Warum ist Kohlgemüse gesund?

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SEKUNDÄRE PFLANZENSTOFFE
Warum ist Kohlgemüse gesund?
Wirkungen der sekundären Pflanzenstoffe
aus Brassicaceae
ANIKA WAGNER*
Die im Zusammenhang mit dem Verzehr von Kohlgemüse beobachteten gesundheitsfördernden
Effekte werden vor allem auf die in Brassicaceae vorkommenden Glucosinolate beziehungsweise
auf deren Hydrolyseprodukte zurückgeführt. Neben den beschriebenen chemopräventiven und
antiinflammatorischen Wirkungen weisen neuere Untersuchungen auch auf eine Modulierbarkeit
epigenetischer Mechanismen durch sekundäre Pflanzenstoffe aus Brassicagemüse hin. Es scheint,
dass diese Verbindungen ihre gesundheitsfördernden Effekte über verschiedene Wege vermitteln,
wie genau, ist jedoch derzeit noch nicht vollständig geklärt.
Botanisch gehört Kohlgemüse zur Familie heitliche Grundstruktur aufweisen. Sie en, Schneiden) mit dem Glucosinolat in
der Brassicaceae. Es ist ein wichtiger Be- bestehen aus einem b-D-Glucopyranose- Kontakt, das sich in der Vakuole befindet
standteil der menschlichen Ernährung, Rest, der über ein S-Atom an einen (Z)-N- (5). Bei der enzymatischen Spaltung der
vor allem in westlichen und östlichen Hydroximinosulfat-Ester gebunden ist, Glucosinolate können – je nach ReaktiKulturen. Zu den wichtigsten Mitgliedern sowie einer variablen Seitenkette (3, 4). onsbedingung – neben den Isothiocyader Brassicaceae mit nutritiver Bedeu- Allerdings scheinen die gesundheitsför- naten auch Nitrile und Thiocyanate enttung zählen die Gemüse Kohl,
stehen (6) (Abbildung 1). Neuere
Rosenkohl, Blumenkohl und BrocUntersuchungen zeigen, dass secoli, die Wurzelgemüse Radieskundäre Pflanzenstoffe aus Brassichen, Rettich, Steckrübe und
cagemüse ihre gesundheitsförKohlrabi wie auch das Blattgemüdernden Effekte möglicherweise
auch durch eine Wirkung auf epise Ruccola und die Gewürze Senf
genetische Mechanismen wie
und Wasabi (1). Epidemiologische
DNA-Methylierungen, HistonmoStudien zeigen einen Zusammendifikationen und micro-RNA verhang zwischen dem erhöhten
mitteln können (7). Verschiedene
Konsum von Kohlgemüse und der
Studien haben bereits die chemoEntstehung von Krebserkrankun- Abbildung 1: Reaktionsschema der Myrosinase-vermittelten Hydrolyse
präventive und antiinflammatorigen. Diese gesundheitsfördern- der Glucosinolate (modifiziert nach [4])
sche Wirkung dieser Verbindungen
den Eigenschaften der Brassicaceae werden vor allem auf die in diesen dernden Effekte nicht durch die Glucosi- beschrieben.
Pflanzen vorkommenden sekundären nolate selbst, sondern vielmehr durch die
Pflanzenstoffe wie die Glucosinolate zu- mittels Myrosinasespaltung entstehen- Epigenetisch bedingte Veränderunrückgeführt (2). Glucosinolate sind che- den Hydrolyseprodukte und hier vor al- gen der Genexpression
misch stabile Verbindungen, die eine ein- lem die Isothiocyanate vermittelt. Das En- Unter Epigenetik wird eine vererbte
zym Myrosinase ist in der Pflanzenzelle in Änderung der Genexpression verstanden Myrosinzellen lokalisiert und kommt den, die nicht auf einer Änderung der
*Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde,
erst durch mechanische Zerstörung (Kau- DNA-Sequenz beruht. Zu epigenetischen
Christian-Albrechts-Universität, Kiel
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Änderungen zählen DNA-Methylierungen, Histonmodifikationen und microRNA-Expression. Zu den häufigsten posttranslationalen
Modifikationen
der
Histone gehören Acetylierungen und
Deacetylierungen, die durch Histon-Acetyl-Transferasen (HAT) beziehungsweise
Histon-Deacetylasen (HDAC) vermittelt
werden und in einer Aktivierung oder
Hemmung der Genaktivität resultieren.
