Warum ist der Nachthimmel dunkel? – Ein altes Paradoxon im

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Warum ist der Nachthimmel dunkel?
– Ein altes Paradoxon im Lichte der modernen Wissenschaft –
Karl-Heinz Lotze, Jena
Das Nachthimmels-Paradoxon und seine Bedeutung für die Kosmologie
Ein jeder von uns „weiß“ seit seiner frühesten Kindheit, dass der Nachthimmel dunkel ist. Kaum einer
hat sich jedoch darüber gewundert, und den wenigsten ist bewusst, dass uns diese Beobachtung mit
den entferntesten Regionen des Universums verbindet. Das neugierige Staunen über die Dunkelheit
des Nachthimmels steht ganz am Anfang einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Kosmologie
– und dazu bedarf es nicht einmal kostspieliger Teleskope. Natürlich heißt die Antwort auf die Frage
„Warum ist der Nachthimmel dunkel?“ nicht: „Weil abends die Sonne untergeht“.
In der Geschichte des wissenschaftlichen Nachdenkens über das Universum gab nicht einmal zu allen
Zeiten einen Erklärungsbedarf für die Dunkelheit des Nachthimmels, wenn denn die Frage überhaupt
gestellt wurde. Solange nämlich selbst Copernicus (1473-1543) das Universum noch jenseits der
Planeten mit einer kristallinen Fixsternsphäre abschloss (Abb. 1), wäre die Antwort leicht zu geben
gewesen: Die Schwärze des Nachthimmels ist eine Eigenschaft jener Fixsternsphäre, auf die uns die
relativ dünn gesäten Sterne den Blick freigeben.
Erst als Denker wie Thomas Digges (1543-1595) und Otto von Guericke (1602-1686) den Mut hatten,
die Fixsternsphäre aufzulösen und die Sterne in einem unendlichen Raum zu verteilen (Abb. 2),
wurde die Frage nach der Dunkelheit des Nachthimmels zu einem Problem und schließlich zu einem
Paradoxon. Einer ersten, vorläufigen Formulierung dieses „Nachthimmel-Paradoxons“ wollen wir
folgende Annahmen zugrunde legen:
1. Alle Sterne seien hinsichtlich Größe und Leuchtkraft unserer Sonne ähnlich.
2. Die Sterne seien gleichförmig in einem grenzenlosen, Euklidischen Universum verteilt.
3. Das Universum ist in allen seinen Eigenschaften unveränderlich und statisch; auch die Sterne
leuchten ewig.
Die letztgenannte Annahme dieses vom 16. bis in das 20. Jahrhundert vorherrschenden
kosmologischen Modells, dass nämlich das Universum der Inbegriff der Ewigkeit sei, ist die wohl
hartnäckigste in der Geschichte der Kosmologie überhaupt. Selbst Albert Einstein (1879-1955) suchte
noch 1917 nach kosmologischen Modellen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie unter dieser
Voraussetzung und konnte lange Zeit die theoretische Vorhersage einer Expansion des Universums
durch Alexander Friedman (1888-1925) nicht akzeptieren.
Die moderne Astrophysik und Kosmologie modifiziert mehr oder weniger drastisch jede der
gemachten Annahmen. Hält man jedoch an ihnen fest, gäbe es unendlich viele Sterne, und man sollte
meinen, dass diese einen unendlich hellen Nachthimmel erzeugen müssten, denn wohin sich unser
Blick auch richtet – er trifft auf einen Stern. Das ist offensichtlich in krassem Widerspruch zu aller
Erfahrung, eben ein Paradoxon.
1
Abbildung 1: Im Copernicanischen Weltbild steht die Sonne im Mittelpunkt, und das
Universum wird durch eine äußere Fixsternsphäre abgeschlossen. (Quelle: [1])
Abbildung 2: Im Universum von Thomas Digges (links) werden jenseits der Planetenbahnen die Sterne in
einem unendlichen Raum verteilt. Auch Otto v. Guericke löste die äußere Sphäre der Fixsterne
auf (rechts), glaubte aber an ein endliches Universum der Sterne, das von einer unendlichen
Leere umgeben wird. (Quelle: [1], [2])
Es hat bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gedauert, dass wir die Frage nach der Dunkelheit des
Nachthimmels beantworten konnten. Dazu ist es nicht einmal nötig, alle oben genannten Annahmen
nach neuestem Erkenntnisstand zu modifizieren. Seit wir nämlich wissen, wie Sterne ihre Energie
erzeugen, können wir das Paradoxon beinahe in dem Rahmen auflösen, in dem es entstand [2], [3].
