Kapitel 3 Thermodynamik 3 3 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 Thermodynamik Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thermodynamische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thermische Ausdehnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Zustandsgleichung idealer Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinetische Gastheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gasdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thermische Energie und Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschwindigkeitsverteilung der Gasmoleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hauptsätze der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Hauptsatz der Thermodynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berechnung der Wärmekapazitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle Zustandsänderungen idealer Gase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreisprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thermodynamische Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustandsänderungen realer Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Van-der-Waals’sche Zustandsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gasverflüssigung (Joule-Thomson-Effekt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phasenumwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dämpfe und Luftfeuchtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärmeübertragung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärmeleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konvektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärmestrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wärmedurchgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 175 177 179 181 185 188 188 190 192 194 194 197 201 204 212 222 229 231 232 233 236 237 245 248 248 254 258 264 3 Thermodynamik 3.1 Grundlagen 3.1.1 Einführung Die Thermodynamik beschreibt die Zustände und deren Änderung infolge der Wechselwirkung mit der Umgebung von kompliziert zusammengesetzten makroskopischen Systemen durch eine geringe Anzahl makroskopischer Variablen, wie z. B. Druck oder Temperatur, sowie durch thermodynamische Potentiale. Das System kann makroskopisch betrachtet werden. Hierbei wird das gesamte System durch makroskopisch messbare Systemeigenschaften und deren Zusammenhänge beschrieben. Dies wird als phänomenologische Thermodynamik bezeichnet, die der älteste Zweig der Thermodynamik ist. Das System kann auch mikroskopisch betrachtet werden. Hierbei werden die makroskopischen Systemeigenschaften auf die Wechselwirkungen der Systembestandteile (Atome, Moleküle) zurückgeführt. Die Beschreibung erfolgt mit den statistischen Methoden der klassischen Mechanik bzw. der Quantenmechanik. Beispielsweise erklärt die kinetische Gastheorie das Zustandekommen des Gasdrucks und ermöglicht ein tieferes Verständnis des Temperaturbegriffs. Oder es können mit Hilfe der Statistik thermodynamische Potentiale hergeleitet werden, aus denen sich alle Zustandsgrößen und Materialeigenschaf- ten (z. B. die spezifische Wärmekapazität) ergeben. In Abb. 3.1 sind diese Betrachtungsweisen gegenübergestellt. Ein thermodynamisches System kann mit seiner Umgebung in Wechselwirkung stehen. Findet kein Austausch von Energie und Masse über die Systemgrenzen statt, so ist das System abgeschlossen. Wird nur die Arbeit W (z. B. mechanische, elektrische, magnetische Arbeit) ausgetauscht, liegt ein adiabates System vor. Bei geschlossenen Systemen findet ein Austausch von Arbeit W und Wärme Q und bei offenen Systemen noch zusätzlich ein Masseaustausch statt. Die wichtigsten Erkenntnisse in der Thermodynamik sind in vier Hauptsätzen formuliert. Der erste Hauptsatz ist der Energieerhaltungssatz. Er besagt, dass die Änderung der inneren Energie ΔU durch Wärmezufuhr Q und (oder) Arbeitsverrichtung W erfolgen kann. Der zweite Hauptsatz sagt mit Hilfe des Entropiebegriffs etwas über die Richtung von Zustandsänderungen aus. Bei reversiblen Prozessen ist die Entropieänderung null; bei irreversiblen Prozessen ist sie positiv, d. h., die Wärme ist nicht vollständig in andere Energieformen umwandelbar. Von der Thermodynamik irreversibler Prozesse sind die Transportund Ausgleichsvorgänge von besonderer praktischer Bedeutung. Die Entropie S lässt sich auch mikroskopisch als Wahrscheinlichkeitsfunktion deuten (Logarithmus der Zustands- M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure. DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 176 3 Thermodynamik Abb. 3.1 Strukturbild der Thermodynamik wahrscheinlichkeit ln W multipliziert mit der Boltzmann-Konstanten k). Zustandsänderungen werden in Richtung maximaler Wahrscheinlichkeit (maximale Entropie) ablaufen. Der dritte Hauptsatz (Satz von Nernst) zeigt, dass bei Annäherung der Temperatur an den absoluten Nullpunkt (T → 0) die Entropie konstant wird. Diese Konstante wird gleich null gesetzt. Aus dem dritten Hauptsatz folgt auch, dass der absolute Nullpunkt (T = 0) nicht erreicht werden kann. Ein thermodynamisches System – sei es gasförmig (ideale oder reale Gase), flüssig oder fest – kann durch Zustandsgleichungen und Zustandsfunktionen, die nur vom Anfangsund Endzustand abhängen, beschrieben werden. Zu den Zustandsfunktionen (thermodynamischen Potentialen) gehören die innere 3.1 Energie U, die Enthalpie H, die freie Energie F, die freie Enthalpie G und die Entropie S. Mit den Zustandsgleichungen und Zustandsfunktionen ist die Beschreibung von Gleichgewichtszuständen und Gleichgewichtsbedingungen möglich. 