1 Deutschland und die Euro-Krise Entwurf, Rede, Manfred Grund Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Euro-Krise ist einerseits eine unmittelbare Folge der Finanzkrise seit 2008. Andererseits und mittelbar hat sie jedoch sehr viel tiefgreifendere strukturelle Ursachen. Weil die nationale Reaktion Deutschlands auf die Finanzkrise in mehrfacher Hinsicht unsere Politik in der Euro-Krise vorgezeichnet hat, möchte ich zunächst auf unsere Lage in der Finanzkrise eingehen. Deutschland wurde von der Finanzkrise seit 2008 hart getroffen, konnte sich aber relativ gut wieder erholen. Infolge der Bekämpfung der Finanzkrise sprang die Staatsverschuldung in Deutschland von knapp 65 Prozent 2008 auf deutlich über 80 Prozent heute. 2011 konnte die Bundesregierung die Neuverschuldung jedoch wieder unter die europäische Obergrenze von drei Prozent senken. 2009 verzeichnete Deutschland einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von fast fünf Prozent. Dieser Wert war noch etwas schlechter als im europäischen Durchschnitt. 2010 hatten wir jedoch ein Wachstum von 3,6, deutlich über dem europäischen Mittel. Es waren vor allem drei Gründe, weshalb Deutschland die Finanzkrise vergleichsweise gut überstanden hat. Erstens war dies die Stärke der deutschen Exportindustrie. Sie führt dazu, dass sich die Aufschwünge wie die Abschwünge der globalen Wirtschaftsentwicklung auf Deutschland stets verstärkt auswirken. Es bedeutet aber auch, dass wir besonders im europäischen Wirtschaftsraum über eine sehr wettbewerbsfähige Industrie verfügen, die uns hilft Krisen zu überwinden. 2 Zweitens hat die Krise das Vertrauen in andere Wirtschaftstandorte in Europa stärker erschüttert. Die Folge war, dass es aufgrund der Krise wieder verstärkt zu Investitionen in Deutschland kam. Drittens hatte Deutschland bereits vor der Krise eine vergleichsweise solidere Wirtschafts- und Haushaltspolitik betrieben als viele unserer Partner in der EU. In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren hat Deutschland viel für seine internationale Wettbewerbsfähigkeit getan. Das mussten wir auch; denn einerseits hat uns der Euro nicht nur Haushaltsüberschüsse beschert. Er hat auch bewirkt, dass Investitionen weniger in Deutschland als in andere europäische Länder flossen, in denen es höhere Zinsen gab und damit auch ein stärker konsumgetriebenes Wachstum. Andererseits stellten die anhaltenden Kosten der deutschen Wiedervereinigung eine besondere Belastung für unsere Haushalte, die Steuerzahler und damit auch den Wirtschaftsstandort dar. Ein entscheidender Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen war, dass Deutschland bei Steigerungen von Löhnen und Sozialleistungen sehr viel zurückhaltender war als viele unserer europäischen Partner. Das trug zusätzlich dazu bei, dass die deutsche Wirtschaft stärker von Exporten und weniger von Konsum im eigenen Land abhängig wurde. Hinzu kommt, dass Deutschland auch von einer anderen Stabilitätskultur geprägt wird als andere Länder in der EU. Das hat nicht verhindert, dass Deutschland auch vor der Finanzkrise kontinuierlich Haushaltsdefizite hatte. Neben den Kosten der Deutschen Einheit trugen dazu vor der Krise besonders steigende Sozialleistungen infolge der Alterung der Gesellschaft und zunehmender Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig niedrigem Wirtschaftswachstum bei. 3 Das führte dazu, dass Deutschland unter der rot-grünen Regierung sogar zu den ersten Ländern gehörte, die bei der jährlichen Neuverschuldung gegen die EuroStabilitätskriterien verstießen. Grundsätzlich gibt es in Politik und Bevölkerung jedoch eine breite Skepsis gegenüber einer expansiven Geld- und Schuldenpolitik und den damit drohenden Inflationsrisiken. Das hat auch unsere Reaktion auf die Finanzkrise nach 2008 bestimmt. Wie andere Länder gründete auch Deutschland in der Krise einen nationalen Fond zur Stabilisierung des Finanzmarktes und zur Rettung von Banken, was die Staatsverschuldung kurzfristig in die Höhe trieb. Zudem wurden einzelne vom Zusammenbruch bedrohte Banken verstaatlicht. Darüber hinaus legte die Bundesregierung zwar auch ein begrenztes