Wir dürfen nur nicht länger annehmen, dass die Sterne ewig leuchten, denn auch sie verfügen nur
über endliche Energievorräte. Auf dieses Argument ist der moderne Mensch aber vorbereitet, und es
erscheint ihm ganz natürlich. Dass das Universum sich ausdehnt und der Raum möglicherweise gar
keine Euklidische Geometrie hat, ist jedoch für den Kern der Antwort, die wir geben werden, ohne
Bedeutung.
2
Bevor wir nun die lehrreiche und verblüffend einfache Erklärung für die Dunkelheit des
Nachthimmels im Detail ausarbeiten, wollen wir das Paradoxon präziser formulieren, denn die
genannten Voraussetzungen implizieren durchaus nicht einen unendlich hellen Nachthimmel.
Die präzise Formulierung des Nachthimmels-Paradoxons
Wir betrachten in dem unendlich ausgedehnten, gleichmäßig mit Sternen bevölkerten Universum
Kugelschalen gleicher Dicke [4], (Abb.3). Die Fläche ๐ด einer solchen Kugelschale wächst mit dem
Radius ๐‘Ÿ gemäß ๐ด~๐‘Ÿ 2 . Sind die Sterne gleichförmig verteilt, wächst ihre Anzahl ๐‘ auf einer
Kugelschale mit deren Größe, ๐‘~๐‘Ÿ 2 . Wenn weiterhin jeder der sonnenähnlichen Sterne die
๐ฟ
Leuchtkraft ๐ฟ hat, ist seine scheinbare Helligkeit ๐‘™~ ๐‘Ÿ2 , und der gesamte Strahlungsfluss, der von
einer Kugelschale ausgeht und beim Beobachter ankommt, ist ๐‘ โˆ™ ๐‘™ = const. Die Energiedichte ist
also unabhängig vom Radius ๐‘Ÿ einer Kugelschale, so dass jede gleich viel zur Nachthimmelshelligkeit
beiträgt. In einem unendlichen Universum gibt es unendlich viele Kugelschalen, und die
Energiedichte der Strahlung müsste in deren Zentrum folglich unendlich groß sein.
Abbildung 3:
Bei gleichförmiger Verteilung der Sterne im Raum ist das von einer
gedachten Kugelschale beim Beobachter ankommende Licht unabhängig
vom Radius der Kugelschale.
Jedoch haben wir nicht bedacht, dass sich die sonnenähnlichen Sterne vom Radius ๐‘… dem Licht noch
entfernterer Sterne als „Scheibchen“ der Fläche ๐œŽ = ๐œ‹๐‘… 2 in den Weg stellen. Mit anderen Worten:
Da Sterne nicht punktförmig sind, verdecken sie einander, so dass nicht alle zur Nachthimmelshelligkeit beitragen können.
Eine Analogie [3] macht dies noch deutlicher: Stellen wir uns vor, wir blicken, auf einer Wiese
stehend, in ein ausgedehntes Waldstück hinein (Abb. 4). Entsprechend unseren Annahmen über die
Sterne mögen die Bäume einheitliche Abstände voneinander haben, und die Baumstämme seien
3
gleich dick. Ist das Waldstück nur tief genug, trifft unser Blick in jeder Richtung auf einen Baum in
endlicher Entfernung. Alle noch weiter entfernten Bäume werden von den vordergründigen verdeckt.
Wie groß die maximale Blickentfernung ist, bevor wir im sprichwörtlichen Sinne „den Wald vor lauter
Bäumen nicht mehr sehen“, hängt vom Abstand der Bäume und ihrem Stammdurchmesser ab.
Ist z.B. ๐ด = 100m2 die Fläche des Waldbodens, auf dem im Mittel ein Baum steht und haben die
Baumstämme
einen
Durchmesser
๐ท = 0,5m,
ist
die
maximale
Blickentfernung
๐ด
๐‘‘๐‘š๐‘Ž๐‘ฅ = ๐ท = 200m. Noch weiter entfernte Bäume sind nicht mehr sichtbar.
Abbildung 4:
Eine Analogiebetrachtung über die Verteilung der Sterne oder Galaxien im Raum (hier ein
Ausschnitt aus dem Galaxienhaufen im Sternbild Coma) und der Bäume in einem Waldstück
führt über den Begriff der maximalen Blickentfernung zur Lösung des NachthimmelsParadoxons.