3.1.2 Thermodynamische Grundbegriffe Systeme Ein räumlich abgrenzbarer Bereich, der herausgelöst von seiner Umgebung betrachtet werden soll, wird als System bezeichnet. Nach Art der Systemgrenzen werden verschiedenartige Systeme unterschieden, wie aus Tabelle 3.1 hervorgeht. Zustand, Zustandsgrößen, Prozessgrößen In der Mechanik wird die Lage eines Punktes im Raum durch drei Koordinaten festgelegt; in der Thermodynamik benutzt man Zustandsgrößen, um den Zustand eines Systems zu beschreiben. Historisch bedingt wird zwischen den direkt messbaren thermischen Zustandsgrößen – Druck p, – Volumen V, – Temperatur T und den davon abgeleiteten kalorischen Zustandsgrößen, wie z. B. – innere Energie U, – Enthalpie H und – Entropie S unterschieden. Bleiben die Zustandsgrößen zeitlich konstant, dann befindet sich das System in einem Gleichgewichtszustand. Der Zustand eines Systems kann auf verschiedene Weise verändert werden (z. B. durch Wärmezufuhr von außen). Hat sich, ausgehend von dem Gleichgewichtszustand 1, ein neuer Gleichgewichtszustand 2 Grundlagen 177 eingestellt, dann haben alle Zustandsgrößen wieder wohldefinierte Werte angenommen. Die Änderung ΔZ einer Zustandsgröße Z hängt nicht von der Art der Prozessführung ab, sondern nur vom Anfangs- und Endzustand. Es gilt ΔZ = Z2 − Z1 . (3.1) Eine Zustandsgröße ist also eine eindeutige Funktion der unabhängigen Variablen. Beispielsweise lässt sich die innere Energie U eines Systems (Abschn. 3.3.2) als Funktion der Variablen T und V schreiben: U = U(T, V). Daher ist das Differenzial ∂U ∂U dU = · dT + dV ∂T V ∂V T das totale Differenzial einer Funktion der Zustandsvariablen. Im Gegensatz zu den wegunabhängigen Zustandsgrößen sind Wärme und mechanische Arbeit wegabhängige Prozessgrößen. Die mit dem System bei einer Zustandsänderung ausgetauschten Energiebeträge sind von dem Verlauf des Prozesses abhängig. Infolgedessen ist eine differenziell kleine Größe einer solchen Prozessgröße nicht das totale Differenzial einer Funktion von Zustandsvariablen. Derartige kleine Größen werden im Folgenden nicht mit einem d versehen, sondern mit einem δ. So ist also beispielsweise eine differenziell kleine Wärme δQ oder ein differenziell kleiner Arbeitsbetrag δW. Für jeden Gleichgewichtszustand sind die Zustandsgrößen durch eine Zustandsgleichung miteinander verknüpft. So gilt z. B. für ideale Gase ein einfacher Zusammenhang zwischen Druck, Volumen und Temperatur (Abschn. 3.1.5). Bei realen Gasen ist der Zusammenhang komplizierter und muss em- 178 3 Thermodynamik Tabelle 3.1 Thermodynamische Systeme Bezeichnung des Systems Kennzeichen der Systemgrenzen Beispiele offen durchlässig für Materie und Energie Wärmeübertrager, Gasturbine geschlossen durchlässig für Energie, undurchlässig für Materie geschlossener Kühlschrank, Warmwasserheizung, Heißluftmotor abgeschlossen undurchlässig für Energie und Materie verschlossenes Thermosgefäß adiabat undurchlässig für Materie und Wärme, durchlässig für mechanische Arbeit rasche Kompression in einem Gasmotor pirisch und mit Hilfe von Modellrechnungen ermittelt werden (Abschn. 3.4). Spezifische und molare Größen Viele thermodynamische Größen sind extensiv, d. h., sie hängen von der Substanzmenge (Masse m, Stoffmenge ν) des Systems ab (z. B. innere Energie U, Enthalpie H). Intensive Größen sind davon unabhängig (z. B. Druck p, Temperatur T). Wird eine extensive Größe durch die Substanzmenge dividiert, ergibt sich eine intensive Größe. Eine spezifische Größe x ergibt sich nach DIN 1345 aus einer gemessenen extensiven Größe X, indem durch die Masse m des Systems dividiert wird: x= X . m (3.2) Die Maßeinheit einer molaren Größe enthält stets Xm = … mol−1 . Jede spezifische Größe kann leicht in die entsprechende molare Größe umgerechnet werden. Aus (3.2) und (3.3) folgt sofort X = xm = Xm ν, oder Xm Xm = X . ν (3.3) m ν = xM . (3.4) Darin ist M die Molmasse der betreffenden Substanz (Einheit kg/mol). Die Molmasse eines chemischen Elements bestimmt man am einfachsten aus der im Periodensystem angegebenen relativen Atommasse Ar bzw. der relativen Molekülmasse Mr bei einem Molekül. Ist mM die Masse eines Moleküls, dann gilt mM In der Maßeinheit einer spezifischen Größe steht immer x = … kg−1 . Spezifische Größen werden nach DIN 1345 mit kleinen Formelbuchstaben geschrieben. Der Quotient aus einer gemessenen Größe X und der Stoffmenge ν ist die molare Größe Xm , die durch den Index m gekennzeichnet wird: =x = Mr u . u = 1,6605 · 10−27 kg ist die atomare Masseneinheit, nämlich ein Zwölftel der Masse eines 12 C-Atoms. Die Zahl der Teilchen der Stoffmenge ν = 1 mol ist gegeben durch die Avogadro’sche Konstante NA = 6,0221 · 1023 mol−1 . Damit wird die Molmasse g M = mM NA = Mr uNA = Mr . mol Hat also beispielsweise Stickstoff (N2 ) die relative Molekülmasse Mr = 28, dann ist seine Molmasse M = 28 g/mol. 3.1 Grundlagen 179 Beispiel 3.1-1 Um m = 2 kg Wasser zu verdampfen, ist die Verdampfungswärme Q d = 4,512 MJ erforderlich. Wie groß sind die spezifische und die molare Verdampfungswärme von Wasser? Lösung Für die spezifische Verdampfungswärme erhält man q d = Q d / m = 2,256 MJ/kg. Die Molmasse von Wasser ist M = 18 g/mol. Somit beträgt die molare Verdampfungswärme Qmd = 2,256 MJ/kg · 18 g/mol = 40,6 kJ/mol . 