erlebt werden,
beispielsweise in der virtuellen Welt. Dass Töne von Computerspielen sowohl emotions- als auch handlungsinduzierend sein können, ist bereits oben erwähnt worden.
142
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
Hug weist in diesem Zusammenhang auf die sogenannten >Power Ups< hin, die ein
Spieler durch erfolgreiches Handeln erreichen kann, und die…
„…zusätzlich zu reinen Feedbackfunktion – eine emotionale Komponente verleihen und handlungsbeeinflussend sind, indem sie zum weiteren Einsammeln animieren.“ (Hug in Spehr 2009, S.161)
Dieser Klang ist laut Hug auch ein Zeichen meines Wirkens in der Welt – daher auch
„der Effekt, den ich Machtdifferential nenne: Wenn ich als Spieler durch eine kleine Bewegung einen lauten mächtigen Klang auslöse, gibt mir das ein Gefühl von
Macht und Einfluss, einen schwachen und filigranen Klang hingegen empfinde ich
als Zeichen der Schwäche und Machtlosigkeit.“ (Hug in Spehr 2009, S.162)
Für Sounddesigner ist es daher wichtig, einen Sound zu kreieren, der die gewünschte Emotion erzeugt – wenn dieser durch ständige Wiederholung einem Spielerkollektiv vertraut ist, wird er zum Audiotypen.
In der Werbung wird häufig versucht emotionsinduzierende Audiotypen zu schaffen,
meist durch eine Kombination aus Musik und Text (bspw. „die zarteste Versuchung
seit es Schokolade gibt“). Aber auch regionale Dialekte werden eingesetzt, um Sympathien zu gewinnen (bspw.: „Riccola Schweizer Kräuter Zuckli“ oder „Knack dir
einen Gipfel ab“). Dabei spielt es unter Umständen keine Rolle, wenn die Emotionen,
die durch den Audiotypen hervorgerufen werden, nicht unbedingt positiv sind (bspw.:
„Humanic-Franz“). Es geht häufig lediglich darum, überhaupt eine affektive Reaktion
hervorzurufen.
IV-4.3 Unauffällige Audiotypen
Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen beiden Audiotypengruppen rufen die
unauffälligen Audiotypen meist keine bewusste Reaktion beim Rezipienten hervor,
sie werden jedoch unbewusst von einem Kollektiv wahrgenommen und identifiziert.
Meist handelt es sich bei unauffälligen Audiotypen um Umgebungsgeräusche. In der
143
Induzierender Zugang
journalistischen Fachsprache werden diese auch als „Atmo“ bezeichnet, da diese
Geräusche die Atmosphäre/Umgebung einer Kommunikationssituation für Rezipienten auch ohne visuellen Reiz wahrnehmbar machen. Behauptet ein Reporter beispielsweise er befindet sich auf einem Pferd und reitet gerade die Straße entlang,
und wir hören kein Klappern der Hufe am Asphalt, dann entsteht meist eine akustische Verunsicherung, und die Glaubwürdigkeit des Reporters wird wohl von einigen
Rezipienten hinterfragt. In der visuellen journalistischen Arbeit wird häufig von einer
„Text-Bild Schere“ gesprochen, die entsteht, wenn Text und Bild nicht zusammenpassen (wenn beispielsweise von Menschenmassen auf einem Hauptplatz gesprochen wird, und im Hintergrund tummeln sich nur wenige Passanten auf dem besagten Ort oder es wird überhaupt ein ganz anders Bild gezeigt). Auch akustisch kann
es zu einer „Text-Atmo Schere“ kommen, wenn die Umgebungsgeräusche dem Text
widersprechen, wie im oben angeführten Beispiel. Um das zu verhindern, arbeiten
Radiojournalisten meist bewusst mit dem Einsatz unauffälliger Audiotypen. Straßenlärm, Zuggeräusche, Vogelgezwitscher – diese akustischen Reize sind häufig so
unauffällig, wir haben uns so an sie gewöhnt, dass wir sie in manchen Kontexten
nicht mehr bewusst wahrnehmen, sondern als gegeben hinnehmen. Wenn sie allerdings plötzlich nicht da sind, in einem Kontext indem wir sie erwarten würden, dann
fällt uns auf, dass etwas nicht stimmt (nicht immer können wir benennen, was es ist,
uns fällt also nicht auf, dass uns bestimmte Geräusche fehlen). Das kann uns Unbehagen bereiten, ebenso wie die Tatsache, wenn unauffällige Audiotype zu laut werden, und wir sie als Lärm empfinden – dann können sie emotionsinduzierend werden. Nicht jeder Soundscape und nicht alle Umgebungsgeräusche werden automatisch zu einem unauffälligen Audiotyp, die Voraussetzung dafür ist, dass die Geräusche von einem Kollektiv unmittelbar identifiziert und erkannt werden, in dem Mo-
144
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
ment, in dem sich die Personen dieses Kollektivs bewusst mit dem akustischen Reiz
auseinandersetzen.
IV-5 Geographischer Zugang
„Jede Stadt klingt wie ein Orchester und spielt ihre Improvisation aus Geräuschen,
Musiken und Menschenklängen. (…) Soundmarks sind typische Einzelklänge am
besonderen Ort, Signale tragen kulturelle Codes und Botschaften.“ (Werner, in
Spehr 2009, S.22)
Jede Region auf dieser Erde scheint ihre eigenen Geräusche zu kennen, besondere
Beachtung in der Klangforschung haben die divergierenden Soundscapes von Großstädten gefunden…
(…) vom Futuristen Russolo als Atem der Stadt bezeichnet, ist es ein akustischer
Fingerabdruck. Fährt man in Lissabon mit den Elevadores zu Aussichtspunkten
(…) ergibt sich dort ein orchestraler Verschmelzungsklang. Panorama wird zu Panakroama, dem hörend Wahrgenommenen (so der Klanggeograph Justin Winkler).“ (Werner, in Spehr 2009, S.22)
Auch wenn jede Großstadt ihr eigenes „Panakroama“ hat, erscheinen die unterschiedlichen Klangquellen außerhalb der Großstädte vielfältiger und unterscheidbarer. Die Geräusche im afrikanischen Dschungel bieten deutlich andere Erfahrungswelten als am Ostseestrand, ein Ausflug in die Wüste wird von anderen Klängen
begleitet als eine Bergwanderung, während in vielen Städten (auch wenn sie sich
sicherlich in ihrer akustischen Identität unterscheiden) einige Geräusche ähnlich,
wenn nicht sogar ident zu finden sind. Das zeigt, dass die globalisierte Welt auch
einen Einfluss auf die akustische Wahrnehmungswelt nimmt. Truax weist in seinen
Arbeiten vermehrt kritisch darauf hin, dass hier eine Simplifizierung und Verarmung
unserer Hörwelt stattfindet (vgl. Truax 2001, S.19ff). Solange die Artenvielfalt in Fauna und Flora erhalten bleibt, bleibt auch die akustische Vielfalt erhalten, und auch die
regionalen Mentalitätsunterschiede der Menschen und ihre Innovationskraft sorgen
145
Geographischer Zugang
für reichhaltige Variationen akustischer Reize. Sounddesign, Komposition in verschiedenen Musikskalen und neue technische Entwicklungen sorgen für abwechslungsreiche akustische Erfahrungen, die (zurzeit noch) regional stark divergieren
können.
IV-5.1 Globale Audiotypen
Globale Audiotype können als der kleinste gemeinsame Nenner der akustischen
Welt verstanden werden. Sie sollten weltweit von Menschen gleich wahrgenommen
und decodiert werden. Meist handelt es sich um simple Geräusche, die in engem
Zusammenhang mit Überlebenstechniken stehen, bspw. der Schrei eines Babys,
Husten, Wind- und Wettergeräusche etc. Diese globalen Audiotypen rufen häufig
starke Emotionen in uns hervor und verlangen gegebenenfalls auch Handlungen. Sie
unmittelbar zu decodieren, dürfte eine unserer ältesten Fähigkeiten sein, die unser
Überleben gesichert hat.
Im Laufe der Globalisierung sind jedoch auch weniger essentiell wichtige Geräusche
entstanden, die meist weltweit funktionieren. So gibt es wohl nur noch vereinzelt
Buschvölker, die ein Flugzeuggeräusch oder ein Autohupen nicht zuordnen können.
Globale Audiotypen sind meist akustische Reize des alltäglichen Lebens, doch auch
marktwirtschaftliche Interessen beeinflussen diesen Audiotyp zunehmend. Weltweite
Konzerne versuchen natürlich in ihrer Werbung, auch weltweite Erkennungsmerkmale zu schaffen, visuell und akustisch. Und auch Musiker streben nach einem „Welterfolg“. Der Beweis, ob es Coca Cola oder Michael Jackson bereits gelungen ist, valide
globale Audiotypen zu kreieren steht noch aus – fest steht, dass einige ihrer akustischen Angebote bereits in vielen Regionen als Audiotypen identifiziert werden.
146
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
IV-5.2 Regionale Audiotypen
Im Gegensatz zu globalen Audiotypen kann das Wirkungsfeld regionaler Audiotype
mehr oder weniger stark eingeschränkt sein. Unter Umständen werden sie vielleicht
sogar nur in einem kleinen geographischen Umfeld verstanden. Sogenannte „Insiderjokes“ können häufig als regionale Audiotypen bezeichnet werden. Eine kleine Gruppe von Menschen assoziiert mit einer bestimmten Abfolge von Tönen oder Worten
ein gemeinsames (meist erheiterndes) Erlebnis – diese Töne oder Worte lösen eine
kollektive Emotion innerhalb dieser Gruppe aus, währen ein anderes Kollektiv darin
keinen Sinn erkennen kann.
Regionale Audiotypen können aber auch deutlich größere Gruppen ansprechen. So
ist beispielsweise eine Staatshymne ein regionaler Audiotyp, der innerhalb eines
Landes aber auch über die Grenzen hinaus, erkannt werden kann. Jingles von Regionalradiosendern können innerhalb ihrer Hörerschaft als regionale Audiotypen
fungieren, während sie außerhalb der Senderreichweite lediglich als einer von vielen
Werbejingles, jedoch nicht als Audiotyp wahrgenommen werden.
Ein Großteil der Audiotype wird nur von einer begrenzten Menschengruppe identisch
decodiert und gehört damit in die Gruppe der regionalen Audiotypen. Häufig verfügen
diese regionalen akustischen Reize über eine identitätsstiftende Qualität, deren soziale Funktion nicht zu unterschätzen ist.
