Dunkle Materie - Kandidaten aus der Teilchenphysik Proseminar WS 2010/2011: Kosmologie und Astroteilchenphysik Andreas Kell 15. Dezember 2011 Inhaltsverzeichnis 1 Das Standardmodell der Teilchenphysik 1.1 Kritik des Standardmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 2 WIMPs 2 3 Supersymmetrie als heißester Anwärter für das 3.1 Motivation für Susy . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Grundlagen der Susy . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Minimal Supersymmetric Standard Model . . . . DM . . . . . . . . . Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Weitere Kandidaten für Dunkle Materie 1 3 3 4 5 6 Das Standardmodell der Teilchenphysik Das Standardmodell der Teilchenphysik ist ein theoretisches Konzept, welches alle bekannten Teilchen, sowie die zwischen ihnen wirkenden Wechselwirkungen beschreibt. Die drei Wechselwirkungen, die im Standardmodell beschrieben sind, sind: • die starke Wechselwirkung • die schwache Wechselwirkung • die elektromagnetische Wechselwirkung Da das Standardmodell alle bekannten Teilchen enthält stellt sich die Frage, ob das Standardmodell Teilchen enthält, die als Dunkler Materie Kandidat in Frage kommen. Um diese Frage zu beantworten sollte man sich zuerst angucken 1 welche Teilchen des Standardmodells die Anforderungen erfüllen, die an Dunkle Materie zu stellen sind. Diese sind, dass ein Dunkler Materie Kandidat elektrisch neutral sein sollte, da jedes elektrisch geladene Teilchen an das Photon koppelt, und damit sichtbar ist. Desweiteren sollte ein geeigneter Kandidat Masse haben und nicht stark Wechselwirken. Der einzige Kandidat im Standardmodell der Elementarteilchenphysik, der diese Anforderungen erfüllt ist das Neutrino (genauer die drei Neutrinoflavours). Lange Zeit galt das Neutrino als ein möglicher Kandidat für DM, allerdings wurde es mittlerweile als solcher ausgeschlossen. Im wesentlichen gibt es zwei Gründe, die gegen das Neutrino als Dunkler Materie Kandidat sprechen. Der erste ist, dass das Neutrino als hochrelativistisches, nahezu kollisionsfreie Teilchen eine mittlere freie Weglänge von ca. 40 Mpc hat und sich somit unterhalb einer gewissen Längenskala keine Dichtekonzentration hätten bilden können, da die Neutrinos sofort wieder herrausströmen würden. Das Universum hätte sich also in einem sogenannten Top-down Szenario formen müssen, bei dem sich zuerst grosse Strukturen wie z.B. Galaxienhaufen und erst dann kleinere Strukturen wie einzelne Galaxien, Planetensysteme etc. hätten formen dürfen. Altersbestimmungen derartiger Objekte ergeben aber, dass der Entstehungsprozess des Universums genau andersherum abgelaufen sein muss. Der zweite Grund, der gegen das Neutrino als Dunkler Materie Kandidat spricht ist, dass das Neutrino schlicht nicht schwer genug ist, um einen derart hohen Massenanteil des Universums auszumachen. 1.1 Kritik des Standardmodells Von experimenteller Seite ist das Standardmodell hervorragend für die Beschreibung von Elementarteilchenprozessen geeignet, da es mit allen Experimenten konform geht. Allerdings ist das Standardmodell aus theoretischer Sichtweise hochgradig unbefriedigend, da es nicht bis auf hohe Energien extrapolierbar ist (Hierarchieproblem), zu viele Parameter hat, die Natur nicht vollständig beschreibt (Gravitation ist im Standardmodell nicht enthalten), keinen geeigneten Kandidaten für Dunkle Materie enthält, etc. Gerade letzterer Punkt wird als Hinweis darauf gesehen, dass das Standardmodell nur den Grundzustand eines sehr reichen Anregungsspektrums darstellt, weswegen nach Physik hinter dem Standardmodell (Physics beyond the Standardmodell) gesucht wird. 2 WIMPs WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles) sind Teilchen, die Masse haben und an der schwachen Wechselwirkung teilnehmen. Bei WIMPs handelt es sich dabei weniger um ein konkretes Teilchen, sondern vielmehr