3.1.3 Temperatur Die Temperatur ist der menschlichen Empfindung direkt zugänglich und wird mit Begriffen wie „warm“ und „kalt“ umschrieben. Körper, die sich auf verschiedener Temperatur befinden, können durch Befühlen unterschieden und entsprechend ihrer Temperatur klassifiziert werden. Bringt man zwei Körper verschiedener Temperatur in Kontakt, so stellt man fest, dass der warme Körper kälter und der kalte wärmer wird. Es findet ein Temperaturausgleich statt, der dann beendet ist, wenn das System einen Gleichgewichtszustand erreicht hat. Dieser Sachverhalt wird durch den nullten Hauptsatz der Thermodynamik ausgedrückt: Im thermischen Gleichgewicht haben alle Bestandteile eines Systems dieselbe Temperatur. Der vorgenannte subjektive Temperaturbegriff muss natürlich durch eine Temperaturdefinition mit entsprechenden Messvorschriften ersetzt werden. Die exakte Definition der sog. thermodynamischen Temperatur geschieht über den Wirkungsgrad einer idealen Wärmekraftmaschine und wird in Abschn. 3.3.5 behandelt. Abb. 3.2 Prinzip eines Gasthermometers mit konstantem Gasvolumen. Durch Heben oder Senken des Ausgleichsgefäßes A wird der Quecksilberspiegel im linken Schenkel des U-Rohrs auf der Nullmarke gehalten. p Druck T absolute Temperatur Bereits im Jahr 1704 stellte G. Amontons (1663 bis 1705) fest, dass der Druck eines Gases, dessen Volumen konstant gehalten wird, von der Temperatur abhängt. Er schlug vor, die Temperatur proportional zum Druck des Gases zu setzen (T ∼ p) und damit die Temperaturmessung auf eine Druckmessung zurückzuführen. Man erreicht dies mit Hilfe des in Abb. 3.2 dargestellten Gasthermometers. Es lässt sich zeigen, dass die Temperatur des Gasthermometers für ideale Gase (Abschn. 3.1.4 und 3.1.5) identisch ist mit der oben erwähnten thermodynamischen Temperatur. Die Abweichungen, die reale Gase zeigen, kann man rechnerisch berücksichtigen. Der im Gasthermometer bestimmte Gasdruck p kann erst dann in eine Temperatur T umgerechnet werden, wenn die Proportionalitätskonstante zwischen Druck und Temperatur festgelegt ist. Alle Experimente, besonders die in Abschn. 3.1.4 geschilderten von Gay-Lussac, zeigen, dass es einen absoluten Nullpunkt der Temperatur gibt. Um eine Temperaturskala 180 3 Thermodynamik Tabelle3.2 Definierende Fixpunkte der ITS-90. Wenn nicht anders angegeben, beträgt der Druck pn = 101,325 kPa Gleichgewichtszustand T90 in K Siedepunkt von Helium bei verschiedenen Dampfdrücken Tripelpunkt des Gleichgewichtswasserstoffs Siedepunkt von Wasserstoff beim Dampfdruck 32,9 kPa und 102,2 kPa Tripelpunkt des Neons Tripelpunkt des Sauerstoffs Tripelpunkt des Argons Tripelpunkt des Quecksilbers Tripelpunkt des Wassers Schmelzpunkt der Galliums Erstarrungspunkt des Indiums Erstarrungspunkt des Zinns Erstarrungspunkt des Zinks Erstarrungspunkt des Aluminiums Erstarrungspunkt des Silbers Erstarrungspunkt des Goldes Erstarrungspunkt des Kupfers 3 bis 5 festzulegen, ist daher nur noch die Temperatur eines weiteren Punktes zu definieren. Dazu wurde der Tripelpunkt des Wassers zu TTr = 273,16 K (Kelvin) festgelegt. Der Tripelpunkt ist der Zustand, bei dem in einem Gefäß der feste, flüssige und gasförmige Aggregatzustand miteinander im Gleichgewicht sind. Der Tripelpunkt des Wassers ist leicht herzustellen und mit einer Toleranz von einigen Millikelvin reproduzierbar. Die 13. Generalkonferenz für Maße und Gewichte (GKMG) legte 1967 als Einheit für die Temperatur fest: 1 Kelvin ist der 273,16te Teil der thermodynamischen Temperatur des Tripelpunktes von Wasser. Die Einheit Kelvin (K) für die absolute Temperatur wurde zu Ehren von W. Thomson (1824 bis 1907), dem späteren Lord Kelvin gewählt, auf den die Temperaturskala zurückgeht. 13,8033 17 20,3 24,5561 54,3584 83,8058 234,3156 273,16 302,9146 429,7485 505,078 692,677 933,473 1 234,93 1 337,33 1 357,77 ϑ90 in ◦ C −270,15 bis −268,15 −259,3467 −256,15 −252,85 −248,5939 −218,7916 −189,3442 −38,8344 0,01 29,7646 156,5985 231,928 419,527 660,323 961,78 1 064,18 1 084,62 Die so definierte Kelvin-Skala hat dieselbe Skalenteilung wie die bereits 1742 von A. Celsius (1701 bis 1744) vorgeschlagene Skala, bei der Schmelz- und Siedepunkte des Wassers unter Normdruck (0 ◦ C bzw. 100 ◦ C) als Fixpunkte dienen. Der Zusammenhang zwischen der absoluten Temperatur T in Kelvin und der Temperatur ϑ in Grad Celsius ergibt sich aus ϑ ◦ C = T − 273,15 . K (3.5) Durch diese Definition wird erreicht, dass Temperaturdifferenzen in beiden Einheiten dieselbe Maßzahl haben. Für den praktischen Gebrauch wurde die Internationale Temperaturskala von 1990 (ITS90) erarbeitet. Sie stützt sich auf 17 gut reproduzierbare thermodynamische Gleichgewichtszustände als definierende Fixpunkte 3.1 (Tabelle 3.2) und gilt als derzeit beste Darstellung thermodynamischer Temperaturen. Zur Interpolation zwischen den Fixpunkten wird zwischen 0,65 K und 5 K die Temperatur aus dem Dampfdruck von 3 He bzw. 4 He bestimmt; zwischen 