INFORMATIONEN DER GESELLSCHAFT FÜR POLITISCHE AUFKLÄRUNG *HVHOOVFKDIW IU 32/,7,6&+( $8)./b581* 7$05902-07 RASSISMUS UND XENOPHOBIE IN EUROPA Reinhold Gärtner 1997 – im Europäischen Jahr gegen Rassismus – wurde von der Europäischen Kommission im Rahmen des Eurobarometer eine umfassende Studie zum Thema „Rassismus und Xenophobie in Europa“ durchgeführt.(1) Das erste erschreckende Ergebnis: 33% der Interviewten bezeichneten sich als ziemlich oder sehr rassistisch. Unter diesen Personen waren Unzufriedenheit mit den individuellen Lebensumständen, Angst vor Arbeitslosigkeit, Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung und geringes Vertrauen in öffentliche Einrichtungen und das politische Establishment in ihrem Land weit verbreitet. Viele jener, die sich als rassistisch einstuften, waren in der Tat xenophob eingestellt, da diejenigen Gruppen, die das Ziel dieser Diskriminierungen waren, von Land zu Land unter- schiedlich definiert wurden. Je mehr die Befragung allerdings ins Detail ging, desto eher wurde deutlich, wie unterschiedlich die Meinungen waren. Rassistische Einstellungen korrelierten interessanter Weise deutlich mit einem einigermaßen starken Vertrauen in die Demokratie und einem fundamentalen Respekt für soziale Rechte und Freiheit. Während viele für alle Bürger/innen – auch für Immigrant/innen und Angehörige von Minderheiten – dieselben Rechte einforderten, war die Meinung weitverbreitet, dass solche Rechte nicht für jene gelten sollten, die illegal in der EU leben, straffällig geworden waren oder aber arbeitslos waren. Gleichzeitig wurde betont, dass die Europäischen Institutionen verstärkt gegen Rassismus aktiv werden sollten. Rassistische Einstellungen Europaweit gab es eine Drittelung zwischen Personen, die sich überhaupt nicht als rassistisch einstuften (34%), jenen die sich ein bisschen rassistisch bezeichneten (33%) und schließlich jener Gruppe, die sich als ziemlich bzw. sehr rassistisch bezeichnete (33%). Österreich lag mit 14% „sehr rassistisch“ im Spitzenfeld – hinter Belgien (22%) und Frankreich (16%) –, diese drei Länder lagen auch bei den beiden Kategorien „sehr“ und „ziemlich rassistisch“ an der Spitze (Belgien 55%, Frankreich 48%, Österreich 42%). Am geringsten waren jene die sich als „sehr rassistisch“ bezeichneten in Irland und Spanien (jeweils 4%), Portugal (3%) und Schweden bzw. Luxembourg (jeweils 2%). Von jenen, die sich als ziemlich 9 24 40 ziemlich 33 34 ein bisschen 43 32 46 27 34 42 A UK EU15 22 26 NL 35 58 54 35 24 DK 8 25 35 17 B 25 19 32 20% 49 43 27 40 40% 24 2 16 10 3 25 28 33 32 14 14 5 26 12 2 21 16 9 4 31 34 50% 10% sehr 31 33 70% 30% 16 21 31 31 80% 60% 8 12 22 90% 6 Selbsteinschätzung: nicht – ein bisschen – ziemlich – sehr rassistisch 100% 0% D GR E F I L 1 P FIN S nicht oder sehr rassistisch einstuften, waren etwa 50% mit der Politik in ihrem Land unzufrieden (dies kann z. T. die Spitzenposition Belgiens als Ergebnis der innenpolitischen Ereignisse der Jahre 1996 und 1997 erklären). In der Untersuchung wurde auch festgestellt, dass kein signifikanter Zusammenhang zwischen rassistischen Einstellungen und Arbeitslosigkeit besteht. Vielmehr war die individuelle Angst vor Arbeitsplatzverlust ein wesentlich stärkeres Kriterium für rassistische Positionen. Viele dieser Personen hatten im beruflichen bzw. familiären Umfeld in den vergangenen Jahren erlebt, dass Kolleg/innen bzw. Verwandte/ Freunde arbeitslos geworden waren. Die Wahrscheinlichkeit, rassistisch eingestellt zu sein war größer bei jenen Befragten, die sich politisch rechts einstuften (zu einem geringen Prozentsatz auch bei jenen, die sich politisch links einstuften), bei älteren Personen (über 55 Jahre), bei Menschen mit geringer Ausbildung und bei EU-Gegnern. Keine signifikanten Unterschiede gab es zwischen Männern und Frauen, ebenso wenig bei Personen in ländlichen oder in urbanen Gegenden. Während europaweit 70% meinten, dass Angehörige von Minderheiten am Arbeitsmarkt benachteiligt würden, meinten dies 90% in Griechenland, aber nur 39% in Österreich. Prozentsätze 12 – 59 – 23, Österreich mit 6% Akzeptanz, 55% Akzeptanz mit Einschränkungen und 31% Ablehnung wurde nur von Deutschland (3-54-37) unterboten. Bei der Frage, ob Asylsuchende aufgenommen werden sollten, lag Österreich allerdings knapp über dem Durchschnitt: Europaweit waren 20% der Meinung, diese sollten ohne Restriktionen aufgenommen werden, 55% für Aufnahme mit Restriktionen und 18% waren der Meinung, Asylsuchende seien keinesfalls aufzunehmen, Österreich lag mit 23%, 54% und 15% in allen drei Bereichen besser als der Durchschnitt. Die größte Zustimmung für Asylsuchende gab es in Spanien (45% ohne Restriktionen, 41% mit Einschränkungen, nur 4% gegen jegliche Aufnahme), am unteren Ende lag Belgien mit 10%, 51% und erschreckend hohen 32% für Aufnahme unter keinen Umständen. Gefragt, ob die Anwesenheit von Menschen anderer Nationalität für sie störend oder nicht störend sei, meinten europaweit 83% dies sei nicht störend, 13% empfanden dies als störend. Österreich kommt hier schlecht weg – nur 72% empfanden dies als nicht störend, 19% als störend, dasselbe Verhältnis gab es sowohl in Europa als auch in Österreich bei der Frage nach Menschen anderer Ethnizität. Akzeptanz von Anderen Einstellungen gegenüber Minderheiten Bei der Frage, ob Arbeitskräfte aus Ländern des südlichen Mittelmeerraumes akzeptiert, mit Einschränkungen akzeptiert oder nicht akzeptiert werden sollten, waren europaweit 13% für Akzeptanz ohne Einschränkungen, 6% für Akzeptanz mit Einschränkungen und 21% für Nicht-Akzeptanz. Österreich lag mit 7% bzw. 56% für die beiden ersten Kategorien ebenso deutlich hinter den EU-weiten Ergebnissen wie mit 28% Nicht-Akzeptanz im Spitzenfeld der Ablehnung. Ähnliche Ergebnisse für Personen aus Osteuropa: Hier waren die europaweiten Unter jenen, die der Meinung waren, dass ihr Land immer schon ein Land verschiedener Kulturen und Religionen gewesen sei, vertraten 75% die Ansicht, dass eine multikulturelle Gesellschaft willkommen sei. 60% betonten den belebenden Einfluss von Minderheiten auf das kulturelle Leben. 73% meinten, dass alle Schüler/ innen vom gemeinsamen Unterricht mit Schüler/innen von Minderheiten profitieren würden, gleichzeitig aber sagten 53%, dass bei zu vielen Schüler/innen von Minderheitengruppen in einer Klasse die Qualität 2 des Unterrichts leiden würde. Knapp 80% vertraten die Ansicht, dass Minderheiten mehr aus dem Sozialtopf nehmen als in diesen einzahlen würden; 59% dass sie das Sozialsystem ausnützen, 44% dass sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen und 28% dass sie durch ihre religiösen Praktiken „unsere Kultur“ gefährden würden. Teilweise kamen sehr gegensätzliche Meinungen zum Vorschein – so meinten 63%, dass diese Gruppen die Gefahr von Arbeitslosigkeit vergrößern würden, gleichzeitig sagten 68%, dass sie jobs annehmen, die sonst niemand haben möchte. Integration, aber mit Einschränkungen Dass Angehörige von Minderheiten jene Teile ihrer Religion aufgeben müssten, die in Konflikt mit geltenden gesetzlichen Regelungen stünden, sagten 36% der Befragten, 25% meinten, sie müssten ihre Kultur überhaupt aufgeben – die klassische Assimilationsforderung. 39% waren gegen Assimilierung und gegen Integration. 60% verneinten, dass Angehörige von Minderheiten sich nicht an die herrschende Kultur anpassen könnten, zwei Drittel waren der Ansicht, dass innerhalb weniger Generationen eine Angleichung stattfinden würde. Zur Frage, wie viele Angehörige von Minderheiten in einem Land leben könnten/sollten, gab es ebenso unterschiedliche Reaktionen: 72% meinten, es müsse quantitative Beschränkungen geben, 65% gingen noch weiter und sagten, eine Obergrenze sei bereits erreicht. 