um eine Art Anforderungsliste. Heute nimmt man generell an, dass Dunkle Materie Kandidaten WIMPs sein sollten. Eine besonders starke Motivation für WIMPs kommt von dem sogenannten Wimp-Miracle. Jedes Teilchen wird durch Paarvernichtung und Paarerzeugung erzeugt und vernichtet. Ist der Wechselwirkungsquerschnitt, 2 mit dem diese Prozesse stattfinden klein genug, so könnte folgendes Szenario passieren: Ein (schweres) Teilchen, dass sich unmittelbar nach dem Urknall noch im thermischen Gleichgewicht befindet, wird stets durch Paarerzeugung und Paarvernichtung erzeugt und vernichtet. Kühlt nun das Universum aus, so kann irgendwann keine Paarerzeugung mehr stattfinden, da die thermischen Energien der Teilchen dafür schlicht nicht mehr ausreichen, Paarvernichtung hingegen findet weiterhin statt. Die Folge ist, dass die Dichte des Teilchens im Universum stetig abnimmt und zwar solange, bis durch die Expansion des Universums der mittlere Abstand der Teilchen so gross ist, dass diese nicht mehr stossen. Die Dichteverteilung dieser Teilchen bleibt von nun an also konstant. Kalkulationen zeigen, dass für die Dichte folgende Formel gilt: 3 ∗ 10−27 cm s ΩX h ∼ hσvi 2 3 (1) Setzt man nun in diese Formel verschiedene Werte für den Wirkungsquerschnitt σ ein, so ergibt sich ΩX h2 ∼ 0(0, 1) für den für schwach Wechselwirkende Teilchen typischen Wechselwirkungsquerschnitt. WIMPs werden also automatisch im frühen Universum mehr oder weniger in der richtigen Menge produziert. 3 Supersymmetrie als heißester Anwärter für das DM Problem Der heißeste Kandidat für Dunkle Materie kommt aus der Sypersymmetrie (Susy), diese soll daher im folgenden ausführlicher beschrieben werden. Die Motivation für die Supersymmetrie kommt aus der theoretischen Physik, hier soll ausführlich auf das Hierarchieproblem und die Vereinigung der Kopplungskonstanten als mögliche Motivation eingegangen werden. 3.1 Motivation für Susy Vereinigungen bergen ein großes Potenzial für die Physik, beispielsweise wurden im Standardmodell die elektromagnetische und die schwache Wechselwirkung zu einer gemeinsamen Wechselwirkung, der elektroschwachen Wechselwirkung vereinheitlicht. Die große Hoffnung für die nächste anstehende Vereinheitlichung ist die der elektroschwachen mit der starken Wechselwirkung. Betrachtet man nun die Kopplungskonstanten αs , g und g’, so lässt sich feststellen, dass deren Werte von dem Energiebereich abhängig sind auf dem man sie betrachtet. Das Ziel ist es nun die drei Kopplungskonstanten auf höhere Energien zu extrapolieren und zu gucken, ob man einen gemeinsamen Schnittpunkt findet. Versucht man dies nun ohne Susy, so stellt sich herraus, dass es keinen gemeinsamen Schnittpunkt der Kopplungskonstanten bei hohen Energien gibt, die Susy hingegen liefert uns neue Teilchen, mit denen sich unter der 3 Annahme die Teilchen hätten Massen im Bereich von 100-10000 GeV ein gemeinsamer Schnittpunkt aller drei Kopplunkskonstanden bei etwa 2 ∗ 1016 GeV ergibt. Die Supersymmetrie würde also automatisch zu einer Vereinheitlichung der Kopplungskonstanten führen, die im Standardmodell der Elementarteilchenphysik nicht ohne weiteres möglich wäre. Das Hierarchieproblem kommt von der Berechnung der Higgsmasse. Quantenmechanische Rechnungen werden mit vorliebe störungstheoretisch gerechnet. Bei dieser Rechenweise ergeben sich in den Termen höherer Ordnung für die Masse jedes Teilchens Strahlungskorrekturen, die die Masse weiter erhöhen. Während bei Fermionen diese Korrekturen nur logarithmisch beitragen, und die Eichbosonen des Standardmodells durch chirale Symmetrien geschützt sind divergiert die Higgsmasse bei hohen Energien. Der Korrekturterm erster Ordnung eines Fermions, welches an das Higgs koppelt, zur Higgsmasse sieht folgendermassen aus: δm2H = − λf 2 Λ 8π 2 (2) Das λf ist dabei die Kopplung des Fermions an das Boson. Das Λ hat die Dimension GeV und sollte