Skinheads

Werbung
Rheinland-Pfalz
Ministerium des Innern und für Sport
55116 Mainz, Schillerplatz 3-5
55022 Mainz, Postfach 3260
Tel./Fax:
E-Mail:
Internet:
06131/16-3772 /16-3688
[email protected]
[email protected]
http://www.verfassungsschutz.rlp.de
Skinheads
Stand: April 2004
2
Anmerkung für die Leserinnen und Leser:
1. Bei den in diesem Bericht genannten Mitgliederzahlen muss berücksichtigt werden, dass diese auf den sorgfältigen Beobachtungen der Verfassungsschutzbehörden in Deutschland beruhen, aber letztlich keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit
haben können. Aufgrund verschiedener Umstände wie beispielsweise der signifikant
hohen Fluktuation innerhalb der Skinheadszene muss stets von einer gewissen
Grauzone ausgegangen werden. Diese dürfte allerdings nach bisherigen Einschätzungen keine beachtliche, lagebeeinflussende Größe ausmachen. Insgesamt kann
der Verfassungsschutz somit ein relativ exaktes Lagebild einschließlich der jeweiligen tendenziellen Veränderungen skizzieren.
Ebenso muss darauf hingewiesen werden, dass ausschließlich die Personen zahlenmäßig erfasst werden, deren Verhalten Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen1 im Sinne der Verfassungsschutzgesetze begründet.
2. Hinsichtlich der in dieser Broschüre dargestellten Liedtexte ist anzumerken, dass
deren Veröffentlichung im Rahmen einer möglichst umfassenden Berichterstattung
trotz der oftmals abscheulichen Deutlichkeit angemessen erscheint. Durch eine maßvolle Darstellung auch der drastischsten Ausprägungen des Rechtsextremismus
kann sich den Leserinnen und Lesern die Kausalität zwischen einem vorurteilsgeladenen, rassistisch geprägten Menschenbild und den sich ggf. daraus ergebenden
Folgewirkungen erschließen.
Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von
der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen
Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser Broschüre zugänglich gemacht werden.
3. Die Jahrzehntangaben beziehen sich jeweils auf das vergangene Jahrhundert.
1
Politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss. Diese Verhaltensweisen zielen darauf ab, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes teilweise oder in Gänze zu beeinträchtigen oder abzuschaffen. Bloße
Meinungsäußerungen stellen regelmäßig nicht eine Verhaltensweise im beschriebenen Sinne dar
und sind somit auch nicht Gegenstand der Beobachtungstätigkeit des Verfassungsschutzes.
3
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
1.
Skinheads in den Schlagzeilen
5
2.
Wurzeln der Skinhead-Bewegung
6
3.
Entwicklung der Skinhead-Bewegung in Großbritannien
7
4.
Entwicklung der Skinhead-Bewegung in Deutschland
10
5.
Soziologie der Skinhead-Bewegung
12
5.1
Allgemeine Forschungsergebnisse zur Skinhead-Szene
13
5.2
Forschungsergebnisse zur rechtsextremistischen Skinhead-Szene
16
5.3
Forschungsergebnisse zum Thema rechtsextremistische Gewalt
19
6.
Strömungen der Skinhead-Bewegung
21
7.
Rechtsextremistische Skinheads – „kurze Haare, radikal,
sozialistisch, national“
23
7.1
Bezeichnungen – Strukturen – Ideologie
23
7.2
Symbolik – Kleidungsstil
25
7.3
Entwicklung der rechtsextremistischen Skinhead-Szene
in Deutschland
27
7.4
Rechtsextremistische Skinheads in Rheinland-Pfalz
30
8.
Rechtsextremistische Skinheadmusik
32
8.1
Entwicklungslinien
32
8.2
Musikinhalte
34
8.3
Konzerte
36
9.
Vertrieb von Skinheadmusik und Szeneartikeln
38
10.
Szenekommunikation - vom „Fanzine“ zum Internet
40
Anhang
42
A. Begriffserläuterungen
42
B. Liedtexte
47
4
Quellen:
Verfassungsschutz
Neben eigenen Erkenntnissen bilden Erkenntnisse des Bundesamtes für
Verfassungsschutz sowie der Landesbehörden für Verfassungsschutz
Bayern, Baden Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und
Sachsen die informative Grundlage dieser Broschüre.
Literatur
„Die Skins – Mythos und Realität“, Klaus Farin (Hg.), erschienen im Ch. Links
Verlag, Berlin, 1997, ISBN: 3-86153-136-4
„Ich will halt anders sein wie die anderen – Abgrenzung, Gewalt und Kreativität bei Gruppen Jugendlicher“, Roland Eckert, Christa Reis, Thomas A. Wetzstein, erschienen im Verlag Leske+Budrich, Opladen 2000, ISDN: 3-8100-2247-0
„Reaktionäre Rebellen - Rechtsextreme Musik in Deutschland“, Archiv der
Jugendkulturen (Hg.), Berlin, 2001, ISBN: 3-936068-04-6
„Rechte Cliquen – Alltag einer neuen Jugendkultur“, Benno Hafeneger,
Mechthild Jansen, erschienen im Juventa Verlag, Weinheim u. München, 2001,
ISBN: 3-7799-0260-5
„Skinheads: Portrait einer Subkultur“, Christian Menhorn, erschienen in
Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2001, ISBN: 3-7890-7563-9
„Nicht wegschauen – eingreifen!“, Landeszentrale für politische Bildung
Rheinland-Pfalz, Am Kronberger Hof 6, 55116 Mainz, August 2000
„Skinheads und Rechtsextremismus“, Innenministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen, Haroldstraße 5, 40213 Düsseldorf, 4. Auflage, April 2001
„Texte zur Inneren Sicherheit. Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsextremismus – drei Studien zu Tatverdächtigen und Tätern“, Bundesministerium
des Innern, Alt-Moabit 101 D, 10559 Berlin, Dezember 2001
„Beiträge zur Inneren Sicherheit“, „Unsere Texte sind deutsch – Skinheadbands
in der Bundesrepublik Deutschland“, Christoph Mengert, Fachhochschule des
Bundes für öffentliche Verwaltung, Köln,1994, ISBN: 3-0930732-02-5
5
1. Skinheads in den Schlagzeilen
„Steckbrief – so sind die neuen Nazis“
„Prozess gegen Magdeburger Skins eröffnet“
„Sieg heil im Paradies – ein kleines Dorf in Rheinland-Pfalz
wurde zum Wallfahrtsort für Skinheads und Neonazis“
„Skinheads: Haftstrafen“
„Blut und Ehre, Mord und Totschlag – die Skinheads und
die rechte Militanz“
Diese Aneinanderreihung betroffen machender Schlagzeilen ließe sich problemlos fortsetzen. Skinheads sorgen in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere durch gewalttätigen Aktionismus seit geraumer Zeit für Aufmerksamkeit und
rücken somit immer wieder in das Rampenlicht des öffentlichen Interesses. Zweifellos gibt es innerhalb dieser subkulturellen Jugendbewegung ein großes Aggressionspotenzial; für nicht wenige Skinheads gehört Gewaltbereitschaft zum
„Szenefeeling“. An dieser Stelle muss aber auch darauf hingewiesen werden,
dass weder alle Skinheads diese Gewaltbereitschaft auch ausleben, noch dass
sie per se dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden können. Es
gilt, sorgfältig zu differenzieren. Die Bandbreite der Szene erstreckt sich vom unpolitischen Typ über den linksextremistisch geprägten Skinhead bis hin zum nationalistisch ausgerichteten, dessen sich verdichtendes Weltbild in den Rechtsextremismus führen kann.
Allerdings können heute beträchtliche Teile der bundesweiten SkinheadBewegung der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden und sind somit
zu einem Beobachtungsschwerpunkt der Verfassungsschutzbehörden in der
Bundesrepublik Deutschland geworden. Die folgenden Ausführungen sollen den
Leserinnen und Lesern einen Überblick und Einblicke in die rechtsextremistische
Skinheadszene aus verschiedenen Blickwinkeln vermitteln.
6
2. Wurzeln der Skinhead-Bewegung
Die Wurzeln der Skinhead-Bewegung liegen in Großbritannien. In den 50er und
60er Jahren hatten sich dort verschiedene Jugendszenen gebildet, aus denen
letztlich auch die Skinheads hervorgehen sollten.
Hierzu zählten z.B. die so genannten Teddy-Boys (Teds), die sich bereits Mitte
der 50er Jahre im Zuge der ersten Rock`n`Roll Welle entwickelten. Unter ihnen
waren überwiegend Jugendliche aus dem Arbeitermilieu, meist ohne Ausbildung
bzw. mit schlecht bezahlten Jobs. Sie kopierten in Kleidung und Auftreten den exzentrischen Stil von König Edward VII (Teddy/Ted, Regentschaft 1901-1910). Viele Teds mutierten später zu Rockern, die wiederum eine eigenständige Szene
bildeten.
Eine weitere Jugendbewegung waren die Mods (Modernists), Arbeiterkinder mit
eleganter Fassade und dem Sinn für Statussymbole sowie dem Traum von
Wohlstand. Einen Kontrapunkt hierzu setzten in den 60er Jahren die Hippies,
Töchter und Söhne überwiegend aus der etablierten Mittelschicht, mit dem
Wunsch nach selbst verordneter Abkehr vom Wohlstand.
Die Mods können als Vorläufer der Skinheads bezeichnet werden; es gibt bereits einige frühe, interessante Parallelen. So trugen sie ihr Haar entgegen dem
damaligen Trend kürzer und gepflegter, Gewalt und Alkohol waren Teil ihres
Selbstverständnisses. Sie hörten u.a. Ska-Musik, die anfangs auch unter Skinheads beliebt war. Der „Run“ auf Statussymbole (z.B. teure Mode, Motorroller)
wurde für Mods aus Arbeiterfamilien letztlich aber zum Verhängnis - sie konnten
nicht mehr mithalten. Andere wiederum, solche mit betuchterer Herkunft, orientierten sich um. Sie fingen an zu studieren oder glitten in die Mode werdende Hippie-Bewegung hinein. Im Zuge des Niedergangs der Mods-Szene mutierten ihre
Arbeiterkinder zu Hard-Mods. Ihr Äußeres veränderte sich: die Haare wurden
noch kürzer, Jeans und Arbeiterstiefel signalisierten ein neues Selbstverständnis.
Der Übergang vom Hard-Mod zum Skinhead konnte jetzt quasi fließend erfolgen.
Etwa ab Mitte der 60er Jahre setzte diese Entwicklung ein; im Jahre 1969 tauchte
zum ersten Mal die Bezeichnung Skinhead auf.
7
3. Entwicklung der Skinhead-Bewegung in Großbritannien
Die Skinhead-Bewegung bildete sich zunächst in den Arbeitervierteln der Großstädte mit industrieller Prägung, so vor allem im Londoner Eastend. Anfangs
schien sie nicht viel mehr zu sein als eine eher unpolitische Gegenbewegung zu
den anderen Jugendszenen. Skinheads der ersten Stunde ließen beispielsweise
kaum eine Gelegenheit aus, Hippies wegen deren langen Haare und ungepflegtem Äußeren zu verspotten. Die Hintergründe der Genese der SkinheadBewegung waren aber durchaus vielschichtiger.
Die Welt der damaligen Jugendlichen war im Umbruch. Rationalisierung und Modernisierung veränderten die Arbeitswelt und ließen die Arbeitslosigkeit ansteigen. Vertraute soziale Strukturen verschwanden über Nacht; z.B. wurden ganze
Stadtviertel im Zuge der Modernisierung durch anonyme Wohnblöcke ersetzt.
Entfremdung in der gewohnten Umgebung war eine Folge und ein Mosaikstein in
einem wachsenden Frustrations- und Aggressionspotenzial, das kanalisiert werden wollte. Hinzu kam das subjektive Gefühl der Überfremdung durch den Zuzug
von Einwanderern aus den ehemaligen britischen Kolonien.
Unter dem Eindruck dieser Entwicklung wuchs unter Arbeiterkindern ein neues,
sich abgrenzendes Selbstbewusstsein heran - man zeigte plötzlich (wieder)
Stolz auf die eigene Herkunft. Dokumentiert wurde dies zunächst im äußeren Erscheinungsbild durch ein einheitliches, „sauberes“ aber auch provozierendes
Aussehen. Hervorstechendes Merkmal war bereits damals das extrem kurz geschnittene Kopfhaar. Von den Jugendkulturen, die sich vornehm gaben, grenzte
man sich bewusst auch in der Freizeit durch robuste Arbeiterkleidung ab, die zum
neuen Statussymbol wurde. Obligatorisch waren klobige Stiefel (Bergarbeiterbzw. Werftarbeiterstiefel der Firma Doc Martens) mit zum Teil eingearbeiteten
Stahlkappen, Jeans und derbe, karierte Baumwollhemden mit offen über dem
Hemd getragenen Hosenträgern. Letzthin beschwor man durch diese bisweilen
überzeichnete Symbolik des äußeren Erscheinungsbildes eine selbstdefinierte
Arbeitertradition, und brachte damit eine zurückgerichtete Sehnsucht nach den
„besseren Tagen“ der Arbeiterklasse zum Ausdruck. Die Gegenwart machte
diesen Jugendlichen zu schaffen; die Zukunft machte ihnen Angst.
8
Die Aktivitäten der ersten Skinhead-Generation in Großbritannien konzentrierten sich im wesentlichen auf den Besuch von Fußballspielen2 und Musikveranstaltungen. Gewalt war von Beginn an im „Spiel“; jede Eskalation war eine
Abwechselung im ansonsten oft trostlosen Alltag. Viele Skinheads hatten wenig
zu verlieren. Entsprechend lebten sie die Gewalt aus. Es ging darum, angestammte „Reviere“ zu „verteidigen“. Ausgrenzung von Minderheiten war bereits
ein Thema, wenngleich ohne einen tiefsinnigen ideologischen Hintergrund. Ziele
ihrer Attacken waren u.a. Obdachlose, Hippies und unter den Ausländern anfangs
vornehmlich Menschen aus Pakistan („Paki-Bashing“).
Von Beginn an war die Musik ein wichtiger Faktor im Leben eines Skinheads.
Bemerkenswert ist, dass die erste Generation eine Vorliebe für die Ska-Musik
entwickelte, die jamaikanische Einwanderer nach Großbritannien brachten. Diese,
im Grunde „schwarze“ Musik, schuf zeitweise den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen ihren zugewanderten Interpreten und der damaligen Skinheadszene. Leider sollte dies nicht von Dauer sein.
In den 70er Jahren begann eine neue Entwicklungsphase, in deren Verlauf eine neue Generation Skinheads heranwuchs. Insgesamt verschärfte sich in
Großbritannien das soziale Klima. Wirtschaftliche Probleme und immer weniger
werdende Arbeitsplätze verstärkten den Konkurrenzkampf und vertieften die Gräben zwischen Einheimischen und Einwanderern.
Die Skinhead-Szene selbst stagnierte zunächst, der Zulauf wurde geringer. Ein
Grund hierfür lag im Entstehen einer neuen subkulturellen Jugend-Szene, den
Punks. Das etablierte Bürgertum wurde von dieser schrillen, provokanten Szene
mehr noch als durch die Skinheads in Unruhe versetzt. Das kam gut an – und aus
manchem Skinhead wurde so ein Punk. Zeitweise sah es sogar danach aus, als
würde die Skinhead-Szene angesichts dieser „Konkurrenz“ zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen. Es sollte jedoch anders kommen. Die Punk-Musik wurde kommerzialisiert, was viele ihrer Anhänger auf der Suche nach einer neuen subkulturellen Heimat förmlich in die Skinhead-Bewegung (zurück)trieb. Auch Punk-Bands
wechselten zur Skinhead-Szene über.