40% meinten, dass bereits zu viele, 45% dass zwar viele, aber nicht zu viele und 14% dass nicht viele im Land seien. In Österreich meinten 50%, dass zu viele Ausländer im Land seien, 40% dass zwar viele, aber nicht zu viele hier seien und 5% dass nicht sehr viele hier leben würden. Generell war zu bemerken, dass Schüler/innen, Personen mit höherer Ausbildung, Manager und Jüngere Wenngleich 80% es ablehnten, dass legale Immigrant/innen in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden sollten und ebenso 79% dagegen waren, dass Immigrant/innen – egal ob legale oder illegale – und auch ihre eventuell in den Zielländern geborenen Kinder zurückgeschickt werden sollten, bleiben etwa 20%, die eine totale Rückführung befürworteten – eine ähnlich erschreckend hohe Zahl wie jene derer, die sich als offen rassistisch einstuften. Sehr viel Ablehnung gab es für Personen, die als „problematisch“ ein- meinten, dass nicht zu viele Ausländer in Europa lebten, umgekehrt Pensionist/innen und Personen mit geringerer Ausbildung die gegenteilige Position vertraten. 58% jener, die für 1998 im Vergleich zu 1997 Verschlechterungen befürchteten, meinten es seien zu viele Ausländer im Land, umgekehrt meinten dies nur 37% jener, die für 1998 Besserungen erwarteten. 40% meinten, ihr Land würde von den Immigrant/innen profitieren, 45% dagegen, besser wäre es ohne sie und für 12% machte dies keinen Unterschied. Solange Immigrant/in- Einstellungen gegenüber Ausländer/innen In Prozent Es gibt zu viele im Land Es gibt nicht sehr viele, aber nicht zu viele im Land Es gibt nicht sehr viele im Land Anwesenheit von Personen anderer Nationalität ist störend Anwesenheit von Personen anderer Ethnizität ist störend Anwesenheit von Personen anderer Nationalität ist nicht störend Anwesenheit von Personen anderer Ethnizität ist nicht störend 81 81 38 37 14 15 45 46 3 3 11 12 nen wirtschaftlichen Nutzen brächten, seien sie für sehr viele willkommen. Immerhin 70% meinten, dass Immigrant/innen dieselben Rechte wie Staatsbürger/innen haben sollten, 55% waren für das Recht auf Familienzusammenführung und 47% für liberalere Einbürgerungsgesetze. gestuft wurden. 43% möchten auch legale Immigrant/innen im Falle von Arbeitslosigkeit wieder zurück in ihre Herkunftsländer schicken, 66% waren für die Rückführung von illegalen Immigrant/innen und 80% für die Rückführung straffällig gewordener Ausländer/innen. Allerdings meinten 68%, dass jeweils die persönlichen Umstände zu berücksichtigen seien. Und 88% meinten, dass Unternehmer, die Personen illegal beschäftigen, härter zu bestrafen seien. Gegenmaßnahmen Schließlich vertraten 60% die Ansicht, dass in den Schulen verstärkt gegenseitige Achtung und gegenseitiger Respekt gefördert werden müsste, außerdem sollte die Justiz stärker gegen jene aktiv werden, die Rassismus schüren. Als weitere Präventivmaßnahmen gegen Rassismus wurden faire Berichte in den Medien, Förderung von Chancengleichheit in allen sozialen Lebensbereichen und Förderung des Verständnisses für unterschiedliche Kulturen und Lebensstile genannt. Immerhin 18% meinten, dass Angehörige von Minderheiten verstärkt in die Politik im engeren Sinne einzubinden seien. Und 82% meinten, die Initiativen des Jahres gegen Rassismus sollten weitergeführt werden, sogar 84%, dass die Institutionen der Europäischen Union stärker gegen Rassismus auftreten und diesen bekämpfen sollten. Anmerkung (1) Eurobarometer Opinion Poll 47.1; Standard Eurobarometer 48; http://europa.eu.int/dg10/epo/eb. html Lehrgang Gewaltfreiheit Einjährige Ausbildung anläßlich der „Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit“ Der Lehrgang will mit einer praxisorientierten Ausbildung Menschen zum aktiven Eingreifen in Konflikt– und Gewaltsituationen – in Österreich wie im Ausland – befähigen. Form des Lehrgangs: • Einführungswochenende (Grundlagen der Gewaltfreiheit • 4 Module (z.B. Gewaltfreiheit in persönlichen Konflikten, im gesellschaftlich-politischen Bereich, Identität und Umgang mit dem Fremden, gewaltfreie Intervention in Konflikten als Drittpartei ...) • Praktische Vertiefung (eine Woche im Sommer) • Evaluation und Abschluß Dauer: Jänner bis November 2001 Kosten: ATS 7.000,- Teilnahmebeitrag für den gesamten Lehrgang Information und Anmeldung (beschränkte TeilnehmerInnen-Zahl): Internationaler Versöhnungsbund, Österreichischer Zweig, Lederergasse 23/3/27, A-1080 Wien, Tel.+Fax: +43-(0)1-408 53 32, E-mail: [email protected] 3 Die EU und Aktionen gegen Rassismus, Xenophobie und Antisemitismus 1977 1986 1989 1990 1991 1992 1993 1994 Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission über fundamentale Rechte. Annahme des ersten Berichts des Untersuchungsausschusses über das Ansteigen von Faschismus und Rassismus in Europa. Annahme der Gemeinsamen Erklärung gegen Rassismus und Xenophobie durch das Europäische Parlament, den Rat und die Kommission. In der Gemeinsamen Erklärung über die fundamentalen Rechte von Arbeiter/innen wird Notwendigkeit des Kampfes gegen jede Form der Diskriminierung, inklusive der Diskriminierungen auf Grund von Geschlecht, Hautfarbe, Abstammung, Meinung und Glaube betont. Der Rat verabschiedet am Gipfel in Dublin eine Resolution zum Kampf gegen Rassismus und Xenophobie. Annahme des zweiten Reports des Untersuchungsausschusses zur Verstärkung der europaweiten Aktionen. Der Rat verabschiedet beim Gipfel in Maastricht eine Resolution in der garantiert wird, dass klar und unzweideutig gegen das Anwachsen von Rassismus und Xenophobie agiert wird. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedet eine Resolution über Rassismus, Xenophobie und religiöse Intoleranz. Am Gipfel in Edinburgh verabschiedet der Rat eine dritte Resolution, in der europaweit energische und effektive bildungspolitische und legislative Maßnahmen zur Bekämpfung des Rassismus festgelegt werden. Mehrere Resolutionen des Europäischen Parlaments gegen Rassismus und Xenophobie und die Gefahr rechtsextremer Gewalt werden verabschiedet. Beim Gipfel in Kopenhagen wird vom Rat in einer vierten Resolution Rassismus und Xenophobie verurteilt. Es wird festgehalten, dass der Rat die Ursachen und Wurzeln von Rassismus intensiver erforschen und alles unternehmen wird, um Immigrant/innen und Flüchtlinge zu schützen sowie gegen alle Ausdrucksformen von Rassismus und Intoleranz einschreiten wird. Beim Gipfel in Korfu beschließt der Rat - auf Initiative Frankreichs und Deutschlands – eine Beratende Kommission über Rassismus und Xenophobie zu installieren, um praktische Vorschläge zur Förderung von Toleranz und Verständnis zu präsentieren. Es wird vereinbart, eine gemeinsame Strategie zum Kampf gegen Rassismus zu erarbeiten. Beim Gipfel in Essen wird die Kommission beauftragt, die Diskussionen in bezug auf Bildung und Ausbildung, Information, Medien, Polizei und Justiz zu intensivieren. In ihrem Weißbuch zur Sozialpolitik betont die Kommission ihre Absicht, darauf zu drängen, dass Maßnahmen gegen rassistische Diskriminierungen im Vertrag beinhaltet sind. 1995 Ein Kapitel einer Mitteilung der Kommission über Immigration und Asyl beschäftigt sich mit der Frage der Bekämpfung von rassistischer Diskriminierung bzw. Rassismus und Xenophobie. Eine Resolution des Europäischen Parlaments zu Rassismus und Xenophobie fordert verstärkte gesetzliche Maßnahmen der Mitgliedsstaaten. Die Beratende Kommission über Rassismus und Xenophobie präsentiert ihren Endbericht; darin finden sich umfassende Vorschläge an die Ratstagung in Cannes. Der Rat beauftragt die Beratende Kommission, ihre Arbeit gemeinsam mit dem Europarat fortzusetzen und die Möglichkeiten einer Installierung eines European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia zu prüfen. In zwei Resolutionen des Europäischen Parlaments zu Rassismus, Xenophobie und Antisemitismus wird die Notwendigkeit der Sicherung gleicher Beschäftigungschancen unabhängig von Abstammung, Alter, Geschlecht Behinderung oder Glaube betont. Der Sozialausschuss und der Bildungsausschuss verabschieden Resolutionen zur Bekämpfung von Rassismus in