Kehren wir nun in Gedanken zurück zu den Sternen. Wenn die Sternscheibchen ab einer bestimmten
maximalen Blickentfernung einander verdecken, so dass Sterne in noch größerem Abstand nicht
mehr zur Nachthimmelshelligkeit beitragen können, müsste, sonnenähnliche Sterne vorausgesetzt,
der Nachthimmel so hell sein wie die Sonnenscheibe bei Tage. Der ganze Himmel sollte als eine
Fläche erscheinen, die entsprechend der Oberflächentemperatur der Sonne von etwa ๐‘‡โŠ™ = 5800K
leuchtet. Auch dies ist im Widerspruch zur Erfahrung, stellt aber eine präzisere Formulierung des
Nachthimmels-Paradoxons dar.
Die Analogiebetrachtung mit den Baumstämmen wurde zum ersten Mal durch Otto von Guericke
angeführt. Wir lesen [1]: „Denn dass sie [die Sterne – Anm. d. Verf.] nicht bis ins Unendliche
beobachtet werden können, beweist noch nicht ihr Nichtvorhandensein, so wenig wie jemand
behaupten kann, ein Wald habe deswegen ein Ende, weil in weiterer Ferne keine Bäume mehr zu
sehen seien.“
Wir bestimmen zunächst die maximale Blickentfernung in die Tiefe des Universums. Dazu müssen wir
wissen, wie groß das Volumen ist, in dem sich im Mittel ein Stern befindet. Wenn wir alle Materie im
Universum, deren mittlere Massendichte wir mit einem Wasserstoffatom pro m3 entsprechend
๐œ‡ = 1,67 โˆ™ 10−30 g/cm3 annehmen wollen, in sonnenähnliche Sterne der Massendichte
๐œ‡โŠ™ = 1,41g/cm3 verwandeln würden, ist das gesuchte Volumen
๐‘‰=
๐œ‡โŠ™
๐œ‡
๐‘‰โŠ™ ≈ 109 Lj3 ,
4
3
so dass der mittlere Abstand zwischen den Sternen ๐‘‘∗ = √๐‘‰ ≈ 103 Lj beträgt.
Die Fläche eines sonnenähnlichen Sterns mit dem Radius ๐‘…โŠ™ = 6,96 โˆ™ 105 km ist (in Analogie zur
Dicke der Baumstämme)
๐œŽ = ๐œ‹๐‘…โŠ™ 2 ≈ 1,5 โˆ™ 1012 km2 .
Daraus ergibt sich die maximale Blickentfernung zu
๐‘‘๐‘š๐‘Ž๐‘ฅ =
๐‘‰
≈ 1023 Lj.
๐œŽ
Damit sich in unserem Universum genügend Sternscheibchen zu einer lückenlosen leuchtenden
Wand zusammenschließen können, die so hell ist wie unsere Sonne, muss beim Beobachter
gleichzeitig das Licht von allen Sternen zusammenkommen, die über eine Entfernung von 1023 Lj (!)
gleichmäßig in der Tiefe des Raumes verteilt sind. In dieser unvorstellbar großen Zahl liegt der
Schlüssel zum Verständnis der Dunkelheit des Nachthimmels.
Die Lösung des Paradoxons in dem Rahmen, in dem es entstand
Wenn wir den gestirnten Himmel betrachten, sehen wir die Sterne und erst recht die Galaxien nicht
so, wie sie im Augenblick der Beobachtung beschaffen sind. Ein Blick in die Tiefen des Raumes ist
immer auch ein Blick zurück in die Vergangenheit: Wir sehen die Sonne so, wie sie vor 8 ½ Minuten
und die Andromeda-Galaxie, wie sie vor etwa 2 ½ Millionen Jahren ausgesehen hat. Das liegt an der
Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, mit der die Informationen über die Beschaffenheit der
Himmelskörper zu uns gelangen.
