Rheinland-Pfalz Ministerium des Innern und für Sport 55116 Mainz, Schillerplatz 3-5 55022 Mainz, Postfach 3260 Tel./Fax: E-Mail: Internet: 06131/16-3772 /16-3688 [email protected] [email protected] http://www.verfassungsschutz.rlp.de Skinheads Stand: April 2004 2 Anmerkung für die Leserinnen und Leser: 1. Bei den in diesem Bericht genannten Mitgliederzahlen muss berücksichtigt werden, dass diese auf den sorgfältigen Beobachtungen der Verfassungsschutzbehörden in Deutschland beruhen, aber letztlich keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit haben können. Aufgrund verschiedener Umstände wie beispielsweise der signifikant hohen Fluktuation innerhalb der Skinheadszene muss stets von einer gewissen Grauzone ausgegangen werden. Diese dürfte allerdings nach bisherigen Einschätzungen keine beachtliche, lagebeeinflussende Größe ausmachen. Insgesamt kann der Verfassungsschutz somit ein relativ exaktes Lagebild einschließlich der jeweiligen tendenziellen Veränderungen skizzieren. Ebenso muss darauf hingewiesen werden, dass ausschließlich die Personen zahlenmäßig erfasst werden, deren Verhalten Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen1 im Sinne der Verfassungsschutzgesetze begründet. 2. Hinsichtlich der in dieser Broschüre dargestellten Liedtexte ist anzumerken, dass deren Veröffentlichung im Rahmen einer möglichst umfassenden Berichterstattung trotz der oftmals abscheulichen Deutlichkeit angemessen erscheint. Durch eine maßvolle Darstellung auch der drastischsten Ausprägungen des Rechtsextremismus kann sich den Leserinnen und Lesern die Kausalität zwischen einem vorurteilsgeladenen, rassistisch geprägten Menschenbild und den sich ggf. daraus ergebenden Folgewirkungen erschließen. Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser Broschüre zugänglich gemacht werden. 3. Die Jahrzehntangaben beziehen sich jeweils auf das vergangene Jahrhundert. 1 Politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss. Diese Verhaltensweisen zielen darauf ab, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes teilweise oder in Gänze zu beeinträchtigen oder abzuschaffen. Bloße Meinungsäußerungen stellen regelmäßig nicht eine Verhaltensweise im beschriebenen Sinne dar und sind somit auch nicht Gegenstand der Beobachtungstätigkeit des Verfassungsschutzes. 3 INHALTSVERZEICHNIS Seite 1. Skinheads in den Schlagzeilen 5 2. Wurzeln der Skinhead-Bewegung 6 3. Entwicklung der Skinhead-Bewegung in Großbritannien 7 4. Entwicklung der Skinhead-Bewegung in Deutschland 10 5. Soziologie der Skinhead-Bewegung 12 5.1 Allgemeine Forschungsergebnisse zur Skinhead-Szene 13 5.2 Forschungsergebnisse zur rechtsextremistischen Skinhead-Szene 16 5.3 Forschungsergebnisse zum Thema rechtsextremistische Gewalt 19 6. Strömungen der Skinhead-Bewegung 21 7. Rechtsextremistische Skinheads – „kurze Haare, radikal, sozialistisch, national“ 23 7.1 Bezeichnungen – Strukturen – Ideologie 23 7.2 Symbolik – Kleidungsstil 25 7.3 Entwicklung der rechtsextremistischen Skinhead-Szene in Deutschland 27 7.4 Rechtsextremistische Skinheads in Rheinland-Pfalz 30 8. Rechtsextremistische Skinheadmusik 32 8.1 Entwicklungslinien 32 8.2 Musikinhalte 34 8.3 Konzerte 36 9. Vertrieb von Skinheadmusik und Szeneartikeln 38 10. Szenekommunikation - vom „Fanzine“ zum Internet 40 Anhang 42 A. Begriffserläuterungen 42 B. Liedtexte 47 4 Quellen: Verfassungsschutz Neben eigenen Erkenntnissen bilden Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie der Landesbehörden für Verfassungsschutz Bayern, Baden Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen die informative Grundlage dieser Broschüre. Literatur „Die Skins – Mythos und Realität“, Klaus Farin (Hg.), erschienen im Ch. Links Verlag, Berlin, 1997, ISBN: 3-86153-136-4 „Ich will halt anders sein wie die anderen – Abgrenzung, Gewalt und Kreativität bei Gruppen Jugendlicher“, Roland Eckert, Christa Reis, Thomas A. Wetzstein, erschienen im Verlag Leske+Budrich, Opladen 2000, ISDN: 3-8100-2247-0 „Reaktionäre Rebellen - Rechtsextreme Musik in Deutschland“, Archiv der Jugendkulturen (Hg.), Berlin, 2001, ISBN: 3-936068-04-6 „Rechte Cliquen – Alltag einer neuen Jugendkultur“, Benno Hafeneger, Mechthild Jansen, erschienen im Juventa Verlag, Weinheim u. München, 2001, ISBN: 3-7799-0260-5 „Skinheads: Portrait einer Subkultur“, Christian Menhorn, erschienen in Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2001, ISBN: 3-7890-7563-9 „Nicht wegschauen – eingreifen!“, Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, Am Kronberger Hof 6, 55116 Mainz, August 2000 „Skinheads und Rechtsextremismus“, Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Haroldstraße 5, 40213 Düsseldorf, 4. Auflage, April 2001 „Texte zur Inneren Sicherheit. Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsextremismus – drei Studien zu Tatverdächtigen und Tätern“, Bundesministerium des Innern, Alt-Moabit 101 D, 10559 Berlin, Dezember 2001 „Beiträge zur Inneren Sicherheit“, „Unsere Texte sind deutsch – Skinheadbands in der Bundesrepublik Deutschland“, Christoph Mengert, Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Köln,1994, ISBN: 3-0930732-02-5 5 1. Skinheads in den Schlagzeilen „Steckbrief – so sind die neuen Nazis“ „Prozess gegen Magdeburger Skins eröffnet“ „Sieg heil im Paradies – ein kleines Dorf in Rheinland-Pfalz wurde zum Wallfahrtsort für Skinheads und Neonazis“ „Skinheads: Haftstrafen“ „Blut und Ehre, Mord und Totschlag – die Skinheads und die rechte Militanz“ Diese Aneinanderreihung betroffen machender Schlagzeilen ließe sich problemlos fortsetzen. Skinheads sorgen in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere durch gewalttätigen Aktionismus seit geraumer Zeit für Aufmerksamkeit und rücken somit immer wieder in das Rampenlicht des öffentlichen Interesses. Zweifellos gibt es innerhalb dieser subkulturellen Jugendbewegung ein großes Aggressionspotenzial; für nicht wenige Skinheads gehört Gewaltbereitschaft zum „Szenefeeling“. An dieser Stelle muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass weder alle Skinheads diese Gewaltbereitschaft auch ausleben, noch dass sie per se dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden können. Es gilt, sorgfältig zu differenzieren. Die Bandbreite der Szene erstreckt sich vom unpolitischen Typ über den linksextremistisch geprägten Skinhead bis hin zum nationalistisch ausgerichteten, dessen sich verdichtendes Weltbild in den Rechtsextremismus führen kann. Allerdings können heute beträchtliche Teile der bundesweiten SkinheadBewegung der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden und sind somit zu einem Beobachtungsschwerpunkt der Verfassungsschutzbehörden in der Bundesrepublik Deutschland geworden. Die folgenden Ausführungen sollen den Leserinnen und Lesern einen Überblick und Einblicke in die rechtsextremistische Skinheadszene aus verschiedenen Blickwinkeln vermitteln. 6 2. Wurzeln der Skinhead-Bewegung Die Wurzeln der Skinhead-Bewegung liegen in Großbritannien. In den 50er und 60er Jahren hatten sich dort verschiedene Jugendszenen gebildet, aus denen letztlich auch die Skinheads hervorgehen sollten. Hierzu zählten z.B. die so genannten Teddy-Boys (Teds), die sich bereits Mitte der 50er Jahre im Zuge der ersten Rock`n`Roll Welle entwickelten. Unter ihnen waren überwiegend Jugendliche aus dem Arbeitermilieu, meist ohne Ausbildung bzw. mit schlecht bezahlten Jobs. Sie kopierten in Kleidung und Auftreten den exzentrischen Stil von König Edward VII (Teddy/Ted, Regentschaft 1901-1910). Viele Teds mutierten später zu Rockern, die wiederum eine eigenständige Szene bildeten. Eine weitere Jugendbewegung waren die Mods (Modernists), Arbeiterkinder mit eleganter Fassade und dem Sinn für Statussymbole sowie dem Traum von Wohlstand. Einen Kontrapunkt hierzu setzten in den 60er Jahren die Hippies, Töchter und Söhne überwiegend aus der etablierten Mittelschicht, mit dem Wunsch nach selbst verordneter Abkehr vom Wohlstand. Die Mods können als Vorläufer der Skinheads bezeichnet werden; es gibt bereits einige frühe, interessante Parallelen. So trugen sie ihr Haar entgegen dem damaligen Trend kürzer und gepflegter, Gewalt und Alkohol waren Teil ihres Selbstverständnisses. Sie hörten u.a. Ska-Musik, die anfangs auch unter Skinheads beliebt war. Der „Run“ auf Statussymbole (z.B. teure Mode, Motorroller) wurde für Mods aus Arbeiterfamilien letztlich aber zum Verhängnis - sie konnten nicht mehr mithalten. Andere wiederum, solche mit betuchterer Herkunft, orientierten sich um. Sie fingen an zu studieren oder glitten in die Mode werdende Hippie-Bewegung hinein. Im Zuge des Niedergangs der Mods-Szene mutierten ihre Arbeiterkinder zu Hard-Mods. Ihr Äußeres veränderte sich: die Haare wurden noch kürzer, Jeans und Arbeiterstiefel signalisierten ein neues Selbstverständnis. Der Übergang vom Hard-Mod zum Skinhead konnte jetzt quasi fließend erfolgen. Etwa ab Mitte der 60er Jahre setzte diese Entwicklung ein; im Jahre 1969 tauchte zum ersten Mal die Bezeichnung Skinhead auf. 7 3. Entwicklung der Skinhead-Bewegung in Großbritannien Die Skinhead-Bewegung bildete sich zunächst in den Arbeitervierteln der Großstädte mit industrieller Prägung, so vor allem im Londoner Eastend. Anfangs schien sie nicht viel mehr zu sein als eine eher unpolitische Gegenbewegung zu den anderen Jugendszenen. Skinheads der ersten Stunde ließen beispielsweise kaum eine Gelegenheit aus, Hippies wegen deren langen Haare und ungepflegtem Äußeren zu verspotten. Die Hintergründe der Genese der SkinheadBewegung waren aber durchaus vielschichtiger. Die Welt der damaligen Jugendlichen war im Umbruch. Rationalisierung und Modernisierung veränderten die Arbeitswelt und ließen die Arbeitslosigkeit ansteigen. Vertraute soziale Strukturen verschwanden über Nacht; z.B. wurden ganze Stadtviertel im Zuge der Modernisierung durch anonyme Wohnblöcke ersetzt. Entfremdung in der gewohnten Umgebung war eine Folge und ein Mosaikstein in einem wachsenden Frustrations- und Aggressionspotenzial, das kanalisiert werden wollte. Hinzu kam das subjektive Gefühl der Überfremdung durch den Zuzug von Einwanderern aus den ehemaligen britischen Kolonien. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung wuchs unter Arbeiterkindern ein neues, sich abgrenzendes Selbstbewusstsein heran - man zeigte plötzlich (wieder) Stolz auf die eigene Herkunft. Dokumentiert wurde dies zunächst im äußeren Erscheinungsbild durch ein einheitliches, „sauberes“ aber auch provozierendes Aussehen. Hervorstechendes Merkmal war bereits damals das extrem kurz geschnittene Kopfhaar. Von den Jugendkulturen, die sich vornehm gaben, grenzte man sich bewusst auch in der Freizeit durch robuste Arbeiterkleidung ab, die zum neuen Statussymbol wurde. Obligatorisch waren klobige Stiefel (Bergarbeiterbzw. Werftarbeiterstiefel der Firma Doc Martens) mit zum Teil eingearbeiteten Stahlkappen, Jeans und derbe, karierte Baumwollhemden mit offen über dem Hemd getragenen Hosenträgern. Letzthin beschwor man durch diese bisweilen überzeichnete Symbolik des äußeren Erscheinungsbildes eine selbstdefinierte Arbeitertradition, und brachte damit eine zurückgerichtete Sehnsucht nach den „besseren Tagen“ der Arbeiterklasse zum Ausdruck. Die Gegenwart machte diesen Jugendlichen zu schaffen; die Zukunft machte ihnen Angst. 8 Die Aktivitäten der ersten Skinhead-Generation in Großbritannien konzentrierten sich im wesentlichen auf den Besuch von Fußballspielen2 und Musikveranstaltungen. Gewalt war von Beginn an im „Spiel“; jede Eskalation war eine Abwechselung im ansonsten oft trostlosen Alltag. Viele Skinheads hatten wenig zu verlieren. Entsprechend lebten sie die Gewalt aus. Es ging darum, angestammte „Reviere“ zu „verteidigen“. Ausgrenzung von Minderheiten war bereits ein Thema, wenngleich ohne einen tiefsinnigen ideologischen Hintergrund. Ziele ihrer Attacken waren u.a. Obdachlose, Hippies und unter den Ausländern anfangs vornehmlich Menschen aus Pakistan („Paki-Bashing“). Von Beginn an war die Musik ein wichtiger Faktor im Leben eines Skinheads. Bemerkenswert ist, dass die erste Generation eine Vorliebe für die Ska-Musik entwickelte, die jamaikanische Einwanderer nach Großbritannien brachten. Diese, im Grunde „schwarze“ Musik, schuf zeitweise den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen ihren zugewanderten Interpreten und der damaligen Skinheadszene. Leider sollte dies nicht von Dauer sein. In den 70er Jahren begann eine neue Entwicklungsphase, in deren Verlauf eine neue Generation Skinheads heranwuchs. Insgesamt verschärfte sich in Großbritannien das soziale Klima. Wirtschaftliche Probleme und immer weniger werdende Arbeitsplätze verstärkten den Konkurrenzkampf und vertieften die Gräben zwischen Einheimischen und Einwanderern. Die Skinhead-Szene selbst stagnierte zunächst, der Zulauf wurde geringer. Ein Grund hierfür lag im Entstehen einer neuen subkulturellen Jugend-Szene, den Punks. Das etablierte Bürgertum wurde von dieser schrillen, provokanten Szene mehr noch als durch die Skinheads in Unruhe versetzt. Das kam gut an – und aus manchem Skinhead wurde so ein Punk. Zeitweise sah es sogar danach aus, als würde die Skinhead-Szene angesichts dieser „Konkurrenz“ zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen. Es sollte jedoch anders kommen. Die Punk-Musik wurde kommerzialisiert, was viele ihrer Anhänger auf der Suche nach einer neuen subkulturellen Heimat förmlich in die Skinhead-Bewegung (zurück)trieb. Auch Punk-Bands wechselten zur Skinhead-Szene über. 2 Fußball genoss in Großbritannien traditionell großes Ansehen, was durch die gewonnene Weltmeisterschaft 1966 noch gesteigert wurde. Das Phänomen der Hooligans keimte dort bereits in den 60er Jahren auf. Gewalttätige Auseinandersetzungen begleiteten viele Spiele. Aus Hooligans und Skinheads bildete sich die Boot-Boys-Szene (boot: Stiefel), die bis Mitte der 70er Jahre starken Zulauf hatte. 