Gerd Harbeck Karl-Heinrich Jaschke Jurgen Kuster Bernd Reimers Gert Starke Boo/escheA/gebra und Computer Ein Informatik-Kurs Vieweg Verlagsredaktion: Bernhard Lewerich, Michael Langfeld ISBN-13: 978-3-528-00801-7 001: 10.1007/978-3-322-84371-5 e-ISBN-13: 978-3-322-84371-5 1972 Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1972 by Friedr. Vieweg + Sohn GmbH, Verlag, Braunschweig Nach dem Urheberrechtsgesetz yom 9. September 1965 ist die Vervielfiiltigung oder tlbertragung urheberrechtlich geschiitzter Werke, also auchder Texte, Illustrationen und Graphiken dieses Buches nicht gestattet. Dieses Verbot erstreckt sich auch auf die Vervie\f"altigung ftir Zwecke der Unterrichtsgestaltung, wenn nicht im Einzelfall die Einwilligung des Verlages vorher eingeholt wurde. Die Einwilligung kann nur gegen Zahlung einer Gebiihr fiir die Nutzung fremden geistigen Eigentums erteilt werden. Als Vervielfiiltigung gelten alle Verfahren einschlieBlich der Fotokopie, der tlbertragung auf Matrizen, der Speicherung auf Biindern, Platten, Transparenten oder anderen Medien. Der VerstoB gegen diese Bestimmung ist nach dem genannten Gesetz strafbar und lost Schadensersatzpflichten aus. Satz: Friedr. Vieweg + Sohn, Braunschweig Buchbinder: W. Langeliiddecke, Braunschweig Umschlaggestaltung: Peter Morys, Wolfenbiittel Vorwort Kaum eine Maschine wird in so unterschied1ichen Bereichen unserer Gesellschaft eingesetzt wie der Computer. Warenhliuser erfassen Wareneingang und -ausgang mit Computern, Banken bedienen sich der elektronischen Oatenverarbeitungsanlage (EOVA) ftir Buchungen, in statistischen Landesiimtern werden Erhebungsbogen maschinell gelesen und ausgewertet, und in Stiidten werden Ampelanlagen von Rechnern so gesteuert, wie es das Verkehrsaufkommen erfordert. Eine besondere Bedeutung nimmt der Computer in Forschung und Technik ein. Die Raumfahrt z.B. ist erst durch den Einsatz von Computern moglich geworden. Moderne Rechner konnen bis zu 10000 000 Additionen in einer Sekunde durchfUhren und eine fast unvorstellbar groSe Menge von Oaten speichern. Oiese Geschwindigkeit der Bearbeitung, diese groSe Speicherfahigkeit und die Exaktheit der Berechnungen erzeugen im Laien leicht das Geflihl, im Computer seien ,,magische Krlifte" am Werk, er sei "unfehlbar" und bedrohe die Entscheidungsfreiheit des Menschen. Yom Computer geht etwas Geheimnisvolles und Faszinierendes, biswellen sogar etwas Furchterregendes aus. Nur derjenige, der Aufbau und Funktionsweise einer Oatenverarbeitungsanlage kennt, weii ihre Leistungsfahigkeit und Anwendungsmoglichkeiten richtig einzuschatzen. Dieses Buch solI eine Hilfe sein, die ersten Grundlagen fUr das Verstandnis des Computers zu erarbeiten. 1m ersten Kapitel werden Aussagenalgebra und Schaltalgebra als Modelle der Booleschen Algebra entwickelt. Anschlie6end wird das Modell eines programmgesteuerten Computers aufgebaut, das die wesentlichen Funktionstelle eines Computers enthiilt und deren Zusammenspiel zeigt. Die Verfasser Sankelmark, im September 1972 Inhaltsverzeichnis 1. Moclelle der Booleschen Algebra 1 1.1. Aussageformen 1 1.2. Logische Verkniipfungen 7 1.3. Erstes Modell: Aussagenalgebra 13 1.4. Zweites Modell: Schaltalgebra 17 1.5. Terme und ihre Verkniipfungen 27 1.6. Gesetze der Booleschen Algebra 36 1.7. Dualitiit der Gesetze 42 1.8. Adjunktive Normalform 47 1.9. Anwendungen 57 2. 64 Aufbau eines einfachen Computers 2.1. Addition von Dualzahlen 64 2.2. Halbaddierer und Volladdierer 67 2.3. Planung eines Serienaddierwerks 71 2.4. Schieberegister 73 2.5. Autbau eines Serienaddierwerks 77 2.6. Steuerung des Rechenablaufs 80 2.7. Steuerung durch Befehle 84 2.8. Programmgesteuerter Rechner 90 Anhang A. Dualzahlen 96 Anhang B. Axiome der Booleschen Algebra 98 1. Modelle der Booleschen Algebra Das DenIcen des Menschen besteht zu einem gro~en Tell darin, Aussagen zu neuen Aussagen zu verknupfen und aus ihnen Schl~folgerungen zu ziehen. Diese Tiitigkeit l~t sich mit geeigneten Schaltungen simulieren, well fUr die Verknupfung von Aussagen und die Zusammensetzung von Schaltungen die gleichen Gesetze gelten. Diese der Aussagenalgebra und der Schaltalgebra gemeinsamen Gesetze bezeichnet man nach dem englischen Logiker G. Boole als Gesetze der Booleschen Algebra. Sie unterscheiden sich wesentlich von den Gesetzen der Algebra der Zahlen. Mit den Gesetzen der Booleschen Algebra und einigen Anwendungen befa~t sich das erste Kapitel dieses Buches. 1.1. Aussageformen In vielen Bereichen des tiiglichen Lebens begegnen uns Aussageformen, ohne d~ wir uns dessen bewu~t werden und diesen Begriff damit in Zusammenhang bringen. Ein Beispiel dafur geben die beiden folgenden Siitze aus einem Fragebogen: "lch hei~e ...................... Ich bin am .......... in , .......... geboren." (Vorname) (Nachname) (Geburtstag) (Geburtsort) In die "Leerstellen" des Fragebogens ist einzutragen, was fUr die einzelne Person zutrifft. In der Mathematik benutzt man Aussageformen wie " ... ist eine Prirnzahl" oder " ... ist eine ungerade Zahl". Die Leerstellen ... geben an, an welcher Stelle des Satzes die Zahlen einzusetzen sind. In der Mathematik bevorzugt man jedoch zur Kennzeichnung solCher Pliitze Buchstaben wie x und y und schreibt ,,x ist eine Prirnzahl" oder "y ist eine ungerade Zahl". In dem Beispiel aus dem Fragebogen ist unter jeder Leerstelle vermerkt worden, was an die bezeichnete Stelle eingetragen werden solI. Fur die Leerstellen x und y gibt man stattdessen die Grundmengen an, deren Elemente an die Stelle von x bzw. y gesetzt werden durfen. Die Kennzeichnung von Leerstellen durch Buchstaben beschriinkt sich nicht auf mathematische Sachverhalte. In dem Satz "t ist eine Siiugetierart" gibt t den Platz an, an den die Namen von Tierarten einzusetzen sind. Die Grundmenge ist die Menge der Tierarten. AIle Zeichen wie ... , x, y, t nennt man Leerstellen, Platzhalter oder Variable. Definition: Eine Variable (Leerstelle, Platzhalter) ist ein Zeichen, das eine Stelle angibt, an der Elemente einer vorgegebenen Grundmenge eingesetzt werden kannen. 