Vorlesung: Förderung-Training-Intervention

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Vorlesung Förderung und Intervention im Bildungs- und Erziehungsbereich
Skizzierung einiger theoretischer Probleme von Förderungs- und Trainingsmaßnahmen
Kognitive Förderung und Denktraining
(Klauer)
Förderung der Lernmotivation
Gestaltung lernförderlicher Schulumwelten
Erziehung und Förderung von Migrantenkindern
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Theoretische Probleme von Lern- und Denkstrategien sowie Trainingsmaßnahmen:
(Empfohlene Literatur: H. F. Friedrich & H. Mandl (1992). Lern- und Denkstrategien – ein
aktuelles Thema. Bern: Huber.)
Vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Förder- und Trainingsmaßnahmen ist es sinnvoll,
aif einige ihnen allen gemeinsame theoretische Fragestellungen, Klassifikationen, Einordnungen
aufmerksam zu machen. Dadurch soll eine erste Orientierung bei der Einschätzung der Reichweite
und der Effektivität der jeweils vorgestellten Trainingsmaßnahmen gegeben werden.
Lern- und Denkstrategien:
Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen wie etwa die Wissensexplosion, die
abnehmende Halbwertzeit von Wissensbeständen etc. zwingen den Menschen, die Frage, was wir
wissen sollten und vor allem, wie wir dieses Wissen effektiv aufnehmen und verarbeiten müssen,
um als autonome Bürger der Informationsgesellschaft bestehen zu können, immer wieder neu zu
beantworten. Lern- und Denkstrategien sind insofern zu Schlüsselkompetenzen der Moderne zu
rechnen. Zwar wird in der Literatur begrifflich Lernen eher im Sinne von Wissenserwerb und
Denken im Sinne des Problemlösens, des Stiftens von Beziehungen zwischen den bisher
erworbenen Informationen unterschieden, jedoch schließen sich vielfach an Phasen des
Problemlösens auch Phasen des Wissenserwerbs und Lernens an, um eine angemessene Lösung zu
finden.
Lern- und Denkstrategien lassen sich nach Friedrich und Mandl in vier Typen unterscheiden:
1. Primär und Stützstrategien
2. Allgemeine und spezielle Strategien
3. Beschreibung nach ihrer Funktion für den Prozess der Informationsverarbeitung
4. Mikro- und Makrostrategien
1. Primär und Stützstrategien
Primärstrategien wirken direkt auf die zu erwerbende bzw. zu verarbeitenden Informationen ein;
Ziel ist dabei, dass diese besser verstanden, behalten, abgerufen und transferiert werden können
und dadurch eine Veränderung der kognitiven Strukturen herbeiführen.
Typische Primärstrategien des Wissenserwerbs sind etwa Strategien für das Lernen mit Texten,
das Zusammenfassen von Texten, Zusammenfasen mit Hilfe grafischer Techniken wie etwa
3
„networking“, „mindmapping“ etc., aber auch Mnemotechniken (Techniken des Behaltens und
Erinnerns).
Stützstrategien dagegen zielen eher auf die Beeinflussung von motivationalen und exekutiven
Funktionen ab, die auf den Prozess der Informationsverarbeitung indirekt einwirken, indem sie
also bspw. Motivationen in Gang setzen, diese aufrechterhalten oder diese steuern.
Beispiele hierfür sind Strategien der Selbstmotivierung, Abschirmung der Volition gegenüber
konkurrierenden Handlungstendenzen, aber auch etwa Strategien der Aufmerksamkeitssteuerung
und der Zeitplanung.
2. Allgemeine und spezielle Strategien
Diese Unterscheidung zielt auf die Frage ab, ob die Strategien bei allen Lern- und Denkaufgaben
in den verschiedensten Inhaltsgebieten zum Tragen kommen oder nur in eng umrissenen
Situationen und bei ganz spezifischen Inhalten eingesetzt werden können.
Als
situationsübergreifende
Strategien
wären
etwa
Strategien
des
Selbstmanagements
(Selbstmotivierung, Aufmerksamkeitssteuerung, Zeitplanung, metakognitive Kontrollstrategien)
zu nennen. Dagegen sind spezielle Strategien jene, die etwa nur bei Texten anzuwenden sind oder
eine spezifische Strategie beim Rechnen darstellen (z.B. Beim Addieren von ungleich großen
Zahlen die kleinere auf die größere zu addieren etc.)
Theoretisches Problem bei dieser Distinktion ist das sogenannte „Bandbreiten-GenauigkeitsDilemma“: Häufig tragen allgemeine Strategien wenig zur Lösung eines konkreten Problems bei;
Strategien, die dagegen eine große Wirksamkeit entfalten, sind ihrerseits selten auf andere
Situationen verallgemeinerbar.
3. Beschreibung der Strategien nach ihrer Funktion für den Prozess der Informationsverarbeitung
Verschiedene Autoren haben Lern- und Denkstrategien nach ihrer spezifischen Funktion im
Prozess der Informationsverarbeitung eingeteilt. Insbesondere sind diese Schematisierungen im
Bereich des Lernens mit Texten sowie der des Problemlösens erfolgt. Bspw. unterscheiden
Weinstein und Mayer (1986) folgende Klasse von Lernstrategien:
3a) Wiederholungsstrategien (rehearsal strategies): Diese bauen auf gedächtnispsychologische
Befunde, die zeigen, dass Informationen relativ schnell wieder aus dem Arbeitsgedächtnis
gelöscht werden, wenn sie nicht aktiv memoriert werden. Dagegen können aktives Wiederholen
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und Aufsagen die Chance erhöhen, dass die neue Information in das Langzeitgedächtnis
aufgenommen wird. Klassische Wiederholungsstrategie ist bspw. das innerliche Wiederholen
einer Telefonnummer, um diese während des Wählvorganges noch präsent zu haben.
Hier haben entwicklungspsychologische Längsschnittstudien sogar zeigen können, dass im
Altersverlauf
mit
zunehmendem
Einsatz
von
Wiederholungsstrategien
auch
die
Gedächtnisleistungen sich verbessern.
3b) Elaborationsstrategien:
Generell gilt es, bei neu erworbenem Wissen, diese in die bestehende kognitive Struktur des
Individuums zu integrieren. Strategien, die dabei behilflich sind, werden als Elaborationsstrategien
bezeichnet. So sind sowohl Beispiele und Analogien zu einem Lerngegenstand sowie auch die
Verbindung der neuen Informationen mit den Inhalten des bisherigen Wissensbestandes
(Vorwissen) typische Elaborationen. Elaborative Strategien fördern deshalb das Verstehen und
Behalten des neuen Wissens, weil sie die neue Information mit dem alten Bestehendem
„vernetzen“; dadurch werden im Gedächtnis verschiedene Pfade zu der zu erinnernden
Information konstruiert.
3c) Organisationsstrategien:
Hier werden komplexe Informationen zu größeren Sinneinheiten zusammengefasst und dadurch
kognitiv handhabbar gestaltet (Reduktion von Komplexität); typisches Beispiel hierfür ist etwa das
Kategorisieren verschiedener Gegenstände nach semantischen Merkmalen. Auch ein Diagramm
bspw. erfüllt genau diese Funktion, indem es Informationen übersichtlich zusammenstellt.
3d) Kontrollstrategien:
Ein effektives Lernen setzt stets auch ein Wissen über eigene Lern- und Denkleistungen und
Denkprozesse voraus, mit deren Hilfe der Lernende das eigene Denken überwacht und evaluiert;
so etwa ein Wissen darüber, bei welcher Art von Aufgaben welche Strategien die angemessensten
sind. Es ist ein Wissen über die eigenen Kognitionen; deshalb Metakognition. Hierzu zählen auch
Versuche bspw. während des Lesens kurz innezuhalten, sich zu überprüfen, ob das Gelesene
verstanden wurde; evtl. nochmal in der Passage zurück gehen und erneut lesen etc.
Metakognitives Wissen und metakognitive Strategien haben eine eminent bedeutsame Funktion
für das Lernen, Denken und Problemlösen; deshalb wird vielfach gefordert, diese stärker in
Trainingsmaßnahmen einzubeziehen.
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Jedoch gibt es auch einige Hinweise, dass metakognitive Prozesse nicht unter allen Bedingungen
positive Wirkungen auf das Lernen und Denken entfalten; dies ist insbesondere dann zu erwarten,
wenn basale kognitive Prozesse noch nicht ausreichend beherrscht werden. Denn dann können
sich metakognitive Prozesse auf die Informationsverarbeitung beeinträchtigend auswirken, weil
die zusätzliche metakognitive Aktivität zu einer Aufteilung der Aufmerksamkeit führt (Friedrich
& Mandl, 1992, S. 13).
4. Mikro- und Makrostrategien
Lern- und Denkprozesse können auf unterschiedliche Ebenen analysiert werden.
Auf der Mikroebene sind es elementare Informationsverarbeitungsprozesse mit einer kurzen
zeitlichen Erstreckung, so etwa das mentale Rotieren von dreidimensionalen Gebilden, das Ziehen
von Analogieschlüssen, das Finden von Oberbegriffen etc.
Auf der Mesoebene dagegen werden komplexere Informationsverarbeitungsprozesse betrachtet
wie etwa der Verstehensprozess beim Lesen von längeren Texten oder das Lösen von
mathematischen Problemen usw.
Auf einer Makroebene dagegen werden Prozesse langer zeitlicher Erstreckung untersucht, so
etwa das Arbeitsverhalten im Studium und Schule, die Koordination von Lernaktivitäten mit
anderen Aktivitäten, die Entwicklung bestimmter Lernstile im Laufe des Studiums etc.
Jedoch zeigten sich in einigen Studien, dass sich Experten eines Fachgebietes nicht so sehr durch
ihre
überlegenen,
effizienteren
Strategien,
sondern
einfach
durch
ihre
größere
und
wohlorganisierte Wissensbasis auszeichneten; denn Personen, die in einem Gebiet recht wenig
Vorwissen haben, müssen dies durch aufwendige Suchstrategien kompensieren; Experten dagegen
haben klare Schemata, die ihrerseits das Produkt von langen Problemlöseprozessen sind und
benötigen deshalb keine aufwendigen Suchstrategien.
Der weitere Wissenserwerb und der Problemlöseprozess wird bei ihnen durch das Vorwissen
gesteuert.
Andere Studien weisen darauf hin, dass Wissen für die Anwendung von Strategien eine
notwendige Voraussetzung darstellt: Lernende, denen ein Minimum an Vorwissen fehlt, konnten
weder von den Inhalts- noch von den Strategieinstruktion profitieren (Vgl. S. 19).
Dennoch aber lassen sich interindividuelle Unterschiede nicht allein an den Unterschieden der
unterschiedlichen Wissensvoraussetzungen festmachen:
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1: Wissen ist nicht nur Voraussetzung, sondern auch Folge von Lernen, Denken und
Problemlösen. Auch gibt es Belege für eine wechselseitige Beeinflussung von Wissen und
Strategien.
2: Auch bei prinzipiell gleichem Vorwissen gibt es interindividuelle Unterschiede beim Abrufen
und der Aktivierung dieses Vorwissens.
3: Bei Experten vs. Novizen Vergleichen – bei denen Experten in der Regel besser abschneiden lösen Experten ja Routineprobleme; wichtiger wäre es, zu schauen, welcher Methoden sie sich
bedienen, wenn sie ihrerseits mit wirklich neuartigen Problemen in ihrem Wissensbereich oder gar
mit Problemen aus einem anderen Wissensbereich konfrontiert werden; wenn also Experten selbst
zu Novizen werden.
In der Studie von Clement (1984) wurde gezeigt, dass in diesem Falle auch Experten sehr
allgemeine Verstehens – und Suchstrategien anwenden.
Transferprobleme:
Eine Reihe von Studien zeigen, dass ein spontaner Strategietransfer eher ein seltenes Ereignis ist;
d.h. zum Beispiel, dass die in einer Trainingsmaßnahme gelernten Inhalte auch auf etwa den
schulischen Kontext übertragen werden. Adams (1989) vermutet das Ausbleiben dieses Transfers
darin, dass Lern- und Denkstrategien immer in einem spezifischen inhaltlichen Kontext erworben
werden und deshalb eingebunden sind in materialspezifische Schemata, von denen sie nur schwer
zu lösen sind.
Das Faktum, dass Lernen und Denken stets situationsgebunden sind, kann nicht ignoriert werden.
Auch solche Programme, wie etwa Intelligenztrainings, die zwar inhaltsarmes Trainingsmaterial
verwenden, sind zwar nicht an schulische, aber an andere Inhalte gebunden.
In
diesem
Zusammenhang
unterscheidet
Adams
zwischen
abstraktem
Wissen
und
abstrahiertem Wissen: abstraktes Wissen ist ein dekontextualisiertes Wissen, was zwar auf
verschiedene Aufgaben angewendet werden kann, jedoch nicht vom Einzelnen selbst erarbeit
worden ist, sondern eher fremdvermittelt wurde. Dagegen ist das abstrahierte Wissen jenes, das
sich dann herauskristallisiert, wenn der Lerner Wissen, Prinzipien und Strategien in vielen und
verschiedenen Situationen erprobt und dabei allmählich lernt, von den spezifischen Bedingungen
zu abstrahieren.
Lernprozesse, die diesen Abstraktionsprozess ermöglichen und damit einen gelingenden
Strategietransfer wahrscheinlich machen, sind jedoch sehr zeitaufwendig und müssen systematisch
geplant werden. Eine solche erfolgreiche Interventionsstudie ist die von Palincsar & Brown.
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Darüber hinaus herrscht Evidenz, dass die Querbezüge von Lern- und Denkstrategien zu
emotional-motivationalen Prozessen recht stark sind; Informationsprozesse bzw. Primärstrategien
sind wenig ertragreich, wenn sie nicht durch entsprechende motivationale Prozesse unterstützt
werden, die durch die griffe Formel: „skill and will“ als einer notwendigen Voraussetzungen für
selbstgesteuerte Lernprozesse bezeichnet werden kann.
Gute Strategienutzer zeichnen sich dadurch aus, dass sie davon ausgehen, dass es sich lohnt, sich
anzustrengen und strategisch vorzugehen. „Nur Personen, die sich selbst Kompetenz (selfefficacy) zusprechen, kommen auf die Idee, Lern- und Denkstrategien spontan und selbstgesteuert
einzusetzen“ (S. 25)
Grundlegende Fragen der Anwendung:
Bei der Förderung bzw. der Veränderung von Lern- und Denkstrategien stellen sich drei
grundlegende Fragen:
1) Was soll verändert werden bzw. welche Strategien sollen gefördert werden?
2) Wie soll die Veränderung realisiert werden?
3) Wie können die Inhalte und das Vorgehen auf die individuellen Unterschiede sowie auf die
individuellen situativen Gegebenheiten abgestimmt werden?
Zu 1): Bei der Bestimmung der Frage, welche Strategien zu fördern sind, um eine bestimmte
Leistung zu steigern, braucht man eine Theorie, die erklärt, welche kognitiven Prozesse für eine
bestimmte Aufgabenklasse verantwortlich sind. Bei Primärstrategien sind es z.B Theorien der
Informationsverarbeitung, bei Stützstrategien sind es Motivations- und Handlungstheorien.
Zu 2) Die Förderung und Aktivierung der Lern- und Denkstrategien kann
a) direkt über die Förderung der Prinzipien effektiven Lernens und Denkens vermittelt und geübt
werden;
b) sie kann indirekt über die Veränderung der Lernsituation erfolgen, indem bspw. diese so
gestaltet wird, dass Lernen und Denken optimal angeregt werden.
Indirekte Förderung:
1- Makro- und Systemebene: Hierbei handelt es sich um optimale Gestaltung von Schulsystemen
und gesellschaftliche Rahmenbedingungen.
2- Mesoebene: Gestaltung von Curricula, medienbasierten Lernumgebungen, Lernstrategien,
Unterrichtssituationen (z.B. fragendes, entdeckendes Lernen etc.)
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3- Mikroebene: optimale Gestaltung einzelner Elemente des Instruktionsprozesses; Maßnahmen
zur Textgestaltung wie etwa Textfragen zur Vertiefung des Verstehens, neugierweckende
Überschriften etc.
Direkte Förderung:
Direkte Fördermaßnahmen folgen dem Prinzip des „informierten Trainings“, wobei dem
Lernenden nicht nur gesagt wird, was zu trainieren ist, sondern auch die Wirkweisen und die
Vorteile der jeweiligen Strategie erklärt werden. Dies wird über folgende Schritte erreicht:
1- Lernende sollen zunächst für die Relevanz optimaler Strategien sensibilisiert werden, etwa
durch: Selbstreflexion (lautes Denken), Präsentation von Modellen, die optimale oder eher
defizitäre Strategien zeigen; argumentative Überzeugung vom „Nutzen“ der jeweiligen Strategie.
2- Im zweiten Schritt soll deklaratives Wissen über die einzelnen Elemente der Strategie erworben
werden. Es wird Wissen vermittelt, bei welcher Aufgabe die betreffende Strategie angemessen ist.
3.- Das deklarative Wissen wird in einer Übungsphase an spezifisch hierfür ausgewählten
Aufgaben kognitiv durchdrungen.
4.- In der Phase der Feinabstimmung geht es darum, die jeweilige Strategie zu automatisieren; sie
an vielen Aufgaben zu üben und um den Transfer zu gewährleisten, sie an verschiedenen
Aufgabenklassen zu trainieren.
zu 3)
Nicht jede kognitive Strategie ist für jeden Zweck angemessen; so erwiesen sich z.B. für
Wörterlernen Mnemotechniken als günstiger im Vergleich mit semantisch orientierten
Lernstrategien; Verstehensstrategien dagegen z.B. fördern nicht unbedingt das Behalten von
Informationen und Faktenwissen, sind jedoch günstiger auf den Erwerb und Anwendung
komplexen Wissens (Vgl. S. 34).
Strategiemaßnahmen sind ferner abzustimmen auf interindividuelle Unterschiede in den
verschiedenen Lernvoraussetzungen wie etwa: Unterschiede im Entwicklungsstand, in den
kognitiven Fähigkeiten, im Vorwissen und den motivationalen Voraussetzungen.
Effekte von Trainingsmaßnahmen:
Was sind die Kriterien, an den der Erfolg von Trainingsmaßnahmen festzustellen ist? Sind es z. B.
Schulnoten, Studierleistungen, Abschlussprüfungen etc., um eine bestimmte Strategiemaßnahme
als erfolgreich zu qualifizieren?
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Ultimates Ziel aller Strategietrainings sollte es sein, die Kompetenzen in realen Lern- und
Problemlösesituationen zu steigern, jedoch werden solche globalen Erfolgsziele von vielen
anderen Faktoren mitverursacht. Schulerfolg hängt z.B. sowohl von Umweltvariablen wie etwa
der Qualität des Unterrichts, aber auch motivationalen und kognitiven Voraussetzungen ab. Auch
ist zu bedenken, dass der Lernkontext nicht immer den Einsatz von bestimmten Strategien fördert,
d.h. die Strategie kann als solche sinnvoll sein, bringt dennoch keine positiven Effekte zu Tage,
weil diese vom Kontext unterdrückt wird. So berichten bspw. Ramsden, Beswick und Bowden
(1986) von verstehensorientierten Studienstrategien bei Erstsemestern, die sich jedoch unter den
Bedingungen des universitären Alltagens, und zwar Bewältigung großer Stoffmengen für
kurzfristige Tests als nonoptimal erwiesen.
Die
Studenten
gaben
diese
Strategie
recht
bald
wieder
auf
und
verfolgten
eher
Oberflächenstrategien, bei der die wörtliche Wiedergabe des Gelernten im Vordergrund stand.
Was die Effekte von Trainingsmaßnahmen betrifft, fordert Bloom ambitioniert das „2-SigmaKrieterium“: d.h. die Effekte von Trainingsmaßnahmen, die für den Einsatz in großen Gruppen,
Schulklassen etc. zum Einsatz kommen, sollen zwei Standardabweichungen gegenüber einer
herkömmlich unterrichteten Kontrollgruppe liegen.
Adams hat diese Forderung aufgegriffen und dahingehend erweitert, dass diese Effekte sich auch
längefristig zeigen sollten; d.h. Individuen, die ein Training erhalten haben, sollten in der Folge
die Nicht-trainierten nicht nur übertreffen, sondern diese Unterschiede sollten im Laufe der Zeit
zugunsten der Trainierten größer werden.
Diese geforderten Effekte (2 d) sind in den empirischen Untersuchungen jedoch kaum anzutreffen;
in Gruppentrainings werden typischer weise von Effektstärken um 0.5 berichtet; bei sehr
erfolgreichen Trainings werden Effektstärken von d = 1 erzielt.
Eine Metaanalyse von Haller, Child und Weinberg (1988), bei der 20 Trainingsstudien zur
Förderung des Textverstehens mit metakognitiven Strategien herangezogen wurde, zeigte einen
Median der Effekte um 0.57; das arithmetische Mittel lag bei 0.71.
Häufig moderieren die zu Beginn des Trainings vorhandenen kognitiven Strategien die weitere
Wirkung der Maßnahmen.