9 Teile dieser Bewegung veränderten sich gleichzeitig aber grundlegend: Outfit und Musik der Skinheads wurden deutlich aggressiver. Man trug nun auch Bomberjacken und Springerstiefel, Schädel wurden völlig kahl rasiert („Boneheads“). Etwa zehn Jahre nach der Frühphase der Skinheadbewegung dominierte nun ein noch stärker ausgrenzender, weißer Männlichkeitskult. Das neue Schlagwort hieß ebenso kurz wie schlicht: „oi“!3 Der „Oi-Punk“, eine wesentlich härtere Variante der seitherigen Skinhead-Musik, eroberte die Szene. Während sich die erste Skinhead-Generation noch stark von Rechtsextremisten abgrenzte, gewann diese neue Szene nun das Interesse von Aktivisten mit ausgeprägt rassistischen Einstellungen. In dieser Phase gelang es auch rechtsextremistischen britischen Organisationen, wie der neonazistischen „National Front“ (NF) oder dem „British Movement“ (BM), Teile der Skinhead-Bewegung für ihre Ziele zu gewinnen4. Das Abdriften beträchtlicher Teile der Skinhead-Szene in den Rechtsextremismus setzte sich in den 80er Jahren verstärkt fort - die „Oi-Musik“ mutierte immer mehr zum „Rechtsrock“. Wiederum wuchs eine neue Generation von Skinheads heran, deren Weltbild nun maßgeblich von rechtsextremistischen Ideologemen geprägt wurde. Wie kaum ein anderer verkörperte der zur Kultfigur erhobene Bandleader Ian Stuart DONALDSON5 einen paneuropäisch verstandenen Rassismus mit starken Anklängen an den historischen Nationalsozialismus6. Er fand viele (neue) Anhänger. Der Trend der Politisierung nach rechts fand jedoch nicht nur Anhänger; die Skinhead-Szene blieb uneinheitlich. Teile der Bewegung blieben unpolitisch, andere wiederum stemmten sich gegen die Rassisten. Eines war aber nicht mehr aufzuhalten: Von Großbritannien aus verbreitete sich die Skinheadsubkultur in andere Länder, so vor allem auf dem europäischen Festland. 3 4 5 Es gibt eine Reihe von Erklärungen und Deutungen, wie der „Schlachtruf“ oi quasi zu einem Markenzeichen wurde: Im Cockney-Slang der Arbeiterschicht bemüht man mit einem oi die Aufmerksamkeit seines/seiner Zuhörer/s. Eine Band stimmte ihre Lieder mit einem dreifachen oi statt mit „one, two, three“ an, usw.. Wenig wahrscheinlich erscheint der Erklärungsansatz, wonach der Begriff aus einer Verballhornung des Nazislogans „Strength through joy“ (joi, “Kraft durch Freude“) entstanden sein soll. Von Beginn dieser Entwicklung an zeigte sich die Szene gespalten. Es gab weiterhin Skinheads, die sich von den „rechten“ Parolen distanzierten; nicht alle Oi-Bands spielten rassistische Musik (z.B. die Gruppe „Sham 69“). In der Folgezeit entstanden sogar „linke“ Skinzusammenschlüsse, teils organisiert, wie z.B. die „League of Labourskins”. Während der heftigen Jugendunruhen in Großbritannien im Jahre 1981 waren immer wieder gemeinsame Aktionen von jungen schwarzen Einwanderern zusammen mit Skinheads zu beobachten. In der Szene genannt und bekannt unter seinem Künstlernamen Ian STUART. Vgl. Nr. 7.1 Seite 24 und Nr. 8.1, Seite 32. 10 4. Entwicklung der Skinhead-Bewegung in Deutschland In der Bundesrepublik Deutschland begann die Skinheadbewegung ab Ende der 70er Jahre langsam Fuß zu fassen. Anfangs konnte man allerdings noch nicht von Strukturen oder einer Szene im eigentlichen Sinne sprechen. Grundlegende und überregional verbindende Elemente, wie die Kommunikation mittels Szenepublikationen („Fanzines“) oder eigene Bands, waren noch unbekannt. Zu Beginn stellte vieles eine Kopie des Vorbilds in Großbritannien dar. Wie seinerzeit in Großbritannien kam eine Reihe von Aktivisten der ersten Stunde aus der Fußballfanszene. Auch hier gab es sogleich ein ausgeprägtes Gefühl für Ausgrenzung und die Pflege von Feindbildern7. Entgegen der ersten SkinheadGeneration in Großbritannien spielte die Frage sozialen Protestes allerdings kaum eine Rolle. Politisch provozierendes Auftreten, so durch das Zeigen von Nazisymbolen, gehörte hingegen von Beginn an dazu. Zu Beginn der 80er Jahre entwickelte sich die Skinhead-Szene in der Bundesrepublik Deutschland kontinuierlich weiter. Erste Skinhead-Bands entstanden; mit Szenemagazinen („Fanzines“) begann die informationelle Vernetzung. Mitte der 80er Jahre nahm die Gewalt innerhalb der Skinheadszene in Deutschland drastisch zu. Wie ursprünglich in Großbritannien rückte auch hier eine neue, militantere und auch jüngere Generation nach, die sich härter gerierte. Neue Einflüsse, so aus der Szene in den USA, verstärkten diese Entwicklung. Die rassistischen Töne innerhalb der Bewegung wurden immer lauter; „der Fremde“ (Ausländer) wurde zum bevorzugten Feindbild, was sich vor allem in den Liedtexten der Skinhead-Bands widerspiegelte. Andere, nicht politisierte Jugendliche begannen zudem, den Stil der Skinheads zu kopieren - es war plötzlich „in“, sich dieses provozierende Outfit anzulegen. Parallel zu dieser Entwicklung entstanden innerhalb der Skinheadbewegung aber auch Strömungen, die sich von dem rassistischen, nationalistischen Block distanzierten, so die SHARP-Skins8. 6 7 8 Vgl. Christoph Mengert, „Unsere Texte sind deutsch…“, „Beiträge zur Inneren Sicherheit“, Juli 1994. Zu den bevorzugten Feindbildern zählten schon damals vor allem Punker („Schweinepunx“). Zeitweise versuchten Punker, Skinheads für Aktionen gegen den gemeinsamen Feind Staat und Polizei zu gewinnen, was allerdings nur punktuell gelang. SHARP = SkinHeads Against Racial Prejudice (Skinheads gegen rassistische Vorurteile). 11 Bemerkenswert ist, dass sich nahezu zeitgleich auch in der ehemaligen DDR wenngleich von Staats wegen geleugnet - eine Skinheadszene entwickelte. Auch dort zeigten sich alsbald interessante Parallelen zu den beschriebenen Entwicklungslinien. Anfangs fehlte weitestgehend eine politische Ausrichtung. Die meisten DDR-Skinheads bekundeten mit ihrem Auftreten Abgrenzung zu den herrschenden Verhältnissen und den Wunsch nach Verbesserung der eigenen Lebensumstände9. Auch hier kam es (in der zweiten Hälfte der 80er Jahre) zu einer Zäsur, so durch einen stärkeren Zulauf jüngerer Menschen, die sich radikaler im Sinne einer dumpfen rassistisch geprägten Weltanschauung gaben. Kontakte zu rechtsextremistischen Strukturen im Untergrund taten ihr übriges. In den 90er Jahren überzogen Skinheadstrukturen das gesamte (wiedervereinigte) Deutschland. Dies trifft für die ganze Bandbreite der Szene zu, die sich nun ungehindert ausbreiten konnte. Aber auch fortan gab es keine homogene Bewegung. Der unpolitische „Oi-Skin“ fand ebenso seinen Platz wie der „Redskin“ oder der „Nazi-Skin“. Insgesamt zeigte sich diese Entwicklung nicht mehr allein mit dominierenden Schwerpunkten im städtischen Milieu. Der ländliche Raum war vom Auftreten dieser Jugendbewegung längst mit betroffen. Als ein aus Sicht des Verfassungsschutzes zentrales Problem stellte sich die Entwicklung der rechtsextremistischen Skinhead-Szene in den 90er Jahren dar. Deren Potenzial wuchs drastisch an; parallel hierzu stiegen die Fallzahlen rechtsextremistisch motivierter Straf- und Gewalttaten mit Täterhintergrund aus dem Skinheadmilieu. Rechtsextremistische Skinheadbands propagierten in ihren Liedtexten rassistische Hassparolen bislang nicht gekannten Ausmaßes. Diese Entwicklungslinien setzen sich auch im neuen Jahrhundert fort. 9 Damit unterschieden sich die Skinheads in der DDR kaum von der schweigenden Mehrheit der Bevölkerung. Auch viele andere Menschen suchten ihr (privates) Heil in Nischen außerhalb des „sozialistischen“ Alltags, allerdings in aller Regel in weniger auffälliger Form. 12 5. Soziologie der Skinheadbewegung Bei allen tiefer gehenden Betrachtungen der Soziologie dieser subkulturellen Jugendbewegung erscheint zunächst der Gesichtspunkt der individuellen Befindlichkeiten von Szeneangehörigen bedenkenswert. Skinheads verbinden mit ihrem „Sein“ offensichtlich nicht selten einen Lebensstil10, den sie nicht als Zwang verstehen, sondern vielmehr emotional befriedigend empfinden. Dabei spielen eine Reihe von Gesichtspunkten, wie beispielsweise das Gemeinschaftserlebnis, das Gefühl von „Kameradschaft“ und Corpsgeist oder auch äußere Attribute (Symbolik, Kleidung, Sprache), tragende Rollen. Eine politische Dimension kann, muss aber keineswegs mit im Spiel sein. Manch ein Szeneangehöriger definiert sich und sein Tun gänzlich ohne einen politischen bzw. politisch extremistischen Hintergrund - ein Skinhead-Gefühl aus einer just-for-fun Stimmung, weil „man“ anders sein will. Vielleicht um des Reizes der Andersartigkeit selbst willen, oder als Signal, „ich grenze mich von euch ab, weil ihr mich nicht versteht“. Diese Abgrenzung wird in der Skinhead-Szene nicht selten durch ein ausgeprägtes Bekenntnis zur eigenen Nation mitgetragen. Auch in diesem Punkt gibt es vielfach Irritationen und Missverständnisse: es gibt nämlich durchaus eine Grauzone mit fließenden Übergängen in einen undemokratischen, Menschen verachtenden Nationalismus. Somit sollte auch in dieser Frage sorgfältig differenziert werden, denn nicht jeder Skinhead, der nationale Töne anschlägt, muss per se ein Nationalist im Sinne rechtsextremistischer Ideologie sein. Die Gefahr, in ein solches Fahrwasser zu geraten, ist allerdings latent. Die Skinheads stellen demnach offenkundig keine homogene Bewegung dar. Bei generalisierenden Aussagen ist daher Vorsicht geboten. Erschwerend kommt hinzu, dass bislang aus hiesiger Sicht nur wenige umfassende Untersuchungen über das Skinhead-Phänomen vorliegen. Eingeflossen sind in den vergangenen Jahren hingegen wiederholt Einzelerkenntnisse in Forschungen über die Hintergründe rechtsextremistischer Gewalt. Im Folgenden werden einzelne Ergebnisse jüngerer Forschungen exemplarisch dargestellt: 10 Vgl. Kurt Möller „Hässlich, kahl und hundsgemein“ in „Die Skins, Mythos und Realität“ von 13 5.1 Allgemeine Forschungsergebnisse zur Skinhead-Szene Eine Studie von Heitmann aus dem Jahre 199511 erhebt den Anspruch, die Skinhead-Szene repräsentativ zu analysieren. Grundlage der gewonnenen, nachfolgend auszugsweise geschilderten Daten stellen 406 ausgefüllte, von insgesamt 8.000 an Szeneangehörige versandte Fragebögen dar. Inwieweit diese Erhebung tatsächlich ein verlässliches Bild zeichnet, kann hier nicht abschließend bewertet werden. Allerdings gewährt die Studie nur einen stark fokussierten Einblick in etwa 5 % der Szene. Gerade in Hinblick auf die ermittelten Daten zum Bildungshintergrund dürfte eine gewisse Skepsis angezeigt sein. Der verhältnismäßig hohe Anteil an Abiturienten ließe sich beispielsweise auch damit deuten, dass diese, da in aller Regel im Schreiben geschulter, in vergleichsweise größerer Zahl den Fragebogen ausgefüllt und zurück gesandt haben. Die Heitmann-Studie stellt fest, dass sich bestimmte Strukturdaten der Skinhead-Szene im Grunde nur wenig von den Vergleichsdaten der Jugendlichen insgesamt unterscheiden. Dies trifft nach dieser Erhebung u.a. für den Altersquerschnitt und das Bildungsniveau zu. Mit über 55 % wurde danach zum damaligen Zeitpunkt (1995) der Szeneanteil der 19-24 Jahre alten Jugendlichen bemessen, etwa 23 % lagen darunter (davon ca. 2,7 % unter 16 Jahren). Im Hinblick auf das Bildungsniveau wird angemerkt, dass die „vermuteten eher niedrigen Bildungsabschlüsse nicht festgestellt werden konnten“. Die Antworten (Basis: 342) wiesen bei mehr als 75 % einen Realschul- bzw. Gymnasialabschluss (Gymnasium: 24,9 %) aus. Als arbeitslos gaben sich 9,3 % (Basis: 397) aus, wohingegen sich 83,4 % in einem Schul-, Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis befanden. Ein Anteil von 18,6 % Facharbeitern standen 4,8 % ungelernte Arbeiter gegenüber. Als Zwischenbilanz stellt die Studie fest, dass für die Skinhead-Szene per se die These von mehrheitlich sozial Entwurzelten offensichtlich nicht zuzutreffen scheint. Vor allem der wichtige Indikator Arbeitslosigkeit weist hier keinen signifikanten Wert auf. 11 Klaus Farin, erschienen 1997 im Ch. Links Verlag, Berlin, ISBN: 3-86153-136-4. Vgl. Helmut Heitmann, „Die Skinhead-Studie“, veröffentlicht in „Die Skins, Mythos und Realität“ von Klaus Farin, erschienen 1997 im Ch. Links Verlag, Berlin, ISBN: 3-86153-136-4. 