1) 1) Fiir nachdenkliche Leser: In einem Satz wie "t ist eine Siiugetierart" !ii1lJt sich fUr die Variable t genau genommen nur der Name einer Tierart einsetzen. Dadurch erhiilt man eine Aussage iiber die Tierart selbst. Bei dem Satz ,,x ist eine Prirnzahl" sagt man einfacher, da1\ fur x eine Zahl und nicht der Name einer Zahl eingesetzt wird. Die Sprechweise ist eine Frage der Unterscheidung zwischen dem Namen eines Objekts und dem Objekt selbst. Diese Unterscheidung ist vielfach von Bedeutung. Da sie fUr unsere Betrachtungen unerheblich ist, werden wir meist die einfachere Sprechweise wiihlen. Ftir den Satz "der Rhein flie6t durch das Bundesland x" solI als Grundmenge die Menge B der Bundeslander der BRD gewiihlt werden. Es ist B ={Baden-Wtirttemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein). Setzt man an die Stelle der Variable x des Satzes "der Rhein flie6t durch das Bundesland x" nacheinander die Namen aller Bundeslander, d.h. aller Elemente der Menge B, ein, so erhiilt man: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) Der Rhein flie6t durch Baden-Wtirttemberg. Der Rhein flie6t durch Bayem. Der Rhein flie6t durch Bremen. Der Rhein flie6t durch Hamburg. Der Rhein flie6t durch Hessen. Der Rhein flie6t durch Niedersachsen. Der Rhein flie6t durch Nordrhein-Westfalen. Der Rhein flie6t durch Rheinland-Pfalz. Der Rhein flie6t durch das Saarland. Der Rhein flie6t durch Schleswig-Holstein. Von diesen zehn Satzen ist der erste, der siebente und der achte Satz wahr, wlihrend die tibrigen Satze falsch sind. Satze, die einen Sachverhalt ausdriicken, der entweder als falsch oder als wahr beurteilt werden kann, bezeichnet man als Aussagen. Die eben genannten Satze sind also Aussagen. Der Begriff "Aussage" solI an den folgenden Beispielen naher erliiutert werden: (1) 2 ist kleiner als 3. (2) 7 ist eine Primzahl. (3) Wann bist Du in Stuttgart? (4) Der Adler ist ein Saugetier. (5) Hamburg ist eine Stadt an der Elbe. (6) Fahre bitte nach K6ln ! Der erste Satz ,,2 ist kleiner als 3" driickt einen Sachverhalt aus, der aufgrund allgemeiner Kenntnisse tiber die natiirlichen Zahlen und ihrer Gr66enbeziehung als zutreffend anzusehen ist. Der Satz ist eine wahre Aussage. Ebenso ist der Satz ,,7 ist eine Primzahl" eine Aussage, die wahr ist. Der vierte Satz gibt einen Sachverhalt wieder, der nicht zutrifft; der Satz ist eine falsche Aussage. Der flinfte Satz stellt wieder eine wahre Aussage dar. Fragen und Befehle wie der dritte und der sechste Satz stellen keine Aussagen dar, da sie weder einen falschen noch einen wahren Sachverhalt zum Ausdruck bringen. "falsch" (f) und "wahr" (w) bezeichnet man als die Wahrheitswerte von Aussagen. Aussagen sind somit Satze, denen man entweder den Wahrheitswert f oder den Wahrheitswert w zuordnen kann. Aussagen stehen in enger Beziehung zu den Satzen, die wie die ersten Beispiele Variable enthalten. Aus dem Satz "der Rhein flie6t durch das Bundesland x" erhiilt man erst eine Aussage, wenn man fur die Variable x den Namen eines Bundeslandes einsetzt. Der Satz • "der Rhein flie6t durch das Bundesland x" selbst ist offenbar keine Aussage. Solche Siitze, die noch eine Variable enthalten, bezeichnet man als Aussageformen. 2 Die Satze ,,x ist eine Prirnzahl'\ "n ist eine ungerade Zahl", "t ist eine Saugetierart" sind Aussagefonnen mit nur einer Variablen. Aussagefonnen konnen aber auch mehrere Variable enthalten. Eine Aussagefonn mit zwei Variablen x und y ist z.B. der Satz ,,x + y = 3". Aus dieser Gleichung erhalt man eine wahre Aussage etwa dadurch, d:& man fur x die Zahl 1 und fur y die Zahl 2 einsetzt. Es mtissen stets beide Variablen durch Zahlen ersetzt werden, urn aus der Aussagefonn ,,x + y = 3" eine Aussage zu erhalten. Man sagt, d:& das Variablenpaar (x ;y) durch ein Zahlenpaar ersetzt werden m~. Das Einsetzen des Zahlenpaares (1; 2) in die Aussagefonn x + y = 3 fiihrt auf die wahre Aussage 1 + 2 = 3. Eine falsche Aussage entsteht, wenn beide Variablen beispielsweise durch die Zahl 2 ersetzt werden, wenn also fur (x; y) das Zahlenpaar (2; 2) eingesetzt wird. Die Grundmenge einer Aussagefonn mit zwei Variablen ist stets eine Menge von Paaren, eine Paannenge. In der Aussagefonn (x +y)2 = x2 + 2xy + y2 treten die beiden Variablen x und y mehrfach auf. In solchen F1illen ist darauf zu achten, daB fUr gleich benannte Variablen stets auch dieselben Zahlen eingesetzt werden. Mit dem Zahlenpaar (3 ; 4) erh1ilt man dann die wahre Aussage (3 + 4)2 = 32 + 2·3·4+ 