Algebraische Topologie Stefan Haller Inhaltsverzeichnis I. Die Fundamentalgruppe I.1. Elementare Eigenschaften der Fundamentalgruppe I.2. Die Fundamentalgruppe des Kreises I.3. Homotopieinvarianz I.4. Der Abbildungsgrad I.5. Der Satz von Seifert–van Kampen I.6. Die Fundamentalgruppe einiger Matrizengruppen I.7. Weitere Beispiele zum Seifert–van Kampen Satz II. Überlagerungen II.1. Elementare Eigenschaften von Überlagerungen II.2. Strikt diskontinuierliche Gruppenwirkungen II.3. Homotopieliftungseigenschaft II.4. Liften von Abbildungen II.5. Normale Überlagerungen II.6. Konstruktion von Überlagerungen II.7. Darstellungen der Fundamentalgruppe II.8. Überlagerungen topologischer Gruppen III. Kategorien und Funktoren III.1. Kategorien III.2. Funktoren III.3. Natürliche Transformationen III.4. Produkte und Koprodukte IV. Homologie IV.1. Kettenkomplexe und Homologie IV.2. Kettenhomotopie IV.3. Die lange exakte Homologiesequenz IV.4. Rang und Euler-Charakteristik IV.5. Singuläre Homologie 3 4 14 23 34 38 50 58 65 65 70 73 79 82 85 89 92 95 95 98 102 104 107 107 112 115 121 130 Dieses Skriptum findet sich unter http://www.mat.univie.ac.at/~stefan/ATII09.html. 1 2 STEFAN HALLER IV.6. Relative Homologie und lange exakte Sequenzen IV.7. Homotopieinvarianz IV.8. Baryzentrische Unterteilung IV.9. Der Ausschneidungssatz IV.10. Die Mayer–Vietoris Sequenz IV.11. Der Hurewicz Homomorphismus IV.12. Anwendungen V. Homologie mit Koeffizienten V.1. Tensorprodukt abelscher Gruppen V.2. Torsionsprodukt abelscher Gruppen V.3. Das universelle Koeffiziententheorem V.4. Singuläre Homologie mit Koeffizienten V.5. Künneth Formel V.6. Eilenberg–Zilber Äquivalenz V.7. H-Räume und Hopf-Algebren V.8. Das Borsuk–Ulam Theorem V.9. Hopf-Invariante V.10. Die Fundamentalklasse einer Mannigfaltigkeit VI. Kohomologie VI.1. Kokettenkomplexe und Kohomologie VI.2. Der Hom-Funktor VI.3. Der Ext-Funktor VI.4. Singuläre Kohomologie VI.5. Kohomologie Kreuzprodukt VI.6. Das Cup-Produkt VI.7. Das Cap-Produkt VI.8. Poincare-Dualität VI.9. Die Thom-Klasse und Schnittzahlen Literatur 136 141 148 155 162 165 170 185 185 191 198 202 214 224 244 264 268 274 295 295 296 298 305 314 318 323 329 350 364 I. Die Fundamentalgruppe Der Begriff des einfachen Zusammenhangs ist in mehreren Gebieten der Mathematik anzutreffen. Etwa besagt der Riemannsche Abbildungssatz, dass jedes einfach zusammenhängende Gebiet in C biholomorph zu C oder der Einheitsscheibe E = {z ∈ C : |z| < 1} ist. Etwas allgemeiner, jede einfach zusammenhängende Riemannsche Fläche (d.h. komplexe 1-dimensionale Mannigfaltigkeit) ist zu genau einer der Flächen C, E oder CP1 biholomorph. Ein Resultat aus der Theorie der Lie-Gruppen besagt, dass für eine einfach zusammenhängende Lie-Gruppe G und jede weitere Lie-Gruppe H die Abbildung die einem Lie-Gruppenhomomorphismus G → H den entsprechenden LieAlgebrenhomomorphismus g → h zuordnet bijektiv ist. Daher sind zwei einfach zusammenhängende Lie-Gruppen genau dann isomorph wenn es ihre LieAlgebren sind. Damit ist die Klassifikation der einfach zusammenhängenden LieGruppen auf die Klassifikation der Lie-Algebren zurückgeführt. Eine vollständige einfach zusammenhängende n-dimensionale Riemannsche Mannigfaltigkeit mit konstanter Schnittkrümmung (o.B.d.A. κ = −1, 0, 1) ist isometrisch zu Rn (falls κ = 0, euklidische Geometrie), S n (falls κ = 1, sphärische Geometrie) oder H n (falls κ = −1, hyperbolische Geometrie). Jedem (zusammenhängenden) topologischen Raum mit Basispunkt kann seine Fundamentalgruppe zugeordnet werden. Ihre Elemente sind Homotopieklassen geschlossener Wege beim Basispunkt, die Konkatenation von Wegen liefert die Gruppenstruktur. Ein zusammenhängender Raum ist einfach zusammenhängend genau dann, wenn seine Fundamentalgruppe trivial ist. Die Fundamentalgruppe liefert daher eine feine Abstufung zwischen den beiden Begriffen einfach zusammenhängend und nicht einfach zusammenhängend. Die Fundamentalgruppe ist eine topologische Invariante, dh. homöomorphe zusammenhängende Räume haben isomorphe Fundamentalgruppen. Gelingt es von zwei Räumen die Fundamentalgruppen auszurechnen, und sind diese nicht isomorph, dann waren die beiden Räume nicht homöomorph. Da die Fundamentalgruppe eine Homotopieinvariante ist, lässt sich sogar schließen, dass die beiden Räume nicht einmal homotopieäquivalent sein können. Mit Hilfe des Satzes von Seifert–van Kampen kann für einige interessante Räume die Fundamentalgruppe tatsächlich bestimmt werden. Etwa lassen sich die Fundamentalgruppen der geschlossenen Flächen berechnen, woraus dann folgt, dass geschlossene Flächen unterschiedlichen Geschlechts nicht homotopieäquivalent, und daher auch nicht homöomorph sind. Andere Beipiele kommen aus der Knotentheorie, haben die Komplemente zweier Knoten in R3 nicht-isomorphe Fundamentalgruppen, dann können die Knoten nicht äquivalent sein. Die Fundamentalgruppe hat gute funktorielle Eigenschaften, stetigen Abbildungen zwischen Räumen entsprechen Homomorphismen zwischen ihren Fundamentalgruppen. Dies ist eine typische Situation in der algebraischen Topologie: topologischen Räumen werden algebraische Objekte (Gruppen, Ringe, . . . ) 3 4 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE zugeordnet, stetige Abbildungen entsprechen dabei in funktorieller Weise Homomorphismen zwischen diesen Objekte. Weitere Beipiele solcher topologischer Invarianten liefern die höheren Homotopiegruppen, die Homologiegruppen oder der Kohomologiering. Die Berechnung der Fundamentalgruppe des Kreises, π1 (S 1 ) ∼ = Z, führt rasch zu einem Beweis des Fundamentalsatzes der Algebra und auch zu einem Beweis des Browerschen Fixpunktsatzes für stetige Abbildungen D 2 → D 2 . Sie erlaubt es auch für stetige Abbildungen S 1 → S 1 einen Abbildungsgrad zu definieren. Für stetig differenzierbare Abbildungen kann dieser auch als Integral geschrieben werden und liefert daher ein erstes einfaches Beispiel für den Zusammenhang zwischen Analysis und Topologie. Der in diesem Kapitel behandelte Stoff ist Standardmaterial das sich in vielen Lehrbüchern findet. Die Darstellung hier orientiert sich eng an jenen in [4, Chapter 1] und [18, Kapitel 5], es seien aber auch [13], [15] und [19] erwähnt. I.1. Elementare Eigenschaften der Fundamentalgruppe. Es sei X ein topologischer Raum. Weiters bezeichne I := [0, 1] ⊆ R das kompakte Einheitsintervall versehen mit der üblichen Teilraumtopologie. Unter einem Weg in X verstehen wir eine stetige Abbildung f : I → X. Wir nennen f einen Weg von f (0) nach f (1). Stimmen die beiden Endpunkte eines Weges f überein, dh. gilt f (0) = x = f (1), dann wird f ein geschlossener Weg oder eine Schleife bei x genannt. Ist x ∈ X, dann bezeichnen wir mit cx : I → X den konstanten Weg, cx (s) := x. Unter einer Homotopie von Wegen in X verstehen wir eine stetige Abbildung H : I × I → X, sodass H(0, t) = x0 und H(1, t) = x1 unabhängig von t sind. Für jedes t ∈ I ist dann Ht : I → X, Ht (s) := H(s, t), ein Weg von Ht (0) = x0 nach Ht (1) = x1 . Zwei Wege f, g : I → X heißen homotop falls eine Homotopie von Wegen H : I × I → X existiert, sodass H0 = f und H1 = g, dh. H(s, 0) = f (s) und H(s, 1) = g(s) für alle s ∈ I. In diesem Fall wird H eine Homotopie von f H nach g genannt, und wir schreiben f ≃ g oder f ≃ g. Um zu betonen, dass die Endpunkte fix sind, sprechen wir auch von einer Homotopie relativ Endpunkten und sagen f ist homotop zu g relativ Endpunkten. I.1.1. Proposition. Homotop relativ Endpunkten zu sein ist eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Wege in X. Beweis. Zur Reflexivität: Ist f ein Weg in X, dann ist H : I × I → X, H(s, t) := f (s), eine Homotopie relativ Endpunkten von H0 = f nach H1 = f , H H also gilt f ≃ f . Zur Symmetrie: Sei also f ≃ g. Dann ist G : I × I → X, G(s, t) := H(s, 1 − t) eine Homotopie relativ Endpunkten von G0 = H1 = g nach G H′ H ′′ G1 = H0 = f , also gilt g ≃ f . Zur Transitivität: Seien also f ≃ g und g ≃ h. I.1. ELEMENTARE EIGENSCHAFTEN DER FUNDAMENTALGRUPPE Dann ist H : I × I → X, H(s, t) := ( 5 H ′(s, 2t) falls 0 ≤ t ≤ 1/2 ′′ H (s, 2t − 1) falls 1/2 ≤ t ≤ 1 eine Homotopie relativ Endpunkten von H0 = H0′ = f nach H1 = H1′′ = h, also H gilt f ≃ h. Die Stetigkeit von H folgt aus Lemma I.1.2 unten. Die Äquivalenzklassen der Äquivalenzrelation ≃ heißen Homotopieklassen. Wir schreiben [f ] für die Homotopieklasse eines Weges f . I.1.2. Lemma. Es seien X und Y zwei topologische Räume und f : Y → X eine Abbildung. Weiters seien A und B zwei abgeschlossene Teilmengen von Y , sodass Y = A ∪ B. In dieser Situation gilt: f ist genau dann stetig, wenn die Einschränkungen f |A : A → X und f |B : B → X beide stetig sind. Beweis. Mit f sind natürlich auch die Einschränkungen f |A und f |B stetig. Es bleibt daher zu zeigen, dass aus der Stetigkeit der Einschränkungen auch die Stetigkeit von f folgt. Sei dazu C eine abgeschlossene Teilmenge von X und D := f −1 (C) ⊆ Y . Es ist zu zeigen, dass D in Y abgeschlossen ist. Aus der Stetigkeit von f |A folgt, dass D ∩ A = f |−1 A (D) abgeschlossen in A ist. Da A in Y abgeschlossen ist folgt, dass D ∩ A auch in Y abgeschlossen ist. Ebenso folgt aus der Stetigkeit von f |B und der Abgeschlossenheit von B, dass D∩B abgeschlossen in Y ist. Also ist auch ihre Vereinigung (D ∩ A) ∪ (D ∩ B) = D ∩ (A ∪ B) = D abgeschlossen in Y . I.1.3. Beispiel (Reparametrisierung). Ist f : I → X ein Weg und ϕ : I → I stetig mit ϕ(0) = 0 und ϕ(1) = 1, dann gilt f ◦ ϕ ≃ f . Es ist nämlich H : I × I → X, H(s, t) := f (1 − t)ϕ(s) + ts eine Homotopie relativ Endpunkten von H0 = f ◦ ϕ nach H1 = f . Beachte, dass (1 − t)ϕ(s) + ts stets in I liegt und H daher wohldefiniert ist. I.1.4. Beispiel. Es sei X ⊆ Rn eine konvexe Teilmenge und f, g : I → X zwei Wege mit f (0) = g(0) und f (1) = g(1). Dann gilt f ≃ g, denn H : I × I → X, H(s, t) := (1 − t)f (s) + tg(s), ist eine Homotopie relativ Endpunkten von H0 = f nach H1 = g. Beachte, dass wegen der Konvexität von X diese Homotopie tatsächlich Werte in X hat. Es sei X ein topologischer Raum. Sind f und g zwei Wege in X mit f (1) = g(0), dann ist ( f (2s) falls 0 ≤ s ≤ 1/2 f g : I → X, (f g)(s) := g(2s − 1) falls 1/2 ≤ s ≤ 1 ein Weg von f (0) nach g(1). Er wird der Produktweg, die Konkatenation oder auch Zusammensetzung von f und g genannt. 6 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE I.1.5. Lemma. Es seien f0 , f1 , g0 und g1 Wege in X, sodass f0 ≃ f1 , g0 ≃ g1 , f0 (1) = g0 (0) und daher auch f1 (1) = g1 (0). Dann gilt f0 g0 ≃ f1 g1 . Beweis. Sind F : I × I → X und G : I × I → X Homotopien von Wegen F G mit f0 ≃ f1 und g0 ≃ g1 , dann definiert ( F (2s, t) falls 0 ≤ s ≤ 1/2, H : I × I → X, H(s, t) := G(2s − 1, t) falls 1/2 ≤ s ≤ 1, eine Homotopie relativ Endpunkten von H0 = f0 g0 nach H1 = f1 g1 . Die Stetigkeit von H folgt wieder aus Lemma I.1.2. I.1.6. Lemma. Sind f , g und h drei Wege in X mit f (1) = g(0) und g(1) = h(0), dann gilt (f g)h ≃ f (gh). Beweis. (f g)h ist eine Reparametrisierung von f (gh), denn es gilt (f g)h = (f (gh)) ◦ ϕ mit falls 0 ≤ s ≤ 1/4, 2s ϕ : I → I, ϕ(s) := s+1/4 falls 1/4 ≤ s ≤ 1/2, und s/2+1/2 falls 1/2 ≤ s ≤ 1. Aus Beispiel I.1.3 folgt daher (f g)h ≃ f (gh). I.1.7. Lemma. Es sei f ein Weg in X und x := f (0), y := f (1). Dann gilt für die Konkatenationen mit den konstanten Wegen f cy ≃ f sowie cx f ≃ f . Beweis. Der Weg f cy ist eine Reparametrisierung von f , denn es gilt f cy = f ◦ ϕ mit ( 2s falls 0 ≤ s ≤ 1/2, und ϕ : I → I, ϕ(s) := 1 falls 1/2 ≤ s ≤ 1. Aus Beispiel I.1.3 folgt daher f cy ≃ f . Analog lässt sich cx f ≃ f zeigen. ¯ := f (1 − s), ein Weg von f (1) Für einen Weg f : I → X ist f¯ : I → X, f(s) nach f (0). Er wird als der zu f inverse Weg bezeichnet. I.1.8. Lemma. Es sei f ein Weg in X und x := f (0), y := f (1). Dann gilt f f¯ ≃ cx und f¯f ≃ cy . Beweis. Es ist H : I × I → X, falls 0 ≤ s ≤ t/2, f (2s) H(s, t) := f (t) falls t/2 ≤ s ≤ 1 − t/2, f (2 − 2s) falls 1 − t/2 ≤ s ≤ 1, ¯ Die Stetigkeit eine Homotopie relativ Endpunkten von H0 = cx nach H1 = f f. von H folgt wieder aus Lemma I.1.2. Analog lässt sich f¯f ≃ cy zeigen. I.1. ELEMENTARE EIGENSCHAFTEN DER FUNDAMENTALGRUPPE 7 Sei X ein topologischer Raum und x0 ∈ X ein Basispunkt. Mit π1 (X, x0 ) bezeichnen wir die Menge aller Homotopieklassen geschlossener Wege bei x0 , genauer π1 (X, x0 ) := Wege f : I → X mit f (0) = x0 = f (1) / ≃ wobei ≃ die oben besprochene Äquivalenzrelation der Homotopie relativ Endpunkten bezeichnet. Ist f ein Weg in X mit f (0) = x0 = f (1) dann schreiben wir [f ] für seine Äquivalenzklasse in π1 (X, x0 ). Nach Lemma I.1.5 definiert die Konkatenation von Wegen eine Multiplikation π1 (X, x0 ) × π1 (X, x0 ) → π1 (X, x0 ), ([f ], [g]) 7→ [f ][g] := [f g] die nach Lemma I.1.6 assotiativ ist, [f ][g] [h] = [f ] [g][h] . Die Äquivalenzklasse des konstanten Weges cx0 ist nach Lemma I.1.7 neutrales Element dieser Multiplikation, [f ][cx0 ] = [f ] = [cx0 ][f ]. Nach Lemma I.1.8 gilt weiters [f ][f¯] = [cx0 ] = [f¯][f ]. Zusammenfassend erhalten wir I.1.9. Proposition. Die Konkatenation von Wegen definiert auf π1 (X, x0 ) eine Gruppenstruktur, [f ][g] = [f g]. Das neutrale Element wird durch den konstanten Weg cx0 repräsentiert, 1 = [cx0 ]. Das zu [f ] inverse Element wird durch den inversen Weg repräsentiert, [f ]−1 = [f¯]. I.1.10. Definition (Fundamentalgruppe). Die Gruppe π1 (X, x0 ) wird als die Fundamentalgruppe oder erste Homotopiegruppe von X beim Basispunkt x0 bezeichnet. I.1.11. Bemerkung. Die Gruppe π1 (X, x0 ) ist i.A. nicht kommutativ und wird daher i.A. multiplikativ notiert. Insbesondere schreiben wir 1 ∈ π1 (X, x0 ) für das neutrale Element und σ −1 für das Inverse von σ ∈ π1 (X, x0 ). Ist die Fundamentalgruppe abelsch, so wird sie manchmal auch additiv geschrieben. Ist sie trivial, dh. besteht sie nur aus dem neutralen Element π1 (X, x0 ) = {1}, dann wird dies üblicherweise durch die additive Schreibweise π1 (X, x0 ) = 0 ausgedrückt. I.1.12. Beispiel. Ist X ⊆ Rn eine konvexe Teilmenge und x0 ∈ X so gilt π1 (X, x0 ) = 0, siehe Beispiel I.1.4. Unter einem punktierten Raum verstehen wir ein Paar (X, x0 ) wobei X ein topologischer Raum und x0 ∈ X ein Basispunkt ist. Punktierte Räume werden auch als Räume mit Basispunkt bezeichnet. Jedem punktierten Raum (X, x0 ) haben wir in Definition I.1.10 seine Fundamentalgruppe π1 (X, x0 ) zugeordnet. Sind (X, x0 ) und (Y, y0 ) zwei punktierte Räume und ist ϕ : X → Y stetig mit ϕ(x0 ) = y0 , dann nennen wir ϕ eine Abbildung punktierter Räume oder auch basispunkterhaltende stetige Abbildung und schreiben ϕ : (X, x0 ) → (Y, y0 ). Ist ψ : (Y, y0) → (Z, z0 ) eine weitere Abbildung punktierter Räume, dann ist auch die Komposition ψ ◦ϕ : (X, x0 ) → (Z, z0 ) eine Abbildung punktierter Räume. Die identische Abbildung id(X,x0 ) : (X, x0 ) → (X, x0 ) ist basispunkterhaltend. Unter 8 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE einem Homöomorphismus punktierter Räume verstehen wir einen basispunkterhaltenden Homöomorphismus. I.1.13. Proposition. Eine Abbildung punktierter Räume ϕ : (X, x0 ) → (Y, y0 ) induziert einen Gruppenhomomorphismus ϕ∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 ), ϕ∗ ([f ]) := [ϕ ◦ f ]. Ist ψ : (Y, y0 ) → (Z, z0 ) eine weitere Abbildung punktierter Räume, dann gilt (ψ ◦ ϕ)∗ = ψ∗ ◦ ϕ∗ sowie (id(X,x0 ) )∗ = idπ1 (X,x0 ) . Beweis. Sei also ϕ : (X, x0 ) → (Y, y0) eine Abbildung punktierter Räume, und f eine Schleife bei x0 . Dann ist ϕ ◦ f eine Schleife bei y0 . Sind f0 , f1 zwei H Schleife bei x0 mit f0 ≃ f1 , so ist ϕ◦H : I ×I → Y eine Homtopie von Wegen mit ϕ◦H ϕ◦f0 ≃ ϕ◦f1 , also [ϕ◦f0 ] = [ϕ◦f1 ] ∈ π1 (Y, y0 ). Dies zeigt, dass ϕ∗ wohldefiniert ist. Für zwei Schleifen f, g bei x0 gilt offensichtlich ϕ ◦ (f g) = (ϕ ◦ f )(ϕ ◦ g), also ϕ∗ ([f ][g]) = ϕ∗ ([f g]) = [ϕ◦(f g)] = [(ϕ◦f )(ϕ◦g)] = [ϕ◦f ][ϕ◦g] = ϕ∗ ([f ])ϕ∗ ([g]). Dies zeigt, dass ϕ∗ ein Gruppenhomomorphismus ist. Weiters gilt (ψ ◦ ϕ)∗ ([f ]) = [(ψ ◦ϕ)◦f ] = [ψ ◦(ϕ◦f )] = ψ∗ ([ϕ◦f ]) = ψ∗ (ϕ∗ ([f ])) und daher (ψ ◦ϕ)∗ = ψ∗ ◦ϕ∗ . Die Aussage (id(X,x0 ) )∗ = idπ1 (X,x0 ) ist ebenso trivial. I.1.14. Proposition. Ist ϕ : (X, x0 ) → (Y, y0) ein Homöomorphismus punktierter Räume, so ist die induzierte Abbildung ϕ∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 ) ein Isomorphismus. Beweis. Es bezeichne ϕ−1 : (Y, y0) → (X, x0 ) die Umkehrabbildung. Aus Proposition I.1.13 erhalten wir (ϕ−1 )∗ ◦ ϕ∗ = (ϕ−1 ◦ ϕ)∗ = (idX )∗ = idπ1 (X,x0 ) sowie ϕ∗ ◦ (ϕ−1 )∗ = (ϕ ◦ ϕ−1 )∗ = (idY )∗ = idπ1 (Y,y0 ) . Daher sind ϕ∗ und (ϕ−1 )∗ zueinander inverse Gruppenisomorphismen. I.1.15. Bemerkung. Sind ϕ, ψ : (X, x0 ) → (Y, y0 ) zwei Homöomorphismen punktierter Räume, dann stimmen die induzierten Isomorphismen ϕ∗ und ψ∗ i.A. nicht überein, siehe etwa Beispiel I.2.2 unten. I.1.16. Proposition. Es sei (X, x0 ) ein punktierter Raum und es bezeichne X0 die Wegzusammenhangskomponente von x0 . Dann induzierte die kanonische Inklusion (X0 , x0 ) → (X, x0 ) einen Isomorphismus π1 (X0 , x0 ) ∼ = π1 (X, x0 ). Beweis. Es bezeichne ι : (X0 , x0 ) → (X, x0 ) die kanonische Inklusion und ι∗ : π1 (X0 , x0 ) → π1 (X, x0 ) den induzierten Homomorphismus. Wir zeigen zunächst, dass ι∗ surjektiv ist. Ist f : I → X eine Schleife bei x0 , dann liegt diese zur Gänze in X0 und kann daher als Schleife f ′ : I → X0 aufgefasst werden, ι ◦ f ′ = f . Diese repräsentiert ein Element [f ′ ] ∈ π1 (X0 , x0 ) für das offensichtlich ι∗ ([f ′ ]) = [ι ◦ f ′ ] = [f ] gilt. Somit ist ι∗ surjektiv. Kommen wir nun zur Injektivität von ι∗ . Es seien f ′ , g ′ : I → X0 zwei Schleifen bei x0 mit ι∗ ([f ′ ]) = ι∗ ([g ′ ]) ∈ π1 (X, x0 ). Dann existiert eine Homotopie relativ Endpunkten H : I × I → X von H0 = ι ◦ f ′ nach H1 = ι ◦ g ′. Da I.1. ELEMENTARE EIGENSCHAFTEN DER FUNDAMENTALGRUPPE 9 I × I wegzusammenhängend ist, nimmt H nur Werte in X0 an, kann daher als Homotopie H ′ : I × I → X0 aufgefasst werden, ι ◦ H ′ = H. Insbesondere gilt ι ◦ H0′ = H0 = ι ◦ f ′ und ι ◦ H1′ = H1 = ι ◦ g ′, aus der Injektivität von ι folgt H′ daher H0′ = f ′ und H1′ = g ′. Wir erhalten f ′ ≃ g ′ , dh. [f ′ ] = [g ′ ] ∈ π1 (X0 , x0 ), also ist ι∗ injektiv. Wir wollen uns nun überlegen wie die Fundamentalgruppe eines Produktraumes mit den Fundamentalgruppen der Faktoren zusammenhängt. Wir beginnen damit das Produkt punktierter Räume und das Produkt von Gruppen zu besprechen. Sind (X, x0 ) und (Y, y0 ) zwei punktierte Räume, dann ist auch (X, x0 ) × (Y, y0) := X × Y, (x0 , y0 ) ein punktierter Raum, der als das Produkt der punktierten Räume (X, x0 ) und (Y, y0 ) bezeichnet wird. Die Projektionen auf die beiden Komponenten liefern zwei Abbildungen punktierter Räume pX : (X, x0 ) × (Y, y0 ) → (X, x0 ) und pY : (X, x0 ) × (Y, y0 ) → (Y, y0 ), die als kanonische Projektionen bezeichnet werden. Das Produkt punktierter Räume 2 (X, x0 ) hat die folgende universelle Eigenschaft: ϕX O Ist (Z, z0 ) ein weiterer punktierter Raum pX und sind ϕX : (Z, z0) → (X, x0 ) sowie ∃!ϕ (Z, z0 ) _ _ _ _ _ _/ (X, x0 ) × (Y, y0 ) ϕY : (Z, z0 ) → (Y, y0) zwei Abbildungen punktierter Räume, dann existiert pY genau eine Abbildung punktierter Räu ϕY , me ϕ : (Z, z0 ) → (X, x0 )×(Y, y0 ), sodass (Y, y0) pX ◦ ϕ = ϕX und pY ◦ ϕ = ϕY gilt. Das nebenstehende kommutative Diagramm soll dies verdeutlichen. Diese Abbildung ϕ ist durch ϕ(x, y) = (ϕX (x), ϕY (x)) gegeben und wird mit (ϕX , ϕY ) bezeichnet. Analog definieren wir das Produkt beliebig vieler punktierter Räume (Xα , xα ), α ∈ A, durch Y Y (Xα , xα ) := Xα , (xα )α∈A . α∈A α∈A Q Dabei bezeichnet (xα )α∈A den Punkt in α∈A Xα Q mit Komponenten xα . Für jedes α ∈ A haben wir eine kanonische Projektion pα : α′ ∈A (Xα′ , xα′ ) → (Xα , xα ) mit folgender universellen Eigenschaft: Ist (Z, z0 ) ein punktierter Raum und sind ϕα : (Z, z0 ) → (Xα , xα ) Abbildungen punktierter Räume, Q α ∈ A, dann existiert genau eine Abbildung punktierter Räume ϕ : (Z, z0 ) → α∈A (Xα , xα ), sodass pα ◦ϕ = ϕα , für alle α ∈ A. Diese Abbildung ist durch ϕ(z) = (ϕα (z))α∈A gegeben und wird mit ϕ = (ϕα )α∈A bezeichnet. Durch diese universelle Eigenschaft ist das Produkt punktierter Räume zusammen mit den kanonischen Projektionen, bis auf kanonische Isomorphie eindeutig bestimmt. 10 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Das Produkt von Gruppen besitzt eine analoge Eigenschaft. Sind G und H zwei Gruppen, dann ist G × H bezüglich komponentenweiser Multiplikation wieder eine Gruppe. Die beiden kanonischen Projektionen 1G ϕG O pG : G × H → G und pH : G × H → H sind GruppenpG homomorphismen. Das Produkt G × H hat die folgen∃!