Konjunkturprogramm auf, um die unmittelbaren Folgen des wirtschaftlichen Einbruchs für die deutsche Wirtschaft abzufedern. Anders als die meisten anderen westlichen Staaten begann Deutschland aber bereits während der Krise, das Ansteigen der Staatsverschuldung zu begrenzen. Das wichtigste Instrument dafür war die sogenannte Schuldenbremse, die wir bereits im Frühsommer 2009 in unserer Verfassung verankerten. Dieses Instrument schreibt vor, die jährliche Neuverschuldung bis 2016 auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu beschränken. Im Falle konjunktureller Einbrüche darf der Staat zwar auch weiterhin höhere Schulden machen. Er muss diese neuen Schulden danach durch zusätzliche Einsparungen wieder abtragen. Auch bei relativ moderaten gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten bedeutet dies, dass die relative, am jeweiligen BIP gemessene Gesamtverschuldung stetig sinken würde. Deutschland will damit in absehbarer Zeit auch wieder die im Euro-Stabilitätspakt vorgeschriebene Schuldenobergrenze von 60 Prozent des BIP erreichen. 4 Meine Damen und Herren, die Schuldenkrise im Euro-Raum stellt uns vor weit größere Herausforderung als die Finanzkrise. Die internationale Finanzkrise war zwar ein Auslöser der Schuldenkrise, weil sie die Haushaltsdefizite der Euro-Staaten in die Höhe trieb und damit zunächst zu dem seit Anfang 2010 in Griechenland drohenden Staatsbankrott führte. Doch beruht die Schuldenkrise auf tiefer greifenden Strukturproblemen. Diese Strukturprobleme liegen nicht nur in der Höhe der Staatsschulden in den meisten EU-Staaten begründet, sondern ebenso in den wirtschaftlichen Unterschieden innerhalb des gemeinsamen Währungsraumes als auch in der Konstruktion der Währungsgemeinschaft als solcher. Es ist diese Mehrdimensionalität des Problems, die eine entschiedene Lösung erschwert, weil sie mit sehr unterschiedlichen Interessen innerhalb der EU einher geht. Lassen Sie mich auf diese Punkte jeweils kurz eingehen. Erstens: Die meisten EU-Staaten verzeichnen schon seit Jahrzehnten strukturelle Haushaltsdefizite. Wirtschaftswissenschaftler streiten sich darüber, in welchem Ausmaß schuldenfinanziere Ausgaben sinnvoll sind oder nicht. In der Praxis schränken sie jedoch die Handlungsfähigkeit der Staaten ein; und das zeigt sich besonders in Krisenzeiten. Deutschland gehört zwar zu den finanziell stabilsten Euro-Staaten, die grundsätzlichen Probleme zeigen sich aber auch an unseren Haushalten. Allein die Ausgaben für Zinslasten und Zuschüsse zu den zunehmend defizitären Rentenversicherungen machen inzwischen 40 Prozent des Bundeshaushaltes aus. Dieser Wert hat sich in den letzten Dreißig Jahren mehr als verdoppelt, der Anteil der Investitionsausgaben hat sich dagegen fast halbiert. 5 In erster Linie ist es die Steigerung der Sozialausgaben in den letzten drei Jahrzehnten gewesen, die die Staatsfinanzen strapaziert. In der gegenwärtigen Krise haben einige Länder ihre Belastungsgrenze nur früher erreicht als andere. Angesichts zunehmend alternder Gesellschaften ist dieses Problem aber von kaum einem europäischen Land gelöst worden. Es wird die entscheidende Bewährungsprobe für die europäischen Demokratien sein, die Sozialausgaben künftig auf ein nachhaltig finanzierbares Niveau zu begrenzen. Zweitens: Mit der Währungsunion ist kein einheitlicher Wirtschaftsraum entstanden. Gerade wirtschaftlich schwächere Länder innerhalb des EuroRaumes erlangten damit zwar günstigere Zinsen. Günstigere Zinsen führten aber oft nur zu einer Steigerung der staatlichen wie privaten Verschuldung und damit zu einem konsumgetriebenen Wachstum. Die Folge war, dass die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder nicht stieg, sondern sank – damit stiegen aber ihre Handelsbilanzdefizite. Höhere Wachstumsraten und vergleichsweise höhere Zinsen sorgten aber zugleich dafür, dass Kapital aus wirtschaftlich stärkeren in wirtschaftlich schwächere Länder abfloss. De facto hatten wir also eine Situation, in der deutsche Außenhandelsüberschüsse durch einen Rückfluss von Finanzmitteln in weniger wettbewerbsfähige Länder und deren zunehmende Verschuldung ermöglicht wurde. Zugleich bewirkte der Abfluss von Investitionen, dass es in Deutschland nicht zu einer Stärkung der Inlandsnachfrage kam. Auch dieser Zustand war nicht nachhaltig. In vielen EU-Ländern wäre mit dem Euro eine stärkere Umstellung von einer von relativ hohen Zinsen und Inflation geprägten Wirtschaftspolitik auf eine sehr viel stärker an finanzieller Stabilität orientierte Politik hin erforderlich gewesen. Dass es dazu nicht kam, ist auch auf Fehlkonstruktionen bei der Währungsunion zurückzuführen. 