Vitamine im Alter - Rosenfluh Publikationen AG

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Er nähr ung im Alter
Vitamine im Alter
Ausgewählte Aspekte für die tägliche Praxis
Vitamine sind essenzielle Nährstoffe,
die mit der Nahrung mehr oder weniger regelmässig zugeführt werden
müssen (1). Im vorliegenden Text
werden einige relevante physiologische Veränderungen im Vitaminstoffwechsel des älteren Menschen zusammengefasst und für den Praxisalltag
kritisch diskutiert. Dabei beschränken
sich die Aussagen lediglich auf den
normalen Alterungsprozess.
Paolo M. Suter, Sandra Brunner
Vitamine im Wandel der Zeit
Die Geschichte der therapeutischen
Verwendung der Vitamine lässt sich in
fünf (3) respektive sechs Phasen unterteilen: Die erste Phase begann in der
Zeit um 1500 v. Chr. und dauerte bis
etwa 1900; empirische Erfahrungen
zeigten, dass der Konsum bestimmter
Nahrungsmittel bestimmte Krankheitsbilder und Symptome verhüten kann
(z.B. wurde im alten Ägypten Leber
zur Behandlung der Nachtblindheit
verwendet). In der deutlich kürzeren
zweiten Phase (ca. 1880–1910) wurde
der Zusammenhang zwischen dem
Nichtkonsum bestimmter Nahrungsmittel und (Mangel-)Erkrankungen
evidenzbasiert untermauert. Während
der dritten Phase von etwa 1900 bis
1950 wurden die einzelnen Vitamine
entdeckt, isoliert und synthetisiert. Die
vierte Phase begann 1933 und brachte
die Kommerzialisierung synthetisierter Vitamine für die Prävention und
Therapie von Vitaminmangel-Erkrankungen. Die fünfte Phase wird durch
einen Paradigmawechsel gekennzeichnet: Die Vitamine werden jetzt nicht
mehr für die Behandlung von Vitaminmangel-Situationen eingesetzt, son-
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dern werden in meist pharmakologischer Dosierung zur Prävention verschiedenster Erkrankungen (u.a. auch
der chronischen Erkrankungen des
Alters) erforscht und propagiert.
So werden heute – oft allerdings
ohne gute Evidenz – verschiedenste
Vitamine und andere Nährstoffe zur
Kontrolle chronischer Erkrankungen
oder sogar zur Rejuvenation empfohlen (4), wobei zur Einnahme pharmakologischer Vitamindosen geraten
wird. Hierbei kann allerdings nicht
mehr von Ernährung im engeren
Sinne gesprochen werden, sondern
vielmehr von einer Pharmakotherapie.
Es ist daher naheliegend, dass der Geschichte der Vitamine schon in Kürze
eine sechste Phase hinzugefügt werden
muss: die Phase der Vitamintoxizität
und -interaktionen. Neuere Studien
zeigen, dass verschiedene Nährstoffe,
die in Supplementen oder in fortifizierten Nahrungsmitteln in höheren
Mengen eingenommen werden, ungünstige Effekte haben können.
Obwohl nahezu 50 Prozent der Bevölkerung sporadisch bis regelmässig
Vitaminsupplemente und andere
Nährstoffsupplemente konsumiert, ist
es auch heute immer noch möglich,
einen adäquaten Ernährungsstatus
allein durch die Zufuhr natürlicher
Nahrungsmittel aufrechtzuerhalten.
Letzteres ist selbstverständlich aufwändiger, was Einkauf, Vorbereitung und
Kochen der Mahlzeiten, aber auch das
Essen betrifft. Es ist viel einfacher, eine
Vitamintablette oder allenfalls auch
«funktionelle Nahrungsmittel» zu konsumieren. Entsprechend zahlreich
sind die Fehlinformationen hinsichtlich des Nährstoffbedarfs für den Alterungsprozess respektive im Alter. In
der Medizin wird immer wieder die Bedeutung der evidenzbasierten Therapie unterstrichen. Die gleichen Kriterien sollten selbstverständlich auch für
die Ernährungsmedizin gelten.
