Bericht über die Expertentagung „Extremismus in Deutschland – Schwerpunkte, Perspektiven, Vergleich“ der Hanns-Seidel-Stiftung vom 28. bis 30. März 2014 in Kloster Banz Benedikt Kellerer Politischer Extremismus stellt in Deutschland nach wie vor eine ernst zu nehmende Gefahr dar. Nach einem vorläufigen Bericht der Bundesregierung, der im Dezember 2013 veröffentlicht wurde, stieg etwa die Zahl der rechtsextremen Übergriffe auf Flüchtlingsheime weiter an. Insgesamt ergebe sich ein „herausragendes Gefährdungspotential“. Aber die Unruhen in Hamburg im Dezember 2013 machen deutlich, dass auch linksextremistische Gewalt weiter eine große Bedrohung darstellt. Die Expertentagung „Extremismus in Deutschland – Schwerpunkte, Perspektiven, Vergleich“, welche die Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Eckhard Jesse, Institut für Politikwissenschaft der TU Chemnitz, vom 28. bis 30. März 2014 im Bildungszentrum Kloster Banz veranstaltete, steht dabei in der langen Tradition der Beschäftigung mit den zentralen Phänomenen des politischen Extremismus. Da dieser in seiner gesamten Bandbreite in Theorie und Praxis diskutiert werden sollte, wurden zentrale Aspekte des gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland manifestierten politischen Extremismus mit Fachleuten aus dem Bereich der Extremismusforschung und der Exekutive beschrieben, analytisch bewertet und in ein extremismustheoretisches Gesamtbild eingeordnet. In seinen einleitenden Worten blickte Prof. Dr. Eckhard J e s s e auf 50 Jahre NPD zurück und gab gleichzeitig einen Ausblick auf die Zukunft der Partei. Seinen Vortrag unterteilte er in Vergangenheit, d.h. die Zeit von der Gründung der Partei bis zum Abtritt des Parteivorsitzenden Udo Voigt, Gegenwart, d.h. die Partei unter der Führung des Vorsitzenden Holger Apfel, und Zukunft, also die Zeit nach dessen Rücktritt im Dezember 2013. Dabei stellte er auch die Frage nach dem tatsächlichen Einfluss der ältesten und größten deutschen rechtsextremen Partei auf die Politik. Nach ihrer Gründung als Nachfolgepartei der Deutschen Reichspartei im Jahre 1964 konnte die NPD zunächst einen kometenhaften Aufstieg verzeichnen, den Jesse auf einen leichten wirtschaftlichen Abschwung in dieser Zeit zurückführt. Die NPD schaffte in dieser Zeit auf Anhieb den Einzug in sieben deutsche Landesparlamente. Nachdem sie bei der Bundestagswahl 1969 jedoch knapp an der 5 %-Hürde gescheitert war, entwickelten sich heftige interne Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Flügeln der Partei, die sich in schlechten Wahlergebnissen niederschlugen. Auch außerparlamentarisch konnte die NPD in den 1970er und 1980er Jahren keine wirkliche außerparlamentarische Opposition darstellen. Obwohl die NPD trotz der aufkommenden Erfolge von Republikanern und DVU in den 1990ern die stärkste rechtsextremistische Kraft in Deutschland blieb, fruchtete der traditionelle Rechtsextremis der Partei weiter kaum, sodass sich die Partei weiter radikalisierte und zur „Schlacht um Köpfe, Straßen und Wahlen“ aufrief. Doch auch diese Strategie blieb zunächst erfolglos. Erst in der ersten Hälfte des neuen Jahrtausends konnte die NPD wieder mehr Stimmen für sich gewinnen. Im Zuge des gescheiterten Verbotsantrags der Partei entwickelte sich eine Eigendynamik, die zu gesteigerten Wahlergebnissen der NPD führten. Dennoch sieht Jesse darin nicht den Hauptgrund für den Einzug der Partei in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, sondern vielmehr in der Änderung der Hartz IV-Gesetzgebung im Jahr 2004. Unter den neuen Parteivorsitzenden Udo Voigt radikalisierte sich die Partei weiter und baute die Zusammenarbeit mit den Kameradschaften weiter aus, sodass Jesse von einem „zweiten Frühling“ der NPD in dieser Zeit sprach. Für ihn ist es vor allem auf zwei Gründe zurückzuführen, warum die Partei im Osten deutlich stärker ist als im Westen. Die sei zum einen die hohe Arbeitslosigkeit und die geringe Konfessionsbindung der Menschen, zum anderen aber auch das Erbe des Sozialismus und der DDR als eine geschlossene und nicht weltoffene Gesellschaft. Dennoch spalteten Grabenkämpfe zwischen Anhängern des Berliner Wegs um Voigt und Anhängern des Sächsischen Wegs um Apfel die Partei in der Folgezeit zusehends, sodass Voigt auch innerhalb der Partei sehr umstritten war. Die Wahlen in Berlin 2011 waren für ihn daher von großer Bedeutung. Trotz eines recht provozierenden Wahlkampfes musste Voigt jedoch deutliche Stimmenverluste hinnehmen und in der Folge auch vom Amt des Parteivorsitzenden zurücktreten. Ihm folgte Holger Apfel, der zunächst einen schlechten Start hinlegte. Obwohl die NPD nicht als politischer Arm der NSU zu sehen ist, keimte in der Öffentlichkeit sofort wieder der Ruf nach einem neuerlichen Verbotsantrag auf, den der Bundesrat im Dezember 2013 auch beim Bundesverfassungsgericht einreichte. Für Jesse selbst lässt sich der Erfolg des Antrags nur schwer einschätzen. Er sieht ihn als „im Kern möglich, jedoch nicht nötig“ an. Die Voraussetzung für ein Verbot erfülle die Partei, jedoch sei unklar, ob das Verfassungsgericht nicht auch weitere Kriterien wie Gefahrenpotential oder Verhältnismäßigkeit berücksichtige und ob der Europäische Menschengerichtshof ein mögliches Verbot aus Karlsruhe nicht wieder kippen könnte. Als Anhänger einer streitbaren Demokratie sieht Jesse daher weniger die Notwendigkeit eines Verbots sondern vielmehr die Stärkung der Demokratie geboten, um der NPD politisch entgegenzutreten. So