42. Ein Merkmal fur eine Aussagefonn ist das Vorhandensein einer Variablen. Dadurch aliein ist eine Aussagefonn aber noch nicht volIst1indig gekennzeichnet. Auch der Satz "z1ihle bis n" enthalt eine Variable, fUr die nattirliche Zahlen eingesetzt werden k6nnen. Mit der Zahl 100 erh1ilt man beispielsweise den Satz ,,z1ihle bis 100", der eine Aufforderung, aber keine Aussage ist. Aus einer Aussagefonn m~ aber beirn Einsetzen in die Leerstellen eine Aussage entstehen. Definition: Eine Aussagefonn mit einer Variable ist ein Satz mit der folgenden Eigenschaft: Ersetzt man die Variable durch Elemente der zugehOrigen Grundmenge, so erh1ilt man aus dem Satz eine Aussage. Eine Aussageform mit zwei Variablen ist ein Satz mit der folgenden Eigenschaft: Ersetzt man das Variablenpaar durch Elemente der Grundmenge (paare einer Paarmenge), so erh1ilt man aus dem Satz eine Aussage. Die Def'mition einer Aussagefonn macht deutlich, wie sie fur eine Aussageform mit n Variablen veraligemeinert werden kann. Aussagefonnen sollen mit gro~en Buchstaben unter Angabe der Variablen bezeichnet werden: A(x), B(x, y), .... FUr jede Aussagefonn ist die zugehOrige Grundmenge festzulegen. Setzt man nacheinander alie nattirlichen Zahlen fur die Variable x der Aussageform P(x) ,,x ist eine Prirnzahl" ein, so erh1ilt man fur die Zahlen 2, 3, 5, 7, ... wahre Aussagen. \2,3,5, 7, 11, 13, ... } ist also die Menge alier Zahlen, fur die man aus P(x) eine wahre Aussage erh1ilt. Diese Menge bezeichnet man als Losungsmenge der Aussageform. Definition: Die Losungsmenge A der Aussagefonn A(x) beztiglich der Grundmenge G ist die Menge alier Elemente aus G, fur die die Aussagefonn in eine wahre Aussage tibergeht. Dafur schreibt man kurz: A =\x I A(x)}G. Zur Bestimmung der Losungsmenge einer Aussageform m~ die Grundmenge bekannt sein. W1ihlt man z.B. fUr die Aussageform U(x) ,,x ist eine ungerade Zahl" die Menge der nattir3 lichen Zahlen als Grundmenge, so erhalt man als Losungsmenge die Menge U 1 = (1,3,5, 7, 9, 11, 13, ... J. Mit der Menge P der Prirnzahlen als Grundmenge ergibt sich dagegen die Menge U 2 =(3,5, 7,11,13, ... J, die von U 1 verschieden ist. Die LOsungsmenge einer Aussageform ist stets eine Teilmenge der zugehOrigen Grund. menge. Das laBt sich in einem Mengendiagramm veranschaulichen. Die bekanntesten Mengendiagramme sind das Venn- und das Karnaugh-Diagramm. In beiden Diagrammen wird die Grundmenge G meist durch ein Rechteck dargestellt. 1m Venndiagramm ist die Teilmenge A durch die schraffierte, ovale Flache dargestellt (Bild 1.1.a), im Karnaughdiagramm wird die Teilmenge A durch ein quadratisches "Feld" veranschaulicht (Bild 1.1.b). A(x) al b) Bild 1.1 1m Venn- und im Karnaugh-Diagramm wird die Teilmenge A durch eine schraffierte FHiche veranschaulicht. ~ Bild 1.2 Das Karnaugh-Diagramm fUr die Aussageform A(x) zeigt den Bereich, in dem man fiir A (x) wahre Aussaged erhiilt. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen einer Aussageform und ihrer Losungsmenge kann man auch den Aussageformen Diagramme zuordnen. Bild 1.2 zeigt das KarnaughDiagramm fUr eine Aussageform A(x). Das Diagramm sagt folgendes aus: Filr· alIe Elemente, die sich im schraffierten, mit A(x) bezeichneten Feld des Diagramms befmden, ergibt die Aussageform eine wahre Aussage. Diesen Sachverhalt solI der Buchstabe w in dem Feld noch hervorheben. In Bild 1.1 tritt auEer der schraffierten Teilflache eine nicht-schraffierte Flache auf. Dieses Flachensttick veranschaulicht die Menge alIer Elemente aus der Grundmenge G, die nicht zur Menge A gehOren. Diese Menge he~t "Komplementmenge" zu A bezilglich der Grundmenge G; sie wird mit A bezeichnet und durch die Gleichung A = (xix ($: A}G defmiert. Auch im Karnaugh-Diagramm fUr die Aussageform A(x) bleibt ein Feld unschraffiert (Bild 1.2). Es solI am Beispiel der Menge A =(x I der Rhein flie~t durch das Bundesland XJB mit der Grundmenge B alIer Bundesllinder der BRD gezeigt werden, welche Aussageform durch das Feld veranschaulicht wird und damit die Komplementmenge A als Losungsmenge besitzt. Die Menge A = (Baden-Wilrttemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz J hat als Komplementmenge A= {Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Saarland, Schleswig-Holstein J. Die Aussageform, die die Komplementmenge A als Losungsmenge besitzt, ist "der Rhein flie~t nicht durch das Bundesland x". Diese Aussageform, die mit A(x) bezeichnet werden solI, ist die Verneinung oder dasNegat der Aussageform A(x) "der Rhein flieBt durch das Bundesland x". Das Negat der Aussageform P(x) ,,x ist eine Prirnzahl" ist P(x) ,,x ist keine Prirnzahl". Wie die weiteren Beispiele zeigen, muE man bei der Formulierung des Negats von Aussageformen und Aussagen etwas vorsichtig sein. 4 FUr die Aussageform U(x) ,,x ist eine ungerade Zahl" ergibt sich das Negat U(x) ,,x ist eine gerade Zahl" nur dann, wenn man sich auf die Menge der ganzen Zahlen als Grundmenge beschrlinkt. Wahlt man als Grundmenge die Menge en der rationalen Zahlen, dann sind die Aussageformen ,,x ist eine gerade Zahl" und ,,x ist keine ungerade Zahl" nicht mehr gleichwertig. Fur die Zahl ~ erhiilt man aus der ersten Aussageform eine falsche Aussage, wahrend die Aussage ,,~ ist keine ungerade Zahl" den Wahrheitswert wahr