Arbeitswelt und Schule. Die Kommission schlägt eine Ratsentscheidung vor, 1997 als Jahr gegen Rassismus zu proklamieren. Die Kommission erklärt ihre Bereitschaft, nationale Aktionen zu unterstützen. Die erklärten Ziele sind: 1996 1997 2000 Förderung der Integration und Öffnung von Möglichkeiten des Einschlusses • Förderung des öffentlichen Bewusstseins und Bekämpfung von Vorurteilen • Schutz vor rassistischem Verhalten und rassistischer Gewalt • Beobachtung und Sanktionierung rassistischer Handlungen • Internationale Kooperation • Intensivierung antirassistischer Gesetze auf nationaler und europäischer Ebene • Der Gipfel zu Sozialen Fragen von Arbeitgebern und Gewerkschaften verabschiedet eine gemeinsame Erklärung zum Schutz vor rassistischer Diskriminierung und Xenophobie und der Förderung gleicher Behandlung am Arbeitsplatz. Der Vorschlag, 1997 als Jahr gegen Rassismus zu proklamieren, wird vom Europäischen Parlament, Wirtschafts- und Sozialausschuss und Komitee der Regionen unterstützt. Die Beratende Kommission präsentiert eine Machbarkeitsstudie. Der Rat beauftragt die Beratende Kommission, ihre Tätigkeit bis zur Installierung eines Monitoring Centre fortzusetzen. Das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten beschließen die Installierung eines Monitoring Centre in Wien. Es soll Bilanz ziehen und rassistische und xenophobe Phänomene untersuchen; deren Ursachen analysieren und praktische Vorschläge zur Bekämpfung dieser Phänomene präsentieren. Offizielle Eröffnung des EUMC - European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia. Annahme des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates über die Implementierung des Prinzips der Gleichbehandlung von Personen ungeachtet ihres rassischen oder ethnischen Ursprungs durch den Ministerrat. Aus: Racism and Xenophobia, http://europa.eu.int/comm/employment_social/fundamri/racism/intro_en.html 4 WAS TUN GEGEN RECHTSEXTREME? Reinhold Gärtner In ihrer umfangreichen Berichterstattung zum aktuellen Rechtsextremismus in Deutschland hat die deutsche Wochenzeitung Die Zeit (34/2000) unter anderem einige brauchbare Tipps im Umgang mit Rechtsextremen gebracht. Die Tipps stammen von Personen, die beruflich mit dem Themenbereich „Rechtsextremismus“ zu tun haben. Lothar Spielmann, Inspektionsleiter beim politischen Staatsschutz des Landeskriminalamtes Berlin ging der Frage nach, wie denn Rechtsextreme zu erkennen seien. Wer dabei nur an Glatzen, Bomberjacken, Springerstiefel oder das Hakenkreuz denkt, greift zu kurz. So steht die Zahl 18 für Adolf Hitler (der erste und achte Buchstabe des Alphabets), 88 für Heil Hitler und 14 für die vierzehn Wörter des Slogans eines britischen Rechtsradikalen: „We must secure the existence of our people and a future for white children.“ Andere Symbole sind Runen oder Militärzeichen, besonders beliebt das Keltenkreuz. Auch unauffälligere Symbole werden verwendet: eine Berliner Hammer-Skin Gruppe verwendet zwei Zimmermannshämmer als Symbol; Stoffaufnäher mit Städtenamen in einem Dreieck sind verbotene NSDAPGauabzeichen, die Abkürzung A.C. A.B. steht für „all cops are bastards“. Allzu deutliche Symbole werden vermieden, um die Polizei nicht sofort zu alarmieren – wenn, dann sind das meist Führungskader („Scheitel“) mit Anzug und einem Thorshammer an der Halskette. Was soll man machen, wenn man Skins auf der Strasse trifft? Dazu ein Mitarbeiter der Berliner Spezialeinheit PMS (Politisch Motivierte Straßengewalt) zur Bekämpfung von Rechtsextremismus: Besser aus dem Weg gehen – vor allem, wenn sie sichtbar alkoholisiert sind und aggressiv wirken. Z.B. die Straßenseite wechseln, keinesfalls auf Kon- frontationskurs gehen. Schon in die Augen sehen wird von manchen als Aggression ausgelegt. Wenn man angesprochen wird, distanziert bleiben, versuchen, andere Passanten mit einzubinden. Und keinesfalls provozieren. Oft genügt in solchen Fällen ein kleiner Funke zur Explosion. In öffentlichen Verkehrsmitteln sei es, so Winfried Roll, Leiter des Referats Vorbeugung der Berliner Polizei, verkehrt, das Problem „auszusitzen“, so zu tun, als ob die Bedrohung gar nicht da wäre. Dies sei eine Einladung an die Täter. Als potentielles Opfer sollte man andere Fahrgäste aufmerksam machen: „Schauen Sie, der Mann da hat ein Messer und bedroht mich.“ Der Täter sieht dann, dass er auch von den anderen beobachtet wird. Man kann auch Fahrgäste auffordern, z.B. die Notbremse zu ziehen. Keinesfalls sollte der Täter geduzt werden – sonst könnte der Eindruck entstehen, es handle sich um eine private Auseinandersetzung. Wird jemand angepöbelt oder verprügelt, so Roll weiter, dann soll man nicht allein einschreiten sondern z.B. – wenn man ein Handy hat – die Polizei rufen, dies aus einiger Entfernung auch dem Täter zurufen. Man kann in anderen Passanten Verbündete suchen, wenn die Gruppe groß genug ist, einfach schreien „Aufhören, aufhören“. Der Täter wird dadurch irritiert. Wer – als Opfer – hysterisch kreischt, kann damit den Täter ebenso irritieren. CS-Gas oder andere Waffen verleiten hingegen nur zur trügerischen Hoffnung, sie könnten im Notfall helfen – sie geben aber ein falsches Sicherheitsgefühl und tragen zur Eskalation bei. Ein Mitarbeiter der PMS meint zur Frage, ob es Sinn mache, mit Rechtsextremen zu diskutieren, dass dies auf der Strasse nicht zielführend sei, sehr wohl aber, wenn z.B. 5 ein Bekannter rechtsextreme Meinungen vertritt. Einzelgespräche können Wirkung zeigen: „Bei Einsätzen frage ich schon mal: Weißt Du, woran Du da teilnimmst? Oder: Meinst Du, es ist heldenhaft, zu fünft auf einen einzuprügeln? Da fangen viele an, herumzudrucksen.“ Die „Erlebnisorientierten“, die sich von Freunden mitreißen lassen, seien zwar teilweise auch ausländerfeindlich eingestellt, aber nicht unbedingt auf Schlägereien aus. Filippo Smaldino, ein Sozialarbeiter aus Milmersdorf (Brandenburg) meint dazu, dass es sehr wohl möglich und sinnvoll sein kann, mit ihnen zu diskutieren – da sie Grossteils aber sehr einfach strukturiert seien, fühlen sich viele rasch unterlegen. Einen Bogen würde Smaldino um jene machen, die „Hass“ eintätowiert haben: „Die strahlen das auch aus“. Für schwierig hält es der Kempener Politologe Klaus-Peter Hufer, Stammtischparolen etwas entgegenzusetzen. Oft lassen sich die Sprücheklopfer nicht auf logische Argumente ein und springen von einer Parole zur nächsten - man muss also beim Thema bleiben und darauf beharren. Sehr oft wird man den Gegner nicht überzeugen können, der braucht seine Vorurteile zur Stabilisierung seines Weltbildes - aber erstens ist das gut für die eigene Selbstachtung, zweitens könnten vielleicht Zuhörer positiv beeinflusst werden. Ebenso in Die Zeit (34/200) stellt Toralf Staud Forderungen auf, die zwar teilweise überlegenswert sind, teilweise aber sehr stark rechtsstaatlich bedenklich scheinen. So meint Staud, dass die Polizei verstärkt Präsenz zeigen oder dass „maßgeschneidert“ gestraft werden sollte – sein Vorschlag, Verurteilung zu „gemeinnütziger Arbeit“. Oder aber dass die Steuerfahndung den Vertreibern von Nazikommerz das Leben schwer machen solle. Die Frage ist, wieweit dies dann in Richtung Überwachungsstaat geht. Schon überlegenswerter andere Beispiele, z.B. Null-Toleranz für NS- Symbole. Ob aber hier die Forderung nach mehr Polizeigewahrsam wirklich hilft, bleibt dahingestellt – obwohl einige Beispiele in Deutschland gezeigt hätten, dass die Polizei damit gute Erfahrungen gemacht habe. Die zeitliche Distanz zwischen Tat und Sanktion (z.B. Prozess) deutlich zu verkürzen, sollte indes möglich sein. Je näher beides zusammen liegt, desto besser scheint die Wirkung zu sein. Skinhead-Konzerte, bei denen entsprechende Musik gespielt wird, müssten rigider beobachtet und eventuell untersagt werden. Einwanderung – so Staud – muss offen diskutiert werden, ebenso muss staatliche Diskriminierung beseitigt werden. Solange Farbigen bei