Predigt aus dem Morgengottesdienst Felix Gehring · 11.11.2007 Der Richter und die Witwe · Lukas 18,1 – 8 · Apostelkirche Harburg Liebe Gemeinde, manchmal, wenn ich alleine im Wohnzimmer sitze, und mir plötzlich etwas einfällt, was ich mit meiner Frau besprechen oder was ich ihr erzählen will, dann fange ich an, sie zu rufen. Zuerst noch einigermaßen gesittet, wenn sie dann aber nicht reagiert, schon etwas lauter. Wenn´s sein muss dann noch lauter. Und wenn sie dann von irgendwoher antwortet, dann brülle ich: „Komm doch mal ins Wohnzimmer!“ Ich kann also ganz schön hartnäckig sein, wenn ich mit ihr reden, aber trotzdem meinen gemütlichen Platz nicht verlassen will. Manchmal, wenn mir plötzlich etwas einfällt, was ich mit Gott besprechen oder ihm erzählen will, dann sage ich nur in Gedanken: „Herr, es wäre toll, wenn das jetzt passieren würde. Danke!“ und das war´s. Oft ist es dann aus meinen Gedanken und aus meinen Gebeten verschwunden. Und ich wundere mich vielleicht, warum Gott zwar hört, aber das, worum ich ihn bitte, nicht erhört. Da fehlt mir dann die Hartnäckigkeit, die ich bei unwichtigen Dingen des Lebens durchaus an den Tag legen kann. Ich finde „beten“ ein schwieriges und immer wieder herausforderndes Thema. Ich weiß, dass wir beten sollen, merke, dass ich es oft nicht kann, denke aber, dass ich immer beten muss. Kennen sie das auch? Predigt aus dem Morgengottesdienst Felix Gehring · 11.11.2007 Der Richter und die Witwe · Lukas 18,1 – 8 · Apostelkirche Harburg Mir tut es immer wieder gut, wenn ich mir bewusst mache, was das Gebet ist, nämlich ein Gespräch mit Gott. Ein Gespräch, das meine Beziehung zu Gott vertiefen soll. Es geht nicht darum, eine Pflicht zu erfüllen, damit Gott zufrieden ist. Es geht nicht darum, auswendig gelernte Worte aufzusagen, damit ich zur Gemeinschaft dazu gehöre. Es geht nicht einmal darum, zu beten, damit ich mich besser fühle. Darum geht es im Kern des Gebets wirklich nicht. Sondern es geht darum, mein Leben mit Gott zu leben und in seine Hände zu legen. Und das jeden Tag aufs Neue. Wie in jeder anderen Freundschaft, so gilt auch in der Beziehung zu Gott, dass wir etwas dafür und auch dagegen tun können. Und wenn ich nicht mit meinen Freunden, meiner Familie, meiner Frau rede, dann wird meine Beziehung zu ihnen immer mehr geschwächt. In meiner Ehe erlebe ich das am deutlichsten. Ich bin mit meiner Frau Inga am glücklichsten, wenn wir viel bzw. intensiv Zeit miteinander verbringen. Dann fühle ich mich ihr nah, die Schmetterlinge fangen wieder an, meinen Bauch zu kitzeln und ich freue mich einfach an und über Inga. Nun hat sie aber gerade ihr Referendariat angefangen. Das heißt, dass sie jetzt morgens immer die Wohnung verlässt, wenn ich noch im Bett liege. Predigt aus dem Morgengottesdienst Felix Gehring · 11.11.2007 Der Richter und die Witwe · Lukas 18,1 – 8 · Apostelkirche Harburg Dafür bin ich, wenn sie nach Hause kommt, meistens unterwegs. Wenn ich dann spät abends wieder da bin, bleibt uns noch eine knappe Stunde, bevor sie richtig müde wird und ins Bett geht. Und da ich auch am Wochenende oft arbeite, ist unsere gemeinsame Zeit auch dann sehr begrenzt. Das ist total doof. Und wir müssen uns irgendwie einen Plan machen, wie wir Zeit miteinander verbringen können, damit unsere Beziehung nicht eingeht. Denn das wollen wir beide natürlich nicht. Wir werden uns richtig Zeit einplanen und freischaufeln müssen. Sonst geht das nicht. Auch, wenn das nicht gerade besonders romantisch ist, mit seiner Frau