IV-5.3 Individuelle Audiotypen
Damit ein akustischer Reiz zu einem Audiotyp wird, muss er eine kollektive Bedeutungszuschreibung erfahren. Das würde grundsätzlich gegen die Existenz individueller Audiotypen sprechen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es akustische Reize
gibt, die in einem Individuum spezielle, meist emotionale, Reaktionen hervorrufen,
147
Geographischer Zugang
die vorerst höchst persönlich und einzigartig erscheinen, letztendlich aber doch auch
von anderen Individuen unvermutet geteilt werden. In diesem Fall ist von individuellen Audiotypen zu sprechen. Ein Musikstück kann beispielsweise mit einer höchstpersönlichen Erinnerung behaftet sein (erster Kuss), und irgendwo auf der Welt gibt
es einen weiteren Menschen, der auch bei diesem Musikstück das erste Mal geküsst
worden ist, und daher dieselben Assoziationen mit dieser Musik verbindet. Ein
Merkmal des individuellen Audiotypen ist, dass das Kollektiv als solches nicht erkennbar ist, und daher ist die Existenz dieses Audiotyps auch schwer zu beweisen.
In manchen Fällen werden individuelle Audiotypen in Selbsthilfegruppen aufgedeckt
– wenn erkannt wird, dass bestimmte Geräusche durch Traumatisierungen individuell
besetzt sind und anders als üblich wahrgenommen werden (bspw. das leise Schließen einer Tür, das mit einem darauffolgenden Missbrauch assoziiert wird) .
Der Gang eines Partners, Freundes oder Bekannten kann von einem Individuum
erkannt werden, welches seine Fähigkeit für einzigartig hält, wenn es jedoch mehrere
Menschen gibt, die diesen Gang erkennen, so mutieren die Schrittgeräusche zu
einem audiotypen Reiz.
Unter Umständen besteht eine starke Bindung zwischen der einzelnen Person und
dem akustischen Reiz, sodass eine Teilung dieser Assoziation in einem Kollektiv
auch als schmerzlich empfunden werden kann – sozusagen als Identitätsverlust, weil
eine einzigartige individuelle Wahrnehmung im Kollektiv verloren geht.
148
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
IV-6 Zeitdimensionaler Zugang
Jede Zeit hat ihre Audiotypen. Der Soundscape eines Steinzeitmenschen kann nicht
mit der Geräuschkulisse verglichen werden, die Menschen im Mittelalter erlebt haben, und natürlich hat die industrielle Revolution und der Eintritt ins digitale Zeitalter
ihre spezifischen Töne mit sich gebracht. Nicht nur historisch gesehen verändert sich
unsere akustische Umgebung, auch jede Lebensphase ist mit anderen Geräuschen
verbunden. Während ein Säugling im Mutterleib den Herzschlag der Mutter vermutlich intensiver wahrnimmt als nach der Geburt, gibt es Untersuchungen, die belegen,
dass bestimmte Geräusche in der Jugend gehört werden können, deren Frequenz
für ältere Personen nicht mehr wahrnehmbar ist (siehe Kapitel III-1.4).
IV-6.1 Vergangene Audiotypen
Diese Audiotypen sind äußerst schwer zu identifizieren – vor allem dann, wenn das
menschliche Kollektiv, das den akustischen Reiz als Audiotyp erkannt hätte, bereits
ausgestorben ist, oder biologisch nicht mehr in der Lage ist, ihn zu identifizieren. Es
kann angenommen werden, dass ein altes Nebelhorn der Wikinger oder das Geräusch einer Dampflok im Wilden Westen eine audiotype Funktion übernommen
haben – allerdings können natürlich keine validen Aussagen über die Vergangenheit
getroffen werden. Es gibt jedoch auch vergangene Audiotypen, die mittlerweile neu
interpretiert worden sind. So wurde das Signal von Sirenen während des zweiten
Weltkriegs hauptsächlich als Bombenwarnung aufgefasst und kann auch heute noch
innerhalb einer älteren Generation unangenehme Erinnerungen wach rufen, während
jüngere Menschen keineswegs eine mulmiges Gefühl haben, wenn sie eine Sirene
hören. Vergangene Audiotypen haben ihre hauptsächliche Bedeutungszuschreibung
149
Zeitdimensionaler Zugang
in der Vergangenheit erhalten und spielen in der Gegenwart daher keine große Rolle
mehr – verlieren in der Gegenwart womöglich sogar ihren Audiotypen-Status.
IV-6.2 Gegenwärtige Audiotypen
Gegenwärtige Audiotypen sind die akustischen Zeichen unserer Zeit und nehmen
unmittelbaren Einfluss auf unser Leben. Vor allem globale Audiotype, aber auch die
Audiotypen unserer Region zu kennen, zu dechiffrieren und auch kritisch zu betrachten, sollte eine Schlüsselkompetenz im Medienzeitalter sein. Realistisch betrachtet
werden gegenwärtige Audiotype jedoch nur selten auf der Metaebene analysiert,
obwohl sie unser Leben ständig begleiten und zum Teil bereits kanonisiert worden
sind. Sie sind Teil unserer akustischen Umgebung, unseres Entertainment, unserer
Arbeit und begleiten uns auch im Privatleben. Sie setzten sich u.a. zusammen aus
Werbejingles, Filmmusik, Slogans, Produkt- und Funktionsklängen, Umweltgeräuschen und akustischen Reizen die wir selbst oder unsere Mitmenschen produzieren.
Eine wichtige Komponente gegenwärtiger Audiotype ist, dass sie eines Tage zu
vergangenen Audiotypen werden – das bedeutet sie sind vergänglich. Innerhalb
ihres Kollektivs sind sie nicht von zeitlosem Wert. Wenn sich beispielsweise der
Straßenlärm verändert, weil künftig nur noch leise Elektro-Autos unterwegs sind, so
wird den lauten Asphaltgeräuschen wohl niemand nachweinen. Auch ein veränderter
Radiojingle wird meist hingenommen, ebenso wie die Veränderung eines Funktionsklanges im Auto. Gegenwärtige Audiotypen „dürfen“ also verändert werden, und vor
allem „können“ sie auch verändert werden – im Gegensatz zu permanenten Audiotypen.
150
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
IV-6.3 Permanente Audiotypen
Der Klang eines Donners, raschelnde Blätter, Händeklatschen, Schweinegrunzen –
all diese Geräusche sind nicht zu verändern und erfüllen damit die Voraussetzung
permanente Audiotypen zu werden. Permanente Audiotypen sind in gewisser Weise
zeitlos, und das macht auch ihre Definition problematisch. Denn wenn die Schweinepest theoretisch alle Tiere dieser Gattung dahinraffen würde, so würde das Schweinegrunzen zu den vergangenen Audiotypen zählen und aus dieser Kategorie fallen.
„(..) sowohl der durch das Auge als auch der durch den Tastsinn erfahrene Raum
sind inhomogen, die Wahrnehmung eines unendlichen Raums ist schlichtweg unmöglich.“ (Marquardt 2005, S.47)
Insofern wäre natürlich auch die Wahrnehmung permanenter akustischer Reize
unmöglich, weil das Wort Permanenz eine Unendlichkeit unterstellt.
Nachdem Audiotypen aber untrennbar mit einem menschlichen Kollektiv, das ihnen
eine Bedeutungszuschreibung geben muss, verbunden sind, muss davon ausgegangen werden, dass akustische Reize, die die Menschheit bereits über einen längeren
Zeitraum begleiten, nicht willentlich veränderbar sind und daher auch in absehbarer
Zukunft in ihrer ursprünglichen Form vorhanden sein werden, die Qualitätskriterien
für permanente Audiotypen erfüllen. Permanente Audiotype entsprechen einem
kanonischen Prinzip und wirken daher in einer sich stetig verändernden, modernen
Welt häufig als stabilisierender Ruhepol.
IV-7 Prägnanzdominierender Zugang
Wie bereits erwähnt haben eindimensional prägnante Reize einen großen Stellenwert innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur. Die Abgeschlossenheit und
leichte Erkennbarkeit von Audiotypen legt die Annahme nahe, dass es sich aus-
151
Prägnanzdominierender Zugang
schließlich um eindimensional-prägnante Reize handeln könnte – doch das menschliche Hörvermögen darf nicht unterschätzt werden. Wie bereits in Kapitel III-3 beschrieben sind vor allem die musischen Wahrnehmungsfähigkeiten des Menschen
beeindruckend vielschichtig. Mehrere Töne unterschiedlicher Instrumente eines
Orchesters können innerhalb kürzester Zeit als Gesamtheit erkannt werden – auch
wenn die mehrdimensionale Prägnanz dieser Reize nicht detailliert beschrieben
werden kann, so ist es doch möglich, dass ihre Botschaft als solche erfasst wird. Die
Simplifizierung, die durch die kategorisierende und ordnende Wirkung eines Audiotyps stattfindet, kann in diesem Zusammenhang wie das „Zippen“ einer großen
Computerdatei betrachtet werden. Die Informationen werden zunächst künstlich
verkleinert, können aber bei Bedarf wieder in ihrer Gesamtheit ausgebreitet werden.
IV-7.1 Audiotypen mit eindimensionaler Prägnanz
Die rasche Erkennbarkeit liegt in der Natur der Audiotypen, damit ist ein Großteil von
ihnen auch tatsächlich eindimensional prägnant – sie binden unsere Aufmerksamkeit
nicht für lange Zeit. Ein Schrei, ein Donnerkrachen, ein Pups, ein Signalhorn, ein
Hupen, ein Piepsen im Laptop, dessen Akkuleistung zur Neige geht, aber auch viele
sprachliche Audiotype, die sich meist nur aus wenigen Worten zusammensetzten,
sind eindimensional prägnant. Als entscheidendes Definitionsmerkmal eindimensional prägnanter Audiotype gilt ihr begrenzter Zeithorizont. Der akustische Reiz ist
meist nach wenigen Sekunden beendet, kann sich danach aber wiederholen.
