„Kein Spur von Willkür!“ Zu Anton Weberns Vier Stücken für Geige und Klavier, op. 7 Heike Frey Opus 7 entstand im Sommer 1910 auf dem Preglhof, dem von Webern sehr geliebten Kärntner Domizil der Familie, zusammen mit den beiden RilkeLiedern op.8. Unmittelbar zuvor hatte Webern wieder eine Kapellmeisterstelle (diesmal in Teplitz) fluchtartig verlassen. Das Werk gehört zur Phase der äußersten Verdichtung und Konzentration in Weberns Schaffen, die mit op. 5 anhebt und bis op. 11, den Drei Stücken für Cello und Klavier, fortgesetzt wurde. “Alle Werke, die seit dem Verschwinden der Tonalität bis zur Aufstellung des neuen Zwölftongesetzes geschaffen wurden, waren kurz, auffallend kurz. – Was damals Längeres geschrieben wurde, hängt mit einem tragenden Text zusammen ( ... ) ‚ also eigentlich mit etwas Außermusikalischem. – Mit der Aufgabe der Tonalität war das wichtigste Mittel zum Aufbau längerer Stücke verlorengegangen.“1 Webern hat die Stücke op. 7 noch einige Male überarbeitet; manche Manuskripte sind mit “Op. 6 Nr.1“ bezeichnet, sie dünkten ihn ursprünglich zu kurz als eigenständiges Werk. Ein Manuskript trägt den Zusatz “Endgültige Fassung, Sommer 1914“. Zu der Zeit wollte die Universal-Edition das Werk veröffentlichen, was aber durch den Beginn des ersten Weltkrieges vereitelt wurde, es erschien dann erst 1922. Andere Verlage lehnten den Druck ab, so Simrock 1912 trotz eines Empfehlungsschreibens von Schönberg. Aber das erste Stück aus op. 7 wurde im März 1912 in der Zeitschrift des akademischen Verbandes für Literatur und Musik in Wien “Der Ruf“ abgedruckt, als erstes veröffentlichtes Webernsches Werk überhaupt. Die Uraufführung fand am 24. April 1911 in Wien unter ungünstigen Bedingungen anlässlich eines Konzerts mit Werken der Schönberg-Schüler Berg, Horwitz und Webern statt. Einen Tag zuvor hatte der Geiger Arnold Rose unvermutet die Teilnahme seines Quartetts abgesagt. So bestritt Eduard Brunner, Primarius des Ersatzquartetts, den Violinpart, Webern war am Klavier. Das gesamte Konzert verlief ausgesprochen unerfreulich und der Kritiker vom “Wiener Extrablatt“ erging sich in üblen Schmähungen. Später wurden die Vier Stücke, vor allem in Schönbergs „Verein für musikalische Privataufführungen“, erfolgreich aufgeführt. Hindemith, dessen Amar-Quartett in den zwanziger Jahren die Werke Weberns sehr gepflegt hatte, zeigte sich stark beeindruckt von op. 7. “Es ist dem frühen Webern die Erkenntnis zu verdanken, daß aufs höchste gesteigerte Expression nicht in der ständigen Vergrößerung. Aufblähung von Musik, sondern gerade im Gegenteil, im äußerst reduzierten Konzentrat zu erreichen ist.“2 Diese Reduktion lenkt die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Elemente der Komposition, jeder Klang und jede Tonbeziehung sollen in ihrer ganz spezifischen Eigentümlichkeit wahrgenommen werden. Das korrespondiert mit den zeitgenössischen Entwicklungen des Expressionismus in Literatur, Bildender Kunst und Architektur. Peter Altenburg, dessen Postkartentexte von Alban Berg vertont wurden, schrieb bereits 1901 in einer Textsammlung: “Meine kleinen Sachen [...] sind Extrakte! Extrakte des Lebens, […] vom Überflüssigen befreit wie das Rind im Liebig-Tiegel!“3 Es ging um das Streben nach Wahrhaftigkeit; nach den dicken Klangschichten wurden Klarheit und Transparenz ästhetische Ideale. Schönberg formuliert am Ende der “Harmonielehre“ seine Vorstellungen einer Klangfarbenmelodie: “Ich finde, der Ton macht sich bemerkbar durch die Webern, Anton: Der Weg zur Neuen Musik. (Hgg. v. Willi Reich). Wien (Universal-Edition) 1960, S. 57f 2 Schulz, Reinhard: Über das Verhältnis von Konstruktion und Ausdruck in den Werken Anton Weberns (Studien zur Musik, Bd. 1, hgg. von Rudolf Bockholdt). München (Fink) 1982, S. 134 3 zit. nach Eggebrecht, Hans Heinrich: Musik im Abendland. München (Piper) 1991, S. 791. 1 Klangfarbe, deren eine Dimension die Klanghöhe ist. […] Ist es nun möglich, aus Klangfarben, die sich der Höhe nach unterscheiden, Gebilde entstehen zu lassen, die wir Melodien nennen, Folgen, deren Zusammenhang eine gedankenähnliche Wirkung hervorrufen, dann muß es auch möglich sein, aus den Klangfarben der anderen Dimension, aus dem, was wir schlechtweg Klangfarbe nennen, solche Folgen herzustellen.