Warum ist der Nachthimmel dunkel? – Ein altes Paradoxon im Lichte der modernen Wissenschaft – Karl-Heinz Lotze, Jena Das Nachthimmels-Paradoxon und seine Bedeutung für die Kosmologie Ein jeder von uns „weiß“ seit seiner frühesten Kindheit, dass der Nachthimmel dunkel ist. Kaum einer hat sich jedoch darüber gewundert, und den wenigsten ist bewusst, dass uns diese Beobachtung mit den entferntesten Regionen des Universums verbindet. Das neugierige Staunen über die Dunkelheit des Nachthimmels steht ganz am Anfang einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Kosmologie – und dazu bedarf es nicht einmal kostspieliger Teleskope. Natürlich heißt die Antwort auf die Frage „Warum ist der Nachthimmel dunkel?“ nicht: „Weil abends die Sonne untergeht“. In der Geschichte des wissenschaftlichen Nachdenkens über das Universum gab nicht einmal zu allen Zeiten einen Erklärungsbedarf für die Dunkelheit des Nachthimmels, wenn denn die Frage überhaupt gestellt wurde. Solange nämlich selbst Copernicus (1473-1543) das Universum noch jenseits der Planeten mit einer kristallinen Fixsternsphäre abschloss (Abb. 1), wäre die Antwort leicht zu geben gewesen: Die Schwärze des Nachthimmels ist eine Eigenschaft jener Fixsternsphäre, auf die uns die relativ dünn gesäten Sterne den Blick freigeben. Erst als Denker wie Thomas Digges (1543-1595) und Otto von Guericke (1602-1686) den Mut hatten, die Fixsternsphäre aufzulösen und die Sterne in einem unendlichen Raum zu verteilen (Abb. 2), wurde die Frage nach der Dunkelheit des Nachthimmels zu einem Problem und schließlich zu einem Paradoxon. Einer ersten, vorläufigen Formulierung dieses „Nachthimmel-Paradoxons“ wollen wir folgende Annahmen zugrunde legen: 1. Alle Sterne seien hinsichtlich Größe und Leuchtkraft unserer Sonne ähnlich. 2. Die Sterne seien gleichförmig in einem grenzenlosen, Euklidischen Universum verteilt. 3. Das Universum ist in allen seinen Eigenschaften unveränderlich und statisch; auch die Sterne leuchten ewig. Die letztgenannte Annahme dieses vom 16. bis in das 20. Jahrhundert vorherrschenden kosmologischen Modells, dass nämlich das Universum der Inbegriff der Ewigkeit sei, ist die wohl hartnäckigste in der Geschichte der Kosmologie überhaupt. Selbst Albert Einstein (1879-1955) suchte noch 1917 nach kosmologischen Modellen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie unter dieser Voraussetzung und konnte lange Zeit die theoretische Vorhersage einer Expansion des Universums durch Alexander Friedman (1888-1925) nicht akzeptieren. Die moderne Astrophysik und Kosmologie modifiziert mehr oder weniger drastisch jede der gemachten Annahmen. Hält man jedoch an ihnen fest, gäbe es unendlich viele Sterne, und man sollte meinen, dass diese einen unendlich hellen Nachthimmel erzeugen müssten, denn wohin sich unser Blick auch richtet – er trifft auf einen Stern. Das ist offensichtlich in krassem Widerspruch zu aller Erfahrung, eben ein Paradoxon. 1 Abbildung 1: Im Copernicanischen Weltbild steht die Sonne im Mittelpunkt, und das Universum wird durch eine äußere Fixsternsphäre abgeschlossen. (Quelle: [1]) Abbildung 2: Im Universum von Thomas Digges (links) werden jenseits der Planetenbahnen die Sterne in einem unendlichen Raum verteilt. Auch Otto v. Guericke löste die äußere Sphäre der Fixsterne auf (rechts), glaubte aber an ein endliches Universum der Sterne, das von einer unendlichen Leere umgeben wird. (Quelle: [1], [2]) Es hat bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gedauert, dass wir