Denkbar sind folgende Fälle:
Fall 1: Vom Training profitiert die leistungsschwache Gruppe, nicht jedoch die starke Gruppe:
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Ergebnis: Training war wirksam und die trainierte Strategie spielt für die Kriteriumsleistung eine
wichtige Rolle.
a) Die Unterschiede zwischen den Gruppen können vollständig ausgeglichen werden: Idealfall:
Kriteriumsleistungen werden allein vom trainierten kognitiven Prozess aufgeklärt.
b) Leistungsunterschiede zwischen den Gruppen werden nur teilweise verringert: Ergebnis:
Trainierte Strategie beeinflusst zwar die Kriteriumsleistung, dies ist jedoch auch von anderen
Prozessen abhängig.
Fall 2: Sowohl die schwache als auch die starke Gruppe profitiert vom Training:
Fall 3: Vom Training profitiert die starke Gruppe, nicht jedoch die schwache.
Ergebnis: Zwar ist der geförderte kognitive Prozess wichtig für die Kriteriumsleistung, aber es
müssen offensichtlich noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein, damit man vom Training
profitieren kann; diese sind in der starken Gruppen gegeben, nicht jedoch in der schwachen (Vgl.
S. 40).
Trainingseffekte können unter bestimmten Bedingungen auch negative Effekte haben, und zwar
dann, wenn die Person eine zuvor funktionierende Strategie verlernen muss, bevor sie eine neue
aufbauen kann. In der Phase des Umlernens kann es dann zu Verunsicherungen kommen, die zu
einer defizitären Informationsverarbeitung führen können.
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Vorlesung am 24.04.2007
Förderung kognitiver Fähigkeiten durch Denktrainings:
Bevor auf die Förderung durch spezielle Trainingsmaßnahmen eingegangen werden soll, sollte
natürlich die Frage gestellt werden, inwieweit Kinder in ihrem häuslichen, familialen Umfeld von
ihren Eltern angemessen kognitiv und intellektuell stimuliert werden können:
In der Literatur werden Erfahrungen dann als „intellektuell stimulierend“ bezeichnet, wenn sie
dazu beitragen, die kognitive Entwicklung von Kindern zu optimieren, was unterschiedlichen
Formen geschehen kann.
Drei Aspekte sind dabei hervorstechend:
1) die häuslichen Anregungsbedingungen,
2) die elterlichen Erziehungsvorstellungen,
3) die Art und Weise, wie Eltern ihre Kinder konkret anregen.
Zu 1): Die Gestaltung der häuslichen Umwelt seitens der Eltern ist ein zentraler Faktor, denn das
von ihnen bereitgestellte Material (z.B. Bücher, Spielzeug) bietet zunächst das Angebot an
Anregung, aus dem das Kind frei auswählen kann. Im Kleinkindalter sind seine Möglichkeiten,
sich selbst Anregung zu verschaffen, bzw. für intellektuell stimulierende Umgebungen zu sorgen,
recht begrenzt. In den USA hat sich zur Einschätzung des familialen Anregungsmilieus die
HOME-Scale (Caldwell & Bradley, 1978) als Erhebungsinstrument bewährt. Hier wird der
objektive Anregungsgehalt von trainierten Beobachtern mittels Kategorien, die das HOMEinventory vorgibt, eingeschätzt. Diese beziehen sich sowohl auf materielle wie auch auf soziale
Aspekte; wie etwa „Bereitstellen angemessenen Spielmaterials“ und „Gelegenheit zu vielfältiger
Anregung im Alltag schaffen“.
Zu 2) Auf einer globaleren Ebene geht es um elterliche Einstellungen bzw. Erziehungsstile.
Diese werden im Sinne von stabilen Dispositionen verstanden und üblicherweise mittels
Fragebogen erfasst. Exemplarisch ist hier die Einteilung von D. Baumrind (1978) in vier
Erziehungsstile: „autoritär“, „autoritativ“, „permissiv“ und „vernachlässigend“. Dabei erwies sich
ein autoritativer Erziehungsstil der Eltern als förderlich für die kognitive Entwicklung von
Kindern. Die positive Wirkung dieses Erziehungsstils wurde kürzlich auch für Jugendliche
nachgewiesen, und zwar sowohl für ihre schulischen Leistungen als auch sozialen Kompetenzen
und ihr Selbstvertrauen (Gray & Steinberg, 1999).
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Zu 3) Hier geht es weniger um die Einstellungs- als um die konkrete Verhaltensebene, d. h. die
Eltern-Kind-Interaktion wird direkt erfasst. Inhaltlich werden hierbei meist zwei Arten von
intellektueller Stimulation differenziert, die verbale und die objektvermittelte. Das elterliche
Sprachtraining wurde relativ intensiv erforscht, weil soziale Anregung üblicherweise sprachlich
vermittelt wird, z. B. durch die Art und Weise, wie Eltern Gespräche mit ihren Kindern führen.
Sprachinhalte
und
–form
hängen
mit
zahlreichen
Indikatoren
der
kindlichen
Intelligenzentwicklung im Vorschul- oder Schulalter zusammen. Ebenso wurde gemeinsames
Objektspiel in zahlreichen Studien als Prädiktor des kognitiven Leistungsvermögens von Kindern,
zumindest über kurzfristige Zeitabschnitte, identifiziert (Wachs & Gruen, 1982).
In vielen Studien erwies sich elterliche Responsivität (kontingente Stimulation) als
Schlüsselvariable der kognitiven Stimulation. Darunter ist zu verstehen, dass Anregung
unmittelbar in Reaktion auf die kindlichen Initiativen erfolgt. Für dieses elterliche
Verhaltensmuster wurden positive Folgen auf die kognitive und soziale Entwicklung von Kindern
im Vorschul- und Schulalter nachgewiesen.
Denn Responsivität fördert das Explorationsverhalten des Kindes und erhöht seine
Lernmotivation, weil es ihm Kind den Eindruck vermittelt, dass sein Handeln eine Wirkung
erzielt. Aufgrund solcher Erfahrungen bildet sich die „Selbstwirksamkeitsüberzeugung“ aus, d.h.
die Motivation, sich selbst als wirkungsvoll zu erleben.
Als relevant für eine gute intellektuelle Entwicklung von Kindern führen Ramey und Ramey
(1998) folgende sechs Mechanismen an, die fester Bestandteil des kindlichen Alltags sein und
ausreichend häufig und vorhersagbar vorkommen sollten.
1) Zur Exploration der Umwelt ermuntern,
2) kognitive und soziale Grundfähigkeiten überwachen,
3) neue Fertigkeiten hervorheben,
4) Erlerntes wiederholen und auf neue Bereiche übertragen,
5) unangemessene Bestrafung vermeiden,
6) Sprache und symbolische Kommunikation stimulieren.
Diese sind zwar nicht erschöpfend, aber können als empirisch hinreichend belegt angesehen
werden.
Schulkontext:
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Eine positive Veränderung der kognitiven Fähigkeiten von Schülern kann bereits erzielt werden,
wenn gezielte Interventionen in den räumlich-materiellen Lernkontext erfolgen, d.h. der
ökologischer Kontext, in dem Denken und Lernen statt findet, verändert. So konnte bereits um
1942 gezeigt werden (Wheeler, 1942), dass eine Veränderung der Umweltfaktoren zu einer
positiven Entwicklung und Steigerung des IQ von Schülern beitragen kann. Eine Sanierung des
Wohnumfeldes, eine Verbesserung der Infrastruktur (Beförderungssystem), eine Verbesserung der
Schulausstattung und eine Erhöhung des Ausbildungsniveaus der Lehrer führte zu einem IQ
Zuwachs von rund 10 Punkten innerhalb von zehn Jahren. 1930 lag der mittlere IQ der getesteten
946 Kindern der Klassen 1 bis 8 aus den östlichen Tennessee Bergen bei 82.4 Punkten; und 1940
lag er - nunmehr wurden 3252 Kinder in die Testung einbezogen - bei 92.2 Punkten. (Vgl. Gage &
Berliner, 1996, S. 86)
Denktrainings:
Was jedoch das Denktraining bzw. die kognitive Fähigkeit des Problemlösens betrifft, so ist
zunächst recht allgemein die Frage zu stellen, ob denn Problemlösen lehrbar ist.
Gegen die Idee, Problemlösefähigkeit trainieren zu können, gibt es eine breite Skepsis in der
Wissenschaft. Da das Lösen von Problemen vielfach von einem spezifischen Wissen abhängt,
wird argumentiert, es komme es nicht darauf an, Problemlösefähigkeiten zu trainieren, sondern
einfach breites Wissen zu vermitteln.
Auch gibt es Studien (Dörner & Kreuzig, 1983), die zeigen, dass die Interkorrelationen der
Leistungen zwischen Problemlöseaufgaben verschiedener Art gegen Null tendieren; dass es also
keine Hinweise für eine allgemeine Problemlösefähigkeit gibt. Deshalb sollte bescheiden
formuliert werden, welche Teilprozesse oder Komponenten des Problemlösens trainierbar sind.
Warum ist die Förderung des induktiven Denkens wichtig?
Induktives
Denken
ist
essenziell
für
die
Entdeckung
von
Regelmäßigkeiten
und
Gesetzmäßigkeiten sowie für die Bildung von Hypothesen.
Im wissenschaftstheoretischen Kontext wird vielfach unterschieden zwischen Induktion und
Deduktion; d.h. der Schluss von empirischen Einzelbeobachtungen zu einem allgemeinen Gesetz
oder der Ausgang von einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit zu einer Einzelaussage.
Bei der Deduktion erfolgt in logischen Termine ein Schluss von der Praemissa maior und der
Praemissa minor auf die Conclusio; aus (A) und (B) folgt (C) zwingend.
Bsp.:
(A) Alle Menschen sind sterblich; (B) Sokrates ist ein Mensch: (C) Also ist Sokrates sterblich.
(s.a. Tolstoi; der Tod des Iwan Iljitsch).
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Diese Form des Schließens taucht häufig in der Mathematik und in der klassischen Logik auf. Der
Deduktionsschluss ist apodiktisch, das heißt notwendig wahr. Er ist Wahrheit bewahrend und
insoweit konservativ; jedoch kaum erkenntniserweiternd.
Wenig gewürdigt wird dabei ein Konzept, das der amerikanische Pragmatist C. S. Peirce mit der
Begrifflichkeit der Abduktion in die Wissenschaftstheorie einführte. Dabei wird von einer
Allaussage und einer Einzelbeobachtung auf eine andere Einzelbeobachtung geschlossen.
Bsp. Alle Psychologen sind erfolgreich; dieser Mensch erfolgreich – dieser Mensch ist ein
Psychologe.
Der Schluss ist - wohl - ziemlich unsicher, er kann jedoch "zufällig" wahr sein. Die Unsicherheit
dieses Wissen ist im Gegensatz zur Induktion nicht nur ein quantitativer, sondern ein qualitativer;
Peirce hat die Abduktion als eine Form des begründeten Ratens genannt; als eine besonders
kreative Form der Schlussfolgerung. Der abduktive Schluss spekuliert, er verwertet Indizien. Dies
entspricht in der Praxis der Tätigkeit eines Detektiven, der eine Person überführen will, oder aber
auch der Tätigkeit eines Arztes, der aufgrund von bestimmten Symptomen eine (vorläufige und
stets unsichere) Krankheitsdiagnose stellt. In den empirischen Wissenschaften werden die
besonders kreativen, innovativen und originellen Hypothesen durch Abduktion gewonnen. Nur
mit ihrer Hilfe gelangt man zu substanziell neuen Erkenntnissen.
Zurück zur Induktion und dem Training des induktiven Denkens: Auch der Intelligenzforscher
Spearman war von der Bedeutung des induktiven Denkens überzeugt; für ihn war der Faktor g der
allgemeinen Intelligenz wesentlich durch Prozesse des induktiven Denkens bestimmt.
Zunächst soll jedoch das Programm von Klauer vorgestellt werden und dann einige Studien, die
kritisch sich an dieses Denktraining angeschlossen haben:
Wie sieht das Programm des induktiven Denkens aus:
Das „Denktraining für Kinder I“ ist das erste aus einer Reihe von Trainingsprogrammen, was auf
eine bereichsspezifische Förderung des induktiven Denkens abzielt. Induktives Denken fasst
Klauer dabei als das Erkennen von Regelhaftigkeiten im Ungeordneten. Dabei werden Objekte im
Hinblick auf ihre Merkmale oder der Relationen zwischen ihnen verglichen.
Dieses Trainingsprogramm richtet sich an 5-8-jährige Kinder und besteht aus 120 Aufgaben.
Darüber hinaus hat Klauer ein Programm für den Altersbereich 10-13 Jahre sowie ein
Denktraining für Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren entwickelt. Das Programm hat sechs
Problemklassen: Generalisierung (GE: Gleichheit von Merkmalen), Diskrimination (DI:
Verschiedenheit von Merkmalen), Kreuzklassifikation (KK: Gleichheit und Verschiedenheit von
Merkmalen), Beziehungserfassung (BE: Gleichheit von Relationen), Beziehungsunterscheidung
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(BU: Verschiedenheit von Relationen), Systembildung (SB: Gleichheit und Verschiedenheit von
Relationen); zu jeder Klasse gibt es 20 Aufgaben aus den Bereichen Schule, Familie, Sport und
Haushalt. Die Programme sind nach dem selben Grundkonzept realisiert; lediglich gibt es altersoder niveauabhängige Variationen bei den Inhalten oder Themen.
Verteilung der Aufgabenformen und Materialien:
Material
General.
Diskr.
Kreuzkl.
Bez.erfass. Bez.unters. Systemb.
Summe
Verbal
7
7
6
7
7
6
40
Figural
7
6
7
7
6
7
40
Numerisch 6
7
7
6
7
7
40
20
20
20
20
20
120
Summe
20
Von diesen 20 Aufgaben sind 5 Aufgaben konkrete Dinge: Bauklötzchen; 5 paradigmatische
Bildaufgaben, 7 lebensnahe Bildaufgaben (Spielzeuge, Tiere, Pflanzen etc.) und 3 symbolartiges
Material.
Die ersten zehn Aufgaben zeigen die Aufgabenstruktur sehr klar und bieten Gelegenheit, eine
angemessene Lösungs- und Kontrollstrategien zu entwickeln; die folgenden zehn dienen der
systematischen Einübung des Transfers, wobei die Grundstrukturen immer schwerer zu erkennen
sind. Im Laufe des Trainings soll das Kind die wenigen Grundstrukturen in wechselnden
Zusammenhängen erkennen.
Aufgabe ist es, zu prüfen, ob verschiedene Objekte ein Merkmal gemeinsam haben oder nicht; das
kognitive Ziel ist also die Einübung in Erkennen von Regelhaftigkeit und Gesetzmäßigkeit. Als
Effizienzkriterium wird der Zuwachs in Intelligenztests oder andere Leistungsmaße, wie etwa
Lernzuwachs nach Unterrichtseinheiten gemessen.
Typische Programminhalte sind folgende: (S. Exemplare des Denktrainings von Klauer)
Lektion Lehrziel
1
Naives Problemlösen
2
Erläuterung
Aufgaben lösen lassen, ohne auf die Art der
Lösung eingehen; Vertrautwerden mit dem
Material
Unterscheiden von Merkmalen und Einführung der Begriffe „Eigenschaft“ und
Relationen
„Beziehung“
16
3
Die drei Merkmalsklassen kennen
4
Die drei Relationsklassen kennen
5
Lösungs- und Kontrollprozess bei
Gleichheit
von
Merkmalen/Relationen kennen
Lösungs- und Kontrollprozess bei
Verschiedenheit
von
Merkmalen/Relationen kennen
Lösungs- und Kontrollprozess bei
Gleichheit und Verschiedenheit
kennen
Aufgaben
des
Merkmalsastes
wiederholen
und
Prozesse
automatisieren
Aufgaben
des
Relationsastes
wiederholen
und
Prozesse
automatisieren
Gemischte
Wiederholung
zur
Automatisierung der Prozesse
6
7
8
9
10
Die drei Klassen unterscheiden lernen; alle
bisherigen Merkmalsaufgaben entsprechend
einordnen.
Die drei Klassen unterscheiden lernen; alle
bisherigen Relationsaufgaben einordnen und
Merkmalsklassen wiederholen
Herausarbeiten, wie GE und BE Aufgaben
gelöst werden und die Lösung durch die
Gegenoperation überprüfen
Herausarbeiten, wie DI und BU Aufgaben
gelöst werden und die Lösung durch die
Gegenoperation überprüfen
Herausarbeiten, wie KK und SB Aufgaben
gelöst werden und die Lösung durch die
Gegenoperation überprüfen
Einübung/Festigung der Erkenns- und
Kontrollprozesse bei Merkmalsaufgaben
Einübung/Festigung der Erkenns- und
Kontrollprozesse bei Relationsaufgaben
Einübung/Festigung der ErkennsKontrollprozesse bei allen Arten
Aufgaben
und
von
Am Ende des Trainings sollen die Kinder in der Lage sein,
•
beliebige induktive Aufgabe richtig klassifizieren zu können, indem sie die jeweilige
Grundstruktur identifizieren,
•
jeder Grundstruktur die angemessene Lösungsstrategie zuzuordnen,
•
danach die entsprechende Kontrollstrategie einsetzen können.
Vor dem Training werden den Kindern erklärt, was ein Merkmal/Eigenschaft ist; so etwa: eine
Eigenschaft sagt aus, was ein Ding ist oder hat. Der Ball ist rund; rund ist eine Eigenschaft.
Für Relation soll eher der Begriff Beziehung verwendet werden: Relationen sagen etwas zwischen
zwei Dingen aus; diese findet man, wen man zwei Dinge miteinander vergleicht. Z.B. dieser Stift
ist größer als dieser. Zwischen Objekten können immer mehrere Beziehungen bestehen (z.B.
größer und schwerer; ein Ding kann auch mehrere Eigenschaften haben; rot und rund etc.).
Was die Durchführung betrifft, so empfiehlt Klauer im Kindergartenalter das Training als ein
Einzeltraining durchzuführen, um so die erforderliche Aufmerksamkeit zu gewährleisten; es sollte
in einem störungsarmen Raum stattfinden und zeitlich 20 Minuten nicht überschreiten. Auch sollte
das Training möglichst spielerisch gestaltet werden, jedoch abgebrochen werden, wenn das Kind
nicht mehr ernsthaft sich mit den Aufgaben beschäftigt. In einer Sitzung sollte auch nur eine
Lektion abgehandelt werden.
17
Im Grundschulalter könnten die Aufgaben jedoch auch paarweise den Kindern dargeboten
werden, wobei abwechselnd eines der Kinder die Aufgaben löst und das andere das Vorgehen
kontrolliert.
Bei älteren Kindern kann das Training auch in Form einer Gruppenarbeit gestaltet werden, wobei
zu achten ist, dass es sich um einigermaßen leistungshomogene Gruppen handelt, damit nicht
einige starke Kinder die anderen dominieren.
Ergebnisse des Trainings:
Klauer (2001) selbst findet in einer Überblicksarbeit von insgesamt 64 Studien eine mittlere
Effektstärke von d = .54 (d korrigiert); d.h. im Durchschnitt eine Verbesserung um eine halbe
Standardabweichung im Vergleich zu nicht-trainierten; anders ausgedrückt: eine Verbesserung um
etwa 20 Prozentränge.
Zur Schätzung der Effektstärken wird folgendes Effektstärkemaß angenommen:
d = (M Trainingsgruppe – M Kontrollgruppe) / S pooled
Um die präexperimentellen Unterschiede zwischen den Gruppen zu berücksichtigen, wurden
korrigierte Effektstärken berechnet:
d korr. = (d post – d prä)
Verteilung der Effektstärken bei den berücksichtigen Trainingsmaßnahmen:
20
ES Intelligenz
15
10
5
0
0,1
0,3
0,5
0,7
0,9
1,1
>1,1
Bei 63 von 64 berücksichtigten waren stets positive Effekte zu verzeichnen; nur in einem Fall gab
es einen – nicht signifikanten (d= -.05) negativen Effekt.
Transfereffekte:
Für die Frage, inwieweit die in den Kognitiven Trainings erworbenen Fähigkeiten sich tatsächlich
transferieren lassen, wurden Versuche durchgeführt, bei denen im Anschluss an ein Training beide
Gruppen, die Trainings- wie die Kontrollgruppe, gemeinsam an einer Unterrichtsstunde
teilnahmen; abhängige Variable war hier also der Lernerfolg in der Unterrichtsstunde. Bei allen
18
Schularten gab es positive Effekte auf das Lernen; die stärksten Effekte wurden jedoch bei den
Sonderschülern verzeichnet.
Nachhaltigkeit der Effekte:
Um zu testen, ob die Trainingsmaßnahmen letztlich nur die Performanz, d.h. die aktuellen und
eher kurzfristigen Effekte fördern, oder aber langfristige Kompetenzen verbessern, wurden bei
mehreren Experimenten einige Monate später (zw. 3-12 Monaten; im Mittel ca. 6 Monate) erneut
die Tests erhoben, die unmittelbar nach dem Training durchgeführt wurden. Dabei handelte es sich
um 8 Lern - sowie 17 Intelligenztests:
Abhängige Variable
M
SD
n
(Anzahl
berücksichtigten
Effektstärken)
unmittelbar
0.77
0.22
17
später
0.70
0.31
17
unmittelbar
0.56
0.36
8
später
0.74
0.56
8
der
Intelligenz
Lernen
Die Ergebnisse zeigen, dass die Effekte weitestgehend über die Zeit stabil sind; zwar waren leichte
Abnahmen bei der Intelligenz und leichte Zunahmen beim Lernen festzustellen, die jedoch nicht
signifikant waren und im Großen und Ganzen eindeutig für die Stabilität der erzielten
Kompetenzzuwächse sprachen.
