27. DGVT Kongress für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Beratung VT im Coaching Stefan Leidig, Berlin 1 Gliederung 1.Definitionen 2.Ziele 3.Strategien 4.Diagnostik / Ethik © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 2 Coaching-Zielsetzungen • Weiterentwicklung individueller oder kollektiver Lern- und Leistungsprozesse bei primär beruflichen Anliegen • Erkennen von Problemursachen, Identifikation und Lösung der zum Problem führenden Prozesse è eigenständig Probleme lösen können • Verhalten und Einstellungen weiterentwickeln • effektive Ergebnisse erreichen vgl. Deutscher Bundesverband Coaching e.V. www.dbvc.de © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 3 Kognitiv-behaviorales Coaching Coachingansatz vor dem Hintergrund kognitivbehavioraler Theorien •Analyse der Interaktion von Gefühlen, Gedanken und Verhalten in Situationen in einem •interpersonellen, berufsbezogenen Kontext unter •Berücksichtigung institutioneller und kultureller Aspekte Ziel: „adäquates“ Leistungs- und Sozialverhalten © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin Evidence based Stober und Grant 2006 4 Beratungsfokus betrieblich finanzierte Coachings èzumindest implizit immer auf die Unternehmensziele ausgerichtet Gute Stressbewältigungs-Kompetenzen stärken die (psychische) Gesundheit Unterschied zur Therapie •Ziel, Ausgestaltung und Dosierung der Interventionen •Intensität der Problemlagen •... © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin Beratungsfokus und Setting Bei betrieblich finanzierten Coachings gibt es mindestens zwei gravierende Unterschiede zur Verhaltenstherapie: Der Beratungsfokus muss immer in erster Linie auf das Erleben und Verhalten im Beruf Bezug nehmen und es geht bei der Beratung nicht um die Gesundheit der Coachees sondern um deren berufliche Leistungsfähigkeit. Möglicherweise gibt es Auftraggeber, die der festen Überzeugung sind, es ginge ihnen um die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden; Coaches sollten aber immer mit der Möglichkeit rechnen, dass im betrieblichen Kontext „Gesundheit“ ein Etikett für sämtliche Aspekte erwerbsbezogener Leistungsfähigkeit ist. Coaching ist von daher zumindest implizit immer auf die Unternehmensziele ausgerichtet und nicht primär auf die Gesundheit von Mitarbeitenden. Es steht, wenn Kliniker als Coaches gefragt sind, unter der Überschrift: Wie werde ich widerstandsfähiger? Wie kann ich meine beruflichen Arbeits-, Stressmanagement- und Kommunikationstechniken verbessern, damit ich leistungsfähig bleibe? Obwohl innerhalb derlei Fragestellungen die Mitarbeitergesundheit nicht das zu erreichende Hauptziel ist, ist sie immer auch bedacht, weil gute Stressbewältigungs-Kompetenzen zugleich die (psychische) Gesundheit stärken (Binnewies & Sonnentag, 2006). Wenn Coaches mit klinisch-psychotherapeutischer Sozialisation in Betrieben angefordert werden, sollten sie also damit rechnen, dass ihre Interventionen gefragt sind, um Mitarbeitende leistungsfähiger zu machen, mit dem Ziel, dass sie selbst und ihre Kunden zufriedener sind, sie kreativer und lernbereiter werden, die Service- und Produktqualität verbessert wird, die Kundenorientierung steigt, die Fehlerrate abnimmt, die arbeitsbezogene Motivation verbessert wird, die Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft steigen, die Loyalität der Firma gegenüber zunimmt oder Kündigungen abnehmen. Ein zentraler impliziter Behandlungsauftrag lautet von daher: Welches Verhalten muss trainiert werden, welche Bewertungsmuster müssen hinterfragt und modifiziert werden, um die Leistungsfähigkeit trotz veränderter Belastungsstrukturen zu erhalten bzw. zu steigern, damit die beruflich vorgegebenen Ziele nachhaltig und langfristig stabil erfüllt werden? Klassifikatorische Diagnostik und psychotherapeutische Ziele sind hier nicht gefordert. Kognitiv-behaviorale Übungsaufgaben beziehen sich primär auf die Modifikation von Defiziten und Exzessen im Berufsalltag. Dass über die Behandlung derartiger Aufgabenstellungen auch Befindlichkeitsstörungen und Fehlzeiten zurückgehen, ist ein Zusatznutzen, der kognitivbehaviorale Strategien im betrieblichen Umfeld besonders effizient macht (Semmer & Zapf, 2004). 