Bericht über die Expertentagung „Extremismus in Deutschland

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Bericht über die Expertentagung „Extremismus in Deutschland – Schwerpunkte,
Perspektiven, Vergleich“ der Hanns-Seidel-Stiftung vom 28. bis 30. März 2014 in
Kloster Banz
Benedikt Kellerer
Politischer Extremismus stellt in Deutschland nach wie vor eine ernst zu nehmende Gefahr
dar. Nach einem vorläufigen Bericht der Bundesregierung, der im Dezember 2013
veröffentlicht wurde, stieg etwa die Zahl der rechtsextremen Übergriffe auf Flüchtlingsheime
weiter an. Insgesamt ergebe sich ein „herausragendes Gefährdungspotential“. Aber die
Unruhen in Hamburg im Dezember 2013 machen deutlich, dass auch linksextremistische
Gewalt weiter eine große Bedrohung darstellt.
Die Expertentagung „Extremismus in Deutschland –
Schwerpunkte, Perspektiven,
Vergleich“, welche die Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in
Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Eckhard Jesse, Institut für Politikwissenschaft der TU
Chemnitz, vom 28. bis 30. März 2014 im Bildungszentrum Kloster Banz veranstaltete, steht
dabei in der langen Tradition der Beschäftigung mit den zentralen Phänomenen des
politischen Extremismus. Da dieser in seiner gesamten Bandbreite in Theorie und Praxis
diskutiert werden sollte, wurden zentrale Aspekte des gegenwärtig in der Bundesrepublik
Deutschland manifestierten politischen Extremismus mit Fachleuten aus dem Bereich der
Extremismusforschung und der Exekutive beschrieben, analytisch bewertet und in ein
extremismustheoretisches Gesamtbild eingeordnet.
In seinen einleitenden Worten blickte Prof. Dr. Eckhard J e s s e auf 50 Jahre NPD zurück
und gab gleichzeitig einen Ausblick auf die Zukunft der Partei. Seinen Vortrag unterteilte er in
Vergangenheit, d.h. die Zeit von der Gründung der Partei bis zum Abtritt des
Parteivorsitzenden Udo Voigt, Gegenwart, d.h. die Partei unter der Führung des
Vorsitzenden Holger Apfel, und Zukunft, also die Zeit nach dessen Rücktritt im Dezember
2013. Dabei stellte er auch die Frage nach dem tatsächlichen Einfluss der ältesten und
größten deutschen rechtsextremen Partei auf die Politik.
Nach ihrer Gründung als Nachfolgepartei der Deutschen Reichspartei im Jahre 1964 konnte
die NPD zunächst einen kometenhaften Aufstieg verzeichnen, den Jesse auf einen leichten
wirtschaftlichen Abschwung in dieser Zeit zurückführt. Die NPD schaffte in dieser Zeit auf
Anhieb den Einzug in sieben deutsche Landesparlamente. Nachdem sie bei der
Bundestagswahl 1969 jedoch knapp an der 5 %-Hürde gescheitert war, entwickelten sich
heftige interne Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Flügeln der Partei, die sich in
schlechten Wahlergebnissen niederschlugen. Auch außerparlamentarisch konnte die NPD in
den 1970er und 1980er Jahren keine wirkliche außerparlamentarische Opposition darstellen.
Obwohl die NPD trotz der aufkommenden Erfolge von Republikanern und DVU in den
1990ern die stärkste rechtsextremistische Kraft in Deutschland blieb, fruchtete der
traditionelle Rechtsextremis der Partei weiter kaum, sodass sich die Partei weiter
radikalisierte und zur „Schlacht um Köpfe, Straßen und Wahlen“ aufrief. Doch auch diese
Strategie blieb zunächst erfolglos.
Erst in der ersten Hälfte des neuen Jahrtausends konnte die NPD wieder mehr Stimmen für
sich gewinnen. Im Zuge des gescheiterten Verbotsantrags der Partei entwickelte sich eine
Eigendynamik, die zu gesteigerten Wahlergebnissen der NPD führten. Dennoch sieht Jesse
darin nicht den Hauptgrund für den Einzug der Partei in die Landtage von Sachsen und
Mecklenburg-Vorpommern, sondern vielmehr in der Änderung der Hartz IV-Gesetzgebung
im Jahr 2004. Unter den neuen Parteivorsitzenden Udo Voigt radikalisierte sich die Partei
weiter und baute die Zusammenarbeit mit den Kameradschaften weiter aus, sodass Jesse
von einem „zweiten Frühling“ der NPD in dieser Zeit sprach. Für ihn ist es vor allem auf zwei
Gründe zurückzuführen, warum die Partei im Osten deutlich stärker ist als im Westen. Die
sei zum einen die hohe Arbeitslosigkeit und die geringe Konfessionsbindung der Menschen,
zum anderen aber auch das Erbe des Sozialismus und der DDR als eine geschlossene und
nicht weltoffene Gesellschaft.
Dennoch spalteten Grabenkämpfe zwischen Anhängern des Berliner Wegs um Voigt und
Anhängern des Sächsischen Wegs um Apfel die Partei in der Folgezeit zusehends, sodass
Voigt auch innerhalb der Partei sehr umstritten war. Die Wahlen in Berlin 2011 waren für ihn
daher von großer Bedeutung. Trotz eines recht provozierenden Wahlkampfes musste Voigt
jedoch deutliche Stimmenverluste hinnehmen und in der Folge auch vom Amt des
Parteivorsitzenden zurücktreten.
Ihm folgte Holger Apfel, der zunächst einen schlechten Start hinlegte. Obwohl die NPD nicht
als politischer Arm der NSU zu sehen ist, keimte in der Öffentlichkeit sofort wieder der Ruf
nach einem neuerlichen Verbotsantrag auf, den der Bundesrat im Dezember 2013 auch
beim Bundesverfassungsgericht einreichte. Für Jesse selbst lässt sich der Erfolg des
Antrags nur schwer einschätzen. Er sieht ihn als „im Kern möglich, jedoch nicht nötig“ an.
Die Voraussetzung für ein Verbot erfülle die Partei, jedoch sei unklar, ob das
Verfassungsgericht
nicht
auch
weitere
Kriterien
wie
Gefahrenpotential
oder
Verhältnismäßigkeit berücksichtige und ob der Europäische Menschengerichtshof ein
mögliches Verbot aus Karlsruhe nicht wieder kippen könnte. Als Anhänger einer streitbaren
Demokratie sieht Jesse daher weniger die Notwendigkeit eines Verbots sondern vielmehr die
Stärkung der Demokratie geboten, um der NPD politisch entgegenzutreten.