konnte Jesse über die Zukunft der NPD auch nur Spekulationen anführen. Für ihn wird die Partei weiterhin keinen Erfolg besitzen und persönliche Fehden und Auseinandersetzungen auch unter dem neuen Vorsitzenden Udo Pastörs weiter zunehmen. Auch wenn die Partei möglicherweise den Einzug in das Europäische Parlament schaffen werde, werde die Zahl der Mitglieder weiter abnehmen und auch der Wiedereinzug in den sächsischen Landtag nur schwer zu erreichen sein. Nach 50 Jahren sei die NPD ein „Scherbenhaufen“ und habe dem Rechtsextremismus durch ihr plumpes Auftreten sehr geschadet. Prof. Dr. Roland S t u r m, Institut für Politische Wissenschaft der Universität ErlangenNürnberg, setzte sich im Anschluss mit extremistischer und nicht-extremistischer Kritik an der Europäischen Union vor den Europawahlen 2014 auseinander. So stellte er zunächst fest, dass in diesem Jahr europaweit deutlich mehr Parteien mit EU-skeptischer Haltung den Einzug in das Europäische Parlament schaffen könnten. Im Mittelpunkt seines Vortrages stand jedoch das 2012 erschienene Buch „Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ von Wolfgang Streeck, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln. Der Autor habe hier ein „Manifest der Kritik an der EU“ verfasst und so zeigte sich Sturm auch erstaunt, dass es in der Öffentlichkeit trotz der prominenten Stellung des Autors kaum Gegenwind gegeben hätte. In seinem Werk spinne Streeck die marxistische Gesellschaftskritik (tendenzieller Fall der Profitrate, Verschärfung der Ausbeutung der Arbeitskraft, höheres Tempo der Produktion, neue Anlagemöglichkeiten des Kapitals) weiter und übertrage diese auf die Europäische Union. So sehe Streeck die EU als ein neoliberales Projekt an, dass sich neue Anlageformen und Mehrwertquellen erschließe und somit auch verantwortlich sei, dass die Geldwirtschaft immer neue Lebensbereiche erobere. Die EU sei daher die „Liberalisierungsmaschine des europäischen Kapitalismus“. Zudem konstatiere Streeck der EU auch ein ausgeprägtes demokratisches Defizit und erkenne sogar die schleichende Abschaffung der Demokratie. Die EU befinde sich auf dem Weg zu einem internationalen Superstaat ohne Demokratie. Auch die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung sehe Streeck als ein „frivoles Experiment im Geiste einer Religion gewordenen politisch-ökonomischen Ideologie“. Mit der Verurteilung der EU als anti-demokratisch, antisozial und neoliberal würden sich bei Streeck daher alle Argumente finden, die auch die Partei Die Linke immer wieder gegen die Europäische Union ins Feld führe, so Sturm weiter. Für Streeck liege die Erklärung, warum sich niemand gegen die EU erhebt, darin, dass die Systemopposition durch die „Sicherung der Konsumgesellschaft“ und der damit einhergehenden „Erzeugung von Massenloyalität“ ruhig gestellt werde. Laut Sturm hoffe Streeck daher auf die „Empörung der Straße“, ein Ende des Euro und den Wiederaufstieg der Nationalstaaten. Hier verkenne Streeck jedoch die Tatsachen und habe Unrecht, so Sturm. Die EU sei kein Nationalstaat und sei auch nicht mit einem Nationalstaat zu vergleichen, was nicht zuletzt durch die unterschiedlichen Gesetzgebungsverfahren und den Doppelcharakter als supranationale und gleichzeitig auch intergouvernementale Organisation zum Ausdruck käme. Im zweiten Teil seines Vortrags kam Professor Sturm auch auf nicht-extremistische Kritik an der Europäischen Union zu sprechen. Die Kritik am Euro entzünde sich vor allem an der Forderung, dass eine Abwertung und ein Aufbrechen des Währungsraumes möglich sein müssen. Hinzu kämen immer wieder kritische Stimmen, die einen Bruch der Verträge (Bailout-Verbot; Verbot der Staatsfinanzierung) oder auch finanzielle Repressionen während der Eurokrise (Inflation, Geldentwertung) anprangern. Betrachtet man das demokratische Defizit, so würde die EU häufig als ein „sanftes Monster“ und Elitenprojekt dargestellt. Hinzu kommen eine fehlende europäische Öffentlichkeit, Probleme bei der Input- und Outputlegitimation sowie eine unvollendete Staatlichkeit. Aufgrund eines fehlenden Verständnisses für die EU sei es nie gelungen, die „besondere Form der Demokratie“ zu erklären. Und so würde auch die kritische Sichtweise der EU durch das Bundesverfassungsgericht dieses vermeintliche demokratische Defizit weiter befeuern, so Sturm in seinem Fazit. Im Anschluss plädierte Prof. Dr. Armin P f a h l – T r a u g h b e r von der Fachhochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung in Brühl für einen verstärkten Fokus auf die Methoden der Vergleichenden Extremismusforschung und stellte dazu eine Fallstudie anhand der NSUSerienmorde vor. Dabei stellte er sich zwei grundlegende Fragen: Warum war es so schwer, die Morde als rechtsextremistisch motiviert wahrzunehmen? Wie hätte man die Morde doch als rechtsextremistisch motiviert wahrnehmen können? Die Antworten auf beide Fragen könne die Perspektive der komparativen Extremismus- und Terrorismusforschung liefern. Der Erkenntnisgewinn des Vergleichs beziehe sich einerseits auf die Erfassung von Besonderheiten, die erst durch die komparative Betrachtung der jeweiligen Spezifika eines untersuchten Phänomens erfasst werden könnten. Andererseits könnten so jedoch auch neue Entwicklungen besser eingeschätzt und bewertet werden. Drittens erlauben komparative Betrachtungen auch die Erfassung neuer Entwicklungen im jeweiligen Extremismusbereich oder anderen Extremismusbereichen im In- und