2
Fußball genoss in Großbritannien traditionell großes Ansehen, was durch die gewonnene Weltmeisterschaft 1966 noch gesteigert wurde. Das Phänomen der Hooligans keimte dort bereits in den 60er Jahren auf. Gewalttätige Auseinandersetzungen begleiteten viele Spiele. Aus Hooligans und Skinheads
bildete sich die Boot-Boys-Szene (boot: Stiefel), die bis Mitte der 70er Jahre starken Zulauf hatte.
9
Teile dieser Bewegung veränderten sich gleichzeitig aber grundlegend: Outfit
und Musik der Skinheads wurden deutlich aggressiver. Man trug nun auch
Bomberjacken und Springerstiefel, Schädel wurden völlig kahl rasiert („Boneheads“). Etwa zehn Jahre nach der Frühphase der Skinheadbewegung dominierte nun ein noch stärker ausgrenzender, weißer Männlichkeitskult. Das neue
Schlagwort hieß ebenso kurz wie schlicht: „oi“!3 Der „Oi-Punk“, eine wesentlich
härtere Variante der seitherigen Skinhead-Musik, eroberte die Szene. Während
sich die erste Skinhead-Generation noch stark von Rechtsextremisten abgrenzte,
gewann diese neue Szene nun das Interesse von Aktivisten mit ausgeprägt rassistischen Einstellungen. In dieser Phase gelang es auch rechtsextremistischen
britischen Organisationen, wie der neonazistischen „National Front“ (NF) oder
dem „British Movement“ (BM), Teile der Skinhead-Bewegung für ihre Ziele zu gewinnen4.
Das Abdriften beträchtlicher Teile der Skinhead-Szene in den Rechtsextremismus setzte sich in den 80er Jahren verstärkt fort - die „Oi-Musik“ mutierte
immer mehr zum „Rechtsrock“. Wiederum wuchs eine neue Generation von
Skinheads heran, deren Weltbild nun maßgeblich von rechtsextremistischen Ideologemen geprägt wurde. Wie kaum ein anderer verkörperte der zur Kultfigur erhobene Bandleader Ian Stuart DONALDSON5 einen paneuropäisch verstandenen
Rassismus mit starken Anklängen an den historischen Nationalsozialismus6. Er
fand viele (neue) Anhänger. Der Trend der Politisierung nach rechts fand jedoch
nicht nur Anhänger; die Skinhead-Szene blieb uneinheitlich. Teile der Bewegung
blieben unpolitisch, andere wiederum stemmten sich gegen die Rassisten.
Eines war aber nicht mehr aufzuhalten: Von Großbritannien aus verbreitete sich
die Skinheadsubkultur in andere Länder, so vor allem auf dem europäischen
Festland.
3
4
5
Es gibt eine Reihe von Erklärungen und Deutungen, wie der „Schlachtruf“ oi quasi zu einem Markenzeichen wurde: Im Cockney-Slang der Arbeiterschicht bemüht man mit einem oi die Aufmerksamkeit
seines/seiner Zuhörer/s. Eine Band stimmte ihre Lieder mit einem dreifachen oi statt mit „one, two, three“
an, usw.. Wenig wahrscheinlich erscheint der Erklärungsansatz, wonach der Begriff aus einer Verballhornung des Nazislogans „Strength through joy“ (joi, “Kraft durch Freude“) entstanden sein soll.
Von Beginn dieser Entwicklung an zeigte sich die Szene gespalten. Es gab weiterhin Skinheads, die sich
von den „rechten“ Parolen distanzierten; nicht alle Oi-Bands spielten rassistische Musik (z.B. die Gruppe
„Sham 69“). In der Folgezeit entstanden sogar „linke“ Skinzusammenschlüsse, teils organisiert, wie z.B.
die „League of Labourskins”. Während der heftigen Jugendunruhen in Großbritannien im Jahre 1981
waren immer wieder gemeinsame Aktionen von jungen schwarzen Einwanderern zusammen mit Skinheads zu beobachten.
In der Szene genannt und bekannt unter seinem Künstlernamen Ian STUART. Vgl. Nr. 7.1 Seite 24 und
Nr. 8.1, Seite 32.
10
4. Entwicklung der Skinhead-Bewegung in Deutschland
In der Bundesrepublik Deutschland begann die Skinheadbewegung ab Ende der
70er Jahre langsam Fuß zu fassen. Anfangs konnte man allerdings noch nicht
von Strukturen oder einer Szene im eigentlichen Sinne sprechen. Grundlegende
und überregional verbindende Elemente, wie die Kommunikation mittels Szenepublikationen („Fanzines“) oder eigene Bands, waren noch unbekannt. Zu Beginn stellte vieles eine Kopie des Vorbilds in Großbritannien dar. Wie seinerzeit in Großbritannien kam eine Reihe von Aktivisten der ersten Stunde aus der
Fußballfanszene. Auch hier gab es sogleich ein ausgeprägtes Gefühl für Ausgrenzung und die Pflege von Feindbildern7. Entgegen der ersten SkinheadGeneration in Großbritannien spielte die Frage sozialen Protestes allerdings
kaum eine Rolle. Politisch provozierendes Auftreten, so durch das Zeigen von
Nazisymbolen, gehörte hingegen von Beginn an dazu.
Zu Beginn der 80er Jahre entwickelte sich die Skinhead-Szene in der Bundesrepublik Deutschland kontinuierlich weiter. Erste Skinhead-Bands entstanden; mit
Szenemagazinen („Fanzines“) begann die informationelle Vernetzung. Mitte der
80er Jahre nahm die Gewalt innerhalb der Skinheadszene in Deutschland
drastisch zu. Wie ursprünglich in Großbritannien rückte auch hier eine neue, militantere und auch jüngere Generation nach, die sich härter gerierte. Neue Einflüsse, so aus der Szene in den USA, verstärkten diese Entwicklung. Die rassistischen Töne innerhalb der Bewegung wurden immer lauter; „der Fremde“
(Ausländer) wurde zum bevorzugten Feindbild, was sich vor allem in den Liedtexten der Skinhead-Bands widerspiegelte. Andere, nicht politisierte Jugendliche begannen zudem, den Stil der Skinheads zu kopieren - es war plötzlich „in“, sich
dieses provozierende Outfit anzulegen.
Parallel zu dieser Entwicklung entstanden innerhalb der Skinheadbewegung aber
auch Strömungen, die sich von dem rassistischen, nationalistischen Block distanzierten, so die SHARP-Skins8.
6
7
8
Vgl. Christoph Mengert, „Unsere Texte sind deutsch…“, „Beiträge zur Inneren Sicherheit“, Juli 1994.
Zu den bevorzugten Feindbildern zählten schon damals vor allem Punker („Schweinepunx“). Zeitweise
versuchten Punker, Skinheads für Aktionen gegen den gemeinsamen Feind Staat und Polizei zu gewinnen, was allerdings nur punktuell gelang.
SHARP = SkinHeads Against Racial Prejudice (Skinheads gegen rassistische Vorurteile).
11
Bemerkenswert ist, dass sich nahezu zeitgleich auch in der ehemaligen DDR wenngleich von Staats wegen geleugnet - eine Skinheadszene entwickelte.
Auch dort zeigten sich alsbald interessante Parallelen zu den beschriebenen
Entwicklungslinien. Anfangs fehlte weitestgehend eine politische Ausrichtung. Die
meisten DDR-Skinheads bekundeten mit ihrem Auftreten Abgrenzung zu den
herrschenden Verhältnissen und den Wunsch nach Verbesserung der eigenen
Lebensumstände9. Auch hier kam es (in der zweiten Hälfte der 80er Jahre) zu einer Zäsur, so durch einen stärkeren Zulauf jüngerer Menschen, die sich radikaler
im Sinne einer dumpfen rassistisch geprägten Weltanschauung gaben. Kontakte
zu rechtsextremistischen Strukturen im Untergrund taten ihr übriges.
In den 90er Jahren überzogen Skinheadstrukturen das gesamte (wiedervereinigte) Deutschland. Dies trifft für die ganze Bandbreite der Szene zu, die sich nun
ungehindert ausbreiten konnte. Aber auch fortan gab es keine homogene Bewegung. Der unpolitische „Oi-Skin“ fand ebenso seinen Platz wie der „Redskin“ oder
der „Nazi-Skin“. Insgesamt zeigte sich diese Entwicklung nicht mehr allein mit
dominierenden Schwerpunkten im städtischen Milieu. Der ländliche Raum war
vom Auftreten dieser Jugendbewegung längst mit betroffen.
Als ein aus Sicht des Verfassungsschutzes zentrales Problem stellte sich die
Entwicklung der rechtsextremistischen Skinhead-Szene in den 90er Jahren
dar. Deren Potenzial wuchs drastisch an; parallel hierzu stiegen die Fallzahlen
rechtsextremistisch motivierter Straf- und Gewalttaten mit Täterhintergrund aus
dem Skinheadmilieu. Rechtsextremistische Skinheadbands propagierten in ihren
Liedtexten rassistische Hassparolen bislang nicht gekannten Ausmaßes. Diese
Entwicklungslinien setzen sich auch im neuen Jahrhundert fort.
9
Damit unterschieden sich die Skinheads in der DDR kaum von der schweigenden Mehrheit der
Bevölkerung. Auch viele andere Menschen suchten ihr (privates) Heil in Nischen außerhalb des
„sozialistischen“ Alltags, allerdings in aller Regel in weniger auffälliger Form.
12
5. Soziologie der Skinheadbewegung
Bei allen tiefer gehenden Betrachtungen der Soziologie dieser subkulturellen Jugendbewegung erscheint zunächst der Gesichtspunkt der individuellen Befindlichkeiten von Szeneangehörigen bedenkenswert. Skinheads verbinden mit ihrem
„Sein“ offensichtlich nicht selten einen Lebensstil10, den sie nicht als Zwang verstehen, sondern vielmehr emotional befriedigend empfinden. Dabei spielen eine
Reihe von Gesichtspunkten, wie beispielsweise das Gemeinschaftserlebnis, das
Gefühl von „Kameradschaft“ und Corpsgeist oder auch äußere Attribute (Symbolik, Kleidung, Sprache), tragende Rollen. Eine politische Dimension kann,
muss aber keineswegs mit im Spiel sein. Manch ein Szeneangehöriger definiert sich und sein Tun gänzlich ohne einen politischen bzw. politisch extremistischen Hintergrund - ein Skinhead-Gefühl aus einer just-for-fun Stimmung, weil
„man“ anders sein will. Vielleicht um des Reizes der Andersartigkeit selbst willen,
oder als Signal, „ich grenze mich von euch ab, weil ihr mich nicht versteht“. Diese
Abgrenzung wird in der Skinhead-Szene nicht selten durch ein ausgeprägtes Bekenntnis zur eigenen Nation mitgetragen. Auch in diesem Punkt gibt es vielfach Irritationen und Missverständnisse: es gibt nämlich durchaus eine Grauzone mit
fließenden Übergängen in einen undemokratischen, Menschen verachtenden Nationalismus. Somit sollte auch in dieser Frage sorgfältig differenziert werden, denn
nicht jeder Skinhead, der nationale Töne anschlägt, muss per se ein Nationalist
im Sinne rechtsextremistischer Ideologie sein. Die Gefahr, in ein solches Fahrwasser zu geraten, ist allerdings latent.
Die Skinheads stellen demnach offenkundig keine homogene Bewegung dar. Bei
generalisierenden Aussagen ist daher Vorsicht geboten. Erschwerend kommt
hinzu, dass bislang aus hiesiger Sicht nur wenige umfassende Untersuchungen
über das Skinhead-Phänomen vorliegen. Eingeflossen sind in den vergangenen
Jahren hingegen wiederholt Einzelerkenntnisse in Forschungen über die Hintergründe rechtsextremistischer Gewalt.
Im Folgenden werden einzelne Ergebnisse jüngerer Forschungen exemplarisch
dargestellt:
10
Vgl. Kurt Möller „Hässlich, kahl und hundsgemein“ in „Die Skins, Mythos und Realität“ von
13
5.1 Allgemeine Forschungsergebnisse zur Skinhead-Szene
Eine Studie von Heitmann aus dem Jahre 199511 erhebt den Anspruch, die Skinhead-Szene repräsentativ zu analysieren. Grundlage der gewonnenen, nachfolgend auszugsweise geschilderten Daten stellen 406 ausgefüllte, von insgesamt
8.000 an Szeneangehörige versandte Fragebögen dar. Inwieweit diese Erhebung
tatsächlich ein verlässliches Bild zeichnet, kann hier nicht abschließend bewertet
werden. Allerdings gewährt die Studie nur einen stark fokussierten Einblick in etwa 5 % der Szene. Gerade in Hinblick auf die ermittelten Daten zum Bildungshintergrund dürfte eine gewisse Skepsis angezeigt sein. Der verhältnismäßig hohe
Anteil an Abiturienten ließe sich beispielsweise auch damit deuten, dass diese, da
in aller Regel im Schreiben geschulter, in vergleichsweise größerer Zahl den Fragebogen ausgefüllt und zurück gesandt haben.
Die Heitmann-Studie stellt fest, dass sich bestimmte Strukturdaten der Skinhead-Szene im Grunde nur wenig von den Vergleichsdaten der Jugendlichen insgesamt unterscheiden. Dies trifft nach dieser Erhebung u.a. für den Altersquerschnitt und das Bildungsniveau zu. Mit über 55 % wurde danach zum
damaligen Zeitpunkt (1995) der Szeneanteil der 19-24 Jahre alten Jugendlichen
bemessen, etwa 23 % lagen darunter (davon ca. 2,7 % unter 16 Jahren). Im Hinblick auf das Bildungsniveau wird angemerkt, dass die „vermuteten eher niedrigen
Bildungsabschlüsse nicht festgestellt werden konnten“. Die Antworten (Basis:
342) wiesen bei mehr als 75 % einen Realschul- bzw. Gymnasialabschluss
(Gymnasium: 24,9 %) aus. Als arbeitslos gaben sich 9,3 % (Basis: 397) aus, wohingegen sich 83,4 % in einem Schul-, Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis befanden. Ein Anteil von 18,6 % Facharbeitern standen 4,8 % ungelernte Arbeiter
gegenüber.
Als Zwischenbilanz stellt die Studie fest, dass für die Skinhead-Szene per se
die These von mehrheitlich sozial Entwurzelten offensichtlich nicht zuzutreffen scheint. Vor allem der wichtige Indikator Arbeitslosigkeit weist hier keinen
signifikanten Wert auf.
11
Klaus Farin, erschienen 1997 im Ch. Links Verlag, Berlin, ISBN: 3-86153-136-4.
Vgl. Helmut Heitmann, „Die Skinhead-Studie“, veröffentlicht in „Die Skins, Mythos und Realität“ von
Klaus Farin, erschienen 1997 im Ch. Links Verlag, Berlin, ISBN: 3-86153-136-4.