14 Eine starke Abweichung vom soziologischen Querschnitt der Jugendlichen ergibt sich bei der Geschlechterverteilung. Die Skinhead-Szene wurde und wird von jungen Männern dominiert. Die erwähnte Studie weist bei der Geschlechterverteilung einen Anteil von 87,3 % Männer und 12,7 % Frauen auf. Einen weiteren Unterschied zur Vergleichsgruppe Jugendliche zeigt die Studie in Sachen Zufriedenheit mit der Arbeits- und Lebenssituation auf. Hier ergaben sich innerhalb der Skinhead-Szene vergleichsweise höhere Werte der „Unzufriedenen“. Gefragt nach der Arbeits- und Lebenssituation zeigten sich laut der o.g. Studie annähernd 40 % (Basis: 395) „eher unzufrieden“. Einen sehr hohen Stellenwert genoss für mehr als 93 % die Zukunftssicherheit im Beruf. Bemerkenswert ist, dass die meisten der befragten Skinheads ihre beruflichen Perspektiven kaum oder gar nicht mit Karriere- oder Statusdenken verbanden bzw. mit der Frage, über andere bestimmen zu können. Körperliche, eigenverantwortliche Arbeit stand dabei für viele ebenso im Vordergrund, wie der Gedanke, im Beruf für andere oder die Gesellschaft insgesamt nützlich zu sein. Interessant ist ebenso, was die Befragten angaben, nicht sein zu wollen: „Bonzen oder Spießer“, „profitgierige Ellenbogentypen“ oder „Schickimickis“. Momentane Unzufriedenheit und eine ausgeprägte Erwartungshaltung an eine sichere Zukunft bestimmten demnach die Alltagssituation vieler Skinheads, die sich dabei oft in bewusster Opposition/Protesthaltung gegen gesellschaftliche Mainstreams oder Klassifizierungen sehen. Neben den beruflichen Hintergründen war auch nach dem Freizeitverhalten gefragt worden. Weit überwiegend (81,6 %) wurden Freizeitaktivitäten mit Freund, Freundin oder der Clique entwickelt. Dabei dominierte im Ergebnis der hedonistische Faktor. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala standen Konzertbesuche, Musik hören und der Alkoholkonsum. Letzterer spielte offensichtlich eine ganz wesentliche Rolle. Bemerkenswert ist, dass man mehrheitlich strikt zwischen Freizeit und Arbeit zu trennen vermochte. Zur Frage der politischen Präferenzen gaben zwar mehr als 63 % der Befragten an, politisch interessiert zu sein. Gleichzeitig artikulierte sich aber ein starker Unwille gegenüber Parteien und Politikern; politische Vereinnahmungsversu- 15 che erfuhren eine „heftige Ablehnung“. Auf die Frage nach der Parteienpräferenz („Sonntagsfrage“: welcher Partei würde ich meine Stimme geben, wenn am Sonntag Wahlen wären) gaben etwa 26 % rechtsextremistische Parteien an (Basis: 209). Von Interesse sind in diesem Zusammenhang auch die Einstellungen gegenüber rechtsextremistischen Skinheads und Minderheiten. Während nämlich fast 70 % der Befragten „Nazi-Skins“ eher negativ einstuften (18,2 %: eher positiv), wurden von immerhin etwa 33 % auch Ausländer als eher negativ bewertet (13,1 %: eher positiv), Homosexuelle gar von mehr als 49 % (9,3%: eher positiv). SHARP-Skins, die sich gegen Rassismus wenden, wurden immerhin von 45,6 % eher positiv bewertet (36,4 %: eher negativ). Obwohl politisch nicht uninteressiert besteht aber mehrheitlich der Hang zum autonomen Individuum jenseits der etablierten politisch-gesellschaftlichen Strukturen. Einen gewissen Widerspruch signalisiert die vergleichsweise starke Ablehnung rechtsextremistischer Skinheads, obgleich etwa ein Viertel durchaus mit rechtsextremistischen Gruppen sympathisieren (vgl. Parteienpräferenz). Ebenso widersprüchlich erscheint die Sympathie für SHARP-Skins (antirassistische Skinheads) und die trotzdem von jedem dritten Skinhead mitgetragene negative Haltung gegenüber Ausländern. Von Bedeutung für die Gesamteinschätzung der Szene sind auch die Fragen nach deren Gewaltverständnis. Dies ist durchaus nicht unkritisch. So befürworteten 68,7 % der Befragten (Basis: 405), „dass es Situationen gibt, in denen einem nichts anderes übrig bleibt, als Gewalt anzuwenden“. Immerhin 30,4 % waren der Auffassung, „dass man durch Gewalt mehr Beachtung erfährt“. Gerade diese Antwort erscheint recht aufschlussreich. Zeigt sie doch, dass als ein Motivationsfaktor für Militanz innerhalb der Szene durchaus die individuelle Nichtbeachtung bzw. Vernachlässigung eine Rolle zu spielen scheint. Hinzu kommt, dass nahezu jeder Zweite der Befragten Gewalt unter Jugendlichen als „normal“ erachtet; eine große Zahl berichtete von persönlichen Gewalterlebnissen (ca. 68 % der Befragten hatten sich in den letzten zwei Jahren vor der Befragung mindestens zwei Mal geprügelt). Insgesamt bestätigt die erwähnte Studie also das Bild, dass es den typischen Skinhead ebenso wenig gibt, wie es nur rechtsextremistische Skinheads gibt. Wie 16 ist es nun aber gerade um das Spektrum der rechtsextremistischen Skinheads bestellt? 5.2 Forschungsergebnisse zur rechtsextremistischen Skinhead-Szene Aufschluss hierüber gibt u.a. eine im Jahr 2000 veröffentlichte Forschungsarbeit12 über „Abgrenzung, Gewalt und Kreativität bei Gruppen Jugendlicher“, in deren Rahmen auch eine Gruppe „rechter Skinheads“13 in den Zeiträumen 1995-97 und 1997-99 analysiert wurde. Im Gegensatz zu der vorgenannten Studie, die den gesamten Szenequerschnitt analysiert, ist hier, im Teilsegment rechtsextremistischer Skinheads, hinsichtlich des Bildungsniveaus von „zum größten Teil niedrigen“ Schulabschlüssen die Rede; die Jugendlichen galten als „schwer vermittelbar“. Hinzu kommt die Erkenntnis von „überwiegend problematischen Familiengeschichten“. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Fragen individueller sozialer Probleme und Verwerfungen bei den Angehörigen rechtsextremistischer Skinheadzusammenschlüsse eine größere Rolle als im gesamten Szenequerschnitt spielen dürfte. In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage von nachhaltiger Bedeutung, dass durch das Skinhead-Sein bei einigen der Befragten die familiären Probleme noch verstärkt würden. Damit wäre sodann ein fataler Teufelskreis von gegenseitigen negativen Wechselwirkungen eröffnet. Keine bemerkenswerten Unterschiede zum „Durchschnittsskinhead“ lässt das Freizeitverhalten der analysierten rechtsextremen Skinheads erkennen. Auch hier wurden die meisten Aktivitäten innerhalb der Gruppe entwickelt; Konzertbesuche und Musikhören standen ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Der politische Hintergrund innerhalb der untersuchten rechtsextremen Skinheadgruppe wurde als sehr unterschiedlich ausgeprägt wahrgenommen. Einerseits wurden solche Skinheads ausgemacht, denen die politische Ausrichtung wichtig war. Andererseits waren auch in dieser Gruppe Aktivisten, denen es pri12 13 Vgl. Roland Eckert, Christa Reis, Thomas A. Wetzstein, „Ich will halt anders sein wie die anderen – Abgrenzung, Gewalt und Kreativität bei Gruppen Jugendlicher“, erschienen 2000 im Verlag Leske+ Budrich, Opladen, ISBN: 3-8100-2247-0. Zu der Gruppe zählte ein „harter Kern“ von etwa 10 Personen, die sich selbst als „rechtsextrem“ und „ausländerfeindlich“ bezeichneten sowie ein Umfeld von ca. 15 Personen, die von Sozialarbeitern als 17 mär um den „Skin-Stil“ als solchen ging, und weniger um politische Inhalte. Ältere Gruppenmitglieder zeigten sich als „ideologisch geschult“ und verhältnismäßig argumentationssicher. Jüngere wiederum fielen durch das „ständige Wiederholen von Stereotypen“ auf. Die Älteren versuchten immer wieder, Alltagssituationen (z.B. Erlebnisse mit Ausländern) mit weltanschaulichen Gesichtspunkten zu verknüpfen. Dabei waren vor allem einschlägige rassistische und nationalistische Argumentationsmuster üblich. Bemerkenswert ist nach den Forschungsergebnissen, dass sich in der Phase 1997-99 eine zunehmende Radikalisierung der Gruppe zeigte. Besonders wichtig, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Prävention, erscheinen auch Gesichtspunkte des Hineinwachsens in die rechtsextreme Skinheadgruppe bzw. der spezifischen Gruppendynamik. Der Zugang zu der untersuchten Gruppe erfolgte „häufig im Alter von 14 bzw. 15 Jahren“. In der frühen Phase der Gruppe wurde von einem „allmählichen Hineinwachsen in die Szene“ gesprochen; meist traf man sich mit Gleichgesinnten. Besondere Aufnahmerituale gab es nicht. Daran hatte sich im Laufe der Zeit etwas geändert: zum Zeitpunkt der Untersuchung war von Aufnahmebedingungen die Rede (z.B. eine überzeugende politische Einstellung, Eigenschaften als „guter Schläger“ etc.). Innerhalb der Gruppe unterwarf man sich bestimmten Regeln und solidarisierte sich u.a. durch die Übernahme des szeneüblichen Dresscodes. Hierzu zählte neben dem kahl geschorenen Schädel natürlich das entsprechende Outfit; hinzu kamen Tätowierungen („ein unbedingtes Muss“). Die Gruppe selbst schien ihren Mitgliedern Halt und Geborgenheit zu geben. Aus einzelnen Aussagen geht hervor, dass Begriffen wie „Gemeinsamkeit“ und „Kameradschaft“ große Bedeutung beigemessen wurde. Innerhalb der Gruppe gab es eine klare Hierarchie. Der Anführer, der auch der Älteste war, zeichnete sich dadurch aus, dass er „verbal am geschicktesten war und das größte Durchsetzungsvermögen“ hatte. Am unteren Ende der Hierarchie standen die weiblichen Gruppenmitglieder, die als „vollkommen ohne Rechte“ beschrieben werden. Sie selbst zählten sich „zum weiteren Umfeld“ der Gruppe. Äußerungen der männlichen Gruppenmitglie„rechts orientiert“ eingestuft wurden. Die Altersspanne innerhalb der Gruppe reichte von 16-32 Jahren. 18 der spiegelten ein extrem archaisches Rollenverständnis von Mann und Frau wider. Weitere relevante Erkenntnisse vermittelt die Forschungsarbeit14 „Rechte Cliquen - Alltag einer neuen Jugendkultur“ aus dem Jahre 2001. Die Studie baut auf einer Regionalforschung von Hafeneger/Niebling aus dem Jahre 1999 auf. Am Beispiel von drei Jugendcliquen aus hessischen Gemeinden werden „lokale Milieuerfahrungen“ von Jugendlichen u.a. im Hinblick auf die Bedeutung rechtsextremer Orientierungen15 wieder gegeben. Nachfolgend soll auf eine der drei Gruppen näher eingegangen werden: Bei der besagten Clique wurde ein „harter Kern ideologisch gefestigter“ Jugendlicher, bestehend aus sechs Personen (vier Männer, zwei Frauen. Altersgruppe 18-23 Jahre), ausgemacht. Das weitere Gruppenumfeld wurde von den Jugendlichen zwischen 10 und 35 Personen angegeben. Die Mitglieder des harten Kerns werden als „unterprivilegiert“ und „ohne Karrierechancen auf dem Arbeitsmarkt“ beschrieben. Die männlichen Gruppenmitglieder waren zum Zeitpunkt der Untersuchung arbeitslos bzw. befristet angestellt. Sie hatten keine abgeschlossene Berufsausbildung; einige waren ohne Hauptschulabschluss. Als prägend für ihr aktuelles Leben wurden „Langeweile, Alkohol und Politik“ ausgemacht. Es wurde die Sehnsucht nach stabilen und klaren Strukturen und strengen Befehlen, nach Männerbünden sowie nach einem Leben als „Kämpfer für das Vaterland“ artikuliert. Nach außen tritt der „harte Kern“ der besagten Clique durch martialisches Outfit in Erscheinung; es wird eindeutig die Zugehörigkeit zur rechten Skinhead-Szene signalisiert. Man bekennt sich offen als „rechtsextreme und ausländerfeindliche Gruppe“ und bedient sich zumeist entsprechender Ideologiefragmente. Eine intensive rechtsextremistisch-ideologische Schulung ist die Ausnahme. Die Sinnwelt der Clique ist von ausgeprägtem Fremdenhass bzw. Rassismus und eindeutigem Freund-Feind-Denken gekennzeichnet. Ein Teil der Clique sieht sich in der Tradition zur SA und SS; extrem rassistische Gruppierungen wie der „Ku 14 15 Vgl. Benno Hafeneger, Mechthild Jansen: „Rechte Cliquen – Alltag einer neuen Jugendkultur“, erschienen im Juventa Verlag, Weinheim und München 2001, ISBN: 3-7799-0260-5. Cliquen werden als selbstgewählte, und relativ selbstorganisierte, spontane, erwachsenenunabhängige informelle Gruppierungen im lokalen Nahraum und Milieu beschrieben. Sie können Teil einer größeren Szene sein. Bei rechten Cliquen wird von mehr oder weniger ausgeprägten Sympathien zum organisierten Rechtsextremismus, sowie von Einstellungen und Verhaltensweisen, die aus dem Ideologiebereich des Rechtsextremismus kommen, gesprochen. 