Polizeikontrollen deutlich gemacht wird, dass sie farbig sind – genügend Beispiele aus Österreich sind bekannt – solange klingen antirassistische Appelle eher hohl. In Deutschland werden auch Teile der Wirtschaft aktiv: die Thüringer Landeszeitung druckte Tausende Plakate und Aufkleber gegen rechts; in einem Stahlwerk in Eisenhüttenstatt wird von der Geschäftsführung klar gemacht, dass Rassismus nicht geduldet wird. Und immer wieder die Forderung nach Schule und Politischer Bildung. Politische Bildung kann vieles erreichen – aber nicht alles. Politische Bildung kann verschiedene Grundmuster vermitteln, kann verschiedene Einstellungen fördern oder aber korrigieren; es wäre aber zuviel verlangt, sollte allein politische Bildung als Korrektiv für gesellschaftliche, mediale und politische Phänomene herangezogen und verantwortlich gemacht werden, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden. Politische Bildung, die – auf sich allein gestellt – Demokratie erklären und näher bringen soll, muss an diesem Vorhaben scheitern; es sei denn, auch andere gesellschaftliche Teilbereiche widmen sich dieser Zielvorstellung einer Weiterentwick- lung demokratischer Grundwerte. Rechtspopulismus und Rechtsextremismus sind eben keine Phänomene oder Zeitgeisterscheinungen, die quasi aus dem Nichts entstehen und sich ausbreiten, sondern Verhaltensund Einstellungsmuster, die eine lange gesellschaftspolitische Tradition aufweisen. Allerdings haben diese Phänomene zur Zeit wieder unübersehbare Hochkonjunktur. Umso schwieriger also - aber auch umso wichtiger - ist Politische Bildung. Politische Bildung wird nicht die Welt im Sinne eines allgemeinen Wohlbefindens und Glücklichseins grundsätzlich verändern können. Politische Bildung kann aber sehr wohl ihren Beitrag dazu leisten, dass viele Einzelne - und damit die Gesellschaft in der wir leben -, ein kleines Stück humanere Prinzipien vertreten, dass verschiedene Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt werden und dass Grundprinzipien der Demokratie, Grundprinzipien unseres Demokratieverständisses immer wieder betont werden. Ganz zentral dabei ist das ernst nehmen von individuellen Ängsten und Befürchtungen, ebenso wichtig der Aufbau einer gemeinsamen Kommunikationsbasis. Je mehr einander auf derselben Ebene begegnet und miteinander gearbeitet wird, desto erfolgversprechender ist das Langzeitprojekt Politische Bildung. Auch das EUMC hat mehrere Vorschläge präsentiert, wie man gegen rechtsextremes und neonazistisches Gedankengut vorgehen könnte. „Generell zeigen die neuen Vorkommnisse, wie wichtig es ist, eine klare politische und gesellschaftliche Orientierung zu geben, das Rechtsradikalismus, Rassismus und Antisemitismus nicht gestattet sind, und alle Bürger/innen davon zu überzeugen, dass die Werte und die Zukunft in Europa auf Gleichheit und Vielfalt aufbauen. Gleichheit beruht auf der Gleichbehandlung von Menschen ethnischer, religiöser und kultureller Unterschiedlichkeit“, meint dazu Beate Winkler, 6 die Direktorin des EUMC. Laut Winkler ist es mit entscheidend für die zivile Gesellschaft, dass die Mehrheit der Bürger/innen nicht wegschaut oder schweigt, sondern schon im alltäglichen Leben etwas für eine bessere gegenseitige Verständigung der Menschen tut. Dazu hat das EUMC die Broschüre „Sie können etwas tun“ herausgegeben – mit 36 konkreten Anregungen für die Bereiche Kindergarten, Schule, Nachbarschaft, Betrieb und Arbeit, bis hinein in die Gemeinde und in die Öffentlichkeitsarbeit: „ Durch persönliche Begegnungen und Erfahrungen, durch mehr Wissen und mehr Engagement können sich Einstellungen und verhalten entscheidend ändern, gerade gegenüber ethnischen, religiösen und kulturellen Minderheiten. Alle können dazu beitragen und etwas tun, allein und gemeinsam mit anderen“, so Winkler. Das EUMC weist auch darauf hin, dass es sehr wichtig ist, jungen Menschen zu helfen, die ein potentielles oder tatsächliches Mitglied rassistischer oder rechtsextremistischer Organisationen sind. So hat z.B. die skandinavische Organisation „Exit“ in den vergangenen zwei Jahren mehr als 80 jungen Leuten beim Ausstieg aus Neonaziorganisationen geholfen – viele der ehemaligen Mitglieder der Neonazigruppen arbeiten heute zusammen mit Polizei, Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen oder Eltern, um andere Jugendliche beim Ausstieg von den Neonazis zu unterstützen. Einige Anregungen aus der Broschüre „Sie können etwas tun“: • Im Kindergarten und in der Schule * Fragen Sie Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, wie sie sich für eine bessere gegenseitige Verständigung in Kindergarten und Unterricht einsetzen und was sie gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus tun. * Geben Sie die Idee weiter, dass Schulklassen Flüchtlings- und Asylheime besuchen und dort Gespräche führen. * Geben Sie die Anregung, Klassenfahrten ins Ausland und Schülerpartnerschaften durchzuführen. Geben Sie in der Schule die • Anregung, dass im Unterricht Lehrbücher und Lehrpläne der Schulen auf das Thema „ Kulturelle Verständigung“ hin durchgesehen werden. Geben Sie Ihre Anregungen und Ergebnisse z.B. an die Schulbehörden und Verlage weiter. • In der Nachbarschaft * Unterstützen Sie Initiativgruppen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, die sich für eine bessere Verständigung und gegen Fremdenfeindlichkeit einsetzen. NGOs (Non Governmental Organisations) können Ihnen dabei wertvolle Hilfe leisten. * Sorgen Sie allein oder gemeinsam mit anderen dafür, dass rassistische, fremdenfeindliche oder antisemitische Parolen an Brücken, Mauern und anderen Stellen beseitigt werden. Suchen Sie das Gespräch und erklären Sie warum Sie das tun. • Im Betrieb und bei der Arbeit * Diskutieren Sie während der Mittags- oder Kaffeepause mit Ihren Kolleginnen und Kollegen, warum Sie sich für eine bessere Verständigung einsetzen und gegen Fremdenfeindlichkeit wenden. * Stellen Sie sicher, dass eine Politik der Chancengleichheit - die überprüft werden kann - an allen Arbeitsplätzen herrscht. * Geben Sie die Anregung weiter, das ethnische, religiöse oder kulturelle Minderheiten bei der Einstellung in Ihrem Betrieb stärker berücksichtigt werden. Der gegenseitige Kontakt hilft auch in diesem Bereich, Vorurteile abzubauen. Richten Sie Vorschläge dazu an die Stadt oder Gemeinde. • In der Öffentlichkeit * Mischen Sie sich ein, wenn Sie Zeuge von Beleidigungen und fremdenfeindlichen Witzen werden. * Wenden Sie sich mit Leserbriefen gegen fremdenfeindliche Aktionen und eine fremdenfeindliche Berichterstattung in den Medien. Setzen Sie sich in diesen Briefen auch für ein gutes Zusammenleben zwischen einheimischer und zugewanderter Bevölkerung ein. * Lassen Sie nicht zu, dass im Gespräch über ethnische, religiöse oder Kulturelle Minderheiten und Flüchtlinge eine diskriminierende und verhetzende Sprache gebraucht wird. * Lassen Sie religiöse und kulturelle Minderheiten in Gemeinden stärker zu Wort kommen und schaffen Sie Gelegenheiten, in denen Einheimische, Minderheiten und Flüchtlinge sich begegnen und austauschen können (z. B. Gemeinden, Sport, Vereine). * Fordern Sie die Abgeordneten Ihres Wahlkreises auf, sich eindeutig gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitis- mus zu wenden; Politikerinnen und Politiker haben Vorbildfunktion. ZUR BEDEUTUNG DES NS-VERBOTES Nina Nagler / Heribert Schiedel Mit dem öffentlichen Interesse am Rechtsextremismus in Deutschland setzte auch eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Verboten ein. Die politisch-rechtliche Basis etwa einer behördlichen Auflösung der NPD bildet die „Freiheitlichdemokratische Grundordnung“. Als Ausfluss der Totalitarismusideologie ermächtigt diese die Behörden, gegen politischen Extremismus vorzugehen. Die Verfassungsfeindlichkeit von Organisationen wird dabei vor allem an deren (gewaltbereiter) Frontstellung gegen die liberale