Ausland, sodass sich Prognosen und Szenarien für die Zukunft erstellen ließen. Schließlich könnten mit der komparativen Perspektive auch Bedingungsfaktoren und Ursachen für das Agieren gewaltbereiter Gruppen ermittelt und eingeschätzt werden. Warum war es nun so schwer, die Serienmorde als rechtsextremistisch motiviert wahrzunehmen? Für Pfahl-Traughber unterscheidet sich die NSU hinsichtlich der Artikulation rechtsextremistischer Gewalt zunächst in grundlegender Weise von anderen rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten, die in aller Regel ohne längerfristige Planung und aus einer spontanen Situation heraus erfolgten. Zudem agierten bisherige rechtsextremistische Gruppen nicht sehr professionell und konnten daher von den Behörden in aller Regel ziemlich schnell zerschlagen werden. Zudem seien in der Vergangenheit gezielte Tötungen nie geplant gewesen, es dominierten vielmehr Anschläge auf Einrichtungen oder Fahrzeuge. Der NSU habe überdies einen „kommunikationslosen Terrorismus“ betrieben, der ebenfalls untypisch für Rechtsterroristen sei, die ihre politische Botschaft durch die Auswahl von Opfern und Tatorten kommunizieren würden. Dennoch ist Pfahl-Traughber der Auffassung, dass man die Morde des NSU durch eine vergleichende Analyse eindeutig als rechtsextrem motiviert hätte wahrnehmen können. Bei Gewaltdarstellungen in rechtsextremistischen Medien sei eine ansteigende Enthemmung von Gewalt festzustellen, sodass unfairen Gewaltformen und massenhaften Vernichtungen immer mehr gehuldigt würde. Da diese Form der Gewalt in der rechtsextremistischen Szene immer stärker an Bedeutung gewinnt, hätte man daraus leicht die Gefahr von gezielten Tötungen ableiten können. Zudem habe die Auffassung von einer „Braunen RAF“ mit klaren hierarchischen Strukturen lange Zeit das Denken der Sicherheitsbehörden dominiert. Mit einem vergleichenden Blick hätte man jedoch auch diese überkommene Sichtweise überwinden und die neuen Strukturen mit eigenständigen Zellen erkennen können. Ohnehin ließen sich bei einem Blick ins Ausland durchaus Fälle identifizieren, die denen der Serienmorde des NSU ähneln. So seien etwa rechtsextreme Gruppierungen in den USA häufig in kleinen Zellen organisiert, in Schweden tötete der sogenannte „Lasermann“ Anfang der 1990er Jahre gezielt elf Personen mit Migrationshintergrund und in Großbritannien verübte ein Neonazi 1999 drei Anschläge mit Nagelbomben auf öffentlichen Straßen mit hoher Bewohnerdichte von Migranten, bei denen drei Menschen ums Leben kamen. Pfahl-Traughber kommt zu dem Schluss, dass die rechtsextremistischen Gewalttaten in Schweden und Großbritannien von den NSU-Mördern nicht unbedingt als „Blaupause“ genutzt worden seinen, sie jedoch für eine bereits zuvor existente gleiche Form des rechtsextremistischen Terrorismus stehen. Zudem mache der vergleichende Blick auf organisatorische Entwicklungen im islamistischen wie linken und rechten Terrorismus im Inund Ausland deutlich, dass derartiges Agieren nicht mehr von hoch entwickelten Organisationsstrukturen, sondern von führerlosen kleinen Zellen erfolge. Den Sicherheitsbehörden habe es daher schlicht an analytischem Vermögen und Phantasie gefehlt, um die rechtsextremistischen Motive des NSU zu entdecken. Die „Sicherheitsarchitektur“ nach dem Bekanntwerden der NSU stellte Dr. Helmut A l b e r t, Direktor des Landesamtes für Verfassungsschutz des Saarlandes, vor. Die Tatsache, dass der rechtsextreme Hintergrund nicht erkannt worden ist, sei ein „Trauma für die Sicherheitsbehörden“ gewesen. Nach Bekanntwerden seien die Verfassungsschutzbehörden den unterschiedlichsten Vorwürfen ausgesetzt gewesen, die sie als „unfähig“ oder „chaotisch“ darstellten oder gar eine Zusammenarbeit mit dem NSU oder Vertuschung der Ereignisse zum Thema hatten. Als Konsequenz beschäftigten sich bundesweit vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse, mehrere Expertenkommissionen von Bund und Ländern, mehrere Sonderermittler und nicht zuletzt auch die große Strafkammer des Oberlandesgerichts München mit der Aufklärung der Morde des NSU. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchungen seinen nach Albert, dass es keine Hinweise auf staatliche Beteiligung an den Taten des NSU gebe und von dessen Existenz vor seiner Entdeckung seitens staatlicher Stellen nichts bekannt war. Zudem konnte kein generelles Versagen der deutschen Sicherheitsarchitektur festgestellt werden, allerdings würden zahlreiche Fehler aller beteiligten Behörden Änderungen im Detail erfordern. Albert kritisierte jedoch gleichzeitig auch das methodische Vorgehen der Untersuchungsausschüsse und deren unausgesprochene Annahme, dass es sich vom Untertauchen bis zu den Morden um einen einheitlichen Vorgang handle und dass es nicht zu den Morden gekommen wäre, wenn man das Trio gefasst hätte. Dabei müsse man jedoch genau zwischen den einzelnen Vorgängen unterscheiden und die einzelnen Akteure (und ihre Fehler) differenziert betrachten. Aufgrund der Vielzahl (Gefahrenabwehr, von Akteuren Strafverfolgung, auf dem Gebiet Nachrichtendienste) der Inneren ergebe Sicherheit sich eine Schnittstellenproblematik. Die Fehler, die beim Verfassungsschutz auf der Suche nach dem Trio daher festgestellt wurden, bezogen sich insbesondere auf unzureichende Auswertung und Weiterleitung von Informationen sowohl im Verfassungsschutzverbund als auch an die Polizei, sowie das Fehlen einer übergeordneten Koordinierung innerhalb des Verfassungsschutzverbundes. Letztere