“4 Weberns Sechs Stücke für großes Orchester op.6 behandeln die Instrumente bereits im Sinne dieser Idee der Klangfarbenmelodie, in op.7 wird vor allem die Geige in Bezug auf ihre klanglichen Möglichkeiten äußerst differenziert eingesetzt, jeder neue Einsatz bringt eine andere Vortragsart und Farbe. Der herkömmliche Zusammenklang von Geige und Klavier ertönt nur selten, am ehesten noch im zweiten und vierten Stück. “[Die Interpretation] muß gegen Normalklänge so spröd sich zeigen wie der Notentext, in den extremen Spielweisen zumal der Geige tatsächlich ins Extrem gehen, ohne Angst vorm Geräusch, ohne Rücksicht auf mittleren Wohllaut, ja zuweilen selbst aufs akustische Ansprechen und die Vernehmbarkeit; an den Stellen, wo man schon fast nichts mehr hören soll, ist das Gar nichts immer noch genug. Das Klavier wird noch nicht ebenso verfremdet, muß jedoch wenigstens über eine ungemäßigte dynamische Skala vom dreifachen Forte bis zum dreifachen Pianissimo verfügen, darf ebenfalls vorm Leisesten nicht zurückschrecken.“5 Eine eigene Violinstimme erscheint bei op. 7 nicht im Druck, das diffizile Zusammenspiel ließe eine andere Vorlage als die Partitur auch gar nicht zu (erinnert sei an das Kolisch-Quartett, das stets aus der Partitur zu spielen pflegte und bei Aufführungen grundsätzlich auswendig). Zu Tempo und Metrik Die Tempofolge der Vier Stücke op. 7 lautet sehr langsam – rasch – sehr 4 5 Schönberg, Arnold: Harmonielehre. Leipzig (Universal Edition) 1911, S. 471. Adorno, Theodor W.: Der getreue Korrepetitor. Frankfurt/Main (Fischer) 1963, S. 303. langsam – bewegt, wobei die beiden schnellen Stücke mehrfache Tempoverbreiterungen aufweisen, ständige Taktwechsel kennzeichnen alle vier. In den langsamen Stücken ist die Geige mit Dämpfer zu spielen, so dass mit dem Tempowechsel auch ein Wechsel des klanglichen Duktus einhergeht. Die Metrik ist, nicht nur aufgrund der Taktwechsel, stark verschleiert. Die häufige Verwendung von Achtel- und Vierteltriolen, Quintolen und Septolen, der Einsatz auf “ungewöhnlichen“ Taktzeiten – die Einteilung in schwere und leichte Taktzeit greift nicht mehr – , häufig finden sich Triolenbildungen mit einem neuen Einsatz auf dem zweiten oder dritten Triolen-Achtel oder – Viertel, z.B. in Nr.1 Takt 3 die Einsätze von linker und rechter Hand im Klavier und der Geige, einen Takt später zwei Viertel in der linken, Vierteltriolen in der rechten, davon eine als halbe Note‚ die bereits von Takt 3 an ein Achtel übergebunden ist und die Geige spielt dazu Synkopen (s. Notenbeispiel 1), taktübergreifende Bindungen sowie Tempoveränderungen führen zu einem schwebenden Eindruck; ein fester Boden, darauf Schritte zu machen, fehlt, das Taktgefüge ist aufgelöst. Notenbeispiel 1: I, T. 3-4 Charakteristische Klänge Konstitutiv für op.7 sind Halbtöne und ihre Oktavtranspositionen, der melodische Verlauf und die Akkorde sind geprägt von Sekunden, Septimen, verminderten und übermäßigen Oktaven. Die vertikale und horizontale Ebene der Musik sind miteinander verzahnt, melodieartige Tonfolgen erweisen sich als sukzessive Anordnung dessen, was zuvor als simultaner Akkord erklang (s. Notenbeispiel 2). Notenbeispiel 2: II, T. 18 (Klavier) Auffallend sind die chromatischen, z. T. auch diatonischen Dreitonfelder, wobei der dritte Ton, der zuvor in der Tonhöhe von oben und unten angesteuert wird, die Mitte bildet (vgl. Notenbeispiele 3, 4 und 5) Notenbeispiel 3: I, T. 8 (Violine) Notenbeispiel 4: I, T. 3 (Klavier li. Hand) Notenbeispiel 5: II, T. 3-4 (Violine) Ein weiteres Charakteristikum sind vier- bis siebentönige kurze Phrasen, auf- oder absteigend, die z. T. durch mehrere Oktaven verlaufen (vgl. Notenbeispiele 6 und 7). Notenbeispiel 6: I, T. 7 (Klavier re. Hand) Notnbeispiel 7: IV, T. 13 (Violine) Obwohl sich die Musik “von der Hegemonie eines tonalen Mittelpunktes losgesagt“6 hat, gibt es so etwas wie einen zentralen Ton für die vier Stücke, den Ton es. Vor allem in Stück I tritt er deutlich hervor, vermutlich um mit dem Klangcharakter vertraut zu machen, in die es-Klangwelt einzuführen. Eine adäquate Verwirklichung der Stücke stellt hohe Anforderungen an die Ausführenden. Mit einem fröhlichen Ungefähr wird man der Flüchtigkeit und Subtilität der Gestalten nicht gerecht. „[...] alles Einzelne, jeder Ton, jeder Rhythmus [gewinnt] eine Relevanz wie nie zuvor, und will deshalb so angefaßt werden, als hinge vom kleinsten Akzent die ganze Welt ab. Die Interpretation wird mit äußerster Verantwortung belastet; worüber die Aufführung sonst hinwegeilen, was sie im Verlauf wiedergutmachen könnte, wandelt sich ins einmalig Unwiederbringliche.