besitzt. Das Negat der Aussage "das Wasser ist kalt" kann nicht he~en "das Wasser ist lauwarm" oder "das Wasser ist warm". Es gibt niimlich viele Moglichkeiten, die Temperatur des Wassers zu beschreiben: eiskalt, kalt, lauwarm, warm, he~, siedend he~. Das Negat lautet "das Wasser ist nicht kalt". Ahnlich liegt der Fall bei Aussagen wie ,,Klaus ist alter als 15 Jahre". Das Negat "Klaus ist nicht alter als 15 Jahre" l~t es zu, d~ Klaus 15 Jahre alt oder jiinger ist. Die Beispiele machen deutlich, wie wichtig es ist, das Negat einer Aussageform sorgfaltig zu defmieren. Dazu sollen vorbereitend die beiden Aussageformen A(x) "der Rhein flie6t durch das Bundesland x" und A(x) "der Rhein flie6t nicht durch das Bundesland x" betrachtet werden. In Tabelle 1.1 werden die Wahrheitswerte der Aussagen, die sich aus den Aussageformen ergeben, bestimmt. TabeUe 1.1 Elemente der G rundmenge Wahrheitswert der Aussage, die sich ergibt aus der Aussageform A(x): "der Rhein flie1.\t nicht A(x): "der Rhein flie1.\t durch das Bundesland x" durch das Bundesland x" Bayem Baden-Wiirttemberg Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein falsch wahr falsch falsch falsch falsch wahr wahr falsch fa1sch wahr falsch wahr wahr wahr wahr falsch falsch wahr wahr Unabhangig davon, welches Bundesland fur die Variable x der beiden Aussageformen A(x) und A(x) eingesetzt wird, erhaIt man stets Aussagen mit "entgegengesetzten" Wahrheitswerten. Diese Tatsache kann dazu ausgenutzt werden, die Tabelle wesentlich zu verktlrzen. TabeUe 1.2 Wahrheitswert der Aussage fUr die Aussageform A(x) A(x) falsch wahr wahr falsch 5 Dailt sich aus einer Aussageform A(x) und ihrem Negat A(x) stets Aussagen mit entgegengesetzten Wahrheitswerten ergeben, ist offenbar eine charakteristische Eigenschaft des Negats einer Aussageform. Auf das Element der Grundmenge, durch das die Variable jeweils ersetzt wird, und die entstehende Einzelaussage kommt es dabei nicht mehr an. Entscheidend ist allein die Beziehung zwischen den Wahrheitswerten. Definition: Das Negat einer Aussageform hat folgende Eigenschaften: 1. Das Negat einer Aussageform ist wieder eine Aussageform. 2. Dem Negat A(x) wird der Wahrheitswert f zugeordnet, wenn A(x) den Wahrheitswert w erhalt, und der Wahrheitswert w, wenn A(x) den Wahrheitswert f erhlilt. Diese Definition ergibt die in der nebenstehenden Tabelle angegebene Wahrheitstafel der Negation. TabeUe 1.3 A(x) f w A(x) w f Mit jeder Aussageform l~t sich auch ihr Negat in einem Diagramm veranschaulichen. In Bild 1.3 sind die Karnaugh-Diagramme fur die beiden Falle gezeichnet, dailt A(x) wahr und A(x) falsch und dailt A(x) falsch und A(x) wahr sind. A(x) A(x) A(x) ~~ b) A{x) Bild 1.3 1st fUr eine Ersetzung der Variable die Aussageform A(x) wahr, also ihr Negat A(x)falsch, so ergibt sich das Karnaugh-Diagramm (a). Das Karnaugh-Diagramm (b) beschreibt den Fall, da1.\ bei einer Ersetzung A(x) falsch und A(x) wahr wird. Man nennt (a) das Karnaugh-Diagramm zu der Aussageform A(x), (b) das Karnaugh-Diagramm zu der Aussageform A(x). Aufgabe 1.1: Bestimmen Sie fUr die Aussageformen mit einer Variablen geeignete Grundmengen: (a) x + 4 12, (b) x 2 = 2, < (c) xEN, (d) 3 EX. Aufgabe 1.2: Bestimmen Sie fUr die Aussageformen mit zwei Variablen geeignete Grundmengen: (a) a teilt b, gist senkrecht zu h, (b) (c) x ist parallel zu y, (d) (l+x)n~l+n·x. Aufgabe 1.3: Bestimmen Sie die Losungsmengen zu folgenden Aussageformen und deren Negaten: (a) x 2 - 6x + 8 0, (b) (x + 4)(x + 7) =x 2 + lOx + 28, (c) x 2 -4 <Sx + 2. > Als Grundmenge G wiihle man 1. G 1 ={ 1, 2, 3, 4} und 2. G 2 6 ={ 0,1,2,3,4,5 } . Aufgabe 1.4: Geben Sie fUr die folgenden Aussagen die Negate an: Der Berg ist hoch. Das Messer ist scharf. Der Ball ist griin. 14 ist eine Prirnzahl Jede ganze Zahl ist positiv. AIle Tiere, die fliegen konnen, sind VogeL AIle Wege flihren nach Rom. Es gibt Pflanzen, die Fleisch fressen. 1.2. Logische Verkniipfungen 1m Abschnitt 1.1 wurde gezeigt, d~ durch Negation aus einer gegebenen Aussageform eine neue Aussageform entsteht. In diesem Abschnitt sollen nun die beiden wichtigsten VerknUpfungen behandelt werden, mit denen man zwei Aussageformen zu einer neuen Aussageform verknUpfen kann: die UND-VerknUpfung und die ODER-VerknUpfung. Wie man aus zwei Aussageformen eine neue Aussageform erhalten kann, solI zunachst an zwei Beispielen gezeigt werden. FUr die Aussageformen AI (x) ,,x - 2 =0" und BI (x) ,,x - 4 =0" sei die Grundmenge die Menge der ganzen Zahlen. Den beiden Aussageformen kann die Aussageform C I (x) ,,(x - 2) (x - 4) = 0" zugeordnet werden. Ein Satz der Mathematik gibt an, welche Zahlen fur x einzusetzen sind, damit man aus C I (x) eine wahre Aussage erhlilt: Ein Produkt aus zwei Faktoren ist genau dann gleich Null, wenn der erste oder der zweite Faktor gleich Null ist. FUr das Beispiel bedeutet das: ,,(x - 2) (x - 4) = 0" ist genau dann wahr, wenn ,,(x - 2) = 0 oder (x - 4) = 0" wahr ist. Deshalb kann die Aussageform C I (x) als das Ergebnis der ODER-Verkniipfung der Aussageformen AI (x) und BI (x) aufgefa1.