werde nun verstärkt durch das Bundesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen, so Albert weiter. Zudem wurden stärkere Verpflichtungen zum gegenseitigen Austausch von Informationen nach vorab festgelegten Kriterien beschlossen, sowohl innerhalb des Verfassungsschutzverbundes als auch mit der Polizei. Nicht zuletzt werde nun der gewaltbereite Extremismus stärker priorisiert und die Ausbildung verbessert. Umgekehrt hätte sich jedoch auch innerhalb der Polizei eine Schnittstellenproblematik ergeben, so Albert. Informationen seien nicht ausgewertet und weitergeleitet worden, insbesondere auch nicht an die Verfassungsschutzbehörden. Daher sei in der Folge der Leitfaden „Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz“ überarbeitet worden, sowie ein Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GAR/GETZ) und eine Rechtsextremismusdatei (RED) eingerichtet worden. Auch hinsichtlich der V-Mann- Problematik habe man eine Angleichung der Verfahrensweisen der Werbung, Führung und Bezahlung im Verfassungsschutzverbund erreicht, sowie die Einrichtung einer zentralen Datei beim Bundesamt für Verfassungsschutz, selbst wenn sich Fehler hinsichtlich der Rekrutierung von V-Männern nach Albert nicht negativ auf die Suche nach dem Trio oder die Aufklärung des NSU ausgewirkt hätten. Nicht zuletzt hätte es auch noch Koordinierungsprobleme im komplexen, mehrere Länder übergreifenden Strafverfahren der Morde gegeben, da durch das Fehlen einer einheitlichen Ermittlungsführung bei der Polizei und einer einheitlichen Verfahrensleitung durch die Staatsanwaltschaft Informationsverluste aufgetreten seien. Bisher gebe es für die Lösung dieser Probleme allerdings nur vage Vorschläge (stärkere Einbeziehung des BKA, Ausweitung der Befugnisse des Generalbundesanwalts, verstärkte Durchführung staatsanwaltschaftlicher Sammelverfahren). Insgesamt kommt Albert jedoch zu dem Schluss, dass sich die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit im VS-Verbund und von Verfassungsschutz und Polizei bei der Fahndung nach politischen Extremisten oder für die Bewältigung von Gefahrenlagen deutlich verbessert hätten. Jedoch bleibe es weiter schwierig, eine extremistische Motivation von Straftaten zu erkennen, da die Beteiligung des Verfassungsschutzes nur dann erfolgen könne, wenn die Strafermittler ein extremistisches Motiv vermuten. Dr. Viola N e u von der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin beschäftigte sich aus empirischer Sicht mit den rechts- und linksextremistischen Parteien nach der Bundestagswahl 2013. Da all diese zusammen und mit Ausnahme der Partei Die Linke jedoch nur 1.7 % der Stimmen erreichten, gestalte sich eine detaillierte Analyse schlichtweg unmöglich. Hinzu käme die Tatsache, dass normale Umfragen eine zu kleine Stichprobe besäßen und daher noch geringere Fallzahlen extremistischer Wähler beinhalteten. Nicht zuletzt weil auch geschlossene Einstellungen und Ideologien noch seltener zu finden sind, seien extremistische Wähler für die Wahl- und Einstellungsforschung seinen daher kaum fassbar. Einzig durch aufwändige qualitative Interviews zeige sich, dass die ideologischen Aspekte der 70er Jahre bei Linksextremen kaum mehr vorhanden seien. Vielmehr finde die Mobilisierung nahezu ausschließlich durch die Abgrenzung und den Kampf gegen rechts statt. Hinzu käme auch eine Vielzahl von unterschiedlichen Verschwörungstheorien. Auch der Wahlkampf der extremistischen Parteien selbst ließe sich nur schwer analysieren, so Neu weiter. Die Höhe des Budgets oder die Zahl der Plakate seien kaum zu ermitteln. Dies gelte ebenso für die Frage, ob eine relevante Anzahl von Personen im Wahlkampf erreicht worden sei und somit die Strategie auch als erfolgreich zu bezeichnen sei. Warum nun solche Parteien manchmal erfolgreich sind und manchmal nicht, erklärt sich Neu vor allem durch Gelegenheitsstrukturen, wie das Parteienrecht, das Wahlrecht oder auch den Parteienwettbewerb. Als klassische Erklärungsmuster für die Wahl von extremistischen Parteien dienen für Neu somit vor allem die eigenen soziale Lage, Deprivation, gesellschaftlicher Protest und die gesamtwirtschaftliche Lage. Aufgrund des zu kleinen Untersuchungsgegenstands ließe sich hier jedoch keineswegs ein klarer kausaler Zusammenhang ableiten. Am Ende versuchte Neu ihren Vortrag noch etwas mit empirischen Daten zu füttern, indem sie die Wählerstruktur der NPD, der AfD und der Linken analysierte. So werde die NPD überwiegend von Männern jungen bis mittleren Alters aus der Arbeiterklasse gewählt. Hochburgen befänden sich im Osten Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns. Ähnliches gelte auch für die AfD, jedoch würden die Wähler hier einen höheren Bildungsgrad besitzen. Auffällig sei jedoch die Überschneidung der Hochburgen von AfD und NPD. Die Linke würde insbesondere bei Arbeitslosen und Gewerkschaftsmitgliedern einen besonders hohen Zuspruch erfahren. Allerdings sei sie in Ostdeutschland auch nicht mehr überall so stark wie einst. Eine Prognose für die anstehenden Europawahlen abzugeben, gestaltete sich daher auch für Neu ziemlich schwierig. Die Tatsache, dass es sich hier um eine second-order Wahl handle und dass dafür kaum ein eigenständiger, europäischer Wahlkampf geführt werde, könne sich sowohl positiv als auch negativ auf den Erfolg der kleinen extremistischen Parteien auswirken. Im Anschluss widmete sich Ulrike M a d e s t, Technische Universität Chemnitz, der linksextremistischen