IV-7.2 Audiotypen mit mehrdimensionaler Prägnanz
Mozarts „Kleine Nachtmusik“ oder „Die Moldau“ von Bedrich Smetana besitzen eindeutig eine mehrdimensionale Prägnanz. Diese Musikstücke werden von Klassikliebhabern nach wenigen Takten erkannt und somit erfüllt zumindest ihr „Hauptthe-
152
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
ma“ audiotype Kriterien. Mehrdimensional prägnante Audiotypen werden trotz ihrer
Komplexität unmittelbar dechiffriert und können unsere Aufmerksamkeit über einen
längeren Zeitraum binden, sind somit also als wertvolles Gut innerhalb einer um
Aufmerksamkeit buhlenden Medienwelt zu betrachten. Allerdings haben die Entwicklungen der modernen Welt, mit ihrer Informationsflut, dazu geführt, dass wir mehrdimensional prägnante Reize häufig nur eindimensional prägnant wahrnehmen – und
zwar indem wir uns nur flüchtig damit auseinandersetzten und daher nur eine Essenz
der Information, die sie zu liefern vermögen, bewusst erkennen. Das zeigt letztendlich aber auch die komplexitätsreduzierende Leistung von Audiotypen.
Bullerjahn beschreibt, dass Filmmusik „stereotype und fixierte Erwartungen“ auslösen kann, indem „prototypische“ Filmmusik, beispielsweise für einen Krimi oder einen
Heimatfilm, eingesetzt werden (Bullerjahn in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.212).
Das zeigt, wie ein mehrdimensional prägnanter Reiz wie ein Musikstück, indem es
stereotype Erwartungen erfüllt, nur noch marginal (eindimensional-prägnant) wahrgenommen wird. Es scheint jedoch entscheidend, dass wir in der Lage sind, diese
Betrachtungsweise bewusst zu verändern, dass wir beschließen können, uns differenzierter damit auseinanderzusetzen, und bei Bedarf beispielsweise eine Filmmusik
durchaus analytisch untersuchen können. Letztendlich zeigt dies die Kraft und Qualität von Audiotypen: Sie bieten uns rasche Orientierungsmöglichkeit, wir müssen uns
nicht lang mit ihnen auseinandersetzten um sie zu decodieren, und doch bieten uns
viele Audiotypen mehr an, wenn wir ihnen ein „bewusstes Ohr leihen“ möchten.
Wie bereits in Kapitel II-2.2. erwähnt ist es uns unmöglich, die Welt ununterbrochen
zu hinterfragen und mit Tiefgang zu betrachten, daher haben wir Strategien zur
Komplexitätsreduzierung entwickelt. Vor allem die mehrdimensional prägnanten
153
Entwicklung eines Gesamtmodells
Audiotypen zeigen, wie effektiv diese Form der Simplifizierung im akustischen Bereich angewendet werden kann. Ein komplexes Musikstück kann rasch erkannt und
eingeteilt werden. Wir müssen uns nicht lange damit beschäftigen um zu verstehen:
es geht hier um eine Liebesszene im Heimatfilm, oder jetzt wird im Krimi gleich etwas
passieren, oder jetzt wird im Radio ein Supermarkt beworben. Bekannte akustische
Muster fungieren für uns als akustische Wegweiser, die unsere Aufmerksamkeit nicht
lange binden. Damit hat das Audiotyp als komplexitätsreduzierendes Werkzeug
seine Schuldigkeit getan.
IV-8 Entwicklung eines Gesamtmodells
Nun soll versucht werden, ein brauchbares Gesamtmodell der Audiotypen zu entwerfen, das als Grundlage für weitere Forschungen dienen soll, und letztendlich in einem
weiteren Schritt (der diese Arbeit sprengen würde) auch empirisch überprüft werden
muss. Dieses Modell ist als Hypothese zu verstehen – der Versuch der Entwicklung
eines akustischen Gesamtmodells, das natürlich weder einen Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Validität erheben kann.
Im vorliegenden Modell wird davon ausgegangen, dass es zwei elementare Reaktionen auf akustische Reize gibt:
Verständnis: Der akustische Reiz wird hinsichtlich seiner Herkunft und Bedeutung
identifiziert.
Aktivierung: Der akustische Reiz löst eine Reaktion im Rezipienten aus, der einerseits eine Handlung folgen kann, die sich aber auch rein emotional darstellen kann
oder der Reiz ist so unauffällig, dass er ignoriert wird.
154
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
Diese beiden Reaktionen werden auf einem Diagramm dargestellt, und es wird versucht, die unterschiedlichen Audiotypen entsprechend einzuteilen, wobei der „bestmögliche“ Wert, den ein Audiotyp erreichen kann, angenommen wird und innerhalb
dieses Feldes auch niedrigere Bewertungen möglich sind. Die hier vorgenommenen
Einteilungen sind logisch argumentierbar und gelten als erste Annahme, ihre Gültigkeit muss, wie bereits erwähnt, noch überprüft werden.
Da in dieser Arbeit mehrmals kritisiert worden ist, dass das Wort als Bildungswerkzeug eine künstliche Einengung darstellt, und andere Erkenntniszugänge behindert,
soll zusätzlich zu der visuellen Darstellung des Audiotypenmodells auch eine akustische miteinbezogen werden. Daher entsprechen die Messwerte des Diagramms auf
der Verständnisachse der, bei uns üblichen, 12-Ton Skala und die Messwerte der
Aktivierungsachse einer wachsenden Lautstärke von Pianissimo bis Fortissimo.
Durch diese „Parameter-Mapping-Sonifikation“ könnten sowohl einzelnen Audiotypen, aber auch das Gesamtmodell, akustisch abgebildet werden.
155
Entwicklung eines Gesamtmodells
IV-8.1 Modell 1 Materialistischer Zugang
Abb.6
Sowohl natürliche, mechanische und elektronische Audiotypen können uns unter
Umständen zum sofortigen Handeln animieren (Löwengebrüll, Wetterumschwung,
Signalhorn, elektronische Warnungen etc.), das erklärt ihren Maximal-Wert (12) auf
der Aktivierungsachse. Im Gegensatz zu natürlichen Audiotypen, die in den meisten
Fällten leicht verstanden werden (daher maximal 12 Punkte auf der Verständnisachse), besteht bei mechanischen (max. 10 Punkte) und elektronischen Audiotypen
(max. 9 Punkte) ein größeres Potential an Fehlinterpretation. Mit der Komplexität der
akustischen Erzeugung sinkt offenbar auch der Verständniswert. Das bedeutet natürlich nicht, dass elektronische und mechanische Audiotypen nicht auch rasch und
problemlos verstanden werden können – lediglich die Chance, dass sie missinterpre-
156
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
tiert werden, steigt. Damit wird auch das Kollektiv der Gruppe, die diese Audiotypen
klar erkennen, verkleinert.
IV-8.2 Modell 2 Formalistischer Zugang
Abb.7
Innerhalb eines Sprachkollektivs werden sprachliche Audiotypen sicherlich gut verstanden, wenn auch nicht immer eindeutig (daher max.10 Punkte auf der Verständnisachse). Nur in wenigen Fällen fordern sie den Rezipienten zum Handeln auf –
daher ein relativ geringer Wert auf der Aktivierungsachse (4 Punkte). Es muss davon
ausgegangen werden, dass musikalische Audiotypen in unserer sprachdominierten
Welt etwas schlechter verstanden werden als sprachliche Audiotypen (daher 9 Punkte auf der Verständnisachse für musikalische AT), nur selten induzieren sie eine
Handlung, jedoch aktivieren sie praktisch immer eine Emotion, daher der hohe Wert
157
Entwicklung eines Gesamtmodells
auf der Aktivierungsachse (12 Punkte). Geräusch-Audiotypen können uns unmittelbar aktivieren, vor allem wenn sie als Alarm oder Warnung erscheinen oder unsere
Neugierde wecken (daher ebenfall 12 Punkte auf der Aktivierungsachse) – das Potential sie nicht zu verstehen, ist hingegen sehr hoch (nur 4 Punkt auf der Verständnisachse). Falsche Audiotypen werden praktisch immer missverstanden, daher befinden sie sich auf dem 0 Punkt auf beiden Achsen der Skala. Gefälschte Audiotypen
können hingegen auch natürliche Audiotypen täuschend echt imitieren und übernehmen daher ihren hohen Wert auf beiden Achsen.
IV-8.3 Modell 3 Induzierender Zugang
Abb.8
Um handeln zu können, muss ich die Information verstehen (Maximalwert für handlungsinduzierende Audiotypen auf beiden Achsen), um zu fühlen, nicht unbedingt,
158
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
daher der etwas geringere Wert bei den emotionsinduzierenden Audiotypen (max. 11
Punkte auf der Verständnisachse). Unauffällige Audiotypen haben einen relativ geringen Wirkungsgrad, sie fordern nicht zum Handeln auf, lösen aber unter Umständen emotionales Unbehagen aus (daher 3 Punkte auf der Aktivierungsachse), jedoch
werden sie meist gut verstanden – wenn auch nur unbewusst (daher der Mittelwert
von 6 Punkten auf der Verständnisachse).
IV-8.4 Modell 4 Geographischer Zugang
Abb.9
All diese Audiotypen können je nach ihrer Zusammensetzung zu maximalen Aktivierungszuständen (emotional- oder handlungsinduzierend) führen, sie variieren lediglich auf der Verständnisachse. Bei den regionalen Audiotypen wurde auf der Verständnisachse bewusst der Mittelwert gewählt, da es einerseits regionale Audiotype
159
Entwicklung eines Gesamtmodells
geben kann, die nur in einer sehr begrenzten geographischen Region decodiert
werden können, allerdings gibt es auch regionale Audiotype, die möglicherweise in
zahlreichen Ländern beheimatet sind, und lediglich in wenigen Kulturkreisen nicht
verstanden werden. Individuelle Audiotypen werden hingegen meist nur von einer
sehr kleinen Gruppe erkannt.
IV-8.5 Modell 5 Zeitdimensionaler Zugang
Abb.10
Hier zeigt sich natürlich ein deutlicher Nachteil vergangener Audiotypen (jeweils nur
3 Punkte) gegenüber permanenten und gegenwärtigen, die selbstverständlich die
ganze Bandbreite abdecken können und auf beiden Achsen den Maximalwert erreichen. Vergangene Audiotypen sind praktisch nur noch marginal vorhanden, werden
daher auch nur noch selten dechiffriert, und selbst dann werden sie wohl eher als
160
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
blasse Erinnerung wahrgenommen (kaum ein älterer Mensch in Österreich oder
Deutschland wird nach einem Luftschutzkeller suchen, wenn er ein Sirenensignal
hört).