\t werden. Die Variable x der Aussageformen A2(X) ,,x istein Rechteck" und B2(x) ,,x ist ein Rhombus" sei aus der Grundmenge der Vierecke zu nehmen. Den beiden Aussageformen la~t sich die Aussageform C2(x) ,,x ist ein Quadrat" zuordnen. Das Quadrat ist ein Viereck, das zugleich ein Rechteck und ein1UlOmbus ist. FUr ein Viereck ergibt die Aussageform C2(x) ,,x ist ein Quadrat" genau dann eine wahre Aussage, wenn aus "A2(X) und B2(X)" wahre Aussagen entstehen. Damit kann C2(x) als das Ergebnis der UND-Verkniip!ung der Aussageformen A2(X) und B2(x) aufgef~t werden. 1m folgenden sollen die beiden genannten logischen VerknUpfungen allgemein defmiert werden. Wir begirmen mit der UND-Verkniipfung oder Konjunktion und untersuchen zunachst ein einfaches Beispiel. Als Aussageformen wahlen wir A(x) ,,x liegt in Europa" und B(x) ,,x gehOrt der NATO an". FUr beide Aussageformen sei die Grundmenge die Menge der Staaten der Erde. Aus den Aussageformen A(x) und B(x) setzt man mit Hilfe des Wortes "und" die Aussageform A(x) und B(x) ,,x liegt in Europa und gehort der NATO an" zusarnmen. Die Aussageform kann auch durch folgenden Satz ausgedriickt werden: ,,x ist ein europaischer NATOStaat". Die Wahrheitswerte der Aussagen, die sich aus dieser Aussageform ergeben, werden in Tabelle 1.4 ermittelt. 7 TabeHe 1.4 Wahrheitswerte fUr die Aussagen der Aussageformen A(x) und B(x) "x ist ein B(x) "x gehOrt A(x) "x Iiegt europaiseher NATO-Staat" in Europa" der NATO an" Staat Argentinien Australien Kanada USA Osterreieh Sehweiz Belgien Danemark falseh falseh falseh falseh wahr wahr wahr wahr falseh falseh wahr wahr falseh falsch wahr wahr falseh falseh falseh falseh falseh falseh wahr wahr Setzt man ftir x die Namen der Staaten Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Diinemark 8 oder Norwegen ein, so ergeben sich ftir die zusammengesetzte Aussageform "A (x) und B (x)" wahre Aussagen. FUr diese Staaten sind auch die Aussagen wahr, die beim Einsetzen in die Aussageformen A{x) und B{x) entstehen. Aus der Aussageform "A{x) und B(x)"entstehen wahre Aussagen genau dann, wenn auch die Aussagen fiir A(x) und B{x) beide wahr sind. Dieser Sachverhalt ist unabhiingig yom einzelnen Element der Grundmenge, das fiir x eingesetzt wird. Deshalb kann die Tabelle vereinfacht werden, indem man sich auf die Angabe der Wahrheitswerte beschrlinkt. Werden bei irgendeiner Ersetzung die Aussageformen A (x) und B (x) beide zu falschen Aussagen, so wird das VerknUpfungsergebnis "A(x) und B(x)" ebenfalls zu einer falschen Aussage. Anders ausgedrlickt: Wird den Aussageformen A(x) und B(x) je der Wahrheitswert f zugeordnet, so muB dem VerknUpfungsergebnis "A (x) und B(x)" ebenso der Wahrheitswert f zugeordnet werden. Dieser Sachverhalt wird durch die erste Zelle von Tabelle 1.5 beschrieben. Entsprechend werden die anderen Zeilen gedeutet. TabeHe I.S A(x) ,,x Iiegt in Europa" falseh falsch wahr wahr B(x) "x gehOrt der NATO an" falseh wahr falseh wahr A(x) und B(x) "x ist ein europaiseher NATO-Staat" falseh falseh falseh wahr Ausgehend von diesem Beispiel soIl das Konjunkt, das Ergebnis der Konjunktion zweier Aussageformen, defmiert werden. FUr die Konjunktion verwendet man das Zeichen A (gelesen: und bzw. et). Definition: Das Konjunkt A{x) 1\ B{x) zweier Aussageformen A{x) und B{x) ist durch folgende Eigenschaften definiert: 1. Das Konjunkt zweier Aussageformen ist wieder eine Aussageform. 2. Das Konjunkt A(x) A B{x) erhlilt den Wahrheitswert w, wenn beiden Aussageformen A(x) und B{x) der Wahrheitswert w zugeordnet wird. In allen anderen Flillen erhlilt das Konjunkt den Wahrheitswert f. 8 Diese Defmition ergibt die in Tabelle 1.6 angegebene Wahrheitstafel der Konjunktion. TabeUe 1.6 A(x) f f w w B(x) f A(x) /\B(x) f f f f w w w Bei der Aufstellung einer Wahrheitstafel ist darauf zu achten, d~ alle mOglichen Kombinationen von Wahrheitswerten beriicksichtigt werden. D~ es auBer den vier in der Wahrheitstafel enthaltenen FaIle keine weiteren gibt, kann man sich mit Hilfe eines Baumdiagramms Ubedegen (Bild 1.4). Zwei Wahrheitswerte konnen der ersten Aussageform zugeordnet werden. Diese beiden MOglichkeiten werden im Baumdiagramm durch zwei Aste angedeutet. Ein nach oben gerichteter Ast gibt an, d~ der Aussageform der Wahrheitswert f, ein nach unten gerichteter Ast gibt an, d~ ihr der Wahrheitswert w zugeordnet wird. Bei jeder der beiden Moglichkeiten konnen auch der zweiten Aussageform zwei Wahrheitswerte zugeordnet werden. Das wird entsprechend durch die Verzweigung injeweils zwei weitere Aste veranschaulicht. In Bild 1.4 ist am Ende eines jeden Astes die zugehorige Wahrheitswertkombination aufgeschrieben. Sie ergibt sich, wenn man die Wege yom Startpunkt zu ihren Endpunkten verfolgt. Von oben nach unten gelesen, erhiilt man die Reihenfolge der Wahrheitswertkombinationen, die bereits in der Wahrheitstafel der Konjunktion verwendet worden ist. l.Aussageform 2.Aussageform rtf fw wf Bild 1.4 Das Baumdiagramm gibt eine feste Reihenfolge flir die Wertekombinationen an und siehert zugleieh die Vollzlihligkeit. ww Aus dem Konjunkt A(x) /\ B(x) entsteht genau dann eine wahre Aussage, wenn man sowohl aus A(x) als auch aus B(x) eine wahre Aussage erhiilt. Das Element, das fUr die Variable x der Aussageformen gesetzt wird, gehort also zu der Losungsmenge A der Aussageform A(x) und zu der Losungsmenge B der Aussageform B(x), also zu deren Schnittmenge A () B. Damit stellt sich heraus: Die Losungsmenge des Konjunkts A(x) /\ B(x) zweier Aussageformen A(x) und B(x) ist die Schnittmenge A () B der zugehOrigen Losungsmengen A und B; es gilt (x I A(x) /\ B(x)tG = A () B. Der Zusammenhang zwischen der Schnittmenge und dem Konjunkt zweier Aussageformen kann dazu genutzt werden, auch das Konjunkt zweier Aussageformen durch Diagramme zu veranschaulichen. Bild 1.5 zeigt das Venn- und das Karnaugh-Diagramm der Schnitt- 9 menge A n B. Fiir das Kamaugh-Diagramm, das in dieser Darstellung das wichtigste Arbeitsmittel ist, treffen wir hinsichtlich der Lage der FUichen fur die einzelnen Mengen die folgende Vereinbarung: Die Menge A wird durch die rechte Hlilfte und die Menge B durch die untere Hlilfte der Grundflache dargestellt. Die Grundflache wird so gewiihlt, daB die vier entstehenden Felder quadratisch sind. 00 ITill B AnB A A [JB~B~ B A Bild 1.5 Die Sehnittmenge A ,.., B wird dureh das Flaehenstiiek des Venndiagramms dargestellt, das zu beiden Teilflaehen gehort. Bild 1.6 Karnaugh-Diagramm der Sehnittmenge A n B AnB Das Kamaugh-Diagramm fur das Konjunkt A(x) 1\ B(x) zeigt Bild 1.6. In diesem Diagramm sind zusatzlich noch die Wahrheitswerte eingetragen worden, die den Aussageformen A(x) und B(x) in den verschiedenen Feldern zugeordnet werden. Z.B. wird im unteren linken Feld, das mit fw bezeichnet ist, der Aussageform A(x) der Wahrheitswert fund der Aussage form B(x) der Wahrheitswert w zugeordnet. 1m unteren rechten Feld, das mit der Wertekombination ww bezeichnet ist, erhalt auch das Konjunkt A(x) 1\ B(x) den Wahrheitswert w. Auch das Karnaugh-Diagramm von Bild 1.7 soIl ein Konjunkt zweier Aussageformen darste11en. 1m linken unteren Feld, also genau fur die Wertekombination fw, erhlilt die untenstehende Aussageform den Wahrheitswert w. Das bedeutet: Der ersten Aussageform wird in der linken Halfte und der zweiten Aussageform in der unteren Hlilfte der Wahrheitswert w zugeordnet. Das Konjunkt wird also aus den Aussageformen A(x) und B(x) gebildet. A(x) ~ B(X)~ Bild 1.7 1m Karnaugh-Diagramm flir das Konjunkt A (x) 1\ B (x) erseheint das untere reehte Feld sehraffiert. A(x) B{"~ Bild 1.8 Das Karnaugh-Diagramm ffir das Konjunkt A (x)nB (x) Wie bei der Konjunktion soIl auch die Definition der ODER-Verknupfung oder Adjunktion durch ein einfaches Beispiel vorbereitet werden. Fur die Adjunktion verwendet man das Zeichen V(gelesen: oder bzw. vel). Auf der Grundmenge G = (1,2,3, ... , 7,8) betrachten wir die Aussageformen P(x) ,,x ist eine Prirnzahl" und U(x) ,,x ist eine ungerade Zahl". Das Adjunkt, das Ergebnis der Adjunktion der beiden Aussageformen, ist die Aussageform P(x) V U(x) ,,x ist eine Primzahl oder eine ungerade Zahl". In Tabe11e 1.7 werden die Wahrheitswerte der Aussagen, die sich aus den Aussageformen ergeben, ermittelt. 10 Tabelle 1.7 Element vonG 1 2 3 4 5 Wahrheitswert der Aussage fUr die Aussageform P(x) ,oX ist eine U(x) ,oX ist eine P(x) V U(x) ,oX ist eine Prirnzahl Prirnzahl" ungerade Zahl" oder eine ungerade Zahl" fa1sch wahr wahr falseh wahr falsch wahr falsch 6 7 8 wahr falsch wahr fa1sch wahr falseh wahr falsch wahr wahr wahr falseh wahr fa1sch wahr falsch Zunachst vereinfachen wir die Tabelle, indem wir gleichartige Zeilen, in denen den AU8sageformen jeweils dieselben Wahrheitswerte zugeordnet werden, zusammenfassen (Tabelle 1.8). TabeHe 1.8 Zahl P(x) U(x) P(x) VU(x) 4,6,8 1 falseh falseh wahr wahr falseh wahr falsch wahr falseh wahr wahr wahr 2 3,5,7 Innerhalb einer Zeile ist es gleichgiiltig, welche Zahl der Grundmenge fur die Variable x eingesetzt wird. Die Kenntnis der Wahrheitswerte, die den Aussageformen P(x) und U(x) zugeordnet werden, geniigt zur Bestimmung des Wahrheitswerts fur das Adjunkt P(x) V U(x): Dem Adjunkt wird der Wahrheitswert w zugeordnet, wenn der Aussageform P(x) oder der Aussageform U(x) der Wahrheitswert w zugeordnet wird. Definition: Das Adjunkt A(x) V B(x) zweier Aussageformen A(x) und B(x) ist durch folgende Eigenschaften defmiert : 1. Das Adjunkt zweier Aussageformen ist wieder eine Aussageform. 2. Das Adjunkt A(x) V B(x) erhiilt den Wahrheitswert f, wenn beiden Aussageformen A(x) und B(x) der Wahrheitswert f zugeordnet wird. In allen anderen Fallen erhaIt das Adjunkt den Wahrheitswert w. Tabe1le 1.9 Diese Defmition ergibt die in der nebenstehenden Tabelle angegebene Wahrheitstafel der Adjunktion. A(x) B(x) A(x) VB(x) f f w w f w f w f w w w 11 Die ODER-Verkniipfung hat eine Besonderheit, die in der Umgangssprache nieht immer deutlieh in Erscheinung tritt. In dem genannten Beispiel hat die Aussage ,,3 ist eine Primzahl oder eine ungerade Zahl" den Wahrheitswert w. Beide Teilaussagen sind wahr. Das so verwendete ODER wird als das einschlie~ende ODER bezeiehnet. Anders als im einschlie~enden Sinn wird das ODER in der folgenden Aussageform benutzt: ,,x ist eine gerade oder eine ungerade Zahl". In diesem Satz solI zum Ausdruek gebraeht werden, d~ eine Zahl der Grundmenge nieht zugleieh gerade und ungerade sein kann. Das gleiehseitige Zutreffen beider Eigensehaften ist ausgeschlossen. Das so verwendete ODER wird als ausschlie~endes ODER bezeiehnet. Es wird deutlieher als ENTWEDER-ODER ausgesproehen: ,,x ist entweder eine gerade oder eine ungerade Zahl". Aus dem Adjunkt A(x) V B(x) entsteht genau dann eine wahre Aussage, wenn man aus A(x) oder aus