Musik und stellte die Frage, ob es sich dabei um ein von den Verfassungsschutzbehörden vernachlässigtes Thema handle. Dass sich die rechtsextremistische Szene durch eigene Musik weiter mobilisiert und radikalisiert, sei bereits hinlänglich bekannt, jedoch stelle auch linksextremistische Musik kein wirklich neues Phänomen dar, da sie bereits spätestens seit Anfang der 1980er Jahre in Deutschland existiere. Wie mehrere Auseinandersetzung zwischen linksextremistischen Gruppen und der Polizei direkt im Anschluss von Konzerten linksextremistischer Bands zeigen würden, sinke die Hemmschwelle für Gewalt durch diese Musik. Die Problemwahrnehmung durch die Verfassungsschutzbehörden habe sich allerdings erst in den letzten Jahren entwickelt, jedoch erkenne sie nur eine geringe Bereitschaft der Behörden, weiter gegen linksextremistische Musik vorzugehen. Auch die Politikwissenschaft zeige kein wirkliches Interesse an der Erforschung linksextremistischer Musik, sodass sich ein stark asymmetrisches Verhältnis zwischen rechts- und linksextremistischer Musik ergeben habe. Linksextremistische Musik sei zunächst allein eine Sammelbezeichnung für Musik mit Texten mit linksextremistischem Hintergrund oder Ideologiefragmenten. Zwar bilde der Text das wesentliche Kriterium zu Beurteilung und Einordnung, es seinen jedoch noch weitere Kriterien notwendig, um die Musik als linksextremistisch motiviert zu identifizieren. Madest betonte dabei, dass insbesondere auch eine Betrachtung der auf den Konzerten und in den Liedern verwendeten Konzertbesucher Symbolik notwendig und sei. nicht Dennoch zuletzt auch würden der sich Bandmitglieder immer wieder und auch Abgrenzungsprobleme ergeben und vor allem auch die Frage, welchen Grad an extremistischen Äußerungen die Texte erreichen müssten, um nicht mehr unter den Deckmantel der künstlerischen Freiheit zu fallen. Die Musik selbst verbreite sich vor allem über einschlägige Seiten im Internet, wo sie auch häufig mit linksextremistischen Blogs verknüpf sei, so Madest weiter. Allerdings würden hierfür auch vermehrt Demos als Anknüpfungspunkte der Szene und nicht zuletzt auch Schulhöfe verwendet, was etwa das Verteilen einer „Roten Schulhof CD“ der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend deutlich mache. Relevante Handlungsakteure festzustellen gestalte sich als schwierig, es zeige sich jedoch deutlich, dass die Musiker vor allem männlich seien. Stilistisch würden Hip-Hop und Punk die linksextremistische Musikszene dominieren, es ließen sich jedoch auch andere Stilrichtungen wie Elektronik oder Ska vorfinden. Die Hörerschaft selbst könne man in drei Gruppen aufteilen, so Madest. Zum einen Personen, denen die Musikrichtung egal ist und die Musik allein aufgrund ihrer Gesinnung hören würden, zum anderen Personen, die sich allein für die Musik interessiert und für die der Text keine Rolle spielt, sowie drittens eine Mischung aus beiden, d.h. dass das Interesse für die Texte durchaus vorhanden ist, jedoch kein linksextremistischer Hintergrund zu vermuten sei. Inhaltlich würden sich die Texte vor allem auf drei Schwerpunkte fokussieren. Sie seien zum einen antifaschistisch, d.h. sie verbreiten Hass und propagieren Gewalt gegen Rechtsxtremisten, zum anderen seien die Texte jedoch auch staatsfeindlich und riefen zu einer „Revolution für die Anarchie“ auf. Nicht zuletzt sei auch das Thema Anti-Repression auch ein inhaltlicher Schwerpunkt linksextremistischer Musiktexte, womit vor allem der Aufruf zur Gewaltanwendung gegen Polizeibeamte gemeint sei, aber auch das Zeichnen eines Bildes vom „gewalttätigen und willkürlichen Polizisten“. Politiker selbst würden in den Texten zumeist eine eher untergeordnete Rolle spielen. Stilistisch sei zudem auffällig, dass vor allem Tiermetaphern (z.B. „Bullenschweine“) verwendet würden, um den vermeintlichen Feind zu dehumanisieren. Für die Szene selbst, habe die Musik unterschiedliche Funktionen. Neben der Unterhaltung diene sie zunächst einmal auch zum Ideologietransport, zur Motivation und zur Mobilisierung. Darüber hinaus komme der Erlös aus dem Verkauf der Musik häufig linksextremistischen Projekten und Organisationen zugute, kommerziell vertrieben werde die Musik jedoch kaum. Madest kommt daher zu dem Schluss, dass inhaltlich vor allem die Konstruktion von Feindbildern eine herausragende Rolle spiele und die Musik durchaus ein effektives Mittel zur Ideologieverbreitung, insbesondere bei Jugendlichen, darstelle. Sie sei jedoch keine „Einstiegsdroge“ in den Linksextremismus. Eine Indizierung bestimmter Titel halte sie zwar für wenig wirkungsvoll hinsichtlich der Verbreitung der Musik, aber dennoch sinnvoll, da es ein wichtiges Zeichen sei und durchaus auch zu einer finanziellen Schwächung der Bands kommen könnte. Allerdings fehle es im Moment an einem objektiven Kriterienkatalog, wonach man Musik als klar linksextrem einstufen und indizieren könne. Als nächste referierte Dr. Bettina B l a n k, Landesamt für Verfassungsschutz BadenWürttemberg, zum Thema „Der Kampf gegen ‚rechts‘ als Ansatzpunkt zur Systemüberwindung“. Als zentrale Akteure im Kampf gegen rechts, genauer gesagt Rechtsextremismus, identifizierte sie die autonome Antifa, die DKP und sowie Die Linke. Das Faschismusverständnis von Linksextremisten gründe vor allem auf der Dimitrow-These von 1935, wonach der Faschismus als Form der Klassenherrschaft und Instrument des Finanzkapitals zur Herrschaftssicherung in Krisenzeiten angesehen werde. Verbunden