LV Ingenieurgeometrie SS 2017 Lehrstuhl für Computational Geometry MU Leoben Computational Geometry Einige Grundlagen der Verzahnungstheorie 1 Wichtige Kenngrößen Die Relativbewegung zweier Zahnräder entsteht durch das Abrollen der beiden zugrundeliegenden Wälzkreise q1 , q2 aufeinander (Abb. 1). Die Zahnflanken c1 , c2 sind geeignete Hüllkurvenpaare bei dieser Relativbewegung. Bezeichnen z1 und z2 die Zähnezahlen der Zahnräder und r1 , r2 die Radien der Wälzkreise q1 , q2 dann gilt: z1 z2 = r1 r2 (1) Gibt man also z1 , z2 und einen der beiden Wälzkreisradien vor, dann ist der zweite Wälzkreisradius bestimmt. Idealerweise sollten die Zähnezahlen z1 , z2 teilerfremd sein, da sich dies günstig auf den Verschleiß auswirkt: Dadurch wird die Anzahl der Drehungen, nach denen dieselben zwei Zähne wieder zum Eingriff kommen, möglichst groß. tt tt w w ss rr1 O1 rr2 cc22 rr11 − − ff rr11 + + cc1 kk O2 qq11 qq22 Abbildung 1: Kenngrößen einer Stirnradverzahnung Die Bogenlänge, die ein Zahn mit einer benachbarten Lücke einnehmen kann, ist auf beiden Wälzkreisen q1 und q2 gleich groß und wird als Teilung t bezeichnet: t = 2πr1 2πr2 = z1 z2 (2) Um einen kollisionsfreien Lauf zu vermeiden, wird die Zahnstärke s – d.i. die Bogenlänge, die auf jedem der beiden Wälzkreise für einen Zahn zur Verfügung steht – etwas kleiner LV Ingenieurgeometrie SS 2017 Lehrstuhl für Computational Geometry MU Leoben Computational Geometry als 2t gewählt, während man die Lückenweite w – d.i. die Bogenlänge auf den beiden Wälzkreisen für eine Zahnlücke – entsprechend größer als 2t wählt. Üblicherweise setzt man dieses Flankenspiel sf mit sf t 20 = (3) an und berechnet dann Zahnstärke und Lückenweite durch s := 1 · (t − sf ), 2 w := 1 · (t + sf ). 2 (4) Der zum auf qi liegenden Bogen mit der Länge s gehörende Zentriwinkel γi ist somit im Bogenmaß durch γi = s ri (5) gegeben. Die Zähne auf jedem Zahnrad treten zwischen dem Kopfkreis und dem Fußkreis auf. Die Kopfhöhe k und die Fußhöhe f werden vom jeweiligen Wälzkreis nach oben bzw. nach unten gemessen. Sie berechnen sich über den sogenannten Modul m := t π (6) durch k := m; f := 6 · m. 5 (7) Anmerkung: Die Teilung t ist der Umfang u eines Wälzkreises gebrochen durch die Zähnezahl z des betreffenden Zahnrades, während der Modul der Durchmesser d des Wälzkreises gebrochen durch z ist: t = uz , m = dz . 2 Evolventenverzahnung Ist P der momentane Eingriffspunkt zweier Zahnflanken und M der zu diesem Zeitpunkt vorliegende Berührpunkt der beiden Wälzkreise, dann heißt der Winkel α zwischen der Wälztangente tM und der Geraden MP Eingriffswinkel. Fordert man man, dass dieser Winkel α konstant ist1 , dann ergibt sich als Ortskurve von P – diese heißt Eingriffslinie – jene durch M gehenden Geraden e 0 , die mit tM den Winkel α einschließt. (In Abb. 2 ist eine gegenseitige Lage der beiden Zahnräder dargestellt, bei welcher M und P momentan zusammenfallen.) Die (relevanten Bereiche der) Zahnflanken c1 und c2 sind dann Stücke von Evolventen jener beiden zu q1 und q2 konzentrischen Kreisen c1∗ und c2∗ , die e 0 als Tangente besitzen. In diesem Fall spricht man daher von einer Evolventenverzahnung. Die beiden Kreise c1∗ und c2∗ heißen Grundkreise. Ihre Radien berechnen sich durch r1∗ = r1 · cos α, r2∗ = r2 · cos α. (8) LV Ingenieurgeometrie SS 2017 Lehrstuhl für Computational Geometry MU Leoben Computational Geometry qq22 cc1∗1∗ cc11 ee00 cc11 M M= = PP α tM α cc22 qq11 cc22∗∗ Abbildung 2: Evolventenverzahnung Es seien O1 , O2 die Mittelpunkte der beiden Wälzkreis q1 , q2 (und