als die Energie interpretiert werden, ab der neue Physik zum tragen kommt. Eine Analyse des Terms ergibt, dass die Higgsmsse divergiert, sobald Λ größer als etwa 1 TeV ist, da bei diesem Wert die Korrekturen zur Higgsmasse größer werden, als die Higgsmasse selbst. Ist Λ beispielweise gleich der Planck-Masse mp ≈ 2, 4 ∗ 1018 GeV, so ist ∆m2H etwa 30 Größenordnungen größer, als m2H . Das Problem der divergierenden Higgsmasse wird als Hierarchieproblem bezeichnet. Eine mögliche Lösung für dieses Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass Fermionen und Bosonen mit unterschiedlichen Vorzeichen zur Higgsmasse beitragen. Die Strahlungskorrektur zur Higgs-Masse durch ein Boson stellt sich wie folgt dar: λf Λ δm2H = + (Λ2 − 2m2s ln ) (3) 2 16π ms Die Idee die nun das Problem der divergierenden Higgsmasse lösen soll ist also, dass man eine Symmetrie sucht, die Bosonen und Fermionen miteinander verknüpft. 3.2 Grundlagen der Susy Zur theoretischen Beschreibung wird ein Operator eingeführt, der Bosonen in Fermionen umwandelt und umgekehrt: Q|F ermioni = |Bosoni (4) Q|Bosoni = |F ermioni (5) 4 Q erfüllt dabei die folgenden Kommutatorrelationen: {Qα , Q†α̇ } = −2σαµα̇ P µ , {Qα , Qβ } = 0 , {Q†α̇ , Q†β̇ } = 0 , [P µ , Qα ] = [P µ , Q†α̇ ] = 0 (6) Einteilchenzusände fallen nun in sogenannte Supermultipletts. Jedes Supermultiplett enthält nun sowohl bosonische als auch fermionische Freiheitsgrade, die man als Superpartner zueinander bezeichnet. Den Superpartner zu einem Standardmodellteilchen erhält man dabei indem man eine geeignete Kombination von Q und Q† auf das SM-Teilchen anwendet. In jedem Supermultiplett sollte es nun die gleiche Anzahl an bosonischen und fermionenischen Freiheitsgraden geben, d.h. nB = nf . Außerdem haben je zwei Superpartner gleiche elektrische Ladung, gleichen Isospin und gleichen Farbfreiheitsgrad. In einer exakt geltenden Supersymmetrie sollten außerdem Q und Q† mit dem Operator P µ2 vertauschen, was bedeutet, dass die beiden Superpartner gleiche Masse haben sollten. Demnach müsste es beispielsweise zu dem (fermionischen) Elektron einen bosonischen Superpartner geben, der ebenfalls die Masse von 511 keV hat. Ein solches Teilchen hätte allerdings längst gefunden werden müssen. Aus der Tatsache, dass es bislang noch keinen experimentellen Nachweis für Susy gibt lässt sich schließen, dass die Supersymmetrie eine gebrochene Symmetrie sein muss, bei der die Superpartner erheblich schwerer als ihre Standardmodellpartner sind. Wie genau dieser Effekt der Symmetriebrechung in der Susy zustande kommt ist bis heute noch nicht wirklich vertsanden. Allgemein existieren sehr viele verschiedene Supersymmetriemodelle, hier wird daher nur auf das am meisten diskutierte eingegangen. Das meist diskutierte supersymmetrische Modell ist das Minimal Supersymmetric Standard Model (MSSM) 3.3 Minimal Supersymmetric Standard Model Der Teilcheninhalt des Minimal Supersymmetric Standard Models ist in Abbildung 1 dargestellt. Im Rahmen der Supersymmetrie wird eine neue Erhaltungsgrösse, die R-Parität eingeführt. Diese wird benötigt, da das Potential der Supersymmetrie (Superpotential) Lepton- und Baryonzahlverletzung zulässt, diese aber nicht beobachtet wird. Wären Baryon- und Leptonzahl verletzt, so müsste insbesondere der Protonzerfall möglich sein, was zu einer extrem kurzen Lebensdauer des Protons führen würde. Die beobachtete Lebensdauer des Protons beträgt aber über 1032 Jahre. Die R-Parität ist definiert als: R = (−1)3B+L+2S (7) Eine genaue Analyse dieser Grösse ergibt, dass alle Susy Teilchen Parität -1 haben, während die Standardmodellteilchen Parität +1 haben. Daraus folgt insbesondere, dass Susy-Teilchen nur in eine gerade Anzahl an Susy Teilchen (+SM Teilchen) zerfallen dürfen. Ein Zerfall wie X* ) SM + SM 5 (8) Abbildung 1: Teilcheninhalt des Minimal Supersymmetric Standard Models ist demnach also