mit dieser These sei auch eine strategische Neuausrichtung des Antifaschismus. Das neue Verständnis des Antifaschismus als „Klassenkampf“ beinhaltete auch die Abkehr von dem Gedanken der Errichtung einer Diktatur des Proletariats in Deutschland und die Hinwendung zu einer Defensivstrategie mit Verzicht auf die Revolution und Verteidigung der „bürgerlichen Demokratie“, um diese später selbst zu missbrauchen. Das linksextremistische Antifaschismus-Verständnis gründe somit zum einen auf dem Kampf um die Deutungshoheit der Geschichte, zum anderen aber auch auf einem praktischen und politisch-ideologischen Kampf. Grundlegend hierfür sei bis heute die Machterwerbs- und Bündnispolitik antifaschistischer Gruppen. Dafür sei jedoch eine Legitimation nach außen notwendig, die antifaschistische Gruppierung mit unterschiedlichen Strategien zu erreichen versuchen. Hier sei zum einen eine historische Strategie zu finden, indem man den Kampf gegen Nazi-Deutschland als „antifaschistischen Befreiungskrieg“ darstelle und sich dabei auf den Konsens der Siegermächte zum Kampf gegen den Faschismus über alle Weltanschauungen hinweg berufe. Zum anderen gebe es auch eine völkerrechtliche Legitimationsstrategie, in dem man sich auf die im Potsdamer Abkommen von 1945 beschlossenen 4 Ds (Denazifizierung, Demilitarisierung, Demokratisierung, Dezentralisierung) beziehe. Um das Vermächtnis der Siegermächte zu erfüllen, hätten diese Grundsätze weiterhin Gültigkeit. Die juristische Legitimationsstrategie beziehe sich direkt auf das Grundgesetz, in dem ein deutlicher antifaschistischer Auftrag zu erkennen sei, der sich wiederum aus einer Vielzahl antifaschistischer Normen ergebe. Dabei werde sich vor allem auf Art. 139 GG berufen und behauptet, dass Rechtsextremisten aufgrund dessen nicht dem Schutz des Grundgesetzes unterliegen würden. Schließlich gebe es noch eine ethisch-moralische Legitimationsstrategie, die sich auf den Schwur von Buchenwald als antifaschistischen Gründungsmythos berufe. Der Kampf gegen rechts werde somit als Vermächtnis des historisch antifaschistischen Widerstandes instrumentalisiert. Für den eigentlichen Kampf gegen rechts identifizierte Blank drei wesentliche Ansatzpunkte. Dabei sei zunächst die politische Bekämpfung durch antifaschistische Bildungs- und Aufklärungsarbeit über die Hintergründe und Gefahren des Rechtsextremismus zu nennen. Ziel sei die Vermittlung von antifaschistischen Inhalten sowie Sensibilisierung und Mobilisierung gegen rechts. Dabei werde zum Teil mit nachrichtendienstlichen Methoden gearbeitet, so Blank weiter. Eine zentrale Rolle bei der Verbreitung der Inhalte spiele auch die Partei Die Linke, die immer wieder eigene Entwürfe und Vorschläge gegen den Rechtextremismus in den Bundestag einbringe. Die juristische Bekämpfung des Faschismus berufe sich auf das bereits genannte Faschismusverbot im Grundgesetz. Dabei werde davon ausgegangen, dass es rein rechtlich gar keinen Faschismus mehr geben dürfe. Im Umkehrschluss bedeute dies auch, dass aus antifaschistischer Perspektive der Staat und die Regierung verfassungsfeindlich handeln würden. Die implizite Botschaft sei somit, dass die Grundrechte nicht für Faschisten gelten würden, die Antifaschisten die Hüter der Verfassung seien und der Widerstand gegen rechts somit rechtens sei. Seitens der Partei Die Linke habe es auch immer wieder Versuche gegeben, dem Kampf gegen den Rechtsextremismus und damit auch dem Schwur von Buchenwald Verfassungsrang zukommen zu lassen. Das gleiche gelte für die Verschärfung von strafrechtlichen Bestimmungen, die allerdings nur für Rechtsextremisten Geltung besitzen sollten. Schließlich kämpfe der Antifaschismus auf ganz praktische Weise gegen den Rechtsextremismus, indem er zum Kampf auf der Straße oder zu einer umfassenden Verhinderung faschistischer Aktivitäten aufrufe. Es gehe insgesamt vor allem um die Herstellung von Öffentlichkeit und Skandalisierung, die Mobilisierung sowohl der eigenen Anhänger als auch von Bündnispartnern, sowie den Aufbau politischen Drucks und das Einbringen alternativer Vorschläge durch die Partei Die Linke. Blank zieht daher das besorgniserregende Fazit, dass der antifaschistische Kampf durchaus kurz- und mittelfristige Erfolge erzielen könne und als „Einstieg in die antifaschistische Republik“ zu werten sei. Langfristig nütze die Antifa die Wege des Staates, den sie selbst überwinden wolle, und versuche durch politische wie juristische Weichenstellungen, die Politik in eine bestimmte Richtung zu drängen. Benjamin O n a s c h vom Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern beschäftigte sich im Anschluss mit dem Thema Islamophobie und der Frage nach Mythos oder Realität. Dabei gliederte er seinen Vortrag in zwei Teilaspekte: zum einen die Analyse des Diskurses um den Begriff der Islamophobie und zum anderen eine Betrachtung der Sichtweise des Verfassungsschutzes. O n a s c h analysierte zunächst die öffentlichen deutschen Diskurse über den Islam, die im Kern Diskurse über das Selbstbild und das Selbstverständnis Deutschland seien. Der von ehemaligen Vorsitzenden des Sachverständigenrates Deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Klaus Bade, als „diskursiver Bürgerkrieg“ bezeichnete öffentliche Diskurs über den Islam sei „zweifelsfrei dichotomer Natur“ und bediene sich den „klassischen Mitteln der Kulturrevolution“, so O n a s c h. Beide Seiten würden durch die Besetzung von Themen sowie der Prägung und Verankerung