HAT übertragen Acetylgruppen von Acetyl-CoA auf Lysinreste am Histon, und
HDAC lösen Acetylgruppen am Histon ab
und übertragen diese auf CoA. Allerdings
gibt es derzeit keine Studien, die den Einfluss von sekundären Pflanzenstoffen aus
Kohlgemüse auf die HAT-Aktivität beschreiben. Einige Studien zeigen, dass
Isothiocyanate die HDAC-Aktivität inhibieren können. In isothiocyanatbehandelten Darmkrebszellen wurde neben
einer Hemmung der HDAC-Aktivität auch
ein Anstieg im HDAC-Proteinumsatz beobachtet. Eine Hemmung der HDAC-Aktivität wurde für weitere Isothiocyanate
(z.B. Sulforaphan [SFN], Phenylethyl-Isothiocyanat [PEITC] und Butyl-Isothiocyanat [BITC]) auf Zellebene beschrieben. Die
Aufnahme SFN-reicher Broccolisprossen
führte in gesunden Probanden zu einer
HDAC-Hemmung (2).
DNA-Methylierungen sind ebenfalls epigenetische Veränderungen, die durch
verschiedene DNA-Methyltransferasen
(DNMT) vermittelt werden. Sie können
die Genexpression beeinflussen, indem
sie Methylgruppen aus S-Adenosyl-LMethionin (SAM) auf Cytosine übertragen. Im Gegensatz zu normalen Zellen
weisen transformierte Zellen häufig hypermethylierte Promotoren und/oder eine genomweite Hypomethylierung auf.
Chronisch degenerative Erkrankungen
wie auch der Alterungsprozess werden mit
Veränderungen im Methylierungsmuster
der DNA in Verbindung gebracht. Zur Wirkung der sekundären Pflanzenstoffe aus
Brassicaceae auf DNMT sind derzeit nur
wenige Studien verfügbar. In verschiedenen Zellen (u.a. MCF-7, CaCo-2, LnCaP)
konnte SFN die DNMT-Aktivität hemmen.
Auch das natürlicherweise vorkommende
Isothiocyanat Iberin und das synthetische
Isothiocyanat Phenylhexyl-Isothiocyanat
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(PHT) hatten eine hemmende Wirkung auf
DNMT. Allerdings fehlen In-vivo-Studien,
die eine DNMT-Inhibition durch sekundäre
Pflanzenstoffe aus Kohlgemüse belegen
(2).
microRNA sind evolutionär konservierte
kleine, nicht codierende RNA-Moleküle
mit einer Länge von zirka 22 Nukleotiden,
die posttranskriptional die Genexpression beeinflussen können. Nach Bindung
im 3‘-untranslatierten Bereich der mRNA
(3’UTR) kommt es – je nach Komplementarität zwischen microRNA und mRNA –
zur Hemmung der Translation oder Degradation der mRNA. Im Organismus sind
microRNA an einer Vielzahl zellulärer
Prozesse beteiligt. Möglicherweise werden die gesundheitsfördernden Effekte
von Brassicaceae auch über eine Wirkung
auf microRNA vermittelt. In Studien an
Abbildung 2:
Sekundäre Pflanzenstoffe aus
Brassicaceae wirken über …
… eine Hemmung der inflammatorischen Signalwege
… eine Induktion der Chemoprotektion
… epigenetische Mechanismen
Zellkulturen wurde für die Isothiocyanate
Iberin, SFN, PEITC, BITC und Allyl-Isothiocyanat (AITC) eine Wirkung auf
verschiedene microRNA gezeigt. Über
Datenbanken lassen sich microRNA-Bindungsstellen in der 3’UTR von Genen
vorhersagen. So werden für den Transkriptionsfaktor Nrf2 (Nuclear Factor
[erythroid-derived 2]like 2) mehr als 40
konservierte microRNA als potenzielle
Bindungspartner vorhergesagt (http://
microrna.org/microrna/home.do). Eine
Bindung dieser microRNA in der 3’UTR
und damit eine Hemmung der Nrf2-Genexpression wurde bisher jedoch nur für
miR-93, miR-144, miR-153, miR-27a, miR132 sowie miR143-5p auf experimenteller
Ebene belegt. Interessanterweise wirken
die in der Literatur beschriebenen Nrf2modulierenden microRNA miR-200a und
miR-141 nur indirekt auf Nrf2, da sie die
Expression des Inhibitorproteins Keap1
hemmen und damit zu einer Induktion
von Nrf2 führen. Einerseits kann die Expression dieser microRNA durch Umweltparameter wie Dieselabgase oder das
Mycotoxin Ochrachtoxin A beeinflusst
werden. Andererseits wurde beobachtet,
dass Nrf2 selbst die Expression der
microRNA miR-1 und miR-206 induzieren
und gleichzeitig seine eigene Expression
steigern kann (2).