Allgemeine vs. bereichsspezifische Strategien:
In einem Experiment hat Klauer die Wirksamkeit von allgemeinen Problemlösetrainings mit den
Effekten eines bereichsspezifischen Trainings – dem induktiven Denken- verglichen.
Sollte sich z.B. herausstellen, dass ein allgemeines Problemlösetraining auch beim Lösen von
konkreten - hier induktiven- Problemstellungen als genauso gut erweist, dann ist das allgemeine
dem bereichsspezifischen vorzuziehen, weil es eine generelle Strategie darstellt.
19
Die zu prüfende Nullhypothese lautet deshalb: Unter gleichen Bedingungen fördert das Training
einer allgemeinen Problemlösestrategie das Lösen von induktiven Problemen in gleichem Maße
wie ein Training bereichsspezifischer Strategien des induktiven Denkens:
Aufgaben waren dabei aus dem CFT-2 von Cattell und Weiss (Weiss, 1972) (abstraktgeometrische Figuren):
Wie sieht das Trainingsprogramm für allgemeine Problemlösestrategie aus? (Lauth, 1988):
Es ist ein Programm für 7 bis 9-jährige lernbehinderte Sonderschüler:
Diese geben sich beim Lernen mit sieben „Signalkarten“ folgende Selbstinstruktionen:
1. Wir wollen anfangen!
2. Langsam machen!
3. Was ist meine Aufgabe?
4. Kenne ich schon etwas Ähnliches?
5. Ich mache mir einen Plan!
6. Überprüfen: Ist es so richtig?
7. Das habe ich gut gemacht!
Versuchsplan:
EG 1: Prätest (CFT 1)- Training des induktiven Denkens -
Posttest (CFT 2)
EG 2: Prätest (CFT 1)- Allgemeines Problemlösetraining -
Posttest (CFT 2)
KG 1: Prätest (CFT 1)-Teilnahme am Unterricht -
Posttest (CFT 2)
Trainiert wurden jeweils zwei Kinder, die hierfür aus dem laufenden Unterrichtsbetrieb der ersten
Klasse Grundschule herausgenommen wurden.
Bei beiden Maßnahmen wurde der CFT als abhängige Variable verwendet.
Trainingsdauer des induktiven Trainings: 10 Stunden
Trainingsdauer des Allgemeinen Trainings: 8 Stunden
Vergleich: bereichsspezifische vs. allgemeine Strategien:
Prätest
Posttest
Effektstärke d
1.00
EG 1 (N = 10)
M
13.6
24.1
Induktives Denken
SD
7.8
5.8
EG 2 ( N = 10)
M
13.2
19.3
Allgemeines
SD
7.8
4.9
0.12
20
Problemlösetraining
KG (N = 10)
M
13.8
19.1
Kein Training
SD
7.8
4.3
Zwar kann ein geringer Teil der Unterschiede zugunsten des induktiven Trainings auf die etwas
längere Trainingsdauer zurückgeführt werden, dennoch ist bei diesen massiven Unterschieden
eher anzunehmen, dass die Wirkweise des induktiven Trainings stärker ist.
Auch die Differenzen, die darauf zurückgeführt werden könnten, dass das Programm von Lauth
für ältere lernbehinderte Kinder entwickelt worden ist, ist dadurch kompensiert werden, dass hier
dafür jüngere nichtbehinderte Kinder trainiert worden sind.
Pädagogisch-praktische Konsequenzen sind, dass eher bereichsspezifische Denkstrategien
gefördert werden sollten; diese weisen deutlich stärkere positive Veränderungen auf. Allgemeine
Strategien werden in kleinerem Maße auch in den Bereichsspezifischen gelernt.
In die ähnliche Richtung geht auch die 1996 von Hattie, Biggs und Purdie publizierte
Metaanalyse: Sie behaupten, nicht die direkte Vermittlung von allgemeinen Lernstrategien,
sondern vielmehr die Kombination von einer domänenspezifischen Strategie, partiell
selbstgesteuertem Lernen und zusätzlicher metakognitiver Reflexion in einem von den
Schülern als günstig erlebtem Schulklima zeigen hohe Effektstärken.
Die ermutigenden Befunde des Trainings nach Klauer haben Möller und Appelt (2001)
aufgegriffen und die Frage gestellt, inwieweit die Effekte des Kognitiven Trainings durch
Auffrischungssitzungen gesichert oder noch verstärkt werden können. Hierzu wurden 107
Grundschulkinder aus der zweiten Klasse mit dem Programm von Klauer trainiert und nach sieben
Monaten wurden die Trainingsinhalte noch einmal aufgefrischt.
Zunächst zeigte sich, dass die trainierten Kinder im Vergleich zu den nicht-trainierten höhere
Intelligenzleistungen hatten; aber noch deutlicher waren die Zuwächse bei denen, die an den
Auffrischungssitzungen teilnahmen.
Im Einzelnen sah das Design wie folgt aus:
1. Gruppe: Trainierte Kinder; N = 89; davon N = 37 mit Auffrischung
2. Gruppe: 17 Kinder als Kontrollgruppe.
21
32
Rohwerte im CFT
30
29,8
28
27,2
26,1
26
Auffrischung
Training
KG
26,3
24
22
20
22,7
21,7
20,7
19,6
21,2
18
t1
t2
t3
Zu Beginn der Studie waren die Unterschiede unbedeutend; bei der zweiten Messung nach zwei
Wochen zeigten sich bereits beträchtliche Unterschiede zwischen den trainierten und nichttrainierten Kindern. Die Auffrischung fand 7 Monate später statt; der Follow-up-test weitere fünf
Monate später.
Vergleicht man die beiden Trainingsgruppen mit der Kontrollgruppe zu t 2, so zeigen sich
Effektstärken in Höhe von d
(korr)
=.90; vergleicht man jedoch die Auffrischungsgruppe und die
bloße Trainingsgruppe zu t 3 und berücksichtigt dabei die Unterschiede zu t 2, so zeigen sich
Effektstärken von d (korr) =1.15; d.h. die Auffrischungsgruppe hatte im Durchschnitt mehr als eine
Standardabweichung besser abgeschnitten.
Es konnte also gezeigt werden, dass die Auffrischung die Effektivität des Denktrainings deutlich
steigern kann; eine erneute Auseinandersetzung mit Strategien des induktiven Denkens scheint die
gelernten Strategien optimieren zu können.
Zum Abschluss noch etwas zum Knobeln für sie:
Kurz vor seinem Tod holt ein Vater in der arabischen Wüste seine drei Söhne herbei und bespricht
mit ihnen die Aufteilung seines Erbes:
„Mein ältester, du hast Weib und Kind und sollst die Hälfte meiner Kamelherde bekommen. Mein
mittlerer Sohn: Du sollst ein Drittel meiner Kamelherde bekommen.“ Und zum jüngsten sagte er:
„Du mein Kleiner bist noch jung und hast Zeit und Kraft, dir ein eigenes Vermögen zu verdienen;
du sollst daher nur ein Neuntel meiner Kamelherde bekommen. und zu allen Dreien gewandt,
22
sagte er noch: Last mir ja die Kamele heil.“ Dann verstarb der Vater unmittelbar danach. Die
Söhnen gingen zur Herde des Vaters und zählten die Kamele zusammen: es waren insgesamt 17.
Dann fingen sie an zu grübeln, wie sie das Vermächtnis ihres Vaters erfüllen und das Erbe so
aufteilen können, wie er es gefordert hatte. Sie grübelten recht lange. Eine junge
Psychologiestudentin (aus Potsdam), der die Eltern zum bestandenen Vordiplom eine
Ägyptenreise geschenkt hatten, ritt zufällig in der Nähe auf ihrem Kamel und sah die verzweifelt
nachdenkenden Brüder. Als diese ihr den Grund ihres Kopfzerbrechens erklärten, fragte sie: „Wo
liegt das Problem?“ Und löste in einer halben Minute die rätselhafte Erbteilung auf.
Wie sollte die Herde also geteilt werden?
23
Förderung der Lernmotivation:
Lehrende unter Alltagsbedingungen machen permanent die Erfahrung, dass ihr Lehrerfolg neben
ihrer Vortragsqualität insbesondere von der Lernmotivation ihrer Schüler oder Studenten abhängt.
Deshalb ist die Frage, wie diese gefördert werden kann, eine der dringlichsten Anliegen im
pädagogischen Kontext.
Eine Möglichkeit wäre, erfolgreiche Praktiker über lange Zeit zu beobachten und aus ihrem
unterrichtlichen Vorgehen spezifische „Motivierungstipps! abzuleiten. Zwar wäre dieser Ansatz
etwas heterogen und theoretisch ungesichert, könnte aber auch ihren Zweck erfüllen. Eine andere
Möglichkeit ist, aus den bisherigen Befunden der Motivationspsychologie Implikationen für die
Praxis abzuleiten. Diese sollen im Folgenden auch im Mittelpunkt stehen.
Der Motivationsförderung inhärent ist der Widerspruch, dass von „aussen“ angeregt werden soll,
dass Menschen von „innen“ heraus, von sich aus, handeln bzw. tätig werden.
Die Beobachtung menschlicher (freiwilliger) Tätigkeiten zeigt, dass Menschen sich weder dem
äußerst Schwierigen noch dem völlig Einfachen und gänzlich Beherrschten widmen, sondern sie
vielfach von dem gerade noch Machbare angezogen sind, d.h. sich Aufgaben mittlerer
Schwierigkeiten annehmen, also nach den ersten Balanceakten auf einer Mauer sich nicht gleich
als Hochseilartisten versuchen, sondern vielleicht eine etwas schmaleres Geländer aussuchen.
Diese Bevorzugung mittlerer Schwierigkeitsgrade lässt sich entwicklungspsychologisch ab dem
Alter von etwa drei Jahren beobachten. Kinder bauen von da an ein Gütemaßstab auf, an denen
sich erzielte Leistungen als Erfolg oder Misserfolg bewerten lassen.
Dabei sind drei Bezugsnormen relevant:
1) Sachliche Bezugsnorm: Kommt der angestrebte Effekt zustande oder nicht? Anforderung erfüllt
oder nicht?
2) Individuelle Bezugsnorm: Vergleich der jetzigen Leistungen mit früheren Leistungen: Wie bin
ich jetzt du wie war ich früher?
3) Soziale Bezugsnorm: Vergleich der eigenen Leistungen mit den Resultaten anderer. Wie bin ich
im Vergleich mit meinem Nachbarn?
Aufgrund ihrer motivationalen Konsequenzen hat die individuelle Bezugsnormorientierung für
Trainingsmaßnahmen eine besondere Bedeutung.
Als wirksam haben sich Trainingsmaßnahmen heraus gestellt, die an der Präferenz für
mittelschwere Aufgaben, an der Tendenz der Bewertung der Leistung an individuellen
Bezugsnormen, an einem selbstwertstützendem Attributionsstil und dem Erleben von
24
Selbstverantwortlichkeit orientiert sind. Denn die Zielvorstellung ist: Menschen sollen in
Anforderungssituationen eine optimistisch-realistische Sichtweise annehmen und Freude daran
haben, die eigenen Kompetenzen weiter zu entwickeln. Denn unabhängig von der objektiven
Leistung zeigt sich im Alltag, z.B. Bergsteigern, Musikern etc., dass Menschen die Verbesserung
der eigenen Kompetenzen als lustvoll und befriedigen erleben, sie also an einer Selbstoptimierung
interessiert sind.
Warum ist die Orientierung an mittelschweren Aufgaben, die zwar anspruchsvoll, aber noch
erreichbar sind, funktional? Gerade eine Orientierung an diesen zeigt dem Handelnden recht gut,
dass eigene Anstrengung und die eigene Vorgehensweise mit den erzielten Resultaten
zusammenhängen.
Daraus
ergibt
sich
die
motivational
günstige
Tendenz,
bei
der
Ursachenerklärung der Resultate eher jene Faktoren zu berücksichtigen, die unter eigener
Kontrolle sind, z.b. hohe oder niedrige Anstrengung, richtiges oder falsches Vorgehen etc. Daraus
ergibt sich ein günstiges Fähigkeitsselbstbild: Das begünstigt die Tendenz, eigene Erfolge
Fähigkeiten zuzuschreiben; und für die Erklärung von Misserfolgen scheidet eine Erklärung mit
einer generellen mangelnden Fähigkeit aus; weil der Zusammenhang zwischen Anstrengung und
Leistung in der Aufgabenstellung deutlich wird; denn durch einen Rekurs auf die individuelle
Bezugsnorm kann bei Erfolg wie bei Misserfolg verhindert werden, dass die Ursachen auf stabile
interne Faktoren zurückgeführt werden (denn der Schüler kann es auch anders); stattdessen wird
Bezug genommen auf kontrollierbare Aspekte wie etwa geringe Anstrengung, falsches Vorgehen
etc.
Dabei
lässt
sich
weiter
differenzieren
in
Intensität,
aber
auch
der
Richtung
der
Leistungsmotivation: Die Richtung kann in „Erfolgsmotivation“ oder „Misserfolgsmotivation“
gehen: erfolgsmotivierte Menschen suchen häufig Leistungssituationen auf; misserfolgsmotivierte
dagegen versuchen, Leistungssituationen aus dem Weg zu gehen. Erfolgsorientierte bevorzugen
eher mittelschwere Aufgaben und können deshalb stärker einen Zusammenhang zwischen der
eigenen Anstrengung und den resultierenden Lernergebnissen herstellen als dies bei
misserfolgsorientierten der Fall ist.
Atkinson hat bereist in den 50-er Jahren (1957) ein Modell entwickelt, um den Grad der
Motiviertheit zu erfassen; das sog. Erwartungs-mal-Wert-Modell: Demnach hängt das
Anspruchsniveau bzw. Grad der Motiviertheit davon ab, wie auf der einen Seite die
Erfolgswahrscheinlichkeit des erwünschten Handlungserlebnisses (Schaffe ich das bei
realistischer Betrachtung? – Erwartungskomponente) und auf der anderen Seite von der Valenz
25
bzw.
dem
Anreiz
des
Handlungsergebnisses
(Wertkomponente).
So
ist
z.B.
die
Erfolgswahrscheinlichkeit bei leichten Aufgaben recht groß, andererseits in der Regel der Anreiz
gering;
dagegen
ist
bei
schwierigen
Aufgaben
der
Anreiz
recht
groß,
die
Erfolgswahrscheinlichkeit dagegen gering. Bei mittelschweren Aufgaben dagegen ist davon
auszugehen, dass diese eine realistische Zielsetzung bedeuten, da diese sowohl erreichbar sind
sowie einen gewissen Anspruch des Handelnden erfüllen.
Die Bereitschaft, eine Handlung auszuführen, stellt sich als das Produkt aus Erfolgerwartung und
dem Wert dar, der den Folgen dieser Handlung zugemessen wird. Motiviertes Handeln ist
demnach davon abhängig, ob sie im Vergleich zu anderen Alternativen eine positive KostenNutzen-Bilanz erwarten lässt.
Atkinson legte hierzu eine Grafik dar, die die Motivationsentwicklung, abhängig von
Erfolgsanreiz und Erfolgswahrscheinlichkeit darstellt.
(Abb. 8.1) (Rheinberg, Krug 1999, S. 27).
Tabelle: Selbstbewertungsmodell nach Heckhausen: (S. 214, Krapp & Weidenmann)
Motivausprägung
erfolgszuversichtlich
misserfolgsmeidend
Teilprozesse der Selbstbewertung
Anspruchsniveau
realistisch, mittelschwere
unrealistisch;
Aufgaben
leichte/schwere
Aufgaben
extrem
26
Ursachenzuschreibung
Erfolg
Anstrengung, eigene Tüchtigkeit
Glück, leichte Aufgabe
Misserfolg
mangelnde Anstrengung, Pech
mangelnde
eigene
Fähigkeit/Begabung
Bewertung
des
Handlungsergebnisses
positive Erfolgs-
negative
Erfolgs-
/Misserfolgsbilanz
/Misserfolgsbilanz
Misserfolgsmotivierte, die auf zu leichte oder zu schwierige Aufgaben ausweichen, können den
Zusammenhang der eigenen Resultate mit den eigenen Anstrengungen kaum sehen; auch nicht
sehen, wie über Zeit Wissen und Kompetenzen stiegen; deshalb können eigene Erfolge z.B auf
leichte Aufgaben, Glück etc. zurückgeführt; und auf diese kann man nicht stolz sein; Misserfolge
dagegen werden häufig einer mangelnden Begabung zugeschrieben; diese negativen Affekte nach
einem Misserfolg sind dann belastend; das führt dazu, dass diese Person in Zukunft vielleicht
Anforderungssituationen ganz aus dem Wege gehen möchte. Andererseits kann bei der Aufsuche
extrem schwieriger Aufgaben auch das Selbstbild geschont werden, weil diese Aufgaben von
niemandem zu schaffen sind; beide Formen, zu leichte wie zu schwierige Aufgaben, bleiben bei
misserfolgsmotivierten ohne Konsequenzen für das Selbstbild.
Deshalb gilt es, bei Misserfolgsmotivierten Personen an folgenden Prozessen anzusetzen, um
ihnen erfolgszuversichtliche Erlebnisweisen und Strategien zu vermitteln:
1. realistische, mittelschwere, Ziel setzen (Aufgaben, die bei Anstrengung zu schaffen sind),
2. motivational günstige Ursachenerklärungen nahe bringen,
3. Selbstbewertungen unterstützen, bei denen die Freude nach Erfolg größer ist als die
Betroffenheit nach Misserfolg.
Vor diesem Hintergrund haben exemplarisch Krug & Hanel bereits 1976 ein Training mit 30
Grundschülern der 4. Klasse durchgeführt. Es gab 16 ein- bis zweistündige Trainingssitzungen
außerhalb des regulären Unterrichts; die ausgewählten Schüler waren misserfolgsmotiviert, hatten
aber einen IQ von mind. 80 und sie hatten schlechte Schulleistungen.
Um keine Defensivstrategien während des Trainings zum Einsatz kommen zu lassen, wurde mit
ihnen, mit schulfernem Material – Geschicklichkeitsspiele: Ballwerfen, Ringwerfen etc.- geübt,
günstige Bewertungsprozesse zu erlernen.
Konkret sieht das wie folgt aus:
1. Der Schüler legt fest, aus welcher Entfernung er werfen will und wie viele Treffer er schaffen
will (Zielsetzung);
27
2. Nach jeder Wurfserie kreuzt er an, ob sein Abschneiden für ihn Erfolg oder Misserfolg bedeutet
und wie sehr er sich über das Ergebnis freut (Selbstbewertung),
3. Dann fragt der Trainer ihn, woran sein Erfolg/Misserfolg gelegen hat (Kausalattribution) und
was er in der nächsten Wurfserie tun möchte.
4. Im Anschluss daran setzt sich der Schüler sein neues Ziel.
Der Trainer diente dabei als Modell: er äußerte die relevanten Kognitionen laut: machte
Überlegungen
zur
Zielsetzung,
verbalisierte
nach
Erfolg
und
Misserfolg
die
Ursachenzuschreibung und zeigte auch deutliche Selbstbewertungsreaktionen wie Freude oder
Ärger.
In Kleingruppen verbalisierten die Kinder auch laut ihre Kognitionen. Nach und nach ging das
laute Sprechen zu einem inneren Sprechen über.
Im Verlauf der 16 Wochen veränderte sich das Training von Geschicklichkeitsspielen, PapierBleistiftspielen zu allmählich in Richtung schulrelevantes Material.
In standardisierten Testsituationen zeigte sich, dass das Zielsetzungsverhalten der trainierten
Schüler realistischer war, ihre Ursachenerklärung motivational günstiger und ihre Selbstbewertung
im Erfolgsfall positiver ausfiel.
Auch
ihr
Leistungsmotiv
änderte
sich
in
Richtung
Erfolgsmotivation
bzw.
die
Misserfolgsmotivation bzw. Furcht vor Misserfolg nahm ab.
Aus diesen Befunden sind einige Kriterien für den Einsatz von Motivtrainingselemente in den
Unterricht abgeleitet worden:
1. Unterrichtsmaterial bzw. Aufgaben so transformieren, dass sie ein eindeutiges Ergebnis haben:
richtig oder falsch; und dass diese auch vom Schüler selbst festgestellt werden kann.
2. Aufgaben sollten deutlich erkennbare Schwierigkeitsstaffelungen haben; sie sollten klar
abgestufte Grade der Ausführungsgüte erkennen lassen.
3. Erfolg und Misserfolg sollten teilweise von den eigenen Anstrengungen oder anderen
kontrollierbare Faktoren (Konzentration, Arbeitsweise etc.) abhängen.