19 Klux Klan“ haben Vorbildcharakter. Missfallen rufen jene Skinheads hervor, die besagte politische Haltungen nicht teilen. Ein wesentlicher Kernbegriff ist für die Gruppe die Kameradschaft. Sie ist gleichsam Inbegriff von Zugehörigkeit und Halt und wird entsprechend idealisiert. In ihrer subjektiven Bedeutung rangiert sie vor anderen identitätsstiftenden Gruppen oder Institutionen, wie der Familie, Arbeit und Schule. Innerhalb der Gruppe wird Homogenität und das Negieren von Hierarchien hervorgehoben. Gleichwohl gibt es unterschiedliche Rollen und Funktionen, die mit Macht und Einfluss verbunden sind. 5.3 Forschungsergebnisse zum Thema rechtsextremistische Gewalt Abschließend soll auf Untersuchungen des Phänomens rechtsextremistisch motivierter Gewalt und daraus resultierende Erkenntnisse über die Skinhead-Szene eingegangen werden. Grundlage für die nachfolgenden Daten ist eine Veröffentlichung des Bundesministerium des Innern aus dem Jahre 200116. Eine der darin enthaltenen Studien befasst sich mit der Analyse polizeilicher Ermittlungsakten zu fremdenfeindlichen, antisemitischen und rechtsextremistischen Tatverdächtigen (Verfasser: Christian Peucker, Martina Gaßebner, Klaus Wahl) im Analysezeitraum 199717. Exemplarisch soll auf den Deliktsbereich fremdenfeindliche Straftaten eingegangen werden, da hierzu auch Vergleichsdaten zum Forschungszeitraum 1992/93 vorliegen (vgl. Fußnote Nr. 12). Die Basis für die Daten aus dem Jahre 1997 bilden 2.887 von Polizeidienststellen ausgefüllte Fragebögen zu Tatverdächtigen. Zunächst einige allgemeine Daten: Der Altersschwerpunkt der analysierten Tatverdächtigen lag in den Zeiträumen 1992/93 sowie 1997 in der Altersgruppe 15-24 Jahre. Am stärksten repräsentiert waren die 18-20-jährigen, gefolgt von den 15-17-jährigen. Jeweils mehr als 90 % der Tatverdächtigen waren männlich (der Anteil der weiblichen Tatverdächtigen stieg von 5 % in 1992/93 auf 9 % in 1997). Zumeist handelte es sich um Gruppentaten (1992/93: 79 %, 1997: 76 %); über zwei Drittel der Tatverdächti16 17 „Texte zur Inneren Sicherheit“, Dezember 2001, „Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsextremismus – Drei Studien zu Tatverdächtigen und Tätern“. Diese Studie stellt in vielen Punkten eine Wiederholungsstudie von zwei Untersuchungen der Uni Trier dar (vgl. Willems/Eckert/Würtz/Steinmetz 1993 und Willems/Würtz/Eckert 1994). Diesen beiden Studien liegen die Analysezeiträume 1991 bzw. 1992/93 zugrunde. 20 gen war zum Tatzeitpunkt alkoholisiert. Jeweils stark vertreten waren Tatverdächtige mit Hauptschulabschluss (1992/93: 60 %, 1997: 56 %). Tatverdächtige mit Abitur oder Hochschulabschluss bildeten jeweils eine Minderheit von 3 %. In beiden Vergleichszeiträumen war etwa jeder fünfte Tatverdächtige arbeitslos (mit zunehmenden Lebensalter steigt diese Quote, und liegt bei der Gruppe ab 25 Jahre bei mehr als 40 %). Im Straftatenteilsegment der Gewalttaten konnte allerdings kein überproportionaler Anteil an arbeitslosen Tatverdächtigen festgestellt werden. Es wird festgehalten, dass zwar Problemgruppen unter den Tatverdächtigen sind, solche Gruppen aber nicht zunehmend fremdenfeindliche Straftaten begehen. In diesem Zusammenhang erscheint die Anmerkung wichtig: ein bisweilen dargestellter „Mechanismus der Zwangsläufigkeit“, wonach individuelle Probleme und soziale Konfliktlagen nahezu automatisch in die Gewaltkriminalität führen, ist nicht haltbar. Was nun Skinheads bzw. Skinheadgruppen anbelangt, so ist zunächst bemerkenswert, dass diese im Zusammenhang mit den Tatverdächtigen im Jahre 1997 (31 %) öfter genannt werden, als 1992/93 (20 %). Nahezu jeder dritte Tatverdächtige gehörte 1997 einer Skinheadgruppe an. Dabei lag der Altersschwerpunkt mit fast 90 % in der Gruppe der 15-24-jährigen. Im Zuge dieser Entwicklung verweist die Studie u.a. auch auf eine Radikalisierung fremdenfeindlicher Straftäter und eine Stabilisierung der rechtsextremen Szene. Im Teilsegment fremdenfeindliche Gewalttaten zeichneten 1997 für 27 % der Delikte Skinheadgruppen verantwortlich18. Bemerkenswert ist, dass im Ost-West-Vergleich im Jahre 1997 rund 49 % der Tatverdächtigen Gewalttäter im Westen sich als Skinheads benannt haben, während nur 8 % aus dem Osten dies getan haben. Damit wird eine gängige These, dass im Osten hauptsächlich Skinheads für fremdenfeindliche Gewalttaten verantwortlich sind deutlich in Frage gestellt. 18 Zum Vergleich: ca. 31 % der Gewalttäter konnten so genannten informellen Gruppen zugerechnet werden. 21 6. Strömungen der Skinheadbewegung Innerhalb der Skinheadbewegung in der Bundesrepublik Deutschland mehrere größere Strömungen sowie einzelne, weniger stark ausgeprägte Erscheinungsformen erkennbar. Insgesamt kann aufgrund verschiedener Kriterien nicht von einer einheitlichen oder homogenen Bewegung gesprochen werden Einen zahlenmäßig großen Anteil bilden die so genannten Oi-Skins (s.a. Seite 9, Fußnote 3.). Weite Teile dieses Spektrums haben sich bislang als resistent gegenüber Vereinnahmungsversuchen rechtsextremistischer Gruppen gezeigt. Politischen Extremen steht man weitgehend ablehnend gegenüber. Für „Oi-Skins“ steht in aller Regel nicht die politische Agitation, sondern der „Spaß“ am Skinheaddasein und den damit verbundenen Aktivitäten (Konzertbesuche etc.) im Vordergrund. Gleichwohl bezeichnen sich viele „Oi-Skins“ auch als „Patrioten“ und lassen eine nationalistisch geprägte, stark reservierte Haltung gegenüber Ausländern erkennen. Eine Minderheit innerhalb der Skinheadbewegung bilden „linke“ bzw. „antifaschistische“ Skinheads. Sie firmieren unter Bezeichnungen wie „Redskins“, heads“ „Red & (RASH) Anarchist oder Skin- „SHARP“ („Skinheads Against Racial Prejudice“). „Redskins“ verstehen sich als Vertreter einer militanten Arbeiterjugendbewegung. Sie können zumeist der linksextremistischen Autonomen-Szene zugerechnet werden. In ihrem äußeren Erscheinungsbild grenzen sie sich von rechtsextremistischen Skinheads z.B. durch rote Bomberjacken19 und Anti-NaziAufnäher ab. Ihre Springerstiefel versehen sie oft mit roten Schnürsenkeln, im 19 Nicht zu verwechseln mit glänzend roten Jacken mit der Aufschrift „Redskins“. Hierbei handelt es sich um Fanjacken einer Footballmannschaft aus Washington/DC (USA). 22 Gegensatz zu den in der rechtsextremistischen Skinheadszene gebräuchlichen weißen20. Gegenüber den „Redskins“ sehen sich die SHARP-Skins als weitgehend unpolitischen Teil der Skinheadbewegung. Allerdings bilden sie ein antirassistisches Gegengewicht zu den rechtsextremistischen Skinheads und treten beispielsweise demonstrativ für Ausländer ein, um diese vor Übergriffen zu schützen. Zu einer starken Strömung in der Skinhead-Szene ist mittlerweile der Teil geworden, der dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen ist. Hierunter fallen Skinheads, die rechtsextremistisch beeinflusst sind und solche, die ein ausgeprägtes rechtsextremistisches Weltbild verinnerlicht haben. Diese Skinheads sind Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen. 20 Die Farbe der Schnürsenkel kann ein Indiz sein, muss es aber nicht. Insofern können vorschnelle Beurteilungen eines etwaigen politischen Hintergrundes allein aufgrund solcher Äußerlichkeiten fehlleiten. Vgl. Nr. 7.2, Seite 26. 23 7. Rechtsextremistische Skinheads - „kurze Haare, radikal, sozialistisch, national“ 7.1 Bezeichnungen - Strukturen - Ideologie Für rechtsextremistische Skinheads gibt es eine Reihe von Szenebezeichnungen und Arbeitsbegriffen21. Zu den gebräuchlichsten gehören der „Nazi-Skin“22, wie er üblicherweise von der „linken“ Szene verwendet wird, oder der Begriff „WhitePower-Skin“23, der einen rassistisch eingestellten Skinhead charakterisieren soll. Ein weiterer Szenebegriff ist „Bonehead“ (Knochenkopf), der sich von den kahl rasierten Schädeln ableitet. Diese Bezeichnung gilt als Synonym für den „harten“, militanten Kern der rechtsextremistischen Skinheads. Der überwiegende Teil der rechtsextremistischen Skinheads verzichtet weitgehend auf verbindliche, z.B. vereinsähnliche Organisationsstrukturen sowie auf eine fundierte, kontinuierliche politische Schulung. Dies bedeutet allerdings nicht eine völlige Strukturlosigkeit. Zumeist bestehen cliquenähnliche Zusammenschlüsse, die im regionalen Rahmen agieren, ohne dass sie eines straffen organisatorischen Rahmens bedürfen. Innerhalb dieser Gruppierungen gibt es in der Regel Hierarchien, einen „harten Kern“ von Personen mit einem stark verdichteten rechtsextremistischen Weltbild sowie ideologisch wenig gefestigte „Mitläufer“24. Ebenso charakteristisch ist ein oft zu beobachtendes hohes Maß an Fluktuation, vor allem im Umfeld solcher Gruppen. In ideologischer Hinsicht bedient sich der strukturarme, eher lose formierte Teil der Skinhead-Bewegung zumeist nur recht oberflächlicher, plakativverkürzter Formeln, die sich eng an das Gedankengut der Neonaziszene anlehnen. Dabei spielen vor allem Symbole und ideologische Bruchstücke aus der Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft eine Rolle; ein tiefer gehender politischer Diskurs findet in der Regel nicht statt. 21 22 23 24 Hierbei handelt es sich nicht um Organisationsbezeichnungen. Die Bezeichnung „Nazi-Skin“ wird mitunter auch von rechtsextremistischen Skinheads selbst verwendet. Als weiterer Szenebegriff ist auch der des „Fascho-Skin“ bekannt, abgeleitet vom Begriff Faschismus. Unter dem Begriff „White-Power-Movement“ ist keine fest gefügte Organisation zu verstehen, sondern vielmehr ein „kleinster, gemeinsamer Nenner“ des Rassismus, der international Fuß gefasst hat. Im Kern dreht sich diese Ideenwelt um die „Reinerhaltung der weißen Rasse“. Die Anhänger dieses Gedankens sind in aller Regel ausgeprägt fremdenfeindlich und antisemitisch eingestellt. Als internationales Symbol mit entsprechendem Wiedererkennungswert gilt die so genannte White-Power-Faust (vgl. Schaubild „Skinheads - Kämpfer für Deutschland“ auf Seite 22). Vgl. Nr. 5.2., Seite 16. 24 Skinhead-Szene „Linke“ „Redskins“ SHARP-Skins Unpolitische „Oi-Skins“ Rechtsextremistische Unorganisierte „Blood&Honour“ Organisierte „Hammerskins“ 25 Neben dem beschriebenen strukturarmen Bereich gibt es innerhalb der rechtsextremistischen Skinhead-Szene aber auch Gruppierungen mit straffen Organisationsstrukturen und einem stärkerem Maß an Gruppendisziplin. Zu diesem Spektrum zählen die „Blood & Honour“-Bewegung und die „Hammerskins“. Die „Blood & Honour“26-Bewegung (B&H) hat ihre Wurzeln in Großbritannien und steht von Beginn ihrer Gründung Ende der 80er Jahre an in der Tradition rechtsextremistischer Skinheadmusik27. Einer ihrer Gründer war der 1993 durch Unfalltod verstorbene Bandleader der Gruppe Skrewdriver, Ian STUART, der in der Szene auch heute noch Kultstatus hat. Die B&H-Bewegung wurde vor allem ins Leben gerufen, um junge Menschen über das Medium Musik an die Szene heranzuführen und mit neonazistischem, rassistischem Gedankengut vertraut zu machen. Die ideologische Ausrichtung der B&H-Bewegung orientiert sich u.a. an einem deutlichen Bekenntnis zu Adolf Hitler sowie anderen Nazigrößen und ist durch die Verwendung von Symbolik und Begriffen des Nationalsozialismus gekennzeichnet. Wesentliche Aktionsschwerpunkte sind somit die Veranstaltung 25 26 27 Das Organigramm spiegelt nur einen Teil markanter Erscheinungsformen der vielfältigen Szene wider. „Blut und Ehre“ (engl. „Blood and Honour“) war die Losung der Hitlerjugend im Dritten Reich. Vgl. Nr. 8.1, Seite 32. 25 von Skinheadkonzerten und die Verbreitung von Tonträgern. Zudem sorgen eigene Fanzines28 für eine informationelle Vernetzung der Szene. Seit ihrer Gründung hat sich die B&H-Bewegung in Europa und im außereuropäischen Ausland verbreitet. Sie gliedert sich in Länder bezogene „Divisionen“, die wiederum über hierarchische Suborganisationen (Sektionen) verfügen. Im Gegensatz zur frühen Phase der Bewegung arbeiten die einzelnen „Divisionen“ weitgehend autonom und nicht in unmittelbarer Abhängigkeit von Entscheidungen der „Mutterorganisation“ in Großbritannien. Die 1994 in Berlin gegründete „B&H Division Deutschland“ und deren Jugendorganisation „White Youth“ wurden mit Verfügung des Bundesministers des Innern am 12. September 2000 verboten29. Zum Zeitpunkt des Verbots wurden der „B&H Division Deutschland“ ca. 200 Personen zugerechnet, die „White Youth“ verfügte nach eigenen Angaben über ca. 100 Mitglieder. Dieser Personenkreis unterwarf sich straffen Organisationsregeln (z.B.: Mitgliedschaft ab 21 Jahre nach sechsmonatiger Anwärterschaft, regelmäßige Schulungen etc.). Wie die B&H-Bewegung sind auch die „Hammerskins“30 international strukturiert. Gegründet wurden die „Hammerskins“ Mitte der 80er Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika. Heute gibt es „Hammerskin“-Gruppen in einer Reihe von Ländern, so in Europa u.a. in Deutschland (ca. 120 Personen in regionalen Untergliederungen, so genannte Chapter), Frankreich, Italien, Tschechien und in der Schweiz. Die zumeist nur wenigen Mitglieder dieser Zusammenschlüsse pflegen ein elitäres Bewusstsein. Ihr Ziel ist die weltweite Vereinigung der Skinheads in einer „Hammerskin-Nation“. Das Gedankengut der „Hammerskins“ ist von einem deutlich rassistischen Charakter und neonazistisch geprägt. Im Vordergrund ihrer nach außen gerichteten Aktivitäten steht ebenfalls die Ausrichtung von Konzerten. 7.2 Symbolik - Kleidungsstil Zeichen und Kleidung können wichtige Identifikationsfaktoren sein. Nicht zuletzt schaffen sie Identität und ein „Wir-Gefühl“. Gleichzeitig grenzen sie ab und sind Ausdrucksmittel individueller oder kollektiver Befindlichkeiten. 