6 Drittens: Die Währungsunion ging nicht mit einer Fiskalunion einher. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik blieb national geprägt. Zwar wurden Stabilitätskriterien für den Euro definiert. Aber diese waren nicht verbindlich genug. Es war auch ein schwerer Fehler, dass sie zuerst ausgerechnet von Deutschland und Frankreich unterlaufen wurden. Der EU fehlten daher nicht nur die Mittel, die Politik der Mitgliedsstaaten aufeinander abzustimmen. Ihre Institutionen waren auch in keiner Weise auf die Bewältigung von Krisen ausgelegt. So kam es, dass wir bei der Bewältigung der Schuldenkrise von Anfang an improvisieren mussten. Wir mussten die Instrumente dazu erst schaffen. Und für alle Maßnahmen musste jeweils erst ein Konsens zwischen allen EU- bzw. Euro-Staaten geschaffen werden. Nach den geltenden Verträgen ist eine Haftung für die Schulden eines Euro-Landes durch andere Euro-Staaten ausgeschlossen. Mit der Krise standen wir aber vor der Situation, dass der mögliche Bankrott eines Mitgliedslandes das Vertrauen in die gemeinsame Währung erschüttern und so auch die Bonität anderer Staaten über deren Leistungsvermögen hinaus beeinträchtigen konnte. Durch das Übergreifen der Krise auf große Länder wie Spanien und Italien aber wäre der Euro als solcher gefährdet. Um das zu verhindern, kam es besonders zu zwei grundlegenden Maßnahmen. Einerseits begann die Europäische Zentralbank, in großem Umfang Staatsanleihen gefährdeter Ländern aufzukaufen. Das war und kann aber nur eine Notmaßnahme sein; denn primäre Aufgabe der Zentralbank ist es, für Geldstabilität zu sorgen, nicht die Haushalte von Mitgliedsstaaten zu finanzieren. Vor allem aber werden dadurch Schuldenrisiken einzelner Länder indirekt auf die gesamte Eurogruppe verteilt, ohne dass die Ursache dieser Risiken bekämpft wird. 7 Deshalb wurde andererseits ein Euro-Rettungsschirm gegründet, der in Not geratenen Staaten vergünstigte Kredite am Finanzmarkt vorbei gewähren kann, wenn diese Staaten im Gegenzug notwendige Sparmaßnahmen und Reformen ergreifen. Anfang 2010 begann die Euro-Krise in Griechenland. Die erste Reaktion der Euro-Staaten bestand darin, Griechenland mit bilateralen Krediten zu helfen, die an die Bedingung eines weitreichenden Spar- und Sanierungsprogramms für den griechischen Haushalt geknüpft wurden. Bereits im Mai 2010 beschloss die Euro-Gruppe dann aber die Einrichtung eines institutionellen Stabilisierungsmechanismus. Das war zunächst der so genannte EFSF als provisorischer Mechanismus, der bis 2013 befristet ist. Mit der Ausweitung der Euro-Krise beschloss die Euro-Gruppe dann die Einrichtung eines dauerhaften Stabilitätsmechanismus, des sogenannten ESM. Diese beide Instrumente vergeben Kredite an Euro-Staaten, die sich an den Finanzmärkten nicht mehr refinanzieren können. Die Gewährung der Mittel ist jedoch an finanzielle und wirtschaftliche Reformen gebunden. Meine Damen und Herren, gerade von Deutschland wurde sowohl aus dem europäischen wie außereuropäischen Ausland immer wieder ein größeres finanzielles Engagement zur Überwindung der Euro-Krise gefordert. Dabei sollten jedoch die Eigeninteressen der betroffenen Länder nicht übersehen werden. So sind die USA schon im Blick auf ihre Handelsbilanz an einer expansiveren Geld- und Ausgabenpolitik der EU interessiert, wie sie sie selbst betreiben, weil die amerikanische Wirtschaft stark vom Konsum getragen wird. Die Banken haben ein Interesse daran, dass eigene Risiken durch die Euro-Staaten gemeinschaftlich absichert werden. 