einen Termin zu machen, es ist einfach notwendig. Genauso geht mir das in meiner Beziehung zu Gott. Wenn ich mir keine Zeit für ihn und für mein Gebet einplane, dann wird das auch nichts. Denn im allgemeinen Alltagstrubel geht das dann schnell unter. Ich fänd es auch schöner, wenn ich immer von Gott beseelt und seine Gegenwart mir immer bewusst wäre. Aber das ist leider nicht so. Gott hat einfach den Nachteil, dass wir ihn nicht sehen können. Und wenn ich in meinem Wohnzimmer sitze und ihn rufe, dann kommt er leider nicht durch die Tür und setzt sich zu mir, auch wenn ich noch so hartnäckig bin. Predigt aus dem Morgengottesdienst Felix Gehring · 11.11.2007 Der Richter und die Witwe · Lukas 18,1 – 8 · Apostelkirche Harburg Trotzdem sagt Jesus in dem Gleichnis vom Richter und der bittenden Witwe, dass wir immer beten und darin nicht nachlassen sollen. Und hier geht es auch nicht um die grundlegende Beziehung zwischen Gott und Mensch, die im Gebet ihren Ausdruck findet, sondern hier geht es tatsächlich um das konkrete Bitten. Die Witwe ist absolut abhängig von dem Richter. Sie alleine ist machtlos und hilflos. Und deswegen setzt sie ihre ganze Hoffnung in ihn. Sie weiß, dass sie ohne ihn nicht zu ihrem Recht kommt. Sie ist sich vollkommen bewusst, dass sie gar keine andere Möglichkeit hat, als Hilfe vom Richter zu erwarten. Und dafür tut sie alles. Sie setzt alles daran, diesen herzlosen und arroganten Menschen dazu zu bringen, ihr zu helfen. Können sei sich mit dieser Witwe identifizieren? Mir fällt es immer wieder schwer. Vor allen Dingen, wenn ich in dem Richter Gott sehe. Bzw. wenn ich die unbarmherzige Einstellung des Richters auf Gott übertrage. Das ist die Gefahr bei dem Gleichnis, auch wenn Jesus diesen Vergleich gar nicht zieht. Jesus sagt nicht: Genauso ist Gott auch! Er interessiert sich nicht für euer Leben und eure Nöte, aber wenn ihr ihn nur lange genug nervt, dann wird er das ein oder andere für euch tun! Jesus, geht es viel mehr darum, Gottes Größe, Gnade und Liebe zu uns besonders hervorzuheben. Predigt aus dem Morgengottesdienst Felix Gehring · 11.11.2007 Der Richter und die Witwe · Lukas 18,1 – 8 · Apostelkirche Harburg Wenn schon so ein arroganter Typ sich um Menschen kümmert, die ihn eigentlich überhaupt nicht interessieren, wie sehr wird sich dann wohl ein Gott um die Menschen kümmern, für die er sich wahnsinnig interessiert? Aber selbst, wenn ich die negativen Eigenschaften weglasse fällt es mir manchmal schwer, mir einzugestehen, dass ich vollkommen machtlos und deshalb abhängig von Gott bin. Ich möchte nicht machtlos sein. Und ich möchte schon gar nicht von irgendjemandem abhängig sein. Unabhängigkeit ist in unserer Gesellschaft ein erstrebenswertes Ziel! Und wenn es mir gut geht und ich mich wohl fühle, wenn meine Beziehungen funktionieren und meine Arbeit gut läuft, kurz: wenn ich alles im Griff hab, dann bin ich doch nicht abhängig. Oder doch? Spätestens wenn es mir nicht so gut geht, wenn Freundschaften in die Brüche gehen, wenn meine Arbeit mich auffrisst (oder ich keine mehr habe), wenn Krankheit und Tod mein Leben bedrohen, wenn mir also alles aus den Händen gleitet, dann spüre ich, dass ich überhaupt keine Macht habe und absolut abhängig bin. Abhängig von der Meinung anderer Menschen, abhängig von meinem Leistungsvermögen, abhängig von dem, was mein Leben lebenswert macht. Mir geht es so, dass ich in Zeiten tiefer Krisen spüre, dass ich zutiefst abhängig von Gott bin. Predigt aus dem Morgengottesdienst Felix