3 K und 24,5561 K mit einem Gasthermometer. Oberhalb 13,8033 K bis 1 234,93 K werden Pt-Widerstandsthermometer und für noch höhere Temperaturen Spektralpyrometer eingesetzt. Temperaturmessung Jede physikalische Größe, die sich mit der Temperatur ändert, kann zur Temperaturmessung herangezogen werden. Für die verschiedensten Messaufgaben, Messobjekte und Temperaturbereiche wurden unterschiedliche Messverfahren entwickelt. Eine Zusammenstellung gängiger Methoden enthält Tabelle 3.3. Die VDE/VDI-Richtlinien 3511 geben eine ausführlichere Darstellung sowie eine Zusammenstellung der relevanten DIN-Normen. Grundlagen 181 nungskoeffizient. Sie ist ein Materialparameter und kann näherungsweise konstant gesetzt werden. In der Wirklichkeit steigt der Längenausdehnungskoeffizient α mit der Temperatur leicht an; Tabelle 3.4 enthält einige mit 106 multiplizierte Mittelwerte für die Temperaturbereiche 0 ◦ C ϑ 100 ◦ C und 0 ◦ C ϑ 500 ◦ C. Mit der Längenausdehnung der Körper ist zwangsläufig eine Volumenänderung verknüpft. Für das Volumen V2 eines Würfels bei der Temperatur ϑ2 gilt nach (3.7), wenn V1 das Volumen bei ϑ1 ist V2 = l23 = l13 [1 + α(ϑ2 − ϑ1 )]3 = = V1 [1 + 3α(ϑ2 − ϑ1 ) + 3α2 (ϑ2 − ϑ1 )2 + α3 (ϑ2 − ϑ1 )3 ] . Die beiden letzten Glieder der Klammer sind gegenüber dem linearen Glied vernachlässigbar. Daher erhält man in guter Näherung V2 = V1 [1 + γ (ϑ2 − ϑ1 )] (3.8) 3.1.4 Thermische Ausdehnung Festkörper Die meisten Festkörper dehnen sich bei Erwärmung aus. Die relative Verlängerung Δl/ l eines Stabes kann innerhalb bestimmter Grenzen proportional zur Temperaturänderung ΔT gesetzt werden: Δl l = αΔT . oder für die relative Volumenänderung ΔV V = γ ΔT (3.9) mit ΔT = T2 − T1 = ϑ2 − ϑ1 und dem Raumausdehnungskoeffizienten (3.6) γ = 3α . (3.10) Ist die Länge l1 bei der Temperatur ϑ1 bekannt, so folgt für die Länge l2 bei der Temperatur ϑ2 l2 = l1 [1 + α(ϑ2 − ϑ1 )] mit ΔT = T2 − T1 tionalitätskonstante (3.7) = ϑ2 − ϑ1 . Die Proporα ist der Längenausdeh- Beispiel 3.1-2 Eine Messingkugel (α = 19 · 10−6 K−1 ) hat bei der Temperatur ϑ1 = 20 ◦ C den Durchmesser d1 = 20,00 mm. Auf welche Temperatur ϑ2 muss sie erwärmt werden, damit sie in einem Ring mit dem Innendurchmesser d2 = 20,03 mm stecken bleibt? Wie hat sich das Kugelvolumen verändert? 182 3 Thermodynamik Tabelle 3.3 Temperaturmessverfahren mechanische Berührungsthermometer Thermometertyp FlüssigkeitsGlasthermometer Füllung: Pentangemisch Alkohol Toluol Hg–Tl Quecksilber Galliumlegierung Fehlergrenzen physikalisches Messprinzip −200 bis 30 −110 bis 210 −90 bis 100 −58 bis 30 −38 bis 800 bis 1 000 Näherungsweise in Größenordnung der Skalenteilung. Details in VDE/VDI 3511 Thermische Ausdehnung einer Flüssigkeit wird zur Temperaturmessung verwendet. Die Temperatur wird aus dem Stand der Flüssigkeit in einer Glaskapillare ermittelt. FlüssigkeitsFederthermometer −35 bis 500 1 bis 2% des Anzeigebereichs DampfdruckFederthermometer −50 bis 350 1 bis 2% des Dampfdruck einer Flüssigkeit (EthylAnzeigebereichs ether, Hexan, Toluol, Xylol) wird auf eine Rohr- oder Schneckenfeder übertragen. Stabausdehnungsthermometer Bimetallthermometer elektrische Berührungsthermometer Messbereich in ◦ C Thermische Ausdehnung einer Flüssigkeit (z. B. Hg unter 100 bis 150 bar) wird auf eine Rohr- oder Schneckenfeder übertragen. 0 bis 1 000 1 bis 2% des An- Thermische Ausdehnung eines Metallzeigebereichs stabs bewegt ein Messwerk. −50 bis 400 1 bis 3% des An- Thermobimetall besteht aus zwei fest zeigebereichs miteinander verbundenen Schichten aus Werkstoffen mit unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten und krümmt sich bei Temperaturänderung. Thermoelemente AuFe–NiCr Cu-Konstantan Fe-Konstantan NiCr-Konstantan Pt–PtRh W–WMo −270 bis 0 −200 bis 400 −200 bis 700 −200 bis 900 0 bis 1 600 0 bis 3 300 Widerstandsthermometer Platin Nickel Heißleiter Kaltleiter −250 bis 1 000 0,3 bis 5 K −60 bis 180 0,2 bis 2,1 K −273 bis 400 0,5 bis 1,5 K 40 bis 270 0,75% des Temperatur-Sollwerts, mindestens 3 K Zwischen zwei Verbindungsstellen verschiedener Metalle entsteht eine Thermospannung, wenn die Verbindungsstellen auf verschiedenen Temperaturen sind (Seebeck-Effekt). Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstandes von Metallen und Halbleitern dient zur Temperaturbestimmung. 3.1 Grundlagen 183 Tabelle 3.3 (Fortsetzung) besondere Messverfahren berührungslose Thermometer Thermometertyp Strahlungspyrometer Spektralpyrom. Bandstrahlungsp. Gesamtstrahlungspyrometer Verteilungspyrometer Farbangleichpyr. Verhältnispyrometer Messbereich in ◦ C Fehlergrenzen physikalisches Messprinzip 650 bis 5 000 1 bis 35 K 50 bis 2 000 1 bis 1,5% –40 bis 3 000 des Bereichs Temperatur eines Körpers wird aus der Energiestromdichte seiner elektromagnetischen Strahlung bestimmt. Messung erfolgt entweder in engem Spektralbereich, breitem Spektralband oder im gesamten Spektrum. 