Wir wollen nun eine der anfangs gemachten Annahmen fallenlassen, nämlich die, dass die Sterne
ewig strahlen, und der Einfachheit halber annehmen, sie hätten alle gleichzeitig zu leuchten
begonnen. Die anderen Annahmen, die unserem einfachen kosmologischen Modell zugrunde liegen,
werden wir nicht antasten. Wenn nun die maximale Blickentfernung in unserem Universum 1023 Lj
beträgt, bedeutet dies, dass das Licht der am weitesten entfernten Sterne, deren Beitrag zur
Nachthimmelshelligkeit wir noch benötigen (und das sind die meisten, denn je weiter die gedachten
Kugelschalen entfernt sind, umso größer sind sie und umso mehr Sterne haben auf ihnen Platz), die
Zeit
๐œ=
๐‘‘๐‘š๐‘Ž๐‘ฅ
= 1023 Jahre
๐‘
braucht, um bis zum Beobachter zu gelangen. Entsprechend unserer Annahme, die Sterne würden
gleichzeitig zu leuchten beginnen, müssen die uns nahestehenden, deren Licht nicht so lange
unterwegs ist, 1023 Jahre unverändert leuchten, damit in dem Moment, wo das Licht der
entferntesten Sterne erstmals beim Beobachter ankommt, auch das der nahen zu einem hellen
Nachthimmel beitragen kann.
Nun kommt der entscheidende Einwand: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben wir gelernt,
wie die Sterne ihre Energie erzeugen und dass sie eine endliche Leuchtdauer haben.
Sonnenähnlichen Sternen gewährt der Hauptprozess der Energiefreisetzung, die Umwandlung von
5
Wasserstoff in Helium, eine Leuchtdauer von „nur“ ๐‘ก ∗ = 1010 Jahren. Nennen wir den Zeitpunkt, zu
dem die Sterne zu leuchten beginnen, ๐‘ก = 0, verlöschen sie alle gleichzeitig zum Zeitpunkt ๐‘ก = ๐‘ก ∗
(Abb. 5). Wegen der endlichen Lichtgeschwindigkeit kommt die Information darüber, dass ein Stern
verloschen ist, aber umso später beim Beobachter an, je weiter er entfernt ist. Ist gerade wenig mehr
als die Zeit ๐‘ก ∗ verstrichen, tragen die nahegelegenen Sterne schon nicht mehr zur
Nachthimmelshelligkeit bei, da sie nicht nur de facto, sondern auch für den Beobachter sichtbar,
bereits ausgebrannt sind. Von den entferntesten Sternen ist aber, obwohl auch sie schon verloschen
sind, noch nicht einmal ihr erstes Licht beim Beobachter eingetroffen. Dieser sieht folglich immer nur
das Leuchten von Sternen aus einer Kugelschale der Dicke ๐‘๐‘ก ∗ , die immer weiter in den Raum
hinauswandert. Sterne, die näher sind als der innere Rand dieser Schale, sind auch für den
Beobachter bereits erloschen. Sterne, die weiter entfernt sind als der äußere Schalenrand, sind zwar
auch verloschen, aber der Beobachter weiß davon noch nichts, denn ihr früher ausgesandtes Licht ist
noch zu ihm unterwegs.
Abbildung 5:
Das Raum-Zeit-Diagramm im oberen Teil der Abbildung zeigt als Parallelen zur Zeitachse die
Weltlinien von Sternen (oder Galaxien). Sie beginnen zur Zeit ๐‘ก = 0 zu leuchten
(durchgezogenen Linien) und verlöschen zur Zeit ๐‘ก ∗ = 1010 a (unterbrochene Linien). Die unter
45° gegen die Zeitachse geneigten Geraden sind Weltlinien des Lichtes, das zu zwei
verschiedenen Zeitpunkten, ๐‘ก ∗ und ๐‘ก > ๐‘ก ∗ , beim Beobachter, der sich bei ๐‘Ÿ = 0 befindet,
ankommt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sind nur die Sterne für den Beobachter sichtbar,
deren Weltlinien im Zeitintervall von ๐‘ก = 0 bis ๐‘ก = ๐‘ก ∗ einen Schnittpunkt mit den zu diesem
Zeitpunkt gehörenden Weltlinien des Lichtes haben. Das trifft stets nur für Sterne aus einem
Raumintervall der Größe ๐‘๐‘ก ∗ zu.
Da der Beobachter immer nur eine Schale der Dicke ๐‘๐‘ก ∗ = 1010 Lj von leuchtenden Sternen sieht, ist
das Verhältnis der Nachthimmelshelligkeit im Vergleich zur Helligkeit der Sonnenoberfläche nur
6
๐œŒ=
๐‘๐‘ก ∗
๐‘๐œ
=
1010 Lj
1023 Lj
= 10−13 .
Wir haben also die Voraussetzungen, unter denen das Nachthimmels-Paradoxon entstand, im
Wesentlichen beibehalten, lediglich das ewige Leuchten der Sterne durch ihre endliche Leuchtdauer
๐‘ก ∗ ersetzt und so bereits erklären können, warum die Sterne keinen hellen Nachthimmel erzeugen,
obwohl in einem unendlichen Universum unendlich viele Sterne verteilt sind.