ϕ de universelle Eigenschaft: Sind ϕG : K → G und ϕH : K _ _ _ _ _ _/ G × H K → H zwei Gruppenhomomorphismen, dann existiert pH genau ein Gruppenhomomorphismus ϕ : K → G × H ϕH mit pG ◦ϕ = ϕG und pH ◦ϕ = ϕH . Dieser HomomorphiH mus ist durch ϕ(k) = (ϕG (k), ϕH (k)) gegeben und wird Q mit (ϕG , ϕH ) bezeichnet. Auch das Produkt beliebig vieler Q Gruppen α∈A Gα hat diese Eigenschaft. Die kanonischen Projektionen pα : α′ ∈A Gα′ → Gα sind Gruppenhomomorphismen, und zu Gruppenhomomorphismen Q ϕ α : K → Gα , α ∈ A, existiert genau ein Gruppenhomomorphismus ϕ : K → α∈A Gα , sodass pα ◦ ϕ = ϕα , für alle α ∈ A. Dieser Homomorphimus ist durch ϕ(k) = (ϕα (k))α∈A gegeben und wird mit (ϕα )α∈A bezeichnet. Q Nun aber zur Fundamentalgruppe des Produkts α∈A (Xα , xα ). Die kanoniQ schen Projektionen pα : α′ ∈A (Xα′ , xα′ ) → (Xα , xα ) induzieren Gruppenhomomorphismen Y (pα )∗ : π1 [f ] 7→ [pα ◦ f ]. (Xα′ , xα′ ) → π1 (Xα , xα ), α′ ∈A Diese liefern einen Gruppenhomomorphismus Y Y π1 (Xα , xα ) → π1 (Xα , xα ), α∈A α∈A [f ] 7→ [pα ◦ f ] α∈A . (I.1) I.1.17. Proposition. Für punktierte Räume (X α , xα ), α ∈ A, ist (I.1) ein Isomorphismus. Insbesondere gilt π1 X × Y, (x0 , y0 ) ∼ = π1 (X, x0 ) × π1 (Y, y0) für je zwei punktierte Räume (X, x0 ) und (Y, y0 ). Beweis. Um die Surjektivität von (I.1) einzusehen, betrachten wir ein beQ liebiges Element g ∈ α∈A π1 (Xα , xα ), dh. g = [fα ] α∈A wobei fα : I → Xα Schleifen bei xα sind die Elemente Q [fα ] ∈ π1 (Xα , xα ) repräsentieren, α ∈ A. Es ist dann f := (fα )α∈A : I → α∈A Xα eine Schleife bei (xα )α∈A , definiert daQ her ein Element [f ] ∈ π1 α∈A (Xα , xα ) . Nach Konstruktion wird [f ] durch den Homomorphismus (I.1) auf g abgebildet. Also ist (I.1)Qsurjektiv. Nun zur Injektivität von (I.1). Es seien f, g : I → α∈A Xα zwei Schleifen bei Q (xα )α∈A , sodass die davon repräsentierten Elemente [f ], [g] ∈ π1 α∈A (Xα , xα ) dasselbe Bild unter (I.1) haben. Es gilt daher [pα ◦ f ] = [pα ◦ g] ∈ π1 (Xα , xα ), für alle α ∈ A. Also existieren Homotopien relativ Endpunkten H α : I × I → Xα von H0α =Qpα ◦ f nach H1α = pα ◦ g, α ∈ A. Es definiert dann H := (H α )α∈A : I × I → α∈A Xα eine Homotopie relativ Endpunkten von f nach g. Damit ist Q [f ] = [g] ∈ π1 α∈A (Xα , xα ) und (I.1) also injektiv. I.1. ELEMENTARE EIGENSCHAFTEN DER FUNDAMENTALGRUPPE 11 Wir wenden uns nun der Frage zu, inwiefern die Fundamentalgruppe π1 (X, x0 ) eines Raumes X vom Basispunkt x0 abhängt. I.1.18. Proposition. Es sei h : I → X ein Weg und x0 := h(0), x1 := h(1). Dann definiert βh : π1 (X, x1 ) → π1 (X, x0 ), einen Isomorphismus von Gruppen, βh−1 βh ([f ]) := [hf h̄], = βh̄ . Beweis. Nach den Beobachtungen am Beginn dieses Abschnitts ist βh wohl definiert,1 und für [f ], [g] ∈ π1 (X, x1 ) gilt βh [f ][g] = [hf g h̄] = [hf cx1 g h̄] = [hf h̄hg h̄] = [hf h̄][hg h̄] = βh ([f ])βh ([g]), also ist βh ein Gruppenhomomorphis¯ = h, so erhalten wir mus. Verwenden wir noch die offensichtliche Tatsache h̄ ¯ ] = [h̄hf h̄h] = [c f c ] = [f ]. Daher gilt βh̄ ◦ βh ([f ]) = βh̄ [hf h̄] = [h̄hf h̄h̄ x1 x1 βh̄ ◦ βh = idπ1 (X,x1 ) . Ebenso lässt sich βh ◦ βh̄ = idπ1 (X,x0 ) zeigen, also sind βh und βh̄ zueinander inverse Gruppenisomorphismen. I.1.19. Bemerkung. Sind x0 und x1 zwei Basispunkte in X die in derselben Wegzusammenhangskomponente von X liegen, dann sind nach Proposition I.1.18 die Gruppen π1 (X, x0 ) und π1 (X, x1 ) isomorph. Für wegzusammenhängendes X schreiben wir daher oft auch π1 (X). Liegen x0 und x1 nicht in derselben Wegzusammenhangskomponente, dann dürfen wir uns i.A. keinerlei Relation zwischen den Gruppen π1 (X, x0 ) und π1 (X, x1 ) erwarten, vgl. Proposition I.1.16. I.1.20. Bemerkung. Der Isomorphismus βh aus Proposition I.1.18 hängt nur von der Homotopieklasse von h ab, dh. aus h ≃ h′ folgt βh = βh′ . Genauer, für zwei Wege h, h′ von x0 nach x1 gilt βh = βh′ genau dann, wenn [hh̄′ ] im Zentrum2 Z(π1 (X, x0 )) der Fundamentalgruppe liegt. Ist π1 (X, x0 ) nicht abelsch, dann gilt Z(π1 (X, x0 )) 6= π1 (X, x0 ) und der in Proposition I.1.18 konstruierte Isomorphismus hängt tatsächlich von [h] ab. Ist die Fundamentalgruppe nicht abelsch, erhalten wir daher keine kanonische Identifikation von π1 (X, x0 ) mit π1 (X, x1 ). I.1.21. Proposition. Für einen topologischer Raum X sind äquivalent: (i) Zu je zwei Punkten x0 , x1 ∈ X gibt es genau eine Homotopieklasse von Wegen von x0 nach x1 . (ii) X ist wegzusammenhängend, und für alle x0 ∈ X gilt π1 (X, x0 ) = 0. (iii) X ist wegzusammenhängend, und es existiert x0 ∈ X mit π1 (X, x0 ) = 0. Beweis. Die Äquivalenz (ii)⇔(iii) folgt aus Proposition I.1.18. Nun zur Implikation (i)⇒(ii): Da nach Voraussetzung mindestens eine Homotopieklasse von 1Genaugenommen müssten wir hier Klammern setzten, βh ([f ]) = [(hf )h̄] oder βh ([f ]) = [h(f h̄)], nach Lemma I.1.6 stimmen die Homotopieklassen [(hf )h̄] und [h(f h̄)] aber überein. 2Das Zentrum einer Gruppe G ist Z(G) := {g ∈ G | ∀h ∈ G : gh = hg}. Das Zentrum ist stets ein abelscher Normalteiler. Es gilt Z(G) = G genau dann, wenn G abelsch ist. 12 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Wegen von x0 nach x1 existiert, muss X wegzusammenhängend sein. Betrachten wir nun x1 = x0 , so folgt π1 (X, x0 ) = 0 aus der Annahme, dass höchstens eine Homotopieklasse von Wegen von x0 nach x1 existiert. Es bleibt (ii)⇒(i) zu zeigen. Seien dazu x0 , x1 ∈ X. Aus dem Wegzusammenhang von X folgt, dass es zumindest eine Homotopieklasse von Wegen von x0 nach x1 gibt. Sind f, g : I → X zwei Wege von x0 nach x1 , dann ist f ḡ eine Schleife bei x0 die wegen π1 (X, x0 ) = 0 homotop zum konstanten Weg cx0 sein muss, f ḡ ≃ cx0 . Es folgt f ≃ f cx1 ≃ f (ḡg) ≃ (f ḡ)g ≃ cx0 g ≃ g, also kann es höchstens eine Homotopieklasse von Wegen von x0 nach x1 geben. I.1.22. Definition (Einfacher Zusammenhang). Ein topologischer Raum X heißt einfach zusammenhängend, falls er die (äquivalenten) Bedingungen in Proposition I.1.21 erfüllt. I.1.23. Beispiel. Jede konvexe Teilmenge von Rn ist einfach zusammenhängend, siehe Beispiel I.1.12. Beachte, dass konvexe Teilmengen offensichtlich wegzusammenhängend sind. Insbesonder sind Rn , die abgeschlossenen Bälle D n := {x ∈ Rn : kxk ≤ 1} und die offenen Bälle B n := {x ∈ Rn : kxk < 1} einfach zusammenhängend. I.1.24. Beispiel. Das Produkt beliebig vieler einfach zusammenhängender Räume ist wieder einfach zusammenhängend, siehe Proposition I.1.17. Beachte, dass Produkte wegzusammenhängender Räume wieder wegzusammenhängend sind. Für n ∈ N0 bezeichne S n := {x ∈ Rn+1 : kxk = 1} die n-dimensionale Einheitssphäre versehen mit der von Rn+1 induzierten Teilraumtopologie. Beachte, dass S n abgeschlossen und beschränkt in Rn+1 ist. Nach dem Satz von Heine– Borel ist S n daher ein kompakter Raum. Etwa besteht S 0 = {−1, 1} aus nur zwei Punkten. Die eindimensionale Sphäre können wir auch als Teilraum der komplexen Zahlen auffassen, S 1 = {z ∈ C : |z| = 1}. I.1.25. Beispiel. S n \ {P } ist homöomorph zu Rn und daher einfach zusammenhängend, P ∈ S n , n ∈ N0 . Um dies einzusehen betrachten wir zunächst die Inversion mit Pol P , νP : Rn+1 \ {P } → Rn+1 \ {P }, νP (x) := P + 2 (x − P ). kx − P k2 Der Bildpunkt νP (x) liegt daher auf dem Halbstrahl von P durch x und es gilt kx − P kkνP (x) − P k = 2. Daraus folgt sofort νP ◦ νP = idRn+1 \{P } , insbesondere ist νP ein Homöomorphismus. Weiters gilt kνP (x)k2 = 1 + 4hx, P i kx − P k2 I.1. ELEMENTARE EIGENSCHAFTEN DER FUNDAMENTALGRUPPE 13 und daher ist νP (x) ∈ S n genau dann, wenn x ∈ P ⊥ = {x ∈ Rn+1 : hx, P i = 0}. Die Einschränkung von νP liefert daher einen Homöomorphismus 2 (x − P ). ϕP : P ⊥ → S n \ {P }, ϕP (x) = P + kx − P k2 Dieser Homöomorphismus wird die stereographische Projektion mit Pol P genannt.3 Als Hyperebene in Rn+1 ist P ⊥ homöomorph zu Rn , daher ist auch S n \ {P } homöomorph zu Rn . Nach Proposition I.1.14 und Beispiel I.1.23 ist daher S n \ {P } einfach zusammenhängend. I.1.26. Satz. S n ist einfach zusammenhängend, falls n ≥ 2. Beweis. Bezeichne mit N := (0, . . . , 0, 1) ∈ S n den Nordpol und mit x0 := S := (0, . . . , 0, −1) ∈ S n den Südpol. Weiters betrachte die offenen Teilmengen U := S n \{N} und V := S n \{S}. Nach Beispiel I.1.25 ist π1 (U, x0 ) = 0, es genügt daher zu zeigen, dass die von der kanonischen Inklusion ι : (U, x0 ) → (S n , x0 ) induzierte Abbildung ι∗ : π1 (U, x0 ) → π1 (S n , x0 ) surjektiv ist. Sei dazu f : I → S n eine Schleife bei x0 . Es ist zu zeigen, dass f homotop relativ Endpunkten zu einer Schleife in U ist. Da {U, V } eine offene Überdeckung von S n ist, bilden auch die beiden Mengen f −1 (U) und f −1 (V ) eine offene Überdeckung des Intervalls I. Da I kompakt ist, existieren 0 = s0 < s1 < · · · < sm = 1, sodass für jedes i = 1, . . . , m entweder f ([si−1 , si ]) ⊆ U oder f ([si−1 , si ]) ⊆ V gilt, siehe Lemma I.1.28 unten. Durch Weglassen gewisser si können wir erreichen, dass f (si ) 6= N, für jedes 0 ≤ i ≤ m, denn ist f (si ) = N dann muss f ([si−1 , si]) ⊆ V und f ([si , si+1 ]) ⊆ V gelten. Betrachte die reparametrisierten Einschränkungen fi : I → S n , fi (s) := f (1 − s)si−1 + ssi , i = 1, 2, . . . , m. Nach Beispiel I.1.3 gilt dann f ≃ f1 f2 · · · fm , wobei wir wieder auf die Klammersetzung verzichten, da sie für die Aussage unwesentlich ist, vgl. Lemma I.1.6. Es genügt nun zu zeigen, dass jedes fi homotop relativ Endpunkten zu einem Weg in U ist, denn dann ist auch f homotop relativ Endpunkten zu einer Schleife in U, siehe Lemma I.1.5. Für die i mit f ([si−1 , si ]) ⊆ U ist nichts zu zeigen. Betrachten wir also ein i mit f ([si−1 , si ]) ⊆ V , dh. fi (I) ⊆ V . Die stereographischen Projektion ϕS : Rn = S ⊥ → S n \ {S} = V aus Beispiel I.1.25 ist ein Homöomorphisn n mus mit ϕS (0) = N. Also ist ϕ−1 S ◦ fi : I → R ein Weg in R und es gilt −1 (ϕ−1 S ◦ fi )(0) 6= 0 6= (ϕS ◦ fi )(1), denn f (si ) 6= N. Da n ≥ 2 finden wir einen Weg −1 n gi : I → R \ {0} mit gi (0) = (ϕ−1 S ◦ fi )(0) und gi (1) = (ϕS ◦ fi )(1). Nach Konstruktion ist ϕS ◦ gi ein Weg in V \ {N} ⊆ U. Da Rn einfach zusammenhängend n ist, sind die beiden Wege ϕ−1 S ◦fi und gi homotop relativ Endpunkten in R , siehe Proposition I.1.21, also sind auch fi und ϕS ◦ gi homotop relativ Endpunkten in V ⊆ S n. I.1.27. Beispiel. Für ni ≥ 2 ist S n1 × · · · × S nk einfach zusammenhängend, siehe Satz I.1.26 und Beispiel I.1.24 3Unter der stereographischen Projektion wird üblicherweise die stereographische Projektion mit Pol P = N = (0, . . . , 0, 1) ∈ S n verstanden. 14 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Im Beweis von Satz I.1.26 haben wir von der Lebesguesche Überdeckungszahl Gebrauch gemacht, und wollen daher dieses elementare Resultat kurz wiederholen. I.1.28. Lemma (Überdeckungszahl von Lebesgue). Es sei (X, d) ein kompakter metrischer Raum und U eine offene Überdeckung von X. Dann existiert ε > 0, sodass jeder Ball mit Radius ε zur Gänze in einer der Überdeckungsmengen von U enthalten ist. Genauer, für jedes x ∈ X existiert U ∈ U mit Bε (x) ⊆ U, wobei Bε (x) := {y ∈ X : d(x, y) < ε} den offenen Ball mit Mittelpunkt x und Radius ε bezeichnet. Beweis. Da U eine offene Überdeckung von X bildet, existiert zu jedem x ∈ X ein rx > 0 und Ux ∈ U mit B2rx (x) ⊆ Ux . Die Bälle Brx (x) bilden eine offene Überdeckung von X. Wegen der Kompaktheit von X überdecken schon endlich viele davon ganz X, dh. Brx1 (x1 ) ∪ · · · ∪ Brxn (xn ) = X für gewisse x1 , . . . , xn ∈ X. Wir zeigen nun, dass ε := min{rx1 , . . . , rxn } > 0 die gewünschte Eigenschaft besitzt. Sei dazu x ∈ X. Wähle 1 ≤ i ≤ n mit x ∈ Bri (xi ). Aus der Dreiecksungleichung folgt Bri (x) ⊆ B2ri (xi ), und daher Bε (x) ⊆ Bri (x) ⊆ B2ri (xi ) ⊆ Uxi . Also liegt Bε (x) zur Gänze in der Überdeckungsmenge Uxi . I.2. Die Fundamentalgruppe des Kreises. Wir wollen in diesen Abschnitt die Fundamentalgruppe von S 1 := {z ∈ C : |z| = 1} bestimmen. Als Basispunkt verwenden wir x0 := 1 ∈ S 1 . Für n ∈ Z betrachten wir den Weg ωn : I → S 1 , ωn (s) := e2πins = cos(2πns) + i sin(2πns). (I.2) Da ωn (0) = ωn (1) = 1 ist jedes ωn eine Schleife bei 1 ∈ S 1 und definiert daher eine Homotopieklasse [ωn ] ∈ π1 (S 1 , 1). I.2.1. Satz. Die Abbildung φ : Z → π1 (S 1 , 1), φ(n) := [ωn ], siehe (I.2), ist ein Isomorphismus von Gruppen, π1 (S 1 ) ∼ = Z. I.2.2. Beispiel. Für k ∈ Z betrachte die Basispunkt erhaltende Abbildung pk : (S 1 , 1) → (S 1 , 1), p(z) := z k . Wir wollen nun den induzierten Homomorphismus (pk )∗ : π1 (S 1 , 1) → π1 (S 1 , 1) bestimmen. Genauer φ / π (S 1 , 1) wollen wir zeigen, dass nebenstehendes Diagramm komZ ∼ 1 = 1 mutiert, wobei φ : Z → π1 (S , 1) den Isomorphismus aus (pk )∗ ·k ·k Satz I.2.1 bezeichent und Z − → Z der durch Multiplikation φ / π (S 1 , 1) mit k gegebene Gruppenhomomorphismus ist. Tatsächlich Z ∼ 1 = ist (pk ◦ ωn )(s) = (e2πins )k = e2πikns = ωkn (s), vgl. (I.2), und daher (pk )∗ (φ(n)) = (pk )∗ ([ωn ]) = [pk ◦ ωn ] = [ωkn ] = φ(kn). Beachte, dass p1 und p−1 beides Homöomorphismen sind, die induzierten Homomorphismen (p1 )∗ und (p−1 )∗ aber nicht übereinstimmen. Für den Beweis von Satz I.2.1 betrachten wir die Abbildung p : R → S 1, p(s) := e2πis . (I.3) I.2. DIE FUNDAMENTALGRUPPE DES KREISES 15 Drei Eigenschaften von p werden wesentlich in den Beweis von Satz I.2.1 eingehen. Erstens ist der Definitionsbereich R einfach zusammenhängend, siehe Beispiel I.1.23, weiters ist p−1 (1) = Z ⊆ R und schließlich hat p die sogenannte Homotopieliftungseigenschaft. I.2.3. Proposition (Homotopieliftungseigenschaft). Es seien H : Y ×I → S 1 und h̃ : Y → R stetig mit p ◦ h̃ = H0 . Dann existiert genau eine stetige Abbildung H̃ : Y × I → R mit p ◦ H̃ = H und H̃0 = h̃.4 I.2.4. Bemerkung. Bezeichnen wir mit ι0 : Y → Y × I, ι0 (y) := (y, 0), die Inklusion bei 0, so lässt sich die Aussage von Proposition I.2.3 schön an nebenstehenden Diagramm veranschaulichen. Die Vorausseth̃ / Y zung in Proposition I.2.3 besagt gerade, dass das äußere Quaw; R ∃!H̃ w w p drat kommutiert, dh. die Komposition p ◦ h̃ stimmt mit der ι0 w w H Komposition H ◦ ι0 überein. Die Konklusion von Propositi/ S1 Y ×I on I.2.3 besagt nun, dass eine eindeutige stetige Abbildung H̃ : Y × I → R existiert, die die beiden Dreiecke kommutativ macht, dh. die Komposition H̃ ◦ ι0 stimmt mit h̃ überein, und p ◦ H̃ stimmt mit H überein. I.2.5. Bemerkung. Sind f : X → S 1 und f˜ : X → R stetige Abbildungen mit p ◦ f˜ = f , dann wird f˜ ein Lift von f genannt. In diesem Fall sagen wir auch f kann über p zu einer stetigen Abbildung f˜ geliftet werden. Nicht jede Abbildung lässt sich stetige über p liften, etwa besitzt die identische Abbildung idS 1 : S 1 → S 1 keinen stetigen Lift, siehe Satz I.2.1. Existiert ein Lift f˜ von f , dann ist dieser nicht eindeutig, denn durch Translation mit ganzen Zahlen erhalten wir unendlich viele weitere Lifte. Wir verschieben den Beweis von Proposition I.2.3 und betrachten zunächst die folgenden beiden Spezialfälle: Y = {∗}, der einpunktige Raum, sowie Y = I, siehe die Propositionen I.2.6 und I.2.8 unten. I.2.6. Proposition. Es sei f : I → S 1 ein Weg und x̃ ∈ R mit p(x̃) = f (0). Dann existiert genau ein Weg f˜ : I → R mit p ◦ f˜ = f und f˜(0) = x̃. Beweis. Wenden wir Proposition I.2.3 auf den einpunktigen Raum Y := {∗}, die Abbildung h̃ : {∗} → R, h̃(∗) := x̃, und H : {∗} × I → S 1 , H(∗, t) := f (t), an so erhalten wir eine eindeutige stetige Abbildung H̃ : {∗} × I → R die p ◦ H̃ = H und H̃0 = h̃ erfüllt. Offensichtlich hat dann f˜(t) := H̃(∗, t) alle gewünschten Eigenschaften. I.2.7. Beispiel. Für die Wege ω̃n : I → R, ω̃n (s) := ns, n ∈ Z, gilt ω̃n (0) = 0, ω̃n (1) = n und p ◦ ω̃n = ωn . Insbesondere ist ω̃n ein Lift von ωn , siehe (I.2). 4Ist G : Y × I → X eine Abbildung und t ∈ I so schreiben wir Gt : Y → X für die durch Gt (y) := G(y, t) definierte Abbildung. In dieser Proposition also H0 (y) := H(y, 0) und H̃0 (y) := H̃(y, 0). 16 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Beachte, dass ω̃n nur für n = 0 geschlossen ist. Wir werden die Wege ω̃n auch im Beweis von Satz I.2.1 unten verwenden. I.2.8. Proposition. Es sei h̃ : I → R ein Weg und H : I × I → S 1 eine Homotopie von Wegen mit H0 = p ◦ h̃. Dann existiert eine eindeutige Homotopie von Wegen H̃ : I × I → R mit p ◦ H̃ = H und H̃0 = h̃. Beweis. Wenden wir Proposition I.2.3 mit Y := I an, so erhalten wir eine eindeutige stetige Abbildung H̃ : I × I → R mit p ◦ H̃ = H und H̃0 = h̃. Es ist noch zu zeigen, dass H̃ eine Homotopie relativ Endpunkten ist. Für i = 0, 1 betrachten wir dazu den Weg σ̃i : I → R, σ̃i (t) := H̃(i, t). Aus p ◦ H̃ = H folgt (p◦σ̃i )(t) = H(i, t) und dies ist konstant in t, da H eine Homotopie von Wegen ist. Aus H̃0 = h̃ erhalten wir weiters σ̃i (0) = H̃(i, 0) = h̃(i). Aus der Eindeutigkeitsaussage in Proposition I.2.6 folgt daher, dass σ̃i mit dem konstanten Weg ch̃(i) übereinstimmen muss. Also ist H̃ tatsächlich eine Homotopie von Wegen. Beweis von Satz I.2.1. Zur Surjektivität von φ: Sei f : I → S 1 eine Schleife bei 1 ∈ S 1 . Zu zeigen ist, dass n ∈ Z mit φ(n) = [f ] existiert. Nach Proposition I.2.6, und da p(0) = 1, existiert ein Weg f˜ : I → R mit p ◦ f˜ = f und f˜(0) = 0. Da p(f˜(1)) = f (1) = 1, und weil p−1 (1) = Z, muss f˜(1) ganzzahlig sein, n := f˜(1) ∈ Z. Beobachte nun, dass f˜ und ω̃n aus Beispiel I.2.7 beides Wege in R sind die bei 0 starten und bei n enden. Aus dem einfachen Zusammenhang von R, siehe Beispiel I.1.23, und Proposition I.1.21 erhalten wir eine ˜ Es ist dann Homotopie von Wegen H̃ : I × I → R von H̃0 = ω̃n nach H̃1 = f. 1 H := p◦ H̃ : I ×I → S eine Homotopie von Wegen von H0 = p◦ H̃0 = p◦ ω̃n = ωn nach H1 = p ◦ H̃1 = p ◦ f˜ = f . Daher gilt φ(n) = [ωn ] = [f ]. Zur Injektivität von φ: Seien also m, n ∈ Z und φ(m) = φ(n). Zu zeigen ist n = m. Da φ(m) = φ(n) existiert eine Homotopie von Wegen H : I × I → S 1 von H0 = ωm nach H1 = ωn . Nach Proposition I.2.8, und da p ◦ ω̃m = ωm , existiert eine Homotopie von Wegen H̃ : I × I → R mit p ◦ H̃ = H und H̃0 = ω̃m . Da H̃ die Endpunkte fixiert gilt insbesondere H̃1 (0) = H̃0 (0) = ω̃m (0) = 0 und H̃1 (1) = H̃0 (1) = ω̃m (1) = m. Weiters ist p ◦ H̃1 = H1 = ωn . Aus der Eindeutigkeitsaussage in Proposition I.2.6 folgt daher H̃1 = ω̃n , und wir erhalten m = H̃1 (1) = ω̃n (1) = n. Zur Homomorphismus Eigenschaft von φ: Seien m, n ∈ Z. Es ist zu zeigen φ(m+n) = φ(m)φ(n). Betrachte dazu die Translation τm : R → R, τm (s) := m+s. Dann ist ω̃m (τm ◦ ω̃n ) ein Weg in R der bei 0 startet und bei m + n endet. Auch ω̃m+n ist ein Weg von 0 nach m+ n. Da R einfach zusammenhängend ist, existiert eine Homotopie von Wegen H̃ : I ×I → R von H̃0 = ω̃m+n nach H̃1 = ω̃m (τm ◦ ω̃n ), siehe Proposition I.1.21. Es ist daher H := p◦ H̃ : I ×I → S 1 eine Homotopie von Wegen von H0 = p◦ H̃0 = p◦ ω̃m+n = ωm+n nach H1 = p◦ H̃1 = p◦ ω̃m (τm ◦ ω̃n ) = (p ◦ ω̃m )(p ◦ τm ◦ ω̃n ) = (p ◦ ω̃m )(p ◦ ω̃n ) = ωm ωn . Es gilt daher ωm+n ≃ ωm ωn , also φ(m + n) = [ωm+n ] = [ωm ωn ] = [ωm ][ωn ] = φ(m)φ(n). I.2. DIE FUNDAMENTALGRUPPE DES KREISES 17 Es bleibt schließlich noch Proposition I.2.3 zu beweisen. Wir beginnen mit einigen Vorbereitungen. Für den Rest des Abschnitts seien H : Y × I → S 1 und h̃ : Y → R stetig mit p ◦ h̃ = H0 wie in Proposition I.2.3. I.2.9. Lemma (Überlagerungseigenschaft). Es existieren offene Teilmengen Uα ⊆ S 1 und offene Teilmengen Ũαj ⊆ R, α ∈ {0, 1}, j ∈ Z, mit folgenden Eigenschaften: (i) U0 ∪ U1 = S 1 . S (ii) p−1 (Uα ) = j∈Z Ũαj . (iii) Ũαj ∩ Ũαk = ∅, falls j 6= k. (iv) p|Ũαj : Ũαj → Uα ist ein Homöomorphismus. Beweis. Setzen wir U0 := S 1 \ {1} und U1 := S 1 \ {−1}, so ist {U0 , U1 } eine offene Überdeckung von S 1 , und es gilt p−1 (U0 ) = R \ Z sowie p−1 (U1 ) = R \ 12 + Z . Die Intervalle Ũ0j := (j, j + 1) und Ũ1j := (j − 21 , j + 12 ), j ∈ Z, haben dann die gewünschten Eigenschaften. I.2.10. Lemma. Zu jedem Punkt y ∈ Y existieren eine offene Umgebung N von y, 0 = t0 < t1 < t2 < · · · <tn = 1 und α1 , . . . , αn ∈ {0, 1}, sodass für jedes i = 1, . . . , n gilt H N × [ti−1 , ti ] ⊆ Uαi . Beweis. Sei also y ∈ Y fix. Zu jedem s ∈ I existiert αs ∈ {0, 1} mit H(y, s) ∈ Uαs , siehe Lemma I.2.9(i). Da H stetig ist, finden wir zu jedem s ∈ I eine offene Umgebung Ns von y und eine offene Umgebung Js von s mit H(Ns × Js ) ⊆ Uαs . Klarerweise bildet {Js }s∈I eine offene Überdeckung von I. Da I kompakt ist, existieren 0 = t0 < t1 < · · · < tn = 1 und s1 , . . . , sn ∈ I mit [ti−1 , tiT ] ⊆ Js i , n 1 ≤ i ≤ n, siehe Lemma I.1.28. Betrachte nun die offene Umgebung N := i=1 Nsi von y. Für 1 ≤ i ≤ n gilt dann H N × [ti−1 , ti ] ⊆ H Nsi × Jsi ⊆ Uαsi . Mit αi := αsi folgt daher die Behauptung. I.2.11. Lemma. Zu jedem y ∈ Y existieren eine offene Umgebung V von y und eine stetige Abbildung G̃ : V × I → R mit p ◦ G̃ = H|V ×I und G̃0 = h̃|V . Beweis. Sei also y ∈ Y fix. Nach Lemma I.2.10 existieren eine offene Umgebung N von y, 0 = t0 < t1 < · · · < tn = 1 und α1 , . . . , αn ∈ {0, 1}, sodass H N × [ti−1 , ti ] ⊆ Uαi für i = 1, 2, . . . , n. (I.4) Wegen (I.4) und p ◦ h̃ = H0 ist p(h̃(y)) = Ht0 (y) ∈ Uα1 , also existiert j1 ∈ Z mit h̃(y) ∈ Ũαj11 , siehe Lemma I.2.9(ii). Betrachte die offene Umgebung V 1 := N ∩ h̃−1 (Ũαj11 ) von y und die Abbildung −1 G̃1 : V 1 × [t0 , t1 ] → Ũαj11 ⊆ R, G̃1 := p|Ũαj1 ◦ H|V 1 ×[t0 ,t1 ] . 