1 150 bis 2 000 10 bis 25 K 200 bis 2 200 1 bis 1,5% des Bereichs Rote und grüne Strahlungsanteile von Messstelle und Referenzlampe werden verglichen. Vergleich erfolgt subjektiv durch Farbvergleich oder objektiv durch Fotoempfänger. Fotothermometrie 250 bis 1 000 ±1 K Die Oberfläche eines heißen Körpers wird mit infrarotempfindlichen Platten fotografisch aufgenommen. Zur Untersuchung von Temperaturfeldern geeignet. Temperaturmessfarben 40 bis 1 350 ±5 K Auf Messkörper wird Farbe aufgebracht, die bei Erreichen einer bestimmten Temperatur den Farbton ändert. Temperaturkennkörper 100 bis 1 600 ±7 K Zylindrische Körper aus Metalllegierungen zeigen durch Schmelzen eine bestimmte Temperatur an. Segerkegel 600 bis 2 000 Mischung aus Ton und Feldspat wird bei Erreichen einer bestimmten Temperatur weich, der Kegel neigt sich zur Seite. akustisches Thermometer –271 bis –253 Temperaturabhängigkeit der Schallgeschwindigkeit in Gasen ist ein Maß für die Temperatur. magnetisches Thermometer –273 bis –200 Magnetische Suszeptibilität paramagnetischer Salze hängt reziprok von der absoluten Temperatur ab. Glasfaserthermometer 50 bis 250 Auflösung 0,1 K Die Fähigkeit einer Glasfaser, Lichtwellen zu führen, hängt vom tempera turempfindlichen Brechungsindex ab. 184 3 Thermodynamik Tabelle 3.4 Mittlerer linearer Längenausdehnungskoeffizient α einiger Festkörper in verschiedenen Temperaturbereichen Temperaturbereich Aluminium Kupfer Stahl C 60 rostfreier Stahl Invarstahl Quarzglas gewöhnliches Glas 106 α in K−1 0 ◦C ϑ 100 ◦ C 106 α in K−1 0 ◦C ϑ 500 ◦ C 23,8 16,4 11,1 16,4 0,9 0,51 9 27,4 17,9 13,9 18,2 0,61 10,2 Lösung Nach (3.6) ist die Temperaturänderung Δd 0,03 mm = ΔT = = 79 K . dα 20 mm · 19 · 10−6 K−1 Also ist die erforderliche Temperatur ϑ2 = 99◦ C. Die relative Volumenvergrößerung beträgt nach (3.9) und (3.10) ΔV V = γ ΔT = 3αΔT = 4,5 · 10−3 . Die Dichte ρ eines Körpers ist umgekehrt proportional zum Volumen. Für die Temperaturabhängigkeit gilt ρ(ϑ) = m . V0 (1 + γϑ) Ist ρ0 = m/ V0 die Dichte bei ϑ0 = 0◦ C, dann ist die Dichte bei der Temperatur ϑ ρ(ϑ) = ρ0 1 + γϑ ≈ ρ0 (1 − γϑ) . (3.11) Flüssigkeiten Weil Flüssigkeiten keine Eigengestalt haben, ist nur die Volumenänderung von Interesse. Es gelten (3.8), (3.9) und (3.11); allerdings ist der Raumausdehnungskoeffizient γ größer als bei Festkörpern. Einige Zahlenwerte enthält Tabelle 3.5. Bemerkenswert ist die Anomalie des Wassers. Bei der Temperatur ϑ = 4 ◦ C hat die Dichte ihr Maximum mit ρmax = 0,999973 kg/dm3 . Wenn im Winter ein See zufriert, sammelt sich das Wasser von ϑ = 4 ◦ C und größter Dichte am Grund; darüber liegen die kälteren und leichteren Schichten. Weil die kalten Schichten nicht absinken, erfolgt keine Wärmeübertragung durch Konvektion. Der Wärmetransport durch Wärmeleitung ist nicht sehr effektiv (Abschn. 3.5), sodass tiefe Seen nicht bis zum Grund durchgefrieren. Gase Bei Gasen hängt das Volumen vom Druck und der Temperatur ab. Messungen von J. A. C. Charles (1746 bis 1823), die von J. L. Gay-Lussac (1778 bis 1823) vertieft wurden, ergaben, dass bei einem Gas unter konstantem Druck das Volumen linear mit der Temperatur gemäß (3.9) variiert: V(ϑ) = V0 (1 + γ ϑ) , wenn V0 das Volumen bei ϑ0 = 0 ◦ C ist. Experimente liefern für den Raumausdehnungskoeffizienten γ im Gay-Lussac’schen Gesetz für fast alle Gase den gleichen Wert. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Tabelle 3.5 Raumausdehnungskoeffizient γ einiger Flüssigkeiten bei der Temperatur ϑ = 20 ◦ C Stoff 103 γ in K−1 Wasser Quecksilber Pentan Ethylalkohol Heizöl 0,208 0,182 1,58 1,10 0,9 bis 1,0 3.1 Grundlagen 185 Wird das Volumen eines Gases konstant gehalten und die Temperatur verändert, dann variiert der Druck p gemäß p(ϑ) = p0 (1 + γϑ) (3.13) oder Abb. 3.3 Zusammenhang zwischen dem Volumen V und der Temperatur T eines idealen Gases bei konstantem Druck Gasen werden umso geringer, je niedriger der Druck p ist. Im Grenzfall p → 0 ergibt sich für alle Gase γ = 0,003661 K−1 = 1 . 273,15 K Ein Gas in diesem Grenzzustand wird als ideales Gas bezeichnet. Wie die grafische Darstellung des GayLussac’schen Gesetzes in Abb. 3.3 zeigt, wird das Volumen bei ϑ = −273,15 ◦ C gleich null. Dies ist der absolute Nullpunkt der Temperatur. Natürlich gilt das Gay-Lussac’sche Gesetz bei sehr tiefen Temperaturen nicht mehr. Reale Gase kondensieren beim Abkühlen; selbst am absoluten Nullpunkt muss noch ein bestimmtes Restvolumen, nämlich das Eigenvolumen der Atome, übrig bleiben. Die absolute Temperatur T erlaubt eine einfache Formulierung des Gay-Lussac’schen Gesetzes: V(T) = V0 T T0 bzw. V T = konst. (3.12) Hierbei ist T0 = 273,15 K. p(T) = p0 T T0 bzw. p T = konst. (3.14) Diese Gleichung ist die Grundlage der Temperaturbestimmung nach Amontons mit Hilfe des Gasthermometers. 3.1.5 Allgemeine Zustandsgleichung idealer Gase Das Volumen V und der Druck p einer abgeschlossenen Menge eines idealen Gases sind bei konstanter Temperatur durch das Gesetz von Boyle-Mariotte verknüpft: pV = konst. (3.15) Der Zusammenhang wurde 1662 von R. Boyle (1627 bis 1691) und unabhängig von ihm 1679 von E. Mariotte (1620 bis 1684) experimentell gefunden. Die Gesetze von Boyle-Mariotte, Gay-Lussac und Charles, formuliert in (3.15), (3.12) sowie (3.14), lassen sich in einer Gleichung, der Zustandsgleichung idealer Gase kombinieren: pV T = konst. (3.16) Reale Gase befolgen (3.16) umso besser, je geringer der Druck und je höher die Temperatur 186 3 Thermodynamik ist. Die physikalischen Gründe hierfür sind in Abschn. 