“7 Die Vortragsbezeichnungen sind äußerst penibel, es gibt keinen Ton, der nicht deutlich “kommentiert“ ist, dabei sind die Pedalanweisungen für den Moldenhauer, Hans und Rosaleen: Anton von Webern. Chronik seines Lebens und Werkes. Zürich (Atlantis) 1980, S. 278. 6 Klavierpart karg. Die Vier Stücke I – sehr langsam Mit neun Takten ist das erste das kürzeste der Stücke op. 7 (die Spieldauer von Nr. I und Nr. IV sind annähernd gleich lang), als Tempo ist Achtel = ca. 50 vorgegeben. Die Dynamik reicht von ppp bis zu crecendiertem pp (bei gedämpfter Geige), die ganze Atmosphäre ist äußerst verhalten. Zu dem Verhaltenen trägt auch die Mittellage der Geigenstimme bei, Höhen und Tiefen bleiben ausgespart. Gleichsam aus dem Nichts kommt das unwirkliche Quartflageolett der Geige, wird etwas stärker (kommt räumlich empfunden näher heran) und verschwindet wieder, dazu erklingt auf dem Crescendo-Höhepunkt ein weicher Klavierakkord auf a (die Denkkategorie „a ist Tritonus zu es, eine Dissonanz“ ist für diese Musik außer Kraft gesetzt, die Farbe und die Atmosphäre des Klangs sind von Belang). Quartflageoletts verlangen normalerweise einen kräftigen Strich, damit die Bogengeräusche nicht alles andere übertönen; bei den sehr langsamen fünf Vierteln der Takte 1 bis 3 ist ein sorgsam kultivierter “gesponnener Ton“ nötig. In das letzte Viertel des Eröffnungsklangs setzt das Klavier neu ein mit einem fünf Oktaven tieferen Es, einer chromatischen Dreitonfigur, die oktavtransponiert ist. In Takt 4 werden Es und f augmentiert wiederholt, mit As und c wird die melodische Phrase zu Ende geführt. Die Geige greift den Duktus der Phrase auf, spielt espressivo eine Gegenstimme dazu. Die beiden Außenstimmen verwenden die sieben chromatischen Töne d-es-e-f-ges-g-as, der Endton dieser Phrase, das c (im Klavier) ist dabei als einziger nicht durch einen Halbtonschritt an das chromatische Feld angeschlossen. Zu den homogenen Außenstimmen spielt die rechte Hand in der Mittellage 7 Adorno: a.a.O., S. 302. Terz-Sept-Klänge, die schrittweise nach oben und wieder zurück rücken, dabei werden sie rhythmisch augmentiert und wieder diminuiert. Die erste Rückung ergibt den Akkord von Takt 2 um eine Oktave nach unten versetzt. Das Rahmenintervall ist immer eine große Sept bzw. in Takt 5 auf Zählzeit 2 bis Takt 6,1 eine verminderte Oktave (was bekanntlich enharmonisch das gleiche ist). Die letzte Rückung führt den mittleren der drei Akkordtöne allerdings nicht vom d‘ parallel nach unten zum cis, sondern hinauf zum es‘ – zum einen, um das es‘‘ der Geige hervorzuheben, zum anderen in Bezug auf den Schlussakkord. Die drei Stimmen verlaufen nicht synchron, die Geige beginnt ihren nächsten Abschnitt, ein col legno gespieltes cis-es-Ostinato, während ihre Gegenstimme im Bass den Schlusston c des gemeinsamen chromatischen Feldes spielt. Die Akkorde der Mittelstimme reichen noch bis ins orgelpunktartige Kontra-Fis der linken Hand hinein – wieder sind die Außenstimmen (Geige und linke Hand des Klavierparts) homogen, jetzt mit einem Liegeklang, die zeitliche Ausdehnung ist nun jedoch vertauscht, der Geigenklang länger als der Klavier-Bass. Durch die verschobenen Einsätze und unterschiedlichen Längen überlappen die Gestalten. Nur der dynamische Höhepunkt des Stücks verläuft in allen drei Stimmen synchron, er wird am Scheitelpunkt der Akkordrückungen der rechten Hand erreicht. Zu dem Liegeklang spielt die rechte Hand “äußerst zart“ und mit Pedal eine fünftönige Abwärtsfigur (dabei erklingen höchster und tiefster Ton des Stücks gleichzeitig), die wieder auf den Anfangsakkord aus Takt 2 verweist: bis auf das f‘ sind es die um einen Halbton erniedrigten Töne in zeitlichem Nacheinander. Wie in Takt 5 die linke Hand endet in Takt 8 die