Für die meisten Vitamine zeigt sich
eine direkte Beziehung zwischen Zufuhr und Versorgungslage (1). Bei den
Vitaminen A, D sowie Vitamin B12 können jedoch altersspezifische Veränderungen eine wichtige Rolle spielen. Im
Folgenden sollen die physiologischen
respektive pathophysiologischen Veränderungen während des Alterungs-
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prozesses im (Vitamin-)Stoffwechsel
dieser drei Vitamine kurz diskutiert
werden.
Vitamin A
Die aktuellen Zufuhrempfehlungen
für Vitamin A betragen für Erwachsene (unabhängig vom Alter) 1000 µg
Retinoläquivalente für Männer respektive 800 µg Retinoläquivalente für
Frauen (5). Aufgrund der verschiedenen Nahrungsquellen von Vitamin A,
also vorgebildetes Vitamin A aus tierischen Nahrungsmitteln, wie Leber,
oder Vitamin A in Form von Provitamin A (Karotinoiden), besteht im
Vergleich zu den meisten anderen Vitaminen ein Risiko, eher zu viel (präformiertes) Vitamin A einzunehmen.
Aufgrund des letztgenannten Sachverhaltes sowie den unten erörterten
Aspekten erscheinen die Vitamin-AZufuhrempfehlungen für ältere Menschen wahrscheinlich eher zu hoch.
In verschiedenen Studien zeigte
sich, dass auch bei einer unter dem Bedarf liegenden Vitamin-A-Zufuhr (präformiert und/oder als Provitamin A)
praktisch alle älteren Menschen normale Plasma-Vitamin-A-Spiegel aufrechterhalten können (6). Im Einklang mit diesen Beobachtungen
zeigte sich auch in den NHANES-Studien eine Tendenz zu höheren Vitamin-A-Spiegeln im Alter. Vitamin A
scheint mit zunehmendem Alter besser
resorbiert zu werden (7), auch die Vitamin-A-Speicher in der Leber bleiben
im höheren Alter erhalten. Eine erhöhte Konzentration an Retinylestern
im Plasma ist ein biochemischer Hinweis auf das Vorliegen einer Vitamin-AHypervitaminose (8). In verschiedenen Arbeiten zeigten ältere Menschen
eine höhere Plasmakonzentration von
Retinylestern als möglichen Hinweis
auf subklinische Vitamin-A-Toxizität,
was auf die oben erwähnten altersspezifischen Veränderungen zurückzuführen ist. Als Faustregel gilt eine längerfristige Vitamin-A-Zufuhr, die mehr
als dem Dreifachen der empfohlenen
Dosis entspricht, als wichtige Ursache
für eine Vitamin-A-Hypervitaminose
im Alter. Verschiedene Supplemente
enthalten nach wie vor hohe Dosen an
Retinol, sodass das Risiko einer subklinischen Toxizität durch Einnahme eines Vitamin-A-haltigen Supplements
deutlich erhöht ist. Dieses Risiko ist bei
alten Menschen, insbesondere bei
gleichzeitigem Vorliegen einer Leberoder Niereninsuffizienz, aber auch bei
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erhöhtem Alkoholkonsum zusätzlich
erhöht.
Die Erfassung der Vitamin-A-Versorgungslage ist kein leichtes Unterfangen,
obwohl wir die Vitamin-A-Plasmaspiegel
problemlos messen können und viele
Labors dies auch routinemässig offerieren. Der Grund hierfür liegt darin, dass
etwa 90 Prozent der Vitamin-A-Reserven
in der Leber gespeichert sind und diese
Vitamin A auch bei fehlender oder ungenügender Zufuhr freisetzt; entsprechend können die Plasmaspiegel aufrechterhalten werden, solange die
Leberreserven erhalten sind (9).