So konnte Jesse über die Zukunft der NPD auch nur Spekulationen anführen. Für ihn wird
die
Partei
weiterhin
keinen
Erfolg
besitzen
und
persönliche
Fehden
und
Auseinandersetzungen auch unter dem neuen Vorsitzenden Udo Pastörs weiter zunehmen.
Auch wenn die Partei möglicherweise den Einzug in das Europäische Parlament schaffen
werde, werde die Zahl der Mitglieder weiter abnehmen und auch der Wiedereinzug in den
sächsischen Landtag nur schwer zu erreichen sein. Nach 50 Jahren sei die NPD ein
„Scherbenhaufen“ und habe dem Rechtsextremismus durch ihr plumpes Auftreten sehr
geschadet.
Prof. Dr. Roland S t u r m, Institut für Politische Wissenschaft der Universität ErlangenNürnberg, setzte sich im Anschluss mit extremistischer und nicht-extremistischer Kritik an der
Europäischen Union vor den Europawahlen 2014 auseinander. So stellte er zunächst fest,
dass in diesem Jahr europaweit deutlich mehr Parteien mit EU-skeptischer Haltung den
Einzug in das Europäische Parlament schaffen könnten.
Im Mittelpunkt seines Vortrages stand jedoch das 2012 erschienene Buch „Gekaufte Zeit.
Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ von Wolfgang Streeck, dem Direktor
des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln. Der Autor habe hier ein
„Manifest der Kritik an der EU“ verfasst und so zeigte sich Sturm auch erstaunt, dass es in
der Öffentlichkeit trotz der prominenten Stellung des Autors kaum Gegenwind gegeben
hätte. In seinem Werk spinne Streeck die marxistische Gesellschaftskritik (tendenzieller Fall
der Profitrate, Verschärfung der Ausbeutung der Arbeitskraft, höheres Tempo der
Produktion, neue Anlagemöglichkeiten des Kapitals) weiter und übertrage diese auf die
Europäische Union. So sehe Streeck die EU als ein neoliberales Projekt an, dass sich neue
Anlageformen und Mehrwertquellen erschließe und somit auch verantwortlich sei, dass die
Geldwirtschaft
immer
neue
Lebensbereiche
erobere.
Die
EU
sei
daher
die
„Liberalisierungsmaschine des europäischen Kapitalismus“. Zudem konstatiere Streeck der
EU auch ein ausgeprägtes demokratisches Defizit und erkenne sogar die schleichende
Abschaffung der Demokratie. Die EU befinde sich auf dem Weg zu einem internationalen
Superstaat ohne Demokratie. Auch die Einführung einer gemeinsamen europäischen
Währung sehe Streeck als ein „frivoles Experiment im Geiste einer Religion gewordenen
politisch-ökonomischen Ideologie“. Mit der Verurteilung der EU als anti-demokratisch, antisozial und neoliberal würden sich bei Streeck daher alle Argumente finden, die auch die
Partei Die Linke immer wieder gegen die Europäische Union ins Feld führe, so Sturm weiter.
Für Streeck liege die Erklärung, warum sich niemand gegen die EU erhebt, darin, dass die
Systemopposition
durch
die
„Sicherung
der
Konsumgesellschaft“
und
der
damit
einhergehenden „Erzeugung von Massenloyalität“ ruhig gestellt werde. Laut Sturm hoffe
Streeck daher auf die „Empörung der Straße“, ein Ende des Euro und den Wiederaufstieg
der Nationalstaaten. Hier verkenne Streeck jedoch die Tatsachen und habe Unrecht, so
Sturm. Die EU sei kein Nationalstaat und sei auch nicht mit einem Nationalstaat zu
vergleichen, was nicht zuletzt durch die unterschiedlichen Gesetzgebungsverfahren und den
Doppelcharakter
als
supranationale
und
gleichzeitig
auch
intergouvernementale
Organisation zum Ausdruck käme.
Im zweiten Teil seines Vortrags kam Professor Sturm auch auf nicht-extremistische Kritik an
der Europäischen Union zu sprechen. Die Kritik am Euro entzünde sich vor allem an der
Forderung, dass eine Abwertung und ein Aufbrechen des Währungsraumes möglich sein
müssen. Hinzu kämen immer wieder kritische Stimmen, die einen Bruch der Verträge (Bailout-Verbot; Verbot der Staatsfinanzierung) oder auch finanzielle Repressionen während der
Eurokrise (Inflation, Geldentwertung) anprangern.
Betrachtet man das demokratische Defizit, so würde die EU häufig als ein „sanftes Monster“
und Elitenprojekt dargestellt. Hinzu kommen eine fehlende europäische Öffentlichkeit,
Probleme bei der Input- und Outputlegitimation sowie eine unvollendete Staatlichkeit.
Aufgrund eines fehlenden Verständnisses für die EU sei es nie gelungen, die „besondere
Form der Demokratie“ zu erklären. Und so würde auch die kritische Sichtweise der EU durch
das Bundesverfassungsgericht dieses vermeintliche demokratische Defizit weiter befeuern,
so Sturm in seinem Fazit.
Im Anschluss plädierte Prof. Dr. Armin P f a h l – T r a u g h b e r von der Fachhochschule
des Bundes für Öffentliche Verwaltung in Brühl für einen verstärkten Fokus auf die Methoden
der Vergleichenden Extremismusforschung und stellte dazu eine Fallstudie anhand der NSUSerienmorde vor. Dabei stellte er sich zwei grundlegende Fragen: Warum war es so schwer,
die Morde als rechtsextremistisch motiviert wahrzunehmen? Wie hätte man die Morde doch
als rechtsextremistisch motiviert wahrnehmen können?
Die Antworten auf beide Fragen könne die Perspektive der komparativen Extremismus- und
Terrorismusforschung liefern. Der Erkenntnisgewinn des Vergleichs beziehe sich einerseits
auf die Erfassung von Besonderheiten, die erst durch die komparative Betrachtung der
jeweiligen Spezifika eines untersuchten Phänomens erfasst werden könnten. Andererseits
könnten so jedoch auch neue Entwicklungen besser eingeschätzt und bewertet werden.