rechte auf c. Das Geigen-Ostinato entpuppt sich als Umspielung von d‘’. Der Bass fällt vom es zum E, das Pizzicato es‘‘-d’’ der Geige ist sowohl Diminution des Basses als auch Echo des Ostinato-Schlusses. Über dem kaum noch hörbaren Bass-E erklingt zum Schluss der Quartsextakkord b-es-g, verweist auf den Anfang zurück, da er eine Schrumpfung, Zusammenziehung des ersten Akkordes ist. Dieser Quartsextklang strahlt für mein Empfinden eine große Wärme und Freundlichkeit aus, ihm eignet etwas Versöhnendes. II – rasch Im Gegensatz zum verhaltenen, flächigen ersten Stück ist das zweite ausgesprochen disparat und sprunghaft. Es umfasst ein sehr weites Spektrum musikalischen Ausdrucks bezüglich Lautstärke, Tonumfang, Tempoveränderung und Spieltechnik, dabei zerfällt es aber nicht vor lauter Zerrissenheit, sondern ist sehr vital. Mit 24 Takten ist es das längste Stück aus op. 7. Dieses Stück durchziehen Oktavverhältnisse: reine, verminderte und übermäßige Oktaven (transponierte Halbtonbeziehungen). Außerdem fallen die rasanten Auf- oder Abwärtsläufe ins Auge. Das Klavier ist in linker und rechter Hand oft kongruent. Das Zusammenspiel zwischen Geige und Klavier erfordert äußerste Präzision, bei den “Stichworten“, die die Instrumente einander oft geben, müssen die Anschlüsse lückenlos klappen, die Stimmen spielen sich die Töne oder melodischen Bögen zu – die Äußerste Steigerung dessen findet sich in der Schlussgruppe. Das Stück gliedert sich in zwei Teile: nach dem Verstummen in der Tiefe in Takt 12/13 (genau die Mitte des Stücks) hebt ein reprisenähnlicher Teil an. Die dynamischen Höhepunkte in Takt 5 und Takt 20 (der der fünftletzte Takt ist) sind an dem Nadir in der Mitte gespiegelt. Eine Triolen-Tremolo-Pizzicato-Figur der Geige prägt die ersten eineinhalb Takte, die Dynamik wird dabei vom ppp bis zum ff geführt. Das Klavier spielt dagegen Duolen (wobei der Tonhöhenwechsel als Entsprechung zum Farbwechsel Tremolo – Pizzicato angesehen werden kann), bis zum ff elf chromatische Töne, nur das a, das in der Geige ertönt, wird ausgelassen. Die Akkorde sind optisch wundersam gleichmäßig angeordnet, aufgebaut aus es-g-c-gis, die Außenstimmen spielen schwarze, die Innenstimmen weiße Tasten. Der letzte Akkord vor dem Aufwärtslauf lässt die Hände zusammenrücken, die Tastenverteilung wird getauscht, g und gis wechseln die Plätze. Die Oktavversetzung führt die Hände komplementär, bei den übergebundenen Akkorden werden sie gespiegelt. Der auseinander gezogene Quintolen-Lauf crescendiert zum sff c’’', das den Einsatz für das gestrichene g der Geige im ff gibt, die schwingende leere Saite (zweieinhalb Oktaven tiefer, einen Ganzton höher als der Beginn des Klavierlaufs auf f), die melodische Figur verwendet nur Töne, die zuvor im Klavier erklingen, die Bewegung ist ein Auf- und Abstieg. In das sonore tiefe g der Geige fällt das Klavier dreieinhalb Oktaven höher auf h‘’’ ein mit einem Triolenlauf abwärts, beide Instrumente spielen, wenn auch zeitlich versetzt und verschiedenartig, gleichgerichtete Bögen. Auf 1+ in Takt 3 kommt im Klavier wieder ein spiegelsymmetrischer Akkord, bestehend aus zwei großen Sexten, der Bass-Akkord stammt aus der rechten Hand in Takt 2 auf 1+ (gleichzeitig ist das b auch die Spiegelung von es an g, beide sind eine kleine Terz von g entfernt), a und fis entstammen dem Triolenlauf (außerdem erhält man fis, wenn man das c am a nach unten spiegelt, es ist ebenfalls eine kleinen Terz). Das Klavier, beschleunigt auf Zweiunddreißigstel-Triolen, beginnt eine neue Rakete, die zum sfp gespielten d’’’ der Geige führt; das Tempo verbreitert sich, die Geige bringt immer über d‘’’ bei wachsender Lautstärke eine chromatische Umspielung von h‘’. Das Klavier spielt sechstönige Akkorde, bei denen analog zu den Takten 1 und 2 wieder die Verteilung der schwarzen und weißen Tasten gespiegelt ist. In der rechten Hand sind es lauter Quart-Sext-Akkorde, in der linken Hand Akkorde aus Terz und übermäßiger Quart, die durch Sekund-Rückung auseinander- und wieder zusammenstreben. Sie sind entstanden aus der Triolenfolge: die linke Hand ist um einen Halbton nach unten gerutscht, die rechte ist um je einen Halbton auseinander gegangen. In Takt 4 verlaufen