IV-8.6 Modell 6 Prägnanzdominierender Zugang
Abb.11
Auch wenn, wie bereits beschrieben, mehrdimensional prägnante Audiotypen häufig
eindimensional prägnant wahrgenommen werden, so besteht doch ein leichter Nachteil auf der Verständnisachse (daher nur 10 Punkte) – der hohe Aktivierungsgrad bei
mehrdimensional prägnanten Reizen wird aufgrund ihrer meist emotionsinduzierenden Wirkung erreicht.
161
Entwicklung eines Gesamtmodells
IV-8.7 Modell 7 Gesamtmodell
Abb.12
Bei der Betrachtung des Gesamtmodells zeigt sich die hohe Funktionalität der Audiotypen vor allem auf der Aktivitätsskala, die besonders deutlich wird, wenn die Achsen
einzeln abgebildet werden (Abb. 13 und 14). Von 19 hier beschriebenen Audiotypen
erreichen 15 im Idealfall den höchsten Aktivierungswert auf der 12-teiligen Skala –
das entspricht 78,95%. Hingegen ist der Wert auf der Verständnisskala deutlich
geringer. Nur 6 von 19 Audiotypen erreichen hier eine maximale Punktezahl, das
entspricht 31,6 Prozent und bedeutet, dass 2/3 der hier beschriebenen Audiotypen
162
Audiotypen – Konzept einer theoretischen Kategorisierung
nicht überall eindeutig verstanden werden. Dieses Ergebnis unterstützt einerseits die
anfangs formulierte These, dass wir unser vollständiges Erkenntnispotential im Bereich der akustischen Wahrnehmung (wie auch im Bereich vieler anderer Sinneswahrnehmungen) noch nicht erreicht haben, und bekräftigt auch die Annahme von
Barry Traux: „..what affects us most is what we seem to know the least about.“(Truax
2001, S.XVII)
Abb.13
Abb.14
Wobei eine genaue Betrachtung der Abbildung 14 zeigt, dass wir vor allem mit den
gegenwärtigen Audiotypen der neuen Kommunikationsinfrastruktur gut vertraut sind,
und meist Audiotype, die keine wichtige Bedeutungszuschreibung erfahren, eher
nicht erkannt werden.
163
Entwicklung eines Gesamtmodells
Kapitel V - Audiotypen innerhalb einer neuen
Kommunikationsinfrastruktur
Auch wenn das Gesamtmodell der Audiotypen deutlich auf das Verständnisdefizit
akustischer Reize hinweist, so scheint ihre Bedeutung innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur dennoch stetig zuzunehmen. Ein möglicher Grund dafür könnte
die im Modell dargestellte Aktivitätsqualität von Audiotypen sein – wir verstehen sie
vielleicht nicht immer, aber dennoch erhalten sie häufig unsere Aufmerksamkeit.
Für Crary spielt der Begriff der Aufmerksamkeit im zwanzigsten Jahrhundert eine
„Schlüsselrolle“. Er geht davon aus, dass die „institutionelle Macht“ seit Ende des
neunzehnten Jahrhunderts nicht mehr so sehr daran interessiert ist, wie durch Aufmerksamkeit Erkenntnis gewonnen werden kann, vielmehr gäbe es ein Interesse
daran, dass die Aufmerksamkeit in dem Sinne funktioniert, dass das „Subjekt produktiv, lenkbar, kalkulierbar“ und gegebenenfalls auch „anpassungsfähig“ wird (Crary
2002, S.16).
„Zugleich ist Aufmerksamkeit jedoch ein Verhalten, durch das der Wahrnehmende
sich der Kontrolle und Vereinnahmung durch externe Instanzen aussetzt.“ (Crary
2002, S.16)
Die Kontrolle unserer Aufmerksamkeit führt also über die Kontrolle der Wahrnehmung zur Kontrolle unseres Verhaltens und auch unserer Gefühle. Wobei es in unserer sprachdominierten Welt wahrscheinlicher ist, dass wir eine verbale Aussage bewusster analysieren und eventuell als Lüge enttarnen, als akustische Informationen.
Damit, und auch durch die affektive Macht akustischer Reize, scheint eine Kontrolle
unserer Aufmerksamkeit auf einer akustischen Ebene äußerst effektiv zu sein. Das
Modell der Audiotypen sollte hier helfen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass
164
Audiotypen innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur
Klänge, Geräusche und Musik oft als stereotypisierte Wahrnehmungen starken Einfluss auf uns nehmen können.
Barry Truax schreibt, das neue akustische Medienumfeld, welches durch die „electroacoustic technology“ geschaffen wird…
„…has a profund effect on communication because, among other things, it can
take a sound out of its original context and put it into another.“ (Truax 2001, S.13)
Dadurch wird die „Echtheit“ der Wahrnehmungen in „Echtzeit“ relativiert. Durch eine
akustische Reizüberflutung besteht die Gefahr, dass wir eventuell wichtige akustische Reize gar nicht mehr wahrnehmen. Oder wir nehmen sie wahr und schätzen sie
nicht als echt ein und reagieren daher nicht, während vermeintlich unwichtige akustische Reize unsere Aufmerksamkeit binden können, die bewusst auch um unsere
Aufmerksamkeit buhlen.
„Klang ist ein hervorragendes Mittel, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und auf Situationen hinzuweisen, Nachrichten zu vermitteln, emotionale Situationen zu unterstützen sowie zeitliche Abläufe, strukturelle Prozesse und räumliche Gefüge
auch über Sicht- und Distanzbarrieren hinweg darzustellen.“ (Spehr 2009, S.12)
Diese Funktionen erfüllt ein Klang umso besser, umso weniger wir ihm gegenüber
abgestumpft oder habituisiert sind. Natürlich besitzen die akustischen Reize eine
manipulative Kraft, aber sie erfüllen auch wichtige Kommunikationsaufgaben im
Informationszeitalter.
In der „ökologischen Wahrnehmungsforschung“ oder auch „ökologischen Akustik“
wird untersucht wie Geräusche unser Verhalten beeinflussen. Es sind nicht nur die
Wahrnehmungen von außen, die unseren Körper aktivieren, wie bereits beschrieben,
verursachen wir oft selbst Geräusche, um uns zu orientieren, und auch diese Geräusche nehmen in der modernen Welt zu.
165
Entwicklung eines Gesamtmodells
„…unsere eigenen Bewegungen und Handlungen werden zum Teil durch die Geräusche, die durch sie verursacht werden, kontrolliert und bestätigt. Tastenklicken
und Piepstöne bei Tastatureingaben an Computern und Mobiltelefonen beispielsweise dienen als <<akustische Funktionsquittierungen>> (Hellbrück&Bisping,
1998)“ (Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.19)
Diese Klänge vermögen es laut Truax eine „acoustic community“ zu schaffen, die
innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur auch soziale Funktionen übernehmen kann.
„Our definition of acoustic community means that acoustic cues and signals constantly keep the community in touch with what is going on from day to day within it.
Such a system is „information rich“ in terms of sound, and therefore sound plays
an significant role in defining the community spatially, temporaly in terms of daily
and seasonal cycles, as well as socially and culturally in terms of shared activities,
rituals and dominant institutions.“ (Truax 2001, S.66)
Damit beschreibt Truax in gewisser Weise auch Audiotypen. Eine Schulglocke als
audiotyper akustischer Reiz macht beispielsweise Schüler zu einer „acoustic community“, der pünktlich vorbeirauschende Zug alle dort lebenden Anrainer. Durch die
neue Kommunikationsinfrastruktur löst sich nun diese akustische Gemeinschaft von
Raum und Zeit und macht beispielsweise alle User eines bestimmten Computerspiels oder alle Zuschauer eines Fernsehprogramms zu einer „acoustic community“,
unabhängig davon in welchem Raum-Zeit Kontinuum sie sich dem Reiz zugewendet
haben.
„Der Raum erscheint als etwas natürlich Gegebenes, historisch Stabiles.
(…)Vernachlässigt wird (…) der Wandel der Raumerfahrung unter dem Vorzeichen veränderter gesellschaftlicher Bedingungen. Robert konstatiert >>die angebliche Einheit des wahrgenommenen und dargestellten Raumes heute als eine Projektion der scheinbar einheitlich vernetzten posturbanen Räume der Industriegesellschaft<< (ROBERT 1998: 52) und setzt ihr die Forderung nach einer Historisierung des Raumes entgegen. >>Es empfiehlt sich, die räumliche Erfahrung der Gegenwart als ein viellagiges Gewebe zu untersuchen, in dem die Linien von alten
und neuen Auffassungen, Bildern und Ideen, der Einfluß von Schriften und Techniken unauflöslich miteinander verflochten sind<< (ROBERT 1998: 49).“ (Marquardt 2005, S.13f)
166
Audiotypen innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur
Marquardt bezieht sich auf Virilio wenn sie darauf hinweist, dass eine veränderte
Raumwahrnehmung einen großen Einfluss darauf hat, wie und ob wir die Dinge
erkennen oder auch erkennen können. Sie beschreibt die Raumwahrnehmung als
„situationsgebunden“ und unterscheidet die „jeweilige symbolischen Form“ ebenso
wie die „kulturellen Voraussetzungen“ (ebd., S.14) und bezieht auch die Entwicklung
der Technik mit ein.
„So lässt das Fernrohr weit entfernte Dinge erkennen und den Raum zusammenschrumpfen. Die Wahrnehmung der Umgebung durch einen Fußgänger ist eine
vollkommen andere als die durch einen Zug- oder Autofahrer (SCHIEVELBUSCH
1989). Die höhere Geschwindigkeit schafft eine Distanz zum Raum, der dahinzugleiten scheint (vgl. VIRILIO 1986). Der Raum wird nicht mehr in Zentimetern sondern in zeitlichen Abständen gemessen. Zudem verändert sich das, was tatsächlich wahrgenommen werden kann, denn die Ferne gerät jetzt in den Blickpunkt.