B(x) eine wahre Aussage erhiilt. Das Element, das dabei fur die Variable x eingesetzt wird, gehort zu der LOsungsmenge A der Aussageform A(x) oder zu der Losungsmenge B der Aussageform B(x), also zur Vereinigungsmenge A U B. Ergibt sieh aus dem Adjunkt A(x) V B(x) fur ein Element eine falsche Aussage, dann gehOrt es nieht zu A U B. Daher gilt: Die Losungsmenge des Adjunkts zweier Aussageformen A(x) und B(x) ist die Vereinigungsmenge der zugehorigen Losungsmengen A und B: (x I A(x) V B(x)}G =A U B . Bild 1.8 zeigt das Venn- und das Karnaugh-Diagramm fur die Vereinigungsmenge A U B und das Karnaugh-Diagramm fUr das Adjunkt A(x) V B(x). A(xl ~ B(Xlm Bild 1.9 Venn- und Karnaugh-Diagramm fUr die VeIeinigungsmenge Au B Bild 1.10 Karnaugh-Diagramm fiir das Adjunkt A (x) v B (x) der AussagefoImen A (x) und B (x) Beim Karnaugh-Diagramm fUr das Adjunkt A(x) V B(x) erscheint eine aus drei Feldem bestehende Fliiehe sehraffiert. Es sind die Felder mit den Wertekombinationen fw, wf und WW, weil bei diesen dem Adjunkt der Wahrheitswert w zugeordnet wird. Bei der Untersuehung des Negats A(x), des Konjunkts A(x) 1\ B(x) und des Adjunkts A(x) V B(x) wurde deutlieh, d~ die diesen Aussageformen zugeordneten Wahrheitswerte allein von denen fur A(x) und B(x) abhiingen. Deshalb war es moglieh, sieh bei allen Wahrheitstafeln auf die Angabe der Wahrheitswerte fund w zu beschriinken. In den niiehsten Abschnitten wird gezeigt, d~ mit die sen Wahrheitswerten "gereehnet" werden kann. Aufgabe 1.5: Bestimmen Sie die LQsungsmengen zu folgenden Aussageformen: (a) (b) (c) (d) 6x + l5y = 54/\ lOx - 9y = - 35, 4x + 2y = 6/\ 2x + y = 3, y = x2 + x 1\ y = x + 1, y =x 2 + x 1\ y =x - 1. Die Grundmenge fijI die Aussageformen sei die Menge von Paaren rationaler Zahlen. 12 Aufgabe 1.6: Vergleichen Sie die Losungsmengen folgender Aussageformen: (a) x ist Teller von 121\. x ist Teller von 18, (b) x ist Teller vom grofoten gemeinsamen Teller der Zahlen 12 und 18 (ggT (12, 18», (c) x ist Teller von 12 Vx ist Teller von 18, (d) x ist Teller vom kleinsten gemeinsamen Vielfachen kgV (12, 18). n n Aufgabe 1.7: A B ist die LOsungsmenge der Aussageform A(x) B(x) "x ist ein Element der Grundmenge, das zu A und nicht zu B gehort". Formulieren Sie ebenso die Aussageformen fur die Mengen An B, An B, A n B, A U B, A U B, A U B und A n B. Aufgabe 1.8: Zeichnen Sie fur jede der in Aufgabe 1.7 formulierten Aussageformen ein KarnaughDiagramm. Welche Aussageformen haben gleiche Karnaugh-Diagramme ? Aufgabe 1.9: Man gebe fUr die folgenden Aussageformen die Negate an. Die Grundmengen sind in Klammern angegeben. (a) (b) (c) (d) (e) x >1 x < - 1 Vx > 1 (IR), (IR), (IR), x>-ll\.x<l g und h sind parallel (Menge der Geraden einer Ebene), g und h sind parallel (Menge der Geraden im Raum). Bemerkung: 1m Fall (d) gibt es fUr das N egat eine Formulierung, die sich auf (e) nicht iibertragen lafot. Aufgabe 1.10: Welche Wahrheitstafel hat die VerkniipfungWEDER-NDCH? Das Verkniipfungsergebnis werde mit WEDER A(x) NDCH B(x) bezeichnet. Benutzen Sie als Beispiel "x ist weder eine Primzahl noch eine ungerade Zahl", und bestimmen Sie fUr verschiedene Zahlen den Wahrheitswert der entstehenden Aussage. Aufgabe 1.11: Ermitteln Sie wie in Aufgabe 1.10 die Wahrheitstafel fUr die Verkniipfung ENTWEDERDDER. Das Verkniipfungsergebnis werde mit ENTWEDER A(x) DDER B(x) angegeben. 1st das Verkniipfungsergebnis ENTWEDER A(x) DDER B(x) das Negat von WEDER A(x) NDCH B(x)? Aufgabe 1.12: Bei der logischen Verkniipfung "Subjunktion" hat das Verkniipfungsergebnis A(x) """* B(x) (gelesen: wenn A(x), dann B(x» dieselbe Wahrheitstafel wie A(x) VB(x). (a) Es sei IN die Grundmenge fUr die Variable x. Fiir welche Zahlen ergeben sich aus A(x) """* B(x) "wenn x durch 3 teilbar ist, dann ist x durch 6 teilbar" falsche bzw. wahre Aussagen? Untersuchen Sie ebenso B(x) """* A(x) "wenn x durch 6 teilbar ist, dann ist x durch 3 tellbar". (b) Zeigen Sie, dafo B(x)"""* A(x) dieselbe Wahrheitstafel wie A(x) """* B(x) hat. (c) Zeigen Sie, dafo A(x)"""* B(x) nicht dieselbe Wahrheitstafel wie A(x) """* B(x) hat. (d) Zeichnen Sie fUr A(x) """* B(x) und B(x) """* A(x) je ein Karnaugh-Diagramm und vergleichen Sie. Aufgabe 1.13: Wie in Aufgabe 1.12 lafot sich jede Verkniipfung von zwei Aussageformen durch eine Wahrheitstafel festlegen. Wie viele verschiedene Verkniipfungen gibt es? Geben Sie fUr jede Verkniipfung die Wahrheitstafel an und entscheiden Sie, welche von diesen Ihnen schon bekannt sind. 1.3. Erstes Modell: Aussagenalgebra Aus den Defmitionen fUr die Negation einerAussagefonn und den Verkniipfungsergebnissen bei Konjunktion und Adjunktion geht hervor, daB es auf die Aussagefonn und die jeweilige Ersetzung der Variablen nicht ankommt. Der Wahrheitswert des Ergebnisses ist allein von den Wahrheitswerten der Aussagen abhiingig, die aus den zu verkniipfenden Aussagefonnen entstehen. Deshalb kann man bei der Behandlung der Negation, Konjunktion und Adjunktion auf Aussagefonnen ganz verzichten. Es werden nur noch die Wahrheitswerte fund w betrachtet. 