28 29 30 Szeneschriften (abgeleitet vom englischen Begriff Fan Magazine). Das Verbot ist seit dem 13. Juni 2001 bestandskräftig. Der Name leitet sich von dem Symbol der Bewegung, zwei überkreuzte Zimmermannshämmer, ab. 26 In der rechtsextremistischen Skinheadszene haben sich eine eigene Symbolik und ein szenetypischer Kleidungsstil entwickelt. Vielfach kann dabei von einer Visualisierung rassistischer Gesinnung gesprochen werden; zu den markantesten Symbolen rechtsextremistischer Skinheads zählen heute solche, die auf diese rassistische Haltung hindeuten sollen. Dies müssen nicht zwangsläufig Zeichen sein, wie sie beispielsweise in der Zeit des Dritten Reiches von den Nationalsozialisten verwendet wurden. Es zählen auch solche dazu, die mitunter länger zurückliegende Wurzeln haben und vom Ursprung her oft eine ganz andere Bedeutung. Exemplarisch sind die aus der nordisch-germanischen Mythologie, so beispielsweise Runen oder das Keltenkreuz (s.o.). Eine Rolle spielen auch Symbole, die von einschlägig bekannten rassistischen Organisationen wie dem „Ku Klux Klan“ (KKK)31 benutzt werden. Rechtsextremistische Skinheads pflegen einen Dresscode. Im Vergleich zu den oftmals recht eindeutigen Symbolen fällt hier die Szenezuordnung nicht immer leicht - manchmal kann die „Verpackung“ trügen. Oberflächliche Betrachter ordnen beispielsweise rechtsextremistischen Skinheads spontan weiße Schnürsenkel an den Springerstiefeln zu, wohingegen rote Schnürsenkel ein scheinbar eindeutiges Indiz für „linke“ Skinheads seien. Das kann, muss aber nicht stimmen. Das Tragen bestimmter Kleidungsstücke hängt nicht allein von dem verbreiteten Eindruck ab, sondern auch von regionalen bzw. gruppenspezifischen Gegebenheiten. So kann es durchaus sein, dass ein rechtsextremistischer Skinhead, um sich zu tarnen, auch einmal rote Schnürsenkel benutzt, oder gar völlig „normale“ Kleidung trägt und sich auch ohne Glatze präsentiert. Und manchmal ist es auch nur der Nachahmereffekt, der Jugendliche animiert, bestimmte szenetypische Kleidungsstücke unreflektiert zu tragen. In solchen Fällen ist Auffallen und Provozieren angesagt und nicht die Zurschaustellung einer politisch-extremistischen Weltanschauung. 31 Im Jahre 1865 in Tennessee (USA) gegründete rassistische Organisation, die heute aus mehreren unab- 27 Ungeachtet dessen gibt es aber eine Reihe von Kleidungsstücken, die in der Szene bevorzugt getragen werden, um die eigene Identität zu signalisieren und zu wahren. Ein großes Stück weit definiert sich diese Identität aus einer Art archaischem Männlichkeitskult – Körperlichkeit, Stärke, Härte sind einige der Ideale, die sich dahinter verbergen. Durch die gleichzeitige Heroisierung des Arbeitermilieus gibt man sich antibürgerlich. Dies alles spiegelt sich im äußeren Erscheinungsbild rechtsextremistischer Skinheads wider, so wie sie sich selbst oder in ihrer Kleidung präsentieren. Zur Selbstpräsentation gehören der markante kurz geschorene oder gar blanke Schädel sowie nicht zuletzt Tattoos. Sie sorgen bereits für ein szenetypisches, martialisches Auftreten. Die Kleidung unterstreicht dies. Obligatorisch sind derbe Arbeiterschuhe oder Schnürstiefel, oft mit zusätzlichen Stahlkappen versehen. Enge, hochgekrempelte Jeans oder Camouflagehosen (Militärhosen mit Tarnmuster), über groben Baumwollhemden getragene Hosenträger und Bomberjacken sollen diesen Eindruck verstärken. Ungeachtet aller Antibürgerlichkeit kann sich auch die rechtsextremistische Szene nicht von einem gewissen Markenkult freimachen. Zu den „Rennern“ unter den Marken zählt traditionell die Firma Dr Martens (Doc Martens) aus Großbritannien, die u.a. Arbeiterschuhe bzw. -stiefel produziert. Hemden, T-Shirts und Sweatshirts werden bevorzugt von den britischen Firmen Ben Sherman (Hemden, Sweatshirts etc.), Lonsdale32 (Boxerbekleidung, etc.) und vor allem Fred Perry (Polo-Hemden etc.) getragen. 7.3 Entwicklung der rechtsextremistischen Skinheadszene in Deutschland Bereits Anfang der 80er Jahre ließen Skinheads in der Bundesrepublik Deutschland dumpfe nationalistische, rassistische, antisemitische und Gewalt orientierte 32 hängig voneinander agierende Gruppen mit Schwerpunkt in den „Südstaaten“ der USA besteht Seit einiger Zeit wird immer wieder öffentlich dargestellt, dass die Firma Lonsdale in Szenekreisen u.a. wegen der Buchstabenkombination (Lo)-nsda-(le) in ihrem Namen beliebt sei. Rechtsextremistische Skinheads trügen solche Produkte gerne unter der offenen Bomberjacke, so dass nur die Buchstaben „nsda“ sichtbar sind, was dann soviel wie „nationalsozialistische deutsche Arbeiter“ signalisieren soll. Nach hiesiger Einschätzung dürfte dies ein Stück weit Mythenbildung sein. Lonsdale scheint nicht von allen seinen Trägerinnen und Trägern in dieser Weise interpretiert zu werden. Die Firma Lonsdale distanziert sich im übrigen vom Rechtsextremismus. Anders sieht es offensichtlich mit der von deutschen Rechtsextremisten entworfenen Marke Consdaple aus (NSDAP = „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“). Bei dieser Markenbezeichnung handelt es sich um eine Verfremdung des englischen Begriffes Constable (Schutzmann). Eine Version des Signets beinhaltet auch einen Adler, der dem Hoheitszeichen des Dritten Reiches (Reichsadler) ähnlich ist. Artikel dieser Marke werden u.a. über den rechtsextremistischen „Patria-Versand“, Landshut, vertrieben. 28 Züge erkennen. Bei verschiedenen Anlässen, so bei Fußballspielen, skandierte man einschlägig bekannte Parolen aus der Nazizeit wie „Rotfront verrecke“ und „Sieg heil!“. Über einen rein provokatorischen Ansatz hinaus gab es auch erste Bestrebungen der Ideologisierung. Im Jahre 1982 hieß es in der Szeneschrift „Attacke – unabhängig überparteilich – erstes Berliner Skinhead-Magazin“ in einem Vorwort u.a.: „Wir sehen es als eine heilige Pflicht an, mit diesen völkischen Beobachtern33 die kahlköpfige Bewegung mit ideologischem Gedankengut zu versorgen“. Schon in dieser Zeit deutete sich an, dass offensichtlich nicht wenige der Aktivisten ein „rechtes“ Weltbild pflegten. Wirklich rechtsextremistische Skinheads, im Szenejargon „Naziskins“ tituliert, bildeten aber (noch) eine Minderheit innerhalb des breiten Spektrums. Diese Skinheads weckten das Interesse „etablierter“ neonazistischer Gruppen - sie witterten hier ein willkommenes Rekrutierungspotenzial. Erste Annäherungs- und Vereinnahmungsversuche, so durch den damals bundesweit bekannten Neonaziführer Michael KÜHNEN34, scheiterten jedoch weitgehend. Letzthin wurden noch bis Ende der 80er Jahre von den Sicherheitsbehörden allenfalls rund 10% der Skinheadszene als rechtsextremistisch eingestuft. Dabei sollte es aber nicht bleiben: Vor allem in den 90er Jahren beobachteten die Verfassungsschutzbehörden ungeachtet kurzeitiger Rückgänge ein nahezu kontinuierliches Anwachsen des rechtsextremistischen Potenzials innerhalb der bundesweiten Skinhead-Szene. Besonders augenfällig wird dieser Umstand, wenn man die VerfassungsschutzStatistik gewaltbereiter Rechtsextremisten zugrunde legt. Der weitaus größte Teil dieses Spektrums rekrutiert sich aus der Skinheadszene35. Während diesem Po33 34 35 Der „Völkische Beobachter“ war von 1920 bis 1945 das Sprachrohr und Parteiorgan der NSDAP. KÜHNEN (1955-1991) war seinerzeit einer der bekanntesten Neonaziführer, der Teile der Szene dominierte. Zeitweise leitete er die 1983 verbotene „Aktionsfront Nationale Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA). Zu seinen Zielen zählten die Integration der aufgesplitterten und teilweise auch zerstrittenen Neonazigruppierungen sowie die Verstärkung der Bewegung, so durch „linientreue“ Skinheads. Vorbildcharakter hatte für ihn die „Sturmabteilung“ (SA) der NSDAP als straff durchorganisierte „Parteiarmee“. Mit einer solchen Zielsetzung stieß er allerdings bei den weit überwiegend organisationsfeindlichen Skinheads auf keine nennenswerte Resonanz. Eine exakte zahlenmäßige Erfassung ist insbesondere aufgrund der starken Fluktuation in der Szene nur bedingt möglich. Hinzu kommt, dass es eine Grauzone von Personen gibt, bei denen (noch) nicht von einem kohärenten Weltbild im Sinne einschlägiger rechtsextremistischer Ideologieelemente ausgegangen werden kann oder eine Einbindung in bestehende rechtsextremistische Zusammenschlüsse erkennbar ist. Im Verfassungsschutzbericht 1999 des Bundesinnenministeriums wird dargelegt, dass 29 tenzial im Jahre 1991 etwa 4.200 Personen bundesweit zugeordnet werden konnten, waren es Ende 2002 bereits ca. 10.700. Erst im Jahre 2003 war wieder ein Rückgang auf etwa 10.000 Personen festzustellen. Insofern kann auch eine große Zahl der in den vergangenen Jahren verübten rechtsextremistischen bzw. rechtsextremistisch motivierten Gewaltdelikte in Deutschland Skinheads oder deren Umfeld zugeordnet werden. Rechtsextremistisches Gewaltpotenzial 11.000 10.000 9.000 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Der weit überwiegende Teil der Skinheads folgte auch in den 90er Jahren bis heute dem Selbstverständnis, einer Bewegung anzugehören, die vor allem ein gemeinsames Lebensgefühl verbindet. Skinheadgruppen mit Organisationsstrukturen bilden dabei eher die Ausnahme. Neben der subjektiven Organisationsunwilligkeit spielen hierfür sicher auch ganz pragmatische Gründe eine Rolle: verbindliche Strukturen, wie z.B. Vereine, können unter bestimmten Voraussetzungen verboten werden. Von dieser Erfahrung blieb auch die Skinheadszene nicht verschont36. 36 etwa 85 % des rechtsextremistischen Gewaltpotenzials der Skinheadszene entstammt. Das Bayerische Staatsministerium des Innern verbot am 30. Juli 1996 den Verein „Skinheads Allgäu“. Am 12. September 2000 verfügte der Bundesminister des Innern das Verbot der Gruppierung „Blood & Honour – Division Deutschland“ und ihrer Jugendorganisation „White Youth“. Am 5. April 2002 wurde 30 Somit blieben auch bis in die jüngste Zeit die wiederholten Versuche etablierter rechtsextremistischer Gruppen weitgehend erfolglos, Skinheads organisatorisch zu vereinnahmen. Anders sah es aber zeitweise in aktionistischer Sicht aus. Dies hing eng mit der 1997 vollzogenen Neuorientierung der rechtsextremistischen „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) zusammen. Unter der Führung ihres (neuen) Bundesvorsitzenden Udo VOIGT verfolgt die Partei seitdem eine Dreifachstrategie: „Kampf um die Straße“, „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Parlamente“. Gerade der erstgenannte Gesichtspunkt, die provokante Präsenz im öffentlichen Raum, schließt den Gedanken von Aktionsbündnissen mit anderen Rechtsextremisten ein37. Im Zuge dieser Entwicklung haben in den letzten Jahren z.B. wiederholt Demonstrationen stattgefunden, an denen sich NPDMitglieder wie auch Neonazis und nicht zuletzt Skinheads gemeinsam beteiligten38. In den Jahren 2002/2003 wuchs allerdings wieder eine zunehmende Distanz zwischen der NPD und den Neonazis bzw. Skinheads; Demonstrationen wurden vermehrt getrennt voneinander durchgeführt. Diese Entwicklung hält an, zumal die NPD aktuell stärkere Akzente auf den „Kampf um die Köpfe“ setzen will, so durch Rekrutierung neuer, intellektueller Gesinnungsgenossen aus dem studentischen Milieu. Bemerkenswert ist zudem, dass sich in jüngerer Zeit in Teilen des Neonazispektrums das Lebensgefühl der Skinheads stärker ausbreitet39, während umgekehrt die Skinheadszene verstärkt neonazistische Inhalte adaptiert. Neben rein neonazistischen Gruppen bzw. reinen Skinheadvereinigungen gibt es mit steigender Tendenz auch gemischte Gruppierungen. Diesen Gruppen, die sich häufig als "Kameradschaften" bezeichnen, gehören in der Regel etwa 10 bis 20 überwiegend junge Männer an. Bisweilen kann allerdings auch ungeachtet martialischer Gruppennamen oder Internetauftritte nur von Kleinstgruppen mit zwei bis drei Mitgliedern gesprochen werden ("Phantomkameradschaften"). 37 38 39 Vom Sächsischen Minister des Innern die Gruppe „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) verboten. Die NPD spricht dabei vom „Nationalen Widerstand“ als überparteiliches Bündnis. Gelegentlich wird auch der Begriff „Nationale außerparlamentarische Opposition“ verwendet. Einen Anlass für derartige Demonstrationen bot sich für die Rechtsextremisten wiederholt in der Wanderausstellung „Verbrechen der Wehrmacht, Dimension des Vernichtungskrieges“. Ein Grund hierfür könnte der strukturelle Wandlungsprozess sein, den die Neonaziszene in den letzten Jahren eingeleitet hat. Nicht zuletzt aufgrund einer Reihe von Organisationsverboten haben sich weite Teile des Spektrums von den herkömmlichen, starren Strukturen gelöst, um heute als (autonome) „Kameradschaften“ weiter zu existieren. Damit verstärkt sich in diesem Bereich der Charakter einer Bewegung, wie er von Skinheads seit jeher mehrheitlich gepflegt wird. Aktuell existieren bundesweit ca. 160 solcher neonazistischen „Kameradschaften“. 