Drittens erlauben komparative Betrachtungen auch die Erfassung neuer Entwicklungen im
jeweiligen Extremismusbereich oder anderen Extremismusbereichen im In- und Ausland,
sodass sich Prognosen und Szenarien für die Zukunft erstellen ließen. Schließlich könnten
mit der komparativen Perspektive auch Bedingungsfaktoren und Ursachen für das Agieren
gewaltbereiter Gruppen ermittelt und eingeschätzt werden.
Warum war es nun so schwer, die Serienmorde als rechtsextremistisch motiviert
wahrzunehmen? Für Pfahl-Traughber unterscheidet sich die NSU hinsichtlich der Artikulation
rechtsextremistischer
Gewalt
zunächst
in
grundlegender
Weise
von
anderen
rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten, die in aller Regel ohne längerfristige Planung
und
aus
einer
spontanen
Situation
heraus
erfolgten.
Zudem
agierten
bisherige
rechtsextremistische Gruppen nicht sehr professionell und konnten daher von den Behörden
in aller Regel ziemlich schnell zerschlagen werden. Zudem seien in der Vergangenheit
gezielte Tötungen nie geplant gewesen, es dominierten vielmehr Anschläge auf
Einrichtungen oder Fahrzeuge. Der NSU habe überdies einen „kommunikationslosen
Terrorismus“ betrieben, der ebenfalls untypisch für Rechtsterroristen sei, die ihre politische
Botschaft durch die Auswahl von Opfern und Tatorten kommunizieren würden.
Dennoch ist Pfahl-Traughber der Auffassung, dass man die Morde des NSU durch eine
vergleichende Analyse eindeutig als rechtsextrem motiviert hätte wahrnehmen können. Bei
Gewaltdarstellungen in rechtsextremistischen Medien sei eine ansteigende Enthemmung
von Gewalt festzustellen, sodass unfairen Gewaltformen und massenhaften Vernichtungen
immer mehr gehuldigt würde. Da diese Form der Gewalt in der rechtsextremistischen Szene
immer stärker an Bedeutung gewinnt, hätte man daraus leicht die Gefahr von gezielten
Tötungen ableiten können. Zudem habe die Auffassung von einer „Braunen RAF“ mit klaren
hierarchischen Strukturen lange Zeit das Denken der Sicherheitsbehörden dominiert. Mit
einem vergleichenden Blick hätte man jedoch auch diese überkommene Sichtweise
überwinden und die neuen Strukturen mit eigenständigen Zellen erkennen können. Ohnehin
ließen sich bei einem Blick ins Ausland durchaus Fälle identifizieren, die denen der
Serienmorde des NSU ähneln. So seien etwa rechtsextreme Gruppierungen in den USA
häufig in kleinen Zellen organisiert, in Schweden tötete der sogenannte „Lasermann“ Anfang
der 1990er Jahre gezielt elf Personen mit Migrationshintergrund und in Großbritannien
verübte ein Neonazi 1999 drei Anschläge mit Nagelbomben auf öffentlichen Straßen mit
hoher Bewohnerdichte von Migranten, bei denen drei Menschen ums Leben kamen.
Pfahl-Traughber kommt zu dem Schluss, dass die rechtsextremistischen Gewalttaten in
Schweden und Großbritannien von den NSU-Mördern nicht unbedingt als „Blaupause“
genutzt worden seinen, sie jedoch für eine bereits zuvor existente gleiche Form des
rechtsextremistischen Terrorismus stehen. Zudem mache der vergleichende Blick auf
organisatorische Entwicklungen im islamistischen wie linken und rechten Terrorismus im Inund Ausland deutlich, dass derartiges Agieren nicht mehr von hoch entwickelten
Organisationsstrukturen,
sondern
von
führerlosen
kleinen
Zellen
erfolge.
Den
Sicherheitsbehörden habe es daher schlicht an analytischem Vermögen und Phantasie
gefehlt, um die rechtsextremistischen Motive des NSU zu entdecken.
Die „Sicherheitsarchitektur“ nach dem Bekanntwerden der NSU stellte Dr. Helmut A l b e r t,
Direktor des Landesamtes für Verfassungsschutz des Saarlandes, vor. Die Tatsache, dass
der rechtsextreme Hintergrund nicht erkannt worden ist, sei ein „Trauma für die
Sicherheitsbehörden“ gewesen. Nach Bekanntwerden seien die Verfassungsschutzbehörden
den unterschiedlichsten Vorwürfen ausgesetzt gewesen, die sie als „unfähig“ oder
„chaotisch“ darstellten oder gar eine Zusammenarbeit mit dem NSU oder Vertuschung der
Ereignisse zum Thema hatten. Als Konsequenz beschäftigten sich bundesweit vier
parlamentarische Untersuchungsausschüsse, mehrere Expertenkommissionen von Bund
und Ländern, mehrere Sonderermittler und nicht zuletzt auch die große Strafkammer des
Oberlandesgerichts München mit der Aufklärung der Morde des NSU. Die wichtigsten
Ergebnisse dieser Untersuchungen seinen nach Albert, dass es keine Hinweise auf
staatliche Beteiligung an den Taten des NSU gebe und von dessen Existenz vor seiner
Entdeckung seitens staatlicher Stellen nichts bekannt war. Zudem konnte kein generelles
Versagen der deutschen Sicherheitsarchitektur festgestellt werden, allerdings würden
zahlreiche Fehler aller beteiligten Behörden Änderungen im Detail erfordern.
Albert
kritisierte
jedoch
gleichzeitig
auch
das
methodische
Vorgehen
der
Untersuchungsausschüsse und deren unausgesprochene Annahme, dass es sich vom
Untertauchen bis zu den Morden um einen einheitlichen Vorgang handle und dass es nicht
zu den Morden gekommen wäre, wenn man das Trio gefasst hätte. Dabei müsse man
jedoch genau zwischen den einzelnen Vorgängen unterscheiden und die einzelnen Akteure
(und ihre Fehler) differenziert betrachten.
Aufgrund
der
Vielzahl
(Gefahrenabwehr,
von
Akteuren
Strafverfolgung,
auf
dem
Gebiet
Nachrichtendienste)
der
Inneren
ergebe
Sicherheit
sich
eine
Schnittstellenproblematik. Die Fehler, die beim Verfassungsschutz auf der Suche nach dem
Trio daher festgestellt wurden, bezogen sich insbesondere auf unzureichende Auswertung
und Weiterleitung von Informationen sowohl im Verfassungsschutzverbund als auch an die
Polizei,
sowie
das
Fehlen
einer
übergeordneten
Koordinierung
innerhalb
des
Verfassungsschutzverbundes. Letztere werde nun verstärkt durch das Bundesamt für
Verfassungsschutz
wahrgenommen,
so
Albert
weiter.