5 Gliederung 1.Definitionen 2.Ziele 3.Strategien 4.Diagnostik / Ethik © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 6 Anwendung und Ziele in betrieblichen Kontexten I Interventionen werden nachgefragt, um Mitarbeitende leistungsfähiger zu machen, mit dem Ziel, dass • sie selbst und ihre Kunden zufriedener sind, • sie kreativer und lernbereiter werden, • die Service- und Produktqualität verbessert wird, • die Kundenorientierung steigt, • die Fehlerrate abnimmt, • die arbeitsbezogene Motivation verbessert wird, • die Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft steigen, • die Loyalität der Firma gegenüber zunimmt oder • Kündigungen abnehmen. © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 7 Anwendung und Ziele in betrieblichen Kontexten II •individuelle Kompetenzen •Auswirkungen auf betriebliche Bedingungen cave: Individualisierung betrieblicher Schwierigkeiten Überindividuelle Maßnahmen (Verhältnisprävention): •wenn ohne Modifikation von Rahmenbedingungen kein dauerhaft angepasstes Verhalten möglich © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin Zur Übertragbarkeit von Strategien auf betriebliche Kontexte Anwendung und Ziele Erwerbstätige, die um ein Coaching nachsuchen, wollen in der Regel lernen, die Anforderungen ihres (Arbeits-)Alltags besser zu bewältigen. VerhaltenstherapeutInnen gehen dabei davon aus, dass Verhaltensänderungen der Coachees auch Auswirkungen auf betriebliche Bedingungen haben können. Überindividuelle Maßnahmen (Verhältnisprävention, Einbezug von Vorgesetzten oder Mitarbeitenden in Coachingsitzungen) werden erst dann geprüft, wenn der Eindruck entsteht, dass es ohne die Modifikation von Rahmenbedingungen nicht zu dauerhaft angepasstem Verhalten der um Unterstützung Suchenden kommen kann. D.h., wenn der Coachee nicht in der Lage ist, von sich aus die die Problemlage aufrechterhaltenden Bedingungen zu korrigieren, etwa weil Dritte seine Bemühungen aktiv unterwandern. Die aktuellen empirischen Befunde der Arbeits- und Organisationspsychologie bestätigen diese verhaltenspräventive Perspektive, da sie eine eher geringe Varianzaufklärung von organisationalen Stressoren an den individuellen Stressreaktionen und Befindlichkeitsstörungen zeigen. Deutlich größeren Einfluss haben soziale Stressoren (Verhalten von KollegInnen, Mitarbeitenden und Vorgesetzten). Hier ist zur Problemlösung individuelles Bewältigungsverhalten funktional (Leidig, 2003; Zapf & Semmer, 2004). - Das legitimiert jedoch nicht dazu, Schwierigkeiten in einer Abteilung generell zu individualisieren. Wenn Führungsverhalten Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist, ist jedoch der Einfluss eines Coachings maximal so groß, wie die Einsicht und Änderungsbereitschaft der verantwortlichen Auftraggeber: Wenn ein Abteilungsleiter sich im Rahmen seiner Führungsaufgaben aggressiv-abwertend verhält und dessen Vorgesetzte dieses Verhalten billigen, ist ein pathologisches Führungsmuster schwer zu verändern. In Branchen und Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit werden sich derartige chronische sozialen Stressoren noch nicht einmal in offensichtlichen Leistungsdaten wie Arbeitsunfähigkeits- und Fluktuationsraten zeigen. Rat suchende Teams können im Rahmen eines Coachings dann nur dahingehend unterstützt werden, die kollegiale Zusammenarbeit zu stärken und Möglichkeiten zur Verbesserung der individuellen Employability im Hinblick auf einen Arbeitgeberwechsel zu reflektieren. 