1 1 Nach (I.4) und Lemma I.2.9(iv) ist G̃ wohldefiniert und stetig. Offensichtlich gilt p ◦ G̃1 = H|V 1 ×[t0 ,t1 ] . Aus H0 = p ◦ h̃ erhalten wir p ◦ G̃1t0 = Ht0 |V 1 = p ◦ h̃|V 1 , und da p auf Ũαj11 injektiv ist folgt G̃1t0 = h̃|V 1 . 18 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Wegen (I.4) und p ◦ G̃1 = H|V 1 ×[t0 ,t1 ] ist p(G̃t1 (y)) = Ht1 (y) ∈ Uα2 , also existiert j2 ∈ Z mit G̃1t1 (y) ∈ Ũαj22 , siehe Lemma I.2.9(ii). Betrachte die offene Umgebung V 2 := V 1 ∩ (G̃1t1 )−1 (Ũαj22 ) von y und die Abbildung −1 ◦ H|V 2 ×[t1 ,t2 ] . G̃2 : V 2 × [t1 , t2 ] → Ũαj22 ⊆ R, G̃2 := p|Ũαj2 2 2 Nach (I.4) und Lemma I.2.9(iv) ist G̃ wohldefiniert und stetig. Offensichtlich gilt p ◦ G̃2 = H|V 2 ×[t1 ,t2 ] . Es folgt p ◦ G̃2t1 = Ht1 |V 2 = p ◦ G̃1t1 |V 2 , und da p auf Ũαj22 injektiv ist, erhalten wir G̃2t1 = G̃1t1 |V 1 . Induktiv fortfahrend erhalten wir offene Umgebungen V 1 ⊇ V 2 ⊇ · · · ⊇ V n von y und stetige Abbildungen G̃i : V i × [ti−1 , ti ] →⊆ Ũαjii ⊆ R, 1 ≤ i ≤ n, sodass p ◦ G̃i = H|V i ×[ti−1 ,ti ] , G̃1t0 = h̃|V 1 und G̃iti−1 = G̃i−1 ti−1 |V i für i = 2, . . . , n. Betrachte nun die offene Umgebung V := V n von y und definiere eine Abbildung G̃ : V × I → R durch G̃|V ×[ti−1 ,ti ] := G̃i |V ×[ti−1 ,ti ] . Da G̃iti−1 |V = G̃i−1 ti−1 |V ist dies i wohldefiniert. Aus der Stetigkeit von G̃ |V ×[ti−1 ,ti ] und Lemma I.1.2 folgt, dass G̃ stetig ist. Aus p ◦ G̃i = H|V i ×[ti−1 ,ti ] erhalten wir p ◦ G̃ = H|V ×I . Schließlich folgt aus G̃1t0 = h̃|V 1 auch G̃0 = h̃|V . Also hat G̃ alle gewüschten Eigenschaften. ˜ g̃ : I → R zwei Wege mit p◦ f˜ = p◦ g̃ und f(0) ˜ = g̃(0), I.2.12. Lemma. Sind f, dann gilt f˜ = g̃. Beweis. Wir betrachten die Menge Z := s ∈ I : f˜(s) = g̃(s) . Da f˜ und g̃ beide stetig sind, ist Z eine abgeschlossene Teilmenge von I. Da f˜(0) = g̃(0) ist 0 ∈ Z, also Z 6= ∅. Wir werden unten zeigen, dass Z auch offen in I ist. Aus dem Zusammenhang von I folgt dann Z = I, also f˜ = g̃. Um die Offenheit von I zu zeigen, sei s ∈ Z. Nach Lemma I.2.9 existieren α ∈ {0, 1} und j ∈ Z mit f˜(s) = g̃(s) ∈ Ũαj . Betrachte die offene Umgebung W := f˜−1 (Ũαj ) ∩ g̃ −1(Ũαj ) von s. Da p ◦ f˜ = p ◦ g̃, und da p|Ũαj : Ũαj → Uα injektiv ist, siehe Lemma I.2.9(iv), erhalten wir f˜|W = g̃|W . Also ist W ⊆ Z und daher Z offen in I. Beweis von Proposition I.2.3. Nach Lemma I.2.11 existiert zu jedem y ∈ Y eine offene Umgebung V y von y und eine stetige Abbildung G̃y : V y × I → R mit p◦ G̃y = H|V y ×I und G̃y0 = h̃|V y . Sind y1 , y2 ∈ Y , so stimmen die Abbildungen G̃y1 und G̃y2 auf (V y1 ∩ V y2 ) × I überein, denn ist y ∈ V y1 ∩ V y2 dann gilt für die Wege f˜ : I → R, f˜(t) := G̃y1 (y, t), und g̃ : I → R, g̃(t) := G̃y2 (y, t) sowohl (p ◦ f˜)(t) = H(y, t) = (p ◦ g̃)(t), t ∈ I, als auch f˜(0) = h̃(y) = g̃(0), und daher ˜ = g̃(t) = G̃y2 (y, t) für alle t ∈ I, siehe Lemma I.2.12. Wir erhalG̃y1 (y, t) = f(t) ten daher eine Abbildung H̃ : Y × I → R, sodass H̃|V y ×I = G̃y , für jedes y ∈ Y . Da die Einschränkung von H̃ auf jede der offenen Mengen V y × I stetig ist, muss H̃ stetig sein. Aus p ◦ G̃y = H|V y ×I erhalten wir p ◦ H̃ = H. Schließlich folgt aus G̃y0 = h̃|V y auch H̃0 = h̃. Damit ist die Existenz der Abbildung H̃ in Proposition I.2.3 gezeigt. Es bleibt noch die Eindeutigkeit zu verifizieren. Seien dazu I.2. DIE FUNDAMENTALGRUPPE DES KREISES 19 H̃ 1 , H̃ 2 : Y ×I → R mit p◦H̃ 1 = H = p◦H̃ 2 und H̃01 = h̃ = H̃ 2 . Zu y ∈ Y betrachten wir die Wege f˜ : I → R, f˜(t) := H̃ 1(y, t), und g̃ : I → R, g̃(t) := H̃ 2 (y, t). Dann gilt (p ◦ f˜)(t) = H(y, t) = (p ◦ g̃)(t), t ∈ I, sowie f˜(0) = h̃(y) = g̃(0). Aus Lemma I.2.12 folgt daher H̃ 1 (y, t) = f˜(t) = g̃(t) = H̃ 2 (y, t) für alle t ∈ I, also stimmen H̃ 1 und H̃ 2 überein. Damit ist der Beweis von Satz I.2.1 vollständig. Im Rest dieses Abschnitts wollen wir noch einige Anwendungen besprechen. I.2.13. Beispiel. Für P ∈ Rn ist ϕ : S n−1 × (0, ∞) → Rn \ {P }, ϕ(x, t) := P + tx, ein Homöomorphismus. Mit Hilfe von Satz I.1.26 und Proposition I.1.17 sehen wir, dass Rn \ {P } einfach zusammenhängend ist, falls n ≥ 3. Im Fall n = 2 gilt π1 (R2 \ {P }) ∼ = Z nach Satz I.2.1 und Proposition I.1.17. Genauer, und für P = 0, sehen wir, dass die Inklusion ι : S 1 → C× := C \ {0} einen Isomorphismus ι∗ : π1 (S 1 ) → π1 (C× ) induziert. Im Fall n = 1 ist R1 \ {P } nicht (weg)zusammenhängend, also auch nicht einfach zusammenhängend. I.2.14. Satz. R2 ist nicht homöomorph zu Rn , 2 6= n. ∼ = Beweis. Sei also ϕ : R2 − → Rn ein Homöomorphismus. Wähle einen Punkt 2 P ∈ R und setze Q := ϕ(P ) ∈ Rn . Die Einschränkung von ϕ liefert einen ∼ = Homöomorphismus ϕ|R2 \{P } : R2 \ {P } − → Rn \ {Q}. Ist n = 0, so erhalten wir einen Widerspruch, denn R2 \ {P } = 6 ∅ aber R0 \ {Q} = ∅. Auch im Fall n = 1 erhalten wir einen Widerspruch, denn R2 \ {P } ist wegzusammenhängend, aber R1 \{Q} ist nicht wegzusammenhängend. Schließlich führt auch der Fall n > 2 auf einen Widerspruch, denn R2 \ {P } ist nicht einfach zusammenhängend, während Rn \ {Q} sehr wohl einfach zusammenhängend ist, siehe Beispiel I.2.13. Es muss daher n = 2 sein. I.2.15. Bemerkung. Es gilt allgemein Rm ∼ 6= Rn , falls m 6= n. Wir werden dies später zeigen, die Fundamentalgruppe reicht hierfür nicht aus. Es ist übrigens leicht zu sehen, dass Rm und Rn nur dann diffeomorph sein können, wenn m = n gilt. Ist nämlich ϕ : Rm → Rn ein Diffeomorphismus und x0 ∈ Rm beliebig, dann folgt aus der Kettenregel, dass die Jacobimatrix Dx0 ϕ einen linearen Isomorphismus zwischen Rm und Rn liefert, und dies ist natürlich nur für m = n möglich. I.2.16. Beispiel. Für n ∈ N bezeichnen wir mit T n := S 1 × · · · × S 1 den n-dimensionalen Torus. Aus Proposition I.1.17 und Satz I.2.1 folgt π1 (T n ) ∼ = n n n Z = Z × · · · × Z. Ein expliziter Isomorphismus ist durch φn : Z → π1 (T , xn ), φn (k) := [ωk ], gegeben. Hierbei bezeichnet ωk : I → T n den Weg ωk (s) := (e2πik1 s , . . . , e2πikn s ), k = (k1 , . . . , kn ) ∈ Zn , und als Basispunkt verwenden wir xn := (1, . . . , 1) ∈ T n . Insbesondere sehen wir, dass S 2 nicht homöomorph zu T 2 sein kann, denn die Fundamentalgruppen π1 (S 2 ) = 0 und π1 (T 2 ) ∼ = Z2 sind nicht isomorph, siehe Satz I.1.26 und Proposition I.1.14. Etwas allgemeiner sehen wir, dass S n und T n nicht homöomorph sind, n ≥ 2. 20 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE I.2.17. Beispiel. Auf Rn betrachte die Äquivalenzrelation x ∼ y ⇔ ∃k ∈ Zn : y = x + k. Die Abbildung p : Rn → T n , p(x1 , . . . , xn ) := (e2πix1 , . . . , e2πixn ) induziert einen Homöomorphismus Rn /∼ ∼ = T n . Wir können den Torus daher auch als Quotient von Rn verstehen. Mit Mm,n (Z) bezeichnen wir die Menge aller ganzzahligen (m × n)-Matrizen. Jedes A ∈ Mm,n (Z) definiert eine stetige (lineare) Abbildung µ̃A : Rn → Rm , µ̃A (x) := Ax. Beachte, dass aus x ∼ y auch µ̃A (x) ∼ µ̃A (y) folgt. Daher faktorisiert µ̃A zu einer stetigen Abbildung µA : T n → T m , p ◦ µ̃A = µA ◦ p. Beachte auch, dass µA Basispunkt erhaltend ist, µA : (T n , xn ) → (T m , xm ). Wir wollen nun die induzierten Gruppenhomomorphismen (µA )∗ : π1 (T n , xn ) → π1 (T m , xm ) bestimφn / π1 (T n , x0 ) men. Genauer wollen wir zeigen, dass (µA )∗ (φn (k)) = Zn = ∼ φm (Ak) gilt, k ∈ Zn , wobei φ den Isomorphismus aus (µA )∗ A Beispiel I.2.16 bezeichnet. In anderen Worten, wir wol φm / π1 (T m , x0 ) len zeigen, dass das nebenstehende Diagramm kommuZm = ∼ n n tiert. Für k ∈ Z betrachten wir den Weg ω̃k : I → R , ω̃k (s) := sk. Offensichtlich gilt dann p ◦ ω̃k = ωk , wobei ωk : I → T n den Weg aus Beispiel I.2.16 bezeichnet. Weiteres haben wir die Relation µ̃A ◦ ω̃k = ω̃Ak . Wir erhalten daraus µA ◦ ωk = µA ◦ p ◦ ω̃k = p ◦ µ̃A ◦ ω̃k = p ◦ ω̃Ak = ωAk , also (µA )∗ (φn (k)) = (µA )∗ ([ωk ]) = [µA ◦ ωk ] = [ωAk ] = φm (Ak). Eine Teilmenge A eines topologischen Raumes X heißt Retrakt von X, falls eine stetige Abbildung r : X → A existiert mit r(x) = x für alle x ∈ A. Jede solche Abbildung r wird Retraktion von X auf A genannt. Eine Retraktion ist also nichts anderes als eine stetige Linksinverse der kanonischen Inklusion ι : A → X, dh. r ◦ ι = idA . I.2.18. Proposition. Es sei A ein Retrakt von X, und x0 ∈ A. Dann ist der von der kanonischen Inklusion ι : (A, x0 ) → (X, x0 ) induzierte Homomorphismus ι∗ : π1 (A, x0 ) → π1 (X, x0 ) injektiv. Beweis. Nach Voraussetzung existiert eine Retraktion r : X → A, dh. r ◦ ι = idA . Insbesondere gilt r(x0 ) = x0 , wir können daher r als Abbildung punktierter Räume r : (X, x0 ) → (A, x0 ) auffassen. Aus Proposition I.1.13 erhalten wir r∗ ◦ ι∗ = (r ◦ ι)∗ = (id(A,x0 ) )∗ = idπ1 (A,x0 ) , also muss ι∗ injektiv sein. I.2.19. Satz. S 1 ist nicht Retrakt von D 2 , dh. es gibt keine stetige Abbildung r : D 2 → S 1 mit r(x) = x für alle x ∈ S 1 . Beweis. Als konvexe Teilmenge von R2 ist D 2 einfach zusammenhängend, siehe Beispiel I.1.23, also π1 (D 2 ) = 0. Nach Satz I.2.1 gilt π1 (S 1 ) ∼ = Z. Es kann da1 2 her keine injektive Abbildung π1 (S ) → π1 (D ) existieren. Aus Proposition I.2.18 folgt nun, dass S 1 nicht Retrakt von D 2 sein kann. I.2.20. Bemerkung. Die Aussage von Satz I.2.19 bleibt in beliebigen Dimensionen richtig, S n−1 ist nicht Retrakt von D n , n ∈ N. Für n = 1 ist dies trivial, I.2. DIE FUNDAMENTALGRUPPE DES KREISES 21 denn jede stetige Abbildung von D 1 = [−1, 1] nach S 0 = {−1, 1} muss konstant sein. Den Fall n > 2 werden wir später behandeln, die Fundamentalgruppe reicht hierfür nicht aus. Wir wollen hier noch einen differentialtopologischen Beweis dieser Aussage skizzieren. Wir nehmen indirekt an es wäre r : D n → S n−1 eine Retraktion, r ◦ ι = idS n−1 . Wir können r durch eine glatte Retraktion approximieren, dürfen daher o.B.d.A. annehmen, dass r eine glatte Abbildung ist. Nach dem Satz von Sard exisiert ein regulärer Wert x0 ∈ S n−1 . Nach dem impliziten Funktionensatz ist M := r −1 (x0 ) eine kompakte glatte 1-dimensionale Teilmannigfaltigkeit von D n mit Rand ∂M = M ∩ S n−1 . Aus r ◦ ι = idS n−1 folgt M ∩ S n−1 = {x0 }, also hat M genau einen Randpunkt. Andererseits ist jede kompakte 1-dimensionale Mannigfaltigkeit zu einer endlichen disjunkten Vereinigung S 1 ⊔ · · · ⊔ S 1 ⊔ I ⊔ · · · ⊔ I diffeomorph und muss daher eine gerade Anzahl von Randpunkten besitzen. Wir erhalten einen Widerspruch, es kann also keine solche Retraktion r geben. Derselbe Beweis zeigt, dass der Rand ∂N einer kompakten glatten Mannigfaltigkeit mit Rand N nicht Retrakt von N sein kann. I.2.21. Satz (Brouwerscher Fixpunktsatz). Jede stetige Abbildung f : D 2 → D besitzt einen Fixpunkt. 2 Beweis. Indirekt angenommen f : D 2 → D 2 hätte keinen Fixpunkt. Dann können wir eine stetige Abbildung r : D 2 → S 1 definieren, indem wir x ∈ D 2 den eindeutig bestimmten Schnittpunkt des Halbstrahls {x + t(x − f (x)) : t ≥ 0} mit S 1 zuordnen. Eine einfache Rechnung zeigt, dass diese Abbildung durch die 2 1 Formel r : D → S , r(x) := x+t(x) x−f (x) gegeben ist, wobei t : D 2 → [0, ∞), 2 q 2 x, f (x) − x + x, f (x) − x + 1 − |x|2 f (x) − x t(x) := . f (x) − x2 In dieser Darstellung ist auch die Stetigkeit von r evident. Für x ∈ S 1 gilt r(x) = f (x)2 = x + f (x) − x2 = x2 + 2 x, f (x) − x + f (x) − x2 ≥ x, denn aus 1 ≥ 1 + 2 x, f (x) − x + 0 folgt hx, f (x) − xi ≤ 0 und damit t(x) = 0. Also ist r eine Retraktion von D 2 auf S 1 , ein Widerspruch zu Satz I.2.19. Daher muss f einen Fixpunkt besizten. I.2.22. Bemerkung. Auch Satz I.2.21 bleibt in beliebigen Dimensionen richtig, jede stetige Abbildung f : D n → D n besitzt einen Fixpunkt, n ∈ N. Für n = 1 folgt dies aus dem Zwischenwertsatz der Analysis. Für n > 2 werden wir dies mit Hilfe derselben Konstruktion aus der höherdimensionalen Version von Satz I.2.19 herleiten, vgl. Bemerkung I.2.20. Es lässt sich auch umgekehrt Satz I.2.19 auf elementare Weise aus Satz I.2.21 herleiten, denn setzen wir eine Retraktion r : D 2 → S 1 mit der sogenannten Antipodalabbildung A : S 1 → S 1 , A(z) := −z, zusammen, würden wir eine fixpunktfreie Abbildung ι ◦ A ◦ r : D 2 → D 2 erhalten. 22 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE I.2.23. Satz (Fundamentalsatz der Algebra). Jedes nicht konstante Polynom mit komplexen Koeffizienten besitzt eine Nullstelle in C. Beweis. Sei also p(z) = an z n + an−1 z n−1 + · · · + a1 z + a0 , n ≥ 0, ai ∈ C, an 6= 0 ein Polynom und p(z) 6= 0 für alle z ∈ C. Zu zeigen ist n = 0. Die Schleife f : I → S1, f (s) := p(e2πis )/p(1) |p(e2πis )/p(1)| definiert ein Element [f ] ∈ π1 (S 1 , 1). Die Abbildung 1 H :I ×I →S , p(te2πis )/p(t) H(s, t) := |p(te2πis )/p(t)| ist eine Homotopie relativ Endpunkten vom konstanten Weg H0 = c1 nach H1 = f . Daher repräsentiert f das neutrale Element in π1 (S 1 , 1). Andererseits ist G̃ : I × I → C× := C \ {0} G̃(s, t) := tn p(e2πis /t) = an e2πins + tan−1 e2πi(n−1)s + · · · + tn−1 a1 e2πis + tn a0 eine stetige Abbildung, und G : I × I → S 1, G(s, t) := G̃(s, t)/G̃(0, t) |G̃(s, t)/G̃(0, t)| definiert eine Homotopie relative Endpunkten von G0 = wn nach G1 = f , vgl. (I.2). Also gilt [ωn ] = [f ] ∈ π1 (S 1 , 1), und daher ist auch [ωn ] das neutrale Element in π1 (S 1 , 1). Aus Satz I.2.1 folgt nun n = 0. I.2.24. Korollar. Es sei p(z) = an z n +an−1 z n−1 +· · ·+a1 z +a0 ein Polynom n-ten Grades, n ∈ N, ai ∈ C, an 6= 0. Dann existieren α1 , . . . , αn ∈ C, sodass p(z) = an (z − α1 )(z − α2 ) · · · (z − αn ). Über C zerfällt daher jedes Polynom in Linearfaktoren. Beweis. Wir dürfen uns auf normierte Polynome beschränken, es sei daher o.B.d.A. an = 1. Wir führen den Beweis durch Induktion nach n. Für n = 1 ist die Aussage trivial. Für den Induktionsschritt sei nun p ein normiertes Polynom n-ten Grades, n ≥ 2. Nach Satz I.2.23 existiert αn ∈ C mit p(αn ) = 0. Polynomdivision mit Rest liefert ein Polynom (n − 1)-ten Grades q und eine Konstante c ∈ C mit p(z) = q(z)(z − αn ) + c. Setzen wir z = αn , so erhalten wir sofort 0 = p(αn ) = q(αn )(αn − αn ) + c = c, dh. p(z) = q(z)(z − αn ). Beachte, dass mit p auch q ein normiertes Polynom ist. Nach Induktionsvoraussetzung existieren daher α1 , . . . , αn−1 ∈ C mit q(z) = (z − α1 ) · · · (z − αn−1 ), woraus nun p(z) = (z − α1 ) · · · (z − αn ) folgt. Damit ist der Induktionsschritt gezeigt. I.3. HOMOTOPIEINVARIANZ 23 I.3. Homotopieinvarianz. Zwei stetige Abbildungen f, g : X → Y heißen homotop falls eine stetige Abbildung H : X × I → Y mit H0 = f und H1 = g existiert. Dabei bezeichnet Ht : X → Y die stetige Abbildung Ht (x) := H(x, t), t ∈ I. Jede solche Abbildung H wird eine Homotopie von f nach g genannt. H Wir schreiben f ≃ g oder f ≃ g. Ist f : X → Y homotop zu einer konstanten Abbildung, dh. existiert y0 ∈ Y mit f ≃ cy0 wobei cy0 : X → Y , cy0 (x) := y0 , dann nennen wir f nullhomotop. I.3.1. Proposition. Homotop zu sein ist eine Äquivalenzrelation auf der Menge der stetigen Abbildungen X → Y . Beweis. Der Beweis ist völlig analog zu dem Beweis von Proposition I.1.1. H Ist f : X → Y stetig, dann gilt f ≃ f mit H : X ×I → Y , H(x, t) := f (x), also ist H G die Relation reflexsiv. Ist f ≃ g, dann folgt g ≃ f mittels G(x, t) := H(x, 1 − t), H′ H ′′ also ist die Relation symmetrisch. Gilt f ≃ g und g ≃ h so definiert ( H ′ (x, 2t) falls 0 ≤ t ≤ 1/2 H : X × I → Y, H(x, t) := ′′ H (x, 2t − 1) falls 1/2 ≤ t ≤ 1 H eine Homotopie von f nach h, dh. f ≃ h, und damit ist die Relation auch transitiv. Die Stetigkeit von H folgt wieder aus Lemma I.1.2. Die mit obiger Äquivalenzrelation assoziierten Äquivalenzklassen werden Homotopieklassen genannt. Die Menge der Homotopieklassen stetiger Abbildungen X → Y wird mit [X, Y ] bezeichnet. Die von f : X → Y repräsentierte Klasse werden wir mit [f ] bezeichnen. I.3.2. Beispiel. Bezeichnet {∗} den einpunktigen Raum, dann können wir [{∗}, X] mit der Menge der Wegzusammenhangskomponenten von X identifizieren. Dabei entspricht [f ] ∈ [{∗}, X] die (wohldefinierte) Wegzusammenhangskomponente von X die f (∗) enthält. I.3.3. Bemerkung. Die Menge der Homotopieklassen [S 1 , X] hängt eng mit der Fundamentalgruppe π1 (X) zusammen, siehe Satz I.3.33 unten. I.3.4. Lemma. Es seien f0 , f1 : X → Y und g0 , g1 : Y → Z stetige Abbildungen mit f0 ≃ f1 und g0 ≃ g1 . Dann gilt auch g0 ◦ f0 ≃ g1 ◦ f1 . Wir erhalten daher eine wohldefinierte Verknüpfung [X, Y ] × [Y, Z] → [X, Z], ([f ], [g]) 7→ [g ◦ f ]. Beweis. Es seien F : X × I → Y und G : Y × I → Z Homotopien mit G f0 ≃ f1 und g0 ≃ g1 . Dann liefert H : X × I → Z, H(x, t) := G(F (x, t), t) eine F H Homotopie von g0 ◦ f0 nach g1 ◦ f1 , dh. g0 ◦ f0 ≃ g1 ◦ f1 . I.3.5. Definition (Homotopieäquivalenz). Eine stetige Abbildung f : X → Y wird Homotopieäquivalenz genannt, falls eine stetige Abbildung g : Y → X 24 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE existiert, sodass g ◦ f ≃ idX und f ◦ g ≃ idY gilt. Zwei topologische Räume X und Y heißen homotopieäquivalent, falls eine Homotopieäquivalenz f : X → Y existiert. In diesem Fall schreiben wir X ≃ Y , und sagen auch X und Y haben denselben Homotopietyp. Jeder Homöomorphismus f : X → Y ist eine Homotopieäquivalenz, denn g := f −1 : Y → X erfüllt ja sogar g ◦ f = idX und f ◦ g = idY . Homöomorphe Räume sind daher stets homotopieäquivalent. Die identische Abbildung idX : X → X ist eine Homotopieäquivalenz, es gilt daher X ≃ X. Ist f : X → Y eine Homotopieäquivalenz und g : Y → X mit g ◦ f ≃ idX , f ◦ g ≃ idY , dann ist trivialerweise auch g : Y → X eine Homotopieäquivalenz. Aus X ≃ Y folgt daher Y ≃ X. Sind f : X → Y und g : Y → Z zwei Homotopieäquivalenzen, dann ist auch die Komposition g ◦ f : X → Z eine Homotopieäquivalenz, siehe Lemma I.3.4. Aus X ≃ Y und Y ≃ Z folgt daher stets X ≃ Z. Ist f : X → Y eine Homotopieäquivalenz und ist g : X → X homotop zu f , dann ist auch g eine Homotopieäquivalenz. I.3.6. Bemerkung. Eine stetige Abbildung ϕ : Y1 → Y2 induziert eine Abbildung ϕ∗ : [X, Y1 ] → [X, Y2 ], ϕ∗ ([f ]) := [ϕ ◦ f ]. Nach Lemma I.3.4 ist ϕ∗ wohldefiniert. Ist ψ : Y2 → Y3 eine weitere stetige Abbildung, dann gilt offensichtlich (ψ ◦ ϕ)∗ = ψ∗ ◦ ϕ∗ : [X, Y1 ] → [X, Y3 ] und (idY )∗ = id[X,Y ] . Sind ϕ0 , ϕ1 : Y1 → Y2 homotop, so gilt (ϕ0 )∗ = (ϕ1 )∗ : [X, Y1 ] → [X, Y2 ], siehe Lemma I.3.4. Ist ϕ : Y1 → Y2 eine Homotopieäquivalenz, dann induziert diese eine Bijektion ϕ∗ : [X, Y1 ] → [X, Y2 ]. Ist nämlich ψ : Y2 → Y1 mit ψ ◦ ϕ ≃ idY1 und ψ ◦ ϕ ≃ idY2 , dann folgt ψ∗ ◦ ϕ∗ = (ψ ◦ ϕ)∗ = (idY1 )∗ = id[X,Y1 ] und ϕ∗ ◦ ψ∗ = (ϕ ◦ ψ)∗ = (idY2 )∗ = id[X,Y2 ] , also ist ψ∗ : [X, Y2 ] → [X, Y1 ] die Inverse von ϕ∗ . Insbesondere induziert eine Homotopieäquivalenz ϕ : Y1 → Y2 eine Bijektion zwischen der Menge der Wegzusammenhangskomponenten von Y1 und der Menge der Wegzusammenhangskomponenten von Y2 , siehe Beispiel I.3.2. I.3.7. Bemerkung. Eine stetige Abbildung ϕ : X2 → X1 induziert eine Abbildung ϕ∗ : [X1 , Y ] → [X2 , Y ], ϕ∗ ([f ]) := [f ◦ ϕ]. Wieder ist ϕ∗ wegen Lemma I.3.4 wohldefiniert. Ist ψ : X3 → X2 eine weitere stetige Abbildung, dann gilt (ϕ ◦ ψ)∗ = ψ ∗ ◦ ϕ∗ : [X1 , Y ] → [X3 , Y ] und (idX )∗ = id[X,Y ] . Sind ϕ0 , ϕ1 : X2 → X1 homotop, so gilt (ϕ0 )∗ = (ϕ1 )∗ : [X1 , Y ] → [X2 , Y ], siehe Lemma I.3.4. Ist ϕ : X2 → X1 eine Homotopieäquivalenz, dann induziert diese eine Bijektion ϕ∗ : [X1 , Y ] → [X2 , Y ]. Ist nämlich ψ : X1 → X2 mit ϕ ◦ ψ ≃ idX1 und ψ ◦ ϕ ≃ idX2 dann folgt ψ ∗ ◦ ϕ∗ = (ϕ ◦ ψ)∗ = (idX1 )∗ = id[X1 ,Y ] und ϕ∗ ◦ ψ ∗ = (ψ ◦ ϕ)∗ = (idX2 )∗ = id[X2 ,Y ] , also ist ψ ∗ : [X2 , Y ] → [X1 , Y ] die Inverse von ϕ∗ . I.3.8. Definition (Kontrahierbare Räume). Ein topologischer Raum X heißt kontrahierbar falls er den Homotopietyp des einpunktigen Raumes hat, X ≃ {∗}. Ein topologischer Raum X ist genau dann kontrahierbar, wenn die konstante Abbildung X → {∗} eine Homotopieäquivalenz ist. Dies ist genau dann der Fall, I.3. HOMOTOPIEINVARIANZ 25 wenn x0 ∈ X existiert, sodass die Inklusion {x0 } → X eine Homotopieäquivalenz ist. Offensichtlich ist X kontrahierbar genau dann, wenn die identische Abbildung idX nullhomotop ist, dh. wenn x0 ∈ X und eine Homotopie H : X × I → X mit H0 = idX und H1 = cx0 existieren, wobei cx0 : X → X, cx0 (x) := x0 , die konstante Abbildung bezeichnet.5 Ein kontrahierbarer Raum muss wegzusammenhängend sein, denn für x ∈ X ist t 7→ H(x, t) ein Weg von x nach x0 . Ist X kontrahierbar und x1 ∈ X beliebig, dann gilt idX ≃ cx1 , dh. die Inklusion {x1 } → X ist eine Homotopieäquivalenz, für jedes x1 ∈ X. Letzteres folgt aus der Tatsache, dass ein Weg von x0 nach x1 als Homotopie zwischen der Inklusion {x0 } → X und der Inklusion {x1 } → X aufgefasst werden kann. I.3.9. Beispiel. Für einen kontrahierbaren Raum Y ist jede stetige Abbildung X → Y nullhomotop, die Menge [X, Y ] besteht daher aus nur einem Element. Um dies einzusehen fixiere y ∈ Y . Wegen der Kontrahierbarkeit von Y ist die identische Abbildung idY : Y → Y homotop zur konstanten Abbildung cy : Y → Y , idY ≃ cy . Sei nun f : X → Y stetig. Aus Lemma I.3.4 folgt dann f = idY ◦f ≃ cy ◦ f = c̃y , also ist f homotop zu der konstanten Abbildung c̃y : X → Y , c̃y (x) := y. I.3.10. Definition (Deformationsretrakt). Ein Teilraum A eines topologischen Raumes X heißt Deformationsretrakt von X falls eine Homotopie H : X × I → X mit folgenden Eigenschaften existiert: H0 = idX , H1 (X) ⊆ A und Ht |A = idA für alle t ∈ I. In diesem Fall wird r := H1 : X → A als Deformationsretraktion bezeichnet, und H wird manchmal eine retrahierende Deformation genannt. Bezeichnet ι : A → X die kanonische Inklusion, so gilt r ◦ ι = idA , Deformationsretraktionen sind daher Retraktionen. Schließlich ist ι : A → X eine H Homotopieäquivalenz, denn idX ≃ ι ◦ r.6 I.3.11. Bemerkung. Existiert x0 ∈ X, sodass der einpunktige Teilraum {x0 } ⊆ X Deformationsretrakt von X ist, dann ist X offensichtlich kontrahierbar. Die Umkehrung stimmt i.A. jedoch nicht. Es ist nicht schwer einen kontrahierbarer Raum X und ein Punkt Q ∈ X zu konstruiert, sodass {Q} nicht Deformationsretrakt von X ist. I.3.12. Beispiel. Die Sphäre S n−1 ist Deformationsretrakt von Rn \{0}, es ist t nämlich H : Rn \ {0} × I → Rn \ {0}, H(x, t) := (1 − t)x + |x| x eine retrahierende n−1 Deformation. Insbesondere ist die kanonische Inklusion S → Rn \ {0} eine Homotopieäquivalenz. 