Wir können nun unsere Argumentation auch umdrehen und angeben, wie das Universum beschaffen
sein müsste, damit es einen hellen Nachthimmel hat. Damit das Verhältnis
๐œŒ=
๐‘๐‘ก ∗
๐œ‹๐‘…โŠ™ 2
= ๐‘๐‘ก ∗
๐‘‘๐‘š๐‘Ž๐‘ฅ
V
gleich eins wird, müssten die Sterne bei unveränderter Größe und gegebenem mittlerem Abstand
1013 mal länger leuchten oder einen entsprechend größeren Durchmesser haben, so dass sich die
maximale Blickentfernung verkürzt. Nehmen wir die Sterne aber wie sie sind, müsste das Volumen,
das im Mittel einen Stern enthält, um den Faktor 10-13 kleiner sein, also 10−13 โˆ™ 109 Lj3 = 10−4 Lj3
betragen. Dann hätten die Sterne einen mittleren Abstand von nur 0,05 Lj. Wir können unser
Ergebnis also auch so ausdrücken: Das Leuchten der Sterne ist insgesamt zu schwach, als dass sie
während ihrer Leuchtdauer das Universum mit so viel Strahlung auffüllen könnten, dass der
Nachthimmel hell wäre.
Nun haben wir bisher unsere Voraussetzungen und Annahmen über die Sterne so einfach wie
möglich gehalten, um den Kern der Argumentation klar hervortreten zu lassen.
Natürlich fangen die Sterne nicht gleichzeitig zu leuchten an, denn es entstehen ja sogar ständig
neue. Das ändert jedoch nichts an der Antwort auf unsere Frage „Warum ist der Nachthimmel
dunkel?“. Wenn die Sterne nacheinander zu leuchten beginnen, wird einerseits die GesamtLeuchtdauer t ∗ verlängert. Da zu einem bestimmten Zeitpunkt jedoch nur ein Bruchteil der Sterne
leuchtet, vergrößert sich andererseits die maximale Blickentfernung in demselben Maße wie t ∗ , und
das Verhältnis ๐œŒ bleibt unverändert.
Auch lehrt uns der bloße Anblick des Bandes der Milchstraße, dass die Sterne keineswegs
gleichförmig im Raum verteilt sind. Überhaupt sind sie ja in Galaxien konzentriert, die als
„Elementarteilchen der Kosmologie“ ohnehin bei unseren Betrachtungen an die Stelle der Sterne
treten sollten. Auch der tiefste Blick in das Universum mit dem Hubble-Weltraumteleskop (Abb. 6)
zeigt Galaxien vor einem dunklen Himmel. Sie überschreiten also nicht jene Konfusionsgrenze,
jenseits derer sie einander überdecken und einzeln gar nicht mehr sichtbar sein würden. An unserer
Argumentation ändert dies jedoch gar nichts.
7
Abbildung 6:
Das Hubble Ultra Deep Field, der bislang tiefste Blick in das Universum der Galaxien
(Quelle: NASA/ESA)
Wir wissen nun, warum die Sterne (oder Galaxien) keinen hellen Nachthimmel erzeugen können.
Jedoch wissen wir damit noch nicht, was die Schwärze des Nachthimmels eigentlich ist. Bevor wir
diese Frage beantworten, wollen wir kurz andere Erklärungsversuche für die Dunkelheit des
Nachthimmels erwähnen.
Herkömmliche Erklärungsversuche für den dunklen Nachthimmel und deren Fehler
Es ist nicht genau bekannt, wann und durch wen die Frage nach dem dunklen Nachthimmel zuerst
gestellt wurde. Bis zu Johannes Kepler (1571-1630) lässt sich die Geschichte dieses Paradoxons, das
übrigens keineswegs immer als solches empfunden wurde, jedoch mindestens zurückverfolgen [3],
[5], [6]. Kepler nahm an, das Universum existiere in einem leeren Raum und werde durch einen
dunklen Rand abgeschlossen, so dass die Nachthimmelsdunkelheit eine Eigenschaft dieses Randes
ist.
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Nach Ansicht von Edmund Halley (1656-1742) verringert sich die Helligkeit des Sternenlichtes mit
zunehmender Entfernung so stark, dass der Nachthimmel nicht hell sein kann. Wie wir jedoch
eingangs gesehen haben (Abb. 3), nimmt die scheinbare Helligkeit der Sterne genau in dem Maße mit
wachsender Entfernung ab, in dem die Fläche einer Kugelschale zunimmt, so dass bei gleichförmiger
Verteilung der Sterne im Raum von allen um den Beobachter als Zentrum gedachten Kugelschalen
der gleiche Beitrag zur Nachthimmelshelligkeit kommt.