Sekundäre Pflanzenstoffe aus Kohlgemüse hemmen die Aktivierung
von NFkB …
Die gesundheitsfördernden Eigenschaften der sekundären Pflanzenstoffe aus
Kohlgemüse werden unter anderem auf
eine Induktion antioxidativer Gene sowie
Phase-1- und/oder -2-Gene des Fremdstoffmetabolismus, aber auch auf die
Modulierbarkeit proinflammatorischer
Signalwege zurückgeführt. An der Regulation dieser Prozesse sind verschiedene
Transkriptionsfakoren wie beispielsweise
Nrf2 und NFkB beteiligt. Der Transkriptionsfaktor Nuclear Factor kappa B (NFkB)
ist ein zentraler Regulator von Entzündungsprozessen im Organismus, der unter basalen Bedingungen als Heterodimer
im Zytoplasma vorliegt und dort an sein
Inhibitorprotein IkBa gebunden ist. In
Gegenwart proinflammatorischer Signalmoleküle wie Zytokinen oder reaktiver
Sauerstoffspezies (ROS) kommt es zum
Abbau des Inhibitorproteins IkBa, das
Heterodimer wandert in den Zellkern und
kann durch Binden an die kB-Site der
DNA die Zielgenexpression initiieren.
Neben der Cyclooxygenase-2 zählen unter anderen auch die induzierbare NOSynthase, Proteine mit antiapoptotischer
Funktion sowie Matrix-Metalloproteinasen zu den NFkB-Zielgenen. Eine Hemmung von NFkB scheint folglich ein vielversprechender Ansatz für eine Therapie
entzündlicher Erkrankungen zu sein. Eine
Reihe natürlicher NFkB-Inhibitoren sind
bereits beschrieben. Bei den aus Brassicagemüse stammenden Verbindungen SFN,
PEITC, 8-Methylsulphinyloctyl-Isothiocyanat und Indol-3-Carbinol handelt es sich
um natürliche Inhibitoren von NFkB. In
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verschiedenen Modellsystemen konnte
die antiinflammatorische Wirkung dieser
Substanzen beschrieben werden.
Eine Behandlung Lipopolysaccharid(LPS-)aktivierter muriner Makrophagen
mit diesen Substanzen resultierte sowohl
in einer Hemmung von NFkB als auch in
einer verminderten Expression seiner
Zielgene. In einem Dextran-Natrium-Sulfat-(DSS-)Kolitis-Modell führte eine 7-tägige Vorbehandlung von C57BL/6-Mäusen mit SFN zu einem geringeren
Schweregrad der induzierten Kolitis im
Vergleich zu den Kontrolltieren. Darüber
hinaus konnten in BALB/c-Mäusen, die an
einem kolitisassoziierten Tumor litten,
durch eine Behandlung mit 3,3‘-Diindolylmethan (DIM), ebenfalls einer Substanz
aus Kohlgemüse, niedrigere Spiegel proinflammatorischer Zytokine, Prostaglandin E(2) und NO detektiert werden.