5Es ist nicht verlangt, dass die Homotopie den Punkt x0 festhält, dh. wir verlangen nicht, dass H(x0 , t) = x0 gilt. 6Wir folgen hier den Definitionen in [19, page 24] oder [4, page 2]. In [18, Definition 2.4.3] oder [15, page 30] wird dies als strenger Deformationsretrakt bezeichnet. Verlangen wir statt Ht |A = idA nur H1 |A = idA dann erhalten wir den Begriff des schwachen Deformationsretrakts. In diesem Fall ist r : X → A immer noch eine Retraktion, und auch die Inklusion ι : A → X ist eine Homotopieäquivalenz. 26 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE I.3.13. Beispiel (Sternförmige Teilmengen). Eine Teilmenge X ⊆ Rn heißt sternförmig, falls z ∈ X mit folgender Eigenschaft existiert: x ∈ X, t ∈ [0, 1] ⇒ tz + (1 − t)x ∈ X. Dies bedeutet gerade, dass die affine Strecke von x nach z zur Gänze in X liegt. Jedes solche z wird ein Zentrum von X genannt. Ist z ein Zentrum von X, dann ist {z} ein Deformationsretrakt von X, eine retrahierende Deformation ist durch H : X × I → X, H(x, t) := tz + (1 − t)x gegeben. Insbesondere ist die Inklusion {z} → X eine Homotopieäquivalenz. Sternförmige Teilmengen sind daher stets kontrahierbar. Dasselbe gilt für konvexe Teilmengen, denn konvexe Teilmengen sind sternförmig, jeder ihrer Punkte ist Zentrum. I.3.14. Beispiel. Es sei P ∈ S n . Dann ist S n \ {P } ∼ = Rn kontrahierbar, siehe n Beispiel I.1.25. Jede stetige Abbildung X → S \{P } ist daher nullhomotop, siehe Beispiel I.3.9. Insbesondere ist die Inklusion des Äquators S n−1 → S n , x 7→ (x, 0), nullhomotop. Hierfür lässt sich auch √ ganz leicht eine explizte Homotopie angeben, n−1 n H:S × I → S , H(x, t) := ( 1 − t2 x, t). Für t = 0 erhalten wir die Inklusion des Äquators, H0 (x) = (x, 0), und für t = 1 erhalten wir die konstante Abbildung H1 (x) = (0, . . . , 0, 1). I.3.15. Beispiel. Ist A Deformationsretrakt von X, und ist B Deformationsretrakt von Y , dann ist A × B Deformationsretrakt von X × Y . Sind nämlich G : X × I → X und H : Y × I → Y retrahierende Deformationen von X auf A bzw. von Y auf B, so ist (x, y, t) 7→ G(x, t), H(y, t) eine retrahierende Deformation von X × Y auf A × B. Für die Konstruktion von Homotopien auf Quotientenräumen wird sich folgendes Resultat der mengentheoretischen Topologie als hilfreich erweisen, ein Beweis findet sich in [14, I.7.9 Satz 5]. I.3.16. Lemma. Es sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf einem topologischen Raum X, und es bezeichne p : X → X/∼ die kanonische Projektion auf den Quotientenraum. Weiters sei K ein lokalkompakter Hausdorffraum. Dann ist p × idK : X × K → (X/∼) × K eine Quotientenabbildung, dh. eine Teilmenge U ⊆ (X/∼) × K ist genau dann offen, wenn (p × idK )−1 (U) offen in X × K ist. I.3.17. Lemma. Es sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf einem topologischen Raum X, und es bezeichne p : X → X/∼ die Projektion auf den Quotientenraum. Weiters sei H̃ : X × I → Y eine Homotopie mit folgender Eigenschaft x1 , x2 ∈ X, t ∈ I, x1 ∼ x2 ⇒ H̃(x1 , t) = H̃(x2 , t). Dann existiert genau eine Homotopie H : (X/∼) × I → Y mit H(p(x), t) = H̃(x, t), für alle x ∈ X und t ∈ I. Beweis. Offensichtlich gibt es genau eine Abbildung H : (X/∼) × I → Y mit H(p(x), t) = H̃(x, t). Es bleibt daher nur die Stetigkeit von H zu zeigen. Dies folgt aber sofort aus Lemma I.3.16 und der Stetigkeit von H̃. I.3. HOMOTOPIEINVARIANZ 27 Ist A ein nichtleerer Teilraum eines topologischen Raumes X, dann schreiben wir X/A für den Raum der aus X entsteht wenn wir A zu einem einzigen Punkt kollabieren. Genauer bezeichnet ∼ die von a ∼ b, a, b ∈ A, erzeugte Äquivalenzrelation auf X, dann definieren wir X/A := X/∼ und versehen X/A mit der Quotiententopologie. Wir erhalten eine stetige Abbildung p : X → X/A, die als kanonische Projektion bezeichnet wird. Sie bildet ganz A auf einen einzigen Punkt in X/A ab den wir mit ∗ := p(A) bezeichnen. Wir können den Quotienten daher auch als punktierten Raum (X/A, ∗) auffassen. Ist (Z, z0) ein punktierter Raum und f : X → Z eine stetige Abbildung mit f (A) = {z0 }, dann gibt es genau eine Abbildung punktierter Räume f¯ : (X/A, ∗) → (Z, z0 ), sodass f¯ ◦ p = f . Die Stetigkeit von f¯ folgt sofort aus der Definition der Quotiententopologie auf X/A. I.3.18. Beispiel (Kegel). Ist X ein topologischer Raum, dann wird CX := (X × I)/(X × {0}) der Kegel über X genannt. Der Basispunkt {∗} ist ein Deformationsretrakt von CX, die Abbildung H̃ : (X ×I)×I → X ×I, H̃(x, s, t) := (x, (1−t)s), faktorisiert zu einer retrahierenden Deformation H : CX × I → CX auf den Punkt {∗}. Die Stetigkeit von H folgt aus Lemma I.3.17. Insbesondere ist die kanonische Inklusion {∗} → CX eine Homotopieäquivalenz, und CX daher kontrahierbar. Die Abbildung ι : X → CX, ι(x) := [(x, 1)], ist ein Homöomorphismus auf ihr Bild, wir können X daher als Teilraum von CX auffassen. Offensichtlich ist CX \ {∗} eine offene Umgebung von ι(X), und ι(X) ist Deformationsretrakt dieser Umgebung, denn CX \ {∗} ∼ = X × (0, 1]. Ist A ⊆ Y und ϕ : A → X stetig, dann definieren wir X ∪ϕ Y := (X ⊔ Y )/∼, wobei ∼ die von a ∼ ϕ(a), a ∈ A, erzeugte Äquivalenzrelation auf der disjunkten Vereinigung X ⊔Y bezeichnet. Wir sagen der Raum X ∪ϕ Y entsteht aus X durch Ankleben von Y längs ϕ. Wir erhalten X HH zwei kanonische stetige Abbildungen ιX : ψX ? HH ϕ HH X → X ∪ϕ Y und ϕ̂ : Y → X ∪ϕ Y . Die ιX HHH # Abbildung ιX ist ein Homöomorphismus ∃!ψ ' X ∪ϕ Y _ _ _ _ _ _7/ Z A ?? auf ihr Bild, wir können X daher als Teilv; ?? ϕ̂ vvv ?? raum von X ∪ϕ Y auffassen. Bezeichnet v ιA ?? vv vv ιA : A → Y die kanonsische Inklusion, ψY Y dann gilt offensichtlich ιX ◦ ϕ = ϕ̂ ◦ ιA . Der verklebte Raum X ∪ϕ Y hat folgende universelle Eigenschaft. Sind ψX : X → Z und ψY : Y → Z zwei stetige Abbildungen mit ψX ◦ ϕ = ψY ◦ ιA dann existiert eine eindeutige stetige Abbildung ψ : X ∪ϕ Y → Z mit ψX = ψ ◦ ιX und ψY = ψ ◦ ϕ̂. Wir werden diese Abbildung mit ψX ∪ϕ ψY := ψ bezeichnen. 28 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE I.3.19. Lemma. Es sei A ein Deformationsretrakt von Y und ϕ : A → X stetig. Dann ist ιX (X) ein Deformationsretrakt von X ∪ϕ Y , und die kanonische Einbettung ιX : X → X ∪ϕ Y daher eine Homotopieäquivalenz. Beweis. Es sei H : Y ×I → Y eine retrahierende Deformation, dh. H0 = idY , H1 (Y ) ⊆ A und Ht |A = idA . Betrachte die Abbildung G̃ : (X ⊔ Y ) × I → X ∪ϕ Y die durch G̃(x, t) := ιX (x), (x, t) ∈ X × I, und G̃(y, t) := ϕ̂(H(y, t)), (y, t) ∈ Y × I, definiert ist. Da Ht |A = idA faktorisiert G̃ zu einer stetigen Abbildung G : (X ∪ϕ Y ) × I → X ∪ϕ Y , vgl. Lemma I.3.17. Wegen H0 = idY ist G0 = idX∪ϕ Y . Da H1 (Y ) ⊆ A gilt G1 (X ∪ϕ Y ) ⊆ ιX (X). Schließlich ist Gt |ιX (X) = idιX (X) für alle t ∈ I. Daher ist G eine retrahierende Deformation und ιX (X) ein Deformationsretrakt von X ∪ϕ Y . I.3.20. Beispiel (Abbildungszylinder). Es sei ϕ : Y → X stetig, und es bezeichne ιY : Y → Y × I die Einbettung ιY (y) := (y, 1). Wir können ϕ als eine auf dem Teilraum A := ιY (Y ) = Y × {1} deιX / Zϕ := X ∪ϕ (Y × I) finiert Abbildung auffassen. Der Raum Zϕ := XO O X ∪ϕ (Y ×I) wird der Abbildungszylinder von ϕ ϕ ϕ̂ genannt. Wir erhalten eine kanonische EinbetιY /Y ×I tung ιX : X → Zϕ und eine stetige Abbildung Y ϕ̂ : Y × I → Zϕ mit ιX ◦ ϕ = ϕ̂ ◦ ιY . Offensichtlich ist A ein Deformationsretrakt von Y × I, nach Lemma I.3.19 ist daher ιX (X) ein Deformationsretrakt von Zϕ und die Einbettung ιX : X → Zϕ eine Homotopieäquivalenz. Die Abbildung jY : Y → Zϕ , jY (y) := ϕ̂(y, 0) liefert auch eine Einbettung von Y in Zϕ . Diese ist zu ιX ◦ ϕ homotop, H : Y × I → Zϕ , H(y, t) := ϕ̂(y, t), liefert eine Homotopie von H0 = jY nach H1 = ϕ̂ ◦ ιY = ιX ◦ ϕ. Bis auf Homotopie(äquivalenz) können wir daher jede stetige Abbildung als Einbettung auffassen. Zwei Abbildungen punktierter Räume f, g : (X, x0 ) → (Y, y0 ) heißen homotop relativ Basispunkt falls eine stetige Abbildung H : I × X → Y mit H0 = f , H1 = g und H(x0 , t) = y0 , für alle t ∈ I, existiert. Jede solche Abbildung H heißt eine Homotopie relativ Basispunkt von f nach g. Für jedes t ∈ I ist Ht : (X, x0 ) → (Y, y0 ), Ht (x) := H(x, t), eine Abbildung punktierter Räume. Wie in Proposition I.3.1 lässt sich zeigen, dass dies eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Abbildungen punktierter Räume liefert. Die Äquivalenzklassen werden wir mit [(X, x0 ), (Y, y0)] bezeichnen. Auch Lemma I.3.4 bleibt sinngemäß für Abbildungen punktierter Räume richtig. Eine Abbildung punktierter Räume f : (X, x0 ) → (Y, y0) wird Homotopieäquivalenz punktierter Räume genannt, falls eine Abbildung punktierter Räume g : (Y, y0) → (X, x0 ) existiert, sodass g ◦ f ≃ id(X,x0 ) relativ Basispunkt und f ◦ g ≃ id(Y,y0 ) relativ Basispunkt. In diesem Fall schreiben wir (X, x0 ) ≃ (Y, y0 ). Auch die Bemerkungen I.3.6 und I.3.7 haben offensichtliche Analoga für punktierte Räume. I.3. HOMOTOPIEINVARIANZ 29 I.3.21. Beispiel. Ist A ein Deformationsretrakt von X und x0 ∈ A, dann ist die kanonische Inklusion (A, x0 ) → (X, x0 ) eine Homotopieäquivalenz punktierter Räume.7 I.3.22. Beispiel. Ist (X, x0 ) ein punktierter Raum, dann können wir die Menge [(S 0 , 1), (X, x0 )] mit der Menge der Wegzusammenhangskomponenten von X identifizieren. Dabei entspricht [f ] ∈ [(S 0 , 1), (X, x0 )] die (eindeutig bestimmte) Wegzusammenhangskomponente von X die f (−1) enthält. I.3.23. Beispiel. Ist (X, x0 ) ein punktierter Raum, dann kann die Menge [(S 1 , 1), (X, x0 )] auf kanonische Art mit π1 (X, x0 ) identifiziert werden, siehe Proposition I.3.32 unten. I.3.24. Proposition. (Homotopieinvarianz) Sind ϕ, ψ : (X, x0 ) → (Y, y0 ) homotop relativ Basispunkt, dann induzieren diese denselben Homomorphismus zwischen den Fundamentalgruppen, dh. ϕ∗ = ψ∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 ). Beweis. Sei f : I → X eine Schleife bei x0 . Weiters sei H : X × I → Y eine Homotopie relativ Basispunkt von H0 = ϕ nach H1 = ψ. Dann ist G : I × I → Y , G(s, t) := H(f (s), t), eine Homotopie relativ Endpunkten von G0 = H0 ◦f = ϕ◦f G nach G1 = H1 ◦ f = ψ ◦ f , also ϕ ◦ f ≃ ψ ◦ f und damit ϕ∗ ([f ]) = [ϕ ◦ f ] = [ψ ◦ f ] = ψ∗ ([f ]). I.3.25. Proposition. Ist ϕ : (X, x0 ) → (Y, y0 ) eine Homotopieäquivalenz punktierter Räume, dann induziert diese einen Isomorphimus zwischen den Fun∼ = damentalgruppen, ϕ∗ : π1 (X, x0 ) − → π1 (Y, y0). Beweis. Sei dazu ψ : (Y, y0 ) → (X, x0 ), sodass ψ ◦ ϕ ≃ id(X,x0 ) relativ Basispunkt und ϕ ◦ ψ ≃ id(Y,y0 ) relativ Basispunkt. Aus Proposition I.3.24 folgt ψ∗ ◦ ϕ∗ = (ψ ◦ ϕ)∗ = (id(X,x0 ) )∗ = idπ1 (X,x0 ) sowie ϕ∗ ◦ ψ∗ = (ϕ ◦ ψ)∗ = (id(Y,y0 ) )∗ = idπ1 (Y,y0 ) . Also sind ϕ∗ und ψ∗ zueinander inverse Gruppenisomorphismen. I.3.26. Proposition. Es sei H : X × I → Y eine Homotopie, x0 ∈ X, y0 := H0 (x0 ), y1 := H1 (x0 ), und es bezeichne h : I → Y den Weg h(t) := H(x0 , t) von y0 nach y1 . Dann gilt (H0 )∗ = βh ◦ (H1 )∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (X, y0 ). Beweis. Sei also f : I → X eine Schleife bei x0 . Die Abbildung falls 0 ≤ s ≤ t/4, h(4s) 4s−t G : I × I → Y, G(s, t) := H f 4−3t , t falls t/4 ≤ s ≤ 1 − t/2, h(2 − 2s) falls 1 − t/2 ≤ s ≤ 1, definiert eine Homotopie relativ Endpunkten in Y von G0 = H0 ◦ f nach G1 = h(H1 ◦ f ) h̄. Also gilt (H0 )∗ ([f ]) = [H0 ◦ f ] = [G0 ] = [G1 ] = [h(H1 ◦ f )h̄] = βh [H1 ◦ f ] = βh ◦ (H1 )∗ ([f ]). 7Ist A nur ein schwacher Deformationsretrakt, dann ist die Inklusion (A, x0 ) → (X, x0 ) i.A. keine Homotopieäquivalenz punktierter Räume. 30 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE I.3.27. Satz (Homotopieinvarianz). Ist ϕ : X → Y eine Homotopieäquivalenz und x0 ∈ X, dann ist ϕ∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, ϕ(x0 )) ein Isomorphismus. Beweis. Da ϕ eine Homtopieäquivalenz ist, existieren eine stetige Abbildung ψ : Y → X sowie Homotopien H : X × I → X und G : Y × I → Y mit H G ψ ◦ ϕ ≃ idX und ϕ ◦ ψ ≃ idY . Betrachte den Weg h : I → X, h(t) := H(x0 , t) von ψ(ϕ(x0 )) nach x0 , und den Weg g : I → Y , g(t) := G(ϕ(x0 ), t) von ϕ(ψ(ϕ(x0 ))) nach ϕ(x0 ). Nach Proposition I.3.26 gilt ϕ∗ / π1 Y, ϕ(x0 ) π1 X, x0 ψ∗ ◦ϕ∗ = (ψ◦ϕ)∗ = (H0 )∗ = βh ◦(H1 )∗ = m ψ∗ mmmm βh ◦(idX )∗ = βh sowie ϕ∗ ◦ψ∗ = (ϕ◦ψ)∗ = ∼ mm βh ∼ = βg = m m m (G0 )∗ = βg ◦(G1 )∗ = βg ◦(idY )∗ = βg . Da vmmm ϕ∗ / her kommutiert das nebenstehende Diaπ1 X, ψϕ(x0 ) π1 Y, ϕψϕ(x0 ) gramm. Nach Proposition I.1.18 ist βh ein Isomorphismus, also muss ψ∗ surjektiv sein. Da βg ein Isomorphismus ist, muss ψ∗ auch injektiv sein. Damit ist ψ∗ ein Isomorphismus, woraus wir nun schließen, dass ϕ∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, ϕ(x0 )) ein Isomorphismus sein muss. I.3.28. Bemerkung. Aus Propostion I.1.14 folgt, dass wir die Fundamentalgruppe als eine topologische Invariante wegzusammenhängender Räume auffassen können, dh. homöomorphe wegzusammenhängende topologische Räume müssen isomorphe Fundamentalgruppen haben. Satz I.3.27 besagt nun, dass die Fundamentalgruppe sogar eine Homotopieinvariante wegzusammenhängender Räume liefert, dh. homotopieäquivalente wegzusammenhängende topologische Räume müssen isomorphe Fundamentalgruppen haben. In anderen Worten, sind die Fundamentalgruppen zweier wegzusammenhängender Räume nicht isomorph, dann können die Räume nicht einmal homotopieäquivalent sein. I.3.29. Korollar. Kontrahierbare Räume sind einfach zusammenhängend. Beweis. Ein kontrahierbarer Raum X ist wegzusammenhägend, siehe oben, und die konstante Abbildung X → {∗} ist eine Homotopieäquivalenz. Nach Satz I.3.27 induziert diese einen Isomorphismus π1 (X) ∼ = π1 ({∗}). Aus π1 ({∗}) = 0 folgt daher auch π1 (X) = 0. I.3.30. Beispiel (Möbiusband). Auf I × [−1, 1] betrachte die von (0, y) ∼ (1, −y), y ∈ [−1, 1], erzeugte Äquivalenzrelation. Der damit assoziierten Quotientenraum M := (I × [−1, 1])/∼ wird Möbiusband genannt. Es bezeichne p : I × [−1, 1] → M die kanonische Projektion und S := p(I × {0}). Die retrahierende Deformation H̃ : (I × [−1, 1]) × I → I × [−1, 1], H̃(x, y, t) := (x, (1 − t)y), faktorisiert zu einer retrahierenden Deformation H : M × I → M, p ◦ H̃t = Ht ◦ p, von M auf S. Daher ist S ein Deformationsretrakt von M und die Inklusion S → M eine Homotopieäquivalenz. Da S homöomorph zu S 1 ist, erhalten wir π1 (M) ∼ = Z. Die Schleife I → M, s 7→ p(s, 0), repräsentiert einen = π1 (S 1 ) ∼ Erzeuger von π1 (M). I.3. HOMOTOPIEINVARIANZ 31 I.3.31. Beispiel. Betrachte wieder die Abbildungen µA : (T n , xn ) → (T m , xm ) aus Beispiel I.2.17, A ∈ Mm,n (Z). Aus Proposition I.3.24 und der Berechnung des induzierten Homomorphismus in Beispiel I.2.17 sehen wir, dass µA und µB nicht homotop relativ Basispunkt sind, falls A 6= B ∈ Mm,n (Z). Die Abbildung Mm,n (Z) → [(T n , xn ), (T m , xm )], A 7→ [µA ], ist daher injektiv. Unter der Einpunktvereinigung zweier punktierter Räume (X, x0 ) und (Y, y0 ) verstehen wir den punktierten Raum der aus der disjunkten Vereinigung X ⊔ Y durch Identifikation der beiden Punkte x0 und y0 ensteht. Genauer, (X, x0 ) ∨ (Y, y0 ) := (X ⊔ Y )/{x0 , y0}, ∗ . Die beiden Abbildungen punktierter Räume ιX : (X, x0 ) → (X, x0 ) ∨ (Y, y0 ), ιX (x) := [(x, y0 )], und ιY : (Y, y0) → (X, x0 )∨(Y, y0 ), ιY (y) := [(x0 , y)], werden als kanonische Einbettungen bezeichnet. Beide (X, x0 ) sind Homöomorphismen auf ihr Bild, wir ϕX können daher (X, x0 ), und ebenso (Y, y0 ), ιX als Teilraum von (X, x0 ) ∨ (Y, y0 ) auffas & ∃!ϕ z0 ) sen. Die Einpunktvereinigung hat die fol- (X, x0 ) ∨O (Y, y0) _ _ _ _ _ _/ (Z, 8 gende universelle Eigenschaft. Sind ϕX : ιY (X, x0 ) → (Z, z0 ) und ϕY : (Y, y0) → (Z, z0 ) ϕY zwei Abbildungen punktierter Räume, dann (Y, y0) existiert eine eindeutige Abbildung punktierter Räume ϕ : (X, x0 ) ∨(Y, y0 ) → (Z, z0 ), sodass ϕ ◦ ιX = ϕX und ϕ ◦ ιY = ϕY , siehe nebenstehendes Diagramm. Diese Abbildung ist durch ϕ(x, y0 ) := ϕX (x), x ∈ X, und ϕ(x0 , y) := ϕY (y), y ∈ Y , gegeben und wird mit ϕX ∨ ϕY bezeichnet. Beachte, dass ϕX (x0 ) = z0 = ϕY (y0 ) und daher ϕX ∨ ϕY wohldefiniert ist. Analog definieren wir die Einpunktvereinigung beliebig vieler punktierter Räume (Xα , xα ), α ∈ A, durch G _ (Xα , xα ) := Xα {xα : α ∈ A}, ∗ . α∈A α∈A W Wieder haben wir kanonische Inklusionen ια : (Xα , xα ) → α′ ∈A (Xα′ , xα′ ) mit folgender universellen Eigenschaft. Ist (Z, z0 ) ein punktierter Raum und sind ϕα : (Xα , xα ) → (Z, z0 ) Abbildungen punktierter W Räume, α ∈ A, dann existiert genau eine Abbildung punktierter Räume ϕ : α∈A (Xα , xα ) → (Z, z0 ), sodass ϕ ◦ ια = ϕα für alle α ∈ A. Betrachte nun wieder S 1 ⊆ C mit Basispunkt 1 ∈ S 1 . Weiters bezeichnen ι1 : (S 1 , 1) → (S 1 , 1) ∨ (S 1 , 1) und ι2 : (S 1 , 1) → (S 1 , 1) ∨ (S 1 , 1) die beiden kanonischen Inklusionen. Definiere Abbildungen punktierter Räume: ( ι1 (z 2 ) falls Im z ≥ 0, µ : (S 1 , 1) → (S 1 , 1) ∨ (S 1 , 1), µ(z) := (I.5) ι2 (z 2 ) falls Im z ≤ 0. ν : (S 1 , 1) → (S 1 , 1), ν(z) := z −1 = z̄ 32 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Wir können damit eine alternative Beschreibung der Fundamentalgruppe geben. I.3.32. Proposition. Ist (X, x0 ) ein punktierter Raum, dann definiert Ψ = Ψ(X,x0 ) : [(S 1 , 1), (X, x0 )] → π1 (X, x0 ), Ψ([f ]) := [f ◦ ω1 ], eine Bijektion, siehe (I.2), und es gilt Ψ([f ])Ψ([g]) = Ψ([(f ∨ g) ◦ µ]) sowie Ψ([f ])−1 = Ψ([f ◦ ν]). Diese Bijektion ist natürlich, dh. für jede Abbildung punktierter Räume ϕ : (X, x0 ) → (Y, y0 ) kommutiert das folgende Diagramm: [(S 1 , 1), (X, x0 )] Ψ(X,x0 ) ∼ = π1 (X, x0 ) / ϕ∗ [(S 1 , 1), (Y, y0)] ϕ∗ Ψ(Y,y0 ) ∼ = / π1 (Y, y0 ) Dabei bezeichnet ϕ∗ : [(S 1 , 1), (X, x0 )] → [(S 1 , 1), (Y, y0)], ϕ∗ ([f ]) := [ϕ ◦ f ]. Beweis. Zunächst ist Ψ wohldefiniert, denn sind f, g : (S 1 , 1) → (X, x0 ) hoH motop relativ Basispunkt, f ≃ g, dann ist (s, t) 7→ H(ω1(s), t) eine Homotopie relativ Endpunkten von f ◦ ω1 nach g ◦ ω1 , also [f ◦ ω1 ] = [g ◦ ω1 ] ∈ π1 (X, x0 ). Beachte, dass ω1 : I → S 1 zu einem Homöomorphismus I/{0, 1} → S 1 faktorisiert. Daher definiert f 7→ f ◦ ω1 eine Bijektion zwischen der Menge der Abbildungen punktierter Räume (S 1 , 1) → (X, x0 ) und der Menge der Schleifen bei x0 . Es folgt sofort, dass Ψ surjektiv ist. Wir sehen aber auch, dass H 7→ H ◦ (ω1 × idI ) eine Bijektion zwischen der Menge der basispunkterhaltenden Homotopien S 1 × I → X mit Ht (1) = x0 und der Menge der Homotopien I × I → X relativ Endpunkt x0 liefert. Daraus folgt nun auch die Injektivität von Ψ. Nun zur Beschreibung der Gruppenstruktur. Für f : (S 1 , 1) → (X, x0 ) gilt Ψ([f ])−1 = [f ◦ ω1 ]−1 = [f ◦ ω1 ] = [f ◦ ω̄1 ] = [f ◦ ν ◦ ω1 ] = Ψ([f ◦ ν]). Ist weiters g : (S 1 , 1) → (X, x0 ) dann gilt ( (f ∨ g)(ι1 (ω1 (2s))) = f (ω1 (2s)) für 0 ≤ s ≤ 21 , (f ∨ g) ◦ µ ◦ ω1 (s) = (f ∨ g)(ι2 (ω1 (2s − 1))) = g(ω1(2s − 1)) für 12 ≤ s ≤ 1, wobei wir ω1 (s)2 = ω1 (2s) = ω1 (2s − 1) im ersten Gleichheitszeichen verwendet haben. Wir schließen (f ∨ g) ◦ µ ◦ ω1 = (f ◦ ω1 )(g ◦ ω1 ), also Ψ [(f ∨ g) ◦ µ] = Ψ([f ])Ψ([g]). Für die Natürlichkeitsaussage bemerken wir, ϕ∗ Ψ(X,x0 ) ([f ]) = ϕ∗ ([f ◦ ω1 ]) = [ϕ ◦ (f ◦ ω1 )] = [(ϕ ◦ f ) ◦ ω1 ] = Ψ(Y,y0 ) ([ϕ ◦ f ]) = Ψ(Y,y0 ) ϕ∗ ([f ]) . Für einen punktierten Raum (X, x0 ) sei Φ(X,x0 ) : π1 (X, x0 ) → [S 1 , X] durch die Komposition Ψ−1 (X,x0 ) (S 1 , 1), (X, x0 ) → [S 1 , X], (I.6) Φ(X,x0 ) : π1 (X, x0 ) −−−−→ definiert, wobei aus Proposition I.3.32 bezeichnet und die 1 Ψ(X,x0 ) die Bijektion 1 Abbildung (S , 1), (X, x0 ) → [S , X] einer Homotopieklasse relativ Basispunkt die entsprechende sogenannte freie Homotopieklasse zuordnet. I.3. HOMOTOPIEINVARIANZ 33 I.3.33. Satz. Es sei X ein wegzusammenhängender topologischer Raum und x0 ∈ X. Die Abbildung Φ(X,x0 ) aus (I.6) induziert eine Bijektion zwischen der Menge der Konjugationsklassen8 von π1 (X, x0 ) und [S 1 , X]. Für jeden Weg h von x0 = h(0) nach x1 = h(1) gilt weiters Φ(X,x1 ) = Φ(X,x0 ) ◦ βh , vgl. Proposition I.1.18. Schließich ist Φ natürlich, dh. für jede Abbildung punktierter Räume ϕ : (X, x0 ) → (Y, y0 ) kommutiert das folgende Diagramm: π1 (X, x0 ) Φ(X,x0 ) [S 1 , X] / ϕ∗ ϕ∗ π1 (Y, y0) Φ(Y,y0 ) / [S 1 , Y ] Beweis. Es sei h : I → X ein Weg von x0 := h(0) nach x1 := h(1). Weiters sei f : I → X eine Schleife bei x1 . Dann definiert falls 0 ≤ s ≤ 1−t , h(4s + t) 4 1−t 1+t 4s+t−1 G̃ : I × I → X, G̃(s, t) := f 3t+1 falls 4 ≤ s ≤ 2 , h(2 − 2s + t) falls 1+t ≤ s ≤ 1, 2 eine Homotopie von G̃0 = (hf )h̄ nach G̃1 = f . Dies ist i.A. keine Homotopie relativ Endpunkten, es gilt jedoch G̃(i, t) = h(t), für i = 0, 1 und alle t ∈ I. Daher faktorisiert G̃ zu einer Homotopie G : S 1 × I → X, G(ω1 (s), t) = H(s, t). Wir erhalten Φ(X,x1 ) ([f ]) = Φ(X,x0 ) ([hf h̄]) ∈ [S 1 , X], und damit Φ(X,x1 ) = Φ(X,x0 ) ◦ βh . Für Wege mit h(0) = x0 = x1 = h(1) besagt dies gerade, dass konjugierte Elemente in π1 (X, x0 ) auf dasselbe Element in [S 1 , X] abgebildet werden. Auch die Surjektivität von Φ(X,x0 ) folgt aus dieser Konstruktion. Ist nämlich f˜ : S 1 → X stetig dann finden wir auf Grund des Wegzusammenhangs von X einen Weg Weg h von h(0) = x0 nach h(1) = f (1), und G definiert eine Homotopie zwi˜ schen 1 G1 = f und der 1Schleife G0 die wegen G0 (1) = x0 im Bild der Abbildung (S , 1), (X, x0 ) → [S , X] liegt. Es bleibt noch zu zeigen, dass Φ(X,x0 ) auf der Menge der Konjugationsklassen injektiv ist. Seien also f0 , f1 : I → X Schleifen bei x0 , sodass Φ(X,x0 ) ([f0 ]) = Φ([f1 ]). Es ist zu zeigen, dass [f0 ] und [f1 ] in π1 (X, x0 ) konjugiert sind. Nach Voraussetzung existiert eine Homotopie H : S 1 × I → X mit H0 ◦ ω1 = f0 und H1 ◦ ω1 = f1 . Betrachte nun die Schleife h : I → X, h(t) := H(1, t), und falls 0 ≤ s ≤ t/4, h(4s) 4s−t F : I × I → X, F (s, t) := H ω1 4−3t , t falls t/4 ≤ s ≤ 1 − t/2, h(2 − 2s) falls 1 − t/2 ≤ s ≤ 1. 