8 Anwendung und Ziele in betrieblichen Kontexten III individuumszentrierter, systembezogener Ansatz: •schneller Zugang zu eigenen „Anteilen“ •Bewältigungspotenzial ernst genommen kognitiv-verhaltenstherapeutisches Vorgehen: eigenes Bewältigungs-Referenz-System erweitern Ø bessere Nutzung vorhandener (betrieblicher) Ressourcen Ø systembezogene Veränderungen im Rahmen der Coachingziele („optimierte Verhältnisnutzung“) © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin Die praktische Auswirkung eines individuumszentrierten, systembezogenen Ansatzes besteht darin, dass die Coachees sehr schnell Zugang zu „ihren“ Anteilen an der Problematik bekommen. D.h., der Betrieb wird nicht als problematisches, krank machendes „System“ und der Coachee nicht als „Opfer“ definiert, sondern er wird in seiner Kompetenz und seinem Bewältigungspotenzial ernst genommen. In diesem Zusammenhang bedeutet kognitiv-verhaltenstherapeutisches Coaching, das eigene Bewältigungs-Referenz-System so zu erweitern, dass man in der Lage ist, systembezogene Veränderungen im Rahmen der Coachingziele zu initiieren („optimierte Verhältnisnutzung“). - Denn in der Regel werden, und das steht in der Verantwortung des Einzelnen, im Betrieb vorhandene Hilfsquellen wie Handlungsspielräume und soziale Unterstützungsnetze („Ressourcen“) nicht in vollem Umfang genutzt (Bamberg et al., 2003; Ingledew et al., 1997; Leidig, 2007). 9 Wahl der Interventionsziele Selektionsentscheidungen wie in einer Verhaltenstherapie •hohe (subjektive) Belastung •Änderungsmotivation bereits vorhanden •zentraler Stellenwert: Veränderung wirkt sich auf viele Bereiche aus •Aufwand-Nutzen-Relation ist verantwortbar •Aussicht auf nachhaltigen Erfolg •bei den Problemen handelt sich um Ist-SollDiskrepanzen und nicht um Tatsachen © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 10 Gliederung 1.Definitionen 2.Ziele 3.Strategien 4.Diagnostik / Ethik © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 11 Coaching als Problemlösevorgehen Coaching als diagnostisch-therapeutischer Problemlöseansatz cave: „Lösungsorientierung“ 1.Problembeschreibung (Ist-Soll-Diskrepanz, Problementwicklung, bisherige Bewältigungsversuche) 2.Problemanalyse (V. i. S.) 3.Veränderungsziele (konkret formulierte, verhaltensorientierte Lösungen) 4.Therapieschritte/Interventionen (kleine Schritte, bezogen auf ferner liegende Ziele und Alternativziele) 5.Durchführung der Schritte (Verhaltensübungen in der Sitzung, Umsetzung im relevanten Umfeld) 6.Evaluation der Interventionen © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin „lösungsorientiertes Vorgehen“: Managementvokabular èLösungen, Herausforderungen oder „learnings“ Gefahr: Synchronisation mit wissenschaftlich zumindest fragwürdigen Motivations- und Leistungstheorien „Challenges“ statt Probleme als Ist-Soll-Diskrepanzen. èVeränderungsziele auf Basis einer gründlichen Analyse des aktuellen Ist-Zustandes ècave: keine schlampigen Problemanalysen! Hier eine Skizze dieser Konzeptualisierung ohne Berücksichtigung der Coachingstrategien, die zu dem Problemlöseverhalten des Coachees führten: ad 1.: Ein Werkleiter stellt im Rahmen einer Befragung eine deutlich erhöhte Arbeitsunzufriedenheit bei den gewerblichen Mitarbeitenden fest und führt dies neben der zunehmenden Arbeitsbelastung auf die geringe