die Frage nach der Dunkelheit des Nachthimmels beantworten konnten. Dazu ist es nicht einmal nötig, alle oben genannten Annahmen nach neuestem Erkenntnisstand zu modifizieren. Seit wir nämlich wissen, wie Sterne ihre Energie erzeugen, können wir das Paradoxon beinahe in dem Rahmen auflösen, in dem es entstand [2], [3]. Wir dürfen nur nicht länger annehmen, dass die Sterne ewig leuchten, denn auch sie verfügen nur über endliche Energievorräte. Auf dieses Argument ist der moderne Mensch aber vorbereitet, und es erscheint ihm ganz natürlich. Dass das Universum sich ausdehnt und der Raum möglicherweise gar keine Euklidische Geometrie hat, ist jedoch für den Kern der Antwort, die wir geben werden, ohne Bedeutung. 2 Bevor wir nun die lehrreiche und verblüffend einfache Erklärung für die Dunkelheit des Nachthimmels im Detail ausarbeiten, wollen wir das Paradoxon präziser formulieren, denn die genannten Voraussetzungen implizieren durchaus nicht einen unendlich hellen Nachthimmel. Die präzise Formulierung des Nachthimmels-Paradoxons Wir betrachten in dem unendlich ausgedehnten, gleichmäßig mit Sternen bevölkerten Universum Kugelschalen gleicher Dicke [4], (Abb.3). Die Fläche ๐ด einer solchen Kugelschale wächst mit dem Radius ๐ gemäß ๐ด~๐ 2 . Sind die Sterne gleichförmig verteilt, wächst ihre Anzahl ๐ auf einer Kugelschale mit deren Größe, ๐~๐ 2 . Wenn weiterhin jeder der sonnenähnlichen Sterne die ๐ฟ Leuchtkraft ๐ฟ hat, ist seine scheinbare Helligkeit ๐~ ๐2 , und der gesamte Strahlungsfluss, der von einer Kugelschale ausgeht und beim Beobachter ankommt, ist ๐ โ ๐ = const. Die Energiedichte ist also unabhängig vom Radius ๐ einer Kugelschale, so dass jede gleich viel zur Nachthimmelshelligkeit beiträgt. In einem unendlichen Universum gibt es unendlich viele Kugelschalen, und die Energiedichte der Strahlung müsste in deren Zentrum folglich unendlich groß sein. Abbildung 3: Bei gleichförmiger Verteilung der Sterne im Raum ist das von einer gedachten Kugelschale beim Beobachter ankommende Licht unabhängig vom Radius der Kugelschale. Jedoch haben wir nicht bedacht, dass sich die sonnenähnlichen Sterne vom Radius ๐ dem Licht noch entfernterer Sterne als „Scheibchen“ der Fläche ๐ = ๐๐ 2 in den Weg stellen. Mit anderen Worten: Da Sterne nicht punktförmig sind, verdecken sie einander, so dass nicht alle zur Nachthimmelshelligkeit beitragen können. Eine Analogie [3] macht dies noch deutlicher: Stellen wir uns vor, wir blicken, auf einer Wiese stehend, in ein ausgedehntes Waldstück hinein (Abb. 4). Entsprechend unseren Annahmen über die Sterne mögen die Bäume einheitliche Abstände voneinander haben, und die Baumstämme seien 3 gleich dick. Ist das Waldstück nur tief genug, trifft unser Blick in jeder Richtung auf einen Baum in endlicher Entfernung. Alle noch weiter entfernten Bäume werden von den vordergründigen verdeckt. Wie groß die maximale Blickentfernung ist, bevor wir im sprichwörtlichen Sinne „den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen“, hängt vom Abstand der Bäume und ihrem Stammdurchmesser ab. Ist z.B. ๐ด = 100m2 die Fläche des Waldbodens, auf dem im Mittel ein Baum steht und haben die Baumstämme einen Durchmesser ๐ท = 0,5m, ist die maximale Blickentfernung ๐ด ๐๐๐๐ฅ = ๐ท = 200m. Noch weiter entfernte Bäume sind nicht mehr sichtbar. Abbildung 4: Eine Analogiebetrachtung über die Verteilung der Sterne oder Galaxien im Raum (hier ein Ausschnitt aus dem Galaxienhaufen im Sternbild Coma) und der Bäume in einem Waldstück führt über den Begriff