In den letzten Jahren zeigte sich,
dass eine (subklinische) Vitamin-A-Toxizität aufgrund der weiten Verbreitung von Vitamin-A-Supplementen
und fortifizierten Nahrungsmitteln bei
Erwachsenen häufiger anzutreffen ist,
als eigentlich zu erwarten wäre. So
konnte in einigen Studien (10–12) (allerdings nicht in allen [13]) nachgewiesen werden, dass zwischen dem Ausmass der Osteoporose respektive dem
Risiko einer osteoporotischen Fraktur
und der Zufuhr von präformiertem Vitamin A eine signifikante Beziehung
besteht (10). Dieser Sachverhalt gilt
nicht für Provitamin A. Effekte von hohen Vitamin-A-Dosen auf den Kalziumund Knochenstoffwechsel sind uns bestens bekannt; es wird jedoch vergessen,
dass diese subklinische Toxizität bereits bei einer chronischen Zufuhr des
Zwei- bis Dreifachen der aktuellen
Empfehlung auftreten und sich wahrscheinlich individuell sehr unterschiedlich äussern kann.
Zusammenfassend lässt sich sagen,
dass ein Vitamin-A-Mangel bei gesunden älteren Menschen in der Regel
eine Seltenheit darstellt; vielmehr wird
die Vitamin-A-Toxizität zum Problem
(14). Entsprechend sollte die Zufuhr
an Karotinoiden durch vermehrten
Konsum von Früchten und Gemüsen
auch beim alten Menschen gefördert
werden. Vitamin-A-haltige Supplemente sollten dagegen nicht täglich
eingenommen oder überhaupt gemieden werden. Der regelmässige Konsum
an Nahrungsmitteln mit hohem Vitamin-A-Gehalt (z.B. in Form von Leber) sollte minimiert oder im Alter
besser ganz unterlassen werden.
Vitamin D
Von den 13 Vitaminen wurde bis vor
kurzem das Vitamin D als «bedingt essenziell» beurteilt (1, 2), zumal dieses
Vitamin nach Sonnenexposition in der
Haut synthetisiert werden kann und
somit die exogene Zufuhr für die Beibehaltung einer normalen Versorgungslage nicht notwendig ist. In den
letzten Jahren zeigte sich jedoch, dass
die Kapazität zur Vitamin-D-Produktion durch verschiedene endogene
und exogene Faktoren moduliert wird
und dass dieses Vitamin (zumindest in
unserer geografischen Lage) keineswegs «bedingt essenziell» ist. Vitamin
D ist fettlöslich und müsste aufgrund
seiner Wirkmechanismen eigentlich
als «Hormon» klassifiziert werden.
Wir unterscheiden zwei Vitamin-DFormen mit mehrheitlich identischer
Vitaminaktivität (Vitamin D2, das
durch pflanzliche Nahrung aufgenommen wird, sowie Vitamin D3, das durch
endogene Synthese in der Haut gebildet wird beziehungsweise durch den
Konsum tierischer Nahrungsmittel in
den Organismus gelangt). Klassischerweise wird Vitamin D mit der Aufrechterhaltung des Kalziumstoffwechsels
und der Osteoporose assoziiert. In den
letzten Jahren zeigte sich jedoch, dass
dieses Vitamin nicht nur für den Kalzium- und Knochenstoffwechsel von
grösster Bedeutung ist, sondern auch
für die Aufrechterhaltung einer normalen Immunfunktion, für die Insulinsekretion sowie die Sekretion des
Schilddrüsenhormons (15). Ferner
spielt dieses Vitamin eine zentrale
Rolle in der Zelldifferenzierung und
dementsprechend in der Karzinogenese (16, 17). Die aktuellen Zufuhrempfehlungen für ältere Menschen
(über 65 Jahre) liegen bei 10 µg/Tag
(400 IE). In der Annahme, dass die
Synthese dieses Vitamins in der Haut
gewährleistet ist und keinen Altersveränderungen unterliegt, wären diese
Empfehlungen sicherlich adäquat. Allerdings muss man sich dabei immer
bewusst sein, dass die übliche
Ernährung eine sehr schlechte Vitamin-D-Quelle darstellt. Seit langem
ist bekannt, dass die Kapazität der Vitamin-D-Synthese in der Haut mit dem
Alter nachlässt, da die Konzentration
des Vorläufermoleküls 7-Dehydrocholesterol abnimmt (18). Darüber hinaus
kommt es durch unseren Lebensstil zu
einer Abnahme der Vitamin-D-Synthesekapazität, da wir den grössten Teil
unserer Zeit im Innern des Hauses verbringen. Aufgrund thermoregulatorischer Probleme vermeiden die alten
Menschen zudem eine zu lange Sonnenexposition. So zeigte auch die Euronut Seneca Population in Bellinzona
wider Erwarten tiefere Vitamin-D-Spie-
29
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gel als zum Beispiel die Populationen
in Yverdon oder Burgdorf.