Unterstützung durch die unmittelbaren Führungskräfte (VorarbeiterInnen) zurück. Er möchte die Unterstützungssysteme verbessern. Die Problementwicklung führt er darauf zurück, dass in den vergangenen 18 Monaten weder regelmäßige Treffen auf Vorarbeiterebene noch gemeinsame Rückmelderunden in Bezug auf Mitarbeiterführung mit der Werkleitung stattgefunden haben. - Diese internen Kommunikationsstrategien waren in der Vergangenheit erfolgreich gewesen, sind jedoch durch einen massiven konzernweiten Veränderungsprozess aus den Augen verloren worden. ad 2. Die zu sozialen Konflikten führende Unzufriedenheit wurde ausgelöst durch Vernachlässigung der Kommunikationsprozesse. Die Meetings wurden - obwohl hilfreich - in der Vergangenheit als lästig und zeitaufwändig empfunden und von daher war es insgeheim allen Beteiligten recht, dass man „vergessen“ hatte, sich nach der Umstrukturierung wieder regelmäßig zu treffen. Die zentrale, das Problem aufrechterhaltende Bedingung bestand nach Ansicht des Coachees darin, dass die Meetings nicht stattfanden, weil Alle vermeintlich Besseres zu tun hatten. ad 3. Als erstes Veränderungsziel setzte sich der Werkleiter, gemeinsam mit den VorarbeiterInnen einen regelmäßigen Besprechungstermin einzuführen und gemeinsam eine neue Tagesordnung für die Meetings zu erarbeiten. ad 4. Vor dem Hintergrund seiner Verunsicherung, die VorarbeiterInnen entsprechend motivieren zu können, wurden Fragen und Argumentationslinien im Rollenspiel geübt. ad 5. Bei der Durchführung des ersten Meetings zeigte sich eine hohe Bereitschaft, die früheren Treffen unter veränderten Rahmenbedingungen (kürzer, strukturierter, Einführung von Ergebnisprotokollen) zu reaktivieren. ad 6. Aufgrund der neu eingeführten Ergebnisprotokolle konnte der Werkleiter seine eigene Präsenz entsprechend seiner Prioritäten flexibler gestalten, ohne die anderen Beteiligten zu demotivieren. 12 Werkzeuge • Problemanalyse (Verhaltensanalyse) • Vertikale Verhaltensanalyse • Trainings: Ärgerbewältigung, soziale Kompetenz, Stressmanagement, Zeitmanagement • Rollenspiele / Verhaltensexperimente • Psychoedukation © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin Verhaltensexperimente – Verhaltensübungen Dysfunktionale Annahmen überprüfen Beispiel: •„Hauptsache, ich falle nicht durch abweichende Meinungen auf“ oder •„Chefs müssen immer als erste kommen und als letzte gehen“ etc. Coaching bedeutet in diesem Kontext, (Bedrohungs-)Hypothesen zu hinterfragen und bisher vermiedene alternative Verhaltensstrategien auf ihre Effizienz hin zu überprüfen. 13 Gesprächsführung • Ziel-/Wertklärung, Würdigung • kognitive Arbeit: ABC-Schema ... • Sokratischer Dialog • Verbalisierung emotionaler und einstellungsbezogener Erlebnisinhalte • Rückmeldungen geben (blinde Flecken erkennen) • Zusammenhänge aufzeigen, Erklärungen und Interpretationen anbieten © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 14 Coaching in komplexen Organisationen Strukturen und Prozesse organisationaler Art diagnostizieren •Organisationsdynamik in Abgrenzung zu •Gruppendynamik und •persönlichen oder •interaktionellen Problemen 15 Problematik der Team-Mitglieder Teams sind nur in nichthierarchischer Weise arbeitsfähig, die Organisation bleibt aber hierarchisch strukturiert. Gruppendynamik Organisationsdynamik •tragfähige emot. Beziehungen in direkter Kommunikation •Austauschbarkeit von Teammitgliedern •Eigenzeit •mechanistische Zeitvorstellung •Intimität •Vernetzungserfordernis •Autonomie in Selbstorganisation •Zielen und Vorgaben unterworfen •nicht-hierarchische Kooperation und gemeinsame Verantwortung •hierarchische Abstufung der Verantwortung 16 Konflikte