3.2.1 erläutert. Die Zustandsgrößen Druck p, Volumen V und Temperatur T einer konstanten Stoffmenge eines idealen Gases gehorchen stets (3.16). Durch Auflösung nach dem Druck ergibt sich p = konst. T / V. Werden das Gefäßvolumen und die Temperatur vorgegeben, dann hängt der Gasdruck und damit die Konstante von der Gasmenge ab, die sich im Gefäß befindet. Zur Bestimmung der Konstante wird (3.16) in die Form pV T = pn Vn Tn (3.17) gebracht. Die Größen mit dem Index n beziehen sich auf den in DIN 1343 festgelegten Normzustand mit der Normtemperatur Tn = 273,15 K (ϑn = 0 ◦ C) und dem Normdruck pn = 101 325 Pa. Das Volumen Vn des Gases hängt mit der Dichte ρn beim Normzustand und der Masse m gemäß m = Vn ρn zusammen. Somit wird aus (3.17) pV T = pn m. Tn ρn = pn . Tn ρn (3.18) Die Zustandsgleichung idealer Gase erhält demnach die Form = mRi T . (3.19) Da die Gaskonstante Ri von der Dichte ρn des Gases abhängt, ergibt sich für jede Gasart eine eigene, individuelle Konstante. Beispiel 3.1-3 Wie groß ist die individuelle Gaskonstante von trockener Luft? Lösung Die Dichte beim Normzustand beträgt ρn = 1,2923 kg/m3 . Damit errechnet man für die Gaskonstante Ri = 101 325 N m−2 J . = 287,05 273,15 K · 1,2923 kg m−3 kg K Der Nachteil, für jedes Gas eine besondere Gaskonstante in (3.19) einsetzen zu müssen, entfällt, wenn in (3.17) das Volumen Vn durch die Stoffmenge ν ausgedrückt wird. Nach dem Satz von A. Avogadro (1776 bis 1856) benötigt eine bestimmte Teilchenmenge eines idealen Gases bei bestimmten Werten des Drucks und der Temperatur stets das gleiche Volumen, und zwar unabhängig von der Gasart. Für die Stoffmenge ν = 1 mol beträgt beim Normzustand nach DIN 1443 das Molvolumen Vmn = 22,414 dm3 /mol. Somit ist das Volumen Vn der Teilchenmenge ν Vn Die Werte für pn , Tn und ρn werden zusammengefasst zu der individuellen (speziellen) Gaskonstanten Ri pV = ν Vmn , und (3.17) erhält die Form pV T = pn Vmn ν. Tn Die Konstanten der rechten Seite fasst man zur universellen (molaren) Gaskonstante Rm zusammen: Rm = pn Vmn Tn = 8,3145 J . mol K 3.1 Damit erhält man die Zustandsgleichung der idealen Gase: pV = νRm T . (3.20) Diese Form hat den Vorteil, dass für alle Gase dieselbe Gaskonstante verwendet werden kann. Die individuelle Gaskonstante Ri kann bei Kenntnis der Molmasse M des Gases aus der molaren Gaskonstante Rm berechnet werden. Nach (3.4), die den allgemeinen Zusammenhang zwischen spezifischen und molaren Größen beschreibt, gilt Ri = (3.21) Die Anzahl der Teilchen in der Teilchenmenge ν = 1 mol wird durch die Avogadro’sche Konstante angegeben: NA Beispiel 3.1-4 Ein Gefäß mit V = 2 l Inhalt wird bei der Temperatur ϑ = 22 ◦ C evakuiert und anschließend mit Helium gefüllt, bis sich gegenüber dem äußeren Luftdruck pL = 1 016 hPa der Überdruck pü = 2,0 bar eingestellt hat. Wie groß sind die Teilchenanzahl N, die Teilchenmenge v und die Masse m des Gases? Lösung Der Druck des Gases beträgt p = pL + pü = 3,016 · 105 Pa. Die absolute Temperatur ist T = 295,15 K. Nach (3.22) folgt für die Teilchenanzahl N= pV 3,016 · 105 N m−2 · 2 · 10−3 m3 = kT 1,381 · 10−23 N m K−1 · 295,15 K = 1,48 · 1023 . Die Teilchenmenge ist ν= Rm . M Grundlagen 187 pV N = = 0,246 mol . TRm NA Helium hat die Molmasse M = 4,003 g/mol. Damit ist die Masse des Gases m = νM = 0,985 g. Der funktionale Zusammenhang der drei Zustandsgrößen Druck, Volumen und Temperatur in der Zustandsgleichung der idealen = 6,0221 · 1023 mol−1 . Mit der Avogadro-Konstante kann die rechte Seite von (3.20) umgeformt werden: pV = νNA Rm T. NA Hierin ist N = νNA die Teilchenanzahl des Systems. Der Quotient k= Rm NA = 1,38065 · 10−23 J K wird als Boltzmann-Konstante (L. Boltzmann, 1844 bis 1906) bezeichnet. Hiermit ergibt sich eine weitere Form der Zustandsgleichung idealer Gase: pV = NkT . (3.22) Abb. 3.4 Zustandsfläche der Zustandsgleichung idealer Gase. p Druck, Vm molares Volumen, T absolute Temperatur 188 3 Thermodynamik Gase kann in einem dreidimensionalen Raum nach Abb. 3.4 anschaulich dargestellt werden. Alle Gleichgewichtszustände liegen auf der gekrümmten Fläche. Schnitte durch die Fläche bei konstanter Temperatur liefern die Hyperbeln des Boyle-Mariotte’schen Gesetzes im p, VDiagramm. Schnitte bei konstantem Druck erzeugen die Geraden des Gay-Lussac’schen Gesetzes im V, T-Diagramm, und schließlich ergeben Schnitte bei konstantem Volumen die Geraden des Charles’schen Gesetzes im p, TDiagramm. Zur Übung Ü 3.1-1 Ein Glasstab aus Pyrex-Glas und ein Maßstab aus Messing Ms 58 sind bei ϑ1 = 20 ◦ C genau l1 = 1 000 mm lang. Welche Länge liest man für den Glasstab ab, wenn beide Körper auf ϑ2 = 100 ◦ C erwärmt werden? (αGlas = 3,2 · 10−6 K−1 ; αMs = 19 · 10−6 K−1 ) Ü 3.1-2 Eine kreisförmige Stahlplatte hat bei ϑ1 = 20 ◦ C den Durchmesser d1 = 1 200 mm. Um welchen Betrag nimmt ihre Fläche zu, wenn sie auf ϑ2 = 96 ◦ C erwärmt wird? Ü 3.1-3 Wie groß ist die Zugspannung in Eisenbahnschienen bei ϑ1 = −20 ◦ C, wenn sie bei ϑ2 = +20 ◦ C spannungsfrei verschweißt wurden? Der Elastizitätsmodul des Stahls beträgt E = 2 · 105 N/mm2 (Abschn. 2.11). Ü 3.1-4 Bei ϑ1 = 20 ◦ C beträgt die Dichte von Quecksilber ρ1 = 13,546 kg/dm3 . Bei welcher Temperatur ϑ2 ist die Dichte ρ2 = 13,5 kg/dm3 ? Ü 3.1-5 Wie groß ist die individuelle Gaskonstante von Wasserdampf, wenn bei der Temperatur ϑ = 800 ◦ C und dem Druck p = 9,807 bar das spezifische Volumen = 0,5 m3 /kg beträgt? Ü 3.1-6 In ein Gefäß mit dem Volumen V = 20 l wird bei der Temperatur ϑ = 22 ◦ C Luft gepumpt, bis sich der Überdruck p = 100 bar einstellt. Welche Masse hat das Gas, wenn der äußere Luftdruck pL = 1 bar beträgt? Ü 3.1-7 In einem Gefäß mit V = 1 m3 Inhalt befindet sich bei der Temperatur T = 250 K und dem Druck p = 2,5 bar ein ideales Gas. Wie groß ist dessen Teilchenmenge? 