(…) Gänzlich neue Blicke und Wahrnehmungen werden möglich.“ (Marquardt
2005, S.14)
Anstatt den Verlust der „alten“ Wahrnehmung zu bedauern, sieht sie auch die Chancen, die durch die „neue“ Wahrnehmung entstehen. Die Entwicklung der neuen
Kommunikationsinfrastruktur und die damit einhergehenden Veränderungen (auch in
der akustischen Wahrnehmung) sind tiefgreifend, jedoch nicht unbedingt ungewöhnlich: „Jede Gesellschaft erzeugt ihren eigenen Raum.“ (Marquardt 2005, S.14)
Dass dieser Raum nicht überfüllt ist, scheint jedoch in diesem Zusammenhang die
aktuelle Herausforderung zu sein. Denn nur mit genügend Freiraum kann auch Bewegung und damit Entwicklung stattfinden. Mit vielfältigen Tönen um unsere Aufmerksamkeit zu kämpfen ist daher kein funktionales Konzept innerhalb der neuen
Kommunikationsinfrastruktur. Denn um akustische Reize zu erkennen und eventuell
auch entsprechend auf sie zu reagieren, benötigen wir auch ein bestimmtes Maß an
Stille.
167
Zuviel Lärm zum Überleben?
V-1 Zuviel Lärm zum Überleben?
Ein kritischer Punkt innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur ist die bereits
erwähnte Reizüberflutung, die zu einer menschlichen Überforderung führen kann.
Was die akustische Wahrnehmung betrifft, so wird diese Reizüberflutung häufig als
„Lärm“ bezeichnet. Wobei besonders die Entwicklungen der letzten Jahre eigentlich
eine leisere Welt ermöglichen würden:
„…we can observe that digital technology in general is the first truly silent technology ever created. It is therefore ironic that in order to communicate with it (in the
sense of getting information in and out of a computer, we inevitably introduce
noise. “(Truax 2001, S.156)
Um nicht die Orientierung zu verlieren, entscheiden wir uns offenbar gegen die Stille
und für den Lärm. Das entspricht in gewissem Sinne auch der entwicklungsgeschichtlichen Funktion unseres Hörorgans, welches uns vor Gefahr warnen kann und
damit unser Überleben sichert – dazu braucht es eben Geräusche um sich zu orientieren, „…the listener needs the background sound in order to function.“ (Truax 2001,
S.169)
Eine analytische Reflexion, welche Töne in welcher Intensität tatsächlich notwendig
sind, könnte jedoch durchaus eine Verbesserung unserer akustischen Lebensqualität
herbeiführen.
„Es mag zunächst paradox erscheinen: Auf der einen Seite sind wir glücklicherweise in der Lage, Lärm wesentlich zu reduzieren. Auf der anderen Seite müssen
wir Geräte und Maschinen wieder mit Klängen bestücken, um sie besser verstehen und handhaben zu können. Damit das aber nicht in unkontrolliertem Klangsalat, Lärm oder weißem Rauschen endet, braucht es in einer Gestaltung von Dingen, Räumen und Medien auch eine fundierte Auseinandersetzung mit funktionalen Klängen.“ (Spehr 2009, S.15f)
Truax beschreibt, dass der stetig intensiver werdende Umweltlärm unsere Orientierungsfähigkeit beeinträchtig – damit wird genau das Gegenteil von dem erreicht, was
funktionale Klänge eigentlich bezwecken sollen. Nicht nur, dass wir im Großstadtlärm
168
Audiotypen innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur
Hilfeschreie nicht mehr hören können, oder das Rasseln einer entlaufenen Klapperschlange, wenn wir uns bewusst von dem vorhanden „Soundscape“ abwenden, um
uns mit einem individuellen Soundteppich (Musik im Walkman oder iPhone) zu beschallen, können wir herannahende Fahrzeuge, Hupen etc. nicht mehr wahrnehmen.
In diesem Fall beeinträchtigt die elektroakustische Entwicklung der Neuzeit unsere
Überlebensfähigkeit und limitiert damit tatsächlich die ursprüngliche Funktion unseres Hörsinnes.
Truax unterscheidet drei Arten von Lärm (vgl. Truax 2001, S.96f):
Lärm, den wir verstehen und deuten können, der für uns aber eine negative Konnotation hat. Lärm, den wir nicht als solchen definieren, weil er uns nicht bewusst ist (ein
Hintergrundgeräusch oder der Geräuschpegel in einem Großraumbüro), der aber
großen Einfluss auf unsere Psyche hat. Und Lärm, der durch akustische Reize entsteht, die uns fremd sind – unser Gehirn kann diese Klänge (noch) nicht einordnen
(bspw. fremde Musik).
In letzterem Lärm sieht Truax ein großes menschliches Entwicklungspotential.
Wenn wir lernen, auch fremde akustische Reize zu verstehen, erweitert das sicherlich unser akustische Kommunikationsfähigkeit, nichts desto trotz können wir diese
fremden Klänge nach wie vor als Lärm empfinden. Das Plädoyer von Truax, sich
diesen fremden Tönen anzunähern, scheint in diesem Fall ein Plädoyer für seine
eigenen, ungewöhnlichen Musikkompositionen zu sein.
Auch seine Definition von Lärm, die eigentlich nur aus einer Rezipientenperspektive
betrachtet wird, ist unbefriedigend. Denn situationsabhängig kann ein akustischer
Reiz als Bereicherung und/oder als Lärm wahrgenommen werden, und häufig bewertet der Rezipient den Reiz anders als er tatsächlich wirkt. Beispielsweise Jugendli-
169
Zuviel Lärm zum Überleben?
che, die sich während des Lernens mit Hintergrundmusik berieseln lassen. So beschreibt Hellbrück, dass Hintergrundmusik oder Geräusche unsere Gedächtnisleitung stören können. In einem entsprechenden Test konnten beim „Kurzzeitbehalten
bis zu 30 Prozent mehr Fehlleistungen“ nachgewiesen werden (Hellbrück in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.23).
„Dieser Störeffekt, der ursprünglich als Irrelevant speech effect bezeichnet wurde
und heute als Irrelevant sound effect bekannt ist, ist unabhängig vom Bedeutungsgehalt der Hintergrundsprache.“ (Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009
S.23f)
Trotz dieses Effekts scheinen wir an immer mehr und lauteren akustischen Signalen
Gefallen zu finden und sie auch häufig nicht als Lärm zu empfinden – daher scheint
es nicht ausreichend zu sein, alleine den Rezipienten darüber entscheiden zu lassen,
ob ein akustischer Reiz als Lärm zu bewerten ist (so wie Truax dies in seiner Einteilung tut). Maempel spricht von einer „Zunahme der Lautheit“, wobei er vor allem die
„übertriebene
Prägnanz“
und
die
Klangrobustheit
kritisiert
(Maempel
in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.249).
„Durch das dauernde Angebot wenig differenzierter Abstufungen von Klangparamentern können Hörer kaum die Fähigkeit des aktiven Hörens entwickeln bzw.
bewahren.“ (Maempel in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.249)
Tatsächlich dürfte unser Hörsinn innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur
zunehmend gefährdet sein.
„Es ist erwiesen, dass Schall ab einem Schallpegel von 85 dB(A), abhängig von
Expositionsdauer sowie von Frequenz und Bandbreite, die äußeren Haarzellen im
Innenohr irreversibel schädigen (…). Die Zunahme von chronischem Tinnitus in
den letzten Jahrzehnten deutet auch auf die deutlich angestiegene Gesamtschallbelastung der Bevölkerung hin.“ (Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.28)
Besonders empfindlich reagieren hier offenbar junge Organismen. Während wir
Kinder in der modernen Gesellschaft häufig als Verursacher von Lärm empfinden –
und diese Wahrnehmung mittlerweile seltsame Blüten treibt (kinderlose Restaurants
170
Audiotypen innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur
und Hotels, kinderlose Flüge etc.) – sollten junge Menschen augenscheinlich dringend vor Lärm geschützt werden.
„Laborexperimentelle Befunde zeigen, dass sich akuter Lärm auf die Leistungen
von Kindern sehr viel stärker auswirkt als auf die von Erwachsenen. Kinder sind
wesentlich schlechter in der Lage, sprachliche von nichtsprachlichen Signalen zu
unterscheiden, wenn Störgeräusche vorhanden sind (Johnson, 2000).“ (Hellbrück
in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.22)
Nicht oft genug kann darauf hingewiesen werden, dass akustische Kommunikation
nicht nur ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft ist, der wissenschaftlich analysiert
werden muss, sondern auch ein sensibles Gut, dass wir durch Unachtsamkeit schädigen können, ohne das vorhandene Potential auszuschöpfen.
„Man kann davon ausgehen, dass Lärm sowohl in den frühen als auch in den späteren sensiblen Phasen des Spracherwerbs die Ausbildung wichtiger auditivphonologischer sowie propriozeptiv-taktiler Rückkoppelungsschleifen im Gehirn
verzögern kann. (…) Dieser Ansicht zufolge entwickeln lärmbelästigte Kinder eine
generelle Unachtsamkeit gegenüber akustischen Reizen und auch gegenüber der
Lautsprache. Störungen der laut- und schriftsprachlichen Entwicklung sowie die
häufig beklagte Unfähigkeit, konzentriert zuzuhören, könnten die Folge sein.“
(Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.22f)
Tatsächlich zeigt sich innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur ein neues
Phänomen: Das Streben nach Reiz-Reduktion! „Handyfasten“, „Fernsehfasten“,
Urlaub im Kloster – vor allem die Generation der Digital Immigrants versucht damit
der Reizüberflutung zu entkommen. Auch in der Wissenschaft wird erkannt, dass den
Menschen innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur einfach zuviel angeboten wird. Während Hellbrück annimmt, dass sich diese Entwicklung negativ auf das
Konzentrationsverhalten von Kindern und Jugendlichen auswirkt (ebd., S.22f), so
geht Wim Veen davon aus, dass der
„Homo Zappiens“ entsprechende Bewälti-
gungsstrategien entwickeln kann (Veen/Vraking 2006). Frauenberger sieht indes in
der akustischen Informationsvermittlung eine Alternative zum „visuellen Overkill“
171
Hörergewohnheiten
(Frauenberger in Spehr 2009, S.199ff) übersieht aber die Gefahr eines „akustischen
Overkills“. Die Herkunft der Reize zu verändern macht sie nicht weniger.
Das Modell der Audiotypen kann zumindest helfen, akustische Reize einzuteilen und
nach ihrer Bedeutung und Importanz zu untersuchen, um letztendlich die Notwendigkeit ihrer Intensität oder ihres Einsatzes zu bewerten. Damit könnte der akustischen
Überforderung entgegengewirkt werden. Eine Reduktion der akustischen Intensität in
unserer Umwelt ist nicht nur möglich, sondern hat auch bereits statt gefunden. Flüsterasphalt, Lärmschutzwände, leise Elektro-Motoren und bauphysikalisch ausgeklügelte Häuser, die den Schall dämmen oder sogar absorbieren, zeugen davon.