von Begriffen versuchen, die Diskurshegemonie zu erringen, um ihre eigenen Positionen als „allgemeinen Konsens festzuschreiben“. Das Ringen beider Seiten um die Vormachtstellung habe die Identität Deutschlands und das kollektive Selbstverständnis bereits nachhaltig verändert, so O n a s c h weiter. Der diskursive Bürgerkrieg sei daher gleichzeitig auch als ein Kampf um das wahre Erbe der Aufklärung zu sehen, in dem beide Seiten den ausdrücklichen Anspruch besitzen, dieses Erbe zu verteidigen – zum einen im Namen von Recht und Freiheit, zum anderen im Namen von Toleranz und Menschenwürde. Im zweiten Teil präsentierte Onasch die Realität aus der Sicht eines Verfassungsschützers. Zunächst sei man stets mit der Frage konfrontiert, wo Islamkritik ende und Islamfeindlichkeit beginne und wo zudem die Grenze zu als extremistisch zu bewertenden Äußerungen verlaufe. Letzteres sei dann der Fall, wenn Muslimen allein aufgrund ihrer Persönlichkeiten Religionszugehörigkeit in der Gesellschaft ein Daseinsrecht abgesprochen als würden. gleichberechtigte Forderungen nach Einschränkungen oder gar Aufhebung von Grundrechten von Muslimen würden sich in aller Regel gegen drei Rechtsgüter richten: die Menschenwürde, den Gleichheitsgrundsatz und die Religionsfreiheit. Für Rechtsextremisten stelle das Verhältnis zum Islam stets die „Gretchenfrage“ dar, die das rechte und rechtsextreme Lager zusehends spalte. Während vor allem ideologische Gemeinsamkeiten (Antisemitismus, Antiamerikanismus, Antimodernismus) das Sympathisieren mit dem Islam befeuern würden, gäbe es unter den klassischen fremdenfeindlichen und rassistischen Gesichtspunkten ebenso evidente Gründe für rechtsextremistischen Antimuslimismus. O n a s c h betonte jedoch auch, dass es ein Irrtum sei, Muslimfeindlichkeit als ausschließliche Domäne des Rechtsextremismus darzustellen. Auch einige Linksextremisten würden eine generelle Aberkennung oder Einschränkung der Grundrechte von Muslimen propagieren. O n a s c h skizzierte zudem drei Idealtypen der Islamkritik. Der erste Idealtypus stelle die religiösen Geltungsansprüche in Frage, etwa den Anspruch, dass es sich beim Koran um die authentische, wortwörtliche und unverständlich Offenbarung Gottes handle. Diese Form der Islamkritik als Religionskritik finde jedoch zumeist in eigenen exklusiven Diskursen statt, die der Öffentlichkeit aufgrund der erforderlichen Expertise meist verschlossen bleiben. Der zweite Idealtypus der Islamkritik stelle die politischen Geltungsansprüche in Frage, die aus den religiösen Überzeugungen abgeleitet werden. Dies seien insbesondere Forderungen, die darauf abzielen, dass die verbindliche Regelung öffentlicher Angelegenheiten nicht durch demokratische Verfahren, sondern gemäß dem Willen Gottes erfolgen sollte. Der dritte Idealtypus der Islamkritik stelle im Gegensatz dazu den Geltungsanspruch des Grundgesetzes und der Grundrechte für Muslime in Frage. Vertretern dieser Form der Islamkritik sei in aller Regel der Zugang zu einer breiten Öffentlichkeit verwehrt, sodass das Internet das wichtigste Forum dieses Diskurses darstelle. Allerdings ließen sich diese Idealtypen in der Realität kaum in Reinform beobachten. Vielmehr würden noch weitere drei Diskursvarianten existieren, die ein „Brückenspektrum zwischen der Islamismuskritik und dem Antimuslimismus“ bilden würden. Kulturalistische Diskurse würden dabei primär Probleme und Konflikte mit Anderen thematisieren. Die „Identitäre Bewegung“, die in Deutschland erstmal 2012 mit „Flashmobs gegen Multikulturalismus“ in Erscheinung getreten ist, sei etwa ein typischer Vertreter einer solchen kulturalistischen Islamismuskritik. Zwar bemühe sie sich, den Eindruck der Verfassungskonformität zu erwecken, der Bezug zur Neuen Rechten, aber auch zu Rechtsextremisten aus dem NPD- und Kameradschaftsbereich sei allerdings offensichtlich. Vigilantistische und populistische Diskurse würden sich dagegen primär gegen Zustände und Feinde im Inneren richten und zu einer erhöhten Wachsamkeit bezüglich etwaiger Gefährdungen der bestehenden legitimen Ordnung aufrufen. Dabei handle es sich vor allem um etablierte Kräfte und autochthone gesellschaftliche Milieus. Muslime würden daher nur die „Klientel“ dieser Feinde im Inneren und somit ein Sekundärproblem darstellen. Provozierende Wahlkampfauftritte der Partei Die Freiheit oder auch der Partei Pro NRW würden beispielhaft hierfür stehen. O n a s c h kommt daher zu dem Schluss, dass der Rechtsstaat mit seiner gesetzlich normierten Rechtsgüterabwägung und rationalen Entscheidungsfindung ein „berechenbarer Gegner“ für islamfeindliche und populistische Provokationsstrategen sei. Es wäre jedoch nicht nur sachlich unzutreffend, sondern auch ein politischer Fehler, sie und ihre Sympathisanten der Islamophobie zu bezeichnen. Zum Abschluss der Tagung referierte Dr. habil. Tânia P u s c h n e r a t vom Bundesamt für Verfassungsschutz über den Islamismus in Deutschland und betrachtete dabei insbesondere den Salafismus. Insgesamt bestehe die islamistische Szene in Deutschland aus etwa 30 unterschiedlichen Organisationen und 42.000 Personen. Davon würden nach konservativen Schätzungen in etwa 5.500 Personen dem Salafismus zugeordnet. Gerade in den letzten Jahren sei hier ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen gewesen. Terroristische Vereinigungen wie etwa Hamas, Hisbollah oder das Kaukasische Emirat würden Deutschland vorwiegend als Terrain für finanzielle Unterstützung und als