Parteiendemokratie festgemacht. Es entsprach dem Charakter der BRD als Frontstaat im Kalten Krieg, dass dieses Verdikt mehrheitlich die radikale Linke traf. Demgegenüber kennt die österreichische Verfassung kein allgemei- 7 nes Extremismus-Verbot. Hingegen existiert seit 1945 ein Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP, kurz Verbotsgesetz, das unter anderem eine politische Betätigung im nationalsozialistischen Sinne unter Strafe stellt. Eine polizeiliche Beobachtung des Rechtsextremismus basiert auf dessen Charakter als legales Vorfeld des Neonazismus. Dieser zentrale Unterschied verbietet es unseren Erachtens, die deutsche Debatte auf Österreich zu übertragen. Das versuchen jedoch nationalfreiheitliche Personen wie Andreas Mölzer, die behördliche Schritte gegen Rechts- und Linksextremismus fordern. Es wäre falsch, das Verbotsgesetz losgelöst von Geschichte und Umfeld zu beurteilen. Das Verbotsgesetz ist kein einfaches Strafgesetz, sondern auch ein Verfassungsgesetz. Es stellt im Grunde die antizipierte Umsetzung des Art 9 des Staatsvertrages dar, in welchem Österreich sich dazu verpflichtete, die NSDAP sowie alle anderen Organisationen mit faschistischem Charakter aufzulösen und alle nazistischen Spuren aus dem öffentlichen Leben zu entfernen. Art. 9 verbunden mit Art 10 des Staatsvertrages bilden eine tragende Säule der Zweiten Republik und formulieren ihren antinazistischen Grundauftrag. Zumindest zum Zeitpunkt der ursprünglichen Erlassung im Mai 1945 wurde die Existenzberechtigung des Verbotsgesetzes nicht bezweifelt. Die Provisorische Staatsregierung stand mit Stolz vollinhaltlich hinter dem Gesetz. Das davor weitgehend im Nationalsozialismus aufgegangene „Dritte Lager“ hatte sich noch nicht rekonsolidiert, die ehemaligen Nazis stellten noch kein zu bedienendes Wählerpotential dar. Das 1947 erstmals novellierte Verbotsgesetz verstaubte förmlich nach einer nicht lange anhaltenden Phase der Anwendung. Nach der Auflösung der Volksgerichte, welche ursprünglich in Verfahren nach dem Verbotsgesetz durch zwei Berufsrichter und drei Schöffen entschied, wurde die Zuständigkeit 1955 an die Geschworenengerichte übertragen. Deren Zusammensetzung spiegelte den damaligen Zustand der österreichischen Gesellschaft wieder. Diese war längst geprägt von der aggressiven Abwehr von Schuld und Erinnerung, was nicht nur den Umgang mit den Tätern und Opfern des Nationalsozialismus determinierte. In der Folge kam es zu einem weiteren steten Abfall der Anklageerhebungen und von Urteilssprüchen nach dem Verbotsgesetz. Dies erlaubt allerdings nicht den Rückschluss, in Österreich sei der Neonazismus erfolgreich mit anderen Mitteln bekämpft worden. Vielmehr wurde die NS-Wiederbetätigung immer mehr erschreckende österreichische Wirklichkeit, welcher mit rechtlichen Mitteln offensichtlich nicht beigekommen werden konnte. Die Schuld daran wurde vorrangig dem Gesetz (mit seinen Mindeststrafen von fünf oder zehn Jahren) gegeben. Eine ideologische Nähe zwischen (potentiellen) Angeklagten und Angehörigen des Justizapparates wurde hingegen öffentlich kaum diskutiert. Die Universitäten, allen voran die juridischen und medizinischen Fakultäten, stellten bis in die späten 60er Jahre Hochburgen des Rechtsextremismus dar. Erst nach der partiellen Öffnung und Demokratisierung der Universitäten unter sozialdemokratischer Alleinregierung begann sich dieses Bild zu verändern. Mit zeitlichem Abstand folgte dem politischen Wandel an den Universitäten auch der des Justizapparates. Im Mai 1990 wurden erstmals öffentlich Novellierungsvorschläge zum Verbotsgesetz diskutiert. Die Beiträge zur Tagung „Justiz und nationalsozialistische Wiederbetätigung“ unter der Schirmherrschaft des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, der Israelischen Kultusgemeinde Wien und der Gesellschaft für politische Aufklärung wurden schließlich von der Politik zum Anlass genommen, sich mit der Ineffizienz der bestehenden Gesetzeslage auseinander zu setzen. Der Weg zur bis dato jüngsten Novelle des Verbotsgesetzes im März 1992 war von Querelen der Parteien und der Umsicht hinsichtlich möglicher Konsequenzen des Ansehens Österreichs im Ausland geprägt. Es wurde befürchtet, das Herabsetzen der hohen Strafrahmen durch die Novelle würde insofern missverstanden werden, als Österreich seiner im Staatsvertrag formulierten Verpflichtung nicht mehr nachginge. Es lag dem Gesetzgeber sehr daran, diese Optik zu vermeiden. Hilfreich war dabei die Stellungnahme Simon Wiesenthals, welcher eine Senkung der bestehenden Strafrahmen öffentlich unterstützte. Letztlich wurde die Novelle zum Verbotsgesetz einstimmig beschlossen, was als Bekenntnis zum antinazistischen Grundauftrag verstanden werden sollte. Tatsächlich 8 entwickelte sich auch die Anwendungspraxis des Gesetzes in diesem Sinne. Die Zahl der Anklagen und der durchgeführten Verfahren nahm in den neunziger Jahren drastisch zu. Wurde 1990 nur ein Beschuldigter nach dem Verbotsgesetz angeklagt, so waren es 1995 bereits 38. Diese dramatische Steigerung kann allerdings nur unter Berücksichtigung diverser Vorfälle verstanden werden, welche ungefähr zeitgleich mit der Novelle das öffentliche Interesse weckten. Vor allem ist hier die behördliche Zerschlagung der 1986 gegründeten paramilitärischen VAPO zu nennen. Damit einher gingen auf Grund der Größe der Gruppe Festnahmen in einem bisher noch nie da gewesen Ausmaß. Dementsprechend stieg auch der Aktenanfall bei den österreichischen Landesgerichten an Verfahren nach dem Verbotsgesetz. Bei vielen angezeigten Sachverhalten handelte es sich zusätzlich um Verbrechen einer neuen Qualität, mit denen sich die österreichische Justiz auseinandersetzen musste. Steht doch seit der Novelle auch die Leugnung und gröbliche Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen nach dem Verbotsgesetz unter Strafe. Mit der Eskalation des rassistischen (Brief)Bombenterrors 1993 setzte unter der Bevölkerung eine weitere Sensibilisierung ein, was sich - neben der polizeilichen Ermittlertätigkeit in der rechtsextremen Szene ebenfalls auf die Anzeigenstatistik niederschlug. Das entschlossenere Vorgehen von Justiz und Polizei gegen den Neonazismus schränkte dessen Kommunikations- und Rekrutierungsmöglichkeiten nachhaltig ein. Das österreichische Beispiel zeigt darüber hinaus, dass Verbote nicht zwangsläufig zur Bildung von Untergrundstrukturen und Steigerung der Gewaltbereitschaft führen müssen. Auch die Behauptung, mit der rigiden Anwendung des Verbotsgesetzes würden „Märtyrer“ geschaffen, entbehrt jeder Grundlage. Aber das Vorgehen der Behörden hat nicht nur unmittelbare Auswir- kungen in Form der Eindämmung offen neonazistischer Aktivitäten, ihm kommt auch beträchtliche Symbolwirkung zu. Gerade auf das autoritäre Reservoir des Rechtsextremismus wirkt ein entschiedenes Vorgehen staatlicher Macht abschreckend. Der bereits erwähnte antinazistische Konsens, wie er sich scheinbar im Verbotsgesetz ausdrückt, birgt jedoch auch Gefahren: Neben seiner Alibifunktion für einige politische Eliten verbreitet er eine falsche Sicherheit. Diese führt dazu, dass die Sensibilität gegenüber Rassismus und Antisemitismus mit deren strafrechtlicher Relevanz abnimmt. Der legale Rechtsextremismus erfährt mit der rechtlichen oft auch die politische Absolution. Nicht inkriminierte rechtsextreme Handlungen und Ansichten werden so nicht weiter hinterfragt und ein Stück weit normalisiert. Die KritikerInnen des NS-Verbotsgesetzes warnen gerne vor einer Gefährdung der Meinungsfreiheit. Dieses Gerede ist, sofern nicht ohnehin rechtsextremistisch motiviert, unhistorisch und inhaltsleer. In Worte gefasster Rassismus oder Antisemitismus ist keine Meinung, sondern Vorbereitung der Tat. Demokratie hat nach Auschwitz und insbesondere in den post-faschistischen Staaten einfach einen anderen Gehalt als zuvor. Adornos neuer kategorischer Imperativ, das „Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“, hat eben auch für Verfassungen zu gelten. Abschließend sei vor einer Fixierung auf repressive Maßnahmen gegen den Neonazismus gewarnt. Neben der entlastenden Funktion, welche den staatlichen Lösungsversuchen eines gesellschaftlichen Problems zukommt, ist daran zu erinnern, dass (ein möglichst starker) Staat und Repression originär rechte Themen sind. Die Ausweitung des Überwachungsstaates, in Deutschland gegenwärtig mit deren Notwendigkeit im Kampf gegen „Rechts“ begründet, ist selbst ein Ausdruck des Rechtsruckes. RECHTSEXTREMISMUS IN ÖSTERREICH: 1999: Rassistisch motivierter Überfall auf zwei türkische Kinder (elf und zwölf Jahre alt); Brandanschläge auf zwei von Ausländern frequentierte Lokale in Wien und auf ein Asylwerberheim in Wien. Die Täter sind Skinheads im Alter von 16-19 Jahren. Angriffe auf nigerianische, bosnische, türkische Staatsangehörige in Graz; auf Mazedonier und Jugoslawen in Neukirchen/NÖ; auf eine Jugoslawin und ihre kleine Tochter in Wien; auf zwei jungen Männer in Linz, die der Täter für Juden hält; Schändung des jüdischen Friedhofs in Graz; Briefe mit antisemitischem Inhalt an die Israelitische Kultusgemeinde in Wien u.a.m.. Nahtlose Fortsetzung 2000. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in Österreich muss auch die strafrechtlich relevante Variante des Rechtsextremismus – den harten Kern – mit berücksichtigen. Eine Möglichkeit dazu bieten die Jahreslageberichte des Bundesministeriums für Inneres zu „Rechtsextremismus in Österreich“. 1999 gab es 274 Anzeigen nach dem Verbotsgesetz, 43 nach § 283 STGB (Verhetzung), 212 sonstige Anzeigen nach dem STGB; 12 nach dem Abzeichengesetz, 174 nach Art IX Abs. 1 Z. 4 EGVG (Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen) und 2 nach dem Mediengesetz. In Summe stieg die Zahl der Anzeigen im Vergleich zu 1998 um knapp 83% - von 392 auf 717, wobei diese Steigerung – nicht nur, aber zum Teil – auf die Tathandlungen von 101 Personen zurückzuführen ist, die in der gewalttätigen rechtsextremen Szene in Oberösterreich aktiv sind/waren. Aufgelistet nach rechtsextremen, fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Kriterien ergibt sich folgendes Bild: 311 (1998: 244) rechtsextremistische Vorfälle, 52 (1998: 31) fremdenfeindliche bzw. rassistische und 15 (1998: 8) antisemitische. Auch hier wiederum eine Steigerung gegenüber 1998 um 33,6%. Die entsprechenden Daten im Zeitverlauf: Anzeigen Verbotsgesetz § 283 STGB 1990 72 1991 Sonst. STGB Abzeicheng. Art. IX EGVG Mediengesetz 8 29 52 100 34 25 100 1992 249 42 130 28 80 1993 221 20 209 24 47 1994 306 26 164 29 75 1995 313 14 189 31 71 1996 203 14 99 18 33 1997 197 20 105 30 32 0 1998 198 21 109 19 42 3 1999 274 43 212 12 174 2 Eigene Zusammenstellung; Daten aus: Jahreslageberichte Rechtsextremismus in Österreich des BMI, 1995-1999 9 rechtsextremistisch fremdenfeindlich/ rassistisch antisemitisch 1994 422 48 49 1995 384 73 25 1996 248 34 8 1997 297 32 11 1998 244 31 8 1999 331 52 15 Wenn die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gesamt betrachtet werden, so war in Österreich sicherlich die Serie der (Brief) Bombenattentate am augenfälligsten, mit dem traurigen Höhepunkt der Morde von Oberwart. Gleichzeitig war bereits zu Beginn der 90er Jahre – nicht zuletzt aufgrund der Novellierung des Verbotsgesetztes von 1992 – eine deutliche Zunahme juristischer Aktivitäten gegen ausgewiesene Rechtsextremisten und Neonazis konstatierbar (z.B. Ochensberger, Honsik, Küssel, Schimanek jun.). Mit Ausnahme von Franz Fuchs, der als verantwortlicher für die Briefbomben und die Morde von Oberwart verurteilt wurde, waren die genannten in der Szene über Jahre bekannt und aktiv gewesen – Ochensberger mit seinen neonazistischen Schriften aus Vorarlberg, Küssel bereits Ende der 70er als Mitglied der ANR und später als Gründer der VAPO. Schimanek jun. Bei der Kameradschaft Langenlois bzw. bei der Kameradschaft Krems-Land, Honsik als Aktivist der NDP und durch das Pamphlet „Halt“. Nach den Urteilen zu Beginn der 90er Jahre war ein Abflauen bemerkbar, Rechtsextremisten vermieden allzu öffentliche Auftritte und agierten eher aus dem Untergrund. Eher neu und jüngeren Datums waren dann die Aktivitäten andere rechtsextremer Gruppierungen und rechtsextremer Jugendbanden. Hier ist ein Wiederaufleben bemerkbar. Mittlerweile ist wiederum eine tendenzielle Zunahme rechtsextremer Aktivitäten feststellbar: „Derzeit wird das Bild der Szene von rechtsextremen Jugendbanden und von Agitatoren geprägt, die als ‚ Testgruppen‘ hinsichtlich behördlicher Maßnahmen fungieren“, so das BMI (2000: 2) in seiner Situationsbeurteilung. Das BMI spricht weiters von einer doch deutlichen Zunahme rechtsextremistisch und fremdenfeindlich motivierter Delikte und – vor allem bei Jugendlichen – einem bereits bedenklichen Ausmaß dieser Gewalt. Für eine breitere Öffentlichkeit sichtbar wird Rechtsextremismus dann, wenn in den Medien darüber berichtet wird, wenn Ausländer/ innen verprügelt, verletzt oder ermordet werden, wenn Ausländerwohnheime brennen oder wenn jüdische Friedhöfe geschändet werden oder aber wenn vier Roma in Oberwart durch eine Rohrbombe ermordet werden. Dann ist immer auch – berechtigte und notwendige – Distanzierung von und Abscheu vor diesen Verbrechen erkennbar. Gleichzeitig wird immer dann die Frage nach Ursachen gestellt, die Frage, wie denn so etwas möglich sei in einem Land wie Österreich. Wenn aber von Rechtsextremismus die Rede ist, dann darf dieses Phänomen nicht auf sichtbare Gewalttätigkeit reduziert werden. Gewalttätige Ausschreitungen – wie z.B. verstärkt in den Neuen Bundesländern – sind eine Variante des Rechtsextremismus. Diese ist aber nicht singulär zu sehen als gesamter Rechtsextremismus schlechthin, sondern als die lediglich manifeste 10 und ausgeprägte Form des Rechtsextremismus. Jede Frage nach der Entstehung dieser Gewalt, nach der Entstehung und teilweisen Etablierung des manifesten Rechtsextremismus muss die Gesellschaft als Gesamtheit in ihre Betrachtungen mit einbeziehen: Rechtsextremem Denken „wird man nur gerecht, wenn es nicht als marginalisierte Außenseiterposition, sondern im Kontext zum gegenwärtigen ‚Zeitgeist‘ gesehen wird. Gerade an den Extrempositionen lassen sich Strukturen erkennen, die den alltäglichen Diskurs der Mitte bestimmen“, schrieb Kurt Lenk 1994. Wenn die Normalität der Mitte, die Selbstverständlichkeiten in unserer Gesellschaft nicht auf ihre diesbezügliche Problematik untersucht und hinterfragt werden, so kann ein manifester Rechtsextremismus nicht grundlegend bekämpft werden. Dann bleiben auch spontane Entrüstungen und Verwunderungen, wie so etwas denn möglich sei, folgenlos. Der Verweis darauf, dass die manifeste rechtsextreme Gewalt in Österreich im Vergleich zu Deutschland doch deutlich geringer ist, darf nicht zum trügerischen Schluss verleiten, dass in Österreich das Phänomen Rechtsextremismus nicht existiere. Beiträge von: Univ.Doz.Mag.Dr. Reinhold Gärtner, Politologe, Sekretär der Gesellschaft für politische Aufklärung, Innsbruck Dr. Nina Nagler, Juristiz, Wien Univ.Ass.DDr. Günther Pallaver, Politologe, Institut für Politikwissenschaft, Universität Innsbruck Heribert Schiedel, Mitarbeiter im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes EUMC: RAXEN UND RAREN Eines der Ziele des EUMC (European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia) ist die Etablierung von RAXEN, einem Netzwerk gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. RAXEN (RAacism and XENophobia) soll verläßliche Daten zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sammeln, dies mittels nationaler Knotenpunkte bzw. Koordinationsstellen, die diese Informationen auswerten. Die nationalen Daten und Statistiken werden als Ausgangspunkt für entsprechende Forderungen und Forschungsgrundlagen zu den genannten Themen dienen. Das Material