die Akkorde nicht mehr synchron und gespiegelt, sondern streben weiter auseinander, auch in sich selbst. Auf Zählzeit 3 kommt ein ff-Akkord aus acht Tönen, die linke Hand hat als Rahmenintervall g-as, eine kleine None, die rechte d-cis, eine große Sept, beide Intervalle sind um einen Halbton von einer reinen Oktave entfernt . Auch die Binnentöne dieses Akkords beschäftigen sich mit der Oktave‚ es sind links h und es sowie rechts e und b. Zuvor bei der gespiegelten Akkordreihe ist es ebenso, zwischen linker und rechter Hand ergeben sich stets alterierte Oktaven (g-gis, b-h, c-cis und auch eine reine Oktave auf a). Der achttönige Akkord stellt so etwas wie eine Zusammenfassung von Triolenlauf und erstem Akkord dar, wobei das gis zu as umgedeutet wird. Der letzte Akkord in Takt 4 ist eine Schrumpfform des vorigen, lauter Sekunden nebeneinander. In Takt 5, dem ersten dynamischen Höhepunkt, bricht das Zusammengezogene wieder auseinander. Das Tempo wird auf Viertel = 72 verlangsamt, die Stimmen setzen von oben nach unten kurz nacheinander ein, die Geige spielt breite Oktavdoppelgriffe in hoher Lage nach unten strebend, was sich – analog zu der Figur in den Takten 3 und 4 – als chromatische Umspielung des oktavierten fis in Takt 6 erweist; rechte und linke Hand des Klaviers spielen verwandte melodische Figuren, nach oben gerichtet und den Tonumfang ausweitend (die linke dehnt von 1 1/2 auf 2 ½ Oktaven, die rechte von großer Sekunde auf verminderte Oktave). Mit Takt 6 sind wieder p bzw. pp (in der rechten Hand) und das Ausgangstempo Viertel = 112 erreicht, dabei beginnt in Takt 6 aber kein neuer Abschnitt, es darf keine Zäsur eintreten. Das Oktav-e, das in der Geige erwartet wird, kommt in der rechten Hand des Klaviers, wo es in dem me1odischen Bogen, der in Takt 5 beginnt, weitergeführt wird. Der Aufschwung in der linken Hand führt zu Staccato-Triolen, die – auch mit der rhythmischen Verschiebung in Takt 7 – an den Anfang in der Geige erinnern und (die chromatische Halbton-Rückungl) an die Akkorde der Takte 3 und 4. Tempo 1 wird schon auf Zählzeit 2 durch ein Ritardando wieder zurückgenommen. Auch das Geigen-Pizzicato knüpft an die eben genannten Motive an, so ergibt sich eine Klangfläche aus linker Hand und Geige in gleicher Tonhöhe und darüber spielt die rechte Hand eine Kantilene. In den verklingenden Schluss dieser Phrase, weit auseinander gezogen über dem Kontra-Es, setzt die Geige (“sehr zart“ ‚ langsameres Tempo wieder wie in Takt 5) mit einer melodischen Gestalt ein, die den Ton es chromatisch umspielt. Im Bass erklingt es, dann in Oktavgriffen c, wieder es und a, dazu spielt die rechte Hand den Sext-Akkord c-e-a, der zu fis-d-b gedehnt wird, beim zweiten Mal zu h-d-b, womit wieder eine reine Oktave mit einer verminderten zusammen erklingt; die Sexten sind bekannt aus Takt 3 und aus dem acht-tönigen Akkord in Takt 4. Takt 9 bis 11 knüpfen an den Anfang des Stückes an. Das Klavier hat als zentralen Ton das c, es wird von oben und unten durch Halbton und kleine Terz umklammert, in die Pause zwischen den ppp zu spielenden Akkorde kommt im Forte dieser zentrale Ton von der Geige, dabei „gerissen“ und col legno gespielt. In die zweite Pause, wenn das A im Bass liegen bleibt (a wird verdoppelt und bereitet das Kontra-As vor, die rhythmische Verschiebung ist die gleiche wie zu Beginn und in den Takten 6 und 7), spielt die Geige im Fortissimo eine Aufwärtsfolge b-d-h-cis: zum einen ist dies die Umspielung des c erst in der großen und dann in der kleinen Sekunde, zum anderen ist es die sukzessive Abfolge des Mittelstimmen-Akkordes aus den Takten 8 und 9. Das leise Quartflageolett – das Tempo hat sich auf Viertel = 48 verlangsamt – greift zwar c, lässt aber g‘’ erklingen. Daran schließt sich im Klavier ein KontraAs (welches das Kontra-A und das Flageolett-g zu einem chromatischen Dreitonfeld ergänzt). Die verfremdete Geigenfigur (ppp und am Griffbrett) umspielt wieder das c, das in chromatisierter Oktave in der rechten Hand erklingt. In Takt 12/13 verstummt das Stück in der Tiefe auf Subkontra-h im dreifachen Pianissimo, rechte Hand und Geige pausieren. Die Figur, mit der die linke Hand abtaucht, ist die umgekehrte Dreitonfigur der Geige