14
Eine starke Abweichung vom soziologischen Querschnitt der Jugendlichen ergibt
sich bei der Geschlechterverteilung. Die Skinhead-Szene wurde und wird von
jungen Männern dominiert. Die erwähnte Studie weist bei der Geschlechterverteilung einen Anteil von 87,3 % Männer und 12,7 % Frauen auf.
Einen weiteren Unterschied zur Vergleichsgruppe Jugendliche zeigt die Studie in
Sachen Zufriedenheit mit der Arbeits- und Lebenssituation auf. Hier ergaben sich
innerhalb der Skinhead-Szene vergleichsweise höhere Werte der „Unzufriedenen“. Gefragt nach der Arbeits- und Lebenssituation zeigten sich laut der o.g.
Studie annähernd 40 % (Basis: 395) „eher unzufrieden“.
Einen sehr hohen Stellenwert genoss für mehr als 93 % die Zukunftssicherheit
im Beruf. Bemerkenswert ist, dass die meisten der befragten Skinheads ihre beruflichen Perspektiven kaum oder gar nicht mit Karriere- oder Statusdenken verbanden bzw. mit der Frage, über andere bestimmen zu können. Körperliche, eigenverantwortliche Arbeit stand dabei für viele ebenso im Vordergrund, wie der
Gedanke, im Beruf für andere oder die Gesellschaft insgesamt nützlich zu sein.
Interessant ist ebenso, was die Befragten angaben, nicht sein zu wollen: „Bonzen
oder Spießer“, „profitgierige Ellenbogentypen“ oder „Schickimickis“.
Momentane Unzufriedenheit und eine ausgeprägte Erwartungshaltung an
eine sichere Zukunft bestimmten demnach die Alltagssituation vieler Skinheads,
die sich dabei oft in bewusster Opposition/Protesthaltung gegen gesellschaftliche Mainstreams oder Klassifizierungen sehen.
Neben den beruflichen Hintergründen war auch nach dem Freizeitverhalten gefragt worden. Weit überwiegend (81,6 %) wurden Freizeitaktivitäten mit Freund,
Freundin oder der Clique entwickelt. Dabei dominierte im Ergebnis der hedonistische Faktor. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala standen Konzertbesuche, Musik hören und der Alkoholkonsum. Letzterer spielte offensichtlich
eine ganz wesentliche Rolle. Bemerkenswert ist, dass man mehrheitlich strikt
zwischen Freizeit und Arbeit zu trennen vermochte.
Zur Frage der politischen Präferenzen gaben zwar mehr als 63 % der Befragten
an, politisch interessiert zu sein. Gleichzeitig artikulierte sich aber ein starker
Unwille gegenüber Parteien und Politikern; politische Vereinnahmungsversu-
15
che erfuhren eine „heftige Ablehnung“. Auf die Frage nach der Parteienpräferenz („Sonntagsfrage“: welcher Partei würde ich meine Stimme geben, wenn am
Sonntag Wahlen wären) gaben etwa 26 % rechtsextremistische Parteien an
(Basis: 209). Von Interesse sind in diesem Zusammenhang auch die Einstellungen gegenüber rechtsextremistischen Skinheads und Minderheiten. Während
nämlich fast 70 % der Befragten „Nazi-Skins“ eher negativ einstuften (18,2 %: eher positiv), wurden von immerhin etwa 33 % auch Ausländer als eher negativ
bewertet (13,1 %: eher positiv), Homosexuelle gar von mehr als 49 % (9,3%: eher
positiv). SHARP-Skins, die sich gegen Rassismus wenden, wurden immerhin von
45,6 % eher positiv bewertet (36,4 %: eher negativ).
Obwohl politisch nicht uninteressiert besteht aber mehrheitlich der Hang zum
autonomen Individuum jenseits der etablierten politisch-gesellschaftlichen
Strukturen. Einen gewissen Widerspruch signalisiert die vergleichsweise starke
Ablehnung rechtsextremistischer Skinheads, obgleich etwa ein Viertel durchaus
mit rechtsextremistischen Gruppen sympathisieren (vgl. Parteienpräferenz). Ebenso widersprüchlich erscheint die Sympathie für SHARP-Skins (antirassistische
Skinheads) und die trotzdem von jedem dritten Skinhead mitgetragene negative
Haltung gegenüber Ausländern.
Von Bedeutung für die Gesamteinschätzung der Szene sind auch die Fragen
nach deren Gewaltverständnis. Dies ist durchaus nicht unkritisch. So befürworteten 68,7 % der Befragten (Basis: 405), „dass es Situationen gibt, in denen einem
nichts anderes übrig bleibt, als Gewalt anzuwenden“. Immerhin 30,4 % waren der
Auffassung, „dass man durch Gewalt mehr Beachtung erfährt“. Gerade diese Antwort erscheint recht aufschlussreich. Zeigt sie doch, dass als ein Motivationsfaktor für Militanz innerhalb der Szene durchaus die individuelle Nichtbeachtung bzw. Vernachlässigung eine Rolle zu spielen scheint. Hinzu kommt, dass
nahezu jeder Zweite der Befragten Gewalt unter Jugendlichen als „normal“ erachtet; eine große Zahl berichtete von persönlichen Gewalterlebnissen (ca. 68 %
der Befragten hatten sich in den letzten zwei Jahren vor der Befragung mindestens zwei Mal geprügelt).
Insgesamt bestätigt die erwähnte Studie also das Bild, dass es den typischen
Skinhead ebenso wenig gibt, wie es nur rechtsextremistische Skinheads gibt. Wie
16
ist es nun aber gerade um das Spektrum der rechtsextremistischen Skinheads
bestellt?
5.2 Forschungsergebnisse zur rechtsextremistischen Skinhead-Szene
Aufschluss hierüber gibt u.a. eine im Jahr 2000 veröffentlichte Forschungsarbeit12 über „Abgrenzung, Gewalt und Kreativität bei Gruppen Jugendlicher“,
in deren Rahmen auch eine Gruppe „rechter Skinheads“13 in den Zeiträumen
1995-97 und 1997-99 analysiert wurde.
Im Gegensatz zu der vorgenannten Studie, die den gesamten Szenequerschnitt
analysiert, ist hier, im Teilsegment rechtsextremistischer Skinheads, hinsichtlich des Bildungsniveaus von „zum größten Teil niedrigen“ Schulabschlüssen
die Rede; die Jugendlichen galten als „schwer vermittelbar“. Hinzu kommt die Erkenntnis von „überwiegend problematischen Familiengeschichten“.
Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Fragen individueller sozialer
Probleme und Verwerfungen bei den Angehörigen rechtsextremistischer Skinheadzusammenschlüsse eine größere Rolle als im gesamten Szenequerschnitt
spielen dürfte. In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage von nachhaltiger
Bedeutung, dass durch das Skinhead-Sein bei einigen der Befragten die familiären Probleme noch verstärkt würden. Damit wäre sodann ein fataler Teufelskreis
von gegenseitigen negativen Wechselwirkungen eröffnet.
Keine bemerkenswerten Unterschiede zum „Durchschnittsskinhead“ lässt
das Freizeitverhalten der analysierten rechtsextremen Skinheads erkennen.
Auch hier wurden die meisten Aktivitäten innerhalb der Gruppe entwickelt; Konzertbesuche und Musikhören standen ganz oben auf der Beliebtheitsskala.
Der politische Hintergrund innerhalb der untersuchten rechtsextremen Skinheadgruppe wurde als sehr unterschiedlich ausgeprägt wahrgenommen. Einerseits wurden solche Skinheads ausgemacht, denen die politische Ausrichtung
wichtig war. Andererseits waren auch in dieser Gruppe Aktivisten, denen es pri12
13
Vgl. Roland Eckert, Christa Reis, Thomas A. Wetzstein, „Ich will halt anders sein wie die anderen –
Abgrenzung, Gewalt und Kreativität bei Gruppen Jugendlicher“, erschienen 2000 im Verlag Leske+
Budrich, Opladen, ISBN: 3-8100-2247-0.
Zu der Gruppe zählte ein „harter Kern“ von etwa 10 Personen, die sich selbst als „rechtsextrem“ und
„ausländerfeindlich“ bezeichneten sowie ein Umfeld von ca. 15 Personen, die von Sozialarbeitern als
17
mär um den „Skin-Stil“ als solchen ging, und weniger um politische Inhalte. Ältere
Gruppenmitglieder zeigten sich als „ideologisch geschult“ und verhältnismäßig argumentationssicher. Jüngere wiederum fielen durch das „ständige Wiederholen
von Stereotypen“ auf. Die Älteren versuchten immer wieder, Alltagssituationen
(z.B. Erlebnisse mit Ausländern) mit weltanschaulichen Gesichtspunkten zu verknüpfen. Dabei waren vor allem einschlägige rassistische und nationalistische Argumentationsmuster üblich. Bemerkenswert ist nach den Forschungsergebnissen, dass sich in der Phase 1997-99 eine zunehmende Radikalisierung der
Gruppe zeigte.
Besonders wichtig, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Prävention, erscheinen auch Gesichtspunkte des Hineinwachsens in die rechtsextreme
Skinheadgruppe bzw. der spezifischen Gruppendynamik.
Der Zugang zu der untersuchten Gruppe erfolgte „häufig im Alter von 14 bzw. 15
Jahren“. In der frühen Phase der Gruppe wurde von einem „allmählichen Hineinwachsen in die Szene“ gesprochen; meist traf man sich mit Gleichgesinnten. Besondere Aufnahmerituale gab es nicht. Daran hatte sich im Laufe der Zeit etwas
geändert: zum Zeitpunkt der Untersuchung war von Aufnahmebedingungen die
Rede (z.B. eine überzeugende politische Einstellung, Eigenschaften als „guter
Schläger“ etc.).
Innerhalb der Gruppe unterwarf man sich bestimmten Regeln und solidarisierte
sich u.a. durch die Übernahme des szeneüblichen Dresscodes. Hierzu zählte
neben dem kahl geschorenen Schädel natürlich das entsprechende Outfit; hinzu
kamen Tätowierungen („ein unbedingtes Muss“).
Die Gruppe selbst schien ihren Mitgliedern Halt und Geborgenheit zu geben. Aus
einzelnen Aussagen geht hervor, dass Begriffen wie „Gemeinsamkeit“ und
„Kameradschaft“ große Bedeutung beigemessen wurde.
Innerhalb der Gruppe gab es eine klare Hierarchie. Der Anführer, der auch der
Älteste war, zeichnete sich dadurch aus, dass er „verbal am geschicktesten war
und das größte Durchsetzungsvermögen“ hatte.
Am unteren Ende der Hierarchie standen die weiblichen Gruppenmitglieder,
die als „vollkommen ohne Rechte“ beschrieben werden. Sie selbst zählten sich
„zum weiteren Umfeld“ der Gruppe. Äußerungen der männlichen Gruppenmitglie„rechts orientiert“ eingestuft wurden. Die Altersspanne innerhalb der Gruppe reichte von 16-32 Jahren.
18
der spiegelten ein extrem archaisches Rollenverständnis von Mann und Frau
wider.
Weitere relevante Erkenntnisse vermittelt die Forschungsarbeit14 „Rechte Cliquen - Alltag einer neuen Jugendkultur“ aus dem Jahre 2001. Die Studie baut
auf einer Regionalforschung von Hafeneger/Niebling aus dem Jahre 1999 auf.
Am Beispiel von drei Jugendcliquen aus hessischen Gemeinden werden „lokale
Milieuerfahrungen“ von Jugendlichen u.a. im Hinblick auf die Bedeutung rechtsextremer Orientierungen15 wieder gegeben. Nachfolgend soll auf eine der drei Gruppen näher eingegangen werden:
Bei der besagten Clique wurde ein „harter Kern ideologisch gefestigter“ Jugendlicher, bestehend aus sechs Personen (vier Männer, zwei Frauen. Altersgruppe 18-23 Jahre), ausgemacht. Das weitere Gruppenumfeld wurde von den
Jugendlichen zwischen 10 und 35 Personen angegeben.
Die Mitglieder des harten Kerns werden als „unterprivilegiert“ und „ohne Karrierechancen auf dem Arbeitsmarkt“ beschrieben. Die männlichen Gruppenmitglieder waren zum Zeitpunkt der Untersuchung arbeitslos bzw. befristet angestellt. Sie hatten keine abgeschlossene Berufsausbildung; einige waren ohne
Hauptschulabschluss. Als prägend für ihr aktuelles Leben wurden „Langeweile,
Alkohol und Politik“ ausgemacht. Es wurde die Sehnsucht nach stabilen und
klaren Strukturen und strengen Befehlen, nach Männerbünden sowie nach
einem Leben als „Kämpfer für das Vaterland“ artikuliert.
Nach außen tritt der „harte Kern“ der besagten Clique durch martialisches Outfit
in Erscheinung; es wird eindeutig die Zugehörigkeit zur rechten Skinhead-Szene
signalisiert. Man bekennt sich offen als „rechtsextreme und ausländerfeindliche
Gruppe“ und bedient sich zumeist entsprechender Ideologiefragmente. Eine intensive rechtsextremistisch-ideologische Schulung ist die Ausnahme. Die Sinnwelt der Clique ist von ausgeprägtem Fremdenhass bzw. Rassismus und eindeutigem Freund-Feind-Denken gekennzeichnet. Ein Teil der Clique sieht sich
in der Tradition zur SA und SS; extrem rassistische Gruppierungen wie der „Ku
14
15
Vgl. Benno Hafeneger, Mechthild Jansen: „Rechte Cliquen – Alltag einer neuen Jugendkultur“,
erschienen im Juventa Verlag, Weinheim und München 2001, ISBN: 3-7799-0260-5.
Cliquen werden als selbstgewählte, und relativ selbstorganisierte, spontane, erwachsenenunabhängige
informelle Gruppierungen im lokalen Nahraum und Milieu beschrieben. Sie können Teil einer größeren
Szene sein. Bei rechten Cliquen wird von mehr oder weniger ausgeprägten Sympathien zum organisierten Rechtsextremismus, sowie von Einstellungen und Verhaltensweisen, die aus dem Ideologiebereich des Rechtsextremismus kommen, gesprochen.
19
Klux Klan“ haben Vorbildcharakter. Missfallen rufen jene Skinheads hervor, die
besagte politische Haltungen nicht teilen.
Ein wesentlicher Kernbegriff ist für die Gruppe die Kameradschaft. Sie ist
gleichsam Inbegriff von Zugehörigkeit und Halt und wird entsprechend idealisiert.
In ihrer subjektiven Bedeutung rangiert sie vor anderen identitätsstiftenden Gruppen oder Institutionen, wie der Familie, Arbeit und Schule.
Innerhalb der Gruppe wird Homogenität und das Negieren von Hierarchien
hervorgehoben. Gleichwohl gibt es unterschiedliche Rollen und Funktionen,
die mit Macht und Einfluss verbunden sind.
5.3 Forschungsergebnisse zum Thema rechtsextremistische Gewalt
Abschließend soll auf Untersuchungen des Phänomens rechtsextremistisch motivierter Gewalt und daraus resultierende Erkenntnisse über die Skinhead-Szene
eingegangen werden.