31 7.4 Rechtsextremistische Skinheads in Rheinland-Pfalz In Rheinland-Pfalz gibt es etwa 400 Skinheads40 (2002: 400, 2001: 350). Zumeist handelt es sich bei den hiesigen Szeneangehörigen um Personen, bei denen (noch) nicht von einem in sich geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild oder die feste Einbindung in rechtsextremistische Zusammenhänge gesprochen werden kann. Teile dieses Spektrums lassen eine latente Neigung zur Gewalt erkennen. Zudem besteht aufgrund von persönlichen Kontakten zu Rechtsextremisten eine permanente Gefahr des Abgleitens in das rechtsextremistische Umfeld oder gar in dessen „harten Kern“. Von den etwa 400 Skinheads können ca. 50 als rechtsextremistisch mit neonazistischer Prägung eingestuft werden. Diese Zahl ist entgegen dem Bundestrend, der in den vergangenen Jahren aufwärts verlief, relativ konstant geblieben. Fluktuation hat allerdings auch in Rheinland-Pfalz wiederholt das Bild der Szene verändert. Die rechtsextremistischen Skinheads treten im Lande vor allem in der Vorderpfalz sowie in den Großräumen Koblenz/Westerwald und Zweibrücken/Westpfalz auf. Im Bereich der Region Westerwald bestehen Kontakte zur Skinhead-Szene nach Hessen und Nordrhein-Westfalen. Im Bereich der Vorderpfalz unterhalten Skinheads Kontakte zu neonazistischen „autonomen Kameradschaften“ in BadenWürttemberg. In der jüngeren Vergangenheit haben rechtsextremistische Skinheads in Rheinland-Pfalz wiederholt durch gewalttätigen Aktionismus (Schlägereien) am Rande von Wein- und Volksfesten im rheinhessischen und Pfälzer Raum für Schlagzeilen gesorgt. Dieser Aktionismus ist zwischenzeitlich aber - nicht zuletzt aufgrund erfolgreicher Maßnahmen der rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden - merklich zurückgegangen. Auch in Rheinland-Pfalz fanden in den letzten Jahren immer wieder Skinheadkonzerte statt (2001: 3, 2002: 7, 2003: 7). An größeren Veranstaltungen beteiligten sich bis zu 400 Personen. 40 Stand: 31.12.2003. 32 8. Rechtsextremistische Skinheadmusik Musik begleitet die Geschichte der Skinheadbewegung von Beginn an. Sie ist ein in vielerlei Hinsicht wichtiger, nicht wegzudenkender Bestandteil; sie war und ist wegbereitend für die Ausbreitung der Szene. Die Musik ist zudem ein bedeutender Agitations- und Integrationsfaktor. Konzertveranstaltungen von Skinheadbands sind zugleich auch Kontaktbörse und Kommunikationsforum. Nicht zuletzt wurde durch diese spezielle Form der Musik ein eigener Markt geschaffen. 8.1 Entwicklungslinien Für die Entwicklung der rechtsextremistischen Skinhead-Musikszene maßgebend und richtungweisend war der Brite Ian STUART41 (1957-1993). Wie kaum ein anderer fungierte er als ein Wegbereiter rechtsextremistischer Skinheadmusik. Ian STUART war Bandleader der 1976 gegründeten Formation Skrewdriver (wörtl.: Schraubenzieher, umgangssprachlich.: to skrew = „vögeln“), die sich zunächst nicht von vielen anderen Rockbands unterschied. Ende 1979 trat STUART in die rechtsextremistische „National Front“ (NF) ein. Fortan sollte er ein gänzlich anderes Selbstverständnis von Musik entwickeln. Unter anderem unter dem Slogan „Rock against Communism42“ und dem „White-Power“-Signet verbreitete er sein rassistisches, neonazistisches Credo. In einem Interview aus dem Jahre 198343 äußerte er: „Wir glauben, dass eine nationalsozialistische Lebensart der einzige Weg nach vorne ist für Europa…Deshalb hoffe ich, durch meine Musik meine rassistischen Kameraden in Deutschland zu inspirieren, für ihre rassistischen und nationalen Rechte zu kämpfen, und ich begrüße sie in ihrem Kampf!“ Ian STUART hatte nicht allein einen strammen musikalischen Rechtsruck vollzogen und in Szenekreisen populär gemacht; er hat auch nicht zuletzt für einen organisatorischen Umbruch gesorgt. Mit der „Blood and Honour“-Bewegung44 grün41 42 43 44 Vgl. Nr. 7.1, Seite 24. Vgl. Anhang, Begriffserläuterungen, Seite 42. Vgl. Klaus Farin: „In Walhalla sehen wir uns wieder“, veröffentlicht in „Die Skins, Mythos und Realität“ von Klaus Farin, erschienen 1997 im Ch. Links Verlag, Berlin, ISBN: 3-86153-136-4. Vgl. Nr. 7.1, Seite 24. 33 deten er und einige Gesinnungsgenossen eine straff durchorganisierte, elitäre Speerspitze zur Verbreitung rechtsextremistischer Skinheadmusik. Für STUART sollte diese Vereinigung u.a. folgende Ziele verfolgen: - Jugendliche für (rechtsextremistische) Skinheadmusik zu begeistern und - durch die Musik an die Szene heranzuführen, um sie - mit rechtsextremistischem, vor allem rassistischen Gedankengut zu infiltrieren und schließlich, - die Szene zu festigen. Diese Rechnung ging auf. Rechtsextremistische Skinheadmusik im Sinne des Vermächtnisses von Ian STUART ist heute einer der wichtigsten Kristallisationsfaktoren in den entsprechenden Szenen der unterschiedlichen Herkunftsländer. Rechtsextremistische Kultbands wie „Bound of Glory“ (USA), „Brutal Attack“ (Großbritannien) oder „Fortress“ (Australien) haben sich in Szenekreisen auch hierzulande einen Namen gemacht; ihre Konzerte finden regen Zulauf. In Deutschland entwickelte sich die rechtsextremistische Skinheadmusikszene in den 80er Jahren zunächst ein wenig zaghaft, dann in den 90er Jahren mit umso mehr Schwungkraft. Dies zeigt u.a. die stete Aufwärtsentwicklung der Anzahl rechtsextremistischer Skinheadbands, die sich in den 90er Jahren nach Beobachtungen der Verfassungsschutzbehörden durch öffentliche Auftritte oder nichtöffentliche Aktivitäten (Studioaufnahmen) hervortaten. Der Zusammenhalt vieler einschlägig bekannt gewordener Bands war bzw. ist jedoch nicht von Dauer. Auch in diesem Spektrum gibt es ein verhältnismäßig hohes Maß an Fluktuation. Nicht nur einzelne Bandmitglieder wechseln oft, auch viele Gruppen entstehen, um nach mitunter nur kurzem Wirken wieder zu verschwinden. Zudem ist gerade unter dem Gesichtspunkt des erheblichen staatlichen Verfolgungsdrucks bei der Bekämpfung strafrechtlich relevanter Musik vor allem was den Vertrieb solcher Musik anbelangt eine Art „Schattenszene“ entstanden, die sich geschickt zu tarnen weiß. Heute kann von verschiedenen Ebenen ausgegangen werden – einer offenen, zur Produktion und Verbreitung „harmloser“ Musik(texte) und einer 34 konspirativen, um strafrechtlich relevante Inhalte zu produzieren und zu verbreiten (z.B. Texte mit rassistischen, volksverhetzenden Inhalten). Rechtsextremistische Skinheadbands 120 100 93 100 103 90 100 63 80 60 39 95 70 47 40 20 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 8.2 Musikinhalte Rechtsextremistische Skinheadmusik ist Bekenntnis und Botschaft zugleich. Zu Beginn der 80er Jahre, als sich die „Rechtsrock“-Szene zu formieren begann45, waren die Inhalte der Musik überwiegend nicht politisch geprägt. Eher wurden Themen aufgegriffen, die das Lebensgefühl der Skinheads vermitteln sollten (Partys, Fußball, Alkohol, Sex etc.). In den 90er Jahren trat die Entwicklung der (rechtsextremistischen) Skinheadmusik in eine neue Phase: politische Inhalte sollten fortan das Geschehen dominieren. Starken Einfluss auf die deutsche Skinheadmusik-Szene übten dabei internationale Kultbands aus wie die erwähnte Gruppe Skrewdriver. Die Inhalte und Botschaften, die vermittelt werden sollen, sprechen eine deutliche Sprache. Ein Kernelement ist der offene, in äußerst drastischer Weise dargestellte Rassismus. In ihren Liedtexten bekennen sich rechtsextremistische Skinheadbands zu einer diffusen „arisch-nordischen“ Rassenideologie. Alles Fremde wird abgelehnt und ausgegrenzt. Menschen, die nicht in dieses Weltbild passen, wer45 Vgl. Nrn. 2 und 3, Seite 6 ff. 35 den durch zum Teil widerwärtige Verunglimpfungen erniedrigt. Hierzu zählen regelmäßig bestimmte Volksgruppen (z.B. Türken), Religionsgemeinschaften (z.B. Juden46) oder Minderheiten (z.B. Homosexuelle, Obdachlose etc.). Der Rassismus mündet immer wieder in folgenden zentralen Aussagen: Die weiße Rasse, die Herrenrasse, ist zu bewahren, da sie durch Rassenmischung, zionistische Machenschaften, Kommunismus, Kapitalismus und Gleichgültigkeit der herrschenden demokratischen Systeme akut bedroht ist. Die Feinde der weißen Rasse, Kommunisten, Kapitalisten, Juden, sind zu beseitigen und entsprechende Regierungsformen durch das System des „Dritten Weges“ zu ersetzen. Skinheads, arische Jugendliche, haben die „Gefahr für ihre Rasse“ erkannt und sehen sich als Kämpfer in einem nahen Rassenkrieg. Mit diesen rassistischen Darstellungen geht oft eine Verherrlichung und Verklärung des Nationalsozialismus einher. Entsprechende Anspielungen finden sich beispielsweise immer wieder auf CD-Hüllen, so in Form von Abbildungen bekannter Nazigrößen. Manche Skinheads sehen sich gar als „politische Soldaten“ in der Tradition der „Sturmabteilung“ (SA47) der NSDAP. Neben der Verherrlichung der Nazizeit spielt auch die unreflektierte Heroisierung von Wehrmacht und Waffen-SS eine Rolle. Das „Vorbildliche“ des Soldatischen wird in Liedtexten beschworen und visuell auf CD-Hüllen dargestellt. Neben diesen historisch noch eher „greifbaren“ Vorbildern aus der Zeit des Nationalsozialismus orientieren sich Musikinhalte rechtsextremistischer Skinheadbands und Darstellungen auf CD-Hüllen an einer verklärten und bisweilen erheblich verdrehten nordisch-germanischen Mythenwelt48. 46 47 48 Die propagierte Judenfeindlichkeit entspringt nicht einer religiösen, sondern vielmehr einer rassistischen Motivation, wie sie für das rechtsextremistische Spektrum typisch ist. Die 1921 gegründete, braun uniformierte SA verstand sich als paramilitärische Kampf- und Schutztruppe der NSDAP Hitlers. Damit entspricht man einem stärker gewordenen Trend unter rechtsextremistisch geprägten Jugendlichen, Heidentum und Germanenkult zu thematisieren bzw. zu pflegen. 36 8.3 Konzerte Konzertveranstaltungen sind für die Skinhead-Bewegung von großer Bedeutung. Sie sind ebenso Identifikations- wie Integrationsfaktor in einer ansonsten eher strukturarmen Szene49. Wie bei kaum einem anderen Anlass bieten Konzerte die Möglichkeit, das szenespezifische Gemeinschaftsgefühl auch auszuleben. Eingestimmt durch mitunter exzessiven Alkoholkonsum entfalten die hämmernden Rhythmen und einpeitschenden Texte der rechtsextremistischen Skinheadmusik gerade unter den jugendlichen Zuhörern eine fatale Sogwirkung. Dabei werden auch immer wieder indizierte Lieder und Liedtexte mit strafrechtlich relevanten Inhalten angestimmt. Oft geben die Bands den Rhythmus nur vor und lassen ihr Publikum diese Lieder singen. Ebenso gehört das Skandieren von verbotenen Grußformeln (z.B. „Sieg Heil“) zu den bei Konzerten gepflegten Ausdrucksformen. Während der Konzerte oder unmittelbar nach solchen Veranstaltungen kommt es kaum zu gewalttätigen (fremdenfeindlichen) Ausschreitungen. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sie einen erheblichen Beitrag zur Steigerung des ohnehin vorhandenen Aggressionspegels in der Szene leisten dürften. In einzelnen Fällen kann ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von entsprechender Musik und Gewalttaten nicht ausgeschlossen werden. Rechtsextremistische Skinheadkonzerte 128 140 120 100 82 80 2000 2001 117 70 80 60 40 112 109 106 35 20 20 0 1994 49 Vgl. Nr. 7.1, Seite 23ff. 1995 1996 1997 1998 1999 2002 2003 37 Wie die obige Grafik verdeutlicht, haben rechtsextremistische Skinheadkonzerte in der ersten Hälfte der 90er Jahre erheblich zugenommen. Nach einem bisherigen Höchststand im Jahre 1998 konnte ein Rückgang der durchgeführten Veranstaltungen festgestellt werden. In den Jahren 2002 und 2003 stieg die Zahl der Konzertveranstaltungen aber wieder an. Im Jahre 1994 nahmen an den einzelnen Konzerten durchschnittlich zwischen 150 und 500 Personen teil, im Jahre 1996 waren es zwischen 400 und 700 sowie bei einzelnen Veranstaltungen auch mehr als 1.000 Personen. Im Jahre 1998 nahmen durchschnittlich etwa 200 Personen an Konzerten teil. Seitdem geht die durchschnittliche Teilnehmerzahl zurück; 2002 lag sie bei 180 Personen, 2003 bei 150. Die zeitweise rückläufige Entwicklung dürfte nach hiesiger Einschätzung nicht zuletzt auf den erheblichen staatlichen Verfolgungsdruck zurückzuführen sein, dem gerade die rechtsextremistische Skinhead-Musikszene seit geraumer Zeit ausgesetzt ist. Verbote und andere exekutive Maßnahmen haben die Szene in ihrem Bewegungsspielraum eingeschränkt. Es darf aber nicht verkannt werden, dass damit natürlich nicht alle Probleme beseitigt worden sind – sie haben sich zum Teil nur verlagert. So werden Konzerte heute erheblich konspirativer vorbereitet und durchgeführt. Möglichst unverfänglich werden geeignete Lokalitäten (z.B. Gaststätten im ländlichen Raum mit angeschlossenen Hallen) ausgesucht und unter einer Tarnung (z.B. „private Feier“) bei den ahnungslosen Betreibern angemietet. Im Vorfeld einer Veranstaltung werden zunächst nur wenige, besonders vertrauenswürdige Gesinnungsgenossen informiert. Unmittelbar vor dem Konzert werden die „Musikfans“ u.a. mittels SMS über Anfahrtsrouten und Zeitpunkte informiert. Dabei werden oft lange und verwirrende Anfahrtswege in Kauf genommen, um die Sicherheitsbehörden in die Irre zu führen. Im unmittelbaren Umfeld des Konzertortes verhalten sich die Skinheads mitunter äußerst diszipliniert, um nicht einen Verbotsgrund zu provozieren. Konzerte finden zudem auch in anderen europäischen Ländern statt. Besucher aus Deutschland und deutsche Skinheadbands nahmen bereits an Veranstaltungen u.a. in Dänemark, England, Frankreich (z.B. im benachbarten Elsaß), Österreich, Tschechien, Ungarn und der Schweiz teil. Dabei stellten deutsche Konzertbesucher wiederholt den größten Anteil des Publikums. 