4. Die Bearbeitung sollte nicht allzu lange sein, damit die Beziehung zwischen Zielsetzung,
Arbeitseinsatz und Ergebnis als Einheit überschaubar und auch mehrfach durchlaufbar werden.
5. Die Schülern sollten mit den Aufgaben soweit vertraut sein, dass sie die Schwierigkeitsgrade
für sich selbst einschätzen können und die Aufgabe selbstständig bearbeiten können.
28
Problematisch ist jedoch die Konstellation, wenn ein Lerner feststellt, dass trotz großer
Bemühungen kein sichtbaren Erfolge sich einstellen oder nur sehr zögerliche Verbesserungen
vorhanden sind: dann wird der Lerner zu dem Schluss gelangen, dass seine Fähigkeiten noch
schlechter sind als ursprünglich angenommen und daraufhin vielleicht seine Bemühungen
gänzlich einstellen. Aus diesem Problem hat sich die Konsequenz ergeben, Motivationstrainings
gleichzeitig mit Kompetenztrainings zu verbinden bzw. den Lernenden auch erfolgreichere
Lernstrategien an die Hand zu geben. Trainingsmaßnahmen, die also neben der motivationalen
Förderung auch die Steigerung von Kompetenzen beinhalten, verbessern die Leistungsmotivation.
Das konnten bspw. Rheinberg und Schliep (1985) zeigen, die bei außergewöhnlich
rechtschreibschwachen Schülern ein Programm der Kompetenzenförderung - und ein Programm
der Motivationsförderung kombiniert hatten.
Sie wandten ein Rechtschreibprogramm an, bei dem die zu lernenden Grundmorpheme nach ihrem
empirisch ermittelten Schwierigkeitsgrad gestaffelt waren. Das Training war so konzipiert, dass
sich die Lernerfolge schnell einstellten; die Schüler erlebten eine rasche Verbesserung ihrer
Rechtschreibkompetenzen; die Attributionsstrategie bezogen sich auf die dort gezeigten
Leistungen; aufgrund der Erfolge konnten sie auch eher günstigere Attributionsstrategien
verwenden.
Beispiel:
1. Monster
2. Das Monster
3. Das hungrige Monster
4. Das hungrige Monster frisst
5. Das hungrige Monster frisst morgens
6. Das hungrige Monster frisst morgens meistens
7
Das hungrige Monster frisst morgens meistens Kekse
Der Schüler legt auf seinem Arbeitsblatt fest, welchen Schwierigkeitsgrad er schaffen will (1-7);
Ziel ist, den Satz vollständig erinnern und fehlerfrei in etwa drei Minuten schreiben.
Dann wird die Satzfolie 10 Sekunden lang auf dem Projektor gezeigt.
Anschließend wird die Folie zur Ergebniskontrolle wieder aufgelegt.
In einer Evaluation ließen sich im Vergleich zu herkömmlichen Förderunterricht noch günstigere
Effekte zeigen; Effektstärken lagen zwischen d =.46 und d =.74 (Vgl. Rheinberg & Fries:
Motivationstraining).
29
Ausgehend von den theoretischen Annahmen der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan, ist
für den Kontext Schule die Frage zu stellen: Wie sehr können Schüler sich in der Schule autonom
und kompetent erleben, gerade wenn diese zentrale Aspekte intrinsischer Motivation bilden?
Bereits in einem frühen Experiment konnten Lepper et al. (1973) folgendes nachweisen:
Kinder wurden zu einer Tätigkeit angeregt, die sie gerne taten, und zwar mit Filzstiften malen.
Einigen Kindern wurde aber mitgeteilt, dass sie für ihr Bild einen Preis (Urkunde, einen Stern und
eine rote Schleife) erhalten werden; den andern wurde kein Pries in Aussicht gestellt.
Die ersten erhielten tatsächlich auch ihre Preise; die zweiten bekamen keine externe Verstärkung.
Nach einer Woche konnte man beobachten, dass die belohnten Kinder deutlich seltener spontan zu
den Filzstiften griffen als die Unbelohnten.
Das verminderte Interesse wurde dadurch erklärt, dass sie die gezeigte Leistung in Abhängigkeit
der Belohnung betrachtet hatten. (Überrechtfertigungseffekt)
„Die Vorschulkinder, die für die Bilder belohnt worden waren, könnten ihre Malaktivität
nachträglich mit dieser Belohnung, nicht aber mit ihrem Interesse an dieser Tätigkeit gerechtfertigt
haben.“ (S. 347, Mietzel)
Heißt das jedoch, dass man Schüler nicht belohnen sollte?
Dieser Effekt tritt nur unter bestimmten Bedingungen auf:
Enthalten Belohnungen eine Information darüber, welche Kompetenzen hinter einer gezeigten
Aktivität stecken (Steigerung der intrinsischen Motivation) oder sind sie als Versuche der
Kontrolle über das Verhalten zu verstehen (Verminderung der intrinsischen Motivation)?
(Nobel)preis für das literarische Werk (hohe intrinsische Motivation) oder Auftragsliteratur für
einen Verlag (gering).
Im Schulkontext kann der Einsatz von externalen Verstärkern dann gerechtfertigt sein, wenn
Schüler von sich aus keine intrinsische Motivation zeigen und sich selbst nur sehr geringe
Fähigkeiten zuschreiben. Da kann auch über externe Verstärker (Token-programme, die
eingetauscht werden gegen interessante Aktivitäten, Gegenstände etc.) die Lernmotivation weder
angeregt werden. Tokenprogramme sollten jedoch nur dann angewandt werden, wenn Schüler eine
Lernhandlung durchführen sollen, die sie andernfalls vermeiden würden. Ansonsten besteht die
Gefahr der Abhängigkeit von externen Verstärkern und die Tätigkeit wird sobald unterlassen,
wenn die Belohnung entzogen wird.
Bspw. berichtet Cohen (1973) von einem frühen Token-programm, das sogar in einer Haftanstalt
mit kriminellen Jugendlichen, von denen 85 % Schulversager waren und die wegen Autodiebstahl,
Einbruch, Vergewaltigung oder Mord Haftstrafen verbüßten. Sie konnten für erzielte schulische
30
Leistungen Punkte erzielen, die dann gegen materielle Güter (Bücher, Zeitschriften, ExtraBekleidung etc.) oder Dienstleistungen (Freizeit, Einkaufen gehen in der Stadt etc.) eingetauscht
werden konnten. Zu Beginn des Programms hatten diese Jugendlichen sich mit einer bestimmten
Punktezahl „eingekauft“; mussten also erst diese wieder abzahlen und bekamen dann erst Punkte.
Trotz dieses enorm schwierigen Klientels war es aber möglich, dass Leistungszuwächse bis zu 30
oder 40 % in den Naturwissenschaften, Mathematik und auch Sozialkunde erreicht wurden.
Ziel ist es, mit solchen Programmen die ungünstigen Attribuierungen der Schüler, mangelnden
Kompetenz zu besitzen, zu korrigieren.
Vorbeugend können Lehrer ihre eigene Kontrollfunktion in den Hintergrund und ihre
informierende Funktion in den Vordergrund rücken,
Token-programme sind also unter bestimmten Bedingungen wirksam:
1. Eine Tätigkeit macht in sich Freude, ist jedoch von aussen nicht erkennbar; Verstärker können
dann eine Person dazu bringen, diese Tätigkeit erst einmal überhaupt in Angriff zu nehmen. Wenn
dann erlebt wird, dass die Tätigkeit interessant und attraktiv ist, dann haben die Verstärker die
Funktion einer „Initialzündung“ gehabt, von der aus sich überdauernde Tätigkeitspräferenzen
ergeben können.
2. Verstärker können als Anreiz dienen, um bestimmte Phasen zu überbrücken; insbesondere bei
jenen Tätigkeiten, die erst ab einem bestimmten Behrrschungsgrad Spaß machen und lustvoll
erlebt werden (Musik, Sport); Verstärker haben hier die Funktion, dass die Person lang genug „bei
der Stange bleibt“, bis sie ein bestimmtes Kompetenzlevel erreicht hat.
3. Verstärker können sinnvoll sein, wenn eine Person sich unrealistischer Weise etwas nicht
zutraut, durch massive Belohnung kann sie dann zur Ausführung der Tätigkeit veranlasst werden.
Sofern sie dann erfährt, dass die Tätigkeit doch nicht so abschreckend bzw. bewerkstelligbar ist,
wird sie die Tätigkeit auch von sich aus in Angriff nehmen.
Wie kann der Lehrer Neugier wecken? (Vgl. Mietzel, S. 350ff).
Generell entsteht Neugier dann, wenn Menschen mit Situationen konfrontiert werden, die ein
mittleres Maß an Neuigkeit, Überraschung oder Unsicherheit enthalten. Es sind Situationen, die
sich nicht ganz mit den bisherigen Wissensinhalten decken bzw. mit bisherigen Erfahrungen nicht
vereinbar sind bzw. diese in „mittlerem Grade“ in Frage stellen.
Neugier vereint zwei gegensätzliche Tendenzen: Situationen, die Unbekanntes enthalten, ziehen
den Menschen einerseits an, anderseits sind wir auch bestrebt, uns davor zu distanzieren, weil sie
31
auch stets als Unbekanntes gefährlich werden können; je nachdem, welcher der Impulse die
Oberhand gewinnt, wird man sich entweder dem Neuen widmen oder das Neue ablehnen.
Ähnliche Ergebnisse zeigt ach die Bindungsforschung: Exploration und Bindungswünsche sid
ebenso zwei gegensätzliche Impulse.
Für die Unterrichtssituation empfiehlt Brophy (1987) insbesondere in der Einstiegsphase, statt
nüchterne Informationen über den Stoff zu liefern, möglichst viel Kontextinformationen einfließen
zu lassen: „Stelle einen abstrakten Inhalt so dar, dass er persönlicher, konkreter oder vertauter
wird. Definitionen, Prinzipien oder andere allgemeine oder abstrakte Mitteilungen haben für
Schüler solange wenig Bedeutung, wie sie nicht in konkreter Form diskutiert werden“ (Mietzel, S.
356). Deshalb sollten Unterrichtsinhalte so konzipiert werden, dass darin Erfahrungen,
Geschichten, Probleme vorkommen, die der Schüler in seine Lebenswelt übersetzen kann und die
damit in Beziehung stehen.
Es empfiehlt sich, bei bestimmte Fächern, Geographie, Geschichte, Sozialkunde etc. zuvor durch
Fragebogen Informationen über Interessen, Kenntnisse (wer z.B. in welchem Land war, welche
Hobbies hat etc.) der Schüler einzuholen und diese in die Konzeption des Unterrichts einfliesen zu
lassen, um Bekanntheit und dadurch Interesse zu wecken. (z.B. das Projekt „Jasper Woodbury“).
Statt an einer sozialen Bezugsgruppe mit Leistungsrückmeldung über Notengebung zu orientieren,
wird aus pädagogischer Sicht stärker die Orientierung an Lernzielen empfohlen. Hier gilt es,
solche Aufgaben zu stellen, die Schüler bei Anstrengung, unabhängig von ihrem Begabungs- und
Fähigkeitskonzept haben, lösen können. Dadurch steigt mit erfolgreicher Bearbeitung die eigene
Kompetenz. Vergleichbar ist die Beschäftigung mit sportlichen Übungen, bei denen mit
steigernder Beschäftigung das Können besser wird oder der Hobbykocher etc.
Schüler mit Lernzielorientierung resignieren weniger, wenn sie scheitern; sie nehmen sich nicht
als Versager wahr; auch hohe Anstrengung bzw. lange Beschäftigung wird dann nicht als ein
Rückschluss auf die eigene (negative) Begabung wahrgenommen; deshalb können sie ohne Risiko
davon Gebrauch machen bzw. sich lange beschäftigen; mit der Zeit erfahren sie den
Zusammenhang zwischen Beschäftigung / Anstrengung und dem Ergebnis.
Der Unterricht hat nicht nur kognitive Folgen, sondern in der Regel gehen damit auch unbemerkt
und ungewollt- emotionale, soziale und persönlichkeitsprägende Prozesse einher.
32
Cage und Berliner (S. 438-454) haben explizit für den Unterricht einige Motivierungstechniken
vorgeschlagen, die hier wiedergegeben werden sollen:
1. Sage den Schülern präzis, was sie erreichen sollen:
Um Schülerverhalten tatkräftig und richtungsweisend zu unterstützen, muss dem Schüler genaue
Anweisungen gegeben werden, was er bei einer Aufgabe erreichen soll. Sie gehen dabei von der
Beobachtung aus, dass häufig Lehrer im Unterricht sich auf eine Aufgabe stürzen und die Schüler
im Unklaren lassen, was sie genau tun müssen, um die Aufgabe erfolgreich zu lösen bzw. was das
Ziel der Aufgabe ist. Brophy (1982) stellte z.B. fest, dass über 20 % aller im Unterricht neu
gestellten Aufgaben überhaupt nicht einleitend vorgestellt wurden, sondern die Lehrer einfach mit
der Aufgabe anfingen.
2. Lobe den Schüler:
Ei verbales Lob, wie etwa „gut“, „sehr schön“, „gute Arbeit“, das kontingent nach angemessenen
Leistungen oder nach Annäherungen an angemessenen Leistungen angewandt wird, stellt eine
wirkungsvolle Motivierungsmöglichkeit dar. Soziale Anerkennung hat einen starken Einfluss auf
das Leistungsverhalten von Schulkindern. Zuviel Lob oder Lob an falscher Stelle kann jedoch zu
einer Übersättigung führen und ineffektiv werden.
Darüber hinaus führen Cage und Berliner an, dass extravertierte Schüler mehr durch Tadel und
introvertierte, die mehr an ihren eigenen Gefühlen und Gedanken interessiert sind, mehr durch
Lob zu motivieren sind.
Effektives bzw. ineffektives Loben:
Effektives Lob:
Wird kontingent, d.h. planmäßig erteilt
Die Einzelheiten des Erreichten werden spezifiziert
Äußert sich spontan; wirkt glaubwürdig; verdeutlicht die klare Zuwendung zum Schüler und
seiner Leistung
Belohnt das Erreichen unter Einschluss der Bemühungen
Informiert den Schüler über seine Kompetenz oder den wert seiner Leistung
Stellt für Schüler eine Orientierungshilfe dar
Verwendet frühere Leistungen des Schülers als Kontext zur Beschreibung momentaner
Leistungen
Erkennt die Anstrengung oder den Erfolg bei für diesen Schüler besonders schwierigen
Aufgaben an
Schreibt Erfolg dem Bemühen und der Fähigkeit des Schülers zu
33
Richtet die Aufmerksamkeit des Schülers auf sein aufgabenbezogenes Verhalten
3. Verwende Tests und Noten mit Bedacht:
Tests und Noten werden in der Regel das Leistungsverhalten von jenen Schülern positiv
beeinflussen, die in den Noten einen Wert erkennen, der jenseits des Unterrichts liegt
(Anerkennung, schulische, berufliche Vorteile etc.), aber die von außerhalb auferlegten Noten
können dazu führen, dass der Lerneifer außerhalb des Unterrichtskontextes nachlässt.
Tests und Noten sind dann förderlich, wenn sie eingesetzt werden, um den Schüler zu informieren,
wen sie ihm als Indikator für die Anstrengung des Schülers dienen; nicht jedoch, wenn sie
eingesetzt werden, um den Schüler zu bestrafen oder als Nachweis dienen, wie gut oder schlecht
ein Schüler im Vergleich zu den anderen Schülern steht.
4. Spannung, Entdeckung, Neugier wecken
Stimuli, die neu, überraschend, komplex oder mehrdeutig sind, lassen eine Wachheit entstehen,
die Berlyne (1965) als eine „epistemische Neugier“ bezeichnet hat. Ist diese Neugier vorhanden,
ist der Mensch in einem motivierten Zustand; er versucht, das Ausmaß der Unordnung, mit dem er
konfrontiert ist, zu mindern. Die Motivation hält so lange an, bis der Konflikt zwischen den
kognitiven Schemata aufgelöst ist. Die Schüler können jedoch gelangweilt oder frustriert werden,
wenn das Problem so gestaltet ist, dass sie diese nicht lösen können; d.h. es sollte mit ihren
kognitiven Kompetenzen auch prinzipiell lösbar sein.
5. Tue gelegentlich etwa Unerwartetes
Hier wird vorgeschlagen, im Unterricht gelegentlich bspw. auch den „Spieß“ umzudrehen, derart,
dass z.B. die Schüler den Lehrer nach seinen Lernproblemen fragen, die Schüler selber mal einen
Test für den Lehrer entwerfen etc. Der Effekt ist, dass die Aufmerksamkeit und die Beteiligung
der Schüler steigt, wenn routinisierte Interaktionsmuster gelegentlich durchbrochen werden.
6. „Appetit anreizen“
Schüler sollten gelegentlich kleine Belohnungsproben erhalten, bevor sie mit dem Lernen
beginnen. Sie sollten erfahren, was sie noch durch weitere Bemühungen bekommen können, so
z.B. den Kindern eine spannende Lektüre kurz vorlesen und sie dann selber lesen lassen. Die
Anfangsstadien einer Aufgabe bspw. sollten leicht gehalten werden, so dass die Schüler zu Beginn
Erfolgerlebnisse haben. Dann könne sie schrittweise erhöht werden. Aneignung von Kenntnissen
sollte zu Beginn mit häufigen Belohnungen einher gehen.
34
7. Verwende Bekanntes als Beispiele
Empfohlen wird bspw. bei Textaufgaben den Schülern bekannte Namen (statt abgedroschene
Namen wie Frau Müller oder Herrn Meyer) oder Situationen vorzugeben.
8. Wende das Gelernte auch an
Das bisher Gelernte soll auch verwendet werden; dadurch wird auch die Erwartung geweckt, dass
das gerade Gelernte auch später wieder gebraucht werden wird; in den jeweiligen
Aufgabenstellungen sollten deshalb stets auch Bezüge zum früher Gelernten vorhanden sein.
9. Verwende Simulationen oder Spiele im Unterricht
So können bspw. im Sozialkundeunterricht statt eines Vortrages über Drogen- oder
Gettoisierungsprobleme diese Szenen von den Schülern in verscheiden Akteure eingeteilt (Polizei,
Dealer, Süchtige, Arme etc.) gespielt und daran diskutiert werden. Spielerische Lernmethoden
sorgen für Spaß; sorgen für wichtige Lernerfahrungen und können auch dem Lehrer die
Möglichkeit geben, die Lernformen der Schüler nachzuvollziehen.
10. Verringere die Attraktivität konkurrierender Motivierungssysteme
Hier gilt es zu analysieren, warum Schüler die Schule schwänzen, zu spät kommen oder sich den
Leistungsforderungen widersetzen. Welche anderen Motive sind existent? Bedürfnis nach
Anerkennung durch andere? Wie etwa bei de Klassenkaspar oder wird das Leistungsbedürfnis in
der Schule nicht gut abgedeckt, dafür aber eher im Freizeit oder sportlichen Betätigungen?
11. Minimiere unangenehme Konsequenzen der Schüler bei der Beteiligung am Unterricht
Beteiligung des Schülers sollte stets positiv verstärkt werden; aversive Auswirkungen, wie etwa
Verlust der Selbstachtung des Schülers, wenn er die Aufgabe nicht richtig löst, oder nicht
mitkommt, weil das Tempo zu schnell ist etc. gering halten.
Einfluss der Familie auf die Lernmotivation:
Die Bedeutung der Familie für die Genese motivationaler Orientierungen ist recht spät, erst ab den
90-er Jahren intensiv erforscht worden; die Forschung war weitestgehend fokussiert auf das
Setting „Schule“.
Vor dem Hintergrund der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan hat Wild versicht, die
familialen bzw. erzieherischen Haltungen zu eruieren, die Einfluss auf die Lernmotivation des
35
Kindes haben. Dabei knüpft sie auch an die empirischen Belege, die Tausch und Tausch in ihrer
Erziehungspsychologie (1973) vorgelegt hatten.
In neueren Studien (Ginsburg & Bronstein, 1993; Grolnick & Ryan, 1989) ist empirisch belegt,
dass elterliche Autonomieunterstützung eine motivfördernde Wirkung hat bzw. elterliche
Kontrolle demotivierende Wirkungen nach sich zieht.
Für die Förderung des Kompetenzerlebens konnten längsschnittliche Analysen zeigen, dass ein
stimulierender Familienkontext, der sich durch eine hohen Anregungsgehalt und eine starke
kulturelle Orientierung auszeichnet, günstig auswirkt und die intrinsische Motivation von
Schülern steigert.
Was das Zusammenspiel bzw. die Interaktion schulischer und häuslicher Lernumgebungen
betrifft, so zeigen sich Leistungs- und Motivationsprobleme dann, wenn Schüler eine
Diskontinuität zwischen den in der Familie und in der Schule vorherrschenden Interaktionsformen
erkennen (Hansen, 1986). Diesen Befund haben Paulsen, Marchant, Rothlisberg dahingehend
differenziert, dass sie nachweisen konnten, dass diese wahrgenommene Inkongruenz nur bei jenen
Schülern mit schlechten Leistungen einher ging, die ihre Eltern als gleichgültig, ihre Lehrer aber
dagegen als autoritär beschrieben.