wird anschließend durch die EUMCDatabase für die EU-Mitgliedsstaaten, die Kommission, das Europäische Parlament und andere Europäische und internationale Institutionen zugänglich sein. In einer ersten Phase werden die 15 nationalen Kontaktstellen installiert, anschließend daran wird es – in einer zweiten Phase – darum gehen, den status quo festzuhalten, d.h. was wird wo mit den Begriffen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit assoziiert. Parallel dazu erfolgt die Installierung von RAREN (RApid Response and Evaluation Network); RAREN soll Experten und Forscher zu Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Interkulturellen Themen vernetzen, die Mitglieder von RAREN können dann kurzfristig auf Anliegend des EUMC reagieren. RAREN hat drei Hauptaufgaben: • Expertisen, Informationen und Daten zu Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zur Verfügung zu stellen; • Auf unmittelbare und spezifische Anfragen und Anliegen der Institutionen der EU oder der Mitgliedsstaaten zu regieren; • den schriftlichen output des EUMC zu evaluieren und zu verbessern. Der erste dieser drei Punkte soll nach einer Anfangsphase (bis Mitte 2001) von RAXEN übernommen werden. Das Fernziel des EUMC ist, einen Experten aus jedem Land im RARE-Network zu haben; zusätzlich dazu fünf weitere Experten, je einen aus • den Beitrittskandidatenländern Rezensionen Buchhinweise Rudi Christoforetti: Rieche, es ist die deutsche Faust. Ein Südtiroler „Optantenjunge“ erlebt die NS-Zeit in Wels, Wien-Bozen 1999, Folio Verlag, 184 S. Lire 35.000 Lire Günther Pallaver • den Mittelmeerländern (Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Malta, Marokko, Palästina, Syrien, Tunesien, Türkei und Zypern) • den Entwicklungsländern • USA/Kanada • Japan/Ferner Osten. Das Arbeitsprogramm für 2000 sieht als einen Schwerpunkt die Intensivierung und den Ausbau von RAXEN vor: den Ausbau des Netzwerks; Round Tables; die Anfänge eines Dokumentationsarchivs zu Rassismus in Europa und den Jahresbericht. Daneben werden spezielle Projekte in Angriff genommen: die Weiterentwicklung der Charter der politischen Parteien für ein nichtrassistisches Europa; im Sozialbereich u.a. ein Projekt zur sozioökonomischen Situation ethnischer Minderheiten; der Bereich Medien und Bildung; Kultur, Sport und Religion und schließlich die Kooperation mit EU Institutionen und internationalen Organisationen. Weitere Informationen: EUMC Rahlgasse 3 1060 Wien Tel.: +43-1-58030-0 e-mail: [email protected] Homepage: http://www.eumc.at 11 1939 schlossen Hitler und Mussolini ein Abkommen zur Umsiedlung der Südtiroler ab. 85% der Südtiroler optierten aus unterschiedlichen Gründen (Entheimatung durch faschistische Entnationalisierungspolitik, Sympathien für Hitlerdeutschland usw.) für die Auswanderung ins Deutsche Reich, nur ein geringer Teil lehnte die sogenannte „Option“ ab. Eine dieser Optantenfamilien waren auch die Christoforettis. Rudi, drittes von 6 Kindern und zum Zeitpunkt der Option gerade 10 Jahre jung, hat jetzt in seinen Erinnerungen gekramt und eine Autobiographie vorgelegt, die er mit einem damaligen Propagandaspruch aus dem Munde seiner Schwester versehen hat: „Rieche, es ist die deutsche Faust“. Christoforetti beschreibt die Zeit des Faschismus und seine „Entheimatung“ durch die Italienisierung Südtirols, den Entschluss der Familie auszuwandern, die verschiedenen Etappen bis zur Ankunft in Wels, und schließlich den Kriegsalltag bis zu seiner Rückkehr nach Südtirol 1949. Nachkriegsgesellschaft Südtirols eingeht. Ruth Wodak/Teun A,. van Dijk (eds) (2000): Racism at the Top Parliamentary Discourses on Ethnic Issues in Six European States, Drava, Klagenfurt-Celovec, ATS 482,Reinhold Gärtner Zum Hitler-Regime stehen die Christoforettis in einem Spannungsverhältnis zwischen Skepsis und Attraktion. Die Skepsis rührte von einem starken katholischen Hintergrund der Familie her. Hitler stand nicht gerade hoch im Kurs. Der Feindsender wurde schon lange vor 1945 abgehört. Die ständigen Widersprüche zwischen der Ankündigungspolitik des Regimes und der Realität fielen selbst einem jungen Burschen wie Christoforetti auf. Aber es gab auch die Attraktion. Endlich konnte man die deutsche Sprache verwenden und die deutsche Schule besuchen, auch wenn niemand nach den vermittelten Inhalten fragte. Stolz wurden auf den Landkarten die Siege der deutschen Wehrmacht verfolgt. Am augenscheinlichsten kommt diese Bewunderung für das Deutsche Reich dort zum Ausdruck, wo die Familie Christoforetti im Alltag einen Modernisierungsschub erlebte: Radio, elektrisches Bügeleisen, Kino, Bad: es waren Gegenstände und Einrichtungen, von denen man in der alten Heimat nur hatte träumen können. So spielt sich das Leben der Optantenfamilie Christoforetti ab zwischen Anpassung aus Vorsicht und Angst, und Skepsis bis Ablehnung. Ablehung besonders dann, wenn es galt, Gefahren von den Familienmitgliedern abzuwehren. Die Christoforettis waren weder Widerständler noch blinde Jubler. Sie blieben auf Distanz. Mit dem Herzen in ihrer Heimat, mit dem Kopf in Wels. So lebten sie über Jahre hinweg eine doppelte Identität, wie so viele andere Optanten. Das Vorwort zum Buch hat Günther Pallaver verfasst, in dem er auf die Auswirkungen der Option auf die Ruth Wodak und ihr Amsterdamer Kollege Teun A. van Dijk haben – unterstützt von sieben weiteren Wissenschafter/innen – eine umfassende Studie zur Frage vorgelegt, inwieweit Spitzenpolitiker/innen eine Rolle bei der Entstehung bzw. Manifestierung von Rassismus spielen und inwieweit offene oder versteckte Formen von Rassismus im politischen Gebrauch verwendet werden. „Racism at the Top“ ist ein weiterer Band in der Reihe der Ergebnisse des umfassenden Forschungsschwerpunkts „Fremdenfeindlichkeit“ des Wissenschaftsministeriums. Abgeordnete als wichtige Teile politischer Eliten werden oft als „Stimme des Volkes“ wahrgenommen, als Personen, die die Themen der Bevölkerung – deren Anliegen, Ängste, Hoffnungen – artikulieren und vertreten; umgekehrt wirken ihre Haltungen und Einstellungen 12 wieder auf die Bevölkerung zurück; dadurch werden Einstellungen verstärkt oder aber abgeschwächt. Das Thema „immigration“ ist – so die Autor/innen – in europäischen Parlamenten weitverbreitet, wenige andere Themen werden ähnlich emotional diskutiert wie „Ausländer“ und „Flüchtlinge“. Flüchtlinge werden vor allem unter Kostenargumenten gesehen, fast nie als Chance für die betreffenden Länder. Sehr oft werden sie in Verbindung gebracht mit Illegalität und Kriminalität: „In ihren Parlamentsreden präsentieren sich Politiker/innen einerseits tolerant und verständnisvoll, häufig aber ist ihren Reden mehr oder weniger deutlich zu entnehmen, dass für sie Flüchtlinge in Europa nicht erwünscht sind. Dasselbe gilt für Debatten über bereits im Land lebende Minderheiten. Außer einiger weniger bemerkenswerter Stimmen bestätigt und reproduziert der Diskurs der politischen Eliten weitverbreitete Anti-Ausländer Haltungen in der Europäischen Union. Die Analysen dieses Bandes zeigen detailliert auf wie führende Politiker/innen in dieser Hinsicht kein gutes Beispiel für humanitäres leadership zeigen.