„All diese technologischen Entwicklungen werden (…) (hoffentlich) dazu beitragen,
dass industrieller und wirtschaftliche Erfolg nicht mit mehr Lärmbelästigung bezahlt wird.“ (Hellbrück in Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.32)
Die Zukunft könnte laut Hellbrück also deutlich leiser werden (wenn wir das wollen),
und Audiotypen könnten als Einteilungsschema im Bereich der Lärmreduktion dabei
wichtige Dienste leisten. Auch wenn wir nicht mehr ständig darauf angewiesen sind
zu hören, aus welcher Richtung uns Gefahr durch wilde Tiere droht, so kann es doch
überlebenswichtig sein, einen herannahenden Zug oder ein Auto zu hören, um nicht
überfahren zu werden. Zuviel Lärm kann lebenswichtige Töne überdecken, daher
sollten wir die von und geschaffenen Geräusche, bewusster einsetzten und gegebenenfalls reduzieren. Letztendlich wird es auch wichtig sein, dass wir uns an leisere
Töne gewöhnen und sich damit leisere Audiotypen entwickeln.
V-2 Hörergewohnheiten
„Jede Kulturregion bringt ihre eigenen Klänge hervor und abhängig von geographischen, kulturellen, sozialen und zeitlichen Kontexten entwickeln sich auch die
Hörgewohnheiten der jeweiligen Menschen.“ (Spehr 2009, S.14)
172
Audiotypen innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur
Um die vorherrschenden Hörgewohnheiten innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur darzustellen, ist es notwendig, die Einflüsse einer globalisierten Welt zu
würdigen, die auch die akustische Wahrnehmung beherrschen. Wie bereits in der
Einleitung beschrieben, ist unsere westliche Welt vor allem christlich dominiert, und
das gilt nicht nur für die Sprache sondern auch für die Akustik:
„Die Harmonik nahezu aller westlicher Musik, sei es nun Chopin oder Elvis, gründet sich auf die Gesänge christlicher Mönche des Mittelalters:“ (Jourdain 1998,
S.127)
Nach Jourdains Auffassung haben christliche Werte die akustische Wertvorstellung
einer globalisierten Welt nicht nur stark beeinflusst, sondern eine Richtung vorgegeben, der wir uns kaum mehr entziehen können.
„Wir sind so stark an unsere Skalen gewöhnt, daß jede Abweichung davon verstimmt oder dissonant klingt (…) schwer zu begreifen, daß es noch andere sinnvolle Möglichkeiten gibt, einen Tonraum zu strukturieren:“ (Jourdain 1998, S.105)
Zwar sind andere Ton-Skalen in einigen Kulturkreisen entwickelt worden, dass sie
sich offenbar nicht durchsetzen konnten, dürfte allerdings wenig mit der „Macht des
Christentums“ zu tun haben, sondern vielmehr mit unseren neurologischen Voraussetzungen.
„Den ethnologisch orientierten Musikwissenschaftler ist keine Kultur bekannt, die
Töne im Oktavenabstand nicht als gleich ansieht (die einzige Ausnahme stellen
bestimmte australische Ureinwohner dar (…)). Es gibt sogar Hinweise, daß auch
Säugetiere Oktaven auf diese Weise hören. (…)Ägyptologen gelang es kürzlich
Flöten aus Pharaonengräbern nachzubauen, und sie fanden, daß die Instrumente
fast die gleiche Tonfolge produzierten, die auch heute noch gebräuchlich ist:“
(Jourdain 1998, S.99f)
Schließlich zeigt sich, dass das mehrfach erwähnte Bestreben des Menschen nach
Ordnung und Kategorisierung dazu geführt hat, dass wir in der Musik bereits ein
geordnetes akustisches Kommunikationsschema (ähnlich, aber viel komplexer als
173
Hörergewohnheiten
das Alphabet) entwickelt haben, das mathematischen Gesetzmäßigkeiten folgt, die
auch als pythagoreische Tonbeziehungen bezeichnet werden.
„Man kann allerdings auch argumentieren, daß es nicht besonders wichtig ist, ob
das Gehirn letztendlich eine angeborene Tendenz für die Registrierung pythagoreischer Tonbeziehungen zeigt. Wichtig ist, daß diese Beziehungen in der pythagoreisch gegründeten Musik vorhanden sind und damit dem Gehirn etwas Erkennbares liefern. Musik die sich auf ein wenig geordnetes System gründet, erzeugt wenig klare Beziehungen und liegt damit im Hintertreffen.“ (Jourdain 1998,
S.110)
Auch die in dieser Arbeit beschriebenen musischen Audiotypen zeichnen sich häufig
durch pythagoreische Tonbeziehungen aus. Damit darf angenommen werden, dass
auch moderne Hörergewohnheiten letztendlich den Anforderungen unseres Gehirns
und dem Drang zu Überleben entspringen, und erst in weiterer Folge Habituationen
und anderen Einflussbereichen unterliegen.
Dennoch sind einige Veränderungen der Hörgewohnheiten kritisch zu betrachten,
denn durch die disperse Reizüberflutung der modernen Welt scheint eine bedenkliche Dynamik zu entstehen (vgl. Cary 2002, S.23). Die Rezipienten entwickeln unterschiedliche Strategien mit der Überinformation umzugehen (ausblenden, bewusst
auswählen, abschotten, abschalten etc.) und erzeugen durch ihre bewusst gewählte
Unaufmerksamkeit noch mehr Reize (eigens gewählte Ablenkmanöver wie bspw.
Musik aus dem i-Pod), die versuchen, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Diese neuen
Angebote müssen wiederum strategisch verarbeiten werden – ein Teufelskreis:
„Insbesondere im Kontext der neuen Formen industrieller Großproduktion begann
die Unaufmerksamkeit den Charakter einer Gefahr, eines ernsten Problems anzunehmen, auch wenn es oft genug eben die modernen Arbeitsbedingungen waren,
die Unaufmerksamkeit hervorbrachten. Man kann durchaus in einer ständigen Krise der Aufmerksamkeit einen entscheidenden Aspekt der Moderne sehen, insofern die wechselnden Konfigurationen des Kapitalismus, mit ihrer endlosen Abfolge von neuen Produkten. Reizquellen und Informationsströmen, Aufmerksamkeit
und Zerstreuung ständig über neue Grenzen und Schwellen zwingen und dann mit
neuen Methoden des Managements und der Regulierung von Aufmerksamkeit
reagieren.“ (Crary 2002, S.23)
174
Audiotypen innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur
Die Kraft der Audiotypen liegt darin, dass sie sich durch ihren hohen Aktivierungsgrad meist auch in diffusen Soundscapes durchsetzen, daher werden sie bewusst
oder unbewusst häufig eingesetzt um Aufmerksamkeit zu erlangen. Und übernehmen daher ebenso ihren Part in diesem Teufelskreis.
„Die Tatsache, dass der Rezipient sich auf emotionaler Ebene leicht von Musik
beeinflussen lässt, gleichzeitig aber auch durch Konditionierung und musikalische
Sozialisation empfindlich auf akustische Reize reagiert, macht die Nutzung von
Klang für die Vermittlung emotionaler Inhalte sehr wirksam.“ (Kloppenburg/Herzer
in Spehr 2009, S.92)
Im Radio finden Audiotypen als sogenannte „ear-catcher“ (vgl. u.a Pürer 1996, S.40)
ihre Verwendung – ihre soziale und aktivierende Funktion wird zumindest von Hörfunkjournalisten und Werbejingle-Komponisten geschätzt. Audiotypen entsprechen
den Hörergewohnheiten oder werden geschaffen, um neue Hörergewohnheiten zu
schaffen.
„Unternimmt man den Versuch, Wissenskulturen durch den verstärkten Einsatz
von Klangmaterial, welches sich immer wieder ähnlichen Strukturen und klanglicher Inhalte bedient, zu festigen, zielt man auf die Konditionierung der Konsumenten ab.“ (Kloppenburg/Herzer in Spehr 2009, S.95)
Wie wirkungsvoll diese Konditionierung der Hörergewohnheiten stattfindet, stellt ein
weiteres Forschungsdesiderat dar. Die Problematik liegt jedoch darin, dass akustische Reize und auch audiotype akustische Reize nicht in jedem Kollektiv eine homogene Bedeutungszuschreibung erhalten, und daher die Reaktionen auf eine auditive
Wahrnehmung unterschiedlich und vielleicht auch unerwünscht sein können. Es
besteht also die „Gefahr der Abschreckung“, wenn der Klang beim Zuhörer mit einer
„negativen Konnotation“ verbunden ist (Kloppenburg/Herzer in Spehr 2009, S.91). Es
könnte also sein, dass unerwünschte Gewohnheiten konditioniert werden – sozusagen ein „Abschaltimpuls“ kreiert wird: ein akustischer Reiz, der den Hörer dazu
bringt, immer wenn er ihn hört, seine Aufmerksamkeit zu entziehen.
175
Konglomerat von Stereotypen, Visiotypen und Audiotypen
„Eine standardisierte Herangehensweise bei der Entwicklung eines Corporate
Sounds sucht man bisher vergebens.“ (Kloppenburg/Herzer in Spehr 2009, S.92)
Um zu verhindern, dass negative Konnotationen mit dem akustischen Reiz stattfinden, werden persuasive akustische Elemente häufig in Verbindung mit anderen
(positiv besetzten) sinnlichen Reizen gebracht, um sich damit ein gewünschtes
Image zu sichern. Es ist zu beobachten, dass hier häufig stereotypen Darstellungsformen der Vorzug gegeben wird.
V-3 Konglomerat von Stereotypen, Visiotypen und
Audiotypen
„Die Frage ist, wie man Visualisierung und Sonifikation miteinander koppeln kann,
so dass es Menschen besonders leicht fällt, die beiden Informationskanäle auch
mental miteinander zu verbinden, und es zu einem echten Mehrwert in Bezug auf
die Qualität der Wahrnehmung kommt.“ (Hermann in Spehr 2009, S.83)
Diese Frage wurde offenbar von vielen Produktherstellern und Medienmachern innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur gestellt. Während in dieser Arbeit die
Dominanz des geschriebenen Wortes kritisiert worden ist, befinden wir uns laut Hußlein bereits längt in einem „multisensoralen Zeitalter“. Durch die technischen Innovationen werden wir aufgefordert, uns den Kommunikationsmedien mit allen Sinnen zu
nähern.
