Infektiologie: Therapie der Lyme-Borreliose: Fakten ersetzen

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SCHLAGLICHTER 2003
Schweiz Med Forum Nr. 1/2 7. Januar 2004
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Infektiologie: Therapie der LymeBorreliose: Fakten ersetzen Mythen
Werner Zimmerli
Korrespondenz:
Prof. Werner Zimmerli
Medizinische Universitätsklinik
Rheinstrasse 26
CH-4410 Liestal
[email protected]
Die Lyme-Borreliose ist eine durch Zecken
übertragene Krankheit, welche durch Borrelia
burgdorferi sensu lato verursacht wird. Ähnlich wie die Syphilis verläuft diese Krankheit
in verschiedenen Stadien. Beide Infektionen
sprechen im frühen Stadium gut auf die antibiotische Behandlung an, während die Symptome der späten Stadien durch die Antibiotikatherapie nur wenig beeinflusst werden. Das
Ziel der Therapie der Erstmanifestation der
Borreliose, also des Erythema migrans, ist
die Kontrolle der Entzündung, die Elimination
der Erreger und somit die Verhütung der Spätfolgen. Da die Symptome der späten Stadien
(Arthritis, Neuroborreliose, Karditis) häufig
nicht oder nur ungenügend auf Antibiotika ansprechen, haben sich v.a. in der Laienpresse,
im Internet und in Selbsthilfegruppen Mythen
über die Behandlung der Lyme-Borreliose etabliert. So werden z.B. gelegentlich sehr hohe
Doxycyclindosen oder sehr lange (monatelange) oder wiederholte Antibiotikatherapien
empfohlen, ohne dass kontrollierte Studien die
Evidenz dafür geben. Es gibt im Gegenteil sogar
eine kontrollierte Studie, welche zeigt, dass der
Erfolg einer 90tägigen, teils intravenösen, teils
oralen Antibiotikatherapie einer vorbehandelten Spätborreliose nicht besser ist als derjenige
einer Plazebotherapie [1]. Anders ist die Situation bei der frühen Lyme-Borreliose, also dem
Erythema migrans. Seit den 80er Jahren ist
bekannt, dass mit einer Antibiotikatherapie
die Spätstadien wirksam verhindert werden
können [2]. Weniger klar ist jedoch die Therapiedauer, welche in den Standardlehrbüchern
mit 20 bis 30 Tagen angegeben wird [3].
Zu lange oder sinnlos wiederholte Antibiotikatherapien sind aus finanziellen und epidemiologischen (zunehmenden Antibiotikaresistenzen) Gründen unbedingt zu vermeiden. Deshalb ist die randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studie von Wormser et al. [4]
ein sehr wichtiger Beitrag zum rationalen Einsatz von Antibiotika. Sie wirft ein Schlaglicht
auf ein bisher sehr unklares Problem und definiert klar die optimale Art und Dauer der Antibiotikatherapie des Patienten mit Erythema
migrans.
In einer amerikanischen Studie wurde gezeigt,
dass von 55 Patienten mit einem Erythema
migrans, welche antibiotisch nicht behandelt
wurden, 18% innerhalb von 8 Wochen an
Arthralgien, 51% innerhalb von 2 Jahren an
einer limitierten Arthritis und 11% an einer
chronischen Synovitis litten [5]. Damit wird
einerseits klar, dass diese Patienten unbedingt
antibiotisch behandelt werden müssen und
andererseits, dass die Beobachtungszeit zur
Beurteilung der Wirksamkeit dieser Therapie
mindestens 2 Jahre betragen muss. In Europa,
wo die Borreliose häufig durch andere Spezies
von Borrelia burgdorferi verursacht wird, ist
die Arthritis sicher seltener; es treten jedoch
häufiger neurologische Folgen auf. Das Ziel
der Verhinderung von Spätfolgen ist somit das
gleiche.