aus Takt 10. Die Fermate dieses Verstummens darf nicht zu lange gehalten werden, damit das Stück nicht zerfällt. Der reprisenartige zweite Teil beginnt im Anfangstempo und in „normaler“ Tonhöhe, aber ppp. Das Klavier spielt dicht beieinander liegende Sexten. Durch die Triolenwechselnote erklingt die Oktave auf g (mit as dazwischen). Die Töne lassen sich wieder aus dem Anfang herleiten. Der Akkord am Ende des Taktes hat als Rahmenintervall die Töne der rechten Hand vom Taktanfang, er ist eine Kontraktion des vorigen. Rechte Hand und Geige dialogisieren, die Figur entstammt Takt 12. Takt 15 bis 17 ist die Entsprechung zu Takt 6 und 7, jetzt ist aber statt eines Ritardandos ein durchgehendes Accelerando vorgeschrieben, das bis zum dynamischen Höhepunkt dieses Teils in Takt 20 reicht. Damit verläuft die Tempoentwicklung spiegelsymmetrisch, hier wird von Viertel = 72 bis zu Tempo 1 beschleunigt, während vorher umgekehrt vom Ausgangstempo bis auf dieses Tempo verlangsamt wurde. Das Pizzicato verläuft unruhig, sowohl durch die Pausen (was wieder eine rhythmische Verschiebung bewirkt) als auch durch den Ansatz nach jeder Sechzehntel-Pause um einen Halbton abwärts oder aufwärts, einer Figur gleichsam wie eine unregelmäßige Treppe. Sie umfasst die Doppeloktave von es‘‘‘ bis es, das erste es-h wird zu e-c erhöht eine verminderte Oktave tiefer, die anderen Schritte bleiben gleich. Die Dynamik strebt weit auseinander, der Lauf steigert sich bis zum ff, während das Klavier ins ppp zurückgeht. Die Akkordrepetition in Takt 18 im Klavier ist rhythmisch vertrackt verschoben (Echo des Pizzicato), das Ausgangsintervall der kleinen None f-ges zieht sich zur kleinen Sept cis-h zusammen, in der Mitte ist die Oktave auf g, die Akkorde werden am Ende des Taktes als Abwärts-Arpeggio gespielt, während zuvor die Geige die kleine Sept cis-h aufgreift und mit einem Sechzehntellauf nach oben führt. Die Violinfigur in Takt 18/19 ergibt das chromatische Dreitonfeld gas-a, das diminuiert wiederholt wird und dann abbricht, das Klavier spielt rhythmisch und harmonisch ineinander verzahnte Akkorde. Die auftaktige Oklave es führt zum Fortissimo-Takt 20, der Parallele zu Takt 5. Der erste Klavierakkord umfasst die kleine None fis-g, die Geige die kleine Sept g-f (ähnlich wie in Takt 18), das Klavier spielt lauter parallele kleine Nonen bzw. übermäßige Oktaven und führt die abgerissene Violinfigur aus Takt 19 zu Ende. Takt 20 ergibt ein chromatisches Neun-Ton-Feld, nur c und die beiden Nachbarhalbtöne h und cis kommen nicht vor (zu Beginn des Stückes waren es 11 Töne. es fehlte allein das c). In Takt 21 setzt die Geige mit c und h ein, gestrichen, dynamisch zurückgehend, während das Klavier im sfff die letzte kleine None anschlägt. In den Takten 22 und 23 spielt auch das Klavier in beiden Händen melodische Phrasen, das noch fehlende cis ertönt. Alle drei Stimmen spielen gleichzeitig Ähnliches – ein Novum in diesem Stück! Auf das Ritardando und den dynamischen Rückgang ins pp folgt der grandiose Schluss des Stücks, der gleichsam ein Resümee des Zusammenspiels ausdrückt, äußerste Verdichtung darstellend. Das Tempo ist das gleiche wie zu Beginn des Stückes, die Dynamik strebt stark auseinander: die Geige steigert sich bis ins Fortissimo, das Klavier endet nach einem sfSechzehntel im Piano. Durch eine winzige gemeinsame Sechzehntelpause behält die Figur ihre berstende Kraft, wird nicht zum bloß nachklappernden Echo, sondern setzt einen dezidierten präzisen Schluss. Die Fülle der Beziehungen in diesem Stück ist immens. Das Streben nach Zusammenhang – das Schlüsselwort ist „Fasslichkeit“ – stellte immer ein besonderes Anliegen für Webern dar: “Keine Spur von Willkür!“8‚ „[…] Unerhörtes geschieht, und es ist doch immer wieder dasselbe! Jetzt sehen Sie schon, wohin ich da hinaus will. – Goethes Urpflanze: Die Wurzel ist eigentlich nichts anderes als das Blatt, das Blatt wiederum nichts anderes als die Blüte: Variationen desselben Gedankens. … Sie werden das nicht wahrnehmen, wenn das einer spielt; und es ist vielleicht gar nicht wichtig, aber es ist Zusammenhang.