„Das Konzept Affordance beschreibt die Handlungsaufforderungen der Dinge an
den Menschen mit all seinen Sinnen und unterstützt die Gestaltung von Multisensorik Interfaces.“ (Hußlein in Spehr 2009, S.136)
Die längst erklommene, neue Stufe in unserer kommunikativen Entwicklung verbindet Bilder mit Tönen und Sprache, experimentiert mit unserer Wahrnehmung (wie
etwa das 3D-Kino oder sogar auch das sogenannte „5D-Kino“ zum Spüren und Riechen, beispielsweise in der Wiener Lugner City). Wie sich unterschiedliche Sinne
176
Audiotypen innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur
ergänzen und zu einer veränderten Wahrnehmung führen, hat Marquart beschrieben,
indem sie das Zusammenwirken von Bildern und Texten untersucht hat.
„Bilder und Texte sind differente Zugangsweisen zur Welt, die auf verschiedene
Weise etwas darstellen und in unterschiedlicher Weise wahrgenommen und im
Gedächtnis gespeichert werden. Deshalb können sie dem Betrachter/Leser verschiedene Informationen mitteilen. Im Zusammenspiel ergänzen oder wiederholen
sie einander, in der Regel liefern sie erst gemeinsam ein vollständiges Bild.“ (Marquardt 2005, S.19)
Erst das Zusammenspiel unterschiedlicher Wahrnehmungsformen ermöglicht uns
eine ganzheitliche Betrachtung. Ein Bild kann vieldeutig verstanden werden, ein Text
hingegen kann „den Motiven Narrationen hinzufügen“ (Marquardt 2005, S.19), und
damit die Auffassungsqualität und Erinnerungsfähigkeit verbessern.
„Eine große Anzahl von Studien verweisen auf verbesserte Behaltungsweisen,
wenn Gegenstände dual, visuell und verbal, codiert werden.“ (Marquardt 2005,
S.23)
Es ist davon auszugehen, dass das Hinzufügen eines musikalischen Reizes, diese
Wirkung noch verstärkt und auch einen weiteren Einfluss auf die Narration nimmt.
Jede zusätzliche sinnliche Information beeinflusst die bereits vorhandene Botschaft.
„Es lässt sich nachweisen, dass durch das Übermitteln zusätzlicher Informationen
die Sprache die Einstellung zum Bild ändern und den Ausschnitt, auf den die Aufmerksamkeit gerichtet wird, bestimmen kann (ZIMMER 1983). Solche Zusammenhänge können für einen effektiven Einsatz von Bildern und Bild-TextKombinationen genutzt werden. Durch das Ansprechen verschiedener Sinne kann
die Behaltensleistung von Informationen verbessert werden.“ (Marquardt 2005,
S.25)
Auch wenn sich Marquardt lediglich auf die Wechselwirkungen zwischen Bild und
Text konzentriert, so zeigt sie doch die Überlegenheit kombinierter Kommunikationsmethoden, die häufig einander strukturieren und trotz ihrer Vielschichtigkeit komplexitätsreduzierend wirken können.
„Jedes Medium dient als elaborativer Kontext für das andere und verbessert damit
dessen Verständnis. Umgekehrt kann ein Medium das andere strukturieren und
auf dessen wesentliche Inhalte reduzieren. Bei sequenzierter Darbietung kann
177
Konglomerat von Stereotypen, Visiotypen und Audiotypen
(…) ein Medium bestimme Einstellungen auslösen, die auf die Verarbeitung des
anderen wirken (BALLSTAEDT/MOLITOR/MANDL 1987).“ (Marquardt 2005,
S.25f)
Sowohl in der virtuellen Welt als auch in der Welt elektronischer Medien geht es
vorrangig darum, „kollektive“ Emotionen bei den Rezipienten zu erzeugen, um sie,
ähnlich wie bei einer Religionsgemeinschaft, an eine „Mediengemeinschaft“ zu binden (vgl. Schwartz 1983, S.1). Moderne Kommunikationsstrategien zielen also auf
eine „kollektive Emotionalisierung“ ab. Diese ist offenbar durch visuelle Darstellung
oder akustische Reize allein nicht so stark herzustellen, wie es eine Bündelung von
unterschiedlichen Reizen vermag. Umso häufiger eine Wiederholung dieser Wahrnehmungsreize innerhalb einer Gesellschaft stattgefunden hat, desto größer ist ihre
Wirkung einzuschätzen. Pörksen schreibt über seine „kanonischen Bilder“:
„Sie machen (…) nicht nur etwas sichtbar, sie sind überdies wirksam. (…) Man
vergisst, dass es nur eine begrenzte Sichtung und Sicht beinhaltet, und verwechselt das Bild mit der Sache. Es erlangt die Trägheit einer einmal geschaffenen Institution, wird zum Blickpräger, indem nicht nur bisherige Wahrnehmungen zusammengefasst, sondern auch gegenwärtige gebahnt und zukünftige vorweggenommen sind.“ (Pörksen 1994, S.99)
Audiotypen, Visiotypen und Stereotypen als institutionalisierte Wahrnehmungen
verstärken augenscheinlich in ihrer Kombination diese bereits beschriebenen Kommunikationserfolge und verfestigen sich dabei auch noch in der Erinnerung der Rezipienten. Sie üben einen unerklärlichen Bann aus, indem sie sich auf die Erfahrungen
der Rezipienten beziehen. Eine Visualisierung kann die affektive Wirkung der Vertonung unterstützen (und umgekehrt), und letztendlich werten sich die Reize untereinander auf, und machen den einzelnen Reiz damit noch stärker:
„We cannot create a sound that smells like food, but we can organize sounds that
will evoke past experiences of sounds accompanied the smell of food.” (Schwartz,
1974, S.36)
178
Audiotypen innerhalb einer neuen Kommunikationsinfrastruktur
Als erfolgreiches Konglomerat von Stereotypen, Visiotypen und Audiotypen soll hier
das Beispiel des „weißen Hai“ genannt werden. Im Spielfilm, der 1975 Steven Spielberg zum Durchbruch verholfen hat25, wird mit stereotypen Ängsten des Menschen
(in tiefem Wasser hilflos ausgeliefert sein, von einem wilden Tier gefressen werden)
gespielt, der Visiotyp der sanft dahin gleitenden Haiflosse verwendet, und letztendlich gelang es dem Komponisten John William auch mit dem „Main Title“ einen Audiotypen zu schaffen (nicht nur, dass diese Komposition im wesentlich nur auf 2
Tönen aufgebaut wird, die sich ständig wiederholen, das Thema selbst wird ebenfalls
ständig wiederholt – beste Voraussetzungen für die Entwicklung eines Audiotyps).
Der „weiße Hai“ – bereits an sich ein Stereotyp – ist durch den Film entscheidend in
seinem Image geprägt worden. Das Konglomerat von Stereotyp, Visiotyp und Audiotyp hat damit seine persuasive Wirkung unter Beweis gestellt. In ihrem Zusammenspiel gehen sie eine gefährliche Verbindung ein. Denn bereits einzeln verfügen sie
über eine starke Kraft, die von Rezipienten nur selten erkannt wird.
„Jeder Filmbetrachter verspürt einige <<Wirkungen>> von bildbegleitender Musik
bewusst und ist anderen unterbewusst unterworfen.“ (Bullerjahn in
Bruhn/Kopiez/Lehmann 2009, S.207)
Es ist davon auszugehen, dass ein bewusstes Analysieren eines Konglomerats von
Stereotypen, Visiotypen und Audiotypen, und damit die Relativierung ihrer persuasiven Kraft, für einen Rezipienten ungleich schwieriger wird, als das Erkennen eines
einzelnen stereotypen Reizes. Die Bewusstmachung des „Dramas“, wie es McLuhan
nennt (vgl. McLuhan 1996, S.7 in Hartmann 2000, S.252), benötigt in diesem Fall
25
Mehr Informationen zu dieser Fimmusik unter http://www.filmmusik2000.de/wiljaw.htm
179
Konglomerat von Stereotypen, Visiotypen und Audiotypen
eine bewusste Auseinandersetzung auf der Metaebene und ein klares Erkennen der
stereotypen, visuellen und akustischen Reize.
Fazit
Die Forschungsfrage was Modelle leisten können, die die Wissenschaft anbietet, um
Kommunikationsprozesse durch akustische Reize verständlicher zu machen, ist
insofern zu beantworten, als dass die Modelle der Komplexitätsreduktion, ebenso wie
die Beschreibung von Stereotypen und Visiotypen, eine starke Übereinstimmung mit
den bestehenden Erkenntnissen der entwicklungs- und musikpsychologischen Forschung aufweisen, und damit als Teil einer wahrscheinlichen Annäherung an ein
ganzheitliches Kommunikationsverständnis betrachtet werden können. Die Eingliederung der Audiotypen ist eine logische Konsequenz und Weiterführung der bestehenden Modelle, die sich bisher nicht ausreichend mit akustischen Reizen auseinandergesetzt haben. Grundsätzlich sind die hier betrachteten wissenschaftlichen Modelle
als Versuch einer komplexitätsreduzierenden Annäherung an die Wirklichkeit zu
beschreiben und als solche zu werten.
Dass Töne und Musik aufgrund ihrer affektiven, sozialisierenden aber auch alarmierenden Wirkung innerhalb der menschlichen Kommunikation eine große Rolle spielen, und letztendlich das Hören als überlebenswichtiger Faktor für die Menschheit zu
beurteilen ist, ist in der vorliegenden Arbeit ausreichend diskutiert worden. Kulturelle
und gesellschaftliche Hintergründe sind bei der Decodierung akustischer Reize zwar
zu berücksichtigen, viel schwerwiegender scheinen jedoch biologische Determinationen zu wirken – wie beispielsweise die Tendenz des Gehirns Informationen zu kategorisieren, zu ordnen und in rhythmische Chunks zu verarbeiten.
180
Ausblick
Die moderne Kommunikationsinfrastruktur stellt für den menschlichen Organismus
nicht nur aufgrund der Reizüberflutung und zunehmenden Lärmbelastung eine Herausforderung dar, die Hörleistung selbst wird durch unterschiedliche Komponenten
bedroht (Habitualisierung, Ausblenden, selbst herbeigeführte Schädigungen durch
Kopfhörer etc.), ebenso wie unser Hörverständnis.