Zudem
wurden
stärkere
Verpflichtungen zum gegenseitigen Austausch von Informationen nach vorab festgelegten
Kriterien beschlossen, sowohl innerhalb des Verfassungsschutzverbundes als auch mit der
Polizei. Nicht zuletzt werde nun der gewaltbereite Extremismus stärker priorisiert und die
Ausbildung verbessert.
Umgekehrt hätte sich jedoch auch innerhalb der Polizei eine Schnittstellenproblematik
ergeben, so Albert. Informationen seien nicht ausgewertet und weitergeleitet worden,
insbesondere auch nicht an die Verfassungsschutzbehörden. Daher sei in der Folge der
Leitfaden „Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz“ überarbeitet worden,
sowie ein Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GAR/GETZ) und
eine Rechtsextremismusdatei (RED) eingerichtet worden. Auch hinsichtlich der V-Mann-
Problematik habe man eine Angleichung der Verfahrensweisen der Werbung, Führung und
Bezahlung im Verfassungsschutzverbund erreicht, sowie die Einrichtung einer zentralen
Datei beim Bundesamt für Verfassungsschutz, selbst wenn sich Fehler hinsichtlich der
Rekrutierung von V-Männern nach Albert nicht negativ auf die Suche nach dem Trio oder die
Aufklärung des NSU ausgewirkt hätten.
Nicht zuletzt hätte es auch noch Koordinierungsprobleme im komplexen, mehrere Länder
übergreifenden Strafverfahren der Morde gegeben, da durch das Fehlen einer einheitlichen
Ermittlungsführung bei der Polizei und einer einheitlichen Verfahrensleitung durch die
Staatsanwaltschaft Informationsverluste aufgetreten seien. Bisher gebe es für die Lösung
dieser Probleme allerdings nur vage Vorschläge (stärkere Einbeziehung des BKA,
Ausweitung
der
Befugnisse
des
Generalbundesanwalts,
verstärkte
Durchführung
staatsanwaltschaftlicher Sammelverfahren).
Insgesamt kommt Albert jedoch zu dem Schluss, dass sich die Voraussetzungen für die
Zusammenarbeit im VS-Verbund und von Verfassungsschutz und Polizei bei der Fahndung
nach politischen Extremisten oder für die Bewältigung von Gefahrenlagen deutlich
verbessert hätten. Jedoch bleibe es weiter schwierig, eine extremistische Motivation von
Straftaten zu erkennen, da die Beteiligung des Verfassungsschutzes nur dann erfolgen
könne, wenn die Strafermittler ein extremistisches Motiv vermuten.
Dr. Viola N e u von der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung
in Berlin beschäftigte sich aus empirischer Sicht mit den rechts- und linksextremistischen
Parteien nach der Bundestagswahl 2013. Da all diese zusammen und mit Ausnahme der
Partei Die Linke jedoch nur 1.7 % der Stimmen erreichten, gestalte sich eine detaillierte
Analyse schlichtweg unmöglich. Hinzu käme die Tatsache, dass normale Umfragen eine zu
kleine Stichprobe besäßen und daher noch geringere Fallzahlen extremistischer Wähler
beinhalteten. Nicht zuletzt weil auch geschlossene Einstellungen und Ideologien noch
seltener zu finden sind, seien extremistische Wähler für die Wahl- und Einstellungsforschung
seinen daher kaum fassbar. Einzig durch aufwändige qualitative Interviews zeige sich, dass
die ideologischen Aspekte der 70er Jahre bei Linksextremen kaum mehr vorhanden seien.
Vielmehr finde die Mobilisierung nahezu ausschließlich durch die Abgrenzung und den
Kampf gegen rechts statt. Hinzu käme auch eine Vielzahl von unterschiedlichen
Verschwörungstheorien.
Auch der Wahlkampf der extremistischen Parteien selbst ließe sich nur schwer analysieren,
so Neu weiter. Die Höhe des Budgets oder die Zahl der Plakate seien kaum zu ermitteln.
Dies gelte ebenso für die Frage, ob eine relevante Anzahl von Personen im Wahlkampf
erreicht worden sei und somit die Strategie auch als erfolgreich zu bezeichnen sei.
Warum nun solche Parteien manchmal erfolgreich sind und manchmal nicht, erklärt sich Neu
vor allem durch Gelegenheitsstrukturen, wie das Parteienrecht, das Wahlrecht oder auch
den Parteienwettbewerb. Als klassische Erklärungsmuster für die Wahl von extremistischen
Parteien dienen für Neu somit vor allem die eigenen soziale Lage, Deprivation,
gesellschaftlicher Protest und die gesamtwirtschaftliche Lage. Aufgrund des zu kleinen
Untersuchungsgegenstands ließe sich hier jedoch keineswegs ein klarer kausaler
Zusammenhang ableiten.
Am Ende versuchte Neu ihren Vortrag noch etwas mit empirischen Daten zu füttern, indem
sie die Wählerstruktur der NPD, der AfD und der Linken analysierte. So werde die NPD
überwiegend von Männern jungen bis mittleren Alters aus der Arbeiterklasse gewählt.
Hochburgen befänden sich im Osten Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns. Ähnliches
gelte auch für die AfD, jedoch würden die Wähler hier einen höheren Bildungsgrad besitzen.
Auffällig sei jedoch die Überschneidung der Hochburgen von AfD und NPD. Die Linke würde
insbesondere bei Arbeitslosen und Gewerkschaftsmitgliedern einen besonders hohen
Zuspruch erfahren. Allerdings sei sie in Ostdeutschland auch nicht mehr überall so stark wie
einst.
Eine Prognose für die anstehenden Europawahlen abzugeben, gestaltete sich daher auch
für Neu ziemlich schwierig. Die Tatsache, dass es sich hier um eine second-order Wahl
handle und dass dafür kaum ein eigenständiger, europäischer Wahlkampf geführt werde,
könne sich sowohl positiv als auch negativ auf den Erfolg der kleinen extremistischen
Parteien auswirken.