der maximalen Blickentfernung zur Lösung des NachthimmelsParadoxons. Kehren wir nun in Gedanken zurück zu den Sternen. Wenn die Sternscheibchen ab einer bestimmten maximalen Blickentfernung einander verdecken, so dass Sterne in noch größerem Abstand nicht mehr zur Nachthimmelshelligkeit beitragen können, müsste, sonnenähnliche Sterne vorausgesetzt, der Nachthimmel so hell sein wie die Sonnenscheibe bei Tage. Der ganze Himmel sollte als eine Fläche erscheinen, die entsprechend der Oberflächentemperatur der Sonne von etwa ๐โ = 5800K leuchtet. Auch dies ist im Widerspruch zur Erfahrung, stellt aber eine präzisere Formulierung des Nachthimmels-Paradoxons dar. Die Analogiebetrachtung mit den Baumstämmen wurde zum ersten Mal durch Otto von Guericke angeführt. Wir lesen [1]: „Denn dass sie [die Sterne – Anm. d. Verf.] nicht bis ins Unendliche beobachtet werden können, beweist noch nicht ihr Nichtvorhandensein, so wenig wie jemand behaupten kann, ein Wald habe deswegen ein Ende, weil in weiterer Ferne keine Bäume mehr zu sehen seien.“ Wir bestimmen zunächst die maximale Blickentfernung in die Tiefe des Universums. Dazu müssen wir wissen, wie groß das Volumen ist, in dem sich im Mittel ein Stern befindet. Wenn wir alle Materie im Universum, deren mittlere Massendichte wir mit einem Wasserstoffatom pro m3 entsprechend ๐ = 1,67 โ 10−30 g/cm3 annehmen wollen, in sonnenähnliche Sterne der Massendichte ๐โ = 1,41g/cm3 verwandeln würden, ist das gesuchte Volumen ๐= ๐โ ๐ ๐โ ≈ 109 Lj3 , 4 3 so dass der mittlere Abstand zwischen den Sternen ๐∗ = √๐ ≈ 103 Lj beträgt. Die Fläche eines sonnenähnlichen Sterns mit dem Radius ๐ โ = 6,96 โ 105 km ist (in Analogie zur Dicke der Baumstämme) ๐ = ๐๐ โ 2 ≈ 1,5 โ 1012 km2 . Daraus ergibt sich die maximale Blickentfernung zu ๐๐๐๐ฅ = ๐ ≈ 1023 Lj. ๐ Damit sich in unserem Universum genügend Sternscheibchen zu einer lückenlosen leuchtenden Wand zusammenschließen können, die so hell ist wie unsere Sonne, muss beim Beobachter gleichzeitig das Licht von allen Sternen zusammenkommen, die über eine Entfernung von 1023 Lj (!) gleichmäßig in der Tiefe des Raumes verteilt sind. In dieser unvorstellbar großen Zahl liegt der Schlüssel zum Verständnis der Dunkelheit des Nachthimmels. Die Lösung des Paradoxons in dem Rahmen, in dem es entstand Wenn wir den gestirnten Himmel betrachten, sehen wir die Sterne und erst recht die Galaxien nicht so, wie sie im Augenblick der Beobachtung beschaffen sind. Ein Blick in die Tiefen des Raumes ist immer auch ein Blick zurück in die Vergangenheit: Wir sehen die Sonne so, wie sie vor 8 ½ Minuten und die Andromeda-Galaxie, wie sie vor etwa 2 ½ Millionen Jahren ausgesehen hat. Das liegt an der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, mit der die Informationen über die Beschaffenheit der Himmelskörper zu uns gelangen. Wir wollen nun eine der anfangs gemachten Annahmen fallenlassen, nämlich die, dass die Sterne ewig strahlen, und der Einfachheit halber annehmen, sie hätten alle gleichzeitig zu leuchten begonnen. Die anderen Annahmen, die unserem einfachen kosmologischen Modell zugrunde liegen, werden wir nicht antasten. Wenn nun die maximale Blickentfernung in unserem Universum 1023 Lj beträgt, bedeutet dies, dass das Licht der am weitesten entfernten Sterne, deren Beitrag zur Nachthimmelshelligkeit wir noch benötigen (und das sind die meisten, denn je weiter die gedachten Kugelschalen entfernt sind, umso größer sind sie und umso mehr Sterne haben auf ihnen Platz), die Zeit ๐= ๐๐๐๐ฅ = 1023 Jahre ๐ braucht, um bis zum Beobachter zu gelangen. Entsprechend unserer Annahme, die Sterne würden gleichzeitig zu leuchten beginnen, müssen die uns nahestehenden, deren Licht nicht so lange unterwegs ist, 1023 Jahre unverändert leuchten, damit in dem Moment, wo das Licht der entferntesten Sterne erstmals beim Beobachter ankommt, auch das der nahen zu einem hellen Nachthimmel beitragen kann. Nun kommt der entscheidende Einwand: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben wir gelernt, wie die Sterne ihre Energie erzeugen und dass sie eine endliche Leuchtdauer haben. Sonnenähnlichen Sternen gewährt der Hauptprozess der Energiefreisetzung, die Umwandlung von 5 Wasserstoff in Helium, eine Leuchtdauer von „nur“ ๐ก ∗ = 1010 Jahren. Nennen wir den Zeitpunkt, zu dem die Sterne zu leuchten beginnen, ๐ก = 0, verlöschen sie alle gleichzeitig zum Zeitpunkt ๐ก = ๐ก ∗ (Abb. 5). Wegen der endlichen Lichtgeschwindigkeit kommt die Information darüber, dass ein Stern verloschen ist, aber umso später beim Beobachter an, je weiter er entfernt ist. Ist gerade wenig mehr als die Zeit ๐ก ∗ verstrichen, tragen die nahegelegenen Sterne schon nicht mehr zur Nachthimmelshelligkeit bei, da sie nicht nur de facto, sondern auch für den Beobachter sichtbar, bereits ausgebrannt sind. Von den entferntesten Sternen ist aber, obwohl auch sie schon verloschen sind, noch nicht einmal ihr erstes Licht beim Beobachter eingetroffen. Dieser sieht folglich immer nur das Leuchten von Sternen aus einer Kugelschale der Dicke ๐๐ก ∗ , die immer weiter in den Raum hinauswandert. Sterne, die näher sind als der innere Rand dieser Schale, sind auch für den Beobachter bereits erloschen. Sterne, die weiter entfernt sind als der äußere Schalenrand, sind zwar auch verloschen, aber der Beobachter weiß davon noch nichts, denn ihr früher ausgesandtes Licht ist noch zu ihm unterwegs. Abbildung 5: Das Raum-Zeit-Diagramm im oberen Teil der Abbildung zeigt als Parallelen zur Zeitachse die Weltlinien von Sternen (oder Galaxien). Sie beginnen zur Zeit ๐ก = 0 zu leuchten (durchgezogenen Linien) und verlöschen zur Zeit ๐ก ∗ = 1010 a (unterbrochene Linien). Die unter 45° gegen die Zeitachse geneigten Geraden sind Weltlinien des Lichtes, das zu zwei verschiedenen Zeitpunkten, ๐ก ∗ und ๐ก > ๐ก ∗ , beim Beobachter, der sich bei ๐ = 0 befindet, ankommt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sind nur die Sterne für den Beobachter sichtbar, deren Weltlinien im Zeitintervall von ๐ก = 0 bis ๐ก = ๐ก ∗ einen Schnittpunkt mit den zu diesem Zeitpunkt gehörenden Weltlinien des Lichtes haben. Das trifft stets nur für Sterne aus einem Raumintervall der Größe ๐๐ก ∗ zu. Da der Beobachter immer nur eine Schale der Dicke ๐๐ก ∗ = 1010 Lj von leuchtenden Sternen sieht, ist das Verhältnis der Nachthimmelshelligkeit im Vergleich zur Helligkeit der Sonnenoberfläche nur 6 ๐= ๐๐ก ∗ ๐๐ = 1010 Lj 1023 Lj = 10−13 . Wir haben also die Voraussetzungen, unter denen das Nachthimmels-Paradoxon entstand, im Wesentlichen beibehalten, lediglich das ewige Leuchten der Sterne durch ihre endliche Leuchtdauer ๐ก ∗ ersetzt und so bereits erklären können, warum die Sterne keinen hellen Nachthimmel erzeugen, obwohl in einem unendlichen Universum unendlich viele Sterne verteilt sind. Wir können nun unsere Argumentation auch umdrehen und angeben, wie das Universum beschaffen sein müsste, damit es einen hellen Nachthimmel hat. Damit das Verhältnis ๐= ๐๐ก ∗ ๐๐ โ 2 = ๐๐ก ∗ ๐๐๐๐ฅ V gleich eins wird, müssten die Sterne bei unveränderter