Aufgrund der ungenügenden Synthese liegt es nahe, die Zufuhr dieses
Vitamins mit der Ernährung zu fördern. Leider ist der Vitamin-D-Gehalt
von natürlichen (d.h. nicht fortifizierten) Lebensmitteln relativ gering, ausser in Tiefseefischen oder in Lebertran
und Krabben oder Makrelen. Diese
Nahrungsmittel werden jedoch in unseren Breitengraden nicht täglich konsumiert; dementsprechend drängt sich
die Frage auf, ob ältere Menschen generell oder zumindest während der
Wintermonate Vitamin-D-Supplemente einnehmen sollten. Diese Fragestellung wird zurzeit noch kontrovers
diskutiert. Ohne auf Einzelheiten eingehen zu wollen, liegt heute eine vielseitige und gute Evidenz vor, die
darauf hindeutet, dass eine Vitamin-DSupplementation im Alter (in Kombination mit Kalzium) während der Wintermonate oder bei einem Teil der
Population sogar ganzjährig unumgänglich ist. Als Risikopopulation für
einen Vitamin-D-Mangel gelten alte
Menschen, Menschen mit ungenügender UV-Exposition (auch ein Grossteil
der jüngeren Menschen mit einem «Indoor-Lifestyle» oder während der Wintermonate) sowie dunkelhäutige Personen (dunkelhäutige Zuwanderer aus
Afrika/Asien), die in unseren Breitengraden wohnen, um nur einige Risikogruppen zu erwähnen.
Aufgrund der weiten Verbreitung
dieser Mangelsituation sollte während
der Sommermonate eine entsprechend grossflächige suberythemale
Sonnenexpositon – wenn immer möglich – gefördert werden. Letzteres gilt
auch für ältere Menschen, die aus verschiedenen Gründen weniger oft an
die Sonne gehen.
Auch in der Schweiz ist die Möglichkeit, Vitamin D nach UV-Exposition zu
synthetisieren, während mehrerer
Wintermonate stark eingeschränkt.