8Zwei Elemente g1 und g2 einer Gruppe G heißen konjugiert, falls h ∈ G mit g2 = hg1 h−1 existiert. Dies definiert offensichtlich eine Äquivalenzrelation auf G. Die damit assoziierten Äquivalenzklassen werden Konjugationsklassen von G genannt. 34 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Dies ist eine Homotopie relativ Endpunkten von F0 = H0 ◦ ω1 = f0 nach F1 = (h(H1 ◦ ω1 ))h̄ = (hf1 )h̄. Damit ist [f0 ] = [hf1 h̄] = [h][f1 ][h]−1 , also sind [f0 ] und [f1 ] konjugierte Elemente in π1 (X, x0 ). Die Natürlichkeit von Φ folgt aus der Natürlichkeitsaussage in Proposition I.3.32. I.3.34. Korollar (Einfacher Zusammenhang). Für einen wegzusammenhängenden topologischen Raum X sind äquivalent: (i) π1 (X) = 0, dh. X ist einfach zusammenhängend. (ii) Jede stetige Abbildung f : S 1 → X ist nullhomotop. (iii) Jede stetige Abblidung f : S 1 → X lässt sich zu einer stetigen Abbildung F : D 2 → X fortsetzen, dh. f = F ◦ ι, wobei ι : S 1 → D 2 die kanonische Inklusion bezeichnet. Beweis. Die Äquivalenz (i)⇔(ii) folgt aus Satz I.3.33 und der Beobachtung, dass die Menge der Äquivalenzklassen einer Gruppe G genau dann einpunktig ist, wenn G nur aus dem neutralen Element besteht. Betrachte nun die stetige Abbildung ϕ : S 1 × I → D 2 ⊆ C, ϕ(z, t) := tz. Existiert eine stetige Abbildung F : D 2 → X mit F ◦ ι = f , dann liefert H := F ◦ ϕ : S 1 × I → X eine Homotopie von der konstanten Abbildung H0 = cF (0) nach H1 = F ◦ ι = f . Damit ist die Implikation (iii)⇒(ii) gezeigt. Sei nun umgekehrt H : S 1 ×I → X eine Homotopie von einer konstanten Abbildung H0 = cx0 nach H1 = f . Beachte, dass ϕ einen Homöomorphismus (S 1 × I)/(S 1 × {0}) ∼ = D 2 induziert. Daher faktorisiert H zu einer stetigen Abbildung F : D 2 → X, F ◦ ϕ = H, für die dann F ◦ ι = H1 = f gilt. Damit ist auch die Implikation (ii)⇒(iii) gezeigt. I.3.35. Beispiel. Betrachte wieder die Abbildungen µA : (T n , xn ) → (T m , xm ) aus Beispiel I.2.17, A ∈ Mm,n (Z). Seien nun A 6= B ∈ Mm,n (Z). Aus Beispiel I.2.17 folgt (µA )∗ 6= (µB )∗ : π1 (T n , xn ) → π1 (T m , xm ). Mit Hilfe von Satz I.3.33 sehen wir nun, dass auch die induzierten Abbildungen (µA )∗ , (µB )∗ : [S 1 , T n ] → [S 1 , T n ] verschieden sind, denn Φ(T n ,xn ) : π1 (T n , xn ) → [S 1 , T n ] ist bijektiv da π1 (T n , xn ) abelsch ist. Also können µA und µB nicht einmal homotop sein, siehe Bemerkung I.3.6. In anderen Worten, die Abbildung Mm,n (Z) → [T n , T m ], A 7→ [µA ], ist injektiv. Wir werden später sehen, dass diese Abbildung sogar bijektiv ist, Mm,n (Z) ∼ = [T n , T m ]. Im Fall n = 1 = m folgt dies aus Satz I.4.1(i) unten. I.4. Der Abbildungsgrad. Es sei f : S 1 → S 1 stetig. Weiters sei h : I → S ein Weg von h(0) = 1 nach h(1) = f (1). Betrachte die Gruppenhomomorphismen φ f∗ βh φ−1 Z− → π1 (S 1 , 1) − → π1 (S 1 , f (1)) −→ π1 (S 1 , 1) −−→ Z, siehe Satz I.2.1 und Proposition I.1.18. Nach Bemerkung I.1.20 ist deren Komposition unabhängig von der Wahl des Weges h, denn π1 (S 1 ) ist abelsch. Als Homomorphismus Z → Z muss sie durch Multiplikation mit einer ganzen Zahl gegeben 1 I.4. DER ABBILDUNGSGRAD 35 sein. Diese Zahl wird der Abbildungsgrad von f genannt und mit deg(f ) ∈ Z bezeichnet. Es gilt daher βh (f∗ (φ(k))) = φ(k deg(f )) für alle k ∈ Z. I.4.1. (i) (ii) (iii) Satz. Für den Abbildungsgrad stetiger Funktionen f, g : S 1 → S 1 gilt: deg(f ) = deg(g) ⇔ f ≃ g. deg(f ◦ g) = deg(f ) deg(g). deg(f ) = n, falls f (z) = z n , n ∈ Z. Beweis. Wir leiten zunächst eine etwas andere Beschreibung des Abbildungsgrades her. Wenden wir auf φ(deg(f )) = βh(f∗ (φ(1))) die Abbildung Φ(S 1 ,1) aus Satz I.3.33 an, so erhalten wir Φ(S 1 ,1) ◦ φ (deg(f )) = Φ(S 1 ,1) (βh (f∗ (φ(1)))) = Φ(S 1 ,f (1)) (f∗ (φ(1))) = Φ(S 1 ,f (1)) ([f ◦ ω1 ]) = [f ] ∈ [S 1 , S 1 ]. Nach Satz I.3.33 ist die Abbildung Φ(S 1 ,1) ◦ φ : Z → [S 1 , S 1 ] bijektiv, denn π1 (S 1 ) ist abelsch. Wir −1 erhalten daher deg(f ) = Φ(S 1 ,1) ◦ φ ([f ]), woraus nun auch die erste Behauptung folgt. Nun zu (ii). Da nach Satz I.3.33 jede stetige Abbildung S 1 → S 1 homotop zu einer den Basispunkt 1 fixierenden Abbildung ist, dürfen wir nach (i) o.B.d.A. annehmen f (1) = 1 = g(1). Daher gilt f∗ (φ(k)) = φ(k deg(f )) sowie g∗ (φ(k)) = φ(k deg(g)), k ∈ Z. Es folgt (f ◦ g)∗(φ(k)) = f∗ (g∗ (φ(k))) = f∗ (φ(k deg(g))) = φ(k deg(g) deg(f )), also deg(f ◦ g) = deg(f ) deg(g). Behauptung (iii) folgt aus Beispiel I.2.2. I.4.2. Proposition. Es sei f : S 1 → S 1 stetig und deg(f ) 6= 0. Dann ist f surjektiv. Beweis. Wir gehen indirekt vor und nehmen an f : S 1 → S 1 ist nicht surjektiv. Dann existiert P ∈ S 1 , sodass f : S 1 → S 1 \ {P }, also faktorisiert 1 1 f∗ : π1 (S , 1) → π1 S \ {P }, f (1) → π1 (S 1 , f (1)). Nach Beispiel I.1.25 ist π1 (S 1 \ {P }) = 0, also stimmt f∗ : π1 (S 1 , 1) → π1 (S 1 , f (1)) mit dem trivialen Homomorphismus überein, es muss daher deg(f ) = 0 gelten. I.4.3. Proposition. Es sei f : S 1 → S 1 eine gerade stetige Abbildung, dh. f (−z) = f (z) für alle z ∈ S 1 . Dann ist deg(f ) gerade. Beweis. Betrachte die Abbildung q : S 1 → S 1 , q(z) := z 2 . Beachte, dass q eine Quotientenabbildung ist, dh. U ⊆ S 1 ist genau dann offen, wenn q −1 (U) offen in S 1 ist. Sind z1 , z2 ∈ S 1 mit q(z1 ) = q(z2 ), dann gilt f (z1 ) = f (z2 ) nach Voraussetzung an f . Daher faktorisiert f zu einer stetigen Abbildung g : S 1 → S 1 , dh. g ◦ q = f . Aus Satz I.4.1 erhalten wir nun deg(f ) = deg(g ◦ q) = deg(g) deg(q) = 2 deg(g), also ist deg(f ) gerade. I.4.4. Proposition. Es sei f : S 1 → S 1 eine stetige Abbildung, sodass f (z) 6= −z für alle z ∈ S 1 . Dann ist f homotop zur identischen Abbildung idS 1 , und daher deg(f ) = 1. Beweis. Aus der Voraussetzung an f folgt, dass (1 − t)f (z) + tz H : S1 × I → S1, H(z, t) := , |(1 − t)f (z) + tz| 36 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE eine wohldefinierte Homotopie von H0 = f nach H1 = idS 1 ist. Aus Satz I.4.1 folgt daher deg(f ) = deg(idS 1 ) = 1. Die Abbildung A : S 1 → S 1 , A(z) := −z, wird als Antipodalabbildung bezeichnet. Beachte, dass H : S 1 × I → S 1 , H(z, t) := eπit z, eine Homotopie von H0 = idS 1 nach H1 = A liefert, die Antipodalabbildung ist daher homotop zur identischen Abbildung, A ≃ idS 1 . Insbesondere gilt deg(A) = 1 nach Satz I.4.1. I.4.5. Proposition. Es sei f : S 1 → S 1 eine stetige Abbildung ohne Fixpunkt, dh. f (z) 6= z, für alle z ∈ S 1 . Dann ist f homotop zur Antipodalabbildung9 A, und daher deg(f ) = 1. Beweis. Die Abbildung A ◦ f : S 1 → S 1 erfüllt die Voraussetzungen von Proposition I.4.4, dh. (A ◦ f )(z) 6= −z, für alle z ∈ S 1 . Daher ist sie homotop zur identischen Abbildung, A◦f ≃ idS 1 . Aus der offensichtlichen Relation A◦A = idS 1 erhalten wir nun f = idS 1 ◦f = A ◦ A ◦ f ≃ A ◦ idS 1 = A. Eine weitere Möglichkeit den Abbildungsgrad zu verstehen liefert Proposition I.4.6(iii) unten. Wir erinnern uns an die Abbildung p : R → S 1 , p(s) = e2πis , aus Abschnitt I.2, siehe (I.3). Weiters bezeichnen wir mit τy : R → R, τy (s) := s + y, die Translation um y ∈ R. Offensichtlich gilt τy1 ◦ τy2 = τy1 +y2 = τy2 ◦ τy1 . I.4.6. Proposition. Für eine stetige Abbildung f : S 1 → S 1 gilt: (i) Es existiert eine stetige Abbildung f˜ : R → R, sodass p ◦ f˜ = f ◦ p. (ii) Sind f˜1 , f˜2 : R → R zwei Abbildungen wie in (i), dann existiert k ∈ Z, sodass f˜2 = τk ◦ f˜1 . ˜ dh. (iii) Jede Abbildung f˜ : R → R wie in (i) erfüllt f˜ ◦ τ1 = τdeg(f ) ◦ f, ˜ + 1) = f˜(s) + deg(f ) für alle s ∈ R. f(s Beweis. Ad (i): Fixiere x0 ∈ R mit p(x0 ) = f (1). Sei nun x > 0. Da [0, x] ∼ = I existiert genau eine stetige Abbildung g̃x : [0, x] → R mit g̃x (0) = x0 und p ◦ g̃x = f ◦ p|[0,x], siehe Proposition I.2.6. Ebenso existiert genau eine stetige Abbildung h̃x : [−x, 0] → R mit h̃x (0) = x0 und p ◦ h̃x = f ◦ p|[−x,0]. Zusammen definieren g̃x und h̃x eine stetige Abbildung f˜x : [−x, x] → R mit f˜x (0) = x0 und p ◦ f˜x = f ◦ p|[−x,x]. Auch gibt es nur eine Abbildung f˜x mit diesen Eigenschaften. Für x′ > 0 stimmen daher fx und fx′ auf ihrem gemeinsamen Definitionsbereich [−x, x] ∩ [−x′ , x′ ] überein. Wir können daher die gewünschte Abbildung f˜ : R → ˜ [−x,x] := f˜x definieren. Ad (ii): Seien also f˜1 , f˜2 : R → R, sodass R durch f| p ◦ f˜1 = f ◦ p = p ◦ f˜2 . Insbesondere gilt p(f˜1 (0)) = p(f˜2 (0)), also existiert k ∈ Z mit f˜2 (0) = f˜1 (0) + k. Für x ∈ R betrachten wir die Wege g : I → S 1 , g(t) := f (p(tx)), g̃1 : I → R, g̃1 (t) := (τk ◦ f˜1 )(tx), und g̃2 : I → R, g̃2 (t) := f˜2 (tx). Nach Wahl von k ist g̃1 (0) = g̃2 (0). Weiters haben wir p ◦ g̃1 = g = p ◦ g̃2 . Nach 9Da A ≃ idS 1 könnten wir hier A durch die identische Abbildung ersetzen. In höheren Dimensionen wird jedoch A die richtige Verallgemeinerung liefern. I.4. DER ABBILDUNGSGRAD 37 der Eindeutigkeitsaussage in Proposition I.2.6 müssen g̃1 und g̃2 übereinstimmen, insbesondere folgt f˜2 (x) = g̃2 (1) = g̃1 (1) = (τk ◦ f˜1 )(x). Da x ∈ R beliebig war erhalten wir f˜2 = τk ◦ f˜1 . Ad (iii): Zunächst gilt p◦ f˜◦τ1 = f ◦p◦τ1 = f ◦p = p◦ f˜. Nach (ii) existiert n ∈ Z mit f˜ ◦ τ1 = τn ◦ f˜. Insbesondere, f˜(1) = (f˜ ◦ τ1 )(0) = ˜ (τn ◦f)(0) = f˜(0)+n. Da R einfach zusammenhängend ist, ist der Weg f˜|I : I → R ˜ + nt. Durch Komposition mit p homotop relativ Endpunkten zum Weg t 7→ f(0) sehen wir, dass der Weg f ◦ ω1 = f ◦ p|I = p ◦ f˜|I homotop relativ Endpunkten ˜ zum Weg t 7→ e2πif (0) ω1 (t)n ist. Daher ist die Abbildung f : S 1 → S 1 homotop zur ˜ ˜ Abbildung z 7→ e2πif (0) z n . Schließlich zeigt die Homotopie H(z, t) := e2πitf (0) z n , dass f zur Abbildung z 7→ z n homotop ist, nach Satz I.4.1(iii) gilt daher n = deg(f ). I.4.7. Satz. Es sei f : S 1 → S 1 eine ungerade stetige Abbildung, dh. f (−z) = −f (z) für alle z ∈ S 1 . Dann ist deg(f ) ungerade, f daher nicht nullhomotop. Beweis. Betrachte die Antipodalabbildung A : S 1 → S 1 , A(z) := −z. Beachte A◦A = idS 1 und p◦τ1/2 = A◦p, vgl. Proposition I.4.6(i). Die Voraussetzung an f besagt dann f ◦ A = A ◦ f . Nach Proposition I.4.6(i) existiert eine stetige Abbildung f˜ : R → R mit p ◦ f˜ = f ◦ p. Es folgt p ◦ (f˜ ◦ τ1/2 ) = f ◦ p ◦ τ1/2 = f ◦ A ◦ p = A ◦ f ◦ p = A ◦ p ◦ f˜ = p ◦ (τ1/2 ◦ f˜). Nach Proposition I.4.6(iii) ˜ Wir erhalten existiert daher k ∈ Z, sodass f˜ ◦ τ1/2 = τk ◦ τ1/2 ◦ f˜ = τk+1/2 ◦ f. daraus f˜ ◦ τ1 = f˜ ◦ τ1/2 ◦ τ1/2 = τk+1/2 ◦ f˜ ◦ τ1/2 = τk+1/2 ◦ τk+1/2 ◦ f˜ = τ2k+1 ◦ f˜. ˜ siehe Proposition I.4.6(iii). Es folgt Andererseits gilt auch f˜ ◦ τ1 = τdeg(f ) ◦ f, daher τdeg(f ) ◦ f˜ = τ2k+1 ◦ f˜, also deg(f ) = 2k + 1. Somit ist deg(f ) ungerade. Nach Satz I.4.1 kann f nicht nullhomotop sein. I.4.8. Satz. Es existiert keine stetige Abbildung f : S 2 → S 1 mit f (−x) = −f (x) für alle x ∈ S 2 . Beweis. Wir gehen indirekt vor und nehmen an f : S 2 → S 1 ist eine stetige Abbidung mit f (−x) = −f (x) für alle x ∈ S 2 . Bezeichnet ι : S 1 → S 2 , ι(z) := (z, 0) die Inklusion des Äquators, so erhalten wir eine stetige Abbbildung g := f ◦ ι : S 1 → S 1 mit g(−x) = −g(x). Nach Satz I.4.7 ist g nicht nullhomotop. Andererseits ist ι : S 1 → S 2 nullhomotop, siehe Beispiel I.3.14, also muss auch g = f ◦ ι nullhomotop sein, siehe Lemma I.3.4. Wir erhalten einen Widerspruch, es kann also keine solche Abbildung f : S 2 → S 1 geben. I.4.9. Bemerkung. Wir werden später sehen, dass Satz I.4.8 in höheren Dimensionen richtig bleibt: ist f : S m → S n stetig und f (−x) = −f (x) für alle x ∈ S m , dann muss m ≤ n sein. Für m ≤ n existieren tatsächlich solche Abbildungen, etwa f : S m → S n , f (x) := (x, 0, . . . , 0). I.4.10. Satz (Borsuk–Ulam). Ist f : S 2 → R2 eine stetige Abbildung, dann existiert x ∈ S 2 mit f (x) = f (−x). 38 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Beweis. Indirekt angenommen es gilt f (x) 6= f (−x) für alle x ∈ S 2 . Die stetige Abbildung f (x) − f (−x) g : S 2 → S 1, g(x) := f (x) − f (−x) erfüllt dann g(−x) = −g(x) und wir erhalten einen Widerspruch zu Satz I.4.8. Also muss x ∈ S 2 mit f (x) = f (−x) existieren. I.4.11. Bemerkung. Inbesondere sehen wir, dass es nicht möglich ist S 2 injektiv und stetig nach R2 abzubilden, dh. S 2 kann nicht homöomorph zu einem Teilraum von R2 sein. Auch Satz I.4.10 bleibt in höheren Dimensionen richtig: ist f : S n → Rn eine stetige Abbildung, dann existiert x ∈ S n mit f (x) = f (−x). Dies folgt analog aus der Verallgemeinerung von Satz I.4.8. Umgekehrt lässt sich Satz I.4.8 auf elementare Weise aus Satz I.4.10 herleiten, denn eine stetige Abbildung f : S 2 → S 1 mit f (−x) = −f (x) können wir als stetige Abbildung S 2 → R2 auffassen für die dann sicherlich f (x) 6= f (−x) gilt. I.4.12. Bemerkung. Nach Satz I.4.1 liefert der Abbildungsgrad eine Bijektion [S 1 , S 1 ] ∼ = Z. Da die kanonische Inklusion S 1 → C× eine Homotopieäquivalenz ist, induziert sie eine Bijektionen [S 1 , S 1 ] ∼ = [S 1 , C× ], siehe Bemerkung I.3.6. Wir erhalten daher auch einen Abbildungsgrad deg(f ) ∈ Z für stetige Abbildungen f : S 1 → C× mit Eigenschaften analog zu denen in Satz I.4.1. Ebenso lassen sich Abbildungsgrade stetiger Abbildungen C× → S 1 oder C× → C× definieren. I.4.13. Bemerkung. Für stetig differenzierbares f : S 1 → S 1 gilt Z Z 1 ∂ f (e2πis ) 1 1 dz ∂s deg(f ) = = ds. 2πi f ◦ω1 z 2πi 0 f (e2πis ) Um dies einzusehen wähle t0 ∈ R mit e2πit0 = f (1) und betrachte die Abbildung Z t ∂ f (e2πis ) 1 ∂s ˜ ˜ f : I → C, f (t) := t0 + ds. 2πi 0 f (e2πis ) Aus dem Hauptsatz und Integralrechnung erhalten wir sofort der Differential˜ ∂ 2πit −2πif˜(t) 2πit −2πif˜(t) f (e )e = 0, also f (e )e = f (e2πi·0 )e−2πif (0) = f (1)e−2πit0 = ∂t ˜ 1, und daher f (e2πit ) = e2πif (t) . Insbesondere ist f˜ reellwertig und p ◦ f˜ = f ◦ p, vgl. Proposition I.4.6(i). Aus Proposition I.4.6(ii) erhalten wir f˜ ◦ τ1 = τdeg(f ) ◦ f˜. ˜ ˜ Auswerten bei t = 0 liefert f˜(1) = (f˜ ◦ τ1 )(0) = (τdeg(f ) ◦ f)(0) = deg(f ) + f(0), R 1 ∂ f (e2πis ) ∂s ds. also deg(f ) = f˜(1) − f˜(0) = 1 2πis 2πi 0 f (e ) I.5. Der Satz von Seifert–van Kampen. Im Satz von Seifert–van Kampen, siehe Satz I.5.5 unten, tritt das freie Produkt von Gruppen in Erscheinunug, wir beginnen daher mit einer Diskussion desselben. Sind G und H zwei Gruppen, dann gibt es eine Gruppe G∗H, das sogenannte freie Produkt von G und H, sowie zwei Gruppenhomomorphismen ιG : G → G ∗ H und ιH : H → G ∗ H die folgende I.5. DER SATZ VON SEIFERT–VAN KAMPEN 39 universelle Eigenschaft haben. Sind ϕG : G → K und ϕH : H → K zwei Gruppenhomomorphismen, dann existiert ein eindeutiger GrupG ϕG penhomomorphismus ϕ : G ∗ H → K mit ϕ ◦ ιG = ϕG und ϕ ◦ ιH = ϕH . Diesen Homomorphismus bezeichnen ιG ! ∃!ϕ wir mit ϕG ∗ϕH := ϕ. Wir werden die Existenz von G∗H _ _ _ _ _ _/ K G ∗ H O = in Lemma I.5.1 unten zeigen und wollen sie für den Moι H ment als gegeben annehmen. Die universelle Eigenschaft ϕH bestimmt das Tripel (G ∗ H, ιG , ιH ) bis auf kanonischen H Isomorphismus eindeutig. Genauer, ist F eine Gruppe und sind jG : G → F sowie jH : H → F zwei Gruppenhomomorphismen die auch diese universelle Eigenschaft haben,10 dann gibt es genau einen Gruppenisomorphismus ψ : G ∗ H → F mit ψ ◦ ιG = jG und ψ ◦ ιH = jH .11 Daraus folgt sofort die Existenz kanonischer Isomorphismen G∗H ∼ = G1 ∗(G2 ∗G3 ) = H ∗G, (G1 ∗G2 )∗G3 ∼ ∼ sowie {1} ∗ G = G. Wenden wir die universelle Eigenschaft auf K = G, ϕG = idG und den trivialen Homomorphismus ϕH = 1 an, so erhalten wir einen Homomorphismus pG : G ∗ H → G mit pG ◦ ιG = idG und pG ◦ ιH = 1. Analog lässt sich ein Homomorphismus pH : G ∗ H → H mit pH ◦ ιH = idH und pH ◦ ιG = 1 konstruieren. Insbesondere sind ιG und ιH beide injektiv, wir können daher G und H als Untergruppen von G ∗ H auffassen. Auch erhalten wir einen surjektiven Homomorphismus (pG , pH ) : G ∗ H → G × H. Die Bilder von ιG und ιH erzeugen die Gruppe G ∗ H. Bezeichnet nämlich K die von ιG (G) ∪ ιH (H) erzeugte Untergruppe von G ∗ H, dann erhalten wir aus der universellen Eigenschaft einen Homomorphismus ϕ : G ∗ H → K mit ϕ ◦ ιG = ιG und ϕ ◦ ιH = ιH . Durch Komposition mit der kanonischen Inklusion ι : K → G ∗ H erhalten wir einen Homomorphismus ι ◦ ϕ : G ∗ H → G ∗ H mit (ι ◦ ϕ) ◦ ιG = ιG und (ι ◦ ϕ) ◦ ιH = ιH . Aus der Eindeutigkeitsaussage der universellen Eigenschaft folgt ι ◦ ϕ = idG∗H . Also muss ι surjektiv sein, K daher mit G ∗ H übereinstimmen. Somit sehen wir, dass G ∪ H die Gruppe G ∗ H tatsächlich erzeugt. Wir widmen uns nun der Konstruktion von G ∗ H, bzw. etwas allgemeiner, der Konstruktion des freien Produkts ∗α∈A Gα beliebig vieler Gruppen Gα . I.5.1. Lemma. Es seien Gα Gruppen, α ∈ A. Dann existiert eine Gruppe, die wir mit ∗α∈A Gα bezeichnen und das freie Produkt der Gα nennen, sowie Homomorphismen ια : Gα → ∗α′ ∈A Gα′ , α ∈ A, mit folgenden Eigenschaften: 10dh. zu jedem Paar von Homomorphismen ϕG : G → K und ϕH : H → K existiert ein eindeutiger Homomorphismus ϕ : F → K mit ϕ ◦ jG = ϕG und ϕ ◦ jH = ϕH . 11Dieser Isomorphismus ist durch ψ := j ∗ j gegeben. Seine Inverse erhalten wir aus der G H universellen Eigenschaft von F angewandt auf ϕG = ιG und ϕH = ιH . Dass dies tatsächlich die Inverse liefert folgt dann aus den Eindeutigkeitsaussagen in den universellen Eigenschaften von G ∗ H und F . 