Größe und gegebenem mittlerem Abstand 1013 mal länger leuchten oder einen entsprechend größeren Durchmesser haben, so dass sich die maximale Blickentfernung verkürzt. Nehmen wir die Sterne aber wie sie sind, müsste das Volumen, das im Mittel einen Stern enthält, um den Faktor 10-13 kleiner sein, also 10−13 โ 109 Lj3 = 10−4 Lj3 betragen. Dann hätten die Sterne einen mittleren Abstand von nur 0,05 Lj. Wir können unser Ergebnis also auch so ausdrücken: Das Leuchten der Sterne ist insgesamt zu schwach, als dass sie während ihrer Leuchtdauer das Universum mit so viel Strahlung auffüllen könnten, dass der Nachthimmel hell wäre. Nun haben wir bisher unsere Voraussetzungen und Annahmen über die Sterne so einfach wie möglich gehalten, um den Kern der Argumentation klar hervortreten zu lassen. Natürlich fangen die Sterne nicht gleichzeitig zu leuchten an, denn es entstehen ja sogar ständig neue. Das ändert jedoch nichts an der Antwort auf unsere Frage „Warum ist der Nachthimmel dunkel?“. Wenn die Sterne nacheinander zu leuchten beginnen, wird einerseits die GesamtLeuchtdauer t ∗ verlängert. Da zu einem bestimmten Zeitpunkt jedoch nur ein Bruchteil der Sterne leuchtet, vergrößert sich andererseits die maximale Blickentfernung in demselben Maße wie t ∗ , und das Verhältnis ๐ bleibt unverändert. Auch lehrt uns der bloße Anblick des Bandes der Milchstraße, dass die Sterne keineswegs gleichförmig im Raum verteilt sind. Überhaupt sind sie ja in Galaxien konzentriert, die als „Elementarteilchen der Kosmologie“ ohnehin bei unseren Betrachtungen an die Stelle der Sterne treten sollten. Auch der tiefste Blick in das Universum mit dem Hubble-Weltraumteleskop (Abb. 6) zeigt Galaxien vor einem dunklen Himmel. Sie überschreiten also nicht jene Konfusionsgrenze, jenseits derer sie einander überdecken und einzeln gar nicht mehr sichtbar sein würden. An unserer Argumentation ändert dies jedoch gar nichts. 7 Abbildung 6: Das Hubble Ultra Deep Field, der bislang tiefste Blick in das Universum der Galaxien (Quelle: NASA/ESA) Wir wissen nun, warum die Sterne (oder Galaxien) keinen hellen Nachthimmel erzeugen können. Jedoch wissen wir damit noch nicht, was die Schwärze des Nachthimmels eigentlich ist. Bevor wir diese Frage beantworten, wollen wir kurz andere Erklärungsversuche für die Dunkelheit des Nachthimmels erwähnen. Herkömmliche Erklärungsversuche für den dunklen Nachthimmel und deren Fehler Es ist nicht genau bekannt, wann und durch wen die Frage nach dem dunklen Nachthimmel zuerst gestellt wurde. Bis zu Johannes Kepler (1571-1630) lässt sich die Geschichte dieses Paradoxons, das übrigens keineswegs immer als solches empfunden wurde, jedoch mindestens zurückverfolgen [3], [5], [6]. Kepler nahm an, das Universum existiere in einem leeren Raum und werde durch einen dunklen Rand abgeschlossen, so dass die Nachthimmelsdunkelheit eine Eigenschaft dieses Randes ist. 8 Nach Ansicht von Edmund Halley (1656-1742) verringert sich die Helligkeit des Sternenlichtes mit zunehmender Entfernung so stark, dass der Nachthimmel nicht hell sein kann. Wie wir jedoch eingangs gesehen haben (Abb. 3), nimmt die scheinbare Helligkeit der Sterne genau in dem Maße mit wachsender Entfernung ab, in dem die Fläche einer Kugelschale zunimmt, so dass bei gleichförmiger Verteilung der Sterne im Raum von allen um den Beobachter als Zentrum gedachten Kugelschalen der gleiche Beitrag zur Nachthimmelshelligkeit kommt. Ein Zeitgenosse Halleys, Jean-Phillipe Loys de Cheseaux (1718-1751), schrieb die Dunkelheit