Wild hat in ihrer Studie mit 169 Schülern im Alter von 11 bis 14 Jahren (M=12,6 J.) eine
Fragebogenuntersuchung durchgeführt. Sie konnte darin zeigen, dass Schüler umso stärker
intrinsisch
motiviert
waren,
je
eher
die
Lehrer
aus
der
Sicht
der
Schüler
eine
autonomieunterstützende Form des Umgangs pflegten,
sie über den Unterricht hinausgehndes persönliches Interesse an den Schülern zeigten, und
für ein hohes Maß an Stimulation und gut strukturierten Unterricht durchführten.
Die Schüler waren dagegen umso stärker extrinsisch motiviert, je mehr sie sich vom Lehrer
kontrolliert fühlten.
Tabelle:
Zusammenhänge
zwischen
Instruktionsverhalten
von
Lehrern,
elterlichen
Schulengagement und der intrinsischen und extrinsischen Schülermotivation (Wild, 2001)
Intrinsische Mot.
Extrinsische Mot.
Lehrer
.48**
.26**
Eltern
.27**
-.02
Lehrer
-.08
.20**
Eltern
.04
.27**
Verhaltensdimension
Autonomieunterstützung
Kontrolle
36
Struktur
Emotionale Zuwendung
Stimulation
Lehrer
.24**
.04
Eltern
.17*
.13
Lehrer
.48**
.22**
Eltern
.33**
-.01
Lehrer
.45**
.13*
Eltern
.34**
.05
** p<.01; *p<.05
Es konnte also gezeigt werden, dass nicht nur die Merkmale des Lehrerverhaltens, sondern auch
der elterliche Umgang mit schulischen Belangen einen substanziellen Beitrag zur Aufklärung von
Unterschieden in der Lernmotivation hat; schulische und familiale Bedingungen wirkten sich in
dieser Studie als kompensatorisch bzw. ergänzend auf die Lernmotivation aus. Das impliziert, dass
Förderungen in den jeweiligen Kontexten die Defizite im jeweils anderen Kontext ein Stück
aufheben kann.
37
03.05.: Gestaltung lernförderlicher Schulumwelten
1.
Allgemeine
Zusammenhänge
zwischen
individuellen
kognitiven
Fähigkeiten
und
Schulmerkmalen
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
4. Formen und Konzeptionen des Unterrichts
5. Wirksame Lernstrategien im Unterricht
1. Allgemeine Zusammenhänge zwischen individuellen kognitiven Fähigkeiten und
Schulmerkmalen
1. Zunächst ist ganz allgemein nach der Rolle der Bildungsinstitutionen in einem bestimmten
kulturellen Umfeld für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten zu fragen. Hier zeigt sich, dass die
Zusammenhänge zwischen individuellen kognitiven Fähigkeiten und Schulmerkmalen –
Schulform, Schul- und Unterrichtsqualität, Ausbildungsdauer etc. – meist geringer sind als die
Korrelationen zur Bildungsnähe des Elternhauses (Good & Brophy, 1986). Meist ist zu erkennen,
dass Vorfähigkeiten der Schüler und Persönlichkeitsmerkmale am aussagekräftigsten zur
Prädiktion der Schulleistung sind: So waren z.B. bei einer Metaanalyse von Wang, Hertel und
Walberg (1993) für Schulleistungen proximale Variablen (individuelle Schülermerkmale, einzelne
Unterrichtsmerkmale) erklärungsmächtiger als distale Variablen (überindividuelle Schulkultur,
Schulorganisation).
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
Die Bedeutung des Schulunterrichts für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten wird vor allem im
Kulturvergleich noch deutlicher; allerdings ist das ein unerschöpflich breites Thema, weshalb hier
nur auf einige kontrastierende und illustrierende Aspekte eingegangen werden soll.
Zwar ist Schulunterricht in den meisten Ländern verbreitet, explizite und implizite Inhalte des
schulischen Lernens konfligieren jedoch gelegentlich mit herkömmlichen Werten. So gilt etwa
selbstständiges Denken und Infragestellen herkömmlicher Antworten oft als unerwünscht. Wober
(1984) untersuchte als Beispiel den Intelligenz-Begriff traditioneller Kulturen in Uganda. Als
intelligent gilt „Respekt vor den Älteren“, „Achtung der Eltern“, „Geschichte des Landes
38
auswendig kennen“, Gehorsam rangiert vor akademischen Fähigkeiten als Indikator für
Intelligenz. Der Dienst an bestehenden Normen und Werten, an der Wahrung der Tradition, ihrer
Sitten und Gebräuche wird honoriert, Stabilität und Harmonie stehen vor Innovation und
Individualität. Kulturelle Werte spiegeln sich in Gesellschaft, Erziehungsverhalten und
Schulunterricht wider, was sich auf Form und Ausprägung kognitiver Fähigkeiten auswirkt.
In prämodernen Gesellschaften liegen häufig – aus westlicher Sicht betrachtet - defizitäre
Unterrichtsbedingungen vor: Probleme in der Schulorganisation (Schulverwaltung, Durchsetzung
der Schulpflicht usw.), veraltete Curricula, schlechte Ausstattung (fehlende Tische, Stühle und
Schulbücher), eine hohe Absentismusrate (Tippelt, 2002), ein ungünstiges Schüler-LehrerVerhältnis (z.B. wird für Tansania etwa ein Verhältnis von 45:1 angegeben), oft ist Schulgeld zu
bezahlen, und häufig ist die Regelschulzeit deutlich kürzer (in der Türkei bspw. bis 1998 nur eine
fünfjährige Schulpflicht).
Neben den eher schwierigen Unterrichtsbedingungen ist jedoch auch der praktizierte
Schulunterricht lernpsychologisch für den Erwerb kognitiver Fähigkeiten oft eher ungünstig:
Bspw. legen in einigen afrikanischen und arabischen Gesellschaften die Lehrer eher Wert auf
mündliches Lernen und Auswendiglernen (vgl. Müller, 2002), hingegen sind Verstehen und
Anwenden
eher
marginale
Aspekte.
Geprüft
wird
eher
das
korrekte
Wiedergeben
(Stoffmemorierung statt Verständnis); und Respekt sowie Gehorsam stellen wichtigere
Orientierungen dar als selbstständiges Denken.
Aber trotz suboptimaler Bedingungen lässt sich festhalten, dass ein deutlicher Intelligenzgewinn
durch Schulbesuch nachweisbar (Ombredane et al., 1956) nachweisbar ist:
So konnte Rindermann extreme Unterschiede in den gemessenen Intelligenztestergebnissen bei
jugendlichen und erwachsenen Yanomani-Indianern zeigen:
Er konnte zeigen, dass nicht beschulte Yanomami Aufgaben eines einfachen Intelligenztests trotz
verschiedener Instruktionsvarianten (sprachliche Erklärung auf Portugiesisch und Yanomami,
gestische Erklärung, mehrfache Durchführung, Hilfe eines dort lebenden Betreuers) nicht lösen
können (Rindermann, 2002).
Dabei
wurde
das
SPM-Verfahren
von
Raven
herangezogen,
das
schlussfolgerndes
(induktives/logisches) Denken als Maß fluider oder analytischer Intelligenz anhand abstrakter
graphischer Aufgaben misst.
39
Die Aufgaben sind ab dem 10. Lebensjahr selbsterklärlich. Mit Instruktion können die SPM auch
schon bei Grundschulkindern zur Intelligenzmessung eingesetzt werden. Brasilianische
Siedlerkinder im Alter von 13 oder 17 Jahren konnten die Aufgaben ohne Instruktion bearbeiten.
Die Raven Matrizentests (die farbigen Coloured Progressive Matrices, CPM, die Standard
Progressive Matrices, SPM, und die etwas schwierigeren Advanced Progressive Matrices, APM)
werden – trotz der Kritik an der Kulturfairness dieses Tests - als gute Indikator für allgemeine
Intelligenz in kulturvergleichenden kognitiven Studien betrachtet.
Neben dem Fehlen der Schule spielen hier aber auch kulturelle Unterschiede eine große Rolle:
Yanomami verfügen über keine Schriftsprache und kein komplexes Zahlensystem.
Diese – Schrift wie Zahl (unsere nächsten Veranstaltungen werden sich den Defiziten in diesen
Bereichen und ihrer Förderung widmen: Dyslexie und Dyskalkulie) bilden die stoffliche,
materielle Basis für Sprache und Mathematik, wodurch in der Regel hypothetisches, kontextfreies
und formales Denken gefördert wird.
Yanomani-Indianer sind in ihrer visuellen Wahrnehmung und in ihrem Denken nicht geübt im
Umgang mit abstrakten Zeichen, mit Schrift, Zahlen und Ziffern.
Gerade die Schrift fördert in der Rezeption als Träger für sprachliche Inhalte verbale und
kognitive Kompetenzen; darüber hinaus fördert Schrift bei aktiver Verwendung über die kulturell
vermittelten höheren Anforderungen an grammatischer und orthografischer Korrektheit, an
Anschlussfähigkeit und Hierarchie der Satzteile und Sätze untereinander, an Aufbau des Textes,
Gliederung der Gedanken und Struktur der Argumente kognitive Kompetenzen der Schreibenden.
Dort, wo die Möglichkeiten der Übung von Abstraktion durch Schrift, Zahlengebrauch, Geld oder
Schule fehlen, erleiden auch intellektuelle Fähigkeiten eine Einbuße.
Kognitive Entwicklung wird in der Regel als ein durch Umweltanregungen beeinflussbarer
Prozess betrachtet. Deshalb eröffnen sich hier Möglichkeiten gezielter Förderung auf
verschiedenen Ebenen:
in Schulen,
an der Schulstruktur,
m Unterricht,
bei der Freizeitgestaltung,
im Elternhaus,
in der Beeinflussung von Persönlichkeitsmerkmalen,
sowie an kollektiv geteilten Überzeugungsmustern.
40
Im Kindes- und Jugendalter sind formale Bildungsinstitutionen zentral. Kognitive Fähigkeiten –
Intelligenz und vor allem Wissen – lassen sich direkt durch Schule und Unterricht beeinflussen.
Relativ unstrittig ist hierbei, dass mehr Unterricht pro Jahr und längerer Unterricht im Leben eines
Heranwachsenden sich positiv auf kognitive Fähigkeiten auswirken (Ceci, 1991). Deshalb kann
eine Förderempfehlung daraus lauten,
a) dass möglichst viele Kinder ab möglichst jungem Alter möglichst lange mit hoher
Jahresunterrichtsstundenzahl eine Schule besuchen. Hieran sollte sich eine weitere formale
Ausbildung (Lehre, Studium) anschließen;
b) Unterricht darf nicht ausfallen. Bei Erkrankung eines Lehrers sollte der Unterrichtsinhalt durch
einen anderen Lehrer vermittelt werden (nicht nur bloße Aufsicht).
Pädagogisch und für schulische wie konkrete politisch-administrative Interventionen besonders
aufschlussreich sind die Zusammenhänge zwischen Schul- bzw. Unterrichtsmerkmalen und
Schülerkompetenzen.
Kognitive Fähigkeiten fördernde Schulen nach Good und Brophy
Nach Good und Brophy (1986) zeigen sich zwischen guten und schlechten Schulen innerhalb der
USA bei gleichem sozio-ökonomischen Status der Herkunftsfamilien Unterschiede von d=1 in
Schülerleistungen. Eine gute Schule bedeutet:
•
starke Führung: Direktor führt und macht Unterrichtsbesuche,
•
hohe Erwartungen an die Schülerleistung aller Schüler,
•
Anerkennung des Schülererfolges,
•
klare Ziele,
•
klare Leistungsstandards,
•
maximalisierte Lernzeit die für Unterricht genutzt wird,
•
Evaluation des Lernfortschritts,
•
die Schule fühlt sich für Lernerfolge aller ihrer Schüler verantwortlich,
•
Lehrerweiterbildung,
•
gute Atmosphäre, elterliche Unterstützung und Einbeziehung sowie ein hohes Schulethos.
Die Klassengröße war dagegen innerhalb gewisser Grenzen eher unwichtig.
41
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
Neben solchen schulstrukturellen Maßnahmen spielt auch die Unterrichtsqualität eine große
Rolle.
Gute Lehrer überwachen den Wissensfortschritt, vermitteln zeiteffektiv viel Unterrichtsstoff,
steuern Unterrichtsprozesse und Wissensvermittlung, führen die Klasse lernzielorientiert und
setzen themenadäquat offene Unterrichtsformen ein. Die metakognitiven Voraussetzungen für
selbstständiges Lernen müssen für das Gelingen solcher Lernprozesse gegeben sein (Weinert,
1996). Bei schwächeren und jüngeren Schülern insbesondere ist unterstützende Kontrolle
notwendig (Korrelation mit Leistungszuwachs bei Weinert r =.32), der Unterricht muss hier
stärker lehrergeleitet und schülerzentriert sein. Eine zentrale Größe in den verschiedensten Studien
sind Struktur und Klarheit (z.B. bei Weinert, Schrader & Helmke, 1989, Klarheit r = .39 mit
Schülerkompetenzen).
Wenn über Lernförderung gesprochen wird, ist vorab festzuhalten, dass Lernen von verschiedenen
Kontextfaktoren abhängig ist, die im Unterricht verschieden gestaltet werden können: Diese
Lernumgebung besteht in der Regel aus den Komponenten:
•
Unterrichtsmethoden und Unterrichtstechniken
•
Lernmaterialen
•
Medien
Auch wenn Unterricht vielfach als Vermittlung von Wissen betrachtet wird, liegen dem Unterricht
grundsätzlich als übergeordnete Ziele auch stets Fragen der Bildung bzw. der gesellschaftlichen
Auffassung von einem „gebildeten Bürger“ zugrunde. Unterricht, Lehre hat neben
Wissensanreicherung auch immer eine persönlichkeitsprägende Wirkung auf die Lernenden: Es
hat nicht nur kognitive Folgen, sondern – es werden vielfach nebenbei - auch emotionale, soziale
und andere persönlichkeitsformative Prozesse eingeleitet.
4. Formen und Konzeptionen des Unterrichts
Es lassen sich zwei Extrempositionen zum Lernen und Lehren in Unterrichtskontexten aufzeigen:
1) Technologische Position: Gegenstandszentrierte Heranhegensweise: es sind geschlossene
Lernumwelten; die Instruktion steht im Vordergrund. Lernumgebunden sind aus dieser Position
dann optimal, wenn die im Lehrplan aufgeführten Inhalte möglichst systematisch und organisiert
42
dargeboten werden können. Der Lehr-Lern-Prozess wird als ein Prozess betrachtet, bei dem ein
Wissenstransport stattfindet; der Lehrende hat eine aktive Rolle; Wissensinhalte präsentieren und
erklären. Lernender haben eher eine Passive Rolle: Rezeption des dargebotenen Wissens.
Durch die weitestgehend rezeptive Rolle ist jedoch mit einer Reduktion der Eigeninitiative und
Selbstverantwortung der Schüler zu rechnen; Schüler können sich dadurch demotiviert bzw.
extrinsisch motiviert fühlen; Mangelndes Interesse kann zu Unlust, Disziplinproblemen und
Leistungsverweigerung führen.
Das in geschlossenen gegenstandszentrierten Lernumgebungen und nach sachlogischen Kriterien
aufbereitete Wissen hat häufig mit den komplexen und weniger strukturierten Problemen und
Erfahrungen des praktischen Alltages wenig gemeinsam, so dass der Transfer sehr schwer fällt.
Folge davon ist deshalb häufig ein „träges“ Wissen, was nicht oder nur unzureichend zur
Anwendung kommt (Krapp & Weidemann, S. 625).
2) Konstruktivistische Positionen: Offene, situierte Lernumgebungen: Hier dominiert der Aspekt
der Konstruktion des Lerngegenstandes –durch die Lerner und nicht die Instruktion durch den
Lehrer.
Dieser Aspekt wird in der folgenden Darstellung einen größeren Raum einnehmen, weil für
Prozesse der Lernförderung sich diese eher eignen.
Konstruktivismus als Ansatz:
Während ein Realismus, grob verkürzt, davon ausgeht, dass eine vom Subjekt unabhängige
externe Wirklichkeit existiert und dass wir prinzipiell diese externe Wirklichkeit erkennen, und
insofern wissen können, wie die „Dinge an sich“ sind, bestreitet der Konstruktivismus diese
Annahme und verlagert die theoretische Aufmerksamkeit auf die Interdependenz von Beobachter
und beobachteter Welt. Der Konstruktivismus vertritt die These, dass die Tätigkeit des Erkennens
Einfluss auf das Erkannte bzw. das zu erkennende Objekt hat, und dass die Methode der
Erkenntnis Einfluss auf die Formung des Erkenntnisgegenstandes hat.
Eine weitere zentrale These des Konstruktivismus ist darüber hinaus, dass das Subjekt sein Wissen
auf der Grundlage seiner Erfahrung aufbaut und dass das, was wir „unsere Welt“ nennen, sich
darauf aufbaut, was wir aus unseren Erfahrungen machen.
Die bisher dominante Vorstellung von Wissen als einer Menge kognitiver Repräsentationen, die
abstrakt und losgelöst von jedem Kontext abgespeichert sind, wird in konstruktivistischen
43
Ansätzen radikal hinterfragt. Wissen ist keine Kopie der Wirklichkeit und lässt sich nicht vom
Lehrenden zum Lernenden transportieren. Bspw. lässt sich auch der Tenor der konstruktivistisch
geprägten Situated Cognition-Bewegung so zusammenfassen: Wissen wird zum einen durch das
wahrnehmende Subjekt konstruiert, zum anderen aber auch in der Gemeinschaft sozial
ausgehandelt; d. h. Wissen wird von Individuen im Rahmen sozialer Transaktionen gemeinsam
entwickelt und ausgetauscht. Wissen ist stets kontextgebunden, weshalb Person, Wissen,
Handeln und Situation stets gemeinsam zu analysieren sind. Denken und Wissen erhalten erst
durch das laufende Handeln in Situationen ihre Bedeutungen.
Entstehung konstruktivistischer Ansätze in der pädagogischen Psychologie: Wie lässt sich träges
Wissen vermeiden?
Wie sind Lernende zu spontaner Aktivität und Eigenverantwortung zu motivieren?
Probleme des konstruktivistischen Auffassung:
•
In unmittelbaren Überprüfungen der Leistungen durch Wissenstest haben Förderungen
nach konstruktivistischen Prinzipien nicht auf Anhieb immer positive Ergebnisse gezeigt;
erst bei Studien mit einer längerfristigen zeitlichen Perspektive konnten durchgehend
positive Effekte des Einflusses des situierten Lernens gezeigt werden.
•
Wenn in situierten Lernumgebungen Anleitungen oder Unterstützung fehlen, kann es in
der Praxis zu unerwünschten Effekten wie Desorientierung und Überforderung kommen
(Gräsel & Mandl, 1993)
•
Leistungsstarke profitieren von situieren Lernumgebungen sehr viel stärker als
leistungsschwache; es besteht daher die Gefahr, dass sich die Kluft zwischen „guten“ und
„schlechten“ Schülern noch vergrößert.
•
Das Vorgehen ist deutlich zeitintensiver und aufwendiger; Kosten-Nutzen-Verhältnis ist
ein gravierendes Problem.
Ein typischer Ansatz der konstruktivistischen Methode:
Cognitive-Apprenticeship-Ansatz von Collins, Brown & Newman:
Cognitive Apprenticeship bezeichnet eher einen Oberbegriff für eine interaktive (zwischen
Lernendem und Experten) Lernmethode, die insbesondere auf Aspekte des traditionellen MeisterLehrling Verhältnisses abzielt und diese nun auf kognitive Lernziele anwendet. Die Kognitive
Lernsituation ist natürlich in vieler Hinsicht anders als das traditionelle Meister-Lehrling Konzept.
Im traditionellen Apprenticeship wird das, was gelernt wird, auf die Arbeitsziele der jeweiligen
44
Industriebranche zugeschnitten. Es ist weniger interessant, ob die gelernten Fertigkeiten auch in
anderen Lebensbereichen einsetzbar sind. Im Cognitive Apprenticeship ist aber eher das Gegenteil
der Fall. Die allgemeinen, übertragbaren Fähigkeiten sind wichtiger als spezielle Inhalte des
gelehrten Stoffes. Zum Beispiel ist es wesentlicher, sich Strategien zum Lesenlernen zu merken
als nur einen einzigen Text vom Inhalt her verstanden zu haben.
Was sind die Schritte des Cognitive Apprenticeship-Ansatzes:
•
Zeigen des Vorgehens eines Experten: der Lehrende führt sein Vorgehen vor und
erläutert, was er im Einzelnen tut und sich dabei denkt. Dadurch werden internale Prozesse
für den Lernenden wahrnehmbar, beobachtbar - Modeling
•
Individuelle Ermunterung und Förderung: der Lernende befasst sich selbst mit einem
Problem und wird vom Lehrenden betreut - Coaching
•
Teilproblemlösung durch den Lehrer mit zunehmender Zurücknahme; wenn der Lernende
das Problem nicht selbst lösen kann, hilft ihm der Lehrende – Scaffolding (Scaffold:
Gerüst) and fading (der Lehrende blendet sich immer weiter aus).