40 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE (i) ια ist injektiv, wir können daher jede der Gruppen Gα als Untergruppe von ∗α∈A Gα auffassen und werden die Inklusionen ια meist unterdrücken. S (ii) α∈A Gα erzeugt die Gruppe ∗α∈A Gα . Jedes Element x 6= 1 ∈ ∗α∈A Gα lässt sich daher in der Form x = g1 · · · gn mit gi ∈ Gαi schreiben. Dabei können wir auch erreichen, dass gαi 6= 1 ∈ Gαi und αi 6= αi+1 für i = 1, . . . , n − 1. Eine solche Darstellung von x wird reduzierte Darstellung genannt. (iii) Die reduzierte Darstellung von x 6= 1 ∈ ∗α∈A Gα ist eindeutig, dh. gilt g1 · · · gn = x = h1 · · · hm und sind beide Darstellungen reduziert, gi ∈ Gαi , hj ∈ Gβj , dann folgt n = m, αi = βi und gi = hi für alle i = 1, . . . , n. (iv) Sind ϕα : Gα → K Gruppenhomomorphismen, α ∈ A, dann existiert genau ein Gruppenhomomorphismus ϕ : ∗α∈A Gα → K, sodass ϕ ◦ ια = ϕα , für alle α ∈ A. Wir werden diesen Homomorphismus mit ∗α∈A ϕα := ϕ bezeichnen. Beweis. Unter einem Wort verstehen wir jede endliche Folge (g1 , g2 , . . . , gn ) wobei jedes der gi in einer der Gruppen Gαi liegt. Auch die Folge der Länge 0 ist zugelassen und wird als das leere Wort bezeichnet. Ein Wort (g1 , . . . , gn ) heißt reduziert, falls gi 6= 1 ∈ Gαi , i = 1, . . . , n, und αi 6= αi+1 für i = 1, . . . , n − 1. Insbesondere ist das leere Wort () reduziert. Es bezeichne W die Menge aller reduzierten Worte, und S(W ) die Permutationsgruppe von W , dh. die Menge der Bijektionen W → W . Für α ∈ A und g ∈ Gα definieren wir eine Abbildung Lg : W → W indem wir einem reduzierten Wort (g1 , . . . , gn ) mit gi ∈ Gαi ein Element in W wie folgt zuordnen: (g , . . . , gn ) falls g = 1, 1 (g, g1, . . . , gn ) falls g 6= 1 und α1 6= α, Lg (g1 , . . . , gn ) := (gg , g , . . . , gn ) falls g 6= 1, α1 = α und gg1 6= 1, 1 2 (g2 , g3 , . . . , gn ) falls g 6= 1, α1 = α und gg1 = 1. Eine einfache Fallunterscheidung zeigt L1 = idW und Lh ◦ Lg = Lhg für alle g, h ∈ Gα . Insbesondere ist Lg−1 = (Lg )−1 , jedes Lg daher bijektiv. Wir erhalten einen Gruppenhomomorphismus ια : Gα → S(W ), g 7→ Lg . Wenden wir Lg auf das leere Wort () ∈ W an, erhalten wir Lg () S= (g), falls g 6= 1, also ist ια injektiv. Definieren wir nun ∗α∈A Gα als die von α∈A ια (Gα ) erzeugte Untergruppe in S(W ), dann sind die Behauptungen (i) und (ii) offensichtlich wahr. Nun zu (iii): Sei also g1 · · · gn = h1 · · · hm ∈ ∗α∈A Gα mit gi ∈ Gαi und hj ∈ Gβj , und so, dass beide Darstellungen reduziert sind. Nach Konstruktion ist Lg1 ◦ · · · ◦ Lgn = Lh1 ◦ · · · ◦ Lhm ∈ S(W ). Wenden wir diese Permuatation auf das leere Wort () ∈ W an, dann erhalten wir wegen der Reduziertheit der Darstellungen (g1 , . . . , gn ) = Lg1 ◦ · · · ◦ Lgn () = Lh1 ◦ · · · ◦ Lhm () = (h1 , . . . , hm ), I.5. DER SATZ VON SEIFERT–VAN KAMPEN 41 und damit n = m, αi = βi sowie gi = hi , i = 1 . . . , n. Nun zu (iv): Seien also Homomorphismen ϕα : Gα → K gegeben, α ∈ A. Ist x 6= 1 ∈ ∗α∈A Gα und x = g1 · · · gn seine reduzierte Darstellung, gi ∈ Gαi , so definieren wir ϕ(x) := ια1 (g1 ) · · · ιαn (gn ). Setzen wir noch ϕ(1) := 1, dann liefert dies nach (iii) eine wohldefinierte Abbildung ϕ : ∗α∈A Gα → K für die offensichtlich ϕ ◦ ια = ϕα gilt, α ∈ A. Es bleibt noch zu zeigen, dass ϕ ein Gruppenhomomorphismus ist. Wir zeigen zunächst ϕ(g1 · · · gn ) = ϕα1 (g1 ) · · · ϕαn (gn ), für beliebige gi ∈ Gαi . (I.7) Wir werden (I.7) mittels Induktion nach n beweisen. Existiert ein i mit 1 ≤ i ≤ n und gi = 1 ∈ Gαi , dann erhalten wir aus ϕαi (gi ) = 1 und der Induktionsvoraussetzung ϕ(g1 · · · gn ) = ϕ(g1 · · · î · · · gn ) = ϕα1 (g1 ) · · · î · · · ϕαn (gn ) = ϕα1 (g1 ) · · · 1 · · · ϕαn (gn ) = ϕα1 (g1 ) · · · ϕαi (gi ) · · · ϕαn (gn ). Existiert ein i mit 1 ≤ i < n und αi = αi+1 , so folgt aus ϕαi (gi gi+1 ) = ϕαi (gi )ϕαi+1 (gi+1 ) und der Induktionsvoraussetzung ϕ(g1 · · · gi gi+1 · · · gn ) = ϕα1 (g1 ) · · · ϕαi (gi gi+1 ) · · · ϕαn (gn ) = ϕα1 (g1 ) · · · ϕαi (gi )ϕαi+1 (gi+1 ) · · · ϕαn (gn ). Tritt keiner der beiden Fälle ein, dann war die Darstellung g1 · · · gn schon reduziert, und es bleibt nichts zu zeigen. Damit ist (I.7) bewiesen, woraus wir nun sofort die Homomorphismus Eigenschaft von ϕ erhalten. Die Eindeutigkeit von ϕ folgt aus (ii), denn ϕ ist auf einer die Gruppe erzeugenden Teilmenge durch die ϕα vorgegeben. I.5.2. Bemerkung. Das freie Produkt ist weit davon entfernt eine kommutative Gruppe zu sein. Ist etwa h 6= 1 ∈ H und g 6= 1 ∈ G, dann gilt stets gh 6= hg im freien Produkt G ∗ H, siehe Lemma I.5.1(iii). Ebenso sehen wir sofort, dass das Zentrum von G ∗ H trivial ist, wenn nur G 6= {1} und H 6= {1}. I.5.3. Beispiel. Ist G eine Gruppe, dann wird die von den Kommutatoren {ghg −1h−1 : g, h ∈ G} erzeugte Untergruppe die Kommutatoruntergruppe von G genannt und mit [G, G] bezeichnet. Dies ist stets eine normale Untergruppe von G. Die Quotientengruppe Gab := G/[G, G] wird die Abelisierung von G genannt. Sie hat folgende universelle Eigenschaft. Ist A eine abelsche Gruppe und ϕ : G → A ein Homomorphismus, dann existiert genau ein Homomorphismus ϕab : Gab → K mit ϕab ◦ p = ϕ, wobei p : G → Gab den kanonischen Homomorphismus der mit der Quotientengruppe assoziiert ist bezeichnet. Dies folgt aus ϕ(ghg −1h−1 ) = ϕ(g)ϕ(h)ϕ(g)−1ϕ(h)−1 = 1, denn A ist kommutativ. Insbesondere faktorisiert jeder Gruppenhomomorphismus ϕ : G → H zu einem Homomorphismus abelscher Gruppen ϕab : Gab → H ab . Die von den Inklusionen ια : Gα → ∗α′ ∈A Gα′ induzierten Homomorphismen ab ab ια : Gab bestimmen einen Homomorphismus α → ∗α′ ∈A Gα′ M α∈A ∼ = → Gab α − ∗ Gα α∈A ab . (I.8) 42 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Es ist leicht einzusehen, dass dies ein Isomorphismus ist. Für das n-fache freie Produkt ∗n Z := Z ∗ · · · ∗ Z erhalten wir daher (Z ∗ · · · ∗ Z)ab ∼ = Z ⊕ · · · ⊕ Z = Zn . n ∼ m n ∼ m Es folgt ∗ Z 6= ∗ Z falls n 6= m, denn Z 6= Z . I.5.4. Bemerkung. Wir wollen noch kurz auf die universelle Eigenschaft der direkte Summe abelscher Gruppen eingehen. Es seien Aα , α ∈ A, abelsche L Gruppen, und es bezeichnen ια : Aα → α′ ∈A Aα′ die kanonischen Inklusionen. Ist B eine weitere abelsche Gruppe, und sind ϕα : Aα → B Homomorphismen, L α ∈ A, dann existiert genau ein Gruppenhomomorphismus ϕ : α∈A Aα → B, sodass ϕ ◦ ια = ϕα , für alle α ∈ A. In Beispiel I.5.3 oben haben wir genau diese Eigenschaft verwendet um (I.8) zu konstruieren. Es seien U, V ⊆ X zwei offene Teilmengen mit X = U ∪ V , und es sei x0 ∈ U ∩V ein Basispunkt. Betrachte die vier im kommutativen Diagramm links angedeuteten kanonischen (jU )∗ jU / / π1 (U, x0 ) Inklusionen, ιU ◦ jU = π1 (U ∩ V, x0 ) (U ∩ V, x0 ) (U, x0 ) ιV ◦ jV . Gehen wir zu ιU jV (jV )∗ (ιU )∗ den Fundamentalgru (ιV )∗ ιV / π1 (X, x0 ) / (X, x0 ) ppen über so erhalten (V, x0 ) π1 (V, x0 ) wir induzierte Abbildungen wie im zweiten Diagramm. Nach Propostion I.1.13 gilt (ιU )∗ ◦ (jU )∗ = (ιU ◦ jU )∗ = (ιV ◦ jV )∗ = (ιV )∗ ◦ (jV )∗ , also kommutiert auch dieses Diagramm. Insbesondere erhalten wir einen Homomorphismus Φ := (ιU )∗ ∗ (ιV )∗ : π1 (U, x0 ) ∗ π1 (V, x0 ) → π1 (X, x0 ), (I.9) −1 und jedes der Elementen (jU )∗ σ (jV )∗ σ , σ ∈ π1 (U ∩ V, x0 ), liegt im Kern −1 von Φ, denn es ist Φ ((jU )∗ σ)((jV )∗ σ)−1 = (ιU )∗ (jU )∗ σ (ιV )∗ (jV )∗ σ = 1. Damit liegt auch der von ihnen erzeugte Normalteiler n o −1 N := N (jU )∗ σ (jV )∗ σ : σ ∈ π1 (U ∩ V, x0 ) (I.10) im Kern von Φ, in Zeichen N ⊆ ker(Φ). I.5.5. Satz (Seifert–van Kampen). Es sei X = U ∪ V wobei U und V offen in X sind. Weiters seien U, V sowie U ∩ V wegzusammenhängend und x0 ∈ U ∩ V . Dann ist Φ surjektiv, siehe (I.9), und es gilt ker(Φ) = N, siehe (I.10). Insbesondere ist π1 (X, x0 ) ∼ = π1 (U, x0 ) ∗ π1 (V, x0 ) /N. Beweis. Um die Notation zu vereinfachen setzen wir U1 := U und U2 := V . Wir zeigen zunächst die Surjektivität von Φ. Sei dazu f : I → X eine Schleife bei x0 . Da {U1 , U2 } eine offene Überdeckung von X bildet, ist {f −1 (U1 ), f −1 (U2 )} eine offene Überdeckung des Intervalls I. Nach Lemma I.1.28 existieren 0 = s0 < s1 < · · · < sn = 1 und α1 , . . . , αn ∈ {1, 2}, sodass f ([si−1 , si ]) ⊆ Uαi , für jedes i = 1, . . . , n. Durch Weglassen gewisser Unterteilungspunkte si können wir erreichen, dass f (si ) ∈ U1 ∩U2 für alle i = 0, . . . , n, denn wäre etwa f (si) ∈ U1 \U2 dann gilt I.5. DER SATZ VON SEIFERT–VAN KAMPEN 43 sowohl f ([si−1 , si ]) ⊆ U1 als auch f ([si , si+1 ]) ⊆ U1 . Betrachte die reparametrisier ten Einschränkungen fi : I → Uαi ⊆ X, fi (s) := f (1−s)si−1 +ssi , i = 1, . . . , n. Es gilt f ≃ f1 f2 · · · fn relativ Endpunkten in X, siehe Beispiel I.1.3. Da U1 ∩ U2 wegzusammenhängend ist, finden wir Wege hi : I → U1 ∩ U2 von hi (0) = x0 nach hi (1) = fi (1) = f (si ), i = 1, . . . , n − 1. Weiters seien h0 := hn := cx0 die konstanten Wege. Wir erhalten f ≃ (h0 f1 h̄1 )(h1 f2 h̄2 )(h2 f3 h̄3 ) · · · (hn−1 fn h̄n ) relativ Endpunkten in X, denn h̄i hi ≃ cf (si ) . Jeder der Faktoren hi−1 fi h̄i ist eine Schleife bei x0 in Uαi und definiert daher ein Element σi ∈ π1 (Uαi , x0 ), σi := [hi−1 fi h̄i ], i = 1, . . . , n. Es folgt Φ(σ1 · · · σn ) = Φ(σ1 ) · · · Φ(σn ) = [(h0 f1 h̄1 ) · · · (hn−1 fn h̄n )] = [f ] ∈ π1 (X, x0 ), also ist Φ surjektiv. Es bleibt noch zu zeigen ker(Φ) ⊆ N. Seien also fk : I → Uβk Schleifen bei x0 , 1 ≤ k ≤ m, β1 , . . . , βm ∈ {1, 2}, sodass Φ([f1 ] · · · [fm ]) = 1 ∈ π1 (X, x0 ). Es ist zu zeigen, dass [f1 ] · · · [fm ] = 1 ∈ (π1 (U1 , x0 ) ∗ π1 (U2 , x0 ))/N. Betrachte die Schleife f : I → X, f := f1 f2 · · · fm . Nach Voraussetzung ist [f ] = Φ([f1 ]) · · · Φ([fm ]) = Φ([f1 ] · · · [fm ]) = 1 ∈ π1 (X, x0 ). Daher existiert eine Homotopie von Wegen H : I × I → X von H0 = cx0 nach H1 = f . Da {U1 , U2 } eine offene Überdeckung von X ist, muss auch {H −1(U1 ), H −1(U2 )} eine offene Überdeckung von I × I sein. Nach Lemma I.1.28 existieren 0 = s0 < s1 < · · · < sn = 1 und 0 = t0 < t1 < · · · < tn = 1 sowie αij ∈ {1, 2}, sodass H([si−1 , si] × [tj−1 , tj ]) ⊆ Uαj , für alle i 1 ≤ i, j ≤ n. Betrachte die Wege uji (s) := H (1 − s)si−1 + ssi , tj uji : I → Uαj ⊆ X i j bji (s) := H (1 − s)si−1 + ssi , tj−1 bi : I → Uαj ⊆ X i j li : I → Uαj ⊆ X lij (t) := H sj−1, (1 − t)tj−1 + ttj i j ri : I → Uαj ⊆ X rij (t) := H sj , (1 − t)tj−1 + ttj i Da H1 = f = f1 · · · fm dürfen wir durch Übergang zu einer feineren Zerlegung von I × I o.B.d.A. annehmen, dass 0 = i0 < i1 < . . . < im = n existieren mit αink−1 +1 = αink−1 +2 = · · · = αink = βk und unik−1 +1 unik−1 +2 · · · unik ≃ fk relativ Endpunkten in Uβk , 1 ≤ k ≤ m. (I.11) Da das Rechteck [si−1 , si ] × [tj−1 , tj ] einfach zusammenhängend ist, und weil H([si−1 , si ] × [tj−1 , tj ]) ⊆ Uαj , folgt i lij uji r̄ij ≃ bji relativ Endpunkten in Uαj , 1 ≤ i, j ≤ n. i (I.12) Da U1 , U2 und U1 ∩ U2 wegzusammenhängend sind, existieren Wege βij : I → X, 0 ≤ i, j ≤ n, mit folgenden Eigenschaften: (i) βij (0) = x0 und βij (1) = H(si , tj ). (ii) βij : I → Uαj ⊆ X falls H(si , tj ) ∈ Uαj . i i (iii) βij : I → U1 ∩ U2 ⊆ X, falls H(si , tj ) ∈ U1 ∩ U2 . (iv) βij = cx0 , falls H(si, tj ) = x0 . 44 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Betrachte nun die folgenden Schleifen bei x0 , siehe (i) und (ii): j ûji := βi−1 uji β̄ij : I → Uαj ⊆ X, i ˆlj i := j−1 j j βi−1 li β̄i−1 : I → Uαj ⊆ X, i j−1 j j−1 b̂ji := βi−1 bi β̄i : I → Uαj ⊆ X i r̂ij := βij−1rij β̄ij : I → Uαj ⊆ X i j−1 j j j j−1 j j j Aus (I.12) erhalten wir (βi−1 (li ui r̄i )β̄ij−1 ≃ li β̄i−1 )(βi−1 uji β̄ij )(βij−1rij β̄ij ) ≃ βi−1 j−1 j j−1 βi−1 bi β̄i relativ Endpunkten in Uαj , und daher i j j j −1 j ˆl û r̂ = b̂i ∈ π1 Uαj , x0 , 1 ≤ i, j ≤ n. (I.13) i i i i Da H eine Homotopie relativ Endpunkten ist und wegen (iv) gilt j ˆl = 1 ∈ π1 U j , x0 und r̂ j = 1 ∈ π1 U j , x0 , 1 ≤ j ≤ n. n 1 αn α 1 Da H0 = cx0 und wegen (iv) gilt auch 1 b̂i = 1 ∈ π Uα1i , x0 , 1 ≤ i ≤ n. Aus (I.11) und (iv) erhalten wir n ûik−1 +1 ûnik−1 +2 · · · ûnik = [fk ] ∈ π1 (Uβk , x0 ), Weiters haben wir die Relationen j j r̂i−1 = ˆli ∈ π1 (U1 , x0 ) ∗ π1 (U2 , x0 ) /N, 1 ≤ k ≤ m. 1 ≤ j ≤ n, 2 ≤ i ≤ n. (I.14) (I.15) (I.16) (I.17) j Um dies einzusehen unterscheiden wir zwei Fälle. Ist αi−1 = αij , dann gilt offen j j j sichtlich r̂i−1 = ˆli ∈ π1 (Uαj , x0 ) und damit auch (I.17). Ist αi−1 6= αij , dann i j j j sind r̂i−1 und ˆlij Wege in U1 ∩ U2 , siehe (iii), und r̂i−1 = ˆli ∈ π1 (U1 ∩ U2 , x0 ), woraus nun (I.17) folgt, vgl. (I.10). Analog lässt sich zeigen j−1 j ûi = b̂i ∈ π1 (U1 , x0 ) ∗ π1 (U2 , x0 ) /N, 2 ≤ j ≤ n, 1 ≤ i ≤ n. (I.18) Aus (I.13), (I.14) und (I.17) erhalten wir, in π1 (U1 , x0 ) ∗ π1 (U2 , x0 ) /N, j j j j j −1 −1 j b̂1 · · · b̂n = ˆl1 û1 r̂1 · · · ˆlnj ûjn r̂nj = û1 · · · ûjn . Zusammen mit (I.18) und (I.15) folgt, in π1 (U1 , x0 ) ∗ π1 (U2 , x0 ) /N, n û1 · · · ûnn = b̂n1 · · · b̂nn = û1n−1 · · · ûnn−1 = · · · = b̂11 · · · b̂1n = 1. Verwenden wir noch (I.16) so erhalten wir schließlich die Relation [f1 ] · · · [fm ] = 1 in π1 (U1 , x0 ) ∗ π1 (U2 , x0 ) /N. Damit ist der Beweis vollständig. I.5.6. Beispiel. Wir wollen nun mit Hilfe von Satz I.5.5 nochmals verifizieren, dass S n einfach zusammenhängend ist, n ≥ 2, vgl. Satz I.1.26. Nach Beispiel I.1.25 sind U := S n \ {N} und V := S n \ {S} zwei einfach zusammenhängende offene Teilmengen von S n = U ∪ V . Da n ≥ 2, ist U ∩ V ∼ = Rn \ {0} wegzusammenhängend. Aus Satz I.5.5 folgt daher π1 (S n ) = 0. I.5. DER SATZ VON SEIFERT–VAN KAMPEN 45 I.5.7. Beispiel (Suspension). Es sei X ein topologischer Raum, und es bezeichne ∼ die von (x, 1) ∼ (y, 1) und (x, −1) ∼ (y, −1) erzeugte Äquivalenzrelation auf X × [−1, 1], x, y ∈ X. Der Quotientenraum ΣX := X × [−1, 1] ∼ wird die Suspension oder Einhängung von X genannt. Die Suspension entsteht daher aus X × [−1, 1] indem wir X × {1} zu einem und X × {−1} zu einem anderen Punkt kollabieren. Etwa ist ΣS n ∼ = S n+1 . Fassen wir X als Teilraum des Kegels CX auf, vgl. Beispiel I.3.18, dann gilt offensichtlich ΣX ∼ = CX/X. Ist X wegzusammenhängend, dann ist ΣX einfach zusammenhängend. Dies folgt aus Satz I.5.5 indem wir die offenen Teilmengen U := X × (−1, 1] /∼ und V := X × [−1, 1) /∼ von ΣX = U ∪ V betrachten. Beide sind kontrahierbar, vgl. Beispiel I.3.18, also einfach zusammenhängend, siehe Korollar I.3.29, und es ist U ∩ V ∼ = X × (−1, 1) wegzusammenhängend. W Betrachte Einpunktvereinigung α∈A (Xα , xα ) punktierte Räume (Xα , xα ), W α ∈ A. Die kanonischen Inklusionen ια : (Xα , xα ) → α′ ∈A (Xα′ , xα′ ) induzieW ren Gruppenhomomorphismen (ια )∗ : π1 (Xα , xα ) → π1 α′ ∈A (Xα′ , xα′ ) . Diese definieren einen Gruppenhomomorphismus, siehe Lemma I.5.1(iv), _ ∗ π1 (Xα , xα ) → π1 (Xα , xα ) . (I.19) α∈A α∈A I.5.8. Proposition. Es seien (Xα , xα ), α ∈ A, punktierter Hausdorffräume. Weiters sollen offene Umgebungen Uα ⊆ Xα von xα existieren, sodass {xα } Deformationsretrakt von Uα ist. In dieser Situation ist (I.19) ein Gruppenisomorphismus. Insbesondere gilt π1 (X, x0 ) ∨ (Y, y0) ∼ = π1 (X, x0 ) ∗ π1 (Y, y0 ). Beweis. Wir behandeln zunächst die Einpunktvereinigung zweier Räume (X1 ∨ X2 , ∗) = (X1 , x1 ) ∨ (X2 , x2 ). O.B.d.A. seien X1 und X2 wegzusammenhängend, vgl. Proposition I.1.16. Betrachte die offenen Teilmengen U := (U1 , x1 ) ∨ (X2 , x2 ) und V := (X1 , x1 ) ∨ (U2 , x2 ) von X1 ∨ X2 = U ∪ V . Eine retrahierende Deformation von U1 auf {x1 } zusammen mit der identischen Abbildung idX2 liefert eine retrahierende Deformation von U auf X2 , vgl. Lemma I.3.17. Also ist die Einbettung (X2 , x2 ) → (U, ∗) eine Homotopieäquivalenz und induziert daher einen Isomorphismus π1 (X2 , x2 ) ∼ = π1 (U, ∗), siehe Proposition I.3.24. Ebenso induziert (X1 , x1 ) → (V, ∗) einen Isomorphismus π1 (X1 , x1 ) ∼ = π1 (V, ∗). Eine retrahierende Deformation von U1 auf {x1 } zusammen mit einer retrahierenden Deformation von U2 auf {x2 } liefern eine retrahierende Deformation von U ∩ V = (U1 , x1 ) ∨ (U2 , x2 ) auf {∗}. Also ist U ∩ V kontrahierbar und damit einfach zusammenhängend, siehe Korollar I.3.29. Aus Satz I.5.5 folgt daher π1 (X1 , x1 ) ∨ (X2 , x2 ) ∼ = π1 (X1 , x1 ) ∗ π1 (X2 , x2 ). Mittels Induktion sehen wir, dass die Aussage der Proposition auch für endliche Indexmengen A richtig bleibt. 46 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Sei nun A beliebig. Ist F ⊆ A eine Teilmenge so erhalten wir nebenstehendes kommutatives Diagram. Beachte, dass die beiden vertikalen Pfeile injektive Homomorphismen bezeichnen. Für den W rechten folgt dies aus ∗ π1 (Xα ) / π1 W der Tatsache, W dass eine α∈A α∈A Xα O O stetige Abbildung α∈A Xα → α∈F Xα existiert die linksinvers zur kanonischen Inklusion W W X → X ∼ α α ist. Für endliches F ist α∈F α∈A ∗ π1 (Xα ) = / π1 W X α α∈F der untere horizontale Pfeil ein Isomorphismus, α∈F siehe oben. Es folgt sofort, dass (I.19) injektiv W ist, siehe Lemma I.5.1(ii). Nach Lemma I.5.9 unten muss jede Schleife in α∈A Xα W schon in einer endlichen Einpunktvereinigung α∈F Xα liegen. Aus obigem Diagram folgt nun auch die Surjektivität von (I.19). I.5.9. W Lemma. Es seien (Xα , xα ), α ∈ A, punktierte Hausdorffräume und K ⊆ α∈A (Xα , xα ) eine kompakte Teilmenge derW Einpunktvereinigung. Dann existiert eine endliche Teilmenge F ⊆ A mit K ⊆ α∈F (Xα , xα ). Beweis. Es sei F := α ∈ A : ∅ = 6 K ∩ (X \ {x }) . Dann gilt offensichtlich α α W K ⊆ α∈F Xα . Für jedes α ∈ F wähle einen Punkt zα ∈ K ∩ (Xα \ {xα }). Die Menge L := {zα : α ∈ F } ⊆ K hat dann gleich viele Elemente wie F . Es genügt daher zu zeigen, dass L endlich ist. Wegen der Hausdorffeigenschaft von Xα ist L ∩ Xα = {zα } abgeschlossen in Xα , also ist L eine abgeschlossene Teilmenge von W eine kompakte Teilmenge. α∈A Xα . Folglich ist L abgeschlossen in K und damit W Weiters ist Xα \ {xα } eine offene Teilmenge von α∈A Xα mit (Xα \ {xα }) ∩ L = {zα }, daher trägt L die diskrete Topologie. Als diskreter kompakter Raum muss L endlich sein. I.5.10. Beispiel. Für ni ≥ 2 ist S n1 ∨ · · · ∨ S nk einfach zusammenhängend, siehe Satz I.1.26 und Proposition I.5.8. Mit Hilfe von Satz I.2.1 erhalten wir aber auch π1 (S 1 ∨ · · · ∨ S 1 ) ∼ = Z ∗ · · · ∗ Z. Einpunktvereinigungen von Kreisen können also nur dann homotopieäquivalent (homöomorph) sein, wenn sie gleich viele Faktoren besitzen, siehe Beispiel I.5.3 und Satz I.3.27. I.5.11. Beispiel. Es seien P1 , . . . , Pk paarweise verschiedene Punkte in Rn . Der Raum Rn \ {P1 , . . . , Pk } ist homotopieäquivalent zur Einpunktvereinigung S n−1 ∨ · · · ∨ S n−1 mit k Faktoren. Für n ≥ 3 ist daher Rn \ {P1 , . . . , Pk } einfach zusammenhängend, siehe Satz I.3.27 und Beispiel I.5.10. Im Fall n = 2 folgt π1 R2 \ {P1 , . . . , Pk } ∼ = Z ∗ · · · ∗ Z. Für l 6= k sind daher R2 \{P1 , . . . , Pk } und R2 \{P1 , . . . , Pl } nicht homotopieäquivalent, und daher auch nicht homöomorph. I.5.12. Beispiel (Abbildungskegel). Es sei ϕ : Y → X stetig. Weiters bezeichne CY := (Y × I)/(Y × {0} den Kegel über Y , p : Y × I → CY die Quotientenabbildung, ∗ := p(Y × {0}) die Spitze des Kegels und ιY : Y → CY die Einbettung, ιY (y) = p(y, 1). Wir können ϕ als eine auf der Teilmenge I.5. DER SATZ VON SEIFERT–VAN KAMPEN 47 A := ιY (Y ) ⊆ CY definierte Abbildung betrachten. Der Raum Cϕ := X ∪ϕ CY wird der Abbildungskegel von ϕ genannt. Wir erhalten eine kanonische Einbettung ιX : X → Cϕ und eine stetige Abbildung ιX / Cϕ := X ∪ϕ CY XO ϕ̂ : CY → Cϕ mit ιX ◦ ϕ = ϕ̂ ◦ ιY . Beachte, dass O die Abbildung ιX ◦ ϕ : Y → Cϕ nullhomotop ist, ϕ ϕ̂ denn H : Y × I → Cϕ , H(y, t) := ϕ̂(p(y, t)) lieιY / CY Y fert eine Homotopie von der konstanten Abbildung H0 = cϕ̂(∗) nach H1 = ϕ̂ ◦ ιY = ιX ◦ ϕ. Weiters ist U := Cϕ \ {ϕ̂(∗)} eine offene Umgebung von ιX (X), und ιX (X) ist Deformationsretrakt von U, denn U ∼ = X ∪ϕ (Y × (0, 1]) und Y × {1} ist Deformationsretrakt von Y × (0, 1], vgl. Lemma I.3.19. Insbesondere ist die Einbettung ιX : X → Cϕ \ {ϕ̂(∗)} eine Homotopieäquivalenz. Ebenso ist V := ϕ̂(p(Y × [0, 1))) = Cϕ \ ιX (X) eine offene Umgebung von ϕ̂(∗) und {ϕ̂(∗)} ist Deformationsretrakt von V , denn V ∼ = (Y × [0, 1))/(Y × {0}). Insbesondere ist V kontrahierbar. Schließlich ist jY = H1/2 : Y → U ∩ V , jY (y) := ϕ̂(p(y, 1/2)), eine Einbettung und eine Homotopieäquivalenz. Fassen wir Y als Teilraum des Abbildungszylinders Zϕ wie in Beispiel I.3.20 auf, so erhalten wir einen Homöomorphismus Cϕ ∼ = Zϕ /Y . I.5.13. Satz (Fundamentalgruppe des Abbildungskegels). Es seien X, Y zwei wegzusammenhängende topologische Räume, ϕ : Y → X stetig, y0 ∈ Y und x0 := ϕ(y0 ). Weiters bezeichne ιX : X → Cϕ die kanonische Einbettung, siehe oben. Dann ist der Homomorphismus (ιX )∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Cϕ , ιX (x0 )) surjektiv, und sein Kern stimmt mit dem von img ϕ∗ : π1 (Y, y0 ) → π1 (X, x0 ) erzeugten Normalteiler überein. Insbesondere gilt ϕ∗ π1 Cϕ , ιX (x0 ) ∼ = π1 (X, x0 ) N img π1 (Y, y0 ) −→ π1 (X, x0 ) . Beweis. Wir verwenden die Notation aus Beispiel I.5.12, Cϕ = U ∪V . Die kanonische Einbettung ιX : X → U ist eine Homotopieäquivalenz, V ist kontrahierbar, und jY : Y → U ∩V ist eine Homotopieäquivalenz. Betrachte den Basispunkt x1 := jY (y0 ) ∈ U ∩ V . Aus Satz I.5.5 folgt, dass der von der Inklusion induzierte Homomorphismus π1 (U, x1 ) → π1 (Cϕ , x1) surjektiv ist und sein Kern mit dem von img (jY )∗ : π1 (Y, y0 ) → π1 (U, x1 ) erϕ∗ zeugten Normalteiler übereinstimmt. Betrach/ π1 (X, x0 ) π1 (Y, y0 ) te die Homotopie H : Y × I → U, H(y, t) := ∼ (jY )∗ = (ιX )∗ ϕ̂(p(y, 1 − t/2)), von H0 = ϕ̂ ◦ ιY = ιX ◦ β h ϕ nach H1 = jY , und den Weg h : I → π1 (U, x1 ) ∼ / π1 (U, ιX (x0 )) = U, h(t) := H(y0, t), von h(0) = ιX (x0 ) nach h(1) = x1 . Nach Proposition I.3.26 kommu βh tiert das obere Rechteck im nebenstehenden π1 (Cϕ , x1 ) ∼ / π1 (Cϕ , ιX (x0 )) = Diagramm, das untere kommutiert trivialerweise. Daher ist der Homomorphismus (ιX )∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Cϕ , ιX (x0 )) surjektiv, und sein Kern mit dem von img(ϕ∗ ) erzeugten Normalteiler übereinstimmt. 