des Nachthimmels der Absorption des Sternenlichtes durch interstellaren Staub zu. So argumentierte auch Heinrich Wilhelm Olbers (1758-1840, Abb. 7), dem zu Ehren das Nachthimmels-Paradoxon in der Literatur oft als „Olbers-Paradoxon“ bezeichnet wird. Im Bilde unserer Analogie ist es so, als ob es in dem Wald, in den wir hineinblicken, neblig wäre. Heute wissen wir jedoch, dass sich absorbierende Materie aufheizt und im Zustand des Gleichgewichts selbst so viel Strahlung emittiert wie sie aufnimmt. Schließlich gab es Vorstellungen von einem hierarchischen Universum, in dem die Materiedichte mit zunehmender Entfernung so schnell abnimmt, dass die maximale Blickentfernung unendlich groß wird. Dann wäre der Nachthimmel zwar dunkel, es gäbe in einem solchen Universum jedoch ein Abbildung 7: Der Bremer Arzt und Astronom Zentrum dort, wo die Dichte am größten ist. Im Heinrich Wilhelm Olbers (1758-1840) Vergleich dazu ist der erwähnte Keplersche Lösungsvorschlag gewissermaßen ein Gegensatz: Er schreibt die Dunkelheit des Nachthimmels einer endlichen Größe des Universums zu, die kleiner als die maximale Blickentfernung ist. Die moderne Version eines endlichen Universums ist mit der Vorstellung verbunden, der Raum sei nichteuklidisch und – wie etwa die Oberfläche eines kugelförmigen Ballons – unbegrenzt, aber von endlicher Größe. Man gewinnt nun aber eine falsche Vorstellung von diesem Universum und der Dunkelheit seines Nachthimmels, wenn man annimmt, die „Sehstrahlen“ eines (zweidimensionalen) Beobachters verliefen tangential zur Oberfläche des Ballons in einen umgebenden leeren Raum hinein und würde so den größten Teil der Sterne (oder Bäume) gar nicht streifen. Soll unser Ballon ein Modell des Universums verkörpern, existiert er jedoch nicht in einem umgebenden Raum, seine Oberfläche ist der Raum. Auch die Lichtstrahlen sind an diesen gebunden, umlaufen ihn, durch Lichtablenkung vielfach aus ihrer Bahn gebracht, mehrmals und können auf diese Weise sogar den Eindruck eines hellen Nachthimmels trotz endlicher Sternenzahl erzeugen [3]. Wie wir sehen, geben die alternativen Erklärungsversuche die eingangs gemachten Annahmen teilweise preis und gehen am Kern der Antwort, die wir bereits gegeben haben, vorbei. Es war kein Astronom, sondern der Schriftsteller Edgar Allan Poe (1809-1849), der diesen Kern erahnt und gleichzeitig seine Einsicht erschrocken zurückgenommen hat [7]: „Wäre die Aufeinanderfolge 9 der Sterne endlos, würde der Himmelshintergrund eine einheitliche Helligkeit haben wie die Milchstraße, denn es gäbe in diesem Hintergrund absolut keinen Punkt, an dem sich kein Stern befände. Daher wäre die einzige Möglichkeit, unter diesen Umständen die Leere zu verstehen, die unsere Teleskope in zahllosen Richtungen finden, anzunehmen, dass die Entfernung des unsichtbaren Hintergrundes so riesig ist, dass uns bis jetzt noch kein Lichtstrahl von ihm erreichen konnte.“ Dann heißt es aber weiter: „Dass das so sein könnte – wer wollte wagen, es zu leugnen? Ich behaupte einfach, dass wir nicht einmal den Schatten eines Grundes haben, um zu glauben, dass es so ist.“ Die Erklärungen und Erklärungsversuche für den dunklen Nachthimmel lassen sich rückblickend in zwei Gruppen einteilen: 1. Das Licht, das den Himmel hell machen könnte, ist vorhanden, kommt aber aus verschiedenen Gründen beim Beobachter nicht an (Halley, de Cheseaux, Olbers). 