Grundlage für die nachfolgenden Daten ist eine Veröffentlichung des Bundesministerium des Innern aus dem Jahre 200116. Eine der darin enthaltenen Studien
befasst sich mit der Analyse polizeilicher Ermittlungsakten zu fremdenfeindlichen,
antisemitischen und rechtsextremistischen Tatverdächtigen (Verfasser: Christian
Peucker, Martina Gaßebner, Klaus Wahl) im Analysezeitraum 199717. Exemplarisch soll auf den Deliktsbereich fremdenfeindliche Straftaten eingegangen werden, da hierzu auch Vergleichsdaten zum Forschungszeitraum 1992/93 vorliegen
(vgl. Fußnote Nr. 12). Die Basis für die Daten aus dem Jahre 1997 bilden 2.887
von Polizeidienststellen ausgefüllte Fragebögen zu Tatverdächtigen. Zunächst einige allgemeine Daten:
Der Altersschwerpunkt der analysierten Tatverdächtigen lag in den Zeiträumen
1992/93 sowie 1997 in der Altersgruppe 15-24 Jahre. Am stärksten repräsentiert
waren die 18-20-jährigen, gefolgt von den 15-17-jährigen. Jeweils mehr als 90 %
der Tatverdächtigen waren männlich (der Anteil der weiblichen Tatverdächtigen stieg von 5 % in 1992/93 auf 9 % in 1997). Zumeist handelte es sich um
Gruppentaten (1992/93: 79 %, 1997: 76 %); über zwei Drittel der Tatverdächti16
17
„Texte zur Inneren Sicherheit“, Dezember 2001, „Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsextremismus – Drei Studien zu Tatverdächtigen und Tätern“.
Diese Studie stellt in vielen Punkten eine Wiederholungsstudie von zwei Untersuchungen der Uni
Trier dar (vgl. Willems/Eckert/Würtz/Steinmetz 1993 und Willems/Würtz/Eckert 1994). Diesen beiden
Studien liegen die Analysezeiträume 1991 bzw. 1992/93 zugrunde.
20
gen war zum Tatzeitpunkt alkoholisiert. Jeweils stark vertreten waren Tatverdächtige mit Hauptschulabschluss (1992/93: 60 %, 1997: 56 %). Tatverdächtige mit Abitur oder Hochschulabschluss bildeten jeweils eine Minderheit von 3 %.
In beiden Vergleichszeiträumen war etwa jeder fünfte Tatverdächtige arbeitslos (mit zunehmenden Lebensalter steigt diese Quote, und liegt bei der Gruppe
ab 25 Jahre bei mehr als 40 %). Im Straftatenteilsegment der Gewalttaten konnte
allerdings kein überproportionaler Anteil an arbeitslosen Tatverdächtigen festgestellt werden. Es wird festgehalten, dass zwar Problemgruppen unter den Tatverdächtigen sind, solche Gruppen aber nicht zunehmend fremdenfeindliche Straftaten begehen. In diesem Zusammenhang erscheint die Anmerkung wichtig: ein
bisweilen dargestellter „Mechanismus der Zwangsläufigkeit“, wonach individuelle Probleme und soziale Konfliktlagen nahezu automatisch in die Gewaltkriminalität führen, ist nicht haltbar.
Was nun Skinheads bzw. Skinheadgruppen anbelangt, so ist zunächst bemerkenswert, dass diese im Zusammenhang mit den Tatverdächtigen im Jahre 1997
(31 %) öfter genannt werden, als 1992/93 (20 %). Nahezu jeder dritte Tatverdächtige gehörte 1997 einer Skinheadgruppe an. Dabei lag der Altersschwerpunkt mit fast 90 % in der Gruppe der 15-24-jährigen. Im Zuge dieser
Entwicklung
verweist
die
Studie
u.a.
auch
auf
eine
Radikalisierung
fremdenfeindlicher Straftäter und eine Stabilisierung der rechtsextremen
Szene. Im Teilsegment fremdenfeindliche Gewalttaten zeichneten 1997 für 27
% der Delikte Skinheadgruppen verantwortlich18. Bemerkenswert ist, dass im
Ost-West-Vergleich im Jahre 1997 rund 49 % der Tatverdächtigen Gewalttäter
im Westen sich als Skinheads benannt haben, während nur 8 % aus dem
Osten dies getan haben. Damit wird eine gängige These, dass im Osten
hauptsächlich Skinheads für fremdenfeindliche Gewalttaten verantwortlich sind
deutlich in Frage gestellt.
18
Zum Vergleich: ca. 31 % der Gewalttäter konnten so genannten informellen Gruppen zugerechnet
werden.
21
6. Strömungen der Skinheadbewegung
Innerhalb der Skinheadbewegung in der Bundesrepublik Deutschland mehrere
größere Strömungen sowie einzelne, weniger stark ausgeprägte Erscheinungsformen erkennbar. Insgesamt kann aufgrund verschiedener Kriterien nicht von einer einheitlichen oder homogenen Bewegung gesprochen werden
Einen zahlenmäßig großen Anteil bilden die so genannten Oi-Skins (s.a. Seite 9,
Fußnote 3.). Weite Teile dieses Spektrums haben sich bislang als resistent gegenüber Vereinnahmungsversuchen rechtsextremistischer Gruppen gezeigt. Politischen Extremen steht man weitgehend ablehnend gegenüber. Für „Oi-Skins“
steht in aller Regel nicht die politische Agitation, sondern der „Spaß“ am Skinheaddasein und den damit verbundenen Aktivitäten (Konzertbesuche etc.) im
Vordergrund. Gleichwohl bezeichnen sich viele „Oi-Skins“ auch als „Patrioten“
und lassen eine nationalistisch geprägte, stark reservierte Haltung gegenüber
Ausländern erkennen.
Eine Minderheit innerhalb der Skinheadbewegung bilden „linke“ bzw. „antifaschistische“ Skinheads. Sie firmieren unter Bezeichnungen wie „Redskins“,
heads“
„Red
&
(RASH)
Anarchist
oder
Skin-
„SHARP“
(„Skinheads Against Racial Prejudice“).
„Redskins“ verstehen sich als Vertreter
einer militanten Arbeiterjugendbewegung. Sie können zumeist der linksextremistischen Autonomen-Szene zugerechnet werden. In ihrem äußeren Erscheinungsbild grenzen sie sich von
rechtsextremistischen Skinheads z.B. durch rote Bomberjacken19 und Anti-NaziAufnäher ab. Ihre Springerstiefel versehen sie oft mit roten Schnürsenkeln, im
19
Nicht zu verwechseln mit glänzend roten Jacken mit der Aufschrift „Redskins“. Hierbei handelt es sich
um Fanjacken einer Footballmannschaft aus Washington/DC (USA).
22
Gegensatz zu den in der rechtsextremistischen Skinheadszene gebräuchlichen
weißen20.
Gegenüber den „Redskins“ sehen sich die SHARP-Skins als weitgehend unpolitischen Teil der Skinheadbewegung. Allerdings bilden sie ein antirassistisches Gegengewicht zu den rechtsextremistischen Skinheads und treten beispielsweise
demonstrativ für Ausländer ein, um diese vor Übergriffen zu schützen.
Zu einer starken Strömung in
der Skinhead-Szene ist mittlerweile der Teil geworden,
der dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen ist. Hierunter fallen Skinheads, die rechtsextremistisch
beeinflusst sind
und solche, die ein ausgeprägtes rechtsextremistisches Weltbild verinnerlicht haben. Diese Skinheads sind Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen.
20
Die Farbe der Schnürsenkel kann ein Indiz sein, muss es aber nicht. Insofern können vorschnelle Beurteilungen eines etwaigen politischen Hintergrundes allein aufgrund solcher Äußerlichkeiten fehlleiten.
Vgl. Nr. 7.2, Seite 26.
23
7. Rechtsextremistische Skinheads - „kurze Haare, radikal,
sozialistisch, national“
7.1 Bezeichnungen - Strukturen - Ideologie
Für rechtsextremistische Skinheads gibt es eine Reihe von Szenebezeichnungen
und Arbeitsbegriffen21. Zu den gebräuchlichsten gehören der „Nazi-Skin“22, wie
er üblicherweise von der „linken“ Szene verwendet wird, oder der Begriff „WhitePower-Skin“23, der einen rassistisch eingestellten Skinhead charakterisieren soll.
Ein weiterer Szenebegriff ist „Bonehead“ (Knochenkopf), der sich von den kahl
rasierten Schädeln ableitet. Diese Bezeichnung gilt als Synonym für den „harten“,
militanten Kern der rechtsextremistischen Skinheads.
Der überwiegende Teil der rechtsextremistischen Skinheads verzichtet
weitgehend auf verbindliche, z.B. vereinsähnliche Organisationsstrukturen
sowie auf eine fundierte, kontinuierliche politische Schulung. Dies bedeutet
allerdings nicht eine völlige Strukturlosigkeit. Zumeist bestehen cliquenähnliche
Zusammenschlüsse, die im regionalen Rahmen agieren, ohne dass sie eines
straffen organisatorischen Rahmens bedürfen. Innerhalb dieser Gruppierungen
gibt es in der Regel Hierarchien, einen „harten Kern“ von Personen mit einem
stark verdichteten rechtsextremistischen Weltbild sowie ideologisch wenig gefestigte „Mitläufer“24. Ebenso charakteristisch ist ein oft zu beobachtendes hohes
Maß an Fluktuation, vor allem im Umfeld solcher Gruppen.
In ideologischer Hinsicht bedient sich der strukturarme, eher lose formierte
Teil der Skinhead-Bewegung zumeist nur recht oberflächlicher, plakativverkürzter Formeln, die sich eng an das Gedankengut der Neonaziszene anlehnen. Dabei spielen vor allem Symbole und ideologische Bruchstücke aus der
Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft eine Rolle; ein tiefer gehender
politischer Diskurs findet in der Regel nicht statt.
21
22
23
24
Hierbei handelt es sich nicht um Organisationsbezeichnungen.
Die Bezeichnung „Nazi-Skin“ wird mitunter auch von rechtsextremistischen Skinheads selbst verwendet.
Als weiterer Szenebegriff ist auch der des „Fascho-Skin“ bekannt, abgeleitet vom Begriff Faschismus.
Unter dem Begriff „White-Power-Movement“ ist keine fest gefügte Organisation zu verstehen, sondern
vielmehr ein „kleinster, gemeinsamer Nenner“ des Rassismus, der international Fuß gefasst hat. Im Kern
dreht sich diese Ideenwelt um die „Reinerhaltung der weißen Rasse“. Die Anhänger dieses Gedankens
sind in aller Regel ausgeprägt fremdenfeindlich und antisemitisch eingestellt. Als internationales Symbol
mit entsprechendem Wiedererkennungswert gilt die so genannte White-Power-Faust (vgl. Schaubild
„Skinheads - Kämpfer für Deutschland“ auf Seite 22).
Vgl. Nr. 5.2., Seite 16.
24
Skinhead-Szene
„Linke“
„Redskins“
SHARP-Skins
Unpolitische
„Oi-Skins“
Rechtsextremistische
Unorganisierte
„Blood&Honour“
Organisierte
„Hammerskins“
25
Neben dem beschriebenen strukturarmen Bereich gibt es innerhalb der rechtsextremistischen Skinhead-Szene aber auch Gruppierungen mit straffen Organisationsstrukturen und einem stärkerem Maß an Gruppendisziplin. Zu diesem
Spektrum zählen die „Blood & Honour“-Bewegung und die „Hammerskins“.
Die „Blood & Honour“26-Bewegung (B&H) hat ihre Wurzeln in Großbritannien
und steht von Beginn ihrer Gründung Ende der 80er Jahre an in der Tradition
rechtsextremistischer Skinheadmusik27. Einer ihrer Gründer war der 1993 durch
Unfalltod verstorbene Bandleader der Gruppe Skrewdriver, Ian STUART, der in
der Szene auch heute noch Kultstatus hat. Die B&H-Bewegung wurde vor allem
ins Leben gerufen, um junge Menschen über das Medium Musik an die Szene
heranzuführen und mit neonazistischem, rassistischem Gedankengut vertraut zu
machen. Die ideologische Ausrichtung der B&H-Bewegung orientiert sich u.a. an
einem deutlichen Bekenntnis zu Adolf Hitler sowie anderen Nazigrößen und ist
durch die Verwendung von Symbolik und Begriffen des Nationalsozialismus gekennzeichnet. Wesentliche Aktionsschwerpunkte sind somit die Veranstaltung
25
26
27
Das Organigramm spiegelt nur einen Teil markanter Erscheinungsformen der vielfältigen Szene wider.
„Blut und Ehre“ (engl. „Blood and Honour“) war die Losung der Hitlerjugend im Dritten Reich.
Vgl. Nr. 8.1, Seite 32.
25
von Skinheadkonzerten und die Verbreitung von Tonträgern. Zudem sorgen eigene Fanzines28 für eine informationelle Vernetzung der Szene.
Seit ihrer Gründung hat sich die B&H-Bewegung in Europa und im außereuropäischen Ausland verbreitet. Sie gliedert sich in Länder bezogene „Divisionen“, die
wiederum über hierarchische Suborganisationen (Sektionen) verfügen. Im Gegensatz zur frühen Phase der Bewegung arbeiten die einzelnen „Divisionen“
weitgehend autonom und nicht in unmittelbarer Abhängigkeit von Entscheidungen
der „Mutterorganisation“ in Großbritannien.
Die 1994 in Berlin gegründete „B&H Division Deutschland“ und deren Jugendorganisation „White Youth“ wurden mit Verfügung des Bundesministers des Innern
am 12. September 2000 verboten29. Zum Zeitpunkt des Verbots wurden der „B&H
Division Deutschland“ ca. 200 Personen zugerechnet, die „White Youth“ verfügte
nach eigenen Angaben über ca. 100 Mitglieder. Dieser Personenkreis unterwarf
sich straffen Organisationsregeln (z.B.: Mitgliedschaft ab 21 Jahre nach sechsmonatiger Anwärterschaft, regelmäßige Schulungen etc.).
Wie die B&H-Bewegung sind auch die „Hammerskins“30 international strukturiert. Gegründet wurden die „Hammerskins“ Mitte der 80er Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika. Heute gibt es „Hammerskin“-Gruppen in einer Reihe
von Ländern, so in Europa u.a. in Deutschland (ca. 120 Personen in regionalen
Untergliederungen, so genannte Chapter), Frankreich, Italien, Tschechien und in
der Schweiz. Die zumeist nur wenigen Mitglieder dieser Zusammenschlüsse pflegen ein elitäres Bewusstsein. Ihr Ziel ist die weltweite Vereinigung der Skinheads
in einer „Hammerskin-Nation“. Das Gedankengut der „Hammerskins“ ist von einem deutlich rassistischen Charakter und neonazistisch geprägt. Im Vordergrund
ihrer nach außen gerichteten Aktivitäten steht ebenfalls die Ausrichtung von Konzerten.
7.2 Symbolik - Kleidungsstil
Zeichen und Kleidung können wichtige Identifikationsfaktoren sein. Nicht zuletzt
schaffen sie Identität und ein „Wir-Gefühl“. Gleichzeitig grenzen sie ab und sind
Ausdrucksmittel individueller oder kollektiver Befindlichkeiten.
28
29
30
Szeneschriften (abgeleitet vom englischen Begriff Fan Magazine).
Das Verbot ist seit dem 13. Juni 2001 bestandskräftig.
Der Name leitet sich von dem Symbol der Bewegung, zwei überkreuzte Zimmermannshämmer, ab.