Zwischen November und Februar
reicht die UV-Strahlung in unseren
Breitengraden – auch bei Sonnenexposition – nicht, um eine relevante
Synthese des Vitamins zu bewerkstelligen. Dementsprechend sollten ältere
Menschen (und wahrscheinlich auch
ein Teil der jüngeren Menschen) im
Winter Vitamin-D-Supplemente erhalten. Die diesbezüglich «ideale» Dosierung wird noch kontrovers diskutiert,
sollte aber wahrscheinlich deutlich
höher sein als die aktuellen Zufuhrempfehlungen, die bei > 400 IE/Tag
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liegen. Verschiedene Studien zeigen,
dass bei einer Supplementierung von
< 2000 IE (oder sogar höher) bei gesunden Individuen keine Vitamin-DToxizität zu erwarten ist. (19). Bei älteren Menschen kann auch die hoch
dosierte orale Vitamin-D-Therapie
durchgeführt werden (20). In einer
neueren australischen Studie wurde
alle drei Monate 100 000 IE Vitamin D3
oral verabreicht, was bei den meisten
älteren Patienten zu einer Normalisierung der biochemischen Vitamin-DVersorgungslage führte. Auch wenn
noch kein Konsens über die ideale Dosis zur Supplementierung von Vitamin
D besteht, erscheint eine tägliche Einnahme von mindestens 400 IE/Tag als
sinnvoll und sicher, auch wenn diese
Dosis wahrscheinlich zu niedrig ist. Es
muss an dieser Stelle nicht erwähnt
werden, dass eine Supplementierung
mit Vitamin D – je nach Gesamtkonstellation – ärztlich kontrolliert und
überwacht werden sollte.
Vitamin B 12
Vitamin B12 ist der Sammelbegriff für
verschiedene sogenannte Corrinoide
mit Vitaminfunktion (1). Dieses Vitamin gehört zum B-Komplex und spielt
eine zentrale Rolle beim Zellwachstum,
bei der Zellreplikation und dementsprechend auch bei der Hämatopoese.
Die aktuellen Zufuhrempfehlungen
für Erwachsene, unabhängig vom Alter, betragen 3 µg/Tag. Nahrungsmittel tierischen Ursprungs sind die wichtigsten Quellen dieses Vitamins.
Oftmals werden vergorene Lebensmittel mit «traditioneller Produktionsart»
(z.B. Sauerkraut, Miso, Tempeh und
andere) als gute Vitamin-B12-Quellen
aufgeführt. Dies trifft leider nur bedingt zu, denn zum einen ist der Gehalt an bioverfügbarem Vitamin B12 in
diesen Produkten sehr variabel, und
zum anderen ist der hohe Gehalt oft
durch Vitamin-B12-Analoga bedingt,
die für den Menschen ohne Bedeutung sind. Vitamin B12 gilt sowohl hinsichtlich seiner chemischen Struktur
als auch des Stoffwechsels als eines der
komplexesten Vitamine. In der Nahrung sind praktisch alle Vitamine proteingebunden; entsprechend muss vor
Aufnahme des Vitamins die Proteinbindung im Darmlumen aufgespalten
werden. Hierfür sind verschiedene
Faktoren von Bedeutung, unter anderem auch die Magensäure. Mit zunehmendem Alter nimmt jedoch die
Magensäureproduktion ab; weit über
50 Prozent der älteren Menschen weisen eine sogenannte atrophische Gastritis mit Hypoazidität auf (21). Die
ungenügende Menge an Magensäure
hat diverse Effekte. Unter anderem
führt sie auch zu einer Zunahme des
bakteriellen Überwuchses im oberen
Magen-Darm-Trakt. Diese Bakterien
binden Vitamin B12 und reduzieren dadurch seine Bioverfügbarkeit (22).
Diese Mechanismen sind mitunter
eine wichtige Ursache für die Abnahme der Plasmakonzentration beziehungsweise der Zunahme eines Vitamin-B12-Mangels im Alter (22). Die
oben kurz skizzierten pathophysiologischen Veränderungen im Magenlumen und die daraus resultierende Malabsorption von Vitamin B12 kann auch
durch eine vermehrte Zufuhr tierischer Nahrungsmittel kaum überwunden werden. Dagegen kann die Zufuhr
von kristallinem Vitamin B12, so wie es
in fortifizierten Nahrungsmitteln und
Supplementen vorliegt, den erwähnten Veränderungen entgegenwirken.
Entsprechend sind orale Vitamin-B12Supplemente im Alter wahrscheinlich
unabdingbar. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass das
Vitamin nicht nur parenteral, sondern
auch oral verabreicht werden kann.