8 Zudem versuchen natürlich auch höher verschuldete Euro-Länder Druck auszuüben, um durch eine Ausweitung der gemeinschaftlichen Garantien für ihre Schulden eigene Belastungen zu reduzieren. So wurde von einzelnen EuroStaaten und von Teilen der deutschen Opposition die Einführung gemeinsamer Anleihen der Euro-Staaten – sogenannte Euro-Bonds - vorgeschlagen, um die Zinslast für die hochverschuldeten Länder zu senken. Die Bundesregierung hat das immer konsequent abgelehnt. Der Grund dafür ist nicht nur, dass eine Mehrheit der Deutschen bereits die schon erfolgten Finanzhilfen an andere Euro-Staaten mit großer Skepsis sieht. Wichtiger ist, dass Eurobonds nur die Symptome, nicht aber die Ursachen der Eurokrise bekämpfen würden. Im Gegenteil: Mit Eurobonds könnten wir zwar kurzfristig den Druck der Finanzmärkte auf hochverschuldete Länder verringern. Doch wir würden damit auch Reformdruck von den hochverschuldeten Ländern nehmen, anstatt die grundlegenden Strukturprobleme zu lösen. Mit anderen Worten: Wir hätten die Krise nur vertagt. Deshalb hat die Bundeskanzlerin sich für einen anderen Weg zur Bewältigung der Schuldenkrise entschieden: Den Ausbau der Währungsunion zu einer wirklichen Fiskalunion. Mittlerweile haben sich alle Mitgliedsstaaten der EuroGruppe und darüber hinaus auch alle anderen EU-Staaten bis auf Großbritannien und Tschechien auf den Abschluss eines Fiskalpakts geeignet. Der Vertrag über den Fiskalpakt wurde im März unterzeichnet. Nach diesem Vertrag sollen alle Euro-Staaten ebenfalls eine Schuldenbremse in ihren nationalen Verfassungen verankern, deren Anwendung von der Europäischen Kommission überwacht wird und der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofes unterliegt. 9 Bei Verstößen gegen die Euro-Stabilitätskriterien sollen künftig automatische Sanktionen erfolgen. Anders als bisher müssten diese nicht mehr erst von einer qualifizierten Mehrheit der Euro-Länder beschlossen werden, sie könnten dann umgekehrt nur noch von einer qualifizierten Mehrheit verhindert werden. Darüber hinaus wird der Fiskalpakt eng mit dem ESM verknüpft. Hilfen aus dem ESM werden nur Staaten erhalten, die den Fiskalpakt ratifiziert haben. Der Fiskalpakt wird in Kraft treten, wenn 12 Mitgliedsstaaten der Euro-Gruppe ihn ratifiziert haben. Das deutsche Parlament hat dem Vertrag am 29. Juni zugestimmt. Flankiert wird der Fiskalpakt durch zwei weitere Maßnahmen. Erstens haben sich die Länder der Euro-Gruppe und einige weitere EU-Staaten im vergangenen Jahr auf den sogenannten Pakt für den Euro verständigt. Dieser Pakt ist zwar kein bindender Vertrag, enthält aber eine Reihe von Zielvorgaben für eine bessere Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit von Ländern innerhalb der EU. Zweitens hat der Europäische Rat Ende Juni beschlossen, den negativen Auswirkung der Sparmaßnahmen innerhalb der EU mit einem Wachstumspakt entgegenzuwirken. Dieser Wachstumspakt soll ein Investitionsprogramm in Höhe von 120 Milliarden Euro umfassen. Meine Damen und Herren, die Euro-Krise hat negative Folgen nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung in der EU. Auch die Entwicklung der Weltwirtschaft wird von der Unsicherheit über die Zukunft des Euro und die wirtschaftliche Schwäche der EU belastet. Das gilt natürlich auch für Zentralasien und gerade für Kasachstan. 10 Auch mit dem Fiskalpakt und dem ESM wird es jedoch keine schnelle Lösung für die Euro-Krise geben. Dafür sind die Ursachen dieser Krise zu tief greifend. Denn unser Problem besteht nicht nur in der Überschuldung einzelner Länder, sondern vor allem im Auseinanderfallen der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den einzelnen Euro-Staaten. Wenn es uns nicht gelingt, diese Unterschiede zu reduzieren, dann wird auch der Euro keinen dauerhaften Bestand haben. Das aber wird ebenso tiefgreifende und damit auch langfristige Reformen erfordern. Mit dem Fiskalpakt und dem ESM haben wir die Instrumente geschaffen, um sowohl die akute Krise bewältigen und ihre grundsätzlichen Ursachen bekämpfen zu können. Für die Euro-Staaten wird es jetzt darauf ankommen, die damit eingeschlagene Strategie konsequent und mit langem Atem weiter zu verfolgen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.