26
In der rechtsextremistischen Skinheadszene haben sich eine eigene Symbolik
und ein szenetypischer Kleidungsstil
entwickelt. Vielfach kann dabei von einer Visualisierung rassistischer Gesinnung gesprochen werden; zu den markantesten Symbolen rechtsextremistischer Skinheads zählen heute solche, die auf diese rassistische Haltung hindeuten sollen. Dies müssen nicht zwangsläufig Zeichen sein, wie sie
beispielsweise in der Zeit des Dritten Reiches von den Nationalsozialisten verwendet wurden. Es zählen auch solche dazu, die mitunter länger zurückliegende
Wurzeln haben und vom Ursprung her oft eine ganz andere Bedeutung. Exemplarisch sind die aus der nordisch-germanischen Mythologie, so beispielsweise Runen oder das Keltenkreuz (s.o.). Eine Rolle spielen auch Symbole, die von einschlägig bekannten rassistischen Organisationen wie dem „Ku Klux Klan“ (KKK)31
benutzt werden.
Rechtsextremistische Skinheads pflegen einen Dresscode. Im Vergleich zu
den oftmals recht eindeutigen Symbolen fällt hier die Szenezuordnung nicht
immer leicht - manchmal kann die „Verpackung“ trügen. Oberflächliche Betrachter ordnen beispielsweise rechtsextremistischen Skinheads spontan weiße
Schnürsenkel an den Springerstiefeln zu, wohingegen rote Schnürsenkel ein
scheinbar eindeutiges Indiz für „linke“ Skinheads seien. Das kann, muss aber
nicht stimmen. Das Tragen bestimmter Kleidungsstücke hängt nicht allein von
dem verbreiteten Eindruck ab, sondern auch von regionalen bzw. gruppenspezifischen Gegebenheiten. So kann es durchaus sein, dass ein rechtsextremistischer
Skinhead, um sich zu tarnen, auch einmal rote Schnürsenkel benutzt, oder gar
völlig „normale“ Kleidung trägt und sich auch ohne Glatze präsentiert. Und
manchmal ist es auch nur der Nachahmereffekt, der Jugendliche animiert, bestimmte szenetypische Kleidungsstücke unreflektiert zu tragen. In solchen Fällen
ist Auffallen und Provozieren angesagt und nicht die Zurschaustellung einer politisch-extremistischen Weltanschauung.
31
Im Jahre 1865 in Tennessee (USA) gegründete rassistische Organisation, die heute aus mehreren unab-
27
Ungeachtet dessen gibt es aber eine Reihe von Kleidungsstücken, die in der
Szene bevorzugt getragen werden, um die eigene Identität zu signalisieren und
zu wahren. Ein großes Stück weit definiert sich diese Identität aus einer Art archaischem Männlichkeitskult – Körperlichkeit, Stärke, Härte sind einige der Ideale,
die sich dahinter verbergen. Durch die gleichzeitige Heroisierung des Arbeitermilieus gibt man sich antibürgerlich. Dies alles spiegelt sich im äußeren Erscheinungsbild rechtsextremistischer Skinheads wider, so wie sie sich selbst oder in ihrer Kleidung präsentieren.
Zur Selbstpräsentation gehören der markante kurz geschorene oder gar blanke
Schädel sowie nicht zuletzt Tattoos. Sie sorgen bereits für ein szenetypisches,
martialisches Auftreten. Die Kleidung unterstreicht dies. Obligatorisch sind derbe
Arbeiterschuhe oder Schnürstiefel, oft mit zusätzlichen Stahlkappen versehen.
Enge, hochgekrempelte Jeans oder Camouflagehosen (Militärhosen mit Tarnmuster), über groben Baumwollhemden getragene Hosenträger und Bomberjacken sollen diesen Eindruck verstärken.
Ungeachtet aller Antibürgerlichkeit kann sich auch die rechtsextremistische Szene
nicht von einem gewissen Markenkult freimachen. Zu den „Rennern“ unter den
Marken zählt traditionell die Firma Dr Martens (Doc Martens) aus Großbritannien,
die u.a. Arbeiterschuhe bzw. -stiefel produziert. Hemden, T-Shirts und Sweatshirts werden bevorzugt von den britischen Firmen Ben Sherman (Hemden,
Sweatshirts etc.), Lonsdale32 (Boxerbekleidung, etc.) und vor allem Fred Perry
(Polo-Hemden etc.) getragen.
7.3 Entwicklung der rechtsextremistischen Skinheadszene in Deutschland
Bereits Anfang der 80er Jahre ließen Skinheads in der Bundesrepublik Deutschland dumpfe nationalistische, rassistische, antisemitische und Gewalt orientierte
32
hängig voneinander agierende Gruppen mit Schwerpunkt in den „Südstaaten“ der USA besteht
Seit einiger Zeit wird immer wieder öffentlich dargestellt, dass die Firma Lonsdale in Szenekreisen u.a.
wegen der Buchstabenkombination (Lo)-nsda-(le) in ihrem Namen beliebt sei. Rechtsextremistische
Skinheads trügen solche Produkte gerne unter der offenen Bomberjacke, so dass nur die Buchstaben
„nsda“ sichtbar sind, was dann soviel wie „nationalsozialistische deutsche Arbeiter“ signalisieren soll.
Nach hiesiger Einschätzung dürfte dies ein Stück weit Mythenbildung sein. Lonsdale scheint nicht von allen seinen Trägerinnen und Trägern in dieser Weise interpretiert zu werden. Die Firma Lonsdale distanziert sich im übrigen vom Rechtsextremismus. Anders sieht es offensichtlich mit der von deutschen
Rechtsextremisten entworfenen Marke Consdaple aus (NSDAP = „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“). Bei dieser Markenbezeichnung handelt es sich um eine Verfremdung des englischen Begriffes Constable (Schutzmann). Eine Version des Signets beinhaltet auch einen Adler, der dem Hoheitszeichen des Dritten Reiches (Reichsadler) ähnlich ist. Artikel dieser Marke werden u.a. über den rechtsextremistischen „Patria-Versand“, Landshut, vertrieben.
28
Züge erkennen. Bei verschiedenen Anlässen, so bei Fußballspielen, skandierte
man einschlägig bekannte Parolen aus der Nazizeit wie „Rotfront verrecke“ und
„Sieg heil!“. Über einen rein provokatorischen Ansatz hinaus gab es auch erste
Bestrebungen der Ideologisierung. Im Jahre 1982 hieß es in der Szeneschrift „Attacke – unabhängig überparteilich – erstes Berliner Skinhead-Magazin“ in einem
Vorwort u.a.:
„Wir sehen es als eine heilige Pflicht an, mit diesen völkischen Beobachtern33 die
kahlköpfige Bewegung mit ideologischem Gedankengut zu versorgen“.
Schon in dieser Zeit deutete sich an, dass offensichtlich nicht wenige der Aktivisten ein „rechtes“ Weltbild pflegten. Wirklich rechtsextremistische Skinheads, im
Szenejargon „Naziskins“ tituliert, bildeten aber (noch) eine Minderheit innerhalb
des breiten Spektrums. Diese Skinheads weckten das Interesse „etablierter“ neonazistischer Gruppen - sie witterten hier ein willkommenes Rekrutierungspotenzial. Erste Annäherungs- und Vereinnahmungsversuche, so durch den damals
bundesweit bekannten Neonaziführer Michael KÜHNEN34, scheiterten jedoch
weitgehend.
Letzthin wurden noch bis Ende der 80er Jahre von den Sicherheitsbehörden allenfalls rund 10% der Skinheadszene als rechtsextremistisch eingestuft. Dabei
sollte es aber nicht bleiben:
Vor allem in den 90er Jahren beobachteten die Verfassungsschutzbehörden ungeachtet kurzeitiger Rückgänge ein nahezu kontinuierliches Anwachsen des
rechtsextremistischen Potenzials innerhalb der bundesweiten Skinhead-Szene.
Besonders augenfällig wird dieser Umstand, wenn man die VerfassungsschutzStatistik gewaltbereiter Rechtsextremisten zugrunde legt. Der weitaus größte Teil
dieses Spektrums rekrutiert sich aus der Skinheadszene35. Während diesem Po33
34
35
Der „Völkische Beobachter“ war von 1920 bis 1945 das Sprachrohr und Parteiorgan der NSDAP.
KÜHNEN (1955-1991) war seinerzeit einer der bekanntesten Neonaziführer, der Teile der Szene dominierte. Zeitweise leitete er die 1983 verbotene „Aktionsfront Nationale Sozialisten/Nationale Aktivisten“
(ANS/NA). Zu seinen Zielen zählten die Integration der aufgesplitterten und teilweise auch zerstrittenen
Neonazigruppierungen sowie die Verstärkung der Bewegung, so durch „linientreue“ Skinheads. Vorbildcharakter hatte für ihn die „Sturmabteilung“ (SA) der NSDAP als straff durchorganisierte „Parteiarmee“.
Mit einer solchen Zielsetzung stieß er allerdings bei den weit überwiegend organisationsfeindlichen
Skinheads auf keine nennenswerte Resonanz.
Eine exakte zahlenmäßige Erfassung ist insbesondere aufgrund der starken Fluktuation in der Szene
nur bedingt möglich. Hinzu kommt, dass es eine Grauzone von Personen gibt, bei denen (noch) nicht
von einem kohärenten Weltbild im Sinne einschlägiger rechtsextremistischer Ideologieelemente ausgegangen werden kann oder eine Einbindung in bestehende rechtsextremistische Zusammenschlüsse
erkennbar ist. Im Verfassungsschutzbericht 1999 des Bundesinnenministeriums wird dargelegt, dass
29
tenzial im Jahre 1991 etwa 4.200 Personen bundesweit zugeordnet werden konnten, waren es Ende 2002 bereits ca. 10.700. Erst im Jahre 2003 war wieder ein
Rückgang auf etwa 10.000 Personen festzustellen. Insofern kann auch eine große Zahl der in den vergangenen Jahren verübten rechtsextremistischen bzw.
rechtsextremistisch motivierten Gewaltdelikte in Deutschland Skinheads oder deren Umfeld zugeordnet werden.
Rechtsextremistisches Gewaltpotenzial
11.000
10.000
9.000
8.000
7.000
6.000
5.000
4.000
3.000
2.000
1.000
0
1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003
Der weit überwiegende Teil der Skinheads folgte auch in den 90er Jahren bis
heute dem Selbstverständnis, einer Bewegung anzugehören, die vor allem ein
gemeinsames Lebensgefühl verbindet. Skinheadgruppen mit Organisationsstrukturen bilden dabei eher die Ausnahme. Neben der subjektiven Organisationsunwilligkeit spielen hierfür sicher auch ganz pragmatische Gründe eine Rolle: verbindliche Strukturen, wie z.B. Vereine, können unter bestimmten Voraussetzungen verboten werden. Von dieser Erfahrung blieb auch die Skinheadszene nicht
verschont36.
36
etwa 85 % des rechtsextremistischen Gewaltpotenzials der Skinheadszene entstammt.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern verbot am 30. Juli 1996 den Verein „Skinheads Allgäu“.
Am 12. September 2000 verfügte der Bundesminister des Innern das Verbot der Gruppierung „Blood &
Honour – Division Deutschland“ und ihrer Jugendorganisation „White Youth“. Am 5. April 2002 wurde
30
Somit blieben auch bis in die jüngste Zeit die wiederholten Versuche etablierter
rechtsextremistischer Gruppen weitgehend erfolglos, Skinheads organisatorisch
zu vereinnahmen. Anders sah es aber zeitweise in aktionistischer Sicht aus. Dies
hing eng mit der 1997 vollzogenen Neuorientierung der rechtsextremistischen
„Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) zusammen. Unter der Führung ihres (neuen) Bundesvorsitzenden Udo VOIGT verfolgt die Partei seitdem
eine Dreifachstrategie: „Kampf um die Straße“, „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um
die Parlamente“. Gerade der erstgenannte Gesichtspunkt, die provokante Präsenz im öffentlichen Raum, schließt den Gedanken von Aktionsbündnissen mit
anderen Rechtsextremisten ein37. Im Zuge dieser Entwicklung haben in den letzten Jahren z.B. wiederholt Demonstrationen stattgefunden, an denen sich NPDMitglieder wie auch Neonazis und nicht zuletzt Skinheads gemeinsam beteiligten38. In den Jahren 2002/2003 wuchs allerdings wieder eine zunehmende Distanz zwischen der NPD und den Neonazis bzw. Skinheads; Demonstrationen
wurden vermehrt getrennt voneinander durchgeführt. Diese Entwicklung hält an,
zumal die NPD aktuell stärkere Akzente auf den „Kampf um die Köpfe“ setzen
will, so durch Rekrutierung neuer, intellektueller Gesinnungsgenossen aus dem
studentischen Milieu.
Bemerkenswert ist zudem, dass sich in jüngerer Zeit in Teilen des Neonazispektrums das Lebensgefühl der Skinheads stärker ausbreitet39, während umgekehrt
die Skinheadszene verstärkt neonazistische Inhalte adaptiert. Neben rein neonazistischen Gruppen bzw. reinen Skinheadvereinigungen gibt es mit steigender
Tendenz auch gemischte Gruppierungen. Diesen Gruppen, die sich häufig als
"Kameradschaften" bezeichnen, gehören in der Regel etwa 10 bis 20 überwiegend junge Männer an. Bisweilen kann allerdings auch ungeachtet martialischer
Gruppennamen oder Internetauftritte nur von Kleinstgruppen mit zwei bis drei
Mitgliedern gesprochen werden ("Phantomkameradschaften").
37
38
39
Vom Sächsischen Minister des Innern die Gruppe „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) verboten.
Die NPD spricht dabei vom „Nationalen Widerstand“ als überparteiliches Bündnis. Gelegentlich wird
auch der Begriff „Nationale außerparlamentarische Opposition“ verwendet.
Einen Anlass für derartige Demonstrationen bot sich für die Rechtsextremisten wiederholt in der Wanderausstellung „Verbrechen der Wehrmacht, Dimension des Vernichtungskrieges“.
Ein Grund hierfür könnte der strukturelle Wandlungsprozess sein, den die Neonaziszene in den letzten
Jahren eingeleitet hat. Nicht zuletzt aufgrund einer Reihe von Organisationsverboten haben sich weite
Teile des Spektrums von den herkömmlichen, starren Strukturen gelöst, um heute als (autonome)
„Kameradschaften“ weiter zu existieren. Damit verstärkt sich in diesem Bereich der Charakter einer
Bewegung, wie er von Skinheads seit jeher mehrheitlich gepflegt wird. Aktuell existieren bundesweit
ca. 160 solcher neonazistischen „Kameradschaften“.
31
7.4 Rechtsextremistische Skinheads in Rheinland-Pfalz
In Rheinland-Pfalz gibt es etwa 400 Skinheads40 (2002: 400, 2001: 350). Zumeist
handelt es sich bei den hiesigen Szeneangehörigen um Personen, bei denen
(noch) nicht von einem in sich geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild oder
die feste Einbindung in rechtsextremistische Zusammenhänge gesprochen werden kann. Teile dieses Spektrums lassen eine latente Neigung zur Gewalt erkennen. Zudem besteht aufgrund von persönlichen Kontakten zu Rechtsextremisten
eine permanente Gefahr des Abgleitens in das rechtsextremistische Umfeld oder
gar in dessen „harten Kern“.