48 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE I.5.14. Korollar (Ankleben einer Zelle). Es sei X ein wegzusammenhängender topologischer Raum, ϕ : S n−1 → X stetig, y0 ∈ S n−1 , x0 := ϕ(y0 ) ∈ X, und es bezeichne ι : X → X ∪ϕ D n die kanonische Einbettung. Dann gilt: (i) Für n ≥ 3 ist ι∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (X ∪ϕ D n , ι(x0 )) ein Isomorphismus. (ii) Für n = 2 ist ι∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (X ∪ϕ D n , ι(x0 )) surjektiv, und sein Kern stimmt mit dem von img(ϕ∗ ) erzeugten Normalteiler überein, wobei ϕ∗ : π1 (S n−1 , y0 ) → π1 (X, x0 ). Insbesondere ist π1 (X ∪ϕ D n , ι(x0 )) ∼ = π1 (X, x0 )/N img(ϕ∗ ) . Beweis. Beachte, dass CS n−1 ∼ = D n , denn die Abbildung S n−1 × I → D n , (x, t) 7→ tx, faktorisiert zu einem Homöomorphismus CS n−1 → D n . Damit gilt X ∪ϕ D n ∼ = Cϕ . Für n ≥ 2 ist S n−1 wegzusammenhängend, aus Satz I.5.13 folgt daher die Surjektivität von ι∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (X ∪ϕ D n , ι(x0 )) und ker(ι∗ ) = N (img(ϕ∗ )). Für n ≥ 3 ist S n−1 einfach zusammenhängend, siehe Satz I.1.26, also ker(ι∗ ) = 0. I.5.15. Beispiel. Betrachte die Abbildung ϕ : S 1 → S 1 , ϕ(z) := z k , k ∈ Z, und den Raum X := S 1 ∪ϕ D 2 . Nach Korollar I.5.14(ii) induziert die Einbettung ι : S 1 → X einen Isomorphismus π1 (S 1 , 1)/ img(ϕ∗ ) ∼ = π1 (X, ι(1)) wobei ϕ∗ : 1 1 π1 (S , 1) → π1 (S , 1). Mit Hilfe von Beispiel I.2.2 sehen wir daher, dass π1 (X) ∼ = Zk . Die Schleife f := ι ◦ ω1 : I → X, siehe (I.2), repräsentiert einen Erzeuger in π1 (X), und es gilt die Relation [f ]k = 1. Wir erinnern uns, dass CPn die Menge aller 1-dimensionalen komplexen linearen Teilräume von Cn+1 bezeichnet, n ∈ N0 . Führen wir auf Cn+1 \ {0} die Äquivalenzrelation v ∼ w ⇔ ∃λ ∈ C : λv = w ein, dann können wir CPn mit Cn+1 \ {0} /∼ identifizieren, Cv ↔ [v]. Wir versehen CPn mit der Quotiententopologie, CPn := Cn+1 \ {0} /∼. Betrachten wir S 2n+1 als Teilraum von Cn+1 , S 2n+1 = v ∈ Cn+1 : kvk = 1 , dann induziert die kanonische Inklusion S 2n+1 → Cn+1 \ {0} einen Homöomorphismus S 2n+1 /∼ ∼ = Cn+1 \ {0} /∼. Seine Inverse ist die von der radialen Projektion 1 Cn+1 \ {0} → S 2n+1 , v 7→ kvk v, induzierte stetige Abbildung Cn+1 \ {0} /∼ → S 2n+1 /∼. Wir können CPn daher auch als Quotient der Sphäre verstehen, CPn = S 2n+1 /∼. Die kanonische Projektion S 2n+1 → CPn wird als Hopfabbildung bezeichnet. Da S 2n+1 kompakt ist, und da auch die Äquivalenzklassen in S 2n+1 abgeschlossen sind, sehen wir, dass CPn ein kompakter Hausdorffraum ist. Bemerke auch, dass CPn als stetiges Bild der wegzusammenhängenden Sphäre S 2n+1 selbst wegzusammenhängend ist. CP0 ist ein einpunktiger Raum. CP1 ist homöomorph zu S 2 und daher einfach zusammenhängend, siehe Satz I.1.26. Tatsächlich induziert die Abbildung ϕ : S 3 → S 2 , ϕ(z, w) := 2z̄w, |w|2 − |z|2 , einen Homöomorphismus S 3 /∼ ∼ = S 2. I.5. DER SATZ VON SEIFERT–VAN KAMPEN 49 Die Inklusion Cn → Cn+1 induziert eine Einbettung ι : CPn−1 → CPn . Es bezeichne pn : Cn+1 \ {0} → CPn die kanonischepProjektion. Betrachte die sten 2n 2 tige Abbildung Φ : D → CP , Φ(z) := pn z, 1 − kzk . Diese ist surjektiv und auf B 2n = {z ∈ Cn : kzk < 1} injektiv. Bezeichnet ϕ : S 2n−1 → CPn−1 die Hopfabbildung so gilt offensichtlich Φ|S 2n−1 = ι ◦ ϕ. Wir erhalten eine stetige Abbildung ι ∪ϕ Φ : CPn−1 ∪ϕ D 2n → CPn . Diese ist bijektiv, also ein Homöomorphismus. Wir sehen daher, dass CPn aus CPn−1 durch Ankleben einer 2n-Zelle längs der Hopfabbildung ϕ : S 2n−1 → CPn−1 entsteht, CPn ∼ (I.20) = CPn−1 ∪ϕ D 2n . Nach Korollar I.5.14 induziert die kanonische Einbettung ι : CPn−1 → CPn einen Isomorphismus π1 (CPn−1 ) ∼ = π1 (CPn ), falls n ≥ 1. Mittels Induktion folgt nun, dass CPn einfach zusammenhängend ist, für alle n ∈ N0 . Wir haben also gezeigt: I.5.16. Proposition. CPn ist einfach zusammenhängend, n ∈ N0 . Es bezeichne HPn := (Hn+1 \ {0})/∼ = S 4n+3 /∼ den quaternionischen projektiven Raum, und ϕ : S 4n−1 → HPn−1 die kanonische Projektion. Dann gilt HPn ∼ (I.21) = HPn−1 ∪ϕ D 4n . Genau wie im Fall des komplexen projektiven Raums erhalten wir daher aus Korollar I.5.14: I.5.17. Proposition. HPn ist einfach zusammenhängend, n ∈ N0 . Wir wollen nun analog zum komplexen Fall auch die reellen projektiven Räume behandeln. Wir erinnern uns, dass RPn die Menge aller 1-dimensionalen linearen Teilräume von Rn+1 bezeichnet, n ∈ N0 . Führen wir auf Rn+1 \ {0} die Äquivalenzrelation v ∼ w ⇔ ∃λ ∈ R : λv = w ein, dann können wir RPn mit Rn+1 \ {0} /∼ identifizieren, Rv ↔ [v]. Wir versehen RPn mit der Quotiententopologie, RPn := Rn+1 \ {0} /∼. Die kanonische Inklusion S n → Rn+1 \ {0} induziert einen Homöomorphismus S n /∼ ∼ = Rn+1 \ {0} /∼. Seine Inverse ist die von der radialenProjektion Rn+1 \ 1 {0} → S n , v 7→ kvk v, induzierte stetige Abbildung Rn+1 \ {0} /∼ → S n /∼. Wir n können RP daher auch als Quotient der Sphäre verstehen, RPn = S n /∼. Wie im komplexen Fall schließen wir, dass RPn ein wegzusammenhängender, kompakter Hausdorffraum ist. Die Inklusion Rn → Rn+1 induziert eine Einbettung ι : RPn−1 → RPn . Es bezeichne pn : Rn+1 \ {0} → RPn die kanonische Betrachte die stetige p Projektion. Abbildung Φ : D n → RPn , Φ(x) := pn x, 1 − kxk2 . Diese ist surjektiv und auf B n = {x ∈ Rn : kxk < 1} injektiv. Bezeichnet ϕ : S n−1 → RPn−1 die kanonische Projektion, so gilt offensichtlich Φ|S n−1 = ι ◦ ϕ. Wir erhalten eine 50 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE stetige Abbildung ι ∪ϕ Φ : RPn−1 ∪ϕ D n → RPn . Diese ist bijektiv, also ein Homöomorphismus. Wir sehen daher, dass RPn aus RPn−1 durch Ankleben einer n-Zelle längs der kanonischen Projektion ϕ : S n−1 → RPn−1 entsteht, RPn ∼ = RPn−1 ∪ϕ D n . RP0 ist ein einpunktiger Raum, und RP1 ∼ = D 1 /{−1, 1} ∼ = S 1 . Insbesondere π1 (RP1 ) ∼ = Z. Aus Beispiel I.5.15 erhalten wir π1 (RP2 ) ∼ = Z2 . Nach Koroln−1 lar I.5.14 induziert die kanonische Einbettung ι : RP → RPn einen Isomorphismus π1 (RPn−1 ) ∼ = π1 (RPn ), falls n ≥ 3. Mittels Induktion erhalten wir daher n ∼ π1 (RP ) = Z2 . Die Schleife f : I → RPn , f (s) := pn cos(πs), sin(πs), 0 . . . , 0 , repräsentiert einen Erzeuger in π1 (RPn ), n ≥ 1. Für n ≥ 2 gilt die Relation [f ]2 = 1. Wir halten fest: I.5.18. Proposition. Es gilt π1 (RP1 ) ∼ = Z2 , und der von = Z sowie π1 (RP2 ) ∼ 1 2 der Inklusion RP → RP induzierte Homomorphismus π1 (RP1 ) → π1 (RP2 ) ist nicht trivial. Weiters induziert die Inklusion RP2 → RPn einen Isomorphismus ∼ = → π1 (RPn ), für n ≥ 2. Z2 ∼ = π1 (RP2 ) − I.6. Die Fundamentalgruppe einiger Matrizengruppen. Wir wollen in diesem Kapitel damit beginnen die Topologie der Matrizengruppen zu studieren. Unter Anderem werden wir die Fundamentalgruppen der orthogonalen und der unitären Gruppen berechnen. Für n ∈ N bezeichne GLn (C) := A ∈ Mn,n (C) : det A 6= 0 die Gruppe der invertierbaren (n × n)-Matrizen mit komplexen Eintragungen. 2 Dies ist eine offene Teilmenge von Mn,n (C) = Cn und wir versehen GLn (C) mit der induzierten Teilraumtopologie. Weiters betrachten wir die Untergruppe der unitären Matrizen, Un := U ∈ Mn,n (C) U ∗ U = In wobei In die (n × n)-Einheitsmatrix bezeichnet. Wir versehen Un mit der Teilraumtopologie. Da durch stetige Gleichungen gegeben, ist Un abgeschlossen in 2 2 Cn . Da die Spalten einer unitären Matrix Einheitsvektoren bilden, ist Un ⊆ Cn auch beschränkt. Nach dem Satz von Heine–Borel ist Un daher kompakt. Etwa ist U1 = S 1 . Es bezeichne ∆n (C) := D ∈ Mn,n (C) : Di,i ∈ (0, ∞) für alle i, und Di,j = 0 falls i > j die Gruppe der komplexen oberen Dreiecksmatrizen mit positiven reellen Ein2 tragungen auf der Diagonale, versehen mit der von Mn,n (C) = Cn induzierten Teilraumtopologie. Die Abbildung ϕ : Un ×∆n (C) → GLn (C), ist sicherlich wohldefiniert und stetig. ϕ(U, D) := UD (I.22) I.6. DIE FUNDAMENTALGRUPPE EINIGER MATRIZENGRUPPEN 51 I.6.1. Proposition. Die Abbildung (I.22) definiert einen Homöomorphismus, GLn (C) ∼ = Rn × Cn(n−1)/2 . Insbesondere ist Un = Un ×∆n (C) und es gilt ∆n (C) ∼ Deformationsretrakt von GLn (C), und die kanonische Inklusion Un → GLn (C) daher eine Homotopieäquivalenz. Beweis. Zunächst ist ϕ injektiv, denn aus U1 D1 = U2 D2 , Ui ∈ Un , Di ∈ ∆n (C), folgt U2−1 U1 = D2 D1−1 ∈ Un ∩∆n (C) = {In }, also U1 = U2 und D1 = D2 . Mit Hilfe des Gram-Schmidtschen Orthogonalisierungsverfahren werden wir nun eine Umkehrabbidlung angeben. Sei dazu A = (v1 |v2 | · · · |vn ) ∈ GLn (C) mit Spalten vi ∈ Cn . Definiere rekursiv ũ1 := v1 u1 := ũ2 := v2 − hv2 , u1iu1 .. . u2 := 1 ũ |ũ1 | 1 1 ũ |ũ2 | 2 ũk := vk − hvk , u1 iu1 − · · · − hvk , uk−1iuk−1 .. . uk := 1 ũ |ũk | k ũn := vn − hvn , u1 iu1 − · · · − hvn , un−1iun−1 un := 1 ũ |ũn | n Nach Konstruktion bildet (u1 , . . . , un ) eine Orthonormalbasis von Cn , also ist ψ1 (A) := (u1 |u2 | · · · |un ) ∈ Un . Dies liefert eine stetige Abbildung ψ1 : GLn (C) → Un , A 7→ ψ1 (A). Nach Konstruktion gilt u1 u2 · · · |un = v1 v2 · · · |vn · D1 N1 D2 N2 · · · Dn Nn | {z } | {z } | {z } =A =ψ1 (A) wobei Dk , Nk ∈ ∆n (C) durch 1 −hvk ,u1 i .. . . . . 1 −hvk ,uk−1 i Dk = 1 1 ∈∆n (C) .. . 1 und 1 Nk = .. . 1 1 |ũk | 1 .. . 1 gegeben sind. Daher ist ψ1 (A)−1 A = (D1 N1 · · · Dn Nn )−1 ∈ ∆n (C) und wir erhalten eine stetige Abbildung ψ2 : GLn (C) → ∆n (C), ψ2 (A) := ψ1 (A)−1 A. Setzten wir ψ := (ψ1 , ψ2 ) : GLn (C) → Un ×∆n (C), dann gilt offensichtlich ϕ ◦ ψ = idGLn (C) , also ist (I.22) surjektiv. Zusammen mit der Injektivität von (I.22) folgt, dass ψ die Umkehrabbildung von ϕ ist. Also ist (I.22) tatsächlich ein Homöomorphismus. Durch Logarithmieren der Diagonaleinträge erhalten wir einen Homöomorphismus ∆n (C) ∼ = Rn × Cn(n−1)/2 . Inbesondere bildet die einpunktige Teilmenge 52 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE {In } einen Deformationsretrakt von ∆n (C). Daher ist auch Un ×{In } Deformationsretrakt von Un ×∆n (C). Mit Hilfe des Homöomorphismus (I.22) sehen wir, dass Un Deformationsretrakt von GLn (C) ist. Es bezeichne SLn (C) := {A ∈ GLn (C) : det(A) = 1} die spezielle lineare Gruppe, SUn (C) := Un ∩ SLn (C) die spezielle unitäre Gruppe und S∆n (C) := ∆n (C) ∩ SLn (C). Alle diese Gruppen seien mit der von GLn (C) induzierten Teilraumtoplogie versehen. Als abgeschlossene Teilmenge von Un ist SUn kompakt. I.6.2. Beispiel. SU1 ist ein einpunktiger Raum. SU2 ist homöomorph zu S 3 und daher einfach zusammenhängend, siehe Satz I.1.26. Um einen Homöomorphismus S 3 ∼ betrachten wir S 3 als Teilraum von C2 , S 3 = = SU2 anzugeben (z, w) ∈ C2 : |z|2 + |w|2 = 1 . Es ist dann ϕ : S 3 → SU2 , (z, w) 7→ ( wz −z̄w̄ ), ein Homöomorphismus. Ist n ≤ m, dann können wir GLn (C) als Untergruppe von GLm (C) auffas0 ist eine Einbettung. Dies liefert auch sen, der Homomorphismus A 7→ A0 Im−n Einbettungen Un ⊆ Um , SLn (C) ⊆ SLm (C) und SUn ⊆ SUm . I.6.3. Proposition. Die Einschränkung von (I.22) liefert einen Homöomorphismus SLn (C) ∼ = Rn−1 × Cn(n−1)/2 . Ins= SUn ×S∆n (C) und es gilt S∆n (C) ∼ besondere ist SUn Deformationsretrakt von SLn (C), und die kanonische Inklusion SUn → SLn (C) daher eine Homotopieäquivalenz. Weiters gilt GLn (C) ∼ = GL1 (C) × SLn (C) sowie Un ∼ = U1 × SUn . Beweis. Klarerweise bildet (I.22) die Teilmenge SUn ×S∆n (C) nach SLn (C) ab. Sei nun A ∈ SLn (C). Nach Proposition I.6.1 existieren U ∈ Un und D ∈ ∆n (C) mit UD = A. Es folgt 1 = det(A) = det(U) det(D). Da det(U) ∈ S 1 und det(D) ∈ R+ schließen wir det(U) = 1 = det(D), dh. U ∈ SUn and D ∈ S∆n (C). Daher schränkt sich (I.22) zu einer Bijektion SUn ×S∆n (C) ∼ = SLn (C) ein, die nach Proposition I.6.1 ein Homöomorphismus sein muss. Wie im Beweis von Proposition I.6.1 folgt, dass SUn Deformationsretrakt von SLn (C) ist. Matrizenmultiplikation liefert Homöomorphismen U1 × SUn ∼ = = Un und GL1 (C) × SLn (C) ∼ GLn (C). I.6.4. Proposition. SUn und SLn (C) sind einfach zusammenhängend. Für den Beweis von Proposition I.6.4 betrachten wir die stetige Abbildung p : SUn+1 → S 2n+1 , p(A) := AN, (I.23) wobei N := (0, . . . , 0, 1) ∈ S ⊆C den (n + 1)-ten Einheitsvektor bezeichnet, p(A) ist daher die letzte Spalte von A. 2n+1 n+1 I.6.5. Lemma. Es sei P ∈ S 2n+1 und es bezeichne X := S 2n+1 \ {P }. Dann ∼ = → p−1 (X), sodass p ◦ ϕ = pr1 existiert ein Homöomorphismus ϕ : X × SUn − und ϕ(x, AU) = ϕ(x, A)U für alle A, U ∈ SUn , x ∈ X. Dabei bezeichnet pr1 : X × SUn → X die Projektion auf den ersten Faktor.12 12Es ist daher (I.23) ein Hauptfaserbündle mit Strukturgruppe SUn . I.6. DIE FUNDAMENTALGRUPPE EINIGER MATRIZENGRUPPEN 53 Beweis. Wir konstruieren zunächst eine stetige Abbildung σ : X → SUn+1 mit p ◦ σ = idX , siehe Vorlesung. Wir definieren nun ϕ : X × SUn → p−1 (X), ϕ(x, A) := σ(x)A. Offensichtlich gilt ϕ(x, AU) = ϕ(x, A)U, für A, U ∈ SUn . Es ist aber auch p(ϕ(x, A)) = p(σ(x)A) = p(σ(x)) = x, also p ◦ ϕ = pr1 . Für B, C ∈ SUn+1 gilt offensichtlich p(B) = p(C) genau dann, wenn C −1 B ∈ SUn . Wegen p(σ(p(B))) = p(B) erhalten wir insbesondere σ(p(B))−1 B ∈ SUn , für B ∈ p−1 (X). Es ist daher ψ : p−1 (X) → X × SUn , ψ(B) := (p(B), σ(p(B))−1 B), eine stetige Abbildung. Eine einfach Rechnung zeigt, dass dies die Umkehrabbildung von ϕ ist. Also ist ϕ ein Homöomorphismus. Beweis von Proposition I.6.4. Nach Proposition I.6.3 ist die Inklusion SUn → SLn (C) eine Homotopieäquivalenz, es genügt daher zu zeigen, dass SUn einfach zusammenhängend ist. Wir gehen induktiv vor. Der Fall n = 1 ist trivial, denn SU1 besteht aus nur einem Punkt. Nehmen wir also induktiv an, SUn ist einfach zusammenhängend. Fixiere einen Punkt P ∈ S 2n+1 und betrachte die beiden offenen Teilmengen U := p−1 (S 2n+1 \ {P }) und V := p−1 (S 2n+1 \ {−P }) von SUn+1 , siehe (I.23). Es gilt dann offensichtlich SUn+1 = U ∪ V . Aus Lemma I.6.5 erhalten wir aber auch U ∼ = (S 2n+1 \{−P })×SUn . = (S 2n+1 \{P })×SUn sowie V ∼ 2n+1 ∼ 2n+1 2n+1 ∼ \ {−P }, siehe Beispiel I.1.25, schließen wir aus Da S \ {P } = R =S unserere Induktionsannahme, dass U und V beide einfach zusammenhängend sind, siehe Beispiel I.1.24. Wir sehen daraus aber auch, dass U ∩ V wegzusammenhängend ist, denn U ∩V = p−1 (S 2n+1 \{P, −P }) ∼ = = (S 2n+1 \{P, −P })×SUn ∼ 2n+1 (R \ {0}) × SUn . Aus Satz I.5.5 folgt nun, dass SUn+1 = U ∪ V einfach zusammenhängend ist. Damit ist der Induktionsschritt gezeigt und der Beweis vollständig. I.6.6. Proposition. Die Gruppen Un und GLn (C) sind wegzusammenhängend. Die Inklusionen S 1 = U1 → Un ⊆ GLn (C), induzieren Isomorphismen Z∼ = π1 (GLn (C)). = π1 (Un ) ∼ = π1 (U1 ) ∼ = π1 (S 1 ) ∼ Beweis. Bach Proposition I.6.1 ist die kanonische Inklusion Un → GLn (C) eine Homotopieäquivalenz, es genügt daher Un zu behandeln. Nach Proposition I.6.3 gilt U1 × SUn ∼ = Un . Alle Behauptungen folgen daher sofort aus Proposition I.6.4, Proposition I.1.17 und Satz I.2.1, denn U1 = S 1 . Für n ∈ N betrachte die Gruppe GLn (R) := A ∈ Mn,n (R) : det A 6= 0 der invertierbaren reellen (n × n)-Matrizen, und die Gruppe On := A ∈ GLn (R) : At A = In der orthogonalen Matrizen. Weiters bezeichne ∆n (R) := D ∈ Mn,n (R) : Di,i ∈ (0, ∞) für alle i, und Di,j = 0 falls i > j 54 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE die Gruppe der reellen oberen Dreiecksmatrizen mit positiven Eintragungen auf 2 der Diagonale. Alle diesen Gruppen seien mit der von Mn,n (R) ∼ = Rn induzierten Teilraumtopologie versehen. Beachte GLn (R) ⊆ GLn (C) und On = Un ∩ GLn (R). Insbesondere ist On , als abgeschlossene Teilmenge von Un , kompakt. Bemerke auch, dass det : GLn (R) → R× und det : On → S 0 surjektiv sind, die Gruppen GLn (R) und On daher nicht wegzusammenhängend sein können. Etwa gilt O1 = S 0 = {−1, 1}. Es bezeichne weiters GL+ n (R) := {A ∈ GLn (R) : det(A) > 0}, und und SOn := {A ∈ On : det(A) = 1} = GL+ n (R) ∩ On die spezielle orthogonale Gruppe. I.6.7. Beispiel. SO1 ist ein einpunktiger Raum. Es gilt SO2 ∼ = S 1 , also 2πt sin 2πt π1 (SO2 ) ∼ = Z. Die Abbildung I → SO2 , t 7→ ( −cos sin 2πt cos 2πt ), faktorisiert nämlich 1 ∼ zu einem Homöomorphismus S = I/{0, 1} ∼ = SO2 . Weiters gilt SO3 ∼ = RP3 , und daher π1 (SO3 ) ∼ = Z2 , siehe Proposition I.5.18. Um dies einzusehen, betrachte wir S 3 ⊆ H als Einheitssphäre in Hamiltons Quaternionen. Weiters bezeichne I := 1⊥ = {x ∈ H : x̄ = −x} ∼ = R3 die rein imaginären Quaternionen. Für x ∈ H definiert λx : I → I, λx (y) := xy x̄, eine R-lineare Abbildung. Für x ∈ S 3 ist λx ist eine Isometrie auf I. Wir erhalten daher eine stetige Abbildung λ : S 3 → SO3 . Diese faktorisiert durch die Projektion S 3 → RP3 zu einem Homöomorphismus RP3 ∼ = SO3 . Die Multiplikation in H definiert eine Gruppenstruktur auf S 3 , und 3 p : S → SO3 ist ein Homomorphismus. Ist n ≤ m dann können wir GLn (R) als Untergruppe von GLm (R) auffas0 ist eine Einbettung. Dies liefert auch sen, der Homomorphismus A 7→ A0 Im−n + + Einbettungen On ⊆ Om , GLn (R) ⊆ GLm (R) und SOn ⊆ SOm . I.6.8. Proposition. Schränken wir (I.22) auf reelle Matrizen ein, so erhalten wir einen Homöomorphismus GLn (R) ∼ = = On ×∆n (R), und es gilt ∆n (R) ∼ n n(n−1)/2 R ×R . Insbesondere ist On Deformationsretrakt von GLn (R), und die kanonische Inklusion On → GLn (R) daher eine eine Homotopieäquivalenz. Wei∼ teres Einschränken liefert einen Homöomorphismus GL+ n (R) = SOn ×∆n (R). + Somit ist SOn Deformationsretrakt von GLn (R), und die kanonische Inklusi∼ on SOn → GL+ n (R) daher eine Homotopieäquivalenz. Schließlich ist GLn (R) = + ∼ O1 × GLn (R) sowie On = O1 × SOn . Beweis. Offensichtlich liefert die Einschränkung von (I.22) eine injektive stetige Abbildung On ×∆n (R) → GLn (R). Es genügt zu zeigen, dass diese auch surjektiv ist, nach Proposition I.6.1 muss sie dann ein Homöomorphismus sein. Sei also A ∈ GLn (R) ⊆ GLn (C). Nach Proposition I.6.1 existieren U ∈ Un und D ∈ ∆n (C) mit A = UD. Es folgt D ∗ D = D ∗ In D = D ∗ U ∗ UD = A∗ A ∈ GLn (R). Da D und D ∗ reelle Diagonaleinträge haben folgt mit ein wenig linearer Algebra, dass D eine reelle Matrix sein muss, dh. D ∈ ∆n (C) ∩ Mn,n (R) = ∆n (R). Damit ist auch U eine relle Matrix, also U ∈ Un ∩Mn,n (R) = On . Dies zeigt On ×∆n (R) ∼ = GLn (R). Da det(D) > 0 sehen wir, dass sich dies zu einem Homöomorphismus SOn ×∆n (R) ∼ = GL+ n (R) einschränkt. Durch Logarithmieren der Diagonaleinträge I.6. DIE FUNDAMENTALGRUPPE EINIGER MATRIZENGRUPPEN 55 erhalten wir einen Homöomorphismus ∆n (R) ∼ = Rn × Rn(n−1)/2 . Wie im Beweis von Proposition I.6.1 folgt, dass On Deformationsretrakt von GLn (R), und SOn Deformationsretrakt von GL+ n (R) ist. Matrizenmultiplikation liefert Homöomor+ phismen O1 × GLn (R) → GLn (R) und O1 × SOn ∼ = On . Es bezeichne SLn (R) := {A ∈ GLn (R) : det(A) = 1} die spezielle lineare Gruppe, und S∆n (R) := ∆n (R) ∩ SLn (R). I.6.9. Proposition. Einschränken von (I.22) liefert einen Homöomorphismus SLn (R) ∼ = Rn−1 × Rn(n−1)/2 . Insbe= SOn ×S∆n (R), und es gilt S∆n (R) ∼ sondere ist SOn Deformationsretrakt von SLn (R), und die kanonische Inklusion SOn → SLn (R) daher eine eine Homotopieäquivalenz. Weiters ist GLn (R) ∼ = + ∼ GL (R) × SL (R). Somit ist SL (R) DeforGL1 (R) × SLn (R) und GL+ (R) = n n 1 n + mationsretrakt von GL+ n (R), und die Inklusion SLn (R) → GLn (R) daher eine Homotopieäquivalenz. Beweis. Die erste Aussage folgt sofort aus Proposition I.6.8, denn für U ∈ SOn und D ∈ ∆n (R) gilt det(UD) = det(D). Durch Logarithmieren der Diagonaleinträge erhalten wir einen Homöomorphismus S∆n (R) ∼ = Rn−1 × Rn(n−1)/2 . Wie im Beweis von Proposition I.6.1 folgt nun, dass SOn Deformationsretrakt von SLn (R) ist. Matrizenmultiplikation liefert Homöomorphismen GL1 (R)×SLn (R) ∼ = + + ∼ GLn (R) und GL+ (R) × SL (R) GL (R). Da GL (R) kontrahierbar ist, sehen = n 1 n 1 wir auch, dass SLn (R) Deformationsretrakt von GL+ n (R) ist. I.6.10. Proposition. Die Gruppen SOn , SLn (R) und GL+ n (R) sind wegzusammenhängend, n ∈ N. Die kanonischen Inklusionen induzieren Isomorphis∼ ∼ ∼ men Z ∼ = π1 (GL+ = π1 (SL2 (R)) ∼ = π1 (SO2 ) ∼ 2 (R)) und Z2 = π1 (SO3 ) = π1 (SOn ) = + π1 (SLn (R)) ∼ = π1 (GLn (R)) für n ≥ 3. Für den Beweis von Proposition I.6.10 betrachten wir die stetige Abbildung p : SOn+1 → S n , p(A) := AN, (I.24) wobei N := (0, . . . , 0, 1) ∈ S n ⊆ Rn+1 den (n + 1)-ten Einheitsvektor bezeichnet, p(A) ist daher die letzte Spalte von A. I.6.11. Lemma. Es sei P ∈ S n , n ∈ N, und es bezeichne X := S n \ {P }. ∼ = → p−1 (X), sodass p ◦ ϕ = Dann existiert ein Homöomorphismus ϕ : X × SOn − pr1 und ϕ(x, AU) = ϕ(x, A)U für alle A, U ∈ SOn , x ∈ X. Dabei bezeichnet pr1 : X × SOn → X die Projektion auf den ersten Faktor.13 Beweis. Wir konstruieren zunächst eine stetige Abbildung σ : X → SOn+1 mit p ◦ σ = idX , siehe Vorlesung. Wir definieren nun ϕ : X × SOn → p−1 (X), ϕ(x, A) := σ(x)A. Offensichtlich gilt ϕ(x, AU) = ϕ(x, A)U für alle A, U ∈ SOn . Es ist aber auch p(ϕ(x, A)) = 13Es ist daher (I.24) ein Hauptfaserbündel mit Strukturgruppe SOn . 