Ein Zeitgenosse Halleys, Jean-Phillipe Loys de
Cheseaux (1718-1751), schrieb die Dunkelheit des
Nachthimmels der Absorption des Sternenlichtes
durch interstellaren Staub zu. So argumentierte auch
Heinrich Wilhelm Olbers (1758-1840, Abb. 7), dem zu
Ehren das Nachthimmels-Paradoxon in der Literatur
oft als „Olbers-Paradoxon“ bezeichnet wird. Im Bilde
unserer Analogie ist es so, als ob es in dem Wald, in
den wir hineinblicken, neblig wäre. Heute wissen wir
jedoch, dass sich absorbierende Materie aufheizt und
im Zustand des Gleichgewichts selbst so viel
Strahlung emittiert wie sie aufnimmt.
Schließlich gab es Vorstellungen von einem
hierarchischen Universum, in dem die Materiedichte
mit zunehmender Entfernung so schnell abnimmt,
dass die maximale Blickentfernung unendlich groß
wird. Dann wäre der Nachthimmel zwar dunkel, es
gäbe in einem solchen Universum jedoch ein
Abbildung 7: Der Bremer Arzt und Astronom
Zentrum dort, wo die Dichte am größten ist. Im
Heinrich Wilhelm Olbers (1758-1840)
Vergleich dazu ist der erwähnte Keplersche
Lösungsvorschlag gewissermaßen ein Gegensatz: Er schreibt die Dunkelheit des Nachthimmels einer
endlichen Größe des Universums zu, die kleiner als die maximale Blickentfernung ist.
Die moderne Version eines endlichen Universums ist mit der Vorstellung verbunden, der Raum sei
nichteuklidisch und – wie etwa die Oberfläche eines kugelförmigen Ballons – unbegrenzt, aber von
endlicher Größe. Man gewinnt nun aber eine falsche Vorstellung von diesem Universum und der
Dunkelheit seines Nachthimmels, wenn man annimmt, die „Sehstrahlen“ eines (zweidimensionalen)
Beobachters verliefen tangential zur Oberfläche des Ballons in einen umgebenden leeren Raum
hinein und würde so den größten Teil der Sterne (oder Bäume) gar nicht streifen. Soll unser Ballon
ein Modell des Universums verkörpern, existiert er jedoch nicht in einem umgebenden Raum, seine
Oberfläche ist der Raum. Auch die Lichtstrahlen sind an diesen gebunden, umlaufen ihn, durch
Lichtablenkung vielfach aus ihrer Bahn gebracht, mehrmals und können auf diese Weise sogar den
Eindruck eines hellen Nachthimmels trotz endlicher Sternenzahl erzeugen [3].
Wie wir sehen, geben die alternativen Erklärungsversuche die eingangs gemachten Annahmen
teilweise preis und gehen am Kern der Antwort, die wir bereits gegeben haben, vorbei.
Es war kein Astronom, sondern der Schriftsteller Edgar Allan Poe (1809-1849), der diesen Kern erahnt
und gleichzeitig seine Einsicht erschrocken zurückgenommen hat [7]: „Wäre die Aufeinanderfolge
9
der Sterne endlos, würde der Himmelshintergrund eine einheitliche Helligkeit haben wie die
Milchstraße, denn es gäbe in diesem Hintergrund absolut keinen Punkt, an dem sich kein Stern
befände. Daher wäre die einzige Möglichkeit, unter diesen Umständen die Leere zu verstehen, die
unsere Teleskope in zahllosen Richtungen finden, anzunehmen, dass die Entfernung des unsichtbaren
Hintergrundes so riesig ist, dass uns bis jetzt noch kein Lichtstrahl von ihm erreichen konnte.“ Dann
heißt es aber weiter: „Dass das so sein könnte – wer wollte wagen, es zu leugnen? Ich behaupte
einfach, dass wir nicht einmal den Schatten eines Grundes haben, um zu glauben, dass es so ist.“
Die Erklärungen und Erklärungsversuche für den dunklen Nachthimmel lassen sich rückblickend in
zwei Gruppen einteilen:
1. Das Licht, das den Himmel hell machen könnte, ist vorhanden, kommt aber aus
verschiedenen Gründen beim Beobachter nicht an (Halley, de Cheseaux, Olbers).