“ Untersucht wurden für die vorliegenden Publikation Österreich, Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Italien und Spanien (1996-1997) – dies vor allem auch deshalb, weil es in all diesen Ländern zwar zunehmend Übereinstimmung der Einwanderungs- und Asylpolitik und der Diskurse darüber gibt, dies aber unter doch deutlich unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Die Unterlagen wurden – nach der Kritischen Diskursanalyse – quantitativ und qualitativ ausgewertet; es ging dabei nicht um Politiker/innen der extremen Rechten, sondern und Spitzenpolitiker/innen der jeweils großen Parteien. Obwohl die westlichen Demokratien Toleranz und Akzeptanz auf ihre Fahnen geschrieben haben, gebrauchen vor allem Politiker/ innen der Rechten und der extremen Rechten Topoi von Bedrohung, Kriminalität und Arbeitsplatzverlust um eine liberale Immigrationspolitik zu verhindern. In allen Ländern ist die diesbezügliche Diskussion zwischen linken und rechten Parteien sehr polarisiert. Für die Rechte werden nicht Flüchtlinge zu Opfern, sondern die einheimische Bevölkerung, die plötzlich zu sehr zur Kasse gebeten und ausgebeutet wird und deren jobs in Gefahr sind. Viele Regierungsparteien in den untersuchten Ländern beschreiben sich zwar als tolerant, gleichzeitig werden manchmal die „anderen“, die Immigranten abgewertet. In allen Ländern werden zusätzlich Fremde unterteilt: einerseits die „guten“, weniger bedrohlichen, andererseits die „bösen“, bedrohlichen Fremden. Auch Zahlen und Statistiken spielen überall eine große Rolle: manchmal werden wirtschaftliche Argumente vorgebracht, manchmal Sicherheitsargumente – Stichwort „Ausländerkriminalität“ – sehr häufig werden negative Einzelbeispiele verallgemeinert zur Diffamierung ganzer Gruppen. Durch die jeweiligen Oppositionsparteien werden oft „Solidaritätsdiskurse“ initiiert – schwachen und armen Menschen muss geholfen werden. Parallel dazu vertritt die Linke häufig einen Diskurs positiver Diversität: Europäische Länder brauchen Vielfalt und Multikulturalismus statt Monokulturalismus. Die Rechte präsentiert als Gegenkonstrukt häufig das Bild der Ausländer als „non-humans“, durch diese Entmenschlichung werden sie ihrer wichtigsten Rechte beraubt. Neben den Gemeinsamkeiten gab es auch zahlreiche Unterschiede: In Frankreich wird die Diskussion von einer generellen politischen Krise beeinflusst – dem Niedergang der Nationalstaaten und dem Bedürfnis , die eigene Identität zu bewahren. Migrant/innen werden – vor allem von den Rechtsparteien – als Bedrohung für die französische Kultur und den französischen Staat gesehen; anders als in Österreich ist aber in Frankreich eine deutliche Zunahme antirassistischer Initiativen bemerkbar. Obwohl auch in Italien Immigration und illegale Einwanderung eine Rolle spielen, werden diese Themen nicht auf Ethnizität, sondern auf Armut und soziale Missstände zurückgeführt. Kulturelle Differenzen spielen praktisch keine Rolle. Wie in Italien spielt auch in Spanien die Tradition als Emigrationsland eine Rolle. Hier wurde – im Vergleich zu den anderen Ländern – weit seltener über Immigration diskutiert, ebenso waren klar rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen geringer als in Frankreich oder Österreich – was u.a. auf die Absenz rechtsextremer Parteien im spanischen Parlament zurückzuführen ist. In den Niederlanden und in Großbritannien ist Asyl das Hauptthema. Geprägt war dieser Diskurs in den Niederlanden von einer zwar stark anti-rassistischen Norm, allerdings mit versteckten sprachlichen Rassismen. In Österreich schließlich wurden zwei Besonderheiten festgestellt: Zum einen gab die FPLÖ Themen vor und Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wurden kaum tabuisiert. Zum zweiten gibt es in Österreich eine nirgendwo anders in dieser Form anzutreffende Verknüpfung von Beschäftigungsfragen mit Immigration – und das trotz der vergleichsweise guten bis sehr gut en Wirtschaftslage in Österreich. In Österreich werden Migration und Beschäftigung vermischt, um Immigrant/innen zu problematisieren, zu stigmatisieren und dadurch auszugrenzen. Durch dieser Studie und andere diskursanalytische Studien von vorurteilshaften Äußerungen werden die Schicksale von Flüchtlingen nicht geändert werden. Es besteht aber die Hoffnung, dass „kritische Studien das Bewusstsein von Eliten beeinflussen und damit Veränderungen möglich machen“, so die Autor/ innen abschließend. 13 Heinz P. Wassermann (2000): „Zuviel Vergangenheit tut nicht gut!” Nationalsozialismus im Spiegel der Tagespresse der Zweiten Republik, StudienVerlag, Innsbruck, 582 Seiten. ISBN 3-7065-1421-4, ATS 698,-/DM 96,-/CHF 87,Reinhold Gärtner Wassermann analysiert auf knapp 600 Seiten mehr als fünf Jahrzehnte massenmedial betriebene Vergangenheitsdiskussion in Österreich. Anhand von sieben Tageszeitungen wird untersucht, wie die Jahre 19381945 im veröffentlichten Geschichtsbewusstsein reflektiert und kommuniziert wurden. Für seine Analyse hat Wassermann Kurier, Salzburger Nachrichten, Kleine Zeitung, Die Presse, Neue Kronen Zeitung, Arbeiter Zeitung und Südost Tagespost herangezogen und konkrete Themen anhand von drei Ansätzen untersucht: Zum einen personenzentriert-punktuelle Ereignisse, konkret den EichmannProzess; Kreisky I, Kreisky-PeterWiesenthal und Friedrich Peter 1983; Frischenschlager-Reder; Waldheim und abschließend zu diesem Teil die „ideologische Missge- burt“, „ordentliche Beschäftigungspolitik“ und „liebe Freunde“ von der Waffen SS. Zum zweiten ereigniszentriertpunktuelle Themen wie „Die Juden in Österreich“, „Holocaust“, Bundespräsidentschaftswahl 1980, „Denkmal gegen Krieg und Faschismus“ und „Heldenplatz“ und schließlich datenzentriert den „Anschluss“, die „Reichskristallnacht“ sowie Kriegsbeginn, Kriegsende und Staatsvertrag. Als Vorgabe für seine Analyse zitiert Wassermann Maximilian Gottschlich (1987): „Nein, hierzulande wird die Vergangenheit nicht beweint. Was die Medien zu runden Jahrestagen produzieren, hinterlässt bestenfalls Sentimentalität bei denen, die das Geschehen der Vergangenheit als Täter, Mittäter oder schweigende Zuseher mitgetragen haben. Hierzulande ist die Vergangenheit noch nie Quelle der kollektiven Reue gewesen. Sie dient vielmehr als nie versiegende Quelle des nationalen Selbstmitleids.“ (542). Berücksichtigt man den personenzentrierten Ansatz, so ist bis Waldheim der Verweigerungsdiskurs nur einmal durchbrochen worden, dies bei der Kommentierung der Avancen Friedrich Peters auf das Amt des 3. Nationalratspräsidenten. Der diesbezügliche Diskurs wurde „zumeist auf einer – politisch verorteten – Gegenwartsanalyse unter Aussparung der Vergangenheit abgeführt.“ (542). Die Affäre Frischenschlager-Reder kann als deutliche Zäsur gesehen werden. Salzburger Nachrichten, Kurier, Kleine Zeitung und Arbeiter Zeitung stellten hier auch die Frage nach der kollektiven Vergangenheit, Die Presse, Südost Tagespost und Neue Kronen Zeitung verblieben in der Verweigerungshaltung: „Sofern es den diesbezüglichen medialen Diskurs betrifft, ist somit für die hier untersuchte Medienlandschaft eine Spaltung zu konstatieren: Auf der einen Seite Tageszeitungen, die ob gewollt oder ungewollt ... – „sich der Vergangenheitsdiskussion – „stellten“, und auf der anderen, die diesen Diskurs – wenngleich sie ihn mitführten – ablehnten, wobei hierbei die NKZ dies nicht nur am konsequentesten praktizierte, sondern sich am nachhaltigsten der NSApologie verschrieb.“ (543). Diese Zweiteilung war allerdings nicht so bruchlos und eindeutig, wie dies auf den ersten Blick erscheinen könnte. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch, wenn der ereigniszentrierte Ansatz überprüft wird. Bei den historischen Längsschnitten kann festgehalten werden, dass hier quantitative Ausmaß für sich spricht; mit Abstand am meisten berichtet wurde über Anschluss, gefolgt von Kriegsende und Staatsvertrag. Kriegsbeginn und „Reichskristallnacht“ erfuhren wesentlich weniger mediale Aufmerksamkeit. Wassermann abschließend: „Der mediale Diskurs hinterlässt ganz sicher keine Sentimentalitäten, sondern bei Tätern. Mittätern oder schweigenden Zusehern vielmehr das Bewusstsein, zumindest einmal Opfer gewesen zu sein, und sei es im Jahrzehnt zwischen 1945 und 1955.“ P.b.b. Verlagspostamt 6020 Innsbruck Zulassungsnummer 23465I88U Die GFPA im Internet http://gfpa.uibk.ac.at/ Bureau de poste A-6020 Innsbruck (Autriche) Taxe percue IMPRIME A TAXE REDIUTE Medieninhaber: Gesellschaft für politische Aufklärung, 6020 Innsbruck, Universitätsstraße 15, Tel.: 0512/5077057. Satz: Palli & Palli OEG, 6020 Innsbruck, Druck: Druckerei Augustin, 6020 Innsbruck 14