3.2 Kinetische Gastheorie 3.2.1 Gasdruck Die bisher phänomenologisch eingeführten Zustandsgrößen erhalten eine mechanische Interpretation durch die kinetische Gastheorie. Hierbei legt man die atomare Struktur der Materie zugrunde und leitet die thermodynamischen Eigenschaften der Gase aus der Bewegung der Gasmoleküle unter Anwendung der Gesetze der Mechanik ab. Ein ideales Gas zeichnet sich dadurch aus, dass es die Zustandsgleichung idealer Gase (3.15) und folgende in Abschn. 3.1.5 befolgt. Ein reales Gas verhält sich dann ideal, wenn die Teilchendichte gering und die Temperatur wesentlich über der Siedetemperatur der Substanz liegt. In diesem Zustand ist das Eigenvolumen der Moleküle sehr viel kleiner als das Gefäßvolumen; außerdem sind die zwischenmolekularen Kräfte vernachlässigbar, da diese eine sehr kurze Reichweite haben. Die Modellsubstanz des idealen Gases hat folgende Eigenschaften: – Das Gas besteht aus einer großen Anzahl gleichartiger Teilchen, den Molekülen. – Die räumliche Ausdehnung der Teilchen ist so klein, dass ihr Eigenvolumen gegenüber dem Gefäßvolumen vernachlässigbar ist (Konzept des Massenpunktes). – Zwischen den Teilchen existieren keine Wechselwirkungskräfte, ausgenommen bei einem Zusammenstoß. – Die Zusammenstöße der Teilchen untereinander und mit den Gefäßwänden verlaufen völlig elastisch innerhalb einer vernachlässigbaren Zeitspanne. Der Druck, den ein Gas auf die Gefäßwand ausübt, wurde bereits 1738 von Bernoulli so erklärt, dass die Teilchen bei ihren Zusammenstößen mit der Wand an diese einen bestimm- 3.2 Kinetische Gastheorie 189 Abb. 3.6 Zur kinetischen Gastheorie: Kraftstöße auf die Wand. Fi Kraft, t Zeit, a Kantenlänge, xi Geschwindigkeit Abb. 3.5 Zur kinetischen Gastheorie: Würfel mit einem Molekül der Geschwindigkeit i . x, y, z Koordinaten, a Kantenlänge ten Impuls übertragen und dadurch eine Kraft ausüben. Zur Bestimmung des Drucks sei zunächst nach Abb. 3.5 ein Würfel der Kantenlänge a als Gefäß betrachtet, in dem sich lediglich ein Molekül der Masse mM befinden soll. Das Molekül bewege sich mit der Geschwindigkeit i und treffe auf die rechte Wand des Würfels. Gemäß den Stoßgesetzen von Abschn. 2.7 wird das Teilchen wie beim optischen Reflexionsgesetz reflektiert und gibt dabei den Impuls Δpi = 2mM xi an die Wand ab. Nach einer bestimmten Laufzeit Δt wiederholt sich der Vorgang, sodass in regelmäßigen Abständen nach Abb. 3.6 ein Kraftstoß auf die rechte Wand ausgeübt wird. Die mittlere Kraft F i auf die rechte Wand beträgt Fi = Δpi 2mM xi mM 2xi = = . Δt 2a/ xi a Damit ist der „Druck“, von einem Molekül herrührend, pi = Fi A = mM 2xi a3 = mM 2xi . V Nun sollen sich N Teilchen mit verschiedenen Geschwindigkeiten im Würfel befinden. Falls sie untereinander nicht zusammenstoßen, ergibt sich der Druck auf die Wand durch Summation über alle N Einzelbeiträge: p= = mM 2 x1 + 2x2 + 2x3 + · · · + 2xN V N mM 2 . V i = 1 xi Bei den üblichen Teilchenanzahlen verschwindet das in Abb. 3.6 angedeutete diskrete Auftreten der Stöße vollkommen. Tatsächlich treffen beispielsweise bei einem mit Luft gefüllten Gefäß im Normzustand auf jeden Quadratzentimeter der Wand je Sekunde etwa 3 · 1023 Teilchen. Die Geschwindigkeiten der einzelnen Moleküle messen zu wollen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Sinnvoll sind nur statistische Aussagen, z. B. eine Berechnung des Mittelwerts. Der obige Ausdruck lässt sich mit dem mittleren Geschwindigkeitsquadrat 2x = N 1 2 N i = 1 xi vereinfachen zu p= mM 2 N x . V 190 3 Thermodynamik Nun gilt für jedes Teilchen 2 = 2x + 2y + 2z . Da bei vielen Teilchen alle Raumrichtungen gleichmäßig vorkommen, gilt für die Mittelwerte der Geschwindigkeitsquadrate 2x 1 3 = 2y = 2z = 2 . Demnach erhält man für den Druck p= 1N mM 2 . 3V (3.23) Diese Grundgleichung der kinetischen Gastheorie ist auch gültig, wenn Zusammenstöße zwischen den Teilchen stattfinden, sowie bei beliebiger Gefäßform. Gleichung (3.23) lässt sich mit Hilfe der Dichte ρ = m/ V = N mM / V umschreiben: p= 1 2 ρ . 3 (3.24) Diese Beziehung kann benutzt werden, um die mittleren Molekülgeschwindigkeiten in Gasen zu berechnen. Als mittlere Geschwindigkeit m wird die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeitsquadrat 2 definiert: m = 2 = 3p ρ . ρ in { 0,1785 1,784 0,0899 1,4289 1,2505 1,2928 1,67 1,67 1,41 1,40 1,40 1,40 kg/m3 Helium Argon Wasserstoff Sauerstoff Stickstoff Luft m in m/s c in m/s 1305 413 1840 461 493 485 974 308 1260 315 337 331 Die mittlere Geschwindigkeit der Moleküle ist in der Größenordnung der Schallgeschwindigkeit. Nach (5.186) gilt für die Schallgeschwindigkeit κp c= . ρ κ ist der in Abschn. 