„The consumer´s illusion of freedom through the pseudo-democratization of massproduced home computers and home audio equipment merely contributes to even
greater conformity and industry control (…) Through them we suddenly realize that
the limitations are not in the technology (…) They are in ourselves, in our imagination and initiative to use what is available for our own benefit.“ (Truax 2001,
S.241f)
Die Wissenschaft hat hier noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Die analytische
Betrachtung der hier beschriebenen Audiotypen zeigt, wie wertvoll die Entwicklung
eines Modells sein kann – denn während die starke Wirkung akustisch, standardisierter Wahrnehmungen veranschaulicht wird, wird auch das deutlich geringere Verstehen derselben abgebildet.
Ausblick
„Konfrontiert man das Gehirn mit mehr Informationen, als es handhaben kann,
lässt es Details unberücksichtigt und bildet größere Wahrnehmungseinheiten.“
(Jourdain 1998, S.183)
Diese Wahrnehmungseinheiten können Audiotypen, Visiotypen oder Stereotypen
sein. Wenn diese kanonisiert und durch Tradierung zu Standardwahrnehmung einer
Gesellschaft werden, sollten sie von unserem Gehirn auch rascher lesbar sein – die
Menge an Information, die dann aufgenommen werden kann, wird damit auch größer. Das macht Audiotypen, Visiotypen und Stereotypen in einer modernen Gesellschaft auch so attraktiv. Schließlich entspricht die rasche Aufnahme mehrerer Infor-
181
Konglomerat von Stereotypen, Visiotypen und Audiotypen
mationen auch den Verhaltensmustern der Digital Natives, die beispielsweise zeitgleich einem persönlichen Gespräch folgen, während sie Musik hören, eine SMS
schreiben und ihren Account im Social Network beobachten. Allerdings sind es die
„unberücksichtigten Details“, die dabei unwiderruflich verloren gehen. Ob diese vernachlässigbar sind, oder letztendlich der Verlust ihrer Wahrnehmung zu einem Rückschritt unserer Erkenntnis-Entwicklung führt, ist dabei unklar und womöglich auch
situationsabhängig. Sowie es verhängnisvoll sein kann, das Kleingedruckte in einem
Vertrag nicht zu lesen, wenn diese Klausel schlagend wird, so kann unter Umständen auch der Verlust wichtiger Details bei verschiedenen Wahrnehmungsreizen
verhängnisvoll sein. Wenn ich zum Beispiel in einem persönlichen Gespräch mit
meinem Partner das Detail eines missmutigen Untertons nicht erkennen kann, weil
meine Aufmerksamkeit durch eine SMS oder eine wohlklingende Melodie aus dem
Radio beeinträchtigt worden ist, so kann das letztendlich zu einem größeren Konflikt
führen.
Zweifellos sind die akustischen Ablenkungen innerhalb der neuen Kommunikationsinfrastruktur mehr geworden. Wir müssen uns jedoch nicht als Opfer dieser Entwicklung betrachten, sondern als Verursacher.
„Jede Gesellschaft habe den Klang, den sie verdient, so sinngemäß der kanadische Pionier der Klangökologie, der Komponist R. Murray Schafer, (…) Klang und
Krach sind menschgemacht und lassen sich auch verändern, so Schafers Überzeugung.“ (Werner, in Spehr 2009, S.24)
Und wir sind auch stetig dabei, die uns umgebenden Klänge zu verändern, aber auch
mit anderen Sinneskanälen zu verknüpfen.
„Um ein besseres und verständliches Interagieren möglich zu machen, benötigt
eine Mensch-Maschine Kommunikation einen umfangreichen und mehrschichtigen Informationsaustausch, was eine Ausnutzung aller Wahrnehmungs- und Interaktionskanäle erforderlich macht.“ (Spehr 2009, S.11)
182
Ausblick
Der Sounddesigner Daniel Hug betont, dass die Entwicklung in der Kommunikationstechnologie in Richtung eines „disappearing computer“ geht. Die Rechenleistung wird
immer billiger, die Geräte immer kleiner, sie verschwinden in den „Kleidertaschen“
oder der „Architektur“ und weil man sie nicht mehr sieht, spielt der Klang bei dem
Gebrauch dieser Gegenstände einer immer größer werdende Rolle (Hug in Spehr
2009, S.146). Allerdings gibt es…
„…kaum Wissen darüber, nach welchen Kriterien diese Klänge gestaltet werden
sollen.“ (Hug in Spehr 2009, S.146)
Nicht nur individuelle musikalische Vorlieben oder Interessen der Herstellerfirmen,
die ihre Klänge einem „Corporate Sound“ anpassen möchten, sondern auch die
Überlastung des Soundscapes muss hier beachtet werden. Insofern sollte ein Bewusstsein für die Kapazitäten unserer Sinneswahrnehmungen wissenschaftlich geschaffen werden. Nicht jede Funktion, die akustisch gestaltet werden kann, muss
auch akustisch gestaltet werden. Warum muss ein Mobiltelefon läuten, wieso kann
es nicht auch manchmal nur einen angenehmen Duft verströmen, wenn ein Anruf
eingeht (natürlich unter Berücksichtigung olfaktorische Gewöhnungseffekte)?
In einer modernen Kommunikationsgesellschaft, mit einem stetig steigenden Informations- und Kommunikationsangebot, wird man sich künftig mehr Gedanken um
eine effiziente Verwendung unserer Wahrnehmungsmöglichkeiten machen, und sich
noch mehr mit den Gesetzmäßigkeiten visueller, akustischer, taktiler und olfaktorischer Kommunikation auseinandersetzen müssen.
Das Verständnis für die Bedeutung der akustischen Kommunikation nimmt bereits
zu, das zeigt sich an „der Einrichtung eines Master-Studiengangs Akustische Kommunikation an der Universität der Künste Berlin“ (Kopiez in Bruhhn/Kopiez/Lehmann
2009, S.530). Es sind aber eben nicht nur die akustischen Elemente, die wissen-
183
Konglomerat von Stereotypen, Visiotypen und Audiotypen
schaftlich aufgearbeitet werden müssen. Ein ganzheitliches Betrachten menschlicher
Kommunikation wird die innovative Herausforderung für Medienmacher und Kommunikationswissenschafter der Zukunft. Und so bleibt aus kommunikationswissenschaftlicher Hinsicht zu sagen:
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2006)
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Curriculum Vitae – Ursula Hofmeister Bakk. phil.
PERSÖNLICHE ANGABEN:
Geboren am 5.1.1974 in Linz, ledig
AUSBILDUNG:
1984 - 1988 Bundesrealgymnasium Hamerlingstraße, Linz
1988 - 1989 HBLA für wirtschaftliche Frauenberufe, Linz
1989 -1994 BBA für Kindergartenpädagogik, Linz: Matura mit ausgezeichnetem
Erfolg
1994 - 1996 Studium der Veterinärmedizin, Wien
1995 Schauspielunterricht bei Prof. Eisenecker, Wien
1997 - 1999 Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften; Politikwissenschaften, Wien
Seit 2007 Wiederaufnahme des Studiums der Publizistik und Abschluss mit dem Titel
Bakkalaurea phil. 2008
2008 - 2009 Lehrgang „Führungskraft in Entwicklung“, Team für angewandte Psychologie und Organisationsberatung, Herzogsdorf
BESCHÄFTIGUNGSVERHÄLTNISSE
Seit Juni 2010 Anstellung als Redakteurin im aktuellen Dienst ORF Landesstudio NÖ
Seit 2008 Lehrbeauftragte der Montanuniversität Leoben
Jänner 2008 bis Juni 2010 Anstellung bei Life Radio als „Chef vom Dienst“
xvii
März 2007 bis Jänner 2008 Anstellung bei der Tageszeitung Österreich als „Chef
vom Dienst“
Dezember 2001 bis März 2007 OÖ-Korrespondentin für Hitradio Ö3, ORF Wien –
Zusätzlich redaktionelle Mitarbeit als Gestalterin von Fernsehbeiträgen im ORF Landesstudio Oberösterreich „OÖ heute“ und in der Ö1 Chronikredaktion
Mai 2000 bis Dezember 2001 Angestellte der Firma Talk-TV, Sendungsverantwortliche Redakteurin der Barbara Karlich-Show
Juli 2001 Volontariat als Redakteurin und Gestalterin im TV-Newsroom „Willkommen
Österreich“, ORF Wien
September 1999 freie Mitarbeiterin des ORF Wien:
Regieassistenz bei Privio-Film
Regieassistenz für ORF-Pilot – „Wiesers Magazin“
Programmbegutachtung der Barbara Karlich-Show
Seit 1997 Journalistische Mitarbeit bei diversen Redaktionen (Pädagogische Zeitschrift “Kids Mix“ , ORF „Thema“, SAT 1 „Blitz“)
September 1997 bis Mai 1999 Projektleiterin EU-Projekt: Integrationskindergarten bei
den Österreichischen Kinderfreunden
April 1996 - August 1996 Anstellung als Urlaubsbetreuerin in Spanien bei TouropaAustria
xviii
Abstract
In der von Ursula Hofmeister verfassten Arbeit: „Ohne Worte – Die Bedeutung akustischer Reize in einer neuen Kommunikationsinfrastruktur. Versuch einer theoretischen Implementierung von Audiotypen in kommunikationswissenschaftlichen Habitaten“ wird eine Kategorisierung akustischer Reiz vorgenommen. Es wird davon
ausgegangen, dass die Kommunikationswissenschaft sich künftig verstärkt um akustische, visuelle, olfaktorische und haptische Wahrnehmungsmöglichkeiten kümmern
muss, um eine aussagekräftige Wirkungsforschung innerhalb der modernen Kommunikationsinfrastruktur betreiben zu können. Die Tendenz des Menschen die Komplexität seiner Umwelt durch stereotypisierte Wahrnehmungsmuster zu reduzieren
wird beschrieben und darauf wird auch das Konzept stereotyper akustischer Reize –
die von der Autorin als Audiotype bezeichnet werden – aufgebaut.
xix
Eidesstattliche Erklärung
Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst habe. Ich habe
keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt.
Ich habe die Arbeit bzw. Teile davon weder im In- noch im Ausland einer Beurteilerin/
einem Beurteiler zur Begutachtung als Prüfungsarbeit vorgelegt.
Name: Ursula Hofmeister, Bakk.phil.
Wien,
__________________________
Unterschrift
xx
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