•
Sprachliche Externalisierung des Wissens durch die Lernenden; der Lernende wird
aufgefordert, seine Denkprozesse und Strategien zu artikulieren - Articulation
•
Vergleich der eigenen Denkprozesse mit denen der Experten; ablaufende Prozesse beim
Lernen werden mit anderen und dem Lehrenden diskutiert - Reflection
•
Eigenständige Problemlösung durch die Lernenden; der Lehrende zieht sich ganz zurück
und die Lernenden werden zu weiteren selbstständigen Problemlösungen angeregt Exploration
Reciprocal Teaching als eine typische Methode des Cognitive Apprenticeship:
Reciprocal Teaching läuft wie folgt ab:
1. Lehrer und Schüler lesen beide einen Text für sich;
2. Der Lehrer formuliert eine Frage und eine kurze Zusammenfassung, die auf den Text
basiert;
3. Wörter, die unklar sind, werden identifiziert und Vorhersagen auf den Inhalt des Texts
werden aufgestellt;
45
4. Die Rolle des Lehrers wird in späteren Sitzungen wechselnd von den Schülern
übernommen (daher der Name Reciprocal Teaching).
Mehrere Elemente von idealen Lern Umgebungen sind in dem Reciprocal Teaching Modell zu
erkennen wie zum Beispiel: Modelling, Scaffolding, Heuristic Strategies, Coaching, und
Articulation.
Erfolg des Reciprocal Teaching
Reciprocal Teaching ist höchst effektiv. In Studien mit Schülerkleingruppen (Palincsar u. Brown,
1984) mit 4 bis 7 Schülern stiegen Textverständniswerte von 40 % korrekt gelösten Aufgaben bis
auf 80 % korrekt gelöste. Diese Verbesserung hatte sich auch nach 8 Wochen kaum verringert. In
einer Studie mit Schülern, die unterdurchschnittlich gelesen haben, war ein Anstieg von 15%
korrekt gelöst auf 85 % nach 20 Trainingssitzungen registriert worden.
5. Wirksame Lernstrategien im Unterricht
Wie kann selbstgesteuertes Lernen gefördert werden?
Für die Förderung/Beeinflussung der Lernmotivation gibt es prinzipiell zwei Ansatzpunkte
(Rheinberg, 1998): die Lernsituation und / oder die Person des Lernenden.
Im ersten Fall geht es darum, die Situation so zu gestalten, dass sie Selbststeuerung anregt. Im
zweiten Fall geht es darum, die Person so zu verändern, dass sie günstige motivationale
Voraussetzungen, z.B. in Form von angemessenen Zielsetzungen, Attributionsstilen und
Selbstbewertungstendenzen, zur Bewältigung von Lernsituationen erwirbt. Im folgenden sollen
einige Hinweise gegeben werden, wie Lernsituationen zu gestalten sind, damit sie
selbstgesteuertes Verhalten aktivieren.
Es gibt einige Gründe dafür, die gerade die allgemeinbildende Schule als besonders geeignet für
die Entwicklung der Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen erscheinen lassen (Friedrich, 1997):
- Die Langfristigkeit schulischen Lernens: Selbstgesteuertes Lernen lässt sich nicht im Rahmen
kurzfristiger Maßnahmen realisieren, die Vermittlung muss langfristig angelegt sein. Die
Langfristigkeit schulischen Lernens – zwischen neun und dreizehn Jahren – lässt das Verhältnis
zwischen dem Aufwand und dem Ertrag in einem günstigen Licht erscheinen.
- Die Möglichkeit zur Kombination von Inhalts- und Strategievermittlung:
46
Die allgemeinbildende Schule ist der Ort, an dem die Vermittlung von Lernstrategien in
Kombination mit der Vermittlung von Inhaltswissen erfolgen kann.
- Die Möglichkeit zum fach- und altersstufenübergreifenden Transfer: In der allgemeinbildenden
Schule mit ihrem vielfältigen, sich jeweils über mehrere Altersstufen erstreckenden Fächerkanon
besteht die Möglichkeit, die Kompetenz zum selbstgesteuerten Lernen fachübergreifend zu
entwickeln.
- Die Schule legt die Grundlagen für das weitere Lernen: Verschiedene Untersuchungen zeigen,
dass Lernstrategien und Lernmethoden im Erwachsenenalter nicht mehr so einfach zu beeinflussen
sind (Friedrich, Fischer, Krämer & Mandl, 1985). Deshalb ist es naheliegend, bereits in der Schule
dafür zu sorgen, dass die richtigen Lernstrategien und –methoden gelernt werden. Wenn
selbstgesteuertem Lernen der Rang einer Schlüsselqualifikation zugesprochen wird, dann sollten
auch verstärkt Anstrengungen unternommen werden, diese Qualifikation systematisch zu
entwickeln. In der Schule sollte Lernen nicht bloß geschehen, sondern Lernende sollten am Ende
ihrer schulischen Biografie über ein Repertoire an Strategien und Fertigkeiten für das
selbstgesteuerte Lernen verfügen, die sie bewusst, aufgaben- und situationsangemessene einsetzen
können (Dubs, 1993). Sie sollten sozusagen Experten für (Weiter)Lernen sein.
Führt man sich den bereits mehrfach zitierten Sachverhalt vor Augen führt, dass selbstgesteuertes
Lernen Voraussetzung, Methode und Ziel des Unterrichtens ist (Weinert, 1982), so wird klar, dass
der Weg nicht einfach ist, den die Schule zu beschreiten hat, um das Ziel „selbstgesteuertes
Lernen“ zu erreichen. Es geht darum, diese Zielkompetenz durch die Methode des
selbstgesteuerten Lernens zu erreichen, ohne dabei interindividuelle Unterschiede in den
Voraussetzungen für selbstgesteuertes Lernen zu vernachlässigen. Im folgenden werden einige
Elemente skizziert, die dazu beitragen können, dieses Ziel zu erreichen.
Realisierung von Unterrichtsformen, die Selbststeuerung erfordern!
Selbststeuerung, auch jene beim Lernen, muss durch Situationen herausgefordert werden, die
Selbststeuerung erfordern. Solche Situationen können mit Hilfe von Unterrichtsmethoden
geschaffen werden, die den Lernenden Freiheitsgrade für eigene Entscheidungen einräumen bzw.
eigene
Entscheidungen
und
Verantwortungsübernahme
von
Unterrichtsmethoden sind beispielsweise (vgl. Wiechmann, 1999)
- das Gruppenpuzzle und andere Kooperationsskripte,
ihnen
verlangen.
Solche
47
- die Stationenarbeit,
- die Wochenplanarbeit,
- die Projektmethode,
- das entdeckende Lernen und
- die Freiarbeit.
Entwicklung von Lernstrategien und Methodenkompetenz
Die meisten der eben genannten Unterrichtsmethoden, die selbstgesteuertes Lernen erfordern,
setzen auf Seiten der Lernenden bereits eine beachtliche Methodenkompetenz in Form effektiver
Lernstrategien voraus. Eine Fähigkeit, die bei vielen dieser Unterrichtsmethoden eine zentrale
Rolle spielt, ist das selbstständige Lernen mit Texten. Einige wichtige Kompetenzen, die beim
Umgang mit Texten in den verschiedensten Inhaltsgebieten eine Rolle spielen, sind (Friedrich,
1995; Weinstein & Mayer, 1986):
- Elaborative Lernstrategien, z.B. das eigene Vorwissen aktivieren (Schmidt, De Volder, De
Grave, Moust & Patel, 1989), neue Information mit vertrauten Wissensbeständen (Beispielen,
Analogien, Kategorien, Schemata) verknüpfen (Brooks & Dansereau, 1983; Mayer, 1988), sind
bewährte Verstehensstrategien, die eine tiefe Verarbeitung neuer Information unterstützen und
damit zumeist auch zum dauerhaften Behalten beitragen.
- Reduktiv-organisierende Strategien, z.B. einen Text in wenigen Worten zusammenfassen
(Friedrich, 1995b; Reder, 1985), Wissen in Form von Konzeptmaps, Begriffshierarchien u.a.
Formaten darstellen (Jonassen, Beissner & Yacci, 1993; Eckert, 1999; Fischer & Mandl, 1999)
erfordern ebenfalls einen aktiven Umgang mit Wissen und sind deshalb ausgesprochen verstehensund behaltensfördernd.
- Metakognitive Strategien, welche die Lernenden darin unterstützen, ihre eigenen
Verstehensprozesse zu planen, zu überwachen und zu kontrollieren. Hierzu gehört beispielsweise,
sich vor dem Lernen inhaltliche Ziele zu setzen und deren Erreichung später zu überprüfen
(Morgan, 1985), sich lernbegleitend oder nach dem Lernen Verständnisfragen zu stellen (Haller,
Child & Walberg, 1988; King, 1991; Neber, 1999).
48
Die Bedeutung dieser Strategien für den Wissenserwerb wurde in vielen Untersuchungen zum
Lernen mit Texten bestätigt (Ballstaedt, Mandl, Schnotz & Tergan, 1981; Kintsch, 1998; Schnotz,
1994).
Die systematische Vermittlung von Lernstrategien in der Schule erfordert im Endergebnis eine
gemischte Inhalts- und Prozessorientierung von Unterricht: Strategien werden zu einem
Gegenstand von Unterricht wie andere Unterrichtsgegenstände auch. Inhaltsvermittlung wird
dabei zugunsten der Vermittlung solcher Lernstrategien reduziert, die den späteren
selbstgesteuerten Erwerb von Inhaltswissen unterstützen (Glaser, 1990). Dies bedeutet jedoch
nicht, Inhaltsvermittlung durch Strategievermittlung zu ersetzen: Die Lernstrategien sollen nicht
zum Selbstzweck werden, sondern Instrumente für den Erwerb von Inhaltswissen bleiben, die in
der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Inhalt erworben werden.
In schulorganisatorischer Hinsicht müssen im Hinblick auf einen solchen Vermittlungsansatz
folgende Probleme gelöst werden (Friedrich, 1999):
- Aus der Vielzahl der potenziell wichtigen Lernstrategien müssen jene ausgewählt werden, die in
der betreffenden Schule systematisch vermittelt werden sollen. In der Regel werden es Strategien
mittleren Allgemeinheitsgrades sein, also Strategien, die sich nicht in allen, aber doch in mehreren
Fächern erfolgversprechend einsetzen lassen (z.B. Umgang mit Texten).
- Es müssen Wege und Möglichkeiten für die Einarbeitung der Lehrenden in die Methodik der
Vermittlung von Lernstrategien gefunden werden. Hier hat sich insbesondere die „direkte
Instruktion“ bewährt, mit ihrem kontinuierlichen Übergang von eher gelenkten zu mehr
selbstgesteuerten Aktivitäten (vgl. Boekarts, 1997; Friedrich, 1995; Grell, 1999; Winograd &
Hare, 1988).
- Die „Erstvermittlung“ der Lernstrategien muss organisiert werden, z.B. im Rahmen einführender
Kurse zum Schuljahresbeginn (Klippert, 1998).
- Schließlich muss die wiederholte Anwendung der Lernstrategien in verschiedenen Fächern, zu
verschiedenen Zeitpunkten im Schuljahr und in verschiedenen Klassenstufen organisiert werden,
damit die Strategien aufrechterhalten, ausgebaut und in verschiedenen Inhaltsgebieten angewendet
werden.
Hindernisse, die dem selbstgesteuerten Lernen in der Schule entgegenstehen:
So berichten viele Lehrer von Misserfolgen, wenn sie selbstgesteuertes Lernen in den Klassen
einführen: Dafür scheinen u.a. folgende Gründe in erster Linie verantwortlich zu sein:
49
•
Schüler erhalten keine oder nur unzureichende Anleitung zum selbstgesteuerten Lernen;
insbesondere wenn sie als Kinder nicht bereits schon im Elternhaus gelernt haben, sich
eigenständig Ziele zu setzen, persönliche Interessen zu entwickeln und den Wissenserwerb
nicht
eigenverantwortlich
zu
organisieren,
fehlt
es
dann
in
der
Schule
an
Grundvoraussetzungen für ein selbstständiges Lernen.
•
In vorangegangenen Schuljahren haben sich Schüler an rezeptive Lernhaltungen gewöhnt;
deshalb bevorzugen sie lehrerzentrierte Formen des Unterrichts; die Konsumentenhaltung
ist verbunden mit einem Desinteresse an anspruchsvollen Denk und Lernstrategien.
•
Aber auch eine Prüfungspraxis, die sich weitestgehend an der Reproduktion gelernter
Inhalte orientiert, fördert genau solche Tendenzen; Lerner begnügen sich mit
minimalistischer passiver Wissensaufnahme und vermeiden die für das selbstgesteuerte
Lernen erforderliche höhere Anstrengung.
•
Nicht zuletzt haben auch Lehrende Schwierigkeiten, den Unterricht in der Schule so zu
gestalten, dass selbstgesteuertes Lernen angeregt wird; eher vertrauen sie auf
herkömmliche Unterrichtsformen ihres Faches; aber auch ungünstige Rahmenbedingungen
wie etwa Stofffülle, Kontrolle durch Schulleitung, hohe Zahl an Prüfungen etc. verhindern
die Etablierung selbstgesteuerten Lernens in der Schule.
Kognitive Fähigkeiten lassen sich nicht nur direkt über Unterricht und Trainings, über
Beschäftigung mit kognitiv anspruchsvollen Aufgaben fördern. Eine weitere Form der
Beeinflussung der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten kann indirekt über die Erhöhung der
Bildungsorientierung im Elternhaus (Aufklärung, Elternarbeit) erfolgen. Vor allem bildungsferne
Eltern sollten über den üblichen Elternabend hinausgehende Projekte stärker an Schulen gebunden
werden
(Eltern-Schule-Kooperation,
Elternvereinbarungen).
Elternberatung
kann
helfen,
Freizeitbeschäftigungen von Kindern und Jugendlichen positiv zu beeinflussen.
Zuletzt sollte die Förderung kognitiver Fähigkeiten – aus einer lebensspannenübergreifenden
Perspektive - mit der Schul- und Ausbildungszeit nicht aufhören. Die Beschäftigung mit kognitiv
anspruchsvollen Aufgaben in Beruf und Freizeit, eine Weiterbildung, das Lernen von Sprachen,
die Einarbeitung in Computerprogramme, das Lesen von anspruchsvollerer Literatur und
Zeitungen, die Suche nach kognitiv herausfordernden Problemen und deren Lösung sowie ein
Interesse für kognitiv beanspruchende Themen fördern kognitive Fähigkeiten, Wissen und
Expertise. Vor allem im Alter ist es wichtig, sich weiterhin kognitiven Herausforderungen zu
50
stellen, um Alterungsprozesse durch Strategien und Expertise ausgleichen zu können.
Möglichkeiten hierfür stellen Volkshochschulen, Seniorenstudium oder ein reguläres Studium dar.
Personen mit hohen kognitiven Fähigkeiten sind bei der Kompensation und Herauszögerung von
kognitiven Alterungsprozessen im Vorteil (vgl. Weinert, 1992).
Migration als eine spezifische Herausforderung für den Bildungskontext:
Migration und sprachlich-kulturelle Vielfalt sind im Bereich der Bildung kein neues Phänomen,
sondern durchzieht die gesamte Geschichte des 20. Jh. in Deutschland: So ergab bspw. eine
Volkszählung von 1905, das etwa 12 % der Bevölkerung in Preußen in ihren Familien eine andere
Sprachen als Deutsch (Dänen, Polen, Sorben, Tschechen etc.). Ab Mitte der 50-er Jahre hat diese
Entwicklung mit der Anwerbung von „Gastarbeitern“ eine andere Dynamik bekommen.
Lange Zeit, bis etwa Ende der 70-er Jahre wurde die Bildungsgeschichte von Migrantenkindern
unter der Perspektive ihrer Rückkehr betrachtet und Bildungsanstrengungen betrafen nicht so sehr
ihre Integration in das deutschen Schulleben, sondern eher die Reintegration in die
Herkunftsländer; deshalb die Förderung der Rückehrfähigkeit durch Etablierung eines
muttersprachlichen Unterrichts in der Schulen (Vgl. Krüger-Pontratz, 2006).
Ab den 80-er Jahren findet ein Paradigmenwechsel von der „Ausländerpädagogik“ zur
„interkulturellen Pädagogik“ statt, weil die Evidenz immer erdrückender wird, das auch in
Zukunft Kinder mit Migrationshintergrund ein fester Bestand des deutschen Bildungssystems sein
werden. Dennoch herrschen in Schulkontexten nicht selten eine kulturalistische bzw.
kulturalisierende (d.h. Unterschiede in der Lebenswelt des Einzelnen auf seine bzw. auf die
kulturellen Wurzeln der Eltern des Schülers) zurückführende, von einer Mitleidspädagogik
geprägte Haltungen vor (Schanz, 2006).
Da reichen auch einzelne Projekttage oder Projektwochen zum Thema „interkulturelles
Zusammenleben“, in der dann die „Fremden“ im Mittelpunkt stehen, nicht aus; vielmehr ist auch
Interkulturalität als Mainstream-Aufgabe zu verstehen. Der pädagogische Diskurs im Alltag von
den „ausländischen Kindern“ erzeugt auf einer sprachlichen Ebene aufs Neue die Vorstellung, es
handelt sich um „Fremde“, die nicht dazu gehören, obwohl vielfach die Kinder hier geboren sind
und womöglich auch einen deutschen Pass haben.
„Durch ihr Essen, ihre Folklore sollen sie auch einmal zeige können, was sie mitbringen. Die
Erwartungen sind meist klar und auf die Ethnien als unbewegliche monolithische Blöcke fixiert:
Döner und Pizza, Tarantella und Kreistänze, möglichst noch in Kostümen der alten Heimat.
Werden hier nicht Kinder und Erwachsene, die längst dazugehören, erst zu Fremden gemacht?
51
(…). Durch differenzierende und auf Heterogenität hinweisende Antworten grenzt man sich ab.
(Schanz, 2006, S. 112).
Seit Ende der 90-er Jahre schwankt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund um 9.5% bis
9.8% in allgemein bildenden Schulen.
Zwar zeigt die Entwicklung, dass ihr Bildungserfolg angestiegen ist: so haben bspw. 1989/90
gerade mal 6.4% der Migrantenjugendlichen das Abitur geschafft; 2001/2002 waren es schon etwa
10%. Nach Geschlechtern aufgeteilt, zeigt sich sogar, dass Mädchen erfolgreicher sind als Jungen
Allgemein kann eine steigende Bildungsbeteiligung bei fortdauernder Bildungsbenachteiligung
festgehalten werden: Die Zahl der ausländischen Schüler ohne Abschluss ist vom 30 % zu Beginn
der 80-er Jahre auf knapp 20% bei den männlichen und ca. 16% bei den weiblichen Jugendlichen
mit MH (gegenüber 8.2% bei deutschen Jugendlichen) im Jahre 2001/2002 eindeutig gesunken
Nach wie vor scheint jedoch der Übergang von der Grundschule auf ein Gymnasium eine
entscheidende Hürde zu sein: dreimal so viele deutsche Kinder schaffe diesen Übergang im
vergleich zu Kindern mit MH; je nach Bundesland ist die Widerholerrate bei Kindern mit MH
dopplet oder viermal so hoch; fas doppelt so viele Jugendliche mit MH – im Gegensatz zu
deutschen Jugendlichen verlassen die Schule mit nur einem Hauptschulabschluss: 40 % bei
Migrantenjugendlichen gegenüber 24 bei deutschen Jugendlichen.
Wenn man bspw. Pass und Herkunft trennt und eher vom Migrationshintergrund ausgeht, zeigen
sich die deutliche Unterschiede: türkisch- und italienischstämmige mit deutschen Pass verlassen
öfter die Schule mit Abitur als türkische und italienische Jugendliche mit dem Pass der Herkunft
ihrer Eltern:
14.5 % türk. Jugendl. mit türk. Pass:
20.4% türkischstämmige Jugendliche mit deutschem Pass
21.9 % italien. Jugendl. mit italien. Pass:
35.% italienischstämmige Jugendliche mit deutschem Pass
Die Bildungsnähe der Eltern, vorhandene bzw. fehlende Unterstützung im Elternhaus wirkten sich
stärker auf die sprachliche Bildung der Kinder aus als die sprachlich-kulturelle Herkunft.
Ein weiterer, für den pädagogischen Alltag bedeutsamer Unterschied war jedoch, dass im
Vergleich zu italienischstämmigen die türkischstämmigen Jugendlichen eine geringeren Chance
52
auf eine erfolgreiche Bildungskarriere hatten; Gomolla und Radtke (2002) vermuten eine stärkere
Diskriminierung von türkischstämmige Jugendlichen.