2. Das Licht, das den Himmel hell machen könnte, ist nicht vorhanden und lässt sich auch mit stärksten Teleskopen nicht nachweisen (Poe, Harrison). Die fehlenden Sterne befinden sich außerhalb des beobachtbaren Universums, und der dunkle Hintergrund muss anderweitig erklärt werden. Der dunkle Nachthimmel in einem expandierenden Universum Wir fügen den Fehlversuchen, das Nachthimmels-Paradoxon aufzulösen, zunächst noch die in der Literatur häufig zu findende Behauptung hinzu, der Nachthimmel sei dunkel, weil das Universum expandiert und durch die Expansions-Rotverschiebung das Licht der Galaxien geschwächt wird. Eine eingehende Untersuchung auf der Grundlage der Friedmanschen Weltmodelle, in denen der 2 1 „Weltradius“ ๐ (๐ก) im Laufe der Zeit gemäß ๐ (๐ก)~๐ก ๐ผ anwächst (๐ผ = 3 für den „Staubkosmos“, ๐ผ = 2 für den „Strahlungskosmos“), ergibt nun für das Verhältnis ๐ [8] ๐= ๐ก∗ 1 ๐ 1+๐ผ . Während also die Leuchtdauer ๐ก ∗ der Sterne im Verhältnis zur Lichtlaufzeit ๐ über die maximale Blickentfernung die Nachthimmelshelligkeit mit dem Faktor 10-13 reduziert, ergibt die Expansion 3 5 eines Staubkosmos nur einen vernachlässigbaren Faktor . In einem expandierenden Universum ist der Nachthimmel also aus dem gleichen Grunde dunkel wie in einem statischen! Das heißt jedoch nicht, dass die Expansion des Universums für die Dunkelheit des Nachthimmels km ohne Bedeutung wäre. Legen wir für die Expansion des Universums die Hubble-Zahl ๐ป = 70 sโMpc zugrunde, gewinnen wir aus ๐= 1 = 14 โ 109 Jahre ๐ป eine grobe Vorstellung über das Alter der Welt, die Zeit also, die vergangen ist, seit die Expansion begann. Offensichtlich ist sogar dieses Weltalter sehr viel kleiner als die Lichtlaufzeit ๐ über die maximale Blickentfernung. Selbst wenn die Sterne von einem Zeitpunkt t= 0 an ewig weiterleuchten würden, wäre der Nachthimmel dunkel, weil das Universum noch zu jung ist, als dass das Licht schon 10 genügend Zeit gehabt haben könnte, um den Weg von den entferntesten Sternen zurückzulegen, die noch zum hellen Nachthimmel beitragen müssen. Der Nachthimmel würde dann mit zunehmendem Weltalter heller, da immer mehr Sterne sichtbar werden, ohne dass andere verlöschen. Wie wir aber bereits erklärt haben, leuchten in unserem Universum die Sterne nicht ewig weiter, und ihr viel zu frühes Verlöschen ist die Hauptursache für die Nachthimmelsdunkelheit. Wenden wir uns nun abschließend der Frage zu, was denn eigentlich die Schwärze des Nachthimmels ist, auf die wir, an den Sternen und Galaxien vorbei, in eine Zeit zurückblicken, als es Galaxien und Sterne noch gar nicht gab. Wegen seiner Expansion muss das Universum in der frühesten Zeit seiner Entwicklung, als alle Materie auf engstem Raum zusammengeballt war, in einem physikalischen Zustand gewesen sein, der sich von dem heutigen drastisch unterscheidet. Beschreibt man dieses frühe Universum im Rahmen der Friedmanschen Weltmodelle, war es ein Strahlungskosmos. Die unseren heutigen Staubkosmos beherrschenden Galaxien und Sterne gab es nicht, und die Temperatur war so hoch, dass alle Materie ionisiert war. Zunächst konnten nicht einmal Atomkerne zusammenhalten [9], und Protonen konnten Elektronen schon gar nicht an sich binden, so dass Wasserstoffatome hätten entstehen können. Stattdessen schwirrten die Elektronen frei herum und stellten ein starkes Hindernis für die Ausbreitung der Strahlung dar. Die häufige Streuung der Strahlung an den Elektronen machte diesen „Urfeuerball“ optisch undurchsichtig wie ein Herdfeuer, in dessen Innerem man die glühenden Kohlen nicht sieht. Erst als die Welt ein Alter von etwa 400 000 Jahren erreichte, war die