“9 III – sehr langsam Das dritte Stück ist eine Art Adagio, vom Zeitmaß her das langsamste von op. 7‚ es umfasst 14 Takte. Das Tempo ist mit Sechzehntel =ca. 60 angegeben und erfährt keinerlei Veränderung. Die Faktur ist sparsam, übersichtlich (im Gegensatz zum unruhigen zweiten Stück). Die Lautstärke bleibt durchgehend im ppp oder noch dahinter zurück. Die Geige – wieder mit Dämpfer – bleibt in tiefer Lage, höchster Ton ist h’. Der 8 9 Webern: Der Weg zur Neuen Musik. A. a. O., S. 11. Ebd., S. 56. Violinpart wird ausschließlich auf G- und D-Saite gespielt und nutzt keinen „normalen“ geigentypischen Klang (Takt 1 bis 3 ganz gerade und ohne Vibrato, Takt 4 am Steg, Takt 6 bis 9 col legno, Takt 10 und 11 kaum hörbar am Steg). Das Stück hat eine geheimnisvolle Ausstrahlung wie eine Erinnerung (Adornos Assoziation ist “das Nachbild einer fernen Katastrophe“10. Zum liegenden a der Geige tupft das Klavier einen Halbton tiefer das b (der lange Anfangston erinnert an den Beginn des ersten Stückes, dauert aber fast doppelt so lang), mit dem as‘ der rechten Hand in Takt 3 ergibt sich ein chromatisches Dreiton-Feld, bei dem diesmal der umspielte Mittelton zuerst erklingt. Von Takt 3 bis Takt 8 ist die rechte Hand im Klavier die melodische Haupt- und Oberstimme. Die Figur der Geige in Takt 4 steht in imitatorischer Beziehung zu der ersten melodischen Phrase des Klaviers in den Takten 3 bis 5, sie wirkt sehr wehmütig mit ihren beiden Halbtonschritten abwärts (phrygisch!). Zusammen mit dem as im Klavier ergibt sich wieder das chromatische Dreiton-Feld, gleich darauf noch einmal, rechte Hand geht zum b, da hinein tropft das a der linken Hand in gleicher Lage. Die drei Staccato-Töne sind eine Art Fortsetzung der Geigenphrase. Der Auftakt des zweiten Melodieabschnitts ist eine Halbtonrückung der vorigen Töne. Der Kontra-F-Orgelpunkt wird durch das f der rechten Hand ausgelöst. Zusammen mit dem Basston ergibt die Hauptstimme ein sechstöniges chromatisches Feld. Das Ostinato-Motiv der Geige besteht aus zwei Quarten übereinander, die um einen Halbton versetzt sind, wobei das Rahmenintervall auch eine Halbtonspannung ergibt. Die Motive laufen rhythmisch versetzt durch die Triolen, bis am Ende wieder die Ausgangslage erreicht ist. Der Liege-Akkord der linken Hand, der aus drei kleinen Sekunden (das Dreiton-Feld des Anfangs ist um einen Halbton nach oben gerückt) besteht, bildet zusammen mit dem Pendel-Ostinato der Geige die fünftönige chromatische Skala gis-a-ais-h-c, das Ostinato selbst steht auch in 10 Adorno: Der getreue Korrepetitor. A. a. O., S. 309. Halbtonbeziehung. Die Pendelbewegung findet ihre Entsprechung im Tremolo es-ges im Baß. Der Schlussakkord der rechten Hand („kaum hörbar“, aber mit Akzent zu spielen!) hat den Liegeklang vom Bass übernommen, die Intervalle aber vergrößert. Für den Schlussklang ergeben sich die Halbtonspannungen es-e, ges-g und c-cis. IV - bewegt Das 15 Takte lange letzte Stück von op. 7 ist wie der andere schnelle Satz dynamisch sehr differenziert, das Spektrum reicht von ff bis ppp. Insgesamt ist es deutlich “glatter“, nicht so disparat wie das zweite Stück. Schulz meint: “Unwillkürlich stellt sich insgesamt die Assoziation von Ausbruch und resignativem Zurückfallen ein“11, während Adorno in dem Stück die „Idee des zweimal aufgehaltenen Fließenden, bedingt durch den Kampf gegen die Rudimente traditioneller Musik“12 ausgedrückt sieht. Das Anfangstempo Viertel = ca. 84 wird in Takt 3 auf Viertel = ca. 48 gebremst und setzt nach der Fermate in Takt 5 wieder ein, wird in Takt 8 auf Zählzeit 3 durch ein Ritardando erneut auf Viertel = ca. 48 verlangsamt, um in Takt 10 in ruhige Viertel = 60 zu münden, dieses Tempo bleibt bis zum Schluss des Stücks. Der Aufbau des Stückes ist bemerkenswert: in Takt 5 ist ein Abschnitt zu Ende, es beginnt ein neuer, der wiederum in Takt 10 endet. Die beiden Teile stehen in inhaltlichem Zusammenhang, verlaufen ähnlich (Aufwärtssprünge zu Beginn, Kontraktion und Auseinanderstreben der Klavierakkorde, analoge Tempi), aber die dynamische Entwicklung erfolgt im zweiten Abschnitt umgekehrt nicht von laut nach leise, sondern von leise nach laut, der letzte Akkord geht allerdings vom sfp ins pp; ff bleibt allein der Geige vorbehalten in diesem Stück. Die Geige beginnt im Fortissimo kraftvolle akzentuierte Sprünge, die in den Liegeton e’’’ münden. Obwohl die Sprünge nach oben gerichtet sind, sind Schulz: Über das Verhältnis von Konstruktion und Ausdruck in den Werken Anton Weberns. A. a. O., S. 90. 