Rückzugsort verwenden. Die Sozialisierung und Radikalisierung erfolge zumeist über den regionalen oder familiären Kontakt. Anders sei dies beim Salafismus, der auch in Deutschland stärker aktionsorientiert sei. Der Salafismus stelle eine vom Wahhabismus geprägte strenge und radikale Strömung dar, die eine reine und ungefälschte Form des Islam propagiere, so Puschnerat. Durch unerlaubte Neuerungen sei diese in ihrem Kern verfälscht worden, sodass eine Hinwendung zu den Ursprüngen des Islams notwendig sei. Dies beinhalte nicht nur ein archaisches Religionsverständnis, sondern auch ein System für alle Lebensbereiche. Für Puschnerat stellt der Salafismus daher eine politische Ideologie dar, die die Einführung der Scharia, die allen Gesetzen über- und vorgeordnet sei und stets durchgesetzt werden müsse, zum Ziel hat. Damit gehe die Ablehnung von demokratischen Strukturen, Gleichberechtigung und Religionsfreiheit einher. Es ergebe sich daher eine klare extremistische Agenda mit dem Ziel der Errichtung eines Gottesstaates, die mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik unvereinbar sei. In der salafistischen Ideologie sei ein hohes Gewaltpotential gegeben. Gewalt sei immer dann gerechtfertigt, wenn der Islam bedroht sei. Nach der salafistischen Vorstellung sei dies nahezu immer der Fall. Dennoch ließen sich anhand der Frage nach der Anwendung von Gewalt zwei unterschiedliche Ausprägungen des Salafismus erkennen, so Puschnerat. Der politische Salafismus versuche auf dem Weg der gesellschaftlichen Einflussnahme, also vor allem durch Propaganda und Missionierung, seine Ziele zu erreichen. Der dschihadistische Salafismus hingehen sehe in der unmittelbaren Anwendung von Gewalt den einzigen Weg zur Erreichung seiner Ziele. Strukturell sei der Salafismus gut aufgestellt, so Puschnerat weiter. Unter den 5.500 Personen, die ihm zugeordnet werden könnten, sei besonders auffällig, dass es einen großen Anteil an jungen Männern der 2. und 3. Einwanderergeneration gebe. Zudem steige die Zahl der Konvertiten stetig weiter an. Hinzu kommen bundesweit über 100 Einrichtungen wie Vereine oder Verlage, die klar salafistisch ausgerichtet seien. Daher sei es auch schwierig eine exakte Schätzung vorzunehmen, da im Umfeld der Einrichtungen größere Dunkelfelder von Sympathisanten des Salafismus existierten. Außerdem würden viele deutsche Gruppierungen auch gute Kontakte ins Ausland, vor allem nach Arabien und Ägypten, pflegen, um Bildungs- und Finanzierungsnetzwerke aufrecht zu erhalten. Zudem würden sich nach den Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden im Moment in etwa 300 Anhänger des Salafismus in Deutschland zum Kampf und zur Ausbildung in Syrien befinden. Die salafistischen Inhalte würden mittlerweile vorwiegend auch in deutscher Sprache propagiert, sodass gerade Jugendliche auch sehr schnell zu überzeugen seien. Das Internet und dabei insbesondere die sozialen Netzwerke seien dabei das wichtigste Medium der Propaganda. Sie dienen dem Informationsaustausch, der Kontaktpflege und dem Aufbau netzwerkartiger Strukturen. Jedoch finde die Propaganda auch in der realen Welt statt, etwa durch Informationsstände, Büchertische oder auch die Koranverteilungskampane im Jahr 2012. Neben dem Koran seien hierbei vor allem auch salafistische Standardwerke sowohl der politischen als auch der dschihadistischen Strömung verteilt worden. Dabei sei gezielt ein junges Publikum angesprochen worden, was etwa der Aufbau von Infoständen an Schulen zeige. Zur Vermittlung der salafistischen Ideologie, zum Kontaktausbau aber auch zur Rekrutierung von neuen Anhängern würden zudem Islamseminare angeboten. Der auch durch die Medien bekannt Prediger Pierre Vogel übe dabei erheblichen Einfluss auf die Szene, insbesondere Jugendliche, aus, so Puschnerat weiter. Er sei Referent bei vielen Seminaren und seine Reden seien im Netz leicht verfügbar. Im Moment betreibe er eine Art Straßenmissionierung auf einer Städte-Tour durch die Bundesrepublik. Zudem sei deutlich zu erkennen, dass die Zeit der Radikalisierung immer kürze werde, sodass diese Personen kaum Verfassungsschutzbehörden rücken oder würden. erst Es ziemlich gäbe spät zudem ins keinen Visier der einheitlichen Personenkreis, für den die salafistische Ideologie besonders anziehend wirke. Die Prediger würden häufig das Bild einer islamischen Elite oder von Vorkämpfern des Islams gezeichnet. Sie würden die Situation in Deutschland sehr gut kennen und die ihre Ideologie möglichst einfach vermitteln. Ihre Sprache sei zeitgemäß, jugendgerecht und nicht akademisch. Die Szene besitze einen eigenen Kleidungsstil und ihren eigenen Lifestyle, sodass Puschnerat auch von „ideologischen Fastfood“ spricht. Puschnerat prognostiziert daher, dass sich die Dynamik des Salafismus nicht abschwächen werde und er sich vielmehr als aktionsorientierte Protestbewegung in Deutschland etablieren könne. Eine weitere Radikalisierung und steigendes Knowhow durch Rückkehrer aus Syrien könne die Anschlagsgefahr in Deutschland weiter erhöhen. Da die Radikalisierung weiterhin sehr schnell und ohne sichtbare Anzeichen für die Sicherheitsbehörden vonstattengehen würde, steige zudem das Risiko, dass auch unbekannte Personen Gewalt ausüben könnten. So bleibe den Behörden häufig nur die Möglichkeit von Vereinsverboten, die zwar kurzfristig die Strukturen salafistischer Gruppen zerschlagen könnten, langfristig jedoch keinerlei Veränderung der salafistischen Ideologie bezwecken würden.