Von den etwa 400 Skinheads können ca. 50 als rechtsextremistisch mit neonazistischer Prägung eingestuft werden. Diese Zahl ist entgegen dem Bundestrend,
der in den vergangenen Jahren aufwärts verlief, relativ konstant geblieben. Fluktuation hat allerdings auch in Rheinland-Pfalz wiederholt das Bild der Szene verändert.
Die rechtsextremistischen Skinheads treten im Lande vor allem in der Vorderpfalz
sowie in den Großräumen Koblenz/Westerwald und Zweibrücken/Westpfalz auf.
Im Bereich der Region Westerwald bestehen Kontakte zur Skinhead-Szene nach
Hessen und Nordrhein-Westfalen. Im Bereich der Vorderpfalz unterhalten Skinheads Kontakte zu neonazistischen „autonomen Kameradschaften“ in BadenWürttemberg.
In der jüngeren Vergangenheit haben rechtsextremistische Skinheads in Rheinland-Pfalz wiederholt durch gewalttätigen Aktionismus (Schlägereien) am Rande
von Wein- und Volksfesten im rheinhessischen und Pfälzer Raum für Schlagzeilen gesorgt. Dieser Aktionismus ist zwischenzeitlich aber - nicht zuletzt aufgrund
erfolgreicher Maßnahmen der rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden - merklich zurückgegangen.
Auch in Rheinland-Pfalz fanden in den letzten Jahren immer wieder Skinheadkonzerte statt (2001: 3, 2002: 7, 2003: 7). An größeren Veranstaltungen beteiligten sich bis zu 400 Personen.
40
Stand: 31.12.2003.
32
8. Rechtsextremistische Skinheadmusik
Musik begleitet die Geschichte der Skinheadbewegung von Beginn an. Sie ist ein
in vielerlei Hinsicht wichtiger, nicht wegzudenkender Bestandteil; sie war und ist
wegbereitend für die Ausbreitung der Szene. Die Musik ist zudem ein bedeutender Agitations- und Integrationsfaktor. Konzertveranstaltungen von Skinheadbands sind zugleich auch Kontaktbörse und Kommunikationsforum. Nicht zuletzt
wurde durch diese spezielle Form der Musik ein eigener Markt geschaffen.
8.1 Entwicklungslinien
Für die Entwicklung der rechtsextremistischen Skinhead-Musikszene maßgebend
und richtungweisend war der Brite Ian STUART41 (1957-1993). Wie kaum ein anderer fungierte er als ein Wegbereiter rechtsextremistischer Skinheadmusik. Ian
STUART war Bandleader der 1976 gegründeten Formation Skrewdriver (wörtl.:
Schraubenzieher, umgangssprachlich.: to skrew = „vögeln“), die sich zunächst
nicht von vielen anderen Rockbands unterschied. Ende 1979 trat STUART in die
rechtsextremistische „National Front“ (NF) ein. Fortan sollte er ein gänzlich anderes Selbstverständnis von Musik entwickeln. Unter anderem unter dem Slogan
„Rock against Communism42“ und dem „White-Power“-Signet verbreitete er sein
rassistisches, neonazistisches Credo. In einem Interview aus dem Jahre 198343
äußerte er:
„Wir glauben, dass eine nationalsozialistische Lebensart der einzige Weg nach
vorne ist für Europa…Deshalb hoffe ich, durch meine Musik meine rassistischen
Kameraden in Deutschland zu inspirieren, für ihre rassistischen und nationalen
Rechte zu kämpfen, und ich begrüße sie in ihrem Kampf!“
Ian STUART hatte nicht allein einen strammen musikalischen Rechtsruck vollzogen und in Szenekreisen populär gemacht; er hat auch nicht zuletzt für einen organisatorischen Umbruch gesorgt. Mit der „Blood and Honour“-Bewegung44 grün41
42
43
44
Vgl. Nr. 7.1, Seite 24.
Vgl. Anhang, Begriffserläuterungen, Seite 42.
Vgl. Klaus Farin: „In Walhalla sehen wir uns wieder“, veröffentlicht in „Die Skins, Mythos und
Realität“ von Klaus Farin, erschienen 1997 im Ch. Links Verlag, Berlin, ISBN: 3-86153-136-4.
Vgl. Nr. 7.1, Seite 24.
33
deten er und einige Gesinnungsgenossen eine straff durchorganisierte, elitäre
Speerspitze zur Verbreitung rechtsextremistischer Skinheadmusik.
Für STUART sollte diese Vereinigung u.a. folgende Ziele verfolgen:
- Jugendliche für (rechtsextremistische) Skinheadmusik zu begeistern und
- durch die Musik an die Szene heranzuführen, um sie
- mit rechtsextremistischem, vor allem rassistischen Gedankengut zu
infiltrieren und schließlich,
- die Szene zu festigen.
Diese Rechnung ging auf. Rechtsextremistische Skinheadmusik im Sinne des
Vermächtnisses von Ian STUART ist heute einer der wichtigsten Kristallisationsfaktoren in den entsprechenden Szenen der unterschiedlichen Herkunftsländer. Rechtsextremistische Kultbands wie „Bound of Glory“ (USA), „Brutal Attack“ (Großbritannien) oder „Fortress“ (Australien) haben sich in Szenekreisen
auch hierzulande einen Namen gemacht; ihre Konzerte finden regen Zulauf.
In Deutschland entwickelte sich die rechtsextremistische Skinheadmusikszene in den 80er Jahren zunächst ein wenig zaghaft, dann in den 90er Jahren mit
umso mehr Schwungkraft. Dies zeigt u.a. die stete Aufwärtsentwicklung der Anzahl rechtsextremistischer Skinheadbands, die sich in den 90er Jahren nach Beobachtungen der Verfassungsschutzbehörden durch öffentliche Auftritte oder
nichtöffentliche Aktivitäten (Studioaufnahmen) hervortaten. Der Zusammenhalt
vieler einschlägig bekannt gewordener Bands war bzw. ist jedoch nicht von Dauer. Auch in diesem Spektrum gibt es ein verhältnismäßig hohes Maß an Fluktuation. Nicht nur einzelne Bandmitglieder wechseln oft, auch viele Gruppen entstehen, um nach mitunter nur kurzem Wirken wieder zu verschwinden. Zudem ist gerade unter dem Gesichtspunkt des erheblichen staatlichen Verfolgungsdrucks bei
der Bekämpfung strafrechtlich relevanter Musik vor allem was den Vertrieb solcher Musik anbelangt eine Art „Schattenszene“ entstanden, die sich geschickt zu
tarnen weiß. Heute kann von verschiedenen Ebenen ausgegangen werden – einer offenen, zur Produktion und Verbreitung „harmloser“ Musik(texte) und einer
34
konspirativen, um strafrechtlich relevante Inhalte zu produzieren und zu verbreiten (z.B. Texte mit rassistischen, volksverhetzenden Inhalten).
Rechtsextremistische Skinheadbands
120
100
93
100
103
90
100
63
80
60
39
95
70
47
40
20
0
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002 2003
8.2 Musikinhalte
Rechtsextremistische Skinheadmusik ist Bekenntnis und Botschaft zugleich. Zu
Beginn der 80er Jahre, als sich die „Rechtsrock“-Szene zu formieren begann45,
waren die Inhalte der Musik überwiegend nicht politisch geprägt. Eher wurden
Themen aufgegriffen, die das Lebensgefühl der Skinheads vermitteln sollten (Partys, Fußball, Alkohol, Sex etc.). In den 90er Jahren trat die Entwicklung der
(rechtsextremistischen) Skinheadmusik in eine neue Phase: politische Inhalte
sollten fortan das Geschehen dominieren. Starken Einfluss auf die deutsche
Skinheadmusik-Szene übten dabei internationale Kultbands aus wie die erwähnte
Gruppe Skrewdriver.
Die Inhalte und Botschaften, die vermittelt werden sollen, sprechen eine deutliche
Sprache. Ein Kernelement ist der offene, in äußerst drastischer Weise dargestellte Rassismus. In ihren Liedtexten bekennen sich rechtsextremistische Skinheadbands zu einer diffusen „arisch-nordischen“ Rassenideologie. Alles Fremde wird
abgelehnt und ausgegrenzt. Menschen, die nicht in dieses Weltbild passen, wer45
Vgl. Nrn. 2 und 3, Seite 6 ff.
35
den durch zum Teil widerwärtige Verunglimpfungen erniedrigt. Hierzu zählen regelmäßig bestimmte Volksgruppen (z.B. Türken), Religionsgemeinschaften (z.B.
Juden46) oder Minderheiten (z.B. Homosexuelle, Obdachlose etc.). Der Rassismus mündet immer wieder in folgenden zentralen Aussagen:
Die weiße Rasse, die Herrenrasse, ist zu bewahren, da sie durch Rassenmischung, zionistische Machenschaften, Kommunismus, Kapitalismus und
Gleichgültigkeit der herrschenden demokratischen Systeme akut bedroht
ist.
Die Feinde der weißen Rasse, Kommunisten, Kapitalisten, Juden, sind zu
beseitigen und entsprechende Regierungsformen durch das System des
„Dritten Weges“ zu ersetzen.
Skinheads, arische Jugendliche, haben die „Gefahr für ihre Rasse“ erkannt
und sehen sich als Kämpfer in einem nahen Rassenkrieg.
Mit diesen rassistischen Darstellungen geht oft eine Verherrlichung und Verklärung des Nationalsozialismus einher. Entsprechende Anspielungen finden sich
beispielsweise immer wieder auf CD-Hüllen, so in Form von Abbildungen bekannter Nazigrößen. Manche Skinheads sehen sich gar als „politische Soldaten“ in der
Tradition der „Sturmabteilung“ (SA47) der NSDAP. Neben der Verherrlichung der
Nazizeit spielt auch die unreflektierte Heroisierung von Wehrmacht und Waffen-SS eine Rolle. Das „Vorbildliche“ des Soldatischen wird in Liedtexten beschworen und visuell auf CD-Hüllen dargestellt.
Neben diesen historisch noch eher „greifbaren“ Vorbildern aus der Zeit des Nationalsozialismus orientieren sich Musikinhalte rechtsextremistischer Skinheadbands
und Darstellungen auf CD-Hüllen an einer verklärten und bisweilen erheblich verdrehten nordisch-germanischen Mythenwelt48.
46
47
48
Die propagierte Judenfeindlichkeit entspringt nicht einer religiösen, sondern vielmehr einer rassistischen
Motivation, wie sie für das rechtsextremistische Spektrum typisch ist.
Die 1921 gegründete, braun uniformierte SA verstand sich als paramilitärische Kampf- und Schutztruppe
der NSDAP Hitlers.
Damit entspricht man einem stärker gewordenen Trend unter rechtsextremistisch geprägten Jugendlichen, Heidentum und Germanenkult zu thematisieren bzw. zu pflegen.
36
8.3 Konzerte
Konzertveranstaltungen sind für die Skinhead-Bewegung von großer Bedeutung.
Sie sind ebenso Identifikations- wie Integrationsfaktor in einer ansonsten eher
strukturarmen Szene49. Wie bei kaum einem anderen Anlass bieten Konzerte die
Möglichkeit, das szenespezifische Gemeinschaftsgefühl auch auszuleben. Eingestimmt durch mitunter exzessiven Alkoholkonsum entfalten die hämmernden
Rhythmen und einpeitschenden Texte der rechtsextremistischen Skinheadmusik
gerade unter den jugendlichen Zuhörern eine fatale Sogwirkung. Dabei werden
auch immer wieder indizierte Lieder und Liedtexte mit strafrechtlich relevanten Inhalten angestimmt. Oft geben die Bands den Rhythmus nur vor und lassen ihr
Publikum diese Lieder singen. Ebenso gehört das Skandieren von verbotenen
Grußformeln (z.B. „Sieg Heil“) zu den bei Konzerten gepflegten Ausdrucksformen.
Während der Konzerte oder unmittelbar nach solchen Veranstaltungen kommt es
kaum zu gewalttätigen (fremdenfeindlichen) Ausschreitungen. Allerdings darf
nicht außer Acht gelassen werden, dass sie einen erheblichen Beitrag zur Steigerung des ohnehin vorhandenen Aggressionspegels in der Szene leisten dürften.
In einzelnen Fällen kann ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von entsprechender Musik und Gewalttaten nicht ausgeschlossen werden.
Rechtsextremistische
Skinheadkonzerte
128
140
120
100
82
80
2000
2001
117
70
80
60
40
112
109
106
35
20
20
0
1994
49
Vgl. Nr. 7.1, Seite 23ff.
1995
1996
1997
1998
1999
2002
2003
37
Wie die obige Grafik verdeutlicht, haben rechtsextremistische Skinheadkonzerte
in der ersten Hälfte der 90er Jahre erheblich zugenommen. Nach einem bisherigen Höchststand im Jahre 1998 konnte ein Rückgang der durchgeführten Veranstaltungen festgestellt werden. In den Jahren 2002 und 2003 stieg die Zahl der
Konzertveranstaltungen aber wieder an.
Im Jahre 1994 nahmen an den einzelnen Konzerten durchschnittlich zwischen
150 und 500 Personen teil, im Jahre 1996 waren es zwischen 400 und 700 sowie
bei einzelnen Veranstaltungen auch mehr als 1.000 Personen. Im Jahre 1998
nahmen durchschnittlich etwa 200 Personen an Konzerten teil. Seitdem geht die
durchschnittliche Teilnehmerzahl zurück; 2002 lag sie bei 180 Personen, 2003 bei
150.
Die zeitweise rückläufige Entwicklung dürfte nach hiesiger Einschätzung nicht zuletzt auf den erheblichen staatlichen Verfolgungsdruck zurückzuführen sein, dem
gerade die rechtsextremistische Skinhead-Musikszene seit geraumer Zeit ausgesetzt ist. Verbote und andere exekutive Maßnahmen haben die Szene in ihrem
Bewegungsspielraum eingeschränkt. Es darf aber nicht verkannt werden, dass
damit natürlich nicht alle Probleme beseitigt worden sind – sie haben sich zum
Teil nur verlagert. So werden Konzerte heute erheblich konspirativer vorbereitet und durchgeführt. Möglichst unverfänglich werden geeignete Lokalitäten
(z.B. Gaststätten im ländlichen Raum mit angeschlossenen Hallen) ausgesucht
und unter einer Tarnung (z.B. „private Feier“) bei den ahnungslosen Betreibern
angemietet. Im Vorfeld einer Veranstaltung werden zunächst nur wenige, besonders vertrauenswürdige Gesinnungsgenossen informiert. Unmittelbar vor dem
Konzert werden die „Musikfans“ u.a. mittels SMS über Anfahrtsrouten und Zeitpunkte informiert. Dabei werden oft lange und verwirrende Anfahrtswege in Kauf
genommen, um die Sicherheitsbehörden in die Irre zu führen. Im unmittelbaren
Umfeld des Konzertortes verhalten sich die Skinheads mitunter äußerst diszipliniert, um nicht einen Verbotsgrund zu provozieren.
Konzerte finden zudem auch in anderen europäischen Ländern statt. Besucher
aus Deutschland und deutsche Skinheadbands nahmen bereits an Veranstaltungen u.a. in Dänemark, England, Frankreich (z.B. im benachbarten Elsaß), Österreich, Tschechien, Ungarn und der Schweiz teil. Dabei stellten deutsche Konzertbesucher wiederholt den größten Anteil des Publikums.