12 Adorno: Der getreue Korrepetitor. A. a. O., S. 310. 11 sie doch als Intervalle in sich kleiner werdend, als Skala geordnet ergeben sie d-dis-fis-g, eine enger werdende Umspielung von e. Die ausdrucksvolle Abwärtsbewegung der Geige in Takt 3 ist mit den Sprüngen aus Takt 1 verwandt. Die Tonfolge as-a-h-cis-d-es im Klavier (der Gestus des Zusammenstrebens erinnert an Takt 18 aus Stück II) bilden eine chromatische Umspielung von c und f. Beide Töne erscheinen gleichzeitig in der Mitte der Akkordreihe. Während das es’’ in der Oberstimme (Halbton zum e’’’ der Geige in Takt 1 bis 3), das D im Bass (noch ein Halbton zur Geigenstimme) und das as‘ in der Mittelstimme liegen bleiben, ergibt sich zwischen h-es-cis und dem neuen Klang c-f-h eine Pendelbewegung. Die Lautstärke ist vom Anfangsfortissimo ausgehend ab Takt 2 bis zur Fermate ins ppp gesunken. Nach der Fermate setzt das Klavier im Anfangstempo, aber am leisesten Punkt der dynamischen Skala mit einer den Anfangs-Sechzehnteln verwandten Gestalt ein. Nach den Sechzehnteln fährt das Klavier analog zur Geige einstimmig fort‚ aber mit einem äußerst kurzen Ton anstelle eines langen. Das Nacheinander der Zweiunddreißigstel g und fis wird in Gleichzeitigkeit der beiden Töne umgewandelt, und dann ziehen die Intervalle von der kleinen Sekunde ausgehend immer weiter auseinander, wobei sich die Zwischenräume zunehmend mit Tönen füllen. Der Höhepunkt des Abschnitts ist in Takt 9 erreicht, der Akkord erstreckt sich über fast 5 Oktaven vom Kontra-F bis d‘‘‘. Die künstlichen Flageoletts der Geige sind Imitation und Variation des Liegetons e’’’ und der molto espressivo-Stelle aus Takt 2 bis 4. Die Phrasierung dieser Takte ist akribisch durchdacht, besonders die Gestaltung des letzten Flageoletts. Das folgende Zusammenspiel erinnert stark an die Schlussgruppe des zweiten Stückes, nur sind hier die Rollen von Geige und Klavier – bei Beibehaltung der dynamischen Anweisungen für die Instrumente – vertauscht. Die Zusammenhänge der musikalischen Ereignisse sind nicht nur innerhalb der einzelnen Stücke sehr groß, sondern es wird in III und IV auch Bezug auf die vorigen Stücke genommen. So sind die letzten Takte von IV nicht nur als Coda des Stückes, sondern als Abgesang des ganzen Opus zu sehen. Es scheint so, als stelle diese Coda eine Zusammenfassung der “wichtigsten Elemente“ dar, eine Erinnerung (darum auch der Verbleib im pp bis pppBereich): Quartflageolett; Liegeton; die Hauptstimme in der rechten Hand des Klavier spielt zwei melodische Bögen, die sich zum einen mit Quarte, Sext und Sept, zum anderen mit Halbtonschritten beschäftigen; der Abwärtslauf der Geige wird ‚wie ein Hauch’ und verfremdet am Steg gespielt und rhythmisch verschoben wiederholt; die Außentöne d und fis haben als Zentrum das es. Am 10. August 1910 berichtet Webern Schönberg in einem Brief von seinen drückenden Sorgen und fährt dann fort: “Wie ich an meine Werke gedacht habe, ist mir wohler geworden. Mir ist bewußt geworden, daß sie gut sind. Ich meine gut auch in anderer Beziehung.“13 LITERATUR Noten Vier Stücke für Geige und Klavier, op. 7. Universal-Edition Nr. 6642. Adorno, Theodor W.: „Anton von Webern“ -In: Klangfiguren (Musikalische Schriften 1, (Gesammelte Schriften, Band 16), Hg. Rolf Tiedemann), Frankfurt/Main (Suhrkamp) 1978. Ders.: Der getreue Korrepetitor. Frankfurt/Main (Fischer) 1963. Budde, Elmar: “Musik als Sprache und Musik als Kunstwerk“. -In: Das musikalische Kunstwerk, Festschrift Carl Dahlhaus (Hg. Hermann Danuser u.a.). Laaber (Laaber-Verlag) 1988. Döhl, Friedhelm: Weberns Beitrag zur Stilwende der Neuen Musik (Berliner musikwissenschaftliche Arbeiten, Band 12, Hg. Carl Dahlhaus und Rudolf Stephan). München, Salzburg (Musikverlag Katzbichler) 1976. Eggebrecht, Hans-Heinrich: Musik im Abendland. München (Piper) 1991. Kolneder, Walter: Anton Webern. Einführung in Werk und Stil (Kontrapunkte, 13 Moldenhauer, Hans und Rosaleen: Anton von Webern. A. a. O., S. 99. 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