Im Anschluss widmete sich Ulrike M a d e s t, Technische Universität Chemnitz, der
linksextremistischen Musik und stellte die Frage, ob es sich dabei um ein von den
Verfassungsschutzbehörden
vernachlässigtes
Thema
handle.
Dass
sich
die
rechtsextremistische Szene durch eigene Musik weiter mobilisiert und radikalisiert, sei
bereits hinlänglich bekannt, jedoch stelle auch linksextremistische Musik kein wirklich neues
Phänomen dar, da sie bereits spätestens seit Anfang der 1980er Jahre in Deutschland
existiere. Wie mehrere Auseinandersetzung zwischen linksextremistischen Gruppen und der
Polizei direkt im Anschluss von Konzerten linksextremistischer Bands zeigen würden, sinke
die Hemmschwelle für Gewalt durch diese Musik. Die Problemwahrnehmung durch die
Verfassungsschutzbehörden habe sich allerdings erst in den letzten Jahren entwickelt,
jedoch erkenne sie nur eine geringe Bereitschaft der Behörden, weiter gegen
linksextremistische Musik vorzugehen. Auch die Politikwissenschaft zeige kein wirkliches
Interesse
an
der
Erforschung
linksextremistischer
Musik,
sodass
sich
ein
stark
asymmetrisches Verhältnis zwischen rechts- und linksextremistischer Musik ergeben habe.
Linksextremistische Musik sei zunächst allein eine Sammelbezeichnung für Musik mit Texten
mit linksextremistischem Hintergrund oder Ideologiefragmenten. Zwar bilde der Text das
wesentliche Kriterium zu Beurteilung und Einordnung, es seinen jedoch noch weitere
Kriterien notwendig, um die Musik als linksextremistisch motiviert zu identifizieren. Madest
betonte dabei, dass insbesondere auch eine Betrachtung der auf den Konzerten und in den
Liedern
verwendeten
Konzertbesucher
Symbolik
notwendig
und
sei.
nicht
Dennoch
zuletzt
auch
würden
der
sich
Bandmitglieder
immer
wieder
und
auch
Abgrenzungsprobleme ergeben und vor allem auch die Frage, welchen Grad an
extremistischen Äußerungen die Texte erreichen müssten, um nicht mehr unter den
Deckmantel der künstlerischen Freiheit zu fallen.
Die Musik selbst verbreite sich vor allem über einschlägige Seiten im Internet, wo sie auch
häufig mit linksextremistischen Blogs verknüpf sei, so Madest weiter. Allerdings würden
hierfür auch vermehrt Demos als Anknüpfungspunkte der Szene und nicht zuletzt auch
Schulhöfe verwendet, was etwa das Verteilen einer „Roten Schulhof CD“ der Sozialistischen
Deutschen Arbeiterjugend deutlich mache. Relevante Handlungsakteure festzustellen
gestalte sich als schwierig, es zeige sich jedoch deutlich, dass die Musiker vor allem
männlich seien. Stilistisch würden Hip-Hop und Punk die linksextremistische Musikszene
dominieren, es ließen sich jedoch auch andere Stilrichtungen wie Elektronik oder Ska
vorfinden. Die Hörerschaft selbst könne man in drei Gruppen aufteilen, so Madest. Zum
einen Personen, denen die Musikrichtung egal ist und die Musik allein aufgrund ihrer
Gesinnung hören würden, zum anderen Personen, die sich allein für die Musik interessiert
und für die der Text keine Rolle spielt, sowie drittens eine Mischung aus beiden, d.h. dass
das Interesse für die Texte durchaus vorhanden ist, jedoch kein linksextremistischer
Hintergrund zu vermuten sei.
Inhaltlich würden sich die Texte vor allem auf drei Schwerpunkte fokussieren. Sie seien zum
einen
antifaschistisch,
d.h.
sie
verbreiten
Hass
und
propagieren
Gewalt
gegen
Rechtsxtremisten, zum anderen seien die Texte jedoch auch staatsfeindlich und riefen zu
einer „Revolution für die Anarchie“ auf. Nicht zuletzt sei auch das Thema Anti-Repression
auch ein inhaltlicher Schwerpunkt linksextremistischer Musiktexte, womit vor allem der Aufruf
zur Gewaltanwendung gegen Polizeibeamte gemeint sei, aber auch das Zeichnen eines
Bildes vom „gewalttätigen und willkürlichen Polizisten“. Politiker selbst würden in den Texten
zumeist eine eher untergeordnete Rolle spielen. Stilistisch sei zudem auffällig, dass vor
allem Tiermetaphern (z.B. „Bullenschweine“) verwendet würden, um den vermeintlichen
Feind zu dehumanisieren.
Für die Szene selbst, habe die Musik unterschiedliche Funktionen. Neben der Unterhaltung
diene sie zunächst einmal auch zum Ideologietransport, zur Motivation und zur
Mobilisierung. Darüber hinaus komme der Erlös aus dem Verkauf der Musik häufig
linksextremistischen Projekten und Organisationen zugute, kommerziell vertrieben werde die
Musik jedoch kaum.
Madest kommt daher zu dem Schluss, dass inhaltlich vor allem die Konstruktion von
Feindbildern eine herausragende Rolle spiele und die Musik durchaus ein effektives Mittel
zur Ideologieverbreitung, insbesondere bei Jugendlichen, darstelle. Sie sei jedoch keine
„Einstiegsdroge“ in den Linksextremismus. Eine Indizierung bestimmter Titel halte sie zwar
für wenig wirkungsvoll hinsichtlich der Verbreitung der Musik, aber dennoch sinnvoll, da es
ein wichtiges Zeichen sei und durchaus auch zu einer finanziellen Schwächung der Bands
kommen könnte. Allerdings fehle es im Moment an einem objektiven Kriterienkatalog,
wonach man Musik als klar linksextrem einstufen und indizieren könne.
Als nächste referierte Dr. Bettina B l a n k, Landesamt für Verfassungsschutz BadenWürttemberg,
zum
Thema
„Der
Kampf
gegen
‚rechts‘
als
Ansatzpunkt
zur
Systemüberwindung“. Als zentrale Akteure im Kampf gegen rechts, genauer gesagt
Rechtsextremismus, identifizierte sie die autonome Antifa, die DKP und sowie Die Linke.