2. Das Licht, das den Himmel hell machen könnte, ist nicht vorhanden und lässt sich auch mit
stärksten Teleskopen nicht nachweisen (Poe, Harrison). Die fehlenden Sterne befinden sich
außerhalb des beobachtbaren Universums, und der dunkle Hintergrund muss anderweitig
erklärt werden.
Der dunkle Nachthimmel in einem expandierenden Universum
Wir fügen den Fehlversuchen, das Nachthimmels-Paradoxon aufzulösen, zunächst noch die in der
Literatur häufig zu findende Behauptung hinzu, der Nachthimmel sei dunkel, weil das Universum
expandiert und durch die Expansions-Rotverschiebung das Licht der Galaxien geschwächt wird. Eine
eingehende Untersuchung auf der Grundlage der Friedmanschen Weltmodelle, in denen der
2
1
„Weltradius“ ๐‘…(๐‘ก) im Laufe der Zeit gemäß ๐‘…(๐‘ก)~๐‘ก ๐›ผ anwächst (๐›ผ = 3 für den „Staubkosmos“, ๐›ผ = 2
für den „Strahlungskosmos“), ergibt nun für das Verhältnis ๐œŒ [8]
๐œŒ=
๐‘ก∗ 1
๐œ 1+๐›ผ
.
Während also die Leuchtdauer ๐‘ก ∗ der Sterne im Verhältnis zur Lichtlaufzeit ๐œ über die maximale
Blickentfernung die Nachthimmelshelligkeit mit dem Faktor 10-13 reduziert, ergibt die Expansion
3
5
eines Staubkosmos nur einen vernachlässigbaren Faktor . In einem expandierenden Universum ist
der Nachthimmel also aus dem gleichen Grunde dunkel wie in einem statischen!
Das heißt jedoch nicht, dass die Expansion des Universums für die Dunkelheit des Nachthimmels
km
ohne Bedeutung wäre. Legen wir für die Expansion des Universums die Hubble-Zahl ๐ป = 70 sโˆ™Mpc
zugrunde, gewinnen wir aus
๐‘‡=
1
= 14 โˆ™ 109 Jahre
๐ป
eine grobe Vorstellung über das Alter der Welt, die Zeit also, die vergangen ist, seit die Expansion
begann. Offensichtlich ist sogar dieses Weltalter sehr viel kleiner als die Lichtlaufzeit ๐œ über die
maximale Blickentfernung. Selbst wenn die Sterne von einem Zeitpunkt t= 0 an ewig weiterleuchten
würden, wäre der Nachthimmel dunkel, weil das Universum noch zu jung ist, als dass das Licht schon
10
genügend Zeit gehabt haben könnte, um den Weg von den entferntesten Sternen zurückzulegen, die
noch zum hellen Nachthimmel beitragen müssen. Der Nachthimmel würde dann mit zunehmendem
Weltalter heller, da immer mehr Sterne sichtbar werden, ohne dass andere verlöschen. Wie wir aber
bereits erklärt haben, leuchten in unserem Universum die Sterne nicht ewig weiter, und ihr viel zu
frühes Verlöschen ist die Hauptursache für die Nachthimmelsdunkelheit.
Wenden wir uns nun abschließend der Frage zu, was denn eigentlich die Schwärze des Nachthimmels
ist, auf die wir, an den Sternen und Galaxien vorbei, in eine Zeit zurückblicken, als es Galaxien und
Sterne noch gar nicht gab.
Wegen seiner Expansion muss das Universum in der frühesten Zeit seiner Entwicklung, als alle
Materie auf engstem Raum zusammengeballt war, in einem physikalischen Zustand gewesen sein,
der sich von dem heutigen drastisch unterscheidet. Beschreibt man dieses frühe Universum im
Rahmen der Friedmanschen Weltmodelle, war es ein Strahlungskosmos. Die unseren heutigen
Staubkosmos beherrschenden Galaxien und Sterne gab es nicht, und die Temperatur war so hoch,
dass alle Materie ionisiert war. Zunächst konnten nicht einmal Atomkerne zusammenhalten [9], und
Protonen konnten Elektronen schon gar nicht an sich binden, so dass Wasserstoffatome hätten
entstehen können. Stattdessen schwirrten die Elektronen frei herum und stellten ein starkes
Hindernis für die Ausbreitung der Strahlung dar. Die häufige Streuung der Strahlung an den
Elektronen machte diesen „Urfeuerball“ optisch undurchsichtig wie ein Herdfeuer, in dessen Innerem
man die glühenden Kohlen nicht sieht.