somit auch jene von c1∗ und c2∗ ). Legt man den Ursprung des verwendeten Koordinatensystems in O1 , dann wird der Grundkreis c1∗ durch ∗ r1 · cos u ∗ c1 (u) = (9) r1∗ · sin u parametrisiert und eine zu c1∗ gehörende Evolvente etwa durch ∗ r1 · (cos u + u sin u) c1 (u) = . r1∗ · (sin u − u cos u) (10) (Siehe [1, S. 22]; die dort auftretende Integrationskonstante haben wir hier mit b0 = 0 gewählt.) Analog erhält man eine Parametrisierung der zweiten Kreisevolvente c2 . Das Profil eines Zahnes und der benachbarten Lücke (siehe Abb. 2) besteht dann etwa aus • einem Bogen auf dem Kopfkreis (blau), • zwei kongruenten Evolventenbögen (rot), • zwei geeigneten Verbindungskurven (grün) • und einem Bogen auf dem Fußkreis (blau). Anmerkung: Viele weitere Details zur ebenen Verzahnungstheorie und insbesondere zur Evolventenverzahnung findet man z.B. in [2, S. 216 ff]. 1 Üblicherweise wird α = 20◦ gewählt. LV Ingenieurgeometrie SS 2017 Lehrstuhl für Computational Geometry MU Leoben Computational Geometry 3 Schrägverzahnung Für eine Verzahnung mit geraden Zahnflanken sind die beiden Evolventenzahnprofile lediglich in Achsenrichtung zu extrudieren. Um schrägverzahnte Zahnräder zu erhalten, wird hingegen jedes dieser beiden Zahnprofile einer geeigneten Schraubung um die Achse des jeweiligen Zahnrades unterworfen. Dabei geht man von einem Evolventenzahnradpaar mit den Wälzkreisen q1 und q2 und den Grundkreisen c1∗ and c2∗ aus (Abb. 2). Die (parallelen) Achsen der beiden Zahnräder seien a1 und a2 , der Eingriffswinkel sei α und r1 , r2 seien die Radien der beiden Wälzkreise q1 und q2 . Dann berechnen sich die Grundkreisradien r1∗ , r2∗ gemäß (8) durch r1∗ = r1 · cos α, r2∗ = r2 · cos α. e 00 a100 a200 0000 β PP PP0000 π100 q2 c2∗ a20 rr2222 r2∗ e0 r1∗ a10 rrrr1111 PP00000 α c1∗ q1 Abbildung 3: Konstruktion schrägverzahnter Evolventenzahnräder: Nach Wahl eines geeigneten Eingriffswinkels α und eines Schraubwinkels β sind die Schraubparameter p1 , p2 der beiden Schraubungen durch (8) und (11) festgelegt. Man betrachtet nun die Eingriffslinie e 0 als Grundriss einer Geraden e, die zur Grundrissebene π1 unter einem Winkel β geneigt ist und π1 im Berührpunkt P von q1 and q2 schneidet (Abb. 3). Dann kann man die beiden einander in P berührenden Kreisevolventen c1 und c2 LV Ingenieurgeometrie SS 2017 Lehrstuhl für Computational Geometry MU Leoben Computational Geometry als achsennormale Querschnitte zweier Schraubtorsen Φ1 and Φ2 mit den Achsen a1 und a2 auffassen, die beide dieselbe Gerade e als Erzeugende besitzen. (vgl. mit [1, Abschnitt 8.5, S. 94 ff.]). Die zugehörigen Schraubparameter p1 , p2 müssen dabei so gewählt werden: p1 = r1∗ · tan β, p2 = −r2∗ · tan β (11) Man beachte, dass p1 und p2 unterschiedliche Vorzeichen haben – die Schraubung um a1 ist eine Rechts- und jene um a2 eine Linksschraubung! Gemäß [1, Prop. 8.13, S. 95] berühren Φ1 und Φ2 dann einander entlang ihrer gemeinsamen Erzeugenden e. Das bedeutet, dass wir durch die Verschraubung der beiden Kreisevolventen c1 und c2 ein Zahnflankenpaar erhalten, das einander längs der gesamten gemeinsamen Erzeugenden e berührt. Zahnradpaare, die auf diese Weise entstehen, heißen schrägverzahnte Evolventenzahnradpaare.2 Literatur [1] A. Gfrerrer, J. Lang, Geometry for Mechanical Engineers (Lecture Notes), Graz University of Technology, 2017. [2] W. Wunderlich, Ebene Kinematik, Bibliographisches Institut, Mannheim, 1970. 2 Zu den Eigenschaften und Vorteilen von schrägverzahnten gegenüber geradverzahnten Evolventenzahnradpaaren siehe [1, S. 97].