Die Studie von Wormser et al. [4] wurde nicht
von der Pharmaindustrie, sondern mit einem
NIH-Grant unterstützt. Dies war für das Studiendesign punkto Antibiotikawahl und -dauer
optimal, da keine Interessenkonflikte bestanden. Die Studie konnte dokumentiert blind
durchgeführt werden, wie die Patientenbefragung punkto Gruppeneinteilung nach 30 Monaten zeigte. Damit fielen die Vorurteile zu Gunsten der langen oder der intravenösen Antibiotikatherapie, welche bei der Lyme-Borreliose
besonders häufig gehört werden, weg. In
der Studie wurden zwischen 1992 und 1994
180 erwachsene Patienten mit mindestens
einem klassischen Erythema migrans (>5 cm
Durchmesser), wie es in der CDC-Falldefinition
beschrieben wird, eingeschlossen [6]. Nachkontrollen wurden periodisch bis 30 Monate
nach Einschluss gemacht. Die Patienten wurden in 3 Gruppen eingeteilt, nämlich eine erste,
welche mit einer einzelnen intravenösen Dosis
von 2 g Ceftriaxon und anschliessend 10 Tagen
Doxycyclin (2 100 mg/d) gefolgt von 10 Tagen
Plazebo behandelt wurde, eine zweite Gruppe,
welche das gleiche orale Regime, jedoch anstatt
einer Ceftriaxon- eine Plazeboinjektion erhielt
und eine dritte Gruppe, welche zusätzlich zu
einer Plazeboinjektion eine 20tägige Doxycyclintherapie erhielt. Damit konnte der allfällige
Nutzen einer liquorgängigen Einzeldosistherapie einerseits und der allfällige Vorteil einer
20tägigen gegenüber einer 10tägigen Therapie
andererseits evaluiert werden. Die eingeschlossenen Patienten wurden stratifiziert nach
solchen mit einem solitären Erythema migrans
und solchen mit Hinweis auf eine Dissemi-
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nation (multiple Erythemata migrantia oder
Allgemeinsymptome). Vor der Therapie und in
regelmässigen Abständen bis 30 Monate nach
der Antibiotikatherapie wurden die Patienten
befragt und untersucht. Die Basisuntersuchungen zeigten bei 13 bis 24% multiple Erythemata
migrantia, bei 71 bis 76% systemische Infektionszeichen und bei 44 bis 52% positive Hautkulturen. Interessanterweise hatten nur 26 bis
44% eine positive Borrelienserologie 3 bis
5 Tage nach Auftreten des Erythema migrans.
Dies illustriert, dass die Diagnose der frühen
Borreliose nicht serologisch, sondern klinisch
und anamnestisch gestellt werden muss. Nach
20 Tagen hatten 64 bis 71% eine komplette und
27 bis 36% eine partielle Heilung – ohne signifikante Unterschiede zwischen den drei Gruppen. Nach 30 Monaten waren 84 bis 90% komplett geheilt und 10 bis 13% partiell geheilt,
ebenfalls ohne Unterschied zwischen den
Gruppen. Nur ein Patient in der 10-TagesDoxycyclin-Gruppe hatte ein Versagen. Er hatte
am 18. Tag Fieber, Kopfschmerzen, Meningis-
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mus und eine Liquorpleozytose. Er konnte mit
einer zweiwöchigen Ceftriaxontherapie ohne
Residuen geheilt werden. Die Ceftriaxoneinzeldosis in der ersten Gruppe ergab keinen
Therapievorteil und 35% dieser Patienten litten
an Durchfall.
Mit dieser sorgfältig durchgeführten kontrollierten Doppelblindstudie wurde überzeugend
gezeigt, dass die zehntägige Therapie mit
Doxycyclin (2 100 mg/d) genügend ist, um
beim Patienten mit einem Erythema migrans
mit oder ohne Zeichen der Dissemination Spätfolgen zu verhindern. Weder die Verdoppelung
der Therapiedauer noch die zusätzliche Gabe
einer Einzeldosis Ceftriaxon bringen einen Vorteil. Selbst wenn ein frühes Versagen auftritt,
was bei einem von 145 behandelten Patienten
beobachtet worden ist, kann dieses ohne Spätfolgen erfolgreich behandelt werden. Angesichts dieser Studie sollte die Therapiedauer
von den vorgeschlagenen 20 bis 30 Tagen [3]
auf 10 Tage reduziert werden.
Literatur
1 Klempner MS, Hu LT, Evans J,
Schmid CH, Johnson GM, Trevino RP,
et al. Two controlled trials of antibiotic treatment in patients with persistent symptoms and a history of
Lyme disease. N Engl J Med 2001;
345:85–92.
2 Steere AC, Hutchinson GJ, Rahn DW,
Sigal LH, Craft JE, DeSanna ET, et al.
Treatment of the early manifestations
of Lyme disease. Ann Intern Med
1983;99:22–6.
3 Steere AC. Borrelia burgdorferi
(Lyme disease, Lyme borreliosis). In:
Mandell GL, Bennett JE, Dolan R, eds.
Mandell, Douglas and Bennett’s
Principles and Practice of Infectious
Diseases. 5th ed. Philadelphia: Churchill Livingstone 2000:2504–18.
4 Wormser GP, Ramanathan R, Nowakowski J, McKenna D, Holmgren D,
Visintainer P, et al. Duration of antibiotic therapy for early Lyme disease.
Ann Intern Med 2003;138:697–704.
5 Steere AC, Schoen RT, Taylor E. The
clinical evolution of Lyme arthritis.
Ann Intern Med 1987;107:725–31.
6 Steere AC. Lyme disease. N Engl J
Med 2001;345:115–25.
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