Zusätzlich war die Anzahl der Dickdarmtumore im Vergleich zu den Kontrolltieren reduziert. Folgende Mechanismen für
die antiinflammatorische Wirkung von sekundären Pflanzenstoffe aus Brassicagemüse werden in der Literatur diskutiert:
(a) Hemmung der Bindung von NFkB an
die DNA; (b) Störung der NFkB-Translokation; (c) Stabilisierung des Inhibitorproteins IkBa durch eine verringerte Phosphorylierung des IkB-Kinasekomplexes
und (d) Hemmung der ROS-induzierten
NFkB-Aktivierung (2).
durch Prooxidanzien vermittelte Modifikation der Cystein-Thiol-Gruppen im Keap1.
Im Zellkern bindet Nrf2 zusammen mit
verschiedenen Kofaktoren (kleine MafProteine, c-Jun, cAMP-response element
binding [CREB] protein [CBP]) an das Antioxidativ-Responsive-Element (ARE), wodurch die Zielgenexpression angeschoben
wird. Phase-2- und antioxidative Enzyme
(z.B. NADPH-Quinon-Oxidoreduktase 1,
Hämoxygenase 1, Superoxiddismutase
oder Glutathion-S-Transferasen) werden
durch Nrf2 kontrolliert. Nrf2 spielt neben
der Chemoprävention auch eine Rolle in
der Inflammation. So sind Nrf2-defiziente
Mäuse anfälliger gegenüber einer durch
DSS-Gabe hervorgerufenen Kolitis im Vergleich zu Nrf2+-Tieren. Dies zeigt sich auch
in einer geringeren Expression antioxidativer und Phase-2-Enzymen sowie einem
höheren Spiegel proinflammatorischer
Marker. In verschiedenen Modellsystemen
führen eine Reihe sekundärer Pflanzenstoffe zu einer Akkumulation von Nrf2 im
Zellkern. Neben SFN resultiert auch eine
Behandlung mit anderen Isothiocyanaten
wie AITC und BITC in einer Induktion des
Nrf2-ARE-Signalwegs. Wird Nrf2 überexprimiert, konkurrieren Nrf2 und NFkB um
den Kofaktor CBP, wodurch Nrf2 die Expression von NFkB modulieren kann. Darüber hinaus wird eine Interaktion zwischen NFkB und Nrf2 postuliert (2).
Fazit
… und wirken über Nrf2
chemopräventiv
Im Rahmen der Chemoprävention hat der
redoxsensitive Transkriptionsfaktor Nrf2
eine zentrale Rolle inne. In Gegenwart von
Isothiocyanaten oder anderen elektrophilen Verbindungen wird der unter basalen
Bedingungen im Zytoplasma vorliegende
Nrf2/Keap-1-Komplex zerstört und so Nrf2
freigesetzt. Ausgelöst wird dies entweder
durch die Phosphorylierung des Nrf2
durch vorgeschaltete Kinasen oder eine
Zusammenfassend lässt sich feststellen,
dass die gesundheitsfördernden Eigenschaften von Brassicagemüse durch die
darin enthaltenen Glucosinolate beziehungsweise deren Abbauprodukte vermittelt werden. Verschiedene Studien
belegen für diese Substanzen sowohl
chemopräventive als auch antiinflammatorische Effekte. Aktuelle Studien weisen
zudem auf eine Modulierbarkeit epigenetischer Mechanismen wie Histonmodifikationen, DNA-Methylierungen und
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microRNA durch sekundäre Pflanzenstoffe aus Brassicagemüse hin. Allerdings ist
die Datenlage diesbezüglich nicht ausreichend. Hinsichtlich der Prävention und
Behandlung chronischer Erkrankungen
durch sekundäre Pflanzenstoffe aus Kohlgemüse sind deshalb weitere Studien –
insbesondere Humanstudien – wünschenswert und notwendig. In Abbildung 2 sind
die postulierten gesundheitsfördernden
Effekte sekundärer Pflanzenstoffe aus
Kohlgemüse zusammengefasst.
Korrespondenzadresse:
Jun. Prof. Dr. Anika Wagner
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Institut für Humanernährung
und Lebensmittelkunde
Hermann-Rodewald-Str. 8
D-24118 Kiel
E-Mail:
[email protected]
Literatur:
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