Erst als die Welt ein Alter von etwa 400 000 Jahren erreichte, war die Strahlungstemperatur infolge
der Expansion auf 3 000 K gesunken. Dies war der Zeitpunkt der „letzten Streuung“; die Welt wurde
durchsichtig, weil sich Protonen und Elektronen zu neutralen Wasserstoffatomen zusammenfinden
konnten. Die Elektronen waren damit an die Protonen gebunden und behinderten die Strahlung
nicht mehr, die sich fortan ungehindert ausbreiten konnte.
Damit stellt sich die Frage nach dem dunklen Nachthimmel neu, jetzt allerdings nicht mehr mit dem
Namen Olbers verbunden: Sollte der Nachthimmel nicht einheitlich von einem ganz schwachen,
rötlichen Glimmen erfüllt sein, wie es einer Strahlungstemperatur von 3 000 K entspricht?
Seit dem Zeitpunkt der letzten Streuung hat sich die Welt ausgedehnt, und die Strahlung, die sich in
diesem expandierenden Raum ausgebreitet hat, hat eine Rotverschiebung erfahren. Dabei hat sie
zwar den visuellen Bereich des elektromagnetischen Spektrums verlassen, ist aber 1965 als 3KMikrowellen-Hintergrundstrahlung nachgewiesen worden. Wir können damit sogar sagen, dass sich
das Universum seit dem Zeitpunkt der letzten Streuung um den Faktor
hat.
11
3000 K
3K
= 1000 ausgedehnt
Abbildung 8:
Für das Radioteleskop von A. Penzias (rechts) und R.W. Wilson (links) ist
der Nachthimmel nicht dunkel. Mit ihm wurde die 3K-Hintergrundstrahlung entdeckt.
Die Schwärze des Nachthimmels ist also das stark durch die Expansion rotverschobene Nach„Glühen“ des Urfeuerballs aus der Frühgeschichte des Universums. Für die Radioantenne von Arno
Penzias und Robert Wilson (Abb. 8) wie auch für die Satelliten COBE, WMAP und PLANCK gibt es kein
Nachthimmels-Paradoxon – der Nachthimmel ist hell, wenn schon nicht von den Sternen und
Galaxien, so doch von der Reststrahlung des Urknalls (Abb. 9). Wir selbst haben beim Anblick des
Nachthimmels für diese Strahlung kein Sensorium, deshalb ist für uns der Nachthimmel dunkel.
Abbildung 9:
Der in falschen Farben dargestellte helle Nachthimmel, wie ihn der PLANCK-Satellit misst. Die
Farbunterschiede zeigen Temperaturschwankungen der Hintergrundstrahlung von hunderttausendstel Kelvin an. (Quelle: ESA/PLANCK)
12
Literatur:
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]
Guericke, O.v.: Neue Magdeburger Versuche über den leeren Raum. (Hrsg. F. Krafft), VDI-Verlag
GmbH, Düsseldorf 1996
Harrison, E.R.: Cosmology – the Science of the Universe. Cambridge University Press,
Cambridge 2000
Harrison, E.R.: Darkness at Night – A Riddle of the Universe, Harvard University Press,
Cambridge (MA), London 1987
Harrison, E.R.: The dark night sky paradox, American Journal of Physics 45(1977)(2)119-124
Harrison, E.R.: The Dark Night-Sky Riddle: A „Paradox“ That Resisted Solution, Science
226(1984)(11)941-945
Vollmer, G.: Warum wird es nachts dunkel? – Das Olberssche Paradoxon als wissenschaftliche
Fallstudie, Praxis der Naturwissenschaften, Physik 40(1991)(4)28-34
Poe, E.A.: Eureka: A Prose Poem, in: The Science Fiction of Edgar Allan Poe (Hrsg. Harold
Beaver), Penguin Books, London, New York 1976
Harrison, E.R.: Why the sky is dark at night, Physics Today 1974(2)30-35
Weinberg, S.: Die ersten drei Minuten – Der Ursprung des Universums, Piper-Verlag, München,
Zürich 1979
Danksagung:
Der Verfasser dankt Frau Marie-Sophie Schmidt für die rasche und sorgfältige Herstellung des
Manuskripts.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Karl-Heinz Lotze
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Physikalisch-Astronomische Fakultät
Arbeitsgruppe Physik- und Astronomie-Didaktik
Max-Wien-Platz 1
07743 Jena
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