Der ideale Gehalt eines oralen Supplements ist höher als die aktuelle Einnahmeempfehlung und liegt um 500
µg/Tag (23). Eine orale Therapie
sollte aber nur vorgenommen werden,
wenn die Einnahmedisziplin gewährleistet ist, was bei älteren Menschen
nicht immer der Fall ist.
Aufgrund der grossen Bedeutung
von Vitamin B12 im Methylgruppentransfer ist die Indikationsstellung für
eine Supplementierung bei Risikokonstellation (Alter, tiefe respektive
tiefnormale Vitamin-B12-Spiegel) grosszügig zu stellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine lebenslange Therapie notwendig ist. Ein weiterer
wichtiger Grund für die grosszügige
Verabreichung von Vitamin-B12-Supplementen ist die Schwierigkeit der korrekten Erfassung der Versorgungslage
(24). Eine Kontrolle der Vitamin-B12Spiegel ist sinnvoll, obwohl wir auch
hier zu bedenken haben, dass die Leberspeicher relativ lange aufrechterhalten werden können und normale
Resultate mit entsprechender Vorsicht
interpretiert werden müssen. Normale
Vitamin-B12-Spiegel bei einem älteren
Menschen müssen nach einem bis
spätestens zwei Jahren nachkontrolliert werden, zumal die oben beschrie-
31
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benen Phänomene der Malabsorption
dieses Vitamins mit zunehmendem Alter häufiger auftreten respektive ausgeprägter werden.
Andere Vitamine
Ein Grossteil (je nach Altersgruppe
bis zu 50%) der Population konsumiert
regelmässig oder intermittierend irgendwelche Vitaminsupplemente. Entsprechend schwierig ist es, Aussagen
über die Bedeutung der Ernährung respektive bestimmter Nahrungsmittel
zur Sicherstellung einer normalen Vitaminversorgung zu machen. Auch im
Alter sollte die Vitaminversorgung
durch Zufuhr normaler Nahrungsmittel sichergestellt werden, was in der Regel – abgesehen von den drei oben diskutierten Vitaminen – durchaus
möglich ist.
Im Rahmen dieser Arbeit soll darauf
hingewiesen werden, dass zum Beispiel
das in den letzten Jahren viel diskutierte
Homozystein durch viele verschiedene
nicht ernährungsbedingte Faktoren determiniert wird. Hierzu gehören beispielsweise Geschlecht, Alter, Rasse
beziehungsweise Ethnizität, die Nierenfunktion (Serumkreatinin), der Körpermassindex, der Alkoholkonsum (im Besonderen hochprozentige Alkoholika)
sowie Rauchen oder auch die körperliche Aktivität – um nur einige zu nennen
(25). Auch wenn die Folsäure und andere Vitamine wichtige Determinanten
der Plasma-Homozystein-Konzentration
darstellen, muss der Stellenwert der
Ernährung in Anbetracht der vielen Einflussgrössen relativiert und nicht allzu
einseitig angegangen werden.
Bei unabhängig lebenden älteren
Menschen, insbesondere den sehr alten Personen (very old), kann sogar
eine adäquate Zufuhr für die meisten
Nährstoffe lediglich durch normale
Nahrungsmittel sichergestellt werden
(26). Letzteres wird leider zunehmend
vergessen! Gerade im Alter werden
nicht nur Mikronährstoffe gebraucht,
sondern auch Proteine und Energie.
Eine adäquate Energie- und Proteinzufuhr ist in der Regel auch mit einer
genügenden Zufuhr von Mikronährstoffen verbunden. Diese können auch
erst in Kombination mit anderen
Nahrungskomponenten ihre optimale
Wirkung entfalten.
Vitamine und Krankheitsrisiko
Im aktuellen Zusammenhang drängt
sich die Frage auf, ob Supplemente ein-
32
zelner Vitamine oder Kombinationen
von Vitaminen allein oder mit Spurenelementen für die Prävention der chronischen Erkrankungen des Alters eingesetzt
werden
sollten.