als Coachingziel Problemanalyse: Unterscheidung zwischen tatsächlich vermeidbaren Konflikten und strukturbedingten unvermeidlichen Konflikten In Symptomen können sich ungelöste organisatorische Schwierigkeiten verstecken, bzw. darin zum Ausdruck kommen => Gefahr der Personalisierung strukturell bedingter Probleme => Einbettung in einer Organisation beachten Person vs. Funktion Widerspruch zwischen Gruppe als personenorientiertem System und Organisation als funktionsorientiertem System Arbeitsprobleme sind nicht unbedingt durch das Team oder einzelne Personen verursacht. Sie machen sich dort aber immer aufgrund der Personenorientierung bemerkbar. => Gefahr der Personalisierung strukturell bedingter Probleme 17 18 Wenn es sich um nicht genau spezifizierte (z.B. persönliche Kompetenz) Probleme handelt: SDorga. vor SDinterpers. © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 18 Auftragsklärung I Coaching beginnt immer mit der Auftragsklärung und der Festlegung von Veränderungszielen (die mit den im ungünstigen Fall konträren Vorstellungen von z.B. Personalabteilung und Coachee kompatibel sein sollten): •Einfluss der Auftraggeber bei der Festlegung von Zielen des Coachings? •Coachee: von den betrieblichen Überlegungen zur Veränderungsrichtung abweichende Vorstellungen? © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin Auftragsklärung Zur Festlegung von Interventions- bzw. Veränderungszielen muss, wesentlich deutlicher als im klinischtherapeutischen Bereich, der Einfluss der Auftraggeber des Coachings beachtet werden. Während in der Therapie üblicherweise die Krankenversicherung die Kosten trägt, um eine von Fachleuten diagnostizierte Erkrankung zu lindern oder zu heilen, wird im Coaching die Indikation dafür in der Regel nicht von medizinischem Fachpersonal gestellt, sondern von betrieblichen Akteuren, die Reibungsverluste bei Mitarbeitenden oder in Teams feststellen. Von daher ist es immer möglich, dass Coachees fremdmotiviert sind und von den betrieblichen Überlegungen zur Veränderungsrichtung abweichende Vorstellungen haben. Coaching beginnt von daher immer mit der Auftragsklärung und der Festlegung von Veränderungszielen, die mit den im ungünstigen Fall konträren Vorstellungen von z.B. Personalabteilung und Coachee kompatibel sein sollten. Mangelnde Compliance ist häufig das Ergebnis entsprechender Zieldiskrepanzen und sollte auch unter dem Aspekt unterschiedlicher Interessensgruppen immer thematisiert werden, um zu passenden Problem- und Zieldefinitionen zu kommen. Zielkonflikte mit dem Geldgeber sollten antizipiert und müssen auch im Sinne des finanziellen Auftraggebers betrachtet und gelöst werden. Wenn Berufstätige ein Coaching selbst finanzieren, um etwa ihre aktuelle Work-Life-Balance zu hinterfragen, können direkt die Aufträge der Selbstzahler angenommen und ein Problemlösevorgehen eingeleitet werden. Anders als in der Therapie sollte im Coaching immer genau auf Hierarchie-Aspekte geachtet werden, etwa vergleichbar mit der Trennung von Generationsebenen im Rahmen familientherapeutischer Interventionen. Dies ist sowohl bei der Festlegung von Veränderungszielen (Ober sticht Unter) als auch bei der Gestaltung des Coachingsettings zu berücksichtigen. Wenn es Vermischungen zwischen verschiedenen HierarchieEbenen einer Abteilung etwa dadurch gibt, dass mehrere Ebenen an einem Gruppencoaching teilnehmen, muss dies im Rahmen des Prozessverlaufs präsent bleiben. Möglicherweise kann zur Markierung der Unterschiede ein vorübergehendes Splitting der Ebenen mit entsprechenden parallelen Gruppencoachings notwendig werden. Im Behandlungsteam der Palliativstation eines Krankenhauses kam es zu