Das Faschismusverständnis von Linksextremisten gründe vor allem auf der Dimitrow-These
von 1935, wonach der Faschismus als Form der Klassenherrschaft und Instrument des
Finanzkapitals zur Herrschaftssicherung in Krisenzeiten angesehen werde. Verbunden mit
dieser These sei auch eine strategische Neuausrichtung des Antifaschismus. Das neue
Verständnis des Antifaschismus als „Klassenkampf“ beinhaltete auch die Abkehr von dem
Gedanken der Errichtung einer Diktatur des Proletariats in Deutschland und die Hinwendung
zu einer Defensivstrategie mit Verzicht auf die Revolution und Verteidigung der „bürgerlichen
Demokratie“,
um
diese
später
selbst
zu
missbrauchen.
Das
linksextremistische
Antifaschismus-Verständnis gründe somit zum einen auf dem Kampf um die Deutungshoheit
der Geschichte, zum anderen aber auch auf einem praktischen und politisch-ideologischen
Kampf. Grundlegend hierfür sei bis heute die Machterwerbs- und Bündnispolitik
antifaschistischer Gruppen.
Dafür sei jedoch eine Legitimation nach außen notwendig, die antifaschistische Gruppierung
mit unterschiedlichen Strategien zu erreichen versuchen. Hier sei zum einen eine historische
Strategie zu finden, indem man den Kampf gegen Nazi-Deutschland als „antifaschistischen
Befreiungskrieg“ darstelle und sich dabei auf den Konsens der Siegermächte zum Kampf
gegen den Faschismus über alle Weltanschauungen hinweg berufe. Zum anderen gebe es
auch eine völkerrechtliche Legitimationsstrategie, in dem man sich auf die im Potsdamer
Abkommen
von
1945
beschlossenen
4
Ds
(Denazifizierung,
Demilitarisierung,
Demokratisierung, Dezentralisierung) beziehe. Um das Vermächtnis der Siegermächte zu
erfüllen, hätten diese Grundsätze weiterhin Gültigkeit. Die juristische Legitimationsstrategie
beziehe sich direkt auf das Grundgesetz, in dem ein deutlicher antifaschistischer Auftrag zu
erkennen sei, der sich wiederum aus einer Vielzahl antifaschistischer Normen ergebe. Dabei
werde sich vor allem auf Art. 139 GG berufen und behauptet, dass Rechtsextremisten
aufgrund dessen nicht dem Schutz des Grundgesetzes unterliegen würden. Schließlich gebe
es noch eine ethisch-moralische Legitimationsstrategie, die sich auf den Schwur von
Buchenwald als antifaschistischen Gründungsmythos berufe. Der Kampf gegen rechts werde
somit als Vermächtnis des historisch antifaschistischen Widerstandes instrumentalisiert.
Für den eigentlichen Kampf gegen rechts identifizierte Blank drei wesentliche Ansatzpunkte.
Dabei sei zunächst die politische Bekämpfung durch antifaschistische Bildungs- und
Aufklärungsarbeit über die Hintergründe und Gefahren des Rechtsextremismus zu nennen.
Ziel sei die Vermittlung von antifaschistischen Inhalten sowie Sensibilisierung und
Mobilisierung gegen rechts. Dabei werde zum Teil mit nachrichtendienstlichen Methoden
gearbeitet, so Blank weiter. Eine zentrale Rolle bei der Verbreitung der Inhalte spiele auch
die Partei Die Linke, die immer wieder eigene Entwürfe und Vorschläge gegen den
Rechtextremismus in den Bundestag einbringe. Die juristische Bekämpfung des Faschismus
berufe sich auf das bereits genannte Faschismusverbot im Grundgesetz. Dabei werde davon
ausgegangen, dass es rein rechtlich gar keinen Faschismus mehr geben dürfe. Im
Umkehrschluss bedeute dies auch, dass aus antifaschistischer Perspektive der Staat und die
Regierung verfassungsfeindlich handeln würden. Die implizite Botschaft sei somit, dass die
Grundrechte nicht für Faschisten gelten würden, die Antifaschisten die Hüter der Verfassung
seien und der Widerstand gegen rechts somit rechtens sei. Seitens der Partei Die Linke
habe es auch immer wieder Versuche gegeben, dem Kampf gegen den Rechtsextremismus
und damit auch dem Schwur von Buchenwald Verfassungsrang zukommen zu lassen. Das
gleiche gelte für die Verschärfung von strafrechtlichen Bestimmungen, die allerdings nur für
Rechtsextremisten Geltung besitzen sollten. Schließlich kämpfe der Antifaschismus auf ganz
praktische Weise gegen den Rechtsextremismus, indem er zum Kampf auf der Straße oder
zu einer umfassenden Verhinderung faschistischer Aktivitäten aufrufe. Es gehe insgesamt
vor allem um die Herstellung von Öffentlichkeit und Skandalisierung, die Mobilisierung
sowohl der eigenen Anhänger als auch von Bündnispartnern, sowie den Aufbau politischen
Drucks und das Einbringen alternativer Vorschläge durch die Partei Die Linke.
Blank zieht daher das besorgniserregende Fazit, dass der antifaschistische Kampf durchaus
kurz- und mittelfristige Erfolge erzielen könne und als „Einstieg in die antifaschistische
Republik“ zu werten sei. Langfristig nütze die Antifa die Wege des Staates, den sie selbst
überwinden wolle, und versuche durch politische wie juristische Weichenstellungen, die
Politik in eine bestimmte Richtung zu drängen.
Benjamin O n a s c h vom Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern
beschäftigte sich im Anschluss mit dem Thema Islamophobie und der Frage nach Mythos
oder Realität. Dabei gliederte er seinen Vortrag in zwei Teilaspekte: zum einen die Analyse
des Diskurses um den Begriff der Islamophobie und zum anderen eine Betrachtung der
Sichtweise des Verfassungsschutzes.
O n a s c h analysierte zunächst die öffentlichen deutschen Diskurse über den Islam, die im
Kern Diskurse über das Selbstbild und das Selbstverständnis Deutschland seien. Der von
ehemaligen Vorsitzenden des Sachverständigenrates Deutscher Stiftungen für Integration
und Migration, Klaus Bade, als „diskursiver Bürgerkrieg“ bezeichnete öffentliche Diskurs über
den Islam sei „zweifelsfrei dichotomer Natur“ und bediene sich den „klassischen Mitteln der
Kulturrevolution“, so O n a s c h. Beide Seiten würden durch die Besetzung von Themen
sowie der Prägung und Verankerung von Begriffen versuchen, die Diskurshegemonie zu
erringen, um ihre eigenen Positionen als „allgemeinen Konsens festzuschreiben“.