Gehring · 11.11.2007 Der Richter und die Witwe · Lukas 18,1 – 8 · Apostelkirche Harburg Und spätestens dann fällt mir wieder ein, dass ich mich in seine Arme werfen kann und er mich hält. Und dass letztlich nur er meinem Leben Sinn, Zufriedenheit und Zuversicht schenken kann. Und das auch tut, wenn ich ihn darum bitte. Und das ist auch das Recht, auf das die Witwe pocht. Es geht ihr nicht um irgendwelche Wünsche, die sie hat und die ihr vielleicht gar nicht zustehen. Es geht ihr nicht darum, etwas zu bekommen, worauf sie keinen Anspruch hat. Sondern sie will ihr Recht. Jetzt können sie sich mal fragen, was ihr Recht ist, auf das sie pochen, wenn sie Gott um etwas bitten. Was für ein Recht haben wir gegenüber Gott? Wenn wir Gott nur als Schöpfer sehen und uns als seine Geschöpfe, kann man erstmal feststellen: wir haben gar kein Recht! Gott hat mich geschaffen, ich bin von ihm abhängig, denn er kann, wenn er will, mich jederzeit wieder zerstören. Also, was für ein Recht habe ich? Es kann doch nur das Recht sein, das Gott mir verleiht. Auch in einem Staat hat jeder nur das Recht, das ihm von der Staatsführung verliehen wird. Also, welches Recht verleiht Gott uns? Im ersten Kapitel des Johannesevangeliums steht es ganz klar und deutlich. (1,10-14) Da heißt es: „Er […] war schon immer in der Welt, die Welt ist durch ihn geschaffen worden, und doch erkannte sie ihn nicht. Er kam in seine eigene Schöpfung, doch seine Geschöpfe, die Menschen, wiesen ihn ab. Predigt aus dem Morgengottesdienst Felix Gehring · 11.11.2007 Der Richter und die Witwe · Lukas 18,1 – 8 · Apostelkirche Harburg Aber allen, die ihn aufnahmen und ihm Glauben schenkten, verlieh er das Recht, Kinder Gottes zu werden. Das werden sie nicht durch natürliche Geburt oder menschliches Wollen und Machen, sondern weil Gott ihnen ein neues Leben gibt. Er […] wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut. Er lebte unter uns, und wir sahen seine Macht und Hoheit, die göttliche Hoheit, die ihm der Vater gegeben hat, ihm, seinem einzigen Sohn. Gottes ganze Güte und Treue ist uns in ihm begegnet.“ „Allen, die ihn aufnahmen und ihm Glauben schenkten, verlieh er das Recht, Kinder Gottes zu werden.“ Wir haben das Recht auf Gotteskindschaft. Durch das Menschwerden Gottes, durch Jesus Christus, durch unseren Glauben an ihn, sind wir Gottes Kinder. Wer an Jesus als den menschgewordenen, nahen Gott glaubt, wer glaubt, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, wer glaubt, dass wir dadurch ewig bei Gott sein werden, der ist Gottes Kind. Und der hat ein Recht auf das, was zu so einer Kindschaft dazugehört. Wir dürfen Gott, unseren Schöpfer, Vater nennen. Wir machen das einfach immer so und es scheint nichts besonders zu sein. Aber es ist unser Recht! Gott hat uns geschaffen, das heißt aber noch lange nicht, dass er uns auch lieben muss. Aber er tut es. So wie Eltern im Normalfall ihre Kinder lieben. Und wir dürfen Vater zu ihm sagen. Predigt aus dem Morgengottesdienst Felix Gehring · 11.11.2007 Der Richter und die Witwe · Lukas 18,1 – 8 · Apostelkirche Harburg Ich kann ihnen sagen, ich tue das, seit ich denken kann. Aber in der Predigtvorbereitung hat mich das vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben so richtig berührt und erschüttert. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir Gott so nennen dürfen, sondern es ist ein unglaublich starker Ausdruck seiner wahnsinnigen Liebe zu uns, zu ihnen, zu mir! Nehmen sie diesen Gedanken mit nach Hause und lassen sie ihn in sich nachklingen. Wir dürfen Gott Vater nennen. Und ich darf auf mein Recht pochen, sein Kind zu sein. Wenn ich ihn ernsthaft und nachdrücklich, immer wieder und aus vollem Herzen darum bitte. Dafür ist das Gebet da! Das Gebet ist sozusagen unsere Antwort, unser „ja“ auf Gottes Angebot an uns. Und natürlich zur Kindschaft auch, dass unser Vater dafür sorgt, dass unser Leben erfüllt ist. Wir können Gott jeden Tag um unser Recht auf ein sinnerfülltes Leben bitten. Und da ist bestimmt die größte Schwierigkeit. Denn was ist ein sinnerfülltes Leben? Bzw. vielleicht ist das, was ich zu einem sinnerfülltem Leben brauche ganz anders als das, was sie dazu benötigen!? Ich denke, dass es bestimmte Kriterien gibt, die für unser Gebet und unsere darin enthaltenen Wünsche, wichtig sind. Fragen, die wir uns selbst stellen müssen, damit unsere Gebete Gottes Wirklichkeit treffen: Predigt aus dem Morgengottesdienst Felix Gehring · 11.11.2007 Der Richter und die Witwe · Lukas 18,1 – 8 · Apostelkirche Harburg Wie ist mein Gebet? Bete ich wirklich ernsthaft? Ist mir das, was ich Gott sage, wirklich wichtig? Bringt es mich weiter? In meiner Beziehung zu mir, zu anderen und zu Gott? Wie gehe ich damit um, wenn es scheinbar nicht erhört wird? Bin ich dann schnell mut – und kraftlos? Warum? Was steckt dahinter? Vertraue ich grundsätzlich darauf, dass Gott mir Gutes will? Oder vertraue ich ihm nur, wenn ich sehe, dass er mir Gutes tut? Viele Fragen, die unsere Gebete aber neu beleben und verändern können. (Deswegen habe ich sie ausgedruckt und hinten zum Mitnehmen hingelegt.) Ganz grundlegend und herausfordernd ist für mich bei jedem Gebet das, was wir auch immer im Vaterunser sagen: dein Wille geschehe! Gottes Wille geschehe. Wenn sie das beten, meinen sie das dann eigentlich ernst? Wollen sie wirklich, dass Gottes Wille geschieht? Auch, wenn sie ihn nicht versteht? Auch, wenn er ganz anders ist, als ihr eigener? Ich muss ganz ehrlich sagen: manchmal würde ich lieber beten: mein Wille geschehe! Was ich aber immer wieder erfahre, ist das, was Dietrich Bonhoeffer so ausgedrückt hat: "Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche". Predigt aus dem Morgengottesdienst Felix Gehring · 11.11.2007 Der Richter und die Witwe · Lukas 18,1 – 8 · Apostelkirche Harburg Und ich vertraue darauf, und will immer mehr darauf vertrauen, dass das, was Gott will und tut, letztendlich das Beste ist. Und damit kommt dann noch ein anderer Aspekt des Gebets hinzu: Auf Gott hören. Beten ist nämlich mehr, als mit Gott zu reden. Denn beten heißt auch auf Gott zu hören. Und das ist wesentlich schwieriger, als ihn einfach anzusprechen. Für mich lautet die Frage beim beten nicht, ob Gott uns hören will und Zeit für uns hat. Sondern die Frage ist, ob wir ihn hören wollen und uns Zeit für ihn nehmen! Wir sind Gottes Kinder. Paulus sagt: Wir sind der Leib Christi! Wir sind Gottes Gestalt in dieser Welt. Gott kommt nicht zu uns ins Wohnzimmer und setzt sich neben uns, wenn wir Probleme haben, aber er wirkt durch uns als Menschen, als Gemeinde und als Kirche, damit wir in die Wohnzimmer gehen und Menschen bei ihren Problemen helfen und uns von anderen helfen lassen. Gott hat uns auserwählt, damit sein Wille deutlich wird und vor allem, damit Leben für alle möglich wird! Das ist unsere Aufgabe und Verantwortung. Gott befähigt uns durch seine Liebe dazu, dass die Menschen zu ihrem Recht kommen. Das Recht, Jesus Christus kennen zu lernen und durch ihn Gottes Kinder zu werden.