38
9. Vertrieb von Skinheadmusik und Szeneartikeln
Innerhalb der rechtsextremistischen Skinhead-Bewegung hat sich eine Vertriebsszene entwickelt. Sie dient vorrangig der Verbreitung von Musik-CDs,
aber auch einer ganzen Reihe von szenerelevanten Artikeln, so bedruckte TShirts50, bevorzugte Kleidungsstücke (z.B. Bomberjacken, Stiefel usw.), Devotionalien etc..
Die Verbreitung der Skinheadmusik hat sich im Laufe der Zeit vervielfacht.
Für die ersten Generationen der Skinhead-Musikszene war die Verbreitung ihrer
Musik noch eine eher beschauliche Angelegenheit. Wie allgemein üblich, wurden
Aufnahmen auf Schallplatten oder Audiokassetten produziert. Die Musik war recht
exotisch, sprach die Mehrheit der Jugendlichen kaum an, und wurde daher auch
regelmäßig nur in relativ geringen Auflagen reproduziert und verkauft. Heute, im
Zeitalter von Musik-CD und Internet51, hat sich dies grundlegend geändert. Die
Zahl der produzierten Tonträger ist immens gestiegen. Die Weiterverbreitung mittels PC und CD-Brenner potenziert Auflagen stetig. Noch mehr sorgt das Internet
als weltumspannendes Informations- und Kommunikationsmedium für die
Verbreitung (auch) rechtsextremistischer Skinheadmusik, so mittels MP3-Dateien.
Ende der 90er Jahre gab es bundesweit 50 Musikvertriebe52; sodann war die Zahl
rückläufig (2000: 46, 2001: 40). Im Jahr 2002 stieg die Zahl wiederum auf 50 an.
Von ihnen waren allerdings nur 19 in den letzten Jahren dauerhaft aktiv und von
Bedeutung. Das Volumen der gehandelten Ware ist dadurch aber nicht geringer
geworden. Im Jahre 2003 blieb die Zahl der Vertriebe mit etwa 50 konstant.
In der ersten Hälfte der 90er Jahre wurde die Szene von Großhändlern geprägt;
heute hat sich das Geschäft zunehmend auf kleine und Kleinsthändler verlagert. Zum Teil sind dies Einzelpersonen, die nur ein regionale Szene beliefern
oder spontane Tagesgeschäfte abwickeln, so am Rande von Konzerten. Ein
Grund für diese Entwicklung dürfte sein, dass es heute für den Einzelnen erschwinglicher geworden ist, CDs mittels PC und Brenner zu reproduzieren. Mit
dieser Dezentralisierung trägt die Szene offenkundig aber auch den wiederhol50
51
52
.
Um den englischen Ausdruck T-Shirt zu vermeiden, wird auch gerne vom T-Hemd gesprochen.
Vgl. Nr. 10, Seiten 40, 41.
Von dieser Zahl nicht erfasst sind Vertriebe im Ausland.
39
ten Exekutivmaßnahmen der vergangenen Jahre Rechnung, bei denen wiederholt große Mengen indizierter oder strafrechtlich relevanter Produkte sichergestellt werden konnten. Neben der Dezentralisierung des Vertriebs kann ein erhöhtes Maß an Konspiration und die arbeitsteilige Produktion von strafbarem Musikgut bzw. der dazugehörigen Tonträger festgestellt werden. Ein weiterer Aspekt
ist die Verlagerung solcher Aktivitäten in das Ausland.
Im einzelnen erfolgt der Vertrieb von Skinhead-Musik-CDs mittels Angebotslisten
(u.a. via Internet) über den Postversand oder durch Direktverkauf, so am Rande
von Skinhead-Konzerten.
40
10. Szenekommunikation - vom „Fanzine“ zum Internet
Der Mangel an politisch-theoretischer Reflexion53 innerhalb der rechtsextremistischen Skinhead-Szene ist nicht gleichbedeutend mit einem Mangel an Kommunikation. Diese findet in vielfältiger Weise statt, so wie im vorstehenden Kapitel bereits erläutert, insbesondere im Rahmen von gemeinsamen Konzertbesuchen.
Konzerte bieten im übrigen den Szeneangehörigen auch den „Gedankenaustausch“ mit Gesinnungsgenossen aus anderen Ländern, zumal diese Treffen oft
unter internationaler Beteiligung ablaufen.
Ein herkömmliches Kommunikationsmittel sind die so genannten Fanzines, ein
Begriff, der sich aus einer verkürzten Zusammensetzung der beiden englischen
Wörter fan (begeisterter Anhänger) und magazine (Magazin, Illustrierte) ergibt. In
Art und Aufmachung gibt es Unterschiede. Manche „Fanzines“ wirken primitiv und
sind von schlechter Qualität; andere wiederum sind durchaus ansprechend und
qualitativ hochwertig gestaltet. Unterschiede gibt es natürlich auch in den Erscheinungsweisen und Auflagenhöhen bzw. in der Verbreitung. Inhaltlich erheben
die „Fanzines“ weit überwiegend keinen großen Anspruch. Meist bedienen sie
sich einer einfachen Vulgärsprache. Schwerpunktthemen sind vor allem die Berichterstattung über Skinhead-Treffen, Konzerte, Skinheadbands und Fußballveranstaltungen oder andere gemeinsame Events. Außerdem wird die interne Situation von Skinheadgruppen im In- und Ausland beschrieben.
Die ersten „Fanzines“ erschienen im Jahre 1982, bereits 1986 waren in Deutschland mehr als 20 verschiedene Publikationen bekannt. In den 90er Jahren stieg
die Zahl bis auf etwa 50 (1998/99) an. Seitdem ist der Trend rückläufig; im Jahr
2001 wurden 35 „Fanzines“ gezählt, 2003 waren es nur noch weniger als 20. Ein
Grund für diese Entwicklung dürfte in der zunehmenden Bedeutung des Internets für die Szenekommunikation und die Selbstdarstellung der rechtsextremistischen Skinheadbewegung sein.
Das Internet ist auch für die rechtsextremistische Skinhead-Szene ein wichtiges
Medium geworden, weil es nicht zuletzt interaktive und multimediale Elemente
beinhaltet. Über Chatrooms kann unmittelbar mit Gesinnungsgenossen kommuniziert werden, Musik lässt sich mittels MP3-Dateien aus dem World-Wide-Web
53
.
Vgl. Nr. 7.1, Seite 23.
41
(www) herunterladen. Über Musikaustauschbörsen werden auch Lieder mit indizierten oder strafbaren Inhalten weitergegeben.
Zudem nutzen auch rechtsextremistische Skinheads die Möglichkeit, sich im www
mit Homepages zu präsentieren, um so neue Anhänger zu gewinnen. Insgesamt
erreichen diese Darstellungen einen bei weitem größeren Kreis, als dies mit dem
überkommenen Mittel der Herausgabe von „Fanzines“ der Fall ist. Insbesondere
für junge Menschen ist das Internet weitaus attraktiver, als herkömmliche Printmedien. Damit ist für die Szene auch der „Werbeeffekt“ größer geworden. Allerdings ist auch anzumerken, dass natürlich nicht jeder neugierige Jugendliche, der
sich entsprechende Darstellungen anschaut, potenziell gefährdet ist, in diese
subkulturelle Szene abzugleiten. Wie auch im übrigen Extremismus zu beobachten, baut man aber auf eine Langzeitwirkung.
42
Anhang
A. Begrifferläuterungen
Mit dem Begriff Skinhead wird in der öffentlichen Diskussion und in den Medien
bisweilen undifferenziert umgegangen. Hinzu kommt vielfach Unklarheit über
szenetypische Begriffe und Redewendungen.
Für eine seriöse Auseinandersetzung mit der subkulturellen Skinhead-Bewegung
ist es unabdingbar, die gebräuchlichsten Bezeichnungen zu kennen. In diesem
Sinne soll die nachfolgende Zusammenstellung einen Überblick verschaffen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
„Altglatzen“
Ältere Szeneangehörige, die bereits seit mehreren Jahren aktiv sind.
„Babyskins“
Junge Mitläufer bzw. Szenesympathisanten in lokalen Skinheadzusammenschlüssen (teils unter 14 Jahre alt). Politisierung und Motivierung zu szenetypischen Aktionen erfolgt in aller Regel durch ältere Gruppenmitglieder, die oft eine
fatale Vorbildfunktion haben und der Szenesozialisation jüngerer Gesinnungsgenossen Vorschub leisten.
„Blood & Honour“ (B&H oder „28“54)
Skinheadströmung mit Wurzeln in Großbritannien. Name leitet sich von dem
Spruch „Blut und Ehre“ der Hitlerjugend ab. Entstanden in den frühen 80er Jahren
auf Initiative des ehemaligen Leadsängers der Skinhead-Kultband „Skrewdriver“,
Ian STUART (DONALDSON).
„Bonehead“
In der Szene geprägter Begriff für einen rechtsextremistischen Skinhead mit blank
rasiertem Schädel (Bonehead: Knochenkopf) und der szenetypischen, martialischen Bekleidung. Die „Boneheads“ bilden den harten, militanten Kern der
rechtsextremistischen Skinhead-Szene. Von nichtextremistischen Skinheads wird
die Bezeichnung als Beleidigung benutzt.
„Combat 18“ (C18)
Militante Neonazivereinigung in Großbritannien. Die Zahl „18“ steht für den ersten
und den achten Buchstaben im Alphabet und steht als Synonym für „Adolf Hitler“.
Der Schriftzug wird u.a. auf szenetypischen Kleidungsstücken verwendet.
„Fanzine“ (Zine)
Kunstwort, steht für fan magazine, und bezeichnet Szenepublikationen, die in
zumeist kleinen Auflagen erstellt werden. Sie dienen dem Informationsaustausch
54
28 steht sinnbildlich für den 2. und den 8. Buchstaben des Alphabets: B und H.
43
und der Kommunikation. Bezug erfolgt u.a. über Abo, in Szene-Läden oder am
Rande von Veranstaltungen. Inhalte sind z.B. Beschreibungen von Bands bzw.
Konzerten, Interviews mit Musikern, Beschreibungen von Events etc.. Rechtsextremistische „Fanzines“ enthalten oft neonazistische Parolen und Symbole; zudem
kennzeichnen sie fremdenfeindliche, antisemitische Agitation.
„Fascho-Skin“
Begriff, der meist in den Medien oder von politischen Gegnern gebraucht wird,
um einen nationalistischen Skinhead zu bezeichnen. In den neuen Bundesländern wird der Begriff häufig für die so genannten Scheitel verwendet. Gemeint
sind damit Skinhead-Sympathisanten mit szenetypischen Outfit und markant kurz
geschnittenen Haaren mit Seitenscheitel.55
„Feathercut“
Haarschnitt, der unter weiblichen Skinheads („Renees“) verbreitet ist. Wird in verschiedenen Versionen getragen. Markant sind kurz geschnittenes Haar am Oberund Hinterkopf mit längeren Strähnen am Pony und Nacken oder ein geschorener
Kopf mit Fransen rund um das Gesicht. Hinweis: der Haarschnitt allein lässt keine
Rückschlüsse auf die politische Prägung ihrer Trägerin zu.
„Gay Skinhead Movement“
Internationaler Zusammenschluss homosexueller Skinheads. Die deutsche Sektion versteht sich als weder links- noch rechtsextremistisch ausgerichtet.
„Glatze“
Oft abwertend benutzter Begriff für Skinheads. Gemeint ist damit häufig nicht allein die rasierte Kopfhaut, sondern die Person als solche. Im Hinblick auf die Einschätzung einer Person ist bei fehlender Haartracht allerdings Vorsicht und Zurückhaltung geboten - auch wenn der Hinweis selbstverständlich erscheint: nicht
jeder Glatzenträger ist ein Skinhead oder ein Rechtsextremist. Die unterschiedlichsten Beweggründe können hierbei eine Rolle spielen. Angefangen von persönlichkeits- oder krankheitsbedingten Gründen bis hin zu einem bloßen Modebekenntnis ist vieles möglich.
„Hammer-Skins“ (HS)
Skinhead-Strömung, die sich in den USA entwickelt hat. Gründung erfolgte 1987
in Dallas/Texas. Die HS verstehen sich als „weiße rassistische Bruderschaft“. Ihr
Symbol, von dem sich auch der Name ableitet, sind zwei überkreuzte Zimmermannshämmer. Ziel ist der Aufbau eines weltweiten Netzwerkes von Gleichgesinnten. In den USA existieren bedeutende Strukturen: Eastern HS, Northern HS,
Midland HS, Western HS, Confederate HS. In Europa gibt es Strukturen u.a. in
Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, der Schweiz, der Slowakei und in
Tschechien. In Deutschland gibt es etwa 100 Anhänger, so vor allem in Berlin,
Brandenburg und Sachsen.
55
Diese Frisur hatte auch in der Neonaziszene eine Bedeutung. Man kopierte damit einen Haarschnitt,
der in den 20er/30er Jahren von Adolf Hitler und vielen seiner Gesinnungsgenossen bzw. von jungen
Menschen in der Hitlerjugend getragen wurde. Mittlerweile sind allerdings viele Neonazis hiervon wieder
abgekommen. Eine weitere Version ist beispielsweise die „Kante“ (an der Seite geschoren, oben kurz)
Die bevorzugte Haartracht kann also sehr unterschiedlich sein. Daher sollte man vorschnelle Gleichsetzungen (z.B. Glatze=Rechtsextremist) vermeiden.
44
„Hooligan“ („Hool“)
Jugendlicher oder junger Erwachsener einer zum Teil gewalttätigen Fußball-„fan“Szene, die weitgehend unpolitisch ausgerichtet ist. Bislang gibt es nur punktuelle
Überschneidungen mit Skinhead- oder Neonazigruppierungen. Zudem gibt es
bisweilen ein Zusammentreffen bei Konzerten, Feten und ähnlichen Veranstaltungen.
„Nazi-Skin“
Dieser Begriff wird hauptsächlich in der „linken“ Szene für „rechte“ Skinheads
verwendet. Innerhalb der Skinhead-Szene - vor allem in den neuen Bundesländern - , bezeichnen sich manche rechtsextremistische Skinheads auch selber als
Nazi-Skins.
„Oi“
Oi ist multifunktional. Der Begriff kann ein Zugehörigkeitsgefühl ausdrücken, auf
eine bestimmte Musikrichtung hindeuten oder nur ein schlichter „Schlachtruf“
sein. Es gibt eine Reihe von Erklärungen und Deutungen, wie der Ausdruck oi
quasi zu einem Markenzeichen wurde:
Im Cockney-Slang der Arbeiterschicht bemüht man mit einem oi die Aufmerksamkeit seines/seiner Zuhörer. Die Band Cockney Rejects stimmte ihre Lieder mit einem dreifachen oi statt mit „one, two, three“ an, in Fußballstadien oder beim Zug
durch die Straßen wurde oi rhythmisch skandiert usw. Wenig wahrscheinlich erscheint aus heutiger Sicht hingegen der Erklärungsansatz, wonach der Begriff
aus der Verballhornung des Nazislogans “Kraft durch Freude“, „Strength through
yoy“ (yoi) entstanden sein soll. In dieser Form tauchte oi nämlich erst 1981 auf
einem Plattencover auf (STRENGTH TRU OI!)
„Oi-Musik“, „Oi-Punk“
Aus dem Punk Rock entstandene Musikrichtung mit Wurzeln in den 70er Jahren.
