Wissenschaftlicher Werdegang Dr. Gesine Palmer

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Wissenschaftlicher Werdegang Dr. Gesine Palmer -­‐ 1 Wissenschaftlicher Werdegang Dr. Gesine Palmer Was in jedem Buch über die Karrierefehler von Frauen steht, entspricht meiner subjektiven Wahrheit: eine wissenschaftliche Laufbahn habe ich eher aus Versehen eingeschlagen. Aufgewachsen als drittes von sechs Kindern einer ziemlich mobilen, aber traditionsreichen Theologenfamilie, stand für mich fest, dass eine Frau sich vor allem sozial nützlich zu machen habe. Während meiner Gymnasialzeit habe ich das sehr ernst genommen – mit den entsprechenden Folgen für mein Abitur. Vom Berufs-­‐“wunsch“ Sozialpädagogin lenkten mich sehr freundliche Professoren ab, nachdem sie analytischen Fähigkeiten, Abstraktionsniveau und Lerntempo der jungen Frau mit Staunen zur Kenntnis genommen hatten. Immer noch brav, wechselte ich nach einem studium generale an der Hochschule Lüneburg (bei Hermann Schweppenhäuser, Gottfried Küntzel, Annette und Ingolf Schulte, Jürgen Oelkers, Christoph Türcke) an die Universität Hamburg, um Ev. Theologie zu studieren. Meine philosophischen und literarischen Interessen waren von jeher stark, aber ich hielt sie für verboten und dringend einer Bindung an Soziales bedürftig. Die Einführung in die kritische Theorie der Frankfurter Schule und insbesondere die Bekanntschaft mit dem Werk Hannah Arendts brachten mich zum ersten Mal auf die Idee, das Denken könnte einen Wert in sich haben und für mich zugänglich sein. Nach der Zwischenprüfung in Evangelischer Theologie wechselte ich – mittlerweile mit einem Stipendium des Begabtenförderungswerkes der EKD ausgestattet – 1985 an die FU Berlin, wo es möglich war, das Studium nicht als Pfarramtsvorbereitung, sondern mit M.A. als Abschluss fortzusetzen. Als zweites Hauptfach wählte ich Judaistik. Nach einem Studienaufenthalt an der Hebräischen Universität Jerusalem in den Jahren 1987/88, den ich außer zum Spracherwerb zu Talmudstudien und Einführungen in die ältere jüdische Philosophie nutzte, konzentrierte ich mich in Berlin einerseits auf die jüdische Philosophie des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, andererseits auf die Geschichte der interreligösen Auseinandersetzungen unter dem Gesichtspunkt der Mehrheits-­‐/ Minderheitssituation. Nach Abschluss des M.A. 1992 (mit einem kleinen Kind und in der Schwangerschaft mit einem zweiten Kind), begann ich mit den Vorbereitungen einer Doktorarbeit über John Toland. An dessen Werk interessierte mich vor allem, dass ein wichtiger Vertreter des englischen Deismus, anders als die meisten anderen Deisten, nicht antijüdisch schrieb, sondern im Gegenteil auf alle Weisen seine Sympathie mit dem Judentum und seinem Gesetz zum Ausdruck brachte. In der 1996 abgeschlossenen und veröffentlichten Dissertation sind bereits Vorarbeiten für mein später weiter entwickeltes Interesse an Hermann Cohen zu finden. Was zunächst ein neugieriges und von dem Entsetzen über die deutsche Geschichte stimuliertes Interesse an dem systematischen Gegensatz zwischen Judentum und vor allem protestantischem Christentum gewesen war, weitete sich allmählich aus und wurde zu einer Schlüsselfigur meines weiteren Denkens, die alle nachfolgenden Lektüren beeinflusste. Hermann Cohens Idee, für die Humanwissenschaften die Ethik als Logik und als ihr wissenschaftliches Factum die Rechtswissenschaften zu postulieren, wirft nicht nur rückwärts ein Licht auf die Geschichte der Sozialwissenschaften in ihren christlichen Kontexten, sondern könnte möglicherweise als wichtiger Beitrag zu einer neuen Grundlegung der wissenschaftlichen Rede vom Menschen auch heute noch aus manchen Sackgassen der Soziologie und der Psychologie herausführen. Dieser Gedanke ist – zugegeben – riskant und bedarf umsichtigster Ausarbeitung, wenn er zu einem Paradigmenwechsel beitragen sollte. Wissenschaftlicher Werdegang Dr. Gesine Palmer -­‐ 2 Wir kommen zum Bruch in meiner Laufbahn: Ermuntert durch den guten Verlauf der wissenschaftlichen Entwicklung bis zur Promotion bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. Carsten Colpe hatte ich mir eben dieses vorgenommen – die Gedanken Cohens radikal zu modernisieren, und mit ihrer Hilfe einige zeitgenössische Debatten wiederum zu erneuern. Die ökonomischen und vitalen Kräfte reichten dazu schlicht nicht aus – der Gegenwind, den man als Frau nach der Promotion auf vielen Gebieten erfährt, war auch für mich zu scharf. Das Projekt „Religion und Normativität“ an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg von 2003-­‐2006 war die letzte Stelle, auf der ich noch weitgehend unbelastet von ernsten existentiellen Sorgen (wenn auch als Privatperson bereits sehr angefochten) an der Idee arbeiten konnte. Die Zeit reichte nicht aus, um etwas fertig zu stellen, das über die in der Publkationsliste ausgewiesenen Arbeiten hinaus ginge. Als ich keine Anschlussstelle im akademischen Bereich fand, meiner Kinder wegen aber in Berlin bleiben wollte, gründete ich 2007 das Büro für besondere Texte, von dem aus ich mich hier bewerbe. Für wissenschaftliche Arbeit im strengen Sinne waren damit die Voraussetzungen entfallen, spätestens seit 2008 auch die Lehraufträge ausblieben. Ich habe es mich nicht verdrießen lassen und die neben der Erwerbsarbeit verbleibende Zeit genutzt, um meinen lange unterdrückten literarischen Neigungen nachzugehen. Das Produkt ist – neben der kleinen Prosaelegie „Der Tausch“ -­‐ ein relativ umfangreicher Bildungsroman mit dem Titel: „Achilles. Ein Roman von Heldentun und Wahnsinn.“ Dennoch bin ich, wann immer ich es mir leisten konnte, auch an der Arbeit mit den Themen von Hermann Cohen und Franz Rosenzweig geblieben. Denn einmal an das Planen und an den Verfolg eines bestimmten Weges gewöhnt, tut sich zuweilen auch eine Frau schwer, so etwas aufzugeben. 
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