Kapitel 8 Auszüge der probabilistischen Graphentheorie 8.1 Die Erwartungswertmethode Wir beweisen erneut die Caro-Wei Schranke; diemal jedoch mit probabilistischen Methoden. Satz 4.18 (Caro 1979, Wei 1981). Sei G ein Graph. Dann gilt X 1 . α(G) ≥ 1 + dG (v) v∈V (G) Beweis. Sei Ψ die Menge aller bijektiven Abbildungen ψ : V (G) → [n(G)]. Offen1 sichtlich gilt |Ψ| = n(G)!. Weiterhin sei mit Wahrscheinlichkeit n(G)! ein ψ ∈ Ψ gewählt. Wir definieren S(ψ) := {u : ψ(u) < ψ(v) ∀v ∈ NG (v)}. |S| kann als eine Zufallsvariable angesehen werden. Somit teilen wir |S| mit den Indikatorfunktionen 1u : Ψ → {0, 1} ( 1 falls u ∈ S(ψ) 1u (ψ) = 0 andernfalls P (für alle u ∈ V (G)) auf, d.h. |S| = u∈V (G) 1u . Wir wissen α(G) = max{|S(ψ)| : ψ ∈ Ψ} X X X ≥ E[|S|] = E 1u = E[1u ] = P [u ∈ S]. u∈V (G) u∈V (G) u∈V (G) Sei also u ∈ V (G). Es gilt P [u ∈ S] = |{ψ : ψ ∈ Ψ, u ∈ S(ψ)|} |{ψ : ψ ∈ Ψ, ψ(u) < ψ(v) ∀v ∈ NG (v)}| = . n(G)! n(G)! Wir schreiben ψ ∼ ψ 0 für zwei ψ, ψ 0 ∈ Ψ, falls ψ(w) = ψ(w0 ) für alle w ∈ / NG [u] gilt. Offensichtlich definiert ∼ eine Äquivalenzrelation mit genau n(G) · [n(G) − (dG (u) + 1)]! n(G) − (dG (u) + 1) 1 KAPITEL 8. AUSZÜGE DER PROBABILISTISCHEN GRAPHENTHEORIE 2 Äquivalenzklassen und jede solche besitzt genau (dG (u)+1)! Elemente. In jeder Äquivalenzklasse existieren aber genau dG (u)! Funktionen ψ für die ψ(u) ≤ ψ(v) für alle v ∈ vG (v) gilt. Also folgt n(G) · [n(G) − (dG (u) + 1)]! · dG (u)! 1 n(G)−(dG (u)+1) = P [u ∈ S] = n(G)! dG (u) + 1 und damit auch die gewünschte Schranke. Eine zweite Schranke, die wir mit der Erwatungswertmethode beweisen können, ist die obere Schranke für die Dominationszahl von Alon und Spencer. Satz 5.4 (Alon und Spencer 1992). Sei d eine positive natürliche Zahl und G ein Graph mit δ(G) ≥ d. Dann gilt γ(G) ≤ ln(d + 1) + 1 n(G). d+1 Beweis. Sei p : V (G) → [0, 1]. Für alle u ∈ V (G) definieren wir die Menge Su als Zufallsvariable mit P [Su = {u}]S= p(u) und P [Su = ∅] = 1 − p(u). Weiterhin sei Zu definiert durch Zu = {u}, wenn v∈NG [u] Sv = ∅, und Zu = ∅ andernfalls. Damit folgt Y Y P [Zu = {u}] = (1 − p(v)) und P [Zu = ∅] = 1 − (1 − p(v)). v∈NG [u] Da v∈NG [u] S ∪ Zu ) eine dominierende Menge ist, gilt X X [ γ(G) ≤ E E[|Su ∪ Zu |] (Su ∪ Zu ) = E |Su ∪ Zu | = u∈V (G) u∈V (G) u∈V (G) Y X X p(u) + (1 − p(v)) ≤ (E[|Su |] + E[|Zu |]) = u∈V (G) (Su u∈V (G) u∈V (G) v∈NG [u] Wir wissen, dass 1 − x ≤ e−x für alle x ∈ [0, 1]. Somit folgt für p ≡ c mit c ∈ [0, 1], dass X X γ(G) ≤ c + (1 − c)dG (u)+1 ≤ c + (1 − c)d+1 = nc + n(1 − c)d+1 v∈V (G) v∈V (G) −(d+1)·c ≤ nc + ne Sei nun f : [0, 1] → R mit f (c) = nc + ne−(d+1)·c definiert. f nimmt sein Minimum bei ln(d + 1) c? = d+1 an. Somit folgt ln(d + 1) 1 ln(d + 1) + 1 ? ? −(d+1)·c? γ(G) ≤ f (c ) = nc + ne =n + = n(G). d+1 d+1 d+1 KAPITEL 8. AUSZÜGE DER PROBABILISTISCHEN GRAPHENTHEORIE 3 Aufgabe: Man überlege sich anhand analoger Überlegungen, warum das folgende Resultat von Henning und Yeo gilt. Satz 5.13 (Henning und Yeo 2007) Sei d eine positive natürliche Zahl und G ein Graph mit δ(G) ≥ d. Dann gilt γt (G) ≤ 8.2 ln(d) + 1 n(G). d Die Ausschlussmethode In diesem Teil möchten wir den Satz von Erdős (Satz 7.10) mit Hilfe