Hierei wird häufig der Begriff der institutionellen Diskriminierung für die Erklärung der
Benachteiligung/Misserfolg gebraucht. Der Begriff stammt aus der „Black Power“ Bewegung in
den 60-er Jahren in den USA und meint, dass Diskriminierungsprozesse nicht nur auf der Ebene
des Handelns von einzelnen Institutionen zu finden sind, sondern im organisatorischen Handeln
bzw. Netzwerk wie etwa Arbeitswelt, Ausbildungsmarkt, Polizei, Wohnungsmarkt etc. Die
Stoßrichtung der Kritik dort war, das in den zentralen gesellschaftlichen Institutionen die
Interessen und Einstellung der „Weiße“ inkorporiert sind. Dabei wird in der Literatur zwischen
direkter institutioneller und indirekter Diskriminierung unterschieden. Während die direkte
Diskriminierung Prozesse des regelmäßigen intentionalen Handelns bezeichnet (z.B. Vorschriften
Erlasse, die bestimmte Gruppierungen benachteiligen), wird mit indirekter institutioneller
Diskriminierung auf die Bandbreite der institutionellen Vorkehrungen Bezug genommen, bei dem
Angehörige bestimmte Gruppen, wie etwa ethnische Minderheiten, überproportional negativ
betroffen sind. Dabei resultiert indirekte Diskriminierung häufig aus der Anwendung gleicher
Regeln, wobei jedoch verscheiden Gruppen ungleiche Chancen zu ihrer Erfüllung haben.
Prozesse institutioneller Diskriminierung sind in der Regel kaum direkt beobachtbar; sind oft
normale Alltagskultur, Routine und Habitus von Institutionen und deshalb von den dort tätigen
Professionellen kaum hinterfragbar (Gomolla, 2006).
Als Gründe für Bildungserfolge bzw. Bildungsbenachteiligung werden auf Seiten der Schüler
folgende Aspekte hervorgehoben:
Verlauf des Migrationsprozesses,
Sicherheit des Aufenthaltsstatus
soziale Herkunft bzw. Sozialstatus im Aufnahmeland
Bildungsbiografie der Eltern
Gegenwärtiges Wohnumfeld der Familie.
Andererseits sind die Gründe des Scheiterns nicht nur auf der Schülerseite zu sichern, sondern
auch in den Institutionen: denn im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Zuwandererkinder
mit einer ähnlichen Migrationsgeschichte in Ländern mit einer weniger selektiv ausgerichteten,
53
z.B. in einigen Bundesländern bereits nach der 4. Klasse erfolgenden, Bildungsstrukturen und
besseren Unterstützungssystemen deutlich bessere Schulleistungen erzielen.
Darüber hinaus wird bildungspolitisch gefordert, dass die Institution Schule sprachlich-kulturelle,
ethnische und nationale Pluralität im Bildungswesens als eine Normalität anerkennen müsse und
die Orientierung an einer homogenen Schülerschaft, bei der Heterogenität als Abweichung
fungiert, aufgebe müsse (Vgl. Krüger-Potratz, 2006).
In einer europäischen Vergleichsstudie hat bspw. Allemann-Ghinda (1999) Schulen in vier
europäischen Staaten nach ihrem Umgang mit Schülern mit Migrationshintergrund untersucht: in
Deutschland, Schweiz, Frankreich und Italien. Im einzelnen fokussierte sie auf Berücksichtigung
der Herkunftssprachen, Maßnahmen für neu zugezogenen Schüler, den Umgang mit
Wertkonflikten, die Zweitsprachdidaktik und Lehrerfortbildungen.
Im Ländervergleich zeigte sich, dass sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz die
Förderung von Migrantenkindern ungünstiger war; es herrschten eher separierende Formen der
Beschulung vor; eine Binnendifferenzierung der Schulen – wie etwa bilinguale Unterrichtsformen
- war gering ausgeprägt.
So hat Schanz bspw. die Erkenntnisse in einer Modellschule in Hannover, die interkulturelle
Bildung
in
die
Schulentwicklung
zu
implementieren
versucht
hat,
systematisch
zusammenzustellen:
Folgende Prozesse bzw. Aspekte ließen sich dabei identifizieren:
1. Zunächst bedarf es einzelner oder einer Gruppe, das Kollegium von den Chancen eines
Aufbruchs in der Schule zu überzeugen.
2. Einbeziehung einer Beratung von außen, die den Prozess langfristig begleitet.
3. Entwicklung einer Dialog- und Konfliktkultur im Kollegium, um sich darüber zu verständigen,
was denn eine „gute interkulturelle Schule“ ist.
4. Implementierung der interkulturellen Bildung in die einzelnen Unterrichtsinhalte.
5. Kontinuierliche Unterstützung des Prozesses durch interne und externe Fortbildung.
6. Einbeziehung der Eltern, insbesondere der Eltern mit MH.
7. Öffnung der Schule nach innen (Unterrichtsinhalte, andere Lehrmethoden etc.) sowie nach
außen (Dialog mit der Kommune).
54
Ein generelles Problem in Schulen bildet folgendes Dilemma: Eine Vermeidung von
Stereotypisierungen führt gelegentlich dann zu einer Differenzblindheit, wenn etwa Lehrer aus
einer trivialen Universalismus meinen: „Ich nehme jeden so, wie er ist. Ich mache keinen
Unterscheid. Kinder sind Kinder.“ Denn in der Tat starten aber nicht alle mit gleichen
Ausgangschancen die Schullaufbahn.
Gegenwärtig erlaubt jedoch der Pass keinen Rückschluss auf pädagogisch-relevante Sachverhalte
wie etwa auf die sprachliche Sozialisation und Sprachkompetenz des Kindes aber auch zum soziokulturellen Hintergrund (Aussiedler, die als deutsche gelten, aber kein deutsch sprechen; hier
geborene Migrantenkinder, die einen deutschen Pass haben, aber in ihre Familien weitestgehend
die Sprache ihrer Eltern, was nicht unbedingt die Amtssprache des Herkunftslandes sein muss, so
z.B. kurdisch sprechende Kinder aus der Türkei, sardisch sprechende Kinder aus Italien,
katalanisch sprechen Kinder aus Spanien, berberisch sprechende Kinder aus Marokko etc.)
sprechen). Man versucht nunmehr, diesen Umstand mit Zusätze wie etwa „Kinder und
Jugendliche mit Migrationshintergrund“ zu spezifizieren.
In den Niederlanden wird z.B. versucht, schon beiden Schülerdaten Geburtsort der Eltern und die
Sprachpraxis in den Familien mit aufzunehmen, um Schülerleistungen angemessener beurteilen zu
können.
Welche Formen der sprachlichen Vielfalt existieren können, zeigt z.B. einen an einer Hamburger
Grundschule durchgeführte Untersuchung (Fürstenau, Gogolin & Yagmur, 2003), in der ca. 100
verschiedene Familiensprache gezählt werden konnten, die die Schüler in die Schule mitbringen;
darunter waren 20 Sprachen, die von 90 % der zweisprachig oder mehrsprachig aufwachsenden
Schüler genannt wurden.
Bildungspolitisch wichtig ist die Frage, wieweit die Institution Schule diese Vielfalt und diesen
Reichtum wertschätzen kann und in der Praxis wertschätzt.
In einer Zusammenfassung der Ergebnisse von vier Studien zu der Frage, in wie weit
pädagogische Haltungen oder Umgangsweisen mit interkulturellen Situationen in der Schule
verbreitet sind, findet Auernheimer (2006) folgende problematische Charakteristika:
•
Fixierung auf fremde „Mentalitäten“ oder „Sitten“: kulturdeterministisches Weltbild
•
Differenzblindheit
•
generalisierte Erklärungen für fremdartiges Verhalten
55
•
pauschaler Fundamentalismusverdacht (bei Schülerinnen mit Kopftuch Verdacht auf
patriarchale und von Zwang geprägte Familienstrukturen)
•
Infantilisierung von Migranteneltern; Paternalismus, Mitleid (Einschätzung nichtdeutscher
Eltern als defizitär, rückständig und unmündig)
•
barsche Forderung nach Assimilation („Es ist durchaus notwendig, dass man diesen Eltern
mal ganz rabiat bewusst macht, rabiat in Anführungszeichen,was ich von ihnen erwarte,
was sie gefälligst zu tun haben und was ihre Pflicht ist“ (Marburger, 1997)
•
folgenlose bzw. ausgrenzende „Toleranz“; Anerkennen, dass Migranteneltern andere
Erwartungen und Wünsche haben, aber keine Bereitschaft, in irgendeiner Weise diese
Wünsche in Erfüllung zu bringen.
•
Tendenz zu zivilisatorischer Mission
•
keine Infragestellen eigener Wahrnehmungs- oder Bewertungsmuster
•
kein Eingeständnis eigenen Befremdens
Fördermöglichkeiten: Resilienzförderung
Nach den vielfältigen Risiken, denen Migrantenjugendliche ausgesetzt sind, ist die Frage zu
stellen, welche Resilienzfaktoren es im Leben von Migrantenjugendlichen gibt, was sie trotz der
Risiken, denen sie ausgesetzt sind, stark macht bzw. vor normabweichender Entwicklung schützt.
Begrifflich beschreibt Resilienz einen dynamischen oder kompensatorischen Prozess positiver
Anpassung angesichts bedeutender Belastungen (Holtmann & Schmidt, 2004). Resilienzfaktoren
stärken also die psychische Widerstandsfähigkeit von risikobelasteten Kindern; sie erklären, wie
bspw. trotz elterlicher Risiken wie Arbeitslosigkeit, Armut, Drogenabhängigkeit, psychotischer
Erkrankungen, Scheidung etc. ein Teil der von diesen Risiken betroffenen Kinder dennoch relativ
erfolgreich ihr Leben meistern bzw. wie sie dennoch einen hohen Grad an Widerstandskraft und
Robustheit entwickeln.
1. Eindeutig zeigt die Forschung, dass die in den ersten beiden Lebensjahren etablierte
sichere
Mutter-Kind
Bindung
eine
bedeutsame
Entwicklungsressource
darstellt
(Scheithauer, Petermann & Niebank, 2000). Dieser Befund sollte in Erziehungs- und
Familienberatungsstellen, Jugendämtern etc., insbesondere gegenüber Migrantenfamilien
und -müttern stärker kommuniziert werden; Migranteneltern sollten davor gewarnt werden,
56
ihre Kinder je nach ihrer gegenwärtigen ökonomischen Situation im Herkunftsland bei
Verwandten zu belassen, sie dort zu „parken“, um sie dann wieder zu sich zu holen, wenn
sie
sich
ökonomisch
erholt
Entwicklungsgesetzlichkeiten,
haben.
Vielfach
Entwicklungstempo
und
fehlt
ein
sensible
Wissen
Phasen
in
um
der
Entwicklung des Kindes. Denn die Auswirkungen unsicherer Bindung bleiben nicht auf
die Kindheit begrenzt, sondern sind auch in der Jugendphase wirksam. Unsicher
gebundene Jugendliche zeigen weniger Ich-Flexibilität, ein negatives Selbstkonzept,
stärkere Hilflosigkeit und Feindseligkeit (Seiffge-Krenke & Becker-Stoll, 2004).
2. In der pädagogischen Praxis kann auch über die Verbesserung der Erziehungsqualität der
Eltern resilienzfördernde Wirkungen erzielt werden; so etwa, wenn dem Kind systematisch
beigebracht wird, eine aktive Problembewältigung zu betreiben, d.h., es dazu angehalten
wird, bei auftretenden und mit eigenen Kompetenzen lösbaren Problemen diese nicht zu
verleugnen oder zu vermeiden, sondern aktiv auf diese zuzugehen. Dadurch kann eher das
Gefühl der Selbstwirksamkeit, also das Gefühl der eigenen Kontrolle über die
Entscheidungen, erworben werden. Das kann wiederum durch den systematischen
Einbezug des Kindes in Entscheidungsprozesse und durch die Verantwortungsübernahme
des Kindes gefördert werden. Auch hier gilt es, Migranteneltern die Bedeutung des
Einbezuges des Kindes in familiale Entscheidungsprozesse zu verdeutlichen.
3. Eine Reihe von Studien zeigt, dass ein positives Schulklima eine fördernde und schützende
Wirkung hat, insbesondere wenn eine gute Beziehung zum Lehrer vorhanden ist, den die
Schüler als an ihnen interessiert und sie herausfordernd wahrnehmen (Wild, Hofer &
Pekrun, 2006). An diesen Befund anknüpfend, lässt sich folgern, dass eine Verbesserung
des Schulklimas und mehr persönliches Engagement der Lehrkräfte mit Migrantenkindern
resilienzfördernd wirken. Vor allem ein Schulklima, das die kulturelle Vielfalt ihrer
Schüler als Bereicherung und nicht als Hemmnis betrachtet, kann einen Beitrag zur
Resilienz leisten, weil dadurch dem Einzelnen das Gefühl von Wichtigkeit, Bedeutung und
Anerkennung gegeben wird (Speck-Hamdan, 1999).
4. Zusätzlich
gilt
es
in
Schulkontexten,
Migrantenjugendliche
noch
stärker
in
verantwortungsvolle Positionen - ungeachtet ihrer möglicherweise geringeren sprachlichen
Kompetenzen - einzubinden. Sie werden sich dann stärker mit der Aufgabe identifizieren,
57
womit die inneren Bindungen zur Schule gestärkt werden, und sie machen dadurch
Erfahrungen der Nützlichkeit und der Selbstwirksamkeit.
5. Des Weiteren ist bei Migrantenjugendlichen mit schlechten Schulleistungen an die
Befunde der pädagogischen Psychologie zu Bezugsnormorientierung anknüpfend, ratsam,
ihre Leistungen nicht nur an einer sozialen Bezugsnorm – meistens die gleichaltrige
deutsche Altersgruppe in der Klasse – zu messen. Denn dann spüren sie, dass sie trotz
Anstrengungen vielfach nicht die erforderlichen Leistungen bringen und sind eher geneigt,
zu resignieren. Förderlicher ist es dagegen, die individuellen Entwicklungsschritte und
Verbesserungen zu berücksichtigen und diese dann zu würdigen (Rheinberg, 2006). Schule
darf
nicht
nur
der
Ort
der
von
Versagenserfahrungen
sein,
sondern
muss
Migrantenjugendlichen Gelegenheiten bieten, auch eigene Stärken zur Geltung kommen
lassen können.
6. Ferner kann sich, was Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund betrifft, das
„symbolisch-kulturelle Kapital“, das sie mit ihrer Mehrsprachigkeit haben, (vorausgesetzt,
sie sprechen beide Sprachen relativ gut) als ein wichtiger Schutzfaktor dienen. Deshalb
könnten auch hier Förderaspekte ansetzen, wie etwa die Förderung der Muttersprache, weil
Mehrsprachigkeit indirekt Ressourcen erweitert und Kinder und Jugendliche weniger
vulnerabel macht. Die gelegentlichen Forderungen in Kitas oder Schulen, mehr oder
ausschließlich Deutsch zu sprechen, „verschenken“ dieses Kapital.
Exkurs: Bilingualismus als Chance: (Vgl. Uslucan, 2005)
Bilingualismus
Sprache ist das vorzügliche Medium, mit dessen Hilfe sozialisierende Vorgänge eingeleitet und
vermittelt, soziale Wirklichkeiten konstruiert und in sprachlichen Inhalten internalisiert werden.
Die Sprache spielt eine entscheidende Rolle in der Identitätsbildung. Denkt man die sprachliche
Sozialisation aus der Perspektive des symbolischen Interaktionismus, so entwickelt sich in der
Interaktion mit Anderen stets auch eine soziale Orientierung, da sprachliche Symbole auch mit
spezifischen Bedeutungen assoziiert werden. Durch Verwendung sprachlicher Symbole werden in
den Individuen gleiche Reaktionen wie beim Kommunikationspartner ausgelöst (Mead, 1934),
womit unbewusst auch stets Normen und Werte verinnerlicht werden. Spracherwerb geschieht
also stets in einem kulturellen Umfeld. Das Symbolsystem einer Sprache lässt sich daher nicht
58
ohne die spezifischen Einstellungen des dazugehörigen sozialen Umfeldes übernehmen und
Sprache gilt sowohl in der Selbst-, wie in der Fremdzuschreibung als ein wichtiges Kennzeichen
ethnischer bzw. kultureller Identität (Fthenakis, Sonner, Thrul & Walbiner, 1985). Besonders in
bikulturellen Kontexten, in denen zugleich auch mindestens zwei Sprachsysteme für die
Individuen relevant werden, wird der Zusammenhang zwischen Bikulturalität und Bilingualität
evident. Für Migranten bietet sich mit einer auf Dauer angelegten Migration die einmalige
Chance, in einem natürlichen Kontext bilingual aufzuwachsen bzw. ein bilinguales Leben zu
führen. Dabei ist mit Bilingualismus nicht nur die Fähigkeit gemeint, sich in zwei Sprachen
verständlich zu machen bzw. zwei Sprachen zu beherrschen, sondern auch die Fähigkeit des
Individuums, sich mit den beiden beteiligten Sprachgruppen zu identifizieren. 1
Gute
Sprachkompetenzen
sind
eine
Ressource,
schwache
dagegen
langfristig
ein
Vulnerabilitätsfaktor gegenüber Akkulturationsstress. So konnte Jerusalem (1992) in seiner
Untersuchung mit türkischen Jugendlichen feststellen, dass nicht die Aufenthaltsdauer allein,
sondern vielmehr die Sprachkompetenz mit einem höheren Akkulturationsniveau einherging;
höhere
Sprachkompetenzen
reduzierten
interethnische
Spannungen,
ermöglichten
eine
differenzierte Selbstdarstellung und erleichterten dadurch die soziale Akzeptanz. Dagegen erwies
sich eine lange Aufenthaltsdauer mit schlechter Sprachbeherrschung kontraproduktiv; denn dann
stieg die Belastung mit zunehmendem Aufenthalt.
"Mitglied einer ethnischen Minderheit zu sein und gleichzeitig durch sprachliche Schwierigkeiten
beeinträchtigt
und
sozial
isoliert
zu
werden,
ist
längerfristig
vermutlich
besonders
selbstwertbedrohlich und einsamkeitsfördernd." (Jerusalem, 1992, S. 23).
Die Chancen, die sich durch Bilingualismus ergeben, sind nicht auf Wortschöpfungen begrenzt,
die durch Code-Switching entstehen, nur den bikulturell Sicheren zugänglich sind und eine
offensichtliche Form der Bereicherung darstellen, die der monolingualen Mehrheits- wie auch der
Minderheitskultur entgeht, sondern mit Bilingualismus gehen auch gut belegte und
nachvollziehbare kognitive Potenziale einher. 2 So zeigen eine Reihe von empirischen Studien,
1
Der Begriff des Bilingualismus bzw. der Zweisprachigkeit ist problematisch: Werden nur jene Menschen als
zweisprachig bzw. bilingual bezeichnet, die beide Sprachen vollkommen und fehlerfrei beherrschen, dann gibt es
kaum Zweisprachige; wird jedoch die Definition dahingehend aufgeweicht, dass als bilingual alle jene Menschen zu
bezeichnen sind, die eine zusätzliche Sprache verstehen und in ihr auch einige kommunikative Akte vollziehen
können, dann sind wieder enorm viele Menschen (in Deutschland alle, die einige Worte Englisch in der Schule gelernt
haben) als zweisprachig zu bezeichnen. Bei Migrantenkindern oder Kindern aus bikulturellen Ehen ist eher von einer
„natürlichen Zweisprachigkeit“ (Kielhöfer & Jonekeit, 1983), die die Kinder in ihren gewohnten ökologischen
Kontexten erwerben, zu sprechen, um diese von der bewußt gelernten zweiten Sprache, etwa, wenn ein Deutscher in
Deutschland aktiv Französisch lernt, besser abheben zu können.
2
Dieser begriffliche Gegensatz von monolingual vs. bilingual ist im Alltag nicht durchzuhalten und sollte zugunsten
eines Kontinuums aufgelöst werden; denn jede monolinguale Person verfügt mehr oder weniger auch über andere
Sprachvarietäten (etwa Dialekte, Soziolekte etc.).