Das Ringen beider Seiten um die Vormachtstellung habe die Identität Deutschlands und das
kollektive Selbstverständnis bereits nachhaltig verändert, so O n a s c h weiter. Der
diskursive Bürgerkrieg sei daher gleichzeitig auch als ein Kampf um das wahre Erbe der
Aufklärung zu sehen, in dem beide Seiten den ausdrücklichen Anspruch besitzen, dieses
Erbe zu verteidigen – zum einen im Namen von Recht und Freiheit, zum anderen im Namen
von Toleranz und Menschenwürde.
Im
zweiten
Teil
präsentierte
Onasch
die
Realität
aus
der
Sicht
eines
Verfassungsschützers. Zunächst sei man stets mit der Frage konfrontiert, wo Islamkritik
ende und Islamfeindlichkeit beginne und wo zudem die Grenze zu als extremistisch zu
bewertenden Äußerungen verlaufe. Letzteres sei dann der Fall, wenn Muslimen allein
aufgrund
ihrer
Persönlichkeiten
Religionszugehörigkeit
in
der
Gesellschaft
ein
Daseinsrecht
abgesprochen
als
würden.
gleichberechtigte
Forderungen
nach
Einschränkungen oder gar Aufhebung von Grundrechten von Muslimen würden sich in aller
Regel gegen drei Rechtsgüter richten: die Menschenwürde, den Gleichheitsgrundsatz und
die Religionsfreiheit.
Für Rechtsextremisten stelle das Verhältnis zum Islam stets die „Gretchenfrage“ dar, die das
rechte und rechtsextreme Lager zusehends spalte. Während vor allem ideologische
Gemeinsamkeiten
(Antisemitismus,
Antiamerikanismus,
Antimodernismus)
das
Sympathisieren mit dem Islam befeuern würden, gäbe es unter den klassischen
fremdenfeindlichen und rassistischen Gesichtspunkten ebenso evidente Gründe für
rechtsextremistischen Antimuslimismus. O n a s c h betonte jedoch auch, dass es ein Irrtum
sei, Muslimfeindlichkeit als ausschließliche Domäne des Rechtsextremismus darzustellen.
Auch einige Linksextremisten würden eine generelle Aberkennung oder Einschränkung der
Grundrechte von Muslimen propagieren.
O n a s c h skizzierte zudem drei Idealtypen der Islamkritik. Der erste Idealtypus stelle die
religiösen Geltungsansprüche in Frage, etwa den Anspruch, dass es sich beim Koran um die
authentische, wortwörtliche und unverständlich Offenbarung Gottes handle. Diese Form der
Islamkritik als Religionskritik finde jedoch zumeist in eigenen exklusiven Diskursen statt, die
der Öffentlichkeit aufgrund der erforderlichen Expertise meist verschlossen bleiben. Der
zweite Idealtypus der Islamkritik stelle die politischen Geltungsansprüche in Frage, die aus
den religiösen Überzeugungen abgeleitet werden. Dies seien insbesondere Forderungen, die
darauf abzielen, dass die verbindliche Regelung öffentlicher Angelegenheiten nicht durch
demokratische Verfahren, sondern gemäß dem Willen Gottes erfolgen sollte. Der dritte
Idealtypus
der Islamkritik stelle im
Gegensatz dazu den Geltungsanspruch des
Grundgesetzes und der Grundrechte für Muslime in Frage. Vertretern dieser Form der
Islamkritik sei in aller Regel der Zugang zu einer breiten Öffentlichkeit verwehrt, sodass das
Internet das wichtigste Forum dieses Diskurses darstelle.
Allerdings ließen sich diese Idealtypen in der Realität kaum in Reinform beobachten.
Vielmehr würden noch weitere drei Diskursvarianten existieren, die ein „Brückenspektrum
zwischen der Islamismuskritik und dem Antimuslimismus“ bilden würden. Kulturalistische
Diskurse würden dabei primär Probleme und Konflikte mit Anderen thematisieren. Die
„Identitäre Bewegung“, die in Deutschland erstmal 2012 mit „Flashmobs gegen
Multikulturalismus“ in Erscheinung getreten ist, sei etwa ein typischer Vertreter einer solchen
kulturalistischen
Islamismuskritik.
Zwar
bemühe
sie
sich,
den
Eindruck
der
Verfassungskonformität zu erwecken, der Bezug zur Neuen Rechten, aber auch zu
Rechtsextremisten aus dem NPD- und Kameradschaftsbereich sei allerdings offensichtlich.
Vigilantistische und populistische Diskurse würden sich dagegen primär gegen Zustände und
Feinde im Inneren richten und zu einer erhöhten Wachsamkeit bezüglich etwaiger
Gefährdungen der bestehenden legitimen Ordnung aufrufen. Dabei handle es sich vor allem
um etablierte Kräfte und autochthone gesellschaftliche Milieus. Muslime würden daher nur
die „Klientel“ dieser Feinde im Inneren und somit ein Sekundärproblem darstellen.
Provozierende Wahlkampfauftritte der Partei Die Freiheit oder auch der Partei Pro NRW
würden beispielhaft hierfür stehen.
O n a s c h kommt daher zu dem Schluss, dass der Rechtsstaat mit seiner gesetzlich
normierten Rechtsgüterabwägung und rationalen Entscheidungsfindung ein „berechenbarer
Gegner“ für islamfeindliche und populistische Provokationsstrategen sei. Es wäre jedoch
nicht nur sachlich unzutreffend, sondern auch ein politischer Fehler, sie und ihre
Sympathisanten der Islamophobie zu bezeichnen.
Zum Abschluss der Tagung referierte Dr. habil. Tânia P u s c h n e r a t vom Bundesamt für
Verfassungsschutz über den Islamismus in Deutschland und betrachtete dabei insbesondere
den Salafismus. Insgesamt bestehe die islamistische Szene in Deutschland aus etwa 30
unterschiedlichen Organisationen und 42.000 Personen. Davon würden nach konservativen
Schätzungen in etwa 5.500 Personen dem Salafismus zugeordnet. Gerade in den letzten
Jahren sei hier ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen gewesen. Terroristische Vereinigungen
wie etwa Hamas, Hisbollah oder das Kaukasische Emirat würden Deutschland vorwiegend
als Terrain für finanzielle Unterstützung und als Rückzugsort verwenden. Die Sozialisierung
und Radikalisierung erfolge zumeist über den regionalen oder familiären Kontakt. Anders sei
dies beim Salafismus, der auch in Deutschland stärker aktionsorientiert sei.