massiven Konflikten zwischen und innerhalb aller Berufsgruppen und Hierarchieebenen. Ausgangspunkt der Konfliktsituation war nach Ansicht der Beteiligten, dass im Rahmen der Entwicklung der Station „Neue“ dazukamen, die kein Verständnis dafür hatten, dass diese spezielle Station von einem Team aus Ärzten und Pflegekräften gemeinsam „ins Leben gerufen“ wurde und damit etwas ganz Besonderes ist. Für die „Neuen“ war indes völlig unklar, bei wem welche Zuständigkeiten lagen. Um die beruflichen und hierarchischen Grenzen auch im Setting zu markieren, wurden über mehrere Sitzungen parallel verlaufende Gruppencoachings, getrennt für die Ärzte und das Pflegepersonal, durchgeführt. 19 Auftragsklärung II Zielkonflikte zwischen der Leitung und dem Coachee: •antizipieren •auch im Sinne des Auftraggebers betrachten und lösen Konsequenz: •Festlegung von Veränderungszielen (Konsequenzen?!) •Gestaltung des Coachingsettings (Flexibilität!) Bsp. Gruppencoaching: Teilnahme mehrerer Hierarchie-Ebenen => Markierung der Unterschiede => Splitting der Ebenen © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin Auftragsklärung Zur Festlegung von Interventions- bzw. Veränderungszielen muss, wesentlich deutlicher als im klinischtherapeutischen Bereich, der Einfluss der Auftraggeber des Coachings beachtet werden. Während in der Therapie üblicherweise die Krankenversicherung die Kosten trägt, um eine von Fachleuten diagnostizierte Erkrankung zu lindern oder zu heilen, wird im Coaching die Indikation dafür in der Regel nicht von medizinischem Fachpersonal gestellt, sondern von betrieblichen Akteuren, die Reibungsverluste bei Mitarbeitenden oder in Teams feststellen. Von daher ist es immer möglich, dass Coachees fremdmotiviert sind und von den betrieblichen Überlegungen zur Veränderungsrichtung abweichende Vorstellungen haben. Coaching beginnt von daher immer mit der Auftragsklärung und der Festlegung von Veränderungszielen, die mit den im ungünstigen Fall konträren Vorstellungen von z.B. Personalabteilung und Coachee kompatibel sein sollten. Mangelnde Compliance ist häufig das Ergebnis entsprechender Zieldiskrepanzen und sollte auch unter dem Aspekt unterschiedlicher Interessensgruppen immer thematisiert werden, um zu passenden Problem- und Zieldefinitionen zu kommen. Zielkonflikte mit dem Geldgeber sollten antizipiert und müssen auch im Sinne des finanziellen Auftraggebers betrachtet und gelöst werden. Wenn Berufstätige ein Coaching selbst finanzieren, um etwa ihre aktuelle Work-Life-Balance zu hinterfragen, können direkt die Aufträge der Selbstzahler angenommen und ein Problemlösevorgehen eingeleitet werden. Anders als in der Therapie sollte im Coaching immer genau auf Hierarchie-Aspekte geachtet werden, etwa vergleichbar mit der Trennung von Generationsebenen im Rahmen familientherapeutischer Interventionen. Dies ist sowohl bei der Festlegung von Veränderungszielen (Ober sticht Unter) als auch bei der Gestaltung des Coachingsettings zu berücksichtigen. Wenn es Vermischungen zwischen verschiedenen HierarchieEbenen einer Abteilung etwa dadurch gibt, dass mehrere Ebenen an einem Gruppencoaching teilnehmen, muss dies im Rahmen des Prozessverlaufs präsent bleiben. Möglicherweise kann zur Markierung der Unterschiede ein vorübergehendes Splitting der Ebenen mit entsprechenden parallelen Gruppencoachings notwendig werden. Im Behandlungsteam der Palliativstation eines Krankenhauses kam es zu massiven Konflikten zwischen und innerhalb aller Berufsgruppen und Hierarchieebenen. Ausgangspunkt der Konfliktsituation war nach Ansicht der Beteiligten, dass im Rahmen der Entwicklung der Station „Neue“ dazukamen, die kein Verständnis dafür hatten, dass diese spezielle Station von einem Team aus Ärzten und Pflegekräften gemeinsam „ins Leben gerufen“ wurde und damit etwas ganz Besonderes ist. Für die „Neuen“ war indes völlig unklar, bei wem welche Zuständigkeiten lagen. Um die beruflichen und hierarchischen Grenzen auch im Setting zu markieren, wurden über mehrere Sitzungen parallel verlaufende Gruppencoachings, getrennt für die Ärzte und das Pflegepersonal, durchgeführt. 