38 9. Vertrieb von Skinheadmusik und Szeneartikeln Innerhalb der rechtsextremistischen Skinhead-Bewegung hat sich eine Vertriebsszene entwickelt. Sie dient vorrangig der Verbreitung von Musik-CDs, aber auch einer ganzen Reihe von szenerelevanten Artikeln, so bedruckte TShirts50, bevorzugte Kleidungsstücke (z.B. Bomberjacken, Stiefel usw.), Devotionalien etc.. Die Verbreitung der Skinheadmusik hat sich im Laufe der Zeit vervielfacht. Für die ersten Generationen der Skinhead-Musikszene war die Verbreitung ihrer Musik noch eine eher beschauliche Angelegenheit. Wie allgemein üblich, wurden Aufnahmen auf Schallplatten oder Audiokassetten produziert. Die Musik war recht exotisch, sprach die Mehrheit der Jugendlichen kaum an, und wurde daher auch regelmäßig nur in relativ geringen Auflagen reproduziert und verkauft. Heute, im Zeitalter von Musik-CD und Internet51, hat sich dies grundlegend geändert. Die Zahl der produzierten Tonträger ist immens gestiegen. Die Weiterverbreitung mittels PC und CD-Brenner potenziert Auflagen stetig. Noch mehr sorgt das Internet als weltumspannendes Informations- und Kommunikationsmedium für die Verbreitung (auch) rechtsextremistischer Skinheadmusik, so mittels MP3-Dateien. Ende der 90er Jahre gab es bundesweit 50 Musikvertriebe52; sodann war die Zahl rückläufig (2000: 46, 2001: 40). Im Jahr 2002 stieg die Zahl wiederum auf 50 an. Von ihnen waren allerdings nur 19 in den letzten Jahren dauerhaft aktiv und von Bedeutung. Das Volumen der gehandelten Ware ist dadurch aber nicht geringer geworden. Im Jahre 2003 blieb die Zahl der Vertriebe mit etwa 50 konstant. In der ersten Hälfte der 90er Jahre wurde die Szene von Großhändlern geprägt; heute hat sich das Geschäft zunehmend auf kleine und Kleinsthändler verlagert. Zum Teil sind dies Einzelpersonen, die nur ein regionale Szene beliefern oder spontane Tagesgeschäfte abwickeln, so am Rande von Konzerten. Ein Grund für diese Entwicklung dürfte sein, dass es heute für den Einzelnen erschwinglicher geworden ist, CDs mittels PC und Brenner zu reproduzieren. Mit dieser Dezentralisierung trägt die Szene offenkundig aber auch den wiederhol50 51 52 . Um den englischen Ausdruck T-Shirt zu vermeiden, wird auch gerne vom T-Hemd gesprochen. Vgl. Nr. 10, Seiten 40, 41. Von dieser Zahl nicht erfasst sind Vertriebe im Ausland. 39 ten Exekutivmaßnahmen der vergangenen Jahre Rechnung, bei denen wiederholt große Mengen indizierter oder strafrechtlich relevanter Produkte sichergestellt werden konnten. Neben der Dezentralisierung des Vertriebs kann ein erhöhtes Maß an Konspiration und die arbeitsteilige Produktion von strafbarem Musikgut bzw. der dazugehörigen Tonträger festgestellt werden. Ein weiterer Aspekt ist die Verlagerung solcher Aktivitäten in das Ausland. Im einzelnen erfolgt der Vertrieb von Skinhead-Musik-CDs mittels Angebotslisten (u.a. via Internet) über den Postversand oder durch Direktverkauf, so am Rande von Skinhead-Konzerten. 40 10. Szenekommunikation - vom „Fanzine“ zum Internet Der Mangel an politisch-theoretischer Reflexion53 innerhalb der rechtsextremistischen Skinhead-Szene ist nicht gleichbedeutend mit einem Mangel an Kommunikation. Diese findet in vielfältiger Weise statt, so wie im vorstehenden Kapitel bereits erläutert, insbesondere im Rahmen von gemeinsamen Konzertbesuchen. Konzerte bieten im übrigen den Szeneangehörigen auch den „Gedankenaustausch“ mit Gesinnungsgenossen aus anderen Ländern, zumal diese Treffen oft unter internationaler Beteiligung ablaufen. Ein herkömmliches Kommunikationsmittel sind die so genannten Fanzines, ein Begriff, der sich aus einer verkürzten Zusammensetzung der beiden englischen Wörter fan (begeisterter Anhänger) und magazine (Magazin, Illustrierte) ergibt. In Art und Aufmachung gibt es Unterschiede. Manche „Fanzines“ wirken primitiv und sind von schlechter Qualität; andere wiederum sind durchaus ansprechend und qualitativ hochwertig gestaltet. Unterschiede gibt es natürlich auch in den Erscheinungsweisen und Auflagenhöhen bzw. in der Verbreitung. Inhaltlich erheben die „Fanzines“ weit überwiegend keinen großen Anspruch. Meist bedienen sie sich einer einfachen Vulgärsprache. Schwerpunktthemen sind vor allem die Berichterstattung über Skinhead-Treffen, Konzerte, Skinheadbands und Fußballveranstaltungen oder andere gemeinsame Events. Außerdem wird die interne Situation von Skinheadgruppen im In- und Ausland beschrieben. Die ersten „Fanzines“ erschienen im Jahre 1982, bereits 1986 waren in Deutschland mehr als 20 verschiedene Publikationen bekannt. In den 90er Jahren stieg die Zahl bis auf etwa 50 (1998/99) an. Seitdem ist der Trend rückläufig; im Jahr 2001 wurden 35 „Fanzines“ gezählt, 2003 waren es nur noch weniger als 20. Ein Grund für diese Entwicklung dürfte in der zunehmenden Bedeutung des Internets für die Szenekommunikation und die Selbstdarstellung der rechtsextremistischen Skinheadbewegung sein. Das Internet ist auch für die rechtsextremistische Skinhead-Szene ein wichtiges Medium geworden, weil es nicht zuletzt interaktive und multimediale Elemente beinhaltet. Über Chatrooms kann unmittelbar mit Gesinnungsgenossen kommuniziert werden, Musik lässt sich mittels MP3-Dateien aus dem World-Wide-Web 53 . Vgl. Nr. 7.1, Seite 23. 41 (www) herunterladen. Über Musikaustauschbörsen werden auch Lieder mit indizierten oder strafbaren Inhalten weitergegeben. Zudem nutzen auch rechtsextremistische Skinheads die Möglichkeit, sich im www mit Homepages zu präsentieren, um so neue Anhänger zu gewinnen. Insgesamt erreichen diese Darstellungen einen bei weitem größeren Kreis, als dies mit dem überkommenen Mittel der Herausgabe von „Fanzines“ der Fall ist. Insbesondere für junge Menschen ist das Internet weitaus attraktiver, als herkömmliche Printmedien. Damit ist für die Szene auch der „Werbeeffekt“ größer geworden. Allerdings ist auch anzumerken, dass natürlich nicht jeder neugierige Jugendliche, der sich entsprechende Darstellungen anschaut, potenziell gefährdet ist, in diese subkulturelle Szene abzugleiten. Wie auch im übrigen Extremismus zu beobachten, baut man aber auf eine Langzeitwirkung. 42 Anhang A. Begrifferläuterungen Mit dem Begriff Skinhead wird in der öffentlichen Diskussion und in den Medien bisweilen undifferenziert umgegangen. Hinzu kommt vielfach Unklarheit über szenetypische Begriffe und Redewendungen. Für eine seriöse Auseinandersetzung mit der subkulturellen Skinhead-Bewegung ist es unabdingbar, die gebräuchlichsten Bezeichnungen zu kennen. In diesem Sinne soll die nachfolgende Zusammenstellung einen Überblick verschaffen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. „Altglatzen“ Ältere Szeneangehörige, die bereits seit mehreren Jahren aktiv sind. „Babyskins“ Junge Mitläufer bzw. Szenesympathisanten in lokalen Skinheadzusammenschlüssen (teils unter 14 Jahre alt). Politisierung und Motivierung zu szenetypischen Aktionen erfolgt in aller Regel durch ältere Gruppenmitglieder, die oft eine fatale Vorbildfunktion haben und der Szenesozialisation jüngerer Gesinnungsgenossen Vorschub leisten. „Blood & Honour“ (B&H oder „28“54) Skinheadströmung mit Wurzeln in Großbritannien. Name leitet sich von dem Spruch „Blut und Ehre“ der Hitlerjugend ab. Entstanden in den frühen 80er Jahren auf Initiative des ehemaligen Leadsängers der Skinhead-Kultband „Skrewdriver“, Ian STUART (DONALDSON). „Bonehead“ In der Szene geprägter Begriff für einen rechtsextremistischen Skinhead mit blank rasiertem Schädel (Bonehead: Knochenkopf) und der szenetypischen, martialischen Bekleidung. Die „Boneheads“ bilden den harten, militanten Kern der rechtsextremistischen Skinhead-Szene. Von nichtextremistischen Skinheads wird die Bezeichnung als Beleidigung benutzt. „Combat 18“ (C18) Militante Neonazivereinigung in Großbritannien. Die Zahl „18“ steht für den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet und steht als Synonym für „Adolf Hitler“. Der Schriftzug wird u.a. auf szenetypischen Kleidungsstücken verwendet. „Fanzine“ (Zine) Kunstwort, steht für fan magazine, und bezeichnet Szenepublikationen, die in zumeist kleinen Auflagen erstellt werden. Sie dienen dem Informationsaustausch 54 28 steht sinnbildlich für den 2. und den 8. Buchstaben des Alphabets: B und H. 43 und der Kommunikation. Bezug erfolgt u.a. über Abo, in Szene-Läden oder am Rande von Veranstaltungen. Inhalte sind z.B. Beschreibungen von Bands bzw. Konzerten, Interviews mit Musikern, Beschreibungen von Events etc.. Rechtsextremistische „Fanzines“ enthalten oft neonazistische Parolen und Symbole; zudem kennzeichnen sie fremdenfeindliche, antisemitische Agitation. „Fascho-Skin“ Begriff, der meist in den Medien oder von politischen Gegnern gebraucht wird, um einen nationalistischen Skinhead zu bezeichnen. In den neuen Bundesländern wird der Begriff häufig für die so genannten Scheitel verwendet. Gemeint sind damit Skinhead-Sympathisanten mit szenetypischen Outfit und markant kurz geschnittenen Haaren mit Seitenscheitel.55 „Feathercut“ Haarschnitt, der unter weiblichen Skinheads („Renees“) verbreitet ist. Wird in verschiedenen Versionen getragen. Markant sind kurz geschnittenes Haar am Oberund Hinterkopf mit längeren Strähnen am Pony und Nacken oder ein geschorener Kopf mit Fransen rund um das Gesicht. Hinweis: der Haarschnitt allein lässt keine Rückschlüsse auf die politische Prägung ihrer Trägerin zu. „Gay Skinhead Movement“ Internationaler Zusammenschluss homosexueller Skinheads. Die deutsche Sektion versteht sich als weder links- noch rechtsextremistisch ausgerichtet. „Glatze“ Oft abwertend benutzter Begriff für Skinheads. Gemeint ist damit häufig nicht allein die rasierte Kopfhaut, sondern die Person als solche. Im Hinblick auf die Einschätzung einer Person ist bei fehlender Haartracht allerdings Vorsicht und Zurückhaltung geboten - auch wenn der Hinweis selbstverständlich erscheint: nicht jeder Glatzenträger ist ein Skinhead oder ein Rechtsextremist. Die unterschiedlichsten Beweggründe können hierbei eine Rolle spielen. Angefangen von persönlichkeits- oder krankheitsbedingten Gründen bis hin zu einem bloßen Modebekenntnis ist vieles möglich. „Hammer-Skins“ (HS) Skinhead-Strömung, die sich in den USA entwickelt hat. Gründung erfolgte 1987 in Dallas/Texas. Die HS verstehen sich als „weiße rassistische Bruderschaft“. Ihr Symbol, von dem sich auch der Name ableitet, sind zwei überkreuzte Zimmermannshämmer. Ziel ist der Aufbau eines weltweiten Netzwerkes von Gleichgesinnten. In den USA existieren bedeutende Strukturen: Eastern HS, Northern HS, Midland HS, Western HS, Confederate HS. In Europa gibt es Strukturen u.a. in Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, der Schweiz, der Slowakei und in Tschechien. In Deutschland gibt es etwa 100 Anhänger, so vor allem in Berlin, Brandenburg und Sachsen. 55 Diese Frisur hatte auch in der Neonaziszene eine Bedeutung. Man kopierte damit einen Haarschnitt, der in den 20er/30er Jahren von Adolf Hitler und vielen seiner Gesinnungsgenossen bzw. von jungen Menschen in der Hitlerjugend getragen wurde. Mittlerweile sind allerdings viele Neonazis hiervon wieder abgekommen. Eine weitere Version ist beispielsweise die „Kante“ (an der Seite geschoren, oben kurz) Die bevorzugte Haartracht kann also sehr unterschiedlich sein. Daher sollte man vorschnelle Gleichsetzungen (z.B. Glatze=Rechtsextremist) vermeiden. 