probabilistischer Methoden aber ohne den Satz von Bollobás (Satz 4.24) zeigen. Satz 7.10 (Erdős 1959). Für alle positiven natürlichen Zahlen g ≥ 4 und k ≥ 3 gibt es einen (C3 , C4 , . . . , Cg−1 )-freien Graphen G mit χ(G) ≥ k. Beweis. Sei n ≥ 0 und V = {v1 , v2 , v3 , . . . , vn } eine Knotenmenge. Wir wählen nun alle Kanten vi vj (i, j ∈ [n] mit i < j) unabhängig und gleich verteilt mit einer gegeben und fixierten Wahrscheinlichkeit p. D.h. ein Graph G mit V (G) = V hat die Wahrscheinlichkeit n pm(G) (1 − p)( 2 )−m(G) aufzutreten. Wir bezeichnen mit G die Menge aller möglichen Graphen über V , d.h. n |G| = 2( 2 ) . √ g Seien p = nn und i ∈ [g − 1]. Aus der Knotenmenge V kann man offensichtlich M (n, i) = n(n−1)···(n−i+1) mögliche Kreise C 1 , C 2 , . . . , C M (n,i) der Länge i mit 2i V (C j ) ⊆ V für alle j ∈ [M (n, i)] bilden. Sei für jeden möglichen Kreis C der Länge i die Indikatorfunktion 1C : G → {0, 1} mit ( 1 falls E(C) ⊆ E(G) 1C (G) = 0 anderenfalls definiert und mit Xi (G) die Anzahl der (nicht notwendigerweise induzierten) Kreise der Länge i in G bezeichnet. Damit gilt M (n,i) Xi (G) = X j=1 sowie M (n,i) E[Xi ] = E X j=1 1C j (G) und E[1C ] = P [E(C) ⊆ E(G)] = pi . 1C j = M (n,i) X j=1 M (n,i) E[1C j ] = X j=1 i ni pi ng p = M (n, i)p ≤ = . 2i 2i i i Also erhalten wir mit Hilfe der Markow’schen Ungleichung (hier für die 1. Abschätzung verwendet) " g−1 # Pg−1 g−1 i g−1 g−1 g−1 X X X E n 2E[Xi ] X n g n g (g − 1) i=3 Xi P Xi ≥ ≤ = ≤ ≤ = √ . n g 2 n i · n 3n 3 n 2 i=3 i=3 i=3 i=3 KAPITEL 8. AUSZÜGE DER PROBABILISTISCHEN GRAPHENTHEORIE 4 l m Sei y = p3 ln(n) + 1. Wir definieren für Y ∈ Vy die Indikatorfunktion 1Y : G → {0, 1} mit ( 1 falls Y unabhängig in G ist. 1Y (G) = . 0 anderenfalls Damit folgt y E[1Y ] = P [Y ist unabhängig in G] = (1 − p)(2) . Ist also mit Z(G) die Anzahl der unabhängigen Mengen mit Größe y in G bezeichnet, so folgt X 1Y (G) Z(G) = V Y ∈( y ) sowie mit der Markow’schen Ungleichung (hier für die 1. Abschätzung verwendet) und (1 − x) ≤ e−x für x ∈ [0, 1], dass X X y X P [Z ≥ 1] ≤ E[Z] = E 1Y = E[1Y ] = (1 − p)(2) Y ∈(Vy ) Y ∈(Vy ) Y ∈(Vy ) i h −p(y−1) y y y y n = (1 − p)(2) ≤ ny · (1 − p)(2) ≤ ny · e−p(2) = n · e 2 y #y " #y " 3 ln(n) 3 ln(n) h iy −p( p −p(d p e) ) y − 23 2 2 ≤ n·e = n·n = n·e = n− 2 3 ≤ n− 2p ln(n) = n − 32 n ln(n) √ gn =h 1 n n ln(n) √ gn i 32 Mit Grenzwertbetrachtungen erhalten wir " g−1 # X n (g − 1) √ =0 0 ≤ lim P Xi ≥ ≤ lim n→∞ n→∞ 2 3gn i=3 und − 23 0 ≤ lim P [Z ≥ 1] ≤ lim n n→∞ n→∞ n ln(n) √ gn = 0. Falls also n groß genug ist, gibt es einen Graphen G0 mit n Knoten, der höchstens n2 kleine Kreise, d.h. Kreise der Länge maximal g − 1, besitzt, und für den α(G0 ) ≤ p3 ln(n) + 1 gilt. Wir können also durch das Entfernen von höchstens n2 Knoten aus G0 einen Graphen G? erhalten, der (C3 , C4 , . . . , Cg−1 )-frei ist. Mit Beobachtung 7.2 folgt also √ g n − n2 n(G? ) n(G? ) n ? √ χ(G ) ≥ ≥ ≥ = . g 3 ? 0 α(G ) α(G ) ln(n) + 1 6 ln(n) + 2 n n p Falls n also groß ist, folgt χ(G? ) ≥ k. Bollobás verwendet im Beweis zu Satz 4.24 grundsätzlich ähnliche Methoden, benötigt aber kompliziertere analytische Methoden in seinen Grenzwertbetrachtungen.