nicht möglich. Daraus folgt, dass das Leichteste Supersymmetrische Teilchen (LSP) stabil sein muss und damit einen exzellenten Kandidaten für Dunkle Materie darstellt. Als mögliche Kandidaten kommen dafür das Sneutrino und die vier Neutralinos in Frage. Das Sneutrino wurde allerdings durch Experimente zur direkten Detektion Dunkler Materie ausgeschlossen, da sein berechneter Wirkungsquerschnitt zu gross ist. Die vier Neutralinos, die einen Überlagerungszustand der beiden Higgsinos, des Winos und des Binos darstellen sind in aufsteigender Reihenfolge nach ihrer Masse angegeben. Das leichteste Neutralino ist demnach also das X10 , welches oft einfach das Neutralino genannt wird. 4 Weitere Kandidaten für Dunkle Materie In diesem Abschnitt sollen weitere Kandidaten aufgelistet und kurz beschrieben werden. Die folgende Auflistung enhtält dabei keinerlei Sortierung. • Sterile Neutrinos: Sterile Neutrinos sind hypothetische Teilchen, die 1993 von Dodelson und Widrow vorgeschlagen wurden, um das DM Problem zu lösen. Diese Teilchen wechselwirken über keine der im Standardmodell beschriebenen Wechselwirkung, sondern nur über die Gravitation. Wenngleich sich sterile Neutrinos nicht als Kandidaten ausschließen lassen, gibt es bis heute allerdings auch noch keinen experimentellen Hinweis auf die Existenz derartiger Teilchen. • Axionen Axionen sind Elementarteilchen, die ursprünglich eingeführt wurden, um das starke CP-Problem, welches darin besteht, dass es entgegen der theo- 6 retischen Vorhersage keine CP-Verletzung in der starken Wechselwirkung gibt, zu erklären. Aufgrund ihrer Eigenschaften kommen sie auch als Kandidaten für Dunkle Materie in Frage. Versuche zum Nachweis dieser Teilchen (z.B. Licht durch die Wand Experimente) haben bisher aber noch keinen experimentellen Hinweis auf die Existenz dieser Teilchen gebracht. • Kaluza-Klein-Teilchen Obwohl wir in einer 4-Dimensionalen Welt leben haben Kaluza und Klein angenommen, dass es noch eine fünfte raumartige Dimension gibt, die wir nicht wahrnehmen, da diese sehr klein und aufgerollt ist. Propagiert ein Teilchen nun durch diese Extradimension hat es dort einen quantisierten Impuls p ∼ 1/R, wobei R die Größe der Extradimension ist. Aus unserer 4dimensionalen Sicht scheinen diese quantisierten Impulszustände wie eine Reihe von Zuständen des Teilchens mit Masse mn = n/R + m0 , wobei m0 die SM Masse des Teilchens ist. Wenn es derartige Extradimensionen gibt, dann wäre das leichteste Kaluza-Klein-Teilchen ein Kandidat für Dunkle Materie. In den meisten Modellen wird der erste Zustand des Photons als leichtestes Kaluza-Klein-Teilchen angesehen. • 4. Generation des Standarmodells Es gibt keinen Grund, warum das Standardmodell der Elementarteilchenphysik aus nur drei Generationen von Quarks und Leptonen bestehen sollte. Eine Möglichkeit das DM Problem zu lösen besteht also darin einfach eine vierte Generation zu postulieren. In einem solchen Modell müsste die vierte Generation sehr schwer sein, da wir sie bis heute nicht entdeckt haben. Damit könnte dann das vierte Neutrino ein möglicher Kandidat für Dunkle Materie sein. Neben den hier vorgestellten Kandidaten gibt es noch viele mehr. Es scheint allerdings sehr unwahrscheinlich, dass nur ein Teilchen die Dunkle Materie ausmacht. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Dunkle Materie durch mehrere Teilchen ausgemacht, was bedeutet das auch mehrere der hier vorgestellten Theorien richtig sein können. Literatur 1 Gianfranco Bertone, Dan Hooper, Jospeh Silk (2004): Particle Dark Matter: Evidence, Candidates and Constraints, arXiv:hep-ph/0404175v2, FermilabPub-04/047-A 2 Katherine Garret, Gintaras Duda (2011): Dark Matter: A Primer, arXiv:1006.2483v2 3 Stephen P. Martin (2011): A Supersymmetry Primer, arXiv:hep-ph/p9709356c6 4 W. de Boer(2001): Grand Unified Theories and Supersymmetry in Particle Physics and Cosmology 7