Der Salafismus stelle eine vom Wahhabismus geprägte strenge und radikale Strömung dar,
die eine reine und ungefälschte Form des Islam propagiere, so Puschnerat. Durch
unerlaubte Neuerungen sei diese in ihrem Kern verfälscht worden, sodass eine Hinwendung
zu den Ursprüngen des Islams notwendig sei. Dies beinhalte nicht nur ein archaisches
Religionsverständnis, sondern auch ein System für alle Lebensbereiche. Für Puschnerat
stellt der Salafismus daher eine politische Ideologie dar, die die Einführung der Scharia, die
allen Gesetzen über- und vorgeordnet sei und stets durchgesetzt werden müsse, zum Ziel
hat. Damit gehe die Ablehnung von demokratischen Strukturen, Gleichberechtigung und
Religionsfreiheit einher. Es ergebe sich daher eine klare extremistische Agenda mit dem Ziel
der Errichtung eines Gottesstaates, die mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung der
Bundesrepublik unvereinbar sei.
In der salafistischen Ideologie sei ein hohes Gewaltpotential gegeben. Gewalt sei immer
dann gerechtfertigt, wenn der Islam bedroht sei. Nach der salafistischen Vorstellung sei dies
nahezu immer der Fall. Dennoch ließen sich anhand der Frage nach der Anwendung von
Gewalt zwei unterschiedliche Ausprägungen des Salafismus erkennen, so Puschnerat. Der
politische Salafismus versuche auf dem Weg der gesellschaftlichen Einflussnahme, also vor
allem durch Propaganda und Missionierung, seine Ziele zu erreichen. Der dschihadistische
Salafismus hingehen sehe in der unmittelbaren Anwendung von Gewalt den einzigen Weg
zur Erreichung seiner Ziele.
Strukturell sei der Salafismus gut aufgestellt, so Puschnerat weiter. Unter den 5.500
Personen, die ihm zugeordnet werden könnten, sei besonders auffällig, dass es einen
großen Anteil an jungen Männern der 2. und 3. Einwanderergeneration gebe. Zudem steige
die Zahl der Konvertiten stetig weiter an. Hinzu kommen bundesweit über 100 Einrichtungen
wie Vereine oder Verlage, die klar salafistisch ausgerichtet seien. Daher sei es auch
schwierig eine exakte Schätzung vorzunehmen, da im Umfeld der Einrichtungen größere
Dunkelfelder von Sympathisanten des Salafismus existierten. Außerdem würden viele
deutsche Gruppierungen auch gute Kontakte ins Ausland, vor allem nach Arabien und
Ägypten, pflegen, um Bildungs- und Finanzierungsnetzwerke aufrecht zu erhalten. Zudem
würden sich nach den Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden im Moment in etwa
300 Anhänger des Salafismus in Deutschland zum Kampf und zur Ausbildung in Syrien
befinden.
Die salafistischen Inhalte würden mittlerweile vorwiegend auch in deutscher Sprache
propagiert, sodass gerade Jugendliche auch sehr schnell zu überzeugen seien. Das Internet
und dabei insbesondere die sozialen Netzwerke seien dabei das wichtigste Medium der
Propaganda. Sie dienen dem Informationsaustausch, der Kontaktpflege und dem Aufbau
netzwerkartiger Strukturen. Jedoch finde die Propaganda auch in der realen Welt statt, etwa
durch Informationsstände, Büchertische oder auch die Koranverteilungskampane im Jahr
2012. Neben dem Koran seien hierbei vor allem auch salafistische Standardwerke sowohl
der politischen als auch der dschihadistischen Strömung verteilt worden. Dabei sei gezielt
ein junges Publikum angesprochen worden, was etwa der Aufbau von Infoständen an
Schulen zeige. Zur Vermittlung der salafistischen Ideologie, zum Kontaktausbau aber auch
zur Rekrutierung von neuen Anhängern würden zudem Islamseminare angeboten. Der auch
durch die Medien bekannt Prediger Pierre Vogel übe dabei erheblichen Einfluss auf die
Szene, insbesondere Jugendliche, aus, so Puschnerat weiter. Er sei Referent bei vielen
Seminaren und seine Reden seien im Netz leicht verfügbar. Im Moment betreibe er eine Art
Straßenmissionierung auf einer Städte-Tour durch die Bundesrepublik.
Zudem sei deutlich zu erkennen, dass die Zeit der Radikalisierung immer kürze werde,
sodass
diese
Personen
kaum
Verfassungsschutzbehörden
rücken
oder
würden.
erst
Es
ziemlich
gäbe
spät
zudem
ins
keinen
Visier
der
einheitlichen
Personenkreis, für den die salafistische Ideologie besonders anziehend wirke. Die Prediger
würden häufig das Bild einer islamischen Elite oder von Vorkämpfern des Islams gezeichnet.
Sie würden die Situation in Deutschland sehr gut kennen und die ihre Ideologie möglichst
einfach vermitteln. Ihre Sprache sei zeitgemäß, jugendgerecht und nicht akademisch. Die
Szene besitze einen eigenen Kleidungsstil und ihren eigenen Lifestyle, sodass Puschnerat
auch von „ideologischen Fastfood“ spricht.
Puschnerat prognostiziert daher, dass sich die Dynamik des Salafismus nicht abschwächen
werde und er sich vielmehr als aktionsorientierte Protestbewegung in Deutschland etablieren
könne. Eine weitere Radikalisierung und steigendes Knowhow durch Rückkehrer aus Syrien
könne die Anschlagsgefahr in Deutschland weiter erhöhen. Da die Radikalisierung weiterhin
sehr schnell und ohne sichtbare Anzeichen für die Sicherheitsbehörden vonstattengehen
würde, steige zudem das Risiko, dass auch unbekannte Personen Gewalt ausüben könnten.
So bleibe den Behörden häufig nur die Möglichkeit von Vereinsverboten, die zwar kurzfristig
die Strukturen salafistischer Gruppen zerschlagen könnten, langfristig jedoch keinerlei
Veränderung der salafistischen Ideologie bezwecken würden.
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