Strahlungstemperatur infolge der Expansion auf 3 000 K gesunken. Dies war der Zeitpunkt der „letzten Streuung“; die Welt wurde durchsichtig, weil sich Protonen und Elektronen zu neutralen Wasserstoffatomen zusammenfinden konnten. Die Elektronen waren damit an die Protonen gebunden und behinderten die Strahlung nicht mehr, die sich fortan ungehindert ausbreiten konnte. Damit stellt sich die Frage nach dem dunklen Nachthimmel neu, jetzt allerdings nicht mehr mit dem Namen Olbers verbunden: Sollte der Nachthimmel nicht einheitlich von einem ganz schwachen, rötlichen Glimmen erfüllt sein, wie es einer Strahlungstemperatur von 3 000 K entspricht? Seit dem Zeitpunkt der letzten Streuung hat sich die Welt ausgedehnt, und die Strahlung, die sich in diesem expandierenden Raum ausgebreitet hat, hat eine Rotverschiebung erfahren. Dabei hat sie zwar den visuellen Bereich des elektromagnetischen Spektrums verlassen, ist aber 1965 als 3KMikrowellen-Hintergrundstrahlung nachgewiesen worden. Wir können damit sogar sagen, dass sich das Universum seit dem Zeitpunkt der letzten Streuung um den Faktor hat. 11 3000 K 3K = 1000 ausgedehnt Abbildung 8: Für das Radioteleskop von A. Penzias (rechts) und R.W. Wilson (links) ist der Nachthimmel nicht dunkel. Mit ihm wurde die 3K-Hintergrundstrahlung entdeckt. Die Schwärze des Nachthimmels ist also das stark durch die Expansion rotverschobene Nach„Glühen“ des Urfeuerballs aus der Frühgeschichte des Universums. Für die Radioantenne von Arno Penzias und Robert Wilson (Abb. 8) wie auch für die Satelliten COBE, WMAP und PLANCK gibt es kein Nachthimmels-Paradoxon – der Nachthimmel ist hell, wenn schon nicht von den Sternen und Galaxien, so doch von der Reststrahlung des Urknalls (Abb. 9). Wir selbst haben beim Anblick des Nachthimmels für diese Strahlung kein Sensorium, deshalb ist für uns der Nachthimmel dunkel. Abbildung 9: Der in falschen Farben dargestellte helle Nachthimmel, wie ihn der PLANCK-Satellit misst. Die Farbunterschiede zeigen Temperaturschwankungen der Hintergrundstrahlung von hunderttausendstel Kelvin an. (Quelle: ESA/PLANCK) 12 Literatur: [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] Guericke, O.v.: Neue Magdeburger Versuche über den leeren Raum. (Hrsg. F. Krafft), VDI-Verlag GmbH, Düsseldorf 1996 Harrison, E.R.: Cosmology – the Science of the Universe. Cambridge University Press, Cambridge 2000 Harrison, E.R.: Darkness at Night – A Riddle of the Universe, Harvard University Press, Cambridge (MA), London 1987 Harrison, E.R.: The dark night sky paradox, American Journal of Physics 45(1977)(2)119-124 Harrison, E.R.: The Dark Night-Sky Riddle: A „Paradox“ That Resisted Solution, Science 226(1984)(11)941-945 Vollmer, G.: Warum wird es nachts dunkel? – Das Olberssche Paradoxon als wissenschaftliche Fallstudie, Praxis der Naturwissenschaften, Physik 40(1991)(4)28-34 Poe, E.A.: Eureka: A Prose Poem, in: The Science Fiction of Edgar Allan Poe (Hrsg. Harold Beaver), Penguin Books, London, New York 1976 Harrison, E.R.: Why the sky is dark at night, Physics Today 1974(2)30-35 Weinberg, S.: Die ersten drei Minuten – Der Ursprung des Universums, Piper-Verlag, München, Zürich 1979 Danksagung: Der Verfasser dankt Frau Marie-Sophie Schmidt für die rasche und sorgfältige Herstellung des Manuskripts. Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Karl-Heinz Lotze Friedrich-Schiller-Universität Jena Physikalisch-Astronomische Fakultät Arbeitsgruppe Physik- und Astronomie-Didaktik Max-Wien-Platz 1 07743 Jena 13