Diese
Fragestellung ist extrem wichtig, da ein
Grossteil der Population derartige Supplemente konsumiert, eine Überalterung stattfindet und somit die Prävalenz der chronischen Erkrankungen
ansteigen wird. Zudem ist diese Frage
von grosser Bedeutung, da sich viele
Supplementkonsumenten in einer
falschen Sicherheit wiegen und entsprechend etablierte Risikofaktoren
(wie z.B. Rauchen, körperliche Inaktivität, Übergewicht, Alkohol) ausser
Acht lassen, auch weil deren Implementierung schwieriger und aufwändiger ist als das Schlucken einiger Tabletten. Dass die Zufuhr bestimmter
Nahrungsmittel, wie Früchte und
Gemüse beispielsweise, das Risiko verschiedener chronischer Erkrankungen
modulieren kann, ist bestens bekannt
(27–29). Diese Evidenz fehlt jedoch
mehrheitlich für Supplemente.
In den letzten Jahren wurden viele
Interventionsstudien mit Nährstoffen
(meist in pharmakologischer Dosierung) zur Kontrolle verschiedener
chronischer Erkrankungen durchgeführt. Die Resultate sind jedoch durchweg nicht überzeugend, und allfällig
positive Effekte können und dürfen
nicht auf andere Populationen übertragen und angewendet werden. Die meisten Studien konnten keinen Benefit im
Sinne einer Risikomodulation von
Koronarerkrankungen, Atherosklerose
oder Krebserkrankungen durch die
Einnahme von Vitaminen oder Antioxidanzien zeigen. So wurde in mehreren methodologisch einwandfreien
Studien gezeigt, dass eine Modulation
der Plasma-Homozystein-Spiegel durch
verschiedene Vitamine keinen Effekt
auf kardiovaskuläre Endpunkte hatte,
obwohl die Homozysteinkonzentration
beeinflusst wurde (30, 31). Trotz fehlender Evidenz konsumiert ein grosser
Teil der Population diverse Supplemente. Dieses Verhalten illustriert den
Wunsch des Menschen nach Gesundheit und Langlebigkeit mit dem minimalsten Aufwand und möglichst ohne
(unangenehme) Eigenverantwortung.
Was wir von diesen Studien lernen können, ist, dass wir uns auf die altbekannten Risikofaktoren, die mehrheitlich
Lebensstilfaktoren sind (Rauchen,
Körpergewicht und körperliche Aktivität), konzentrieren müssen. Allerdings ist der Aufwand an Zeit und
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Disziplin deutlich grösser als beim
Schlucken einer Tablette.
Schlussfolger ung
Aufgrund altersspezifischer Veränderungen im Stoffwechsel ist die adäquate Zufuhr von Vitamin D und Vitamin B12 im Alter nur schwierig
möglich, sodass eine Supplementation
für diese beiden Nährstoffe wahrscheinlich (zumindest phasenweise)
unumgänglich erscheint. Grössere
Mengen Vitamin A aus Nahrung oder
Supplementen sollte im Alter aufgrund eines möglichen erhöhten Toxizitätspotenzials vermieden werden.
Für alle anderen Vitamine kann durch
die Zufuhr von normalen Nahrungsmitteln die Versorgungslage sichergestellt werden. Die Ernährung für das
Alter beginnt jedoch nicht erst ihm hohen Alter, sondern spätestens im
frühen Erwachsenenalter oder besser
bereits in der Kindheit, und sie beinhaltet eine frühzeitige und konsequente Kontrolle der verschiedenen
klassischen Risikofaktoren in Kombination mit einer bedarfsgerechten Energiezufuhr aus einer abwechslungsreichen Ernährung.
■
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Paolo Suter
Universitätsspital Zürich
Medizinische Poliklinik
8091 Zürich
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