20 Gliederung 1.Definitionen 2.Ziele 3.Strategien 4.Diagnostik / Ethik © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 21 Diagnostik bei betrieblichem Coaching Rahmenbedingungen I • • • • • Arbeitsplatzsituation Stellenbeschreibung formale Kompetenzen informelle Rollenzuschreibung Betriebsklima 22 Diagnostik bei betrieblichem Coaching Rahmenbedingungen II • • • • • Organigramm Unternehmensleitbild arbeitswissenschaftlich fundierte Screenings Kenntnisse typischer Stressoren und Ressourcen Begehungen 23 Diagnostische Fragen Betriebsbegehungen: Exploration der Lebensumstände vor Ort gehört zum diagnostischen Standardrepertoire der Verhaltenstherapie è arbeitswissenschaftlich fundierte Screenings, die auch psychische Belastungen und Ressourcen berücksichtigen Basiswissen •betriebliche Standardinstrumente (z.B. Zielvereinbarungen, Rückkehrgespräche) •organisationspsychologische Konzepte © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 24 Ethische Fragen Transparenz, Plausibilität, operationalisierte Ziele è Kontrolle der Tendenzen, aufgrund attraktiver Entlohnungen den Coachingprozess auszudehnen Differentialindikation Coaching vs. Therapie: •diagnostische Fragen reflektieren •keine Bagatellisierung klinisch auffälliger Störungen •keine Verzögerung einer notwendigen Psychotherapie Faustregel für eine „Therapie-vor-Coaching-Situation“: gravierende eigene psychische Probleme, die die Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt behindern © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin Finanzierung und ethische Fragen Transparenz, Plausibilität im Vorgehen sowie auf Verhaltensebene operationalisierte Ziele sind Kennzeichen kognitiv-behavioraler Ansätze. Von daher sind Tendenzen, aufgrund attraktiver Entlohnungen den Coachingprozess auszudehnen, kontrollierbar. In Bezug auf das Problem der Differentialindikation Coaching vs. Therapie und der Tatsache, dass Therapie meist deutlich schlechter bezahlt wird, erscheint es sinnvoll, immer wieder diagnostische Fragen zu reflektieren. Es darf nicht zu einer Bagatellisierung klinisch auffälliger Störungen und damit zur Verzögerung einer notwendigen Psychotherapie kommen. Entsprechend könnte eine Faustregel lauten: Immer dann, wenn Ratsuchende zunächst gravierende eigene psychische Probleme bewältigen lernen müssen, bevor sie sich mit ihrer Arbeitswelt auseinandersetzen können, ist das ein Hinweis für eine „Therapie-vorCoaching-Situation“. Bei Ratsuchenden, die die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung erfüllen, ist diese Entscheidung meist nur von erfahrenen PsychotherapeutInnen im Verlauf des Beratungsprozesses zuverlässig zu treffen. Approbierte PsychotherapeutInnen stehen hier unter einer besonderen ethischen Verantwortung. 25 Ich sitze auf dem Rücken eines Mannes, würge ihn, zwinge ihn, mich zu tragen, und versichere mir und anderen dabei, dass er mir schrecklich leid tut und ich ihm sein Los durch jedes nur erdenkliche Mittel zu erleichtern wünsche - außer von seinem Rücken zu steigen. (aus: Was sollen wir denn tun?, Leo N. Tolstoi, 1886) 26 Quelle: Leidig, S. (2007). Kognitive Verhaltenstherapie im Coaching. Psychotherapie im Dialog, 3/8, 239-243. © 2012 Dr. Stefan Leidig, Berlin 27