59
dass bilinguale Personen sowohl im Bereich der allgemeinen Intelligenz als auch in den
kognitiven Stilen und den metalinguistischen Fähigkeiten sich monolingualen überlegen erweisen
(Bialystok, 1988; Clarkson & Galbraith, 1992; Baker, 1993). Bilingual erzogene Kinder neigen
weniger dazu, Begriff und Referent zu verwechseln, d. h. die Differenz zwischen Wort und
Gegenstand ist ihnen eher gegenwärtig, weil sie durch ihre Zweisprachigkeit eher eine gewisse
Distanz zu der eigenen und der erworbenen Sprache entwickeln und erkennen, dass sprachliche
Symbole für die Bezeichnung von Gegenständen auswechselbar sind. Dabei wird davon
ausgegangen, dass im Leben von bilingual aufwachsenden Kindern ein doppelter sprachlicher
Input ihre metasprachlichen Fähigkeiten fördert, so z. B. die oben erwähnte Einsicht in die
Arbitrarität (Willkürlichkeit) des Zeichens erleichtert und insgesamt dem Abstraktionsvermögen
zugute kommt. Cummins (1976, 1979 in Tracy & Gawlitzek-Maiwald, 1999) versuchte eine
Präzisierung durch Formulierung eines Schwellenmodells, in dem die Frage des Eintritts in den
Zweitspracherwerb diskutiert wird. Er vertritt die These, dass ohne eine etablierte Kompetenz in
der Muttersprache ein Zweitspracherwerb nicht vollständig erfolgen könne, bzw. ab einem
gewissen Alter nur noch mit einem subtraktiven Bilingualismus, d.h. mit unzureichenden
Kenntnissen in beiden Sprachen, zu rechnen sei (Cummins, 1979 in Tracy & Gawlitzek-Maiwald,
1999). An diese Befunde anknüpfend ist also die Frage zu stellen, unter welchen Bedingungen
Bilingualität eher als eine Chance genutzt werden kann. Empirische Studien zum
Zweitspracherwerb zeigen, dass diese phonologisch dann korrekt erworben wird, wenn mit ihrer
Aneignung vor dem Alter von elf Jahren begonnen wird. Bei dieser Konstellation ist eher ein
akzentfreier Erwerb zu erwarten, was die Voraussetzung einer gelungenen sprachlichen
Integration darstellt. Im Alter von 11 bis 15 Jahren war häufiger ein Akzent anzutreffen und beim
Zweitspracherwerb nach dem Alter von 15 Jahren waren Akzente die Regel. Daraus kann
abgeleitet werden, dass zumindest ein Spracherwerb im frühen Alter die beste Voraussetzung
einer Integration darstellt (Mägiste, 1985). Grundschüler im Alter von sechs bis elf Jahren
erwerben in deutlich kürzerer Zeit den aktiven Wortschatz einer fremden Sprache als Schüler der
Oberstufe im Alter von 13 bis 19 Jahren. Spontaneität und Kontaktbereitschaft sind vermutlich im
jüngeren Alter deutlich größer, wodurch mehr Kommunikationssituationen entstehen, die
wiederum bei den Beteiligten zu Sprechanlässen und zur Performanz bisheriger Kompetenzen
führen und die Motivation für den weiteren Erwerb steigern (Kuhs, 1989).
Konsistent ist der Befund, dass eine elaborierte Kenntnis der Muttersprache eine grundlegende
Voraussetzung bildet, um eine fremde Sprache grammatikalisch korrekt zu erwerben (Cummins,
1979; Fthenakis, Sonner, Thrul & Walbiner, 1985; Kuhs, 1989). Für eine Vielzahl von
Migrantenkindern gilt jedoch, dass sie ihre Muttersprache in vielfachen Interaktionen mit ihren
60
Eltern erwerben, die ihrer eigenen Sprache aufgrund ihrer Bildungsdefizite nicht sehr mächtig sind
und somit deutlich schlechtere Chancen haben, auch die deutsche Sprache grammatikalisch
korrekt zu erwerben. Diese mangelhafte Kompetenz der eigenen Muttersprache kann dazu führen,
dass von den Kindern vermehrt Bestrebungen unternommen werden, diese Lücke mit einer
„Überanpassung“ an die neue Kultur zu kompensieren und bspw. aus dem Wissen um Lücken in
der Muttersprache auch dann die Zweitsprache verwenden, obwohl sie den Sachverhalt hätten
auch in ihrer Muttersprache kommunizieren können.
Semilingualismus ist aber auch typisch für Migranten in Situationen erlebter Diskriminierung und
Identitätskonflikte und stellt nicht immer ein individuelles Defizit dar (Toukomaa & SkutnabbKangas, 1977). Gerade erfahrene Diskriminierungen dürften die Motivation und die Bereitschaft,
positive Einstellungen zur Mehrheitskultur zu bilden und die Sprache der Mehrheitskultur zu
erwerben, eher mindern. Positive Auswirkungen auf den Zweitspracherwerb haben dagegen eine
ausgeglichene Haltung zur eigenen und eine ausgeglichene Haltung zur Zweitsprache. Eine
ablehnende Haltung zur Fremdsprache, aber auch eine die eigene Sprache ablehnende oder
eindeutig die Fremdsprache favorisierende Haltung dagegen mindert eher den Lernerfolg in der
Zweitsprache bzw. zeigt nicht den erwarteten Lernerfolg (Kuhs, 1989). Eine Diskriminierung
kann bereits darin liegen, dass Sprachkompetenzen von Migranten, die sie nämlich in der eigenen
Sprache haben, eine systematische Nicht-Anerkennung als Kompetenz erfahren; bei
Migrantenkindern im pädagogischen Alltag ihre Kommunikation in der Sprache ihrer Eltern
systematisch abgewertet und als störend für den Erwerb der Sprache der Mehrheitskultur
betrachtet wird. Problematisch vor diesem Hintergrund ist daher auch die gelegentlich im
Alltagsdiskurs geäußerte Empfehlung, Migrantenkinder sollten zu Hause mit ihren Eltern deutsch
sprechen, um ihre Kompetenzen besser auszubilden. Denn in der Regel macht das Kind seine
ersten sprachlichen Erfahrungen in der Muttersprache, lernt seine Erlebnisse und Gefühle in dieser
Sprache mitteilen. Diese Sprache ist ein elementarer Teil seiner Identität; sie also bewusst
ablehnen oder leugnen zu müssen, belastet zum einen die Eltern-Kind-Beziehung, weil beide
Sprachen durch beide Seiten nicht elaboriert beherrscht werden, dadurch also geringe sprachliche
Interaktionen zu erwarten sind, zum anderen wirkt sich das negativ auf das Selbstwertgefühl des
Kindes aus, weil ein Aspekt der eigenen Identität abgelehnt wird. Viel wichtiger ist es, dass das
Kind seine Muttersprache gut und solide erwirbt und dass seine Muttersprache im Alltag auch eine
Anerkennung findet.
Bilingualität als Ressource wird nicht nur durch soziale Konfliktlagen, sondern auch durch
sprachinterne Eigentümlichkeiten erschwert: So ist in der Kindheit eher mit Schwierigkeiten zu
rechnen, wenn zu große strukturelle Ähnlichkeiten in den beiden Sprachen, wie etwa zwischen der
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deutschen und der englischen, vorhanden sind. Gibt es zu viele „Grauzonen“, partielle
Überlappungen, wie etwa phonologische Ähnlichkeiten bei bedeutungsverschiedenen Partikeln
wie etwa „up“ vs. „ab“, „auf“ vs. „off“, "an" vs. "on" etc., so kann sich das als hemmend für den
Erwerb der Zweitsprache auswirken (Tracy & Gawlitzek-Maiwald, 1999, S. 526). Vor diesem
Hintergrund scheint eine Sprachdistanz für den Zweitspracherwerb günstiger zu sein.
7. Schulprojekte wie „Großer Bruder“, „Große Schwester“, wie sie exemplarisch vom
deutsch-türkischen Forum in Stuttgart durchgeführt werden (dort ist das Projekt unter der
türkischen Bezeichnung „Agabey-Abla-Projekt“ aufgeführt), bei denen kompetente ältere
Jugendliche Risikokindern (Kindern aus chaotischen, ungeordneten Elternhäusern,
Elternhäusern mit psychischer Erkrankung der Eltern etc.) zugeordnet werden und
Teilverantwortungen für sie übernehmen, haben resilienzfördernde Wirkung. Diese
„Brüder“ oder „Schwester“– werden - im Gegensatz zu den Eltern, die in diesen
Konstellationen nicht als Vorbilder taugen - zu positiven Rollenvorbildern und können
wünschenswerte Entwicklungen stimulieren.
8. Nicht zuletzt haben sich auch so genannte „Rucksackprojekte“, die bspw. von der
„Regionalen
Arbeitsstelle
zur
Förderung
von
Kindern
und
Jugendlichen
aus
Zuwandererfamilien“ (RAA) durchgeführt werden, bei denen Mütter und Kinder
gemeinsam in Bildungsprozesse einbezogen sind, als integrationsförderlich bewährt. Diese
zielen zum einen auf eine Förderung der Muttersprachenkompetenz, aber zugleich auch
auf die Förderung des Deutschen und bei Müttern auf die Förderung der
Erziehungskompetenz ab. Denn insbesondere die Integration der Mütter ist für die Frage
der intergenerativen Weitergabe von Gewalt ein entscheidendes Merkmal: so konnten
Mayer, Fuhrer & Uslucan (2005) zeigen, dass bei einer gut integrierten (türkischen) Mutter
sowohl die Weitergabe der selbst als Kind erfahrenen Gewalt abgepuffert wurde und auch
dass die Kinder dieser Mütter weniger in Gewalthandlungen verwickelt waren.
9. Gleichwohl diese Projekte keine näheren Angaben zu der Form ihrer Evaluationen
machen, so berichten sie von hohen Zufriedenheitsraten (etwa bis zu 77%) seitens der
Teilnehmer; beispielsweise. von deutlich gestiegenen persönlichen Kompetenzen der
Erziehungsfähigkeit,
der
Verbesserung
der
Eltern-Kind-Interaktionen
und
der
Verbesserung der Deutschkenntnisse von Müttern und Kindern sowie eine Zunahme der
Lernfreude der Kinder (vgl. http://www.raa.de/rucksack.html)
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Als Fazit lässt sich schlussfolgern, dass Migrantenjugendliche nicht nur Risiken für die
Mehrheitsgesellschaft darstellen und Defizite haben, sondern sie auch oftmals nicht beachtete
Stärken aufweisen. Gerade die Resilienzforschung stellt hier einen wichtigen Ansatz dar, wie
Entwicklungspfade dennoch positiv beeinflusst werden können, wenngleich natürlich dadurch die
Risiken selbst nicht aus dem Weg geräumt werden, da Resilienzfaktoren indirekt, als Moderatoren
der Beziehung zwischen Krisen und Verhaltensauffälligkeiten wirken.
Zuletzt gilt es, für pädagogische Kontexte zu berücksichtigen: Gerade wenn Migranten und
Jugendliche mit Migrationshintergrund unter einer höheren Anzahl bzw. an intensiveren Risiken
leiden, wie es offensichtlich in vielen Studien deutlich wird (vgl. Uslucan, 2005a, b), dann müsste
auch eine ganz „normale“, unauffällige Lebensführung von Migrantenjugendlichen zunächst
erklärungsbedürftig sein. Deshalb gilt es, nicht nur die positiven Fälle hervorzuheben, sondern
auch die Anstrengungen „zur Normalität“ bei den „Unauffälligen“ besonders zu honorieren und
anzuerkennen. Denn gelungene Integration geschieht vielfach „unauffällig“.
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Erziehungsstile: Parenting Style as Context: An integrative Model (Darling & Steinberg, 1993):
Differenzierung in drei Aspekten notwendig:
Erziehungsziele: Im Hinblick auf welche Ziele soll die Sozialisation des Kindes erfolgen?
Erziehungspraktiken: Welche Praktiken gebrauchen Eltern, um diese Ziele zu erreichen?
Erziehungsstil: Der Kontext, das emotionale Klima, in dem Erziehung stattfindet.
Darling & Steinberg plädieren dafür, Erziehungsstile nicht als inhaltliche Spezifika zu verstehen,
sondern als den Kontext, indem Erziehung statt findet.
Erziehungsstile als eine Konstellation von Einstellungen zum Kind und die Herstellung eines
emotionalen Klimas, indem das elterliche Verhalten ausgedrückt wird. Eltern können dieselben
Ziele sehr technisch und nüchtern, emotionsarm, oder in einem warmen, emotional zuträglichem
Klima verfolgen. „Parenting styles“ sollten deshalb das Milieu beschreiben, in dem elterliche
Erziehung erfolgt.
3 Komponenten der Parenting styles:
1. Emotionale Beziehung zwischen Eltern und Kind
2. Elterliche Praktiken und Verhalten
3. Überzeugungssysteme der Eltern.
Sozialisation in der Tradition von Baumrind: Einerseits das Kind in Übereinstimmung bringen mit
den Anforderungen anderer; andererseits auch : Erhalt der persönlichen Integrität des Kindes.
Der ausgeübte Erziehungsstil verändert seinerseits die Bereitschaft des Kindes, sich erziehen zu
lassen bzw. sich elterlichen Einflüssen gegenüber zu öffnen. Gleichwohl immer wieder zu
unterstreichen ist, dass Kinder uns Jugendliche auch Gestalter ihrer eigenen Entwicklung sind,
indem sie auf Eltern Einfluss nehmen und so auch die Erziehungsstile und Haltungen der Eltern
beeinflussen.
Zwar ist Konsens in der erziehungspsychologischen Literatur, dass eine autoritative Erziehung
kompetente Kinder „hervorbringt“, die genauen Mechanismen sind jedoch nicht ganz eruiert.
Maccoby and Martin (1983) haben die ursprüngliche Typologie von Baumrind dahingehend
differenziert, dass sie zwei Dimensionen ausfindig machen:
1: Anzahl und Typ elterlicher Anforderungen an das Kind und
2: Elterliche Verstärkung, Zuwendung
Autoritative Eltern sind demnach hoch in Anforderungen und Zuwendung (demandingness and
responsiveness); autoritäre Eltern dagegen hoch in den Anforderungen und gering in der
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Zuwendung; gewährende Eltern wiederum niedrig in den Anforderungen und hoch in der
Zuwendung und vernachlässigende niedrig auf beiden Komponenten.
Anforderungen wurden später bei Baumrind noch einmal in differenziert: Verhaltenskontrolle und
psychische Kontrolle.
Autoritative wie autoritäre Eltern haben beide eine hohe Verhaltenskontrolle, jedoch kommt bei
autoritären Eltern auch eine hohe psychische Kontrolle (Angsterzeugung, Liebesentzug etc.)
hinzu. Sie sind restriktiver als autoritative Eltern.
5
Erziehungsstile
Offenheit des Kindes, sich
zu erziehen zu lassen
1
Erziehungsziele und
Werte der Eltern
4
6
2
Erziehungspraktiken
3
Erziehungsstile
wirken
also
als
Moderatoren,
die
die
kindliche Auswirkungen
elterlicher Erziehung
Beziehung
von
elterlichen
Erziehungspraktiken und kindlichen Auswirkungen beeinflussen; auch die Variable, „Offenheit
des Kindes“, beeinflusst die Beziehung, inwiefern elterliche Praktiken die gewünschten
Auswirkungen zeitigen. Insofern haben elterliche Erziehungsstile eine eher indirekte Wirkung auf
die kindliche Entwicklung.
Kultureller Kontext der Erziehungsstile: Dornbusch et al. (1987) und Steinberg et al. (1991)
konnten nachweisen, dass der Zusammenhang zwischen autoritativer Erziehung und Schulleistung
deutlich stärker in europäischen Familien war, jedoch schwächer ausgeprägt war bei asiatischen
oder afroamerikanischen Jugendlichen. Auch denkbar ist, dass der autoritative Erziehungsstil zwar
über alle Kulturen hinweg gleichermaßen effektiv ist, sich jedoch die Erziehungsziele
unterscheiden und deshalb andere Auswirkungen bei der kindlichen Entwicklung hervorbringen.
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Auch variieren – historisch stets sich wandelnde- elterliche Erziehungspraktiken mit den
Entwicklungsgegebenheiten des Kindes, wie etwa dessen Alter; kleine Kinder brauchen vielmehr
Kontrolle und Überwachung; bei Jugendlichen ist dagegen die Förderung der Autonomie
wichtiger (Darling & Steinberg, 1993, p.495).
Erziehung im Spannungsfeld zwischen Eigenem und Fremdem
Im Folgenden möchte ich mich den Hintergründen der besonderen Sozialisationsbedingungen von
Migrantenkindern und -jugendlichen widmen, die generellen Mechanismen und Probleme des
Akkulturationsprozesses benennen und einige Aspekte zugleich exemplarisch an der Gruppe der
türkischen Migranten näher veranschaulichen. Die Einschränkung auf die türkischstämmige
Population folgt inhaltlichen Kriterien: Mit über zwei Millionen Mitgliedern stellt sie die größte
ethnische Minderheit innerhalb der rund sieben Millionen zugewanderter Menschen dar.
Vielfach entwickeln Familien türkischer Herkunft in der Aufnahmegesellschaft einen stärker
behütenden und kontrollierenden Erziehungsstil als Familien in der Türkei, weil sie die rasche
Akkulturation (Erwerb der relevanten Verhaltensaspekte der Fremdkultur) ihrer Kinder als eine
Entfremdung von ihren herkunftskulturellen Bezügen deuten; denn die Kinder ihrerseits sehen
sich unter dem Druck, sich in der schulischen Sozialisation rasch an die Kultur des
Einwanderungslandes zu akkulturieren, verlieren aber gleichzeitig ihre sozialisatorischen
Bindungen an ihre Herkunftskultur. Das Verhalten der Eltern läßt sich daher als eine Reaktion auf
eine als gefährdend wahrgenommene Migrationssituation verstehen.
Gleichzeitig bilden Kinder für ihre Eltern ein Medium der Vermittlung der neuen Kultur bzw. eine
„Brücke“ zwischen der Kultur des Herkunfts- und des Einwanderungslandes, wodurch sie mehr
und mehr das Privileg bekommen, an Informationen heranzukommen, die für sie sonst nicht
zugänglich wäre. Damit ergibt sich aber innerhalb der Familie eine Umkehrung der familialen
Hierarchien innerhalb der Generationen, die den üblichen Rollenerwartungen entgegengesetzt ist,
weshalb aus der Perspektive der Eltern sie mehr und mehr ihre Autorität gefährdet sehen.
Beispielhaft sind hierfür türkische Kinder, die vielfach Übersetzerdienste für ihre Eltern leisten
müssen. Bidirektionale Sozialisationsverläufe, bei denen also Kinder ihre Eltern "sozialisieren",
sind bei Migrantenfamilien ein häufig anzutreffendes Phänomen.
Den Studien von Nauck (1990) zufolge ist erzieherisches Verhalten türkischer Eltern wesentlich
vom Ausbildungsniveau der Eltern determiniert. Je länger die Schulbildung der Eltern war, desto
weniger
waren
traditionelle
Geschlechtsrollenorientierungen
und
behütende
Erziehungseinstellungen. Hierbei ist zu bedenken, dass bis 1998 in der Türkei nur eine fünfjährige
Schulpflicht bestand und diese erst seit 1998 auf acht Jahre angehoben ist. In der Hierarchie der
Erziehungsdispositionen in türkischen Familien nahm die Behütung den ersten Rang ein, gefolgt
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von der autoritären Rigidität; Permissivität (d.h. Gewährenlassen, liberale Einstellung zu den
Wünschen der Kinder) dagegen nahm den letzten Rang ein, d.h. war am wenigsten wichtig (Nauck
& Özel, 1986, S. 302). Auf der einen Seite überbehütend und rigide, verfolgen türkische Eltern auf
der anderen Seite sehr hohe Bildungsaspiration für ihre Kinder, d. h. wünschen hohe Berufsziele;
manchmal solche, die in Widerspruch zu den Fähigkeiten und Kompetenzen der Kinder stehen
und die die Kinder offensichtlich zu überfordern drohen. Diese hohe Bildungsaspiration ist
möglicherweise darin begründet, daß viele türkische Eltern das duale System in Deutschland nicht
kennen und qualifizierte Berufe direkt mit akademischen Abschlüssen verbinden, wie es in der
Heimat in der Regel auch üblich ist.
Von den Eltern geht in der Erziehung latent eine widersprüchliche Haltung aus, die sich
alltagssprachlich wie folgt umschreiben läßt: "Passe dich geistig der deutschen Kultur an, bleibe
aber emotional deiner Herkunft treu!".
Generell scheinen Inkonsistenzen zwischen den familialen Wertvorstellungen der jeweiligen
ethnischen Minderheiten und den bspw. durch die Schule vermittelten Werten der
Aufnahmegesellschaft bei Migrantenkindern höher zu sein; diese Inkonsistenzen haben
Auswirkungen auf das Selbstbild und auf die Leistungsbereitschaft. Durch ihre sprachlichen
Defizite erfahren sich vielfach Migrantenkinder als weniger Wert; erfahren weniger Anerkennung,
die sie vielfach durch körperliche Auseinandersetzungen (Aggression gegen andere) zu
kompensieren trachten.
Bei einer familialen Migration finden Sozialisationsprozesse nicht nur bei Kindern, sondern in der
gesamten Familie statt. Alle Personen der Familie sind gezwungen, ihr Verhaltensrepertoire zu
erweitern, zu ändern und umzuorganisieren. In dem Maße, indem eine Akkulturation, d.h. ein
allmählicher Erwerb der Standards der Aufnahmekultur erfolgt, findet in der Regel auch ein
Entfernung von den Werten der Herkunftskultur statt; dieser Widerspruch, einerseits zu
integrieren, andererseits aber auch kulturelle Wurzeln nicht auszulöschen, wird bisher von der
Mehrzahl der Migrantenfamilien kaum befriedigend gelöst. Gleichwohl sind auch die
gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen nicht geklärt, wie die Diskussionen um die
deutsche Leitkultur, Zuwanderungsdebatte, doppelte Staatsangehörigkeit etc. sie in der jüngsten
Gegenwart zeigten.
Pointiert formuliert, läßt sich festhalten: In der Migration kommt es in jedem Falle zu einer
Werteveränderung, und zwar auch dann, wenn die Werte der Herkunftskultur aufrechterhalten
werden; denn dann neigen Migranten vielfach dazu, die neue Umwelt mit ihren neuen Werten
abzuwehren und sich stärker von ihr zu differenzieren; d.h. sie bilden dann Defensivstrategien aus.
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