3.3.4 definierte Isentropenexponent, der im Bereich 1 < κ 5/ 3 liegt. Tabelle 3.6 enthält Werte der mittleren Geschwindigkeit m und der Schallgeschwindigkeit c für einige Gase. 3.2.2 Thermische Energie und Temperatur (3.25) pV 1 3 = NmM 2 geschrieben, so ist eine Verwandtschaft mit der allgemeinen Zustandsgleichung (3.22) idealer Gase pV = NkT offensichtlich. Durch Gleichsetzen der rechten Seiten entsteht die Beziehung Lösung m = Gas Wird die Grundgleichung (3.23) der kinetischen Gastheorie in der Form Beispiel 3.2-1 Beim Normzustand beträgt die Dichte von Stickstoff ρn = 1,2505 kg/m3 . Wie groß ist die mittlere Geschwindigkeit? Tabelle 3.6 Mittlere Geschwindigkeit m und Schallgeschwindigkeit c einiger Gase beim Normzustand ϑn = 0 ◦ C und pn = 1,013 bar (ρ Dichte, { Isentropenexponent). 3 · 101 325 N m−2 = 493 m/s . 1,2505 kg m−3 1 mM 2 3 = kT , 3.2 die zeigt, dass das mittlere Geschwindigkeitsquadrat proportional zur Temperatur ist. Daraus folgt sofort für die Temperaturabhängigkeit der mittleren Geschwindigkeit: m = 3kT mM = 3Rm T . M (3.26) Kinetische Gastheorie 191 Durch die Verknüpfung von Temperatur und kinetischer Energie wird auch wieder auf die Existenz eines absoluten TemperaturNullpunkts hingewiesen, bei dem jede Teilchenbewegung aufhört. (Die Quantentheorie lehrt, dass bei T = 0 K noch eine Nullpunktsenergie vorhanden ist.) Gleichverteilungssatz Beispiel 3.2-2 Wie groß ist die mittlere Geschwindigkeit m und die Schallgeschwindigkeit c von Luft bei ϑ = 20 ◦ C? Lösung Aus (3.26) folgt 293 m20 und m20 = 1,036m0 . = m0 273 Mit m0 = 485 m/s (Tabelle 3.6) ergibt sich m20 = 502 m/s. Im gleichen Verhältnis nimmt die Schallgeschwindigkeit von c0 = 331 m/s auf c20 = 343 m/s zu. Eine sehr plastische Deutung des Temperaturbegriffs wird möglich durch Einführung der mittleren kinetischen Energie Ekin eines Teilchens der Masse mM : Ekin 1 2 = mM 2 . 3 2 = kT . Ef 1 2 = kT . (3.29) (3.27) Dieses Ergebnis kann verallgemeinert werden auf Gase, deren Teilchen nicht punktförmig sind (z. B. das hantelförmige N2 -Molekül) und daher mehr als drei Freiheitsgrade haben: (3.28) Die thermische Energie eines Moleküls verteilt sich gleichmäßig auf alle seine Freiheitsgrade. Jeder Freiheitsgrad hat die Energie Ef = 12 kT. Aus (3.26) und (3.27) folgt Ekin Die Modellsubstanz – die Grundlage der vorgenannten abgeleiteten Gleichungen – besteht aus punktförmigen Teilchen mit jeweils f = 3 Freiheitsgraden. Da sich im zeitlichen Mittel die Bewegung der Moleküle gleichmäßig auf alle drei Raumrichtungen verteilt, kann man die kinetische Energie eines Moleküls in drei gleiche Teile aufspalten. Auf jeden Freiheitsgrad entfällt somit die mittlere thermische Energie pro Molekül Dieser Ausdruck erlaubt eine anschauliche Interpretation der phänomenologisch eingeführten Zustandsgröße „Temperatur“: Die Temperatur ist ein Maß für die mittlere kinetische Energie der Moleküle. Dieser Gleichverteilungssatz (Äquipartionsprinzip) liefert für die mittlere kinetische Energie eines Moleküls mit f Freiheitsgraden Ekin f 2 = kT . (3.30) 192 3 Thermodynamik Der Gleichverteilungssatz verliert seine Gültigkeit bei tiefen Temperaturen, wo Quanteneffekte wirksam werden (Abschn. 3.3.3). 3.2.3 Geschwindigkeitsverteilung der Gasmoleküle Boltzmann-Faktor Die barometrische Höhenformel gemäß (2.184) beschreibt die Druckabnahme in der Atmosphäre mit zunehmender Höhe h: ph = p0 e− ρ0 T0 gh . p0 T Der Exponent lässt sich leicht umformen: ph = p0 e− mM gh kT . Da die Teilchenanzahldichte n = N / V proportional zum Druck ist, gilt für das Verhältnis der Teilchenanzahldichten in der Höhe h und am Erdboden bei h = 0: mM gh nh = e− kT . n0 Der Zähler im Exponenten entspricht der Differenz der potentiellen Energie ΔEpot im Schwerefeld zwischen den beiden betrachteten Zuständen, sodass auch gilt nh n0 = e− ΔEpot kT . Dieses Ergebnis lässt sich verallgemeinern auf zwei beliebige Energiezustände E1 und E2 . Werden auf diese beiden Energieniveaus N Teilchen verteilt, dann gilt für die Besetzungszahlen bzw. Teilchenanzahldichten N2 N1 = n2 n1 = e− E2 −E1 kT ΔE = e− kT . (3.31) Diese Exponentialfunktion ist als BoltzmannFaktor bekannt und spielt in den Gleichungen der Gleichgewichtsstatistik eine große Rolle. Der Boltzmann-Faktor gibt an, welcher Bruchteil der Teilchen aufgrund ihrer thermischen Bewegung die Energieschwelle E2 − E1 überschritten hat. Er tritt auf in den Gleichungen der Leitfähigkeit von Halbleitern, in der Diodenkennlinie, beim Verdampfen von Flüssigkeiten und beim Elektronenaustritt aus Glühkathoden, um einige Beispiele zu nennen. Haben mehrere Zustände dieselbe Energie (entartete Zustände), dann kann dies durch ein statistisches Gewicht g berücksichtigt werden. Aus (3.31) wird dann N2 N1 = g2 − E2 −E1 e kT . g1 (3.32) Wenn ein System verschiedene Zustände mit den Energien E1 , E2 , … einnimmt, so ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Zustand mit der Energie Ei besetzt ist, gegeben durch Ei Pi ∼ gi e− kT . (3.33) Maxwell’sche Verteilungsfunktion Bei einem Gas ändern sich infolge der Zusammenstöße zwischen den Gasmolekülen ständig deren Geschwindigkeiten. Trotzdem ist eine statistische Aussage darüber möglich, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Geschwindigkeit vorkommt. Nach (3.33) ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Geschwindigkeit zwischen und + d gegeben durch die Verteilungsfunktion f () d = Cg()e− mM 2 2kT d . Darin berücksichtigt g() d das statistische Gewicht des Geschwindigkeitsintervalls. http://www.springer.com/978-3-642-22568-0