2 Informatik-Kurs 13 Wir defmieren iiber der Menge{f, w) eine Algebra, deren Verkniipfungen den Verkniipfungen der Aussagefonnen entsprechen sollen. Die Verkniipfungen fUr die Wahrheitswerte fund w sollen auchjetzt Konjunktion und Adjunktion genannt und mit den Zeichen I\. und V geschrieben werden. Die Verwendung der gleichen Werte und Zeichen darf nicht dazu verleiten, die Verkniipfungen fur die Aussagefonnen mit denen fur die Wahrheitswerte gleichzusetzen. 1m ersten Fall sind die Elemente Aussagefonnen und die Verkniipfungsergebnisse wieder Aussagefonnen. In der Aussagenalgebra sind die Elemente Wahrheitswerte, und die Verkniipfungen von Wahrheitswerten ergeben wieder Wahrheitswerte. Da fUr die Negation einer Aussagefonn die Tabelle 1.10 gilt, legen wir fUr die Negation eines Wahrheitswertes fest: TabeUe 1.10 A(x) A(x) f w w f T=w w=f Entsprechend entnimmt man der Verkniipfungstafel fUr das Konjunkt zweier Aussagefonnen die Gleichungen fur das Konjunkt zweier Wahrheitswerte: TabeUe 1.11 A(x) I\. B(x) A(x) B(x) f f f w w f f f f w w w fl\.f=f f I\.w=f wl\.f =f wl\.w=w Fiir das Adjunkt zweier Wahrheitswerte stellt man die Gleichungen nach der Tabelle 1.12 fUr das Adjunkt zweier Aussagefonnen auf: TabeUe 1.12 B(x) f f f f w w w f w w w w A(x) VB(x) A(x) f Vf = f f Vw=w wVf=w wVw=w Eine wesentliche gemeinsame Eigenschaft der Konjunktion und Adjunktion von Wahrheitswerten kann schon jetzt festgestellt werden: Das Konjunkt und das Adjunkt zweier Wahrheitswerte ist stets wieder ein Wahrheitswert. Man sagt: Die Menge If, w ) ist beztiglich der Verkniipfungen I\. und V abgeschlossen. Die Menge{f, w) mit den Verkniipfungen I\. und Vund der Negation bezeichnet man als Aussagena/gebra. Als Variable fUr die Elemente fund w der Aussagenalgebra verwendet 14 man kleine Buchstaben a, b, c, ... , x, y, z. Die Buchstaben fund w sind dabei ausgenommen, da sie die Elemente der Menge der Wahrheitswerte bezeichnen. Definition: Die Aussagenalgebra ist die Menge der Wahrheitswerte { f, w } mit den zwei Verknlipfungen Konjunktionl\und Adjunktion Vund der Negation, die wie folgt festgelegt sind: 1. Die Konjunktion zweier Wahrheitswerte wird durch die Verknlipfungstafel (fabelle 1.13) defmiert. 2. Die Adjunktion zweier Wahrheitswerte wird durch die Verknlipfungstafel (fabelle 1.14) defmiert. 3. Die Negation eines Wahrheitswerts wird durch die Zuordnungstafel (fabelle 1.15) defmiert. TabeUe 1.13 Tabelle 1.14 [ffiJ TabeUe 1.15 a b al\b a b aVb f f w w f w f w f f f w f f w w f w f w f w w w a f w w f Den Verknlipfungstafeln entnimmt man: (1) Das Konjunkt a 1\ b ist genau dann w, wenn a = w und b = w gilt. (2) Das Adjunkt a V b ist genau dann gleich f, wenn a = fund b = f gilt. Nach der Defmition der Negation haben eine Wahrheitswertvariable und ihr Negat stets "entgegengesetzte" Wahrheitswerte. 1m Abschnitt 1.1 sind fUr das Negat einer Aussageforrn, im Abschnitt 1.2 fUr das Konjunkt und das Adjunkt zweier Aussageforrnen Karnaugh-Diagramme entwickelt worden. Diese Diagramme lassen sich einfach auf das Negat a der Wahrheitswertvariablen a sowie auf das Konjunkt a 1\ b und das Adjunkt a V b zweier Wahrheitswertvariablen a und b libertragen. Bild 1.11 zeigt, wie die Wahrheitswerte in einem Karnaugh-Diagramm fUr zwei Variable stets verteilt sein sollen. Fiir die Variable a wird der Wahrheitswert w in den rechten Feldern und der Wahrheitswert f in den linken Feldern eingetragen. Flir b steht der Wahrheitswert winder unteren Hiilfte und der Wahrheitswert fin der oberen HaIfte des KarnaughDiagramms. Das gilt fUr alle Karnaugh-Diagramme, die wir bier verwenden werden. Zur Darstellung von Wahrheitswertvariablen, ihren Negaten, Konjunkten und Adjunkten mit Hilfe von Karnaugh-Diagrammen werden dann alle diejenigen Felder schraffiert, in denen sich bei der festgelegten Verteilung der Wahrheitswert w ergibt. a Bild 1.11 Aufbau des Karnaugh-Diagramms. Jedem Feld wird eine Wertekombination zugeordnet. a bEE] bEE] 15 Die Karnaugh-Diagramme fur a A b und a V b sollen naher erlautert werden. In dem Diagramm fur a A b ist das untere reehte Feld schraffiert. In ihm steht fur das Variablenpaar (a, b) die Wertekombination ww, und es gilt w A w =w. FUr die Wertekombinationen der anderen Felder ist das Konjunkt a A b =f, so daS diese Felder unschraffiert bleiben. Fiir das Adjunkt a V b gilt a V b =f genau dann, wenn a =fund b =fist. Deshalb bleibt im Karnaugh-Diagramm fur a V b nur das obere linke Feld unsehraffiert. :EI a a a a a :~ b Q :13 a a Q Q b~ b~ b~ Qllb Bild 1.12 Karnaugh-Diagramme fUr a, b, a, b, a 1\ b und aVb. 1m Karnaugh-Diagramm ersch~inen diejenigen Felder schraffiert, fUr deren Wertekombination sich der Wahrheitswert w ergibt. avb Eine andere Mogliehkeit, ein Karnaugh-Diagramm herzustellen, soil an dem folgenden Beispiel erlautert werden. Es soil das Diagramm fUr das Konjunkt a A b aus dem KarnaughDiagramm des Negats aund dem der Variablen b entwiekelt werden. Bild 1.1-3 zeigt die drei Sehritte der Entwieklung: 1. Sehritt: Sehraffieren der Felder, in denen a = w gilt. 2. Sehritt: Schraffieren der Felder, in denen b =w gilt. 3. Sehritt: In dem fur a und b schraffierten Feld gilt a A b =w. Bild 1.13 Das Karnaugh·Diagramm fUr a 1\ b liiL\t sich in drei Schritten entwickeln. Aufgabe 1.14: BerechnenSie: wAr, fl\f, wVf, wAf, wAw, fVw, fVw, wAw. Aufgabe 1.15: Geben Sie alle Kombinationen von Wahrheitswerten fijr a und b an, die die folgenden Gleichungen erfiillen. aVb=w, fVa=b, il\b=w, wAa=b, aVb=f, aAb=f, al\i=b, aVi=b. 16