Als Genrebegriff seit 1980 bekannt. Im Gegensatz zur Musik der ersten SkinheadGeneration geprägt durch schnellere, härtere und einfachere Rhythmen. Vielfach
Gewalt verherrlichende und auch rassistische Texte. Nicht jede Oi-Band konnte
bzw. kann allerdings dem rechtsextremistischen Lager zugerechnet werden.
„Oi-Skin“
Der Begriff als Zugehörigkeitsmerkmal zu einer bestimmten Strömung innerhalb
der Skinhead-Bewegung existiert seit den 70er Jahren. Überwiegend bezeichnen
sich damit Skinheads, denen in erster Linie an dem Lebensgefühl des Skinheaddaseins gelegen ist und weniger bzw. gar nicht an politischen Inhalten. Dabei
spielen die Musik und ein zum Teil exzessiver Alkoholgenuss tragende Rollen. OiSkins gehen Annäherungs- und Vereinnahmungsversuchen durch rechtsextremistische Skinheads bzw. rechtsextremistische Gruppen in aller Regel aus dem
Weg. Allerdings pflegen auch viele Oi-Skins ein Gedankengut, das nicht frei ist
von Feindbildern, wie sie Rechtsextremisten pflegen. Als „undeutsch“ gelten in ihren Augen u.a. Ausländer, Angehörige von Minderheiten oder Personen, die dem
„linken“ Spektrum angehören.
„RASH“ („Red and Anarchist Skinheads“)
Im Jahre 1993 in New York gegründeter Zusammenschluss „linker“ Skinheads.
Versteht sich als Teil der internationalen „Redskin-Bewegung“ und als eine Art
Dachverband zum Austausch von Informationen, zur Aufklärung und zur Durch-
45
führung von Konzerten etc. Zielsetzungen sind u.a. der Klassenkampf auf der
Straße und letztlich die Zerschlagung des „kapitalistischen Systems“. RASHGruppen gibt es heute auch in einer Reihe europäischer Länder, so in Deutschland.
„Redskin“
Politisch links stehende Skinheads. Verstehen sich als Vertreter einer militanten
Arbeiterjugendbewegung. Teile der „Redskins“ können der linksextremistischen
Autonomen-Szene zugeordnet werden; grenzen sich von rechtsextremistischen
Skinheads strikt ab. Outfit der „Redskins“ beinhaltet als szenetypische Elemente
oft Anti-Nazi-Aufnäher oder rote Bomberjacken, bisweilen auch rote Schnürsenkel56.
„Renee“
Weiblicher Skinhead (Haarschnitt: s. „Feathercut“). Bedeutung und Herkunft des
Namens ist nicht geklärt. Innerhalb der Skinhead-Bewegung dominieren Männer
das Geschehen; Frauen stellen nach wie vor eine kleine Minderheit dar.
„Rock Against Communism“ (RAC)
Im Jahre 1977 von der Jugendorganisation der britischen Neonazigruppierung
„National Front“ (NF) als Gegenpol zur 1976 in London ins Leben gerufenen Initiative „Rock Against Racism“ gegründet. RAC widmet sich der Organisation von
Rechts-Rock-Konzerten.
„SHARP“ („SHARP-Skin“)
Antirassistisch ausgerichtete Skinheadvereinigung („Skinheads Against Racial
Prejudice“ = „Skinheads gegen rassistische Vorurteile“). Enstanden 1986 in den
USA; mittlerweile Sektionen in vielen Ländern der Erde. Ein Ziel ist das Entgegenwirken zur rechtsextremistischen Szene und dem durch sie mit verursachten
insgesamt schlechten Medienimage der Skinhead-Bewegung.
Ska-Musik
Lautstärke- und rhythmusbetontere Variante der jamaikanischen Reggae-Musik,
von Einwanderern in den 60er Jahren nach Großbritannien gebracht. Anhänger
waren z.B. die Rude Boys („Rudies“, „Rüde Jungs“), Angehörige jamaikanischer
Jugendbanden. Die erste Skinheadgeneration griff Modeelemente der Rude Boys
auf, so über dem Hemd getragene Hosenträger (Braces) oder die hochgekrempelten Jeans. Die Ska-Musik fand in Skinheadkreisen der ersten Generation noch
viele Anhänger; bei Konzerten bildeten Skinheads und farbige Einwanderer gemeinsam das Publikum.
Skinhead/Skin
Angehörige einer in der einschlägigen Literatur nahezu durchgängig als subkulturell definierten Jugendbewegung. Insgesamt ergibt sich ein äußerst heterogenes
Bild unterschiedlicher Strömungen/Erscheinungsformen. Die Zugehörigkeit zu
dieser Bewegung bedingt nicht automatisch eine politisch(-extremistische) Ausrichtung. Es gibt eine Reihe von szenetypischen verbindenden wie auch innerhalb
der Szene abgrenzenden Stilelemente.
56
Eine (politische) Einschätzung des jeweiligen Trägers sollte nicht allein auf der Grundlage der beschriebenen Stilelemente erfolgen. Oft kann die „Verpackung“ über den wahren Inhalt täuschen.
Vgl. Nr. 7.2, Seiten 25ff.
46
Skinhead-Sympathisant
Diffuses Spektrum, das von der bloßen Kopie des Skinheadoutfits bis hin zum
sich immer stärker integrierenden Mitläufer reicht. Nicht zwangsläufig muss mit
einer Szenesozialisation auch die Entwicklung eines politisch-extremistischen
Weltbildes einhergehen.
Tattoo
Tätowierungen zählen gerade unter rechtsextremistischen Skinheads zum gängigen „Outfit“. Wie auch andere Symbole, Riten usw. dienen Tattoos als Integration
und Identifikation stiftende Elemente. Sie grenzen gleichzeitig aber auch ab. Tattoos kommt dabei neben der Rasur der Kopfhaut in der Skinhead-Szene eine besondere Bedeutung bei. Derartige archaische Riten, zu denen auch das Piercing
zählt, haben eine lange zurückliegende Entstehungsgeschichte und werden in ihrer „reinen“ Form heute noch von Urvölkern gepflegt. Zu den gängigen Symbolen,
die rechtsextremistische Skinheads als Tattoos tragen, zählen z.B. solche aus der
Zeit des Nationalsozialismus (Hakenkreuz, SS-Runen), Zeichen aus der Zeit keltischer und germanischer Geschichtsschreibung (Keltenkreuz, Runen), Zeichen
aus der nordisch-germanischen Mythologie (Thors Hammer).
„Trojan-Skin“
Skinheads, die sich weitgehend von Politik und vor allem vom Rassismus distanzieren. Die Bezeichnung entspricht einem Jamaikanischen Reggae-Platten-Label
aus den 60er Jahren. „Trojan-Skins“ sind vielfach Anhänger der (alten) Ska- und
Reggaemusik.
„Vierzehn Worte“ („14 Worte“, „14 Words“, „14“)
Bekannter Slogan in der Neonaziszene und unter rechtsextremistischen Skinheads: „Wir müssen den Fortbestand von unserem Volk und die Zukunft der weißen Kinder sichern!“ (Original: „We must secure the existence of our white people
and a future for white children!“). Verfasst hat diesen Satz der amerikanische
Rechtsextremist David LANE (geb. 1938), der in den USA u.a. wegen Mordes inhaftiert ist. Deutsche Rechtsextremisten benutzen das Kürzel „14 Worte“ oder nur
„14“ beispielsweise als Aufnäher oder bei Schmieraktionen.
„White-Power-Skin“
Keine Organisationsbezeichnung. Steht vielfach als Synonym für rechtsextremistische Skinheads, die sich zu einer extrem rassistischen Haltung bekennen. Vorbildcharakter für diese Skinheads hat vor allem die internationale „White-PowerBewegung“, bei der es sich um keine eigenständige, Organisationsform handelt.
Vielmehr stellt sie unter Gleichgesinnten eine Art rassistisches „Glaubensbekenntnis“ dar und kann als ein grenzüberschreitendes (mentales) Sammelbecken
für Rassisten verstanden werden. Ein gängiges Symbol, dessen man sich gerne
bedient, ist die so genannte White-Power-Faust (weiße rechte Faust mit über die
ersten drei Finger angewinkeltem Daumen). Als „White-Power-Skins“ bezeichnen
sich gerne Szeneangehörige, die „elitären“ Zusammenschlüssen wie B&H oder
den „Hammerskins“ angehören.
„Zecken“
Szenebezeichnung für „Linke“ (Autonome etc.).
47
B. Liedtexte (Auszüge)
B.1 Selbstverständnis
„Stiefel trommeln auf den Straßen
Kahle Köpfe, Fäuste aus Stahl
Die Augen starr, Gesichter die hassen
Ohne Reue gegen Rot.“
„Rheinwacht“: „Ohne Reue“, 1998
„Sie sperren dich ein, warum weißt du nicht
Denn du bist Skinhead, mehr Gründe gab es nicht
Doch du stehst da, stolz und kahlgeschoren
Treue bis zum Schluss hast du dir geschworen.“
„Oidoxie“: „Sprengt die Ketten“, 1998
„Wir sind bekannt für Disziplin und Fleiß
Unsere Würde wahren wir um jeden Preis
Pflichtgefühl fürs Heimatland
Ja, das ist unser treues Band.“
„Schlachtruf“: „Deutscher Stolz“, 1995
„Wir sind die Richter der Straße
Und ihr blutiges Gesetz
Es wird gnadenlos gejagt
Der, der Recht verletzt.“
„Volkszorn“: Stiefel auf Asphalt“, 1994
„Ich bin bereit zur Gewalt
Und trinke gern.“
„Boots Brothers“: „Brave Jungs“, 1997
Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von
der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen
Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser
Broschüre zugänglich gemacht werden.
48
B.2 Antisemitische und fremdenfeindliche Inhalte
„Er ist kein Mensch, er ist ein Jud’
Drum denk nicht nach und schlag ihn tot.“
„Macht und Ehre“: „Kein Mensch“, 1997
„Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig
Lasst die Messer flutschen in den Judenleib…
Zerrt die Konkubine aus dem Fürstenbett
Schmiert die Guillotine mit dem Judenfett
In die Synagoge hängt ein schwarzes Schwein
In die Parlamente schmeißt die Handgranaten rein.“
„Nordheim Live Volume 1“: „Blut muss fließen“ 1997
„Afrika für Affen, Europa für Weiße
Steckt die Affen in ein Klo
Und spült sie weg wie Scheiße.“
„Landser“: „Afrika-Lied“, 1996
„Hängt die Nigger auf und habt kein Erbarmen!
Wir hassen Nigger und auch ihr habt es erfahren
Oder ist es euch neu, dass wir Rassisten sind?
Der Planet ist unser, und die Kaffer müssen schwinden
Wulstlippenträger sind nur noch in Geschichtsbüchern
zu finden.“
„White Aryan Rebels“: „Nigger“, 2000
Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von
der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen
Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser
Broschüre zugänglich gemacht werden.
49
„…da steht ein Sonderzug nach Mekka
…raus aus unserm Berlin
Wir woll’n euch nicht, niemand will euch mehr sehen
Mit eurer fremden Kultur, mit der da stört ihr uns nur
Wir haben die Schnauze voll von euch, ihr sollt euch verpissen
Kein deutscher weit und breit wird euch hier jemals vermissen
Ihr liegt uns auf der Tasche, das ist eure Masche
Verdammtes Lumpenpack haut endlich ab.“
„Zillertaler Türkenjäger“: „Der Sonderzug nach Mekka“, 1997
B.3 Feindbilder „Linke“, Staat und Demokratie
„In meine Klasse ging ´ne Punkerin
Die so schön gestunken hat
Ihre Haare waren so fettig
Und mit Läusen übersät
Die Klamotten so dreckig
Und keiner war da, wo sie steht
Hey, du scheiß Zecke – verrecke!“
„Leitwolf“: „Verrecke!“, 1998
„Alle Politiker an den Galgen, alle Richter an die Wand
Jetzt kommt der Tag der Rache, euer Schicksal
ist in unserer Hand
Ihr werdet vom Staat bestochen
Eure Urteile sind schon vorprogrammiert
Euren Eid habt ihr längst gebrochen
Und der Judas euch das alles finanziert.“
„Bonzenjäger“: „An alle Richter und Politiker“, 1997
Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von
der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen
Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser
Broschüre zugänglich gemacht werden.
50
„…Existenz ist enorm bedroht
durch Multikulti und Terror in Rot
Die Diktatur der Demokratie
Zwingen wir gemeinsam in die Knie
…Nationalisten im Kampf vereint
Kein Schritt zurück vor unserem Feind.“
„Dragoner“: „Auge um Auge“, 2000
„Ich hasse diese Demokratiemeute
Fettgfressen und pflichtvergessen
Bezahlte Dealer fremder Interessen
Stürmt den Reichstag, räuchert sie aus
Macht der Rattenbande den Garaus.“
„Landser“: „Ran an den Feind“, 2000
B.4 Verherrlichung des Nationalsozialismus
„In einer dunklen Nacht haben sie dich umgebracht
Ein Märtyrer bist du, im Grabe fandest du endlich deine Ruh’
Doch über deinen Tod hinaus, strahlst du Ideale aus
Du warst und bist ein großer Held
Doch schlecht ist diese Welt
Aber dennoch, wir verstehen diese Sprache
Und einst, da kannst du sicher sein,
da kommt der Tag der Rache.“
„Noie Werte“: „Rudolf Heß“, 1990
„Er war der Retter uns’rer Nation
Des Deutschen Volkes größter Sohn
Er beseitigt die Schranken der Klasse
Und brachte uns die Botschaft der Rasse
Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von
der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen
Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser
Broschüre zugänglich gemacht werden.
51
Refrain:
Adolf Hitler, unser Führer
Adolf Hitler, unser Held
Adolf Hitler war der größte
Revolutionär der Welt.“
„Weißer Arischer Widerstand“, „Unser Führer“, 1996
B.5 Germanen- und Wikingerkult (Feindbild Christentum)
„Ich glaube nicht an Jesus Christus
Weil der mir nicht geheuer ist
Denn Christentum und Religion
Ist Dumpfheit und Inquisition
Ich komm nicht vom gelobten Land
Bin nicht beschnitten und verbannt
Auch Satan wird mich niemals führen
Nur Wotan öffnet mir die Türen.“
„Staatsfeind“: „Wotan“, 1996
„Odins Legionen sind auferstanden
Auferstanden, um zu siegen
Sie werden an jeder Küste landen
Um ihr Land zurück zu kriegen
Germanische Völker, jetzt kommt die Zeit!
Germanische Völker zum Kampf bereit!
Sie haben keine Angst vor dem Tod
Sie befreien das Land von dieser Not.“
„Chaoskrieger“: „Dämmerung“, 1997
Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von
der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen
Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser
Broschüre zugänglich gemacht werden.
52
Hinweis:
Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des
Ministeriums des Innern und für Sport herausgegeben. Sie darf
weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern im
Zeitraum von sechs Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der
Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags-, Kommunal- oder Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Partei sowie das Einlegen,
Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder
Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte
zum Zwecke der Wahlwerbung.
Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf
die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als
Parteinahme der Landesregierung zugunsten einzelner politischer
Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschriften zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder
zu verwenden.
FAIRSTÄNDNIS
Menschenwürde achten – Gegen Fremdenhass
Die Innenminister von Bund und Ländern
Ministerium des Innern und für Sport
Abteilung Verfassungsschutz
Schillerplatz 3-5
55116 Mainz
Herunterladen