44 „Hooligan“ („Hool“) Jugendlicher oder junger Erwachsener einer zum Teil gewalttätigen Fußball-„fan“Szene, die weitgehend unpolitisch ausgerichtet ist. Bislang gibt es nur punktuelle Überschneidungen mit Skinhead- oder Neonazigruppierungen. Zudem gibt es bisweilen ein Zusammentreffen bei Konzerten, Feten und ähnlichen Veranstaltungen. „Nazi-Skin“ Dieser Begriff wird hauptsächlich in der „linken“ Szene für „rechte“ Skinheads verwendet. Innerhalb der Skinhead-Szene - vor allem in den neuen Bundesländern - , bezeichnen sich manche rechtsextremistische Skinheads auch selber als Nazi-Skins. „Oi“ Oi ist multifunktional. Der Begriff kann ein Zugehörigkeitsgefühl ausdrücken, auf eine bestimmte Musikrichtung hindeuten oder nur ein schlichter „Schlachtruf“ sein. Es gibt eine Reihe von Erklärungen und Deutungen, wie der Ausdruck oi quasi zu einem Markenzeichen wurde: Im Cockney-Slang der Arbeiterschicht bemüht man mit einem oi die Aufmerksamkeit seines/seiner Zuhörer. Die Band Cockney Rejects stimmte ihre Lieder mit einem dreifachen oi statt mit „one, two, three“ an, in Fußballstadien oder beim Zug durch die Straßen wurde oi rhythmisch skandiert usw. Wenig wahrscheinlich erscheint aus heutiger Sicht hingegen der Erklärungsansatz, wonach der Begriff aus der Verballhornung des Nazislogans “Kraft durch Freude“, „Strength through yoy“ (yoi) entstanden sein soll. In dieser Form tauchte oi nämlich erst 1981 auf einem Plattencover auf (STRENGTH TRU OI!) „Oi-Musik“, „Oi-Punk“ Aus dem Punk Rock entstandene Musikrichtung mit Wurzeln in den 70er Jahren. Als Genrebegriff seit 1980 bekannt. Im Gegensatz zur Musik der ersten SkinheadGeneration geprägt durch schnellere, härtere und einfachere Rhythmen. Vielfach Gewalt verherrlichende und auch rassistische Texte. Nicht jede Oi-Band konnte bzw. kann allerdings dem rechtsextremistischen Lager zugerechnet werden. „Oi-Skin“ Der Begriff als Zugehörigkeitsmerkmal zu einer bestimmten Strömung innerhalb der Skinhead-Bewegung existiert seit den 70er Jahren. Überwiegend bezeichnen sich damit Skinheads, denen in erster Linie an dem Lebensgefühl des Skinheaddaseins gelegen ist und weniger bzw. gar nicht an politischen Inhalten. Dabei spielen die Musik und ein zum Teil exzessiver Alkoholgenuss tragende Rollen. OiSkins gehen Annäherungs- und Vereinnahmungsversuchen durch rechtsextremistische Skinheads bzw. rechtsextremistische Gruppen in aller Regel aus dem Weg. Allerdings pflegen auch viele Oi-Skins ein Gedankengut, das nicht frei ist von Feindbildern, wie sie Rechtsextremisten pflegen. Als „undeutsch“ gelten in ihren Augen u.a. Ausländer, Angehörige von Minderheiten oder Personen, die dem „linken“ Spektrum angehören. „RASH“ („Red and Anarchist Skinheads“) Im Jahre 1993 in New York gegründeter Zusammenschluss „linker“ Skinheads. Versteht sich als Teil der internationalen „Redskin-Bewegung“ und als eine Art Dachverband zum Austausch von Informationen, zur Aufklärung und zur Durch- 45 führung von Konzerten etc. Zielsetzungen sind u.a. der Klassenkampf auf der Straße und letztlich die Zerschlagung des „kapitalistischen Systems“. RASHGruppen gibt es heute auch in einer Reihe europäischer Länder, so in Deutschland. „Redskin“ Politisch links stehende Skinheads. Verstehen sich als Vertreter einer militanten Arbeiterjugendbewegung. Teile der „Redskins“ können der linksextremistischen Autonomen-Szene zugeordnet werden; grenzen sich von rechtsextremistischen Skinheads strikt ab. Outfit der „Redskins“ beinhaltet als szenetypische Elemente oft Anti-Nazi-Aufnäher oder rote Bomberjacken, bisweilen auch rote Schnürsenkel56. „Renee“ Weiblicher Skinhead (Haarschnitt: s. „Feathercut“). Bedeutung und Herkunft des Namens ist nicht geklärt. Innerhalb der Skinhead-Bewegung dominieren Männer das Geschehen; Frauen stellen nach wie vor eine kleine Minderheit dar. „Rock Against Communism“ (RAC) Im Jahre 1977 von der Jugendorganisation der britischen Neonazigruppierung „National Front“ (NF) als Gegenpol zur 1976 in London ins Leben gerufenen Initiative „Rock Against Racism“ gegründet. RAC widmet sich der Organisation von Rechts-Rock-Konzerten. „SHARP“ („SHARP-Skin“) Antirassistisch ausgerichtete Skinheadvereinigung („Skinheads Against Racial Prejudice“ = „Skinheads gegen rassistische Vorurteile“). Enstanden 1986 in den USA; mittlerweile Sektionen in vielen Ländern der Erde. Ein Ziel ist das Entgegenwirken zur rechtsextremistischen Szene und dem durch sie mit verursachten insgesamt schlechten Medienimage der Skinhead-Bewegung. Ska-Musik Lautstärke- und rhythmusbetontere Variante der jamaikanischen Reggae-Musik, von Einwanderern in den 60er Jahren nach Großbritannien gebracht. Anhänger waren z.B. die Rude Boys („Rudies“, „Rüde Jungs“), Angehörige jamaikanischer Jugendbanden. Die erste Skinheadgeneration griff Modeelemente der Rude Boys auf, so über dem Hemd getragene Hosenträger (Braces) oder die hochgekrempelten Jeans. Die Ska-Musik fand in Skinheadkreisen der ersten Generation noch viele Anhänger; bei Konzerten bildeten Skinheads und farbige Einwanderer gemeinsam das Publikum. Skinhead/Skin Angehörige einer in der einschlägigen Literatur nahezu durchgängig als subkulturell definierten Jugendbewegung. Insgesamt ergibt sich ein äußerst heterogenes Bild unterschiedlicher Strömungen/Erscheinungsformen. Die Zugehörigkeit zu dieser Bewegung bedingt nicht automatisch eine politisch(-extremistische) Ausrichtung. Es gibt eine Reihe von szenetypischen verbindenden wie auch innerhalb der Szene abgrenzenden Stilelemente. 56 Eine (politische) Einschätzung des jeweiligen Trägers sollte nicht allein auf der Grundlage der beschriebenen Stilelemente erfolgen. Oft kann die „Verpackung“ über den wahren Inhalt täuschen. Vgl. Nr. 7.2, Seiten 25ff. 46 Skinhead-Sympathisant Diffuses Spektrum, das von der bloßen Kopie des Skinheadoutfits bis hin zum sich immer stärker integrierenden Mitläufer reicht. Nicht zwangsläufig muss mit einer Szenesozialisation auch die Entwicklung eines politisch-extremistischen Weltbildes einhergehen. Tattoo Tätowierungen zählen gerade unter rechtsextremistischen Skinheads zum gängigen „Outfit“. Wie auch andere Symbole, Riten usw. dienen Tattoos als Integration und Identifikation stiftende Elemente. Sie grenzen gleichzeitig aber auch ab. Tattoos kommt dabei neben der Rasur der Kopfhaut in der Skinhead-Szene eine besondere Bedeutung bei. Derartige archaische Riten, zu denen auch das Piercing zählt, haben eine lange zurückliegende Entstehungsgeschichte und werden in ihrer „reinen“ Form heute noch von Urvölkern gepflegt. Zu den gängigen Symbolen, die rechtsextremistische Skinheads als Tattoos tragen, zählen z.B. solche aus der Zeit des Nationalsozialismus (Hakenkreuz, SS-Runen), Zeichen aus der Zeit keltischer und germanischer Geschichtsschreibung (Keltenkreuz, Runen), Zeichen aus der nordisch-germanischen Mythologie (Thors Hammer). „Trojan-Skin“ Skinheads, die sich weitgehend von Politik und vor allem vom Rassismus distanzieren. Die Bezeichnung entspricht einem Jamaikanischen Reggae-Platten-Label aus den 60er Jahren. „Trojan-Skins“ sind vielfach Anhänger der (alten) Ska- und Reggaemusik. „Vierzehn Worte“ („14 Worte“, „14 Words“, „14“) Bekannter Slogan in der Neonaziszene und unter rechtsextremistischen Skinheads: „Wir müssen den Fortbestand von unserem Volk und die Zukunft der weißen Kinder sichern!“ (Original: „We must secure the existence of our white people and a future for white children!“). Verfasst hat diesen Satz der amerikanische Rechtsextremist David LANE (geb. 1938), der in den USA u.a. wegen Mordes inhaftiert ist. Deutsche Rechtsextremisten benutzen das Kürzel „14 Worte“ oder nur „14“ beispielsweise als Aufnäher oder bei Schmieraktionen. „White-Power-Skin“ Keine Organisationsbezeichnung. Steht vielfach als Synonym für rechtsextremistische Skinheads, die sich zu einer extrem rassistischen Haltung bekennen. Vorbildcharakter für diese Skinheads hat vor allem die internationale „White-PowerBewegung“, bei der es sich um keine eigenständige, Organisationsform handelt. Vielmehr stellt sie unter Gleichgesinnten eine Art rassistisches „Glaubensbekenntnis“ dar und kann als ein grenzüberschreitendes (mentales) Sammelbecken für Rassisten verstanden werden. Ein gängiges Symbol, dessen man sich gerne bedient, ist die so genannte White-Power-Faust (weiße rechte Faust mit über die ersten drei Finger angewinkeltem Daumen). Als „White-Power-Skins“ bezeichnen sich gerne Szeneangehörige, die „elitären“ Zusammenschlüssen wie B&H oder den „Hammerskins“ angehören. „Zecken“ Szenebezeichnung für „Linke“ (Autonome etc.). 47 B. Liedtexte (Auszüge) B.1 Selbstverständnis „Stiefel trommeln auf den Straßen Kahle Köpfe, Fäuste aus Stahl Die Augen starr, Gesichter die hassen Ohne Reue gegen Rot.“ „Rheinwacht“: „Ohne Reue“, 1998 „Sie sperren dich ein, warum weißt du nicht Denn du bist Skinhead, mehr Gründe gab es nicht Doch du stehst da, stolz und kahlgeschoren Treue bis zum Schluss hast du dir geschworen.“ „Oidoxie“: „Sprengt die Ketten“, 1998 „Wir sind bekannt für Disziplin und Fleiß Unsere Würde wahren wir um jeden Preis Pflichtgefühl fürs Heimatland Ja, das ist unser treues Band.“ „Schlachtruf“: „Deutscher Stolz“, 1995 „Wir sind die Richter der Straße Und ihr blutiges Gesetz Es wird gnadenlos gejagt Der, der Recht verletzt.“ „Volkszorn“: Stiefel auf Asphalt“, 1994 „Ich bin bereit zur Gewalt Und trinke gern.“ „Boots Brothers“: „Brave Jungs“, 1997 Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser Broschüre zugänglich gemacht werden. 48 B.2 Antisemitische und fremdenfeindliche Inhalte „Er ist kein Mensch, er ist ein Jud’ Drum denk nicht nach und schlag ihn tot.“ „Macht und Ehre“: „Kein Mensch“, 1997 „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig Lasst die Messer flutschen in den Judenleib… Zerrt die Konkubine aus dem Fürstenbett Schmiert die Guillotine mit dem Judenfett In die Synagoge hängt ein schwarzes Schwein In die Parlamente schmeißt die Handgranaten rein.“ „Nordheim Live Volume 1“: „Blut muss fließen“ 1997 „Afrika für Affen, Europa für Weiße Steckt die Affen in ein Klo Und spült sie weg wie Scheiße.“ „Landser“: „Afrika-Lied“, 1996 „Hängt die Nigger auf und habt kein Erbarmen! Wir hassen Nigger und auch ihr habt es erfahren Oder ist es euch neu, dass wir Rassisten sind? Der Planet ist unser, und die Kaffer müssen schwinden Wulstlippenträger sind nur noch in Geschichtsbüchern zu finden.“ „White Aryan Rebels“: „Nigger“, 2000 Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser Broschüre zugänglich gemacht werden. 49 „…da steht ein Sonderzug nach Mekka …raus aus unserm Berlin Wir woll’n euch nicht, niemand will euch mehr sehen Mit eurer fremden Kultur, mit der da stört ihr uns nur Wir haben die Schnauze voll von euch, ihr sollt euch verpissen Kein deutscher weit und breit wird euch hier jemals vermissen Ihr liegt uns auf der Tasche, das ist eure Masche Verdammtes Lumpenpack haut endlich ab.“ „Zillertaler Türkenjäger“: „Der Sonderzug nach Mekka“, 1997 B.3 Feindbilder „Linke“, Staat und Demokratie „In meine Klasse ging ´ne Punkerin Die so schön gestunken hat Ihre Haare waren so fettig Und mit Läusen übersät Die Klamotten so dreckig Und keiner war da, wo sie steht Hey, du scheiß Zecke – verrecke!“ „Leitwolf“: „Verrecke!“, 1998 „Alle Politiker an den Galgen, alle Richter an die Wand Jetzt kommt der Tag der Rache, euer Schicksal ist in unserer Hand Ihr werdet vom Staat bestochen Eure Urteile sind schon vorprogrammiert Euren Eid habt ihr längst gebrochen Und der Judas euch das alles finanziert.“ „Bonzenjäger“: „An alle Richter und Politiker“, 1997 Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser Broschüre zugänglich gemacht werden. 50 „…Existenz ist enorm bedroht durch Multikulti und Terror in Rot Die Diktatur der Demokratie Zwingen wir gemeinsam in die Knie …Nationalisten im Kampf vereint Kein Schritt zurück vor unserem Feind.“ „Dragoner“: „Auge um Auge“, 2000 „Ich hasse diese Demokratiemeute Fettgfressen und pflichtvergessen Bezahlte Dealer fremder Interessen Stürmt den Reichstag, räuchert sie aus Macht der Rattenbande den Garaus.“ „Landser“: „Ran an den Feind“, 2000 B.4 Verherrlichung des Nationalsozialismus „In einer dunklen Nacht haben sie dich umgebracht Ein Märtyrer bist du, im Grabe fandest du endlich deine Ruh’ Doch über deinen Tod hinaus, strahlst du Ideale aus Du warst und bist ein großer Held Doch schlecht ist diese Welt Aber dennoch, wir verstehen diese Sprache Und einst, da kannst du sicher sein, da kommt der Tag der Rache.“ „Noie Werte“: „Rudolf Heß“, 1990 „Er war der Retter uns’rer Nation Des Deutschen Volkes größter Sohn Er beseitigt die Schranken der Klasse Und brachte uns die Botschaft der Rasse Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser Broschüre zugänglich gemacht werden. 51 Refrain: Adolf Hitler, unser Führer Adolf Hitler, unser Held Adolf Hitler war der größte Revolutionär der Welt.“ „Weißer Arischer Widerstand“, „Unser Führer“, 1996 B.5 Germanen- und Wikingerkult (Feindbild Christentum) „Ich glaube nicht an Jesus Christus Weil der mir nicht geheuer ist Denn Christentum und Religion Ist Dumpfheit und Inquisition Ich komm nicht vom gelobten Land Bin nicht beschnitten und verbannt Auch Satan wird mich niemals führen Nur Wotan öffnet mir die Türen.“ „Staatsfeind“: „Wotan“, 1996 „Odins Legionen sind auferstanden Auferstanden, um zu siegen Sie werden an jeder Küste landen Um ihr Land zurück zu kriegen Germanische Völker, jetzt kommt die Zeit! Germanische Völker zum Kampf bereit! Sie haben keine Angst vor dem Tod Sie befreien das Land von dieser Not.“ „Chaoskrieger“: „Dämmerung“, 1997 Einige der abgedruckten Liedtexte sind jugendgefährdend bzw. wurden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Sie dürfen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren daher nicht isoliert von dieser Broschüre zugänglich gemacht werden. 52 Hinweis: Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums des Innern und für Sport herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern im Zeitraum von sechs Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags-, Kommunal- oder Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Partei sowie das Einlegen, Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschriften zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. FAIRSTÄNDNIS Menschenwürde achten – Gegen Fremdenhass Die Innenminister von Bund und Ländern Ministerium des Innern und für Sport Abteilung Verfassungsschutz Schillerplatz 3-5 55116 Mainz