56 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE p(σ(x)A) = p(σ(x)) = x, also p ◦ ϕ = pr1 . Für B, C ∈ SOn+1 gilt offensichtlich p(B) = p(C) genau dann, wenn C −1 B ∈ SOn . Wegen p(σ(p(B))) = p(B) erhalten wir insbesondere σ(p(B))−1 B ∈ SOn , für B ∈ p−1 (X). Es ist daher ψ : p−1 (X) → X × SOn , ψ(B) := (p(B), σ(p(B))−1 B), eine stetige Abbildung. Eine einfach Rechnung zeigt, dass dies die Umkehrabbildung von ϕ ist. Also ist ϕ ein Homöomorphismus. Beweis von Proposition I.6.10. In Proposition I.6.9 haben wir gesehen, ≃ ≃ → SLn (R) − → GL+ dass die Inklusionen SOn − n (R) Homotopieäquivalenzen sind. Für n ≤ 3 folgt daher alles aus Beispiel I.6.7. Es genügt daher zu zeigen, dass SOn+1 wegzusammenhängend ist, und dass die Inklusion SOn → SOn+1 einen ∼ = Isomorphismus π1 (SOn ) − → π1 (SOn+1 ) induziert, n ≥ 3. Dabei verwenden wir den Basispunkt In ∈ SOn . Wähle einen Punkt P ∈ S n , sodass P 6= N und −P 6= N. Betrachte die offenen Teilmengen U := p−1 (S n \ {P }) und V := p−1 (S n \ {−P }) von SOn+1 , siehe (I.24). Offensichtlich ist SOn+1 = U ∪ V und SOn ⊆ U ∩ V . Da n ≥ 3 sind S n \ {P }, S n \ {−P } und S n \ {P, −P } einfach zusammenhängend. Wir zeigen zunächst, dass SOn+1 wegzusammenhängend ist. Wir führen den Beweis durch Induktion nach n, und dürfen daher SOn als wegzusammenhängend annehmen. Nach Lemma I.6.11 sind dann U und V wegzusammenhängend, also muss auch U ∪ V = SOn+1 wegzusammenhängend sein. Aus Lemma I.6.11 folgt auch, dass die Inklusionen SOn → U ∩ V , SOn → U ∼ ∼ = = → π1 (U) und → π1 (U ∩ V ), π1 (SOn ) − und SOn → V Isomorphismen π1 (SOn ) − ∼ = π1 (SOn ) − → π1 (V ) induzieren. Nach Satz I.5.5 induziert daher auch die Inklusion ∼ = → π1 (SOn+1 ). SOn → SOn+1 einen Isomorphismus π1 (SOn ) − I.6.12. Proposition. Die Gruppe On hat zwei Wegzusammenhangskomponenten, die eine stimmt mit SOn überein, die andere ist homöomorph zu SOn . Die Gruppe GLn (R) hat zwei Wegzusammenhangskomponenten, die eine stimmt + mit GL+ n (R) überein, die andere ist homöomorph zu GLn (R). Beweis. Nach Proposition I.6.10 sind SOn sowie GL+ n (R) wegzusammenhängend. Alles folgt daher aus den Homöomorphismen O1 × SOn ∼ = On und ∼ GL (R) aus Proposition I.6.8, denn O = {−1, 1} ist ein zweiO1 × GL+ (R) = n 1 n punktiger Raum. Wie wir oben gesehen haben sind die Fundamentalgruppen von S 1 , C× , T n , GLn (R), GLn (C), SLn (R), SLn (C), On , Un , SOn und SUn alle abelsch. Dies ist kein Zufall, denn die Fundamentalgruppe einer topologischen Gruppe muss abelsch sein, siehe Korollar I.6.21 unten. Eine topologische Gruppe ist eine Gruppe G die mit einer Topologie versehen ist, sodass Multiplikation µ : G × G → G, (g, h) 7→ µ(g, h) := gh und Inversion ν : G → G, g 7→ ν(g) := g −1 stetig sind. I.6. DIE FUNDAMENTALGRUPPE EINIGER MATRIZENGRUPPEN 57 I.6.13. Beispiel. Jede Untergruppe einer topologischen Gruppe ist bezüglich der Teilraumtopologie eine topologische Gruppe. Produkte topologischer Gruppen sind wieder topologische Gruppen. I.6.14. Beispiel. Jede Gruppe, versehen mit der diskreten Topologie, ist eine topologische Gruppe. I.6.15. Beispiel. Rn und Cn , versehen mit der üblichen Topologie, bilden bezüglich der Addition abelsche topologische Gruppen. Allgemeiner kann jeder topologische Vektorraum bezüglich der Addition als abelsche topologische Gruppe aufgefaßt werden. I.6.16. Beispiel. C× = C\{0}, versehen mit der von C induzierten Topologie, bildet bezüglich der Multiplikation komplexer Zahlen eine abelsche topologische Gruppen. Als Untergruppen con C× sind auch S 1 , R× = R\{0} und R+ = (0, ∞) abelsche topologische Gruppen. Der Torus T n = S 1 × · · · × S 1 ist eine abelsche kompakte topologische Gruppe. I.6.17. Beispiel. Die Matrizengruppen GLn (C) und GLn (R), versehen mit 2 2 der von Mn,n (R) ∼ = Cn induzierten Teilraumtopologie, = Rn bzw. Mn,n (C) ∼ bilden bezüglich der Multiplikation von Matrizen topologische Gruppen. Daher bilden auch die Untergruppe On , Un , SOn , SUn , SLn (R) und SLn (C) topologische Gruppen. Unter einem H-Raum 14 verstehen wir einen punktierten Raum (X, e) zusammen mit einer Abbildung punktierter Räume µ : (X, e) × (X, e) → (X, e), sodass µ ◦ (idX , ce ) und µ ◦ (ce , idX ) beide homotop relativ Basispunkt zu idX sind. Dabei bezeichnet ce : (X, e) → (X, e) die konstante Abbildung, ce (x) := e. Die Abbildung µ wird auch als Multiplikation bezeichnet. I.6.18. Beispiel. Jede topologische Gruppe ist ein H-Raum. In diesem Fall gilt sogar µ ◦ (idX ×ce ) = idX und µ ◦ (ce ◦ idX ) = idX , wobei µ die Gruppenmultiplikation und e das neutrale Element bezeichnen. I.6.19. Satz (Fundamentalgruppe von H-Räumen). Es sei (X, e) ein H-Raum mit Multiplikation µ : (X, e) × (X, e) → (X, e). Dann stimmt der von der Multipikation induzierte Homomorphismus µ∗ : π1 (X, e) × π1 (X, e) = π1 (X, e) × (X, e) → π1 (X, e) mit der Multiplikation in π1 (X, e) überein, dh. für σ, τ ∈ π1 (X, e) gilt µ∗ (σ, τ ) = στ . Insbesondere ist π1 (X, e) abelsch. Beweis. Es seien f, g : I → X zwei Schleifen bei e. Betrachte die stetige Abbildung H := µ ◦ (f × g) : I × I → X, H(s, t) = µ(f (s), g(t)). Beachte, dass H die vier Eckpunkte von I × I auf e abbildet. Weiters seien ι1 : I → I × I, ι1 (s) := (s, 0), ι2 : I → I × I, ι2 (t) := (1, t), und ι3 : I → I × I, ι3 (t) := (t, t). 14H-Raum, nach Heinz Hopf. 58 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Da I × I einfach zusammenhängend ist, gilt ι1 ι2 ≃ ι3 relativ Endpunkte, also auch (H ◦ ι1 )(H ◦ ι2 ) ≃ H ◦ ι3 relativ Endpunkte, und damit [H ◦ ι1 ][H ◦ ι2 ] = [H ◦ ι3 ] ∈ π1 (X, e). Wegen (H ◦ ι3 )(t) = µ(f (t), g(t)) ist [H ◦ ι3 ] = µ∗ ([f ], [g]) ∈ π1 (X, e). Da (H ◦ ι1 )(s) = µ(f (s), g(0)) = µ(f (s), e) = (µ ◦ (idX , ce ) ◦ f )(s) ist H ◦ ι1 = µ ◦ (idX , ce ) ◦ f ≃ idX ◦f = f relativ Enpunkte, denn µ ◦ (idX , ce ) ≃ idX relativ Basispunkt. Daher gilt [H ◦ ι1 ] = [f ] ∈ π1 (X, e). Analog folgt aus µ ◦ (ce , idX ) ≃ idX , dass [H ◦ ι2 ] = [g] ∈ π1 (X, e). Insgesamt erhalten wir [f ][g] = [H ◦ ι1 ][H ◦ ι2 ] = [H ◦ ι3 ] = µ∗ ([f ], [g]), womit die erste Behauptung bewiesen ist. Seien nun ι4 : I → I ×I, ι4 (t) := (0, t), und ι5 : I → I ×I, ι5 (s) := (s, 1). Wie oben folgt ι4 ι5 ≃ ι3 relativ Endpunkte, [H ◦ι4 ][H ◦ι5 ] = [H ◦ι3 ] = µ∗ ([f ], [g]) ∈ π1 (X, e), [H ◦ ι4 ] = [g], [H ◦ ι5 ] = [f ] und damit [g][f ] = µ∗ ([f ], [g]), also ist π1 (X, e) abelsch. Der Beweis der Kommutativität von π1 (X, e) kann durch folgendes etwas algebraischere Argument ersetzt werden. Da die Multiplikation in π1 (X, e) von einer stetigen Abbildung induziert wird muss sie ein Homomorphismus sein, und dies ist nur für abelsche Gruppen möglich, siehe Bemerkung I.6.20 unten. I.6.20. Bemerkung. Für eine Gruppe Γ ist die Multiplikation µ : Γ × Γ → Γ genau dann ein Homomorphismus, wenn Γ abelsch ist, denn µ (g1 , h1 )(g2 , h2 ) = µ(g1 g2 , h1 h2 ) = g1 g2 h1 h2 und µ(g1 , h1 )µ(g2 , h2 ) = g1 h1 g2 h2 . I.6.21. Korollar. Es sei G eine topologische Gruppe mit neutralem Element e, Multiplikation µ : G × G → G und Inversion ν : G → G. Dann ist π1 (G, e) abelsch. Sind f, g : I → G zwei Schleifen bei e, dann reprs̈entiert die Schleife µ ◦ (f, g) : I → G, t 7→ f (t)g(t) = µ(f (t), g(t)), das Produkt von [f ] und [g], dh. [µ ◦ (f, g)] = [f ][g] ∈ π1 (G, e). Weiters repräsentiert ν ◦ f : I → G, t 7→ ν(f (t)) = f (t)−1 , das inverse Element von [f ], dh. [ν ◦ f ] = [f ]−1 ∈ π1 (G, e). Beweis. Beachte, dass (G, e) durch µ zu einem H-Raum wird, siehe Beispiel I.6.18. Nach Satz I.6.19 ist daher π1 (G, e) abelsch, und es gilt [µ ◦ (f, g)] = [f ][g] ∈ π1 (G, e). Es bleibt noch zu zeigen, dass der von der Inversion ν : G → G induzierte Homomorphismus ν∗ : π1 (G, e) → π1 (G, e) mit der Inversion in π1 (G, e) übereinstimmt. Dies folgt nun aus der Relation ce = µ ◦ (ν, idG ), denn 1 = (ce )∗ σ = (µ ◦ (ν, idG ))∗ σ = µ∗ (ν∗ σ, σ) = (ν∗ σ)σ, also ν∗ σ = σ −1 , für alle σ ∈ π1 (G, e). I.7. Weitere Beispiele zum Seifert–van Kampen Satz. Um die etwas komplizierteren Fundamentalgruppen einigermaßen in den Griff zu bekommen, wiederholen wir kurz die Darstellung von Gruppen durch Erzeuger und Relationen. Ist S eine Menge, dann nennen wir F (S) := ∗s∈S Z die freie Gruppe über S. Zu jedem s ∈ S haben wir einen kanonischen injektiven Homomorphismus ιs : Z → F (S), siehe Lemma I.5.1. Wir bezeichnen ιs (1) ∈ F (S) wieder mit s. Jedes Element in x 6= 1 ∈ F (S) lässt sich in der Form x = sk11 sk22 · · · sknn schreiben, wobei si ∈ S und ki ∈ Z. Dabei können wir auch erreichen, dass alle ki 6= 0 und si 6= si+1 . Unter diesen Voraussetzungen ist die Darstellung dann eindeutig, siehe Lemma I.5.1(iii). Ist K eine Gruppe und für jedes s ∈ S ein ks ∈ K gegeben, I.7. WEITERE BEISPIELE ZUM SEIFERT–VAN KAMPEN SATZ 59 dann existiert ein eindeutiger Homomorphismus ϕ : F (S) → K, sodass ϕ(s) = ks für alle s ∈ S, siehe Lemma I.5.1(iv). Eine Gruppe G heißt frei falls eine Menge S existiert, sodass G ∼ = F (S). Die Kardinalzahl ♯S wird der Rang der freien Gruppe G genannt und rank(G) beL mit ∼ ′ ∼ F (S ) folgt zeichnet. Dies ist wohldefiniert, denn aus F (S) F (S)ab ∼ Z = = = s∈S L ′ ab ∼ ′ F (S ) = s′ ∈S ′ Z und damit ♯S = ♯S , siehe Beispiel I.5.3. W 1 I.7.1. Beispiel. Für eine beliebige Menge S gilt π1 s∈S (SW , 1) ∼ = F (S), 1 siehe Proposition I.5.8 und Satz I.2.1. Bezeichnet ιs : (S , 1) → s∈S (S 1 , 1) die kanonische Inklusion, dann W bildet der obige Isomorphismus das Bild des Standar 1 derzeugers (ιs )∗ ([ω1 ]) ∈ π1 s∈S (S , 1) auf s ∈ S ⊆ F (S) ab. Ist R ⊆ F (S) eine Teilmenge so schreiben wir hS | Ri := F (S)/N (R), wobei N (R) den von R erzeugten Normalteiler in F (S) bezeichnet. Ist G eine Gruppe und G ∼ = hS | Ri dann nennen wir hS | Ri eine Präsentation von G mit Erzeugern S und Relationen R. Sei nun K eine weitere Gruppe und für jedes s ∈ S ein ks ∈ K gegeben, sodass der durch ϕ̃(s) = ks bestimmte Homomorphismus ϕ̃ : F (S) → K auf jedem Element von R verschwindet, dh. ϕ̃(r) = 1 ∈ K für alle r ∈ R. Dann ist N (R) ⊆ ker(ϕ̃), also faktorisiert ϕ̃ zu einem Homomorphismus ϕ : hR | Si = F (S)/N (R) → K mit ϕ(s) = ks . Eine Gruppe G wird endlich präsentierbar, geannt, falls eine Präsentation ∼ G = hS | Ri mit endlichen Mengen S und R existiert. Ist S = {s1 , . . . , sn } und R = {r1 , . . . , rm } dann schreiben wir für hS | Ri auch hs1 , . . . , sn | r1 , . . . , rm i oder hs1 , . . . , sn | r1 = 1, . . . , rm = 1i. Jede Gruppe G besitzt die Präsentation G = hS | Ri mit S := G und R := ker(ϕ), wobei ϕ : F (S) → G den durch ϕ(g) = g gegebenen Homomorphismus bezeichnet. Es faktorisiert nämlich ϕ zu einem, offensichtlich bijektiven, Homomorphimus hS | Ri = F (S)/N (R) = F (S)/ ker(ϕ) → G. Falls r ∈ N (R) dann ist N (R) = N (R ∪ {r}) und daher (I.25) hS | Ri ∼ = S R ∪ {r} . Ist t ∈ / S und ω ∈ F (S), dann gilt hS | Ri ∼ = S ∪ {t} R ∪ {t−1 ω} . (I.26) Um dies einzusehen, sei ϕ : hS | Ri → hS ∪ {t} | R ∪ {t−1 ω}i der durch ϕ(s) = s, s ∈ S, eindeutig bestimmte Homomorphismus. Betrachte weiters den durch ψ(s) = s, s ∈ S, und ψ(t) = ω eindeutig bestimmten Homomorphismus ψ : hS ∪ {t} | R ∪ {t−1 ω}i → hS | Ri. Offensichtlich ist ψ ◦ ϕ = id. Es gilt aber auch ϕ ◦ ψ = id, denn in hS ∪ {t} | R ∪ {t−1 ω}i haben wir ϕ(ψ(t)) = ω = t. Sind hS | Ri und hS ′ | R′ i zwei endliche Präsentationen derselben Gruppe, dh. hS | Ri ∼ = hS ′ | R′ i, dann ist es stets möglich durch endlich viele Übergänge der Art (I.26) und (I.25), die sogenannte Tietze-Prozesse, von der Präsentation hS | Ri zu der Präsentation hS ′ | Ri zu gelangen, siehe etwa [18, Satz 5.8.2]. 60 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE Schließlich seien noch hS | Ri ∗ hS ′ | R′ i ∼ = hS ∪ S ′ | R ∪ R′ i (I.27) und hS | Riab ∼ (I.28) = hS | R ∪ Ki −1 −1 erwähnt, wobei K = {sts t : s 6= t ∈ S}. Der durch ϕ̃(s) = s bestimmte Homomorphismus ϕ̃ : hS | Ri → hS | R ∪ Ki faktorisiert nämlich zu einem Homomorphismus ϕ : hS | Riab → hS | R ∪ Ki der invers zu dem durch ψ(s) = s bestimmten Homomorphismus hS | R ∪Ki → hS | Riab ist, ϕ ◦ ψ = id, ψ ◦ ϕ = id. I.7.2. (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi) (vii) Beispiel. Es gilt: hs | −i ∼ = Z. hs, t | −i ∼ = Z ∗ Z. hs, t | sts−1 t−1 i ∼ = Z ⊕ Z. n ∼ hs | s i = Zn , für n ∈ Z. hs, t | sm , tn i ∼ = Zm ∗ Zn , für m, n ∈ Z. m n hs, t | s , t , sts−1 t−1 i ∼ = Zm ⊕ Zn , für m, n ∈ Z. hs, t | s2 t3 , s3 t4 i = 0. I.7.3. Beispiel (Kleinsche Flasche). Auf S 1 × I betrachte die von (z, 0) ∼ (z , 1) erzeugte Äquivalenzrelation. Der Quotientenraum K := (S 1 × I)/∼ wird als Kleinsche Flasche bezeichnet. Es sei p : S 1 ×I → K die Quotientenabbildung. 1 Betrachte nun die offenen Teilmengen U := p (S \ {−1}) × I sowie V := 1 p (S \ {1}) × I von K = U ∪ V . Die Räume U und V sind Möbiusbänder, vgl. Beispiel I.3.30, die Schleife a : I → U, a(s) := p(1, s), repräsentiert einen Erzeuger in π1 (U, a(0)) ∼ = Z, und b : I → V , b(s) := p(−1, s), repräsentiert einen Erzeuger in π1 (V, b(0)) ∼ = Z. Für den Durchschnitt gilt U ∩ V ∼ = (0, π) × S 1 , die Schleife r := r1 r2 repräsentiert einen Erzeuger in π1 (U ∩ V, x0 ) ∼ = Z, wobei r1 : I → U ∩ V , r1 (s) = p(i, s), und r2 : I → U ∩ V , r2 (s) := p(−i, s), und x0 := r(0) ∈ U ∩ V . Weiters seien ha : I → U, ha (s) := p(ie−πis/2 , 0), und hb : I → V , hb (s) := p(ieπis/2 , 0), also ha (0) = hb (0) = x0 , ha (1) = a(0) = a(1) und hb (1) = b(0) = b(1). Wir erhalten Erzeuger α := [ha ah̄a ] ∈ π1 (U, x0 ), β := [hb bh̄b ] ∈ π1 (V, x0 ) und ρ := [r] ∈ π1 (U ∩ V, x0 ). Der von der Inklusion induzierte Homomorphismus π1 (U ∩ V, x0 ) → π1 (U, x0 ) bildet ρ auf α2 ab, und der Homomorphismus π1 (U ∩V, x0 ) → π1 (V, x0 ) bildet ρ auf β 2 ab. Aus Satz I.5.5 folgt daher π1 (K, x0 ) ∼ = hα, β | α2 β −2 i. Eine nützlichere Darstellung erhalten wir wie folgt: nach (I.26) π1 (K) ∼ = α, β, γ γ −1 αβ −1 , α2 β −2 = α, β α2 β −2 ∼ ∼ = α, β, γ αγα−1 γ, γ −1 αβ −1 , α2 β −2 nach (I.25) ∼ nach (I.25) = α, β, γ αγα−1 γ, γ −1 αβ −1 −1 ∼ nach (I.26) = α, γ αγα γ −1 I.7. WEITERE BEISPIELE ZUM SEIFERT–VAN KAMPEN SATZ 61 Wir wollen noch zeige, dass π1 (K) isomorph zu Z ⋊ Z ist, wobei Z ⋊ Z die Menge Z×Z mit der Gruppenstruktur (k1 , l1 )(k2 , l2 ) = (k1 +(−1)l1 k2 , l1 +l2 ) bezeichnet.15 In Z ⋊ Z gilt die Relation (0, 1)(1, 0)(0, 1)−1(1, 0) = (0, 0) also ϕ(α) = bestimmt −1 (0, 1) und ϕ(γ) = (1, 0) einen Homomorphismus ϕ : hα, γ αγα γ → Z ⋊ Z. Wegen ϕ(γ k αl ) = (1, 0)k (0, 1)l = (k, l) ist ϕ surjektiv. Aus der Relation αγ = γ −1 α folgt, dass sich jedes Element in x ∈ hα, γ | αγα−1 γi in der Form x = γ k αl schreiben lässt, k, l ∈ Z. Daraus sehen wir sofort, dass ker(ϕ) = 0, also ist ϕ auch injektiv. Insgesamt folgt π1 (K) ∼ = Z ⋊ Z. Für die Abelisierung erhalten wir ab ∼ π1 (K)ab ∼ nach (I.28) = α, γ αγα−1 γ = α, γ αγα−1 γ, αγα−1 γ −1 2 ∼ = α, γ γ , αγα−1 γ, αγα−1 γ −1 nach (I.25) ∼ nach (I.25) = α, γ γ 2 , αγα−1 γ −1 2 ab ∼ nach (I.28) = α, γ γ 2 ab ∼ nach (I.27) = hα|−i ∗ γ γ ab ∼ ∼ = Z ∗ Z2 = Z ⊕ Z2 Die Kleinsche Flasche ist daher weder zur Sphäre S 2 noch zum Torus T 2 homtopieäquivalent (homöomorph), denn π1 (S 2 ) = 0 und π1 (T 2 ) ∼ = Z ⊕ Z. Unter einer geschlossenen Fläche verstehen wir einen kompakten, (weg)zusammenhängenden Hausdorffraum der lokal zu R2 homöomorph ist, dh. jeder Punkt besitzt eine zu R2 homöomorphe Umgebung.16 Die Sphäre S 2 , der Torus T 2 , die projektive Ebene RP2 und die Kleinsche Flasche K aus Beispiel I.7.3 sind geschlossene Flächen. W Für g ∈ N betrachte die Einpunktvereinigung von 2g Kreisen 2g (S 1 , 1) und W bezeichne mit ιk : (S 1 , 1) → 2g (S 1 , 1) die kanonische Inklusion der k-ten KomW ponente, 1 ≤ k ≤ 2g. Für 1 ≤ j ≤ g definiere Schleifen aj : I → 2g (S 1 , 1), W ai := ιj ◦ ω1 , und bj : I → 2g (S 1 , 1), bj := ιg+j ◦ ω1 . Betrachte schließlich die Schleife ϕ := a1 b1 ā1 b̄1 · · · ag bg āg b̄g und fasse sie als Abbildung S 1 ∼ = I/{0, 1} → 15Sind G und H zwei Gruppen, bezeichnet Aut(H) die Gruppe der Automorphismen von H, und ist ϕ : G → Aut(H) ein Homomorphismus, dann definiert die Multiplikation (h1 , g1 ) · (h2 , g2 ) := (h1 ϕg1 (h2 ), g1 g2 ) auf der Menge H × G eine Gruppenstruktur. Diese Gruppe wird mit H ⋊ϕ G bezeichent und ein semidirektes Produkt von H und G genannt. Ihr neutrales Element ist (1, 1), das Inverse von (g, h) ist durch (g, h)−1 = (ϕg−1 (h−1 ), g −1 ) gegeben. Wir haben einen injektiven Homomorphismus ι : H → H ⋊ϕ G, ι(h) := (h, 1), und einen surjektiven Homomorphismus p : H ⋊ϕ G → G, p(h, g) := g. Weiters ist ker(p) = img(ι), und daher H ein Normalteiler von H ⋊ϕ G. Für den trivialen Homomorphismus ϕ = 1 erhalten wir H ⋊ϕ G = H × G. Das Beispiel im Text oben kommt von ϕ : Z → Aut(Z) = {±1}, ϕl (k) = (−1)l k. 16Die geschlossenen Flächen sind daher genau die zusammenhängenden, kompakten 2dimensionalen topologischen Mannigfaltigkeiten ohne Rand. 62 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE W2g 1 (S 1 , 1) auf. Der Raum Mg := (S , 1) ∪ϕ D 2 wird die orientierbare Fläche vom Geschlecht g genannt. Wir setzen noch M0 := S 2 . Es ist leicht einzusehen, dass jedes Mg tatsächlich eine geschlossene Fläche ist, g ∈ N0 . Etwa gilt M1 ∼ = T 2. Aus Korollar I.5.14 erhalten wir folgende Darstellung ihrer Fundamentalgruppe, π1 (Mg ) ∼ = α1 , β1 , . . . , αg , βg [α1 , β1 ] · · · [αg , βg ] W2g wobei wir die übliche Notation [α, β] := αβα−1 β −1 für den Kommutator von α und β verwenden. Mittels (I.28) und (I.25) berechnen wir die Abelisierung, π1 (Mg )ab ∼ = α1 , β1 , . . . , αg , βg [α1 , β1 ] · · · [αg , βg ], [αi , αj ], [βi , βj ], [αi , βj ] ∼ = α1 , β1 , . . . , αg , βg [αi , αj ], [βi , βj ], [αi , βj ] ab ∼ = α1 , β1 , . . . , αg , βg − ∼ = (Z ∗ · · · ∗ Z)ab ∼ = Z2g . W Für g ∈ N betrachte die Einpunktvereinigung von g Kreisen g (S 1 , 1) und bezeichne die kanonische Inklusion der k-ten Komponente mitWιk : (S 1 , 1) → W g (S 1 , 1), 1 ≤ k ≤ g. Für 1 ≤ k ≤ g definiere Schleifen ak : I → g (S 1 , 1), ak := ιWk ◦ ω1 . Fasse die Schleife ϕ := a1W a1 a2 a2 · · · ag ag als Abbildung S 1 ∼ = I/{0, 1} → g g 1 (S , 1) auf. Der Raum Ng := (S 1 , 1) ∪ϕ D 2 wird als die nicht orientierbare Fläche mit Geschlecht g bezeichnet. Jedes Ng ist eine geschlossene Fläche, g ∈ N. Etwa gilt N1 ∼ = K, siehe Beispiel I.7.3. Aus Korollar I.5.14 erhalten = RP2 und N2 ∼ wir für die Fundamentalgruppe π1 (Ng ) ∼ = α1 , . . . , αg α2 α2 · · · α2 , 1 2 g und für ihre Abelisierung π1 (Ng )ab ∼ = α1 , . . . , αg α12 α22 · · · αg2 , [αi , αj ] ∼ = α1 , . . . , αg , γ γ −1 α1 α2 · · · αg , α12 α22 · · · αg2 , [αi , αj ] ∼ = α1 , . . . , αg , γ γ 2 , γ −1 α1 α2 · · · αg , α12 α22 · · · αg2 , [αi , αj ] ∼ = α1 , . . . , αg , γ γ 2 , γ −1 α1 α2 · · · αg , [αi , αj ] ab ∼ = α1 , . . . , αg , γ γ 2 , γ −1 α1 α2 · · · αg ab ∼ = α1 , . . . , αg−1 , γ γ 2 ab 2 ∼ = hα1 |−i ∗ · · · ∗ hαg−1 | −i ∗ hγ|γ i ab ∼ ∼ = Zg−1 ⊕ Z2 = Z ∗ · · · ∗ Z ∗ Z2 Wir halten diese Resultate in folgendem Korollar fest. I.7.4. Korollar. Für die gechlossenen Flächen gilt: π1 (Mg ) ∼ = α1 , β1 , . . . , αg , βg [α1 , β1 ] · · · [αg , βg ] , π1 (Mg )ab π1 (Ng )ab π1 (Ng ) ∼ = α1 , . . . , αg α12 α22 · · · αg2 , ∼ = Z2g , ∼ = Zg−1 ⊕ Z2 . I.7. WEITERE BEISPIELE ZUM SEIFERT–VAN KAMPEN SATZ 63 Insbesondere sind die Flächen M0 , N1 , M1 , N2 , M2 , N3 , . . . paarweise nicht homotopieäquivalent (homöomorph). I.7.5. Bemerkung. Die geschlossenen Flächen sind vollständig klassifiziert, jede geschlossene Fläche ist zu genau einer der Flächen M0 , N1 , M1 , N2 , M2 , . . . homöomorph. Die Berechnung der Fundamentalgruppen oben hat gezeigt, dass eine geschlossene Fläche zu höchstens einer solchen Fläche homöomorph sein kann. Um zu zeigen, dass sie tatsächlich zu einer Fäche dieser Liste homöomorph ist sind völlig andere Methoden nötig. Unter einem Knoten verstehen wir eine Teilmannigfaltigkeit K ⊆ R3 , wobei K ∼ = S 1 . Zwei Knoten K1 und K2 heißen äquivalent, falls ein Homöomorphis∼ = mus ϕ : R3 − → R3 mit ϕ(K1 ) = K2 existiert. Sind zwei Knoten äquivalent, dann müssen die Fundamentalgruppen der Knotenkomplemente isomorph sein, ∼ = → π1 (R3 \ K2 ). Dies ermöglicht es, zwei Knoten als (ϕ|R3 \K1 )∗ : π1 (R3 \ K1 ) − nicht äquivalent zu erkennen. Für Torusknoten sind diese Berechnungen in [18, Beispiel 5.7.11] bzw. [4, Example 1.24] ausgeführt. Ist ein Knoten gegeben, dann lässt sich stets eine Präsentation, die sogenannte Wirtinger Präsentation, der Gruppe π1 (R3 \ K) durch Erzeuger und Relationen angeben, siehe etwa [4, Exercise 22 in Section 1.2] oder [10, Chapter 11]. Wir begnügen uns hier mit der Berechnung der Fundamentalgruppe des Komplements des trvialen Knoten, siehe Beispiel I.7.6 unten. Oft ist es bequem Knoten als Teilmannigfaltigkeiten von S 3 aufzufassen. Dazu wählen wir einen Punkt ∞ ∈ S 3 und identifizieren R3 = S 3 \ {∞}, vgl. Beispiel I.1.25. Es ist nicht schwer zu zeigen, dass zwei Knoten K1 und K2 in R3 genau dann äquivalent sind, wenn ein Homöomorphismus ϕ̂ : S 3 → S 3 mit ϕ̂(K1 ) = K2 existiert. Auch induziert die Inklusion R3 \ K → S 3 \ K einen Isomorphismus π1 (R3 \ K) ∼ = π1 (S 3 \ K). Dies folgt aus Satz I.5.5 mit U := R3 \ K ⊆ S 3 \ K und einer geeigneten offenen Umgebung V von ∞ ∈ S 3 \ K, sodass V ∼ = B 3 und V ∩U ∼ = B 3 \ {0}. I.7.6. Beispiel (Triviales Knotenkomplement). Betrachte X := S 3 \S 1 , wobei S 1 ⊆ C, S 3 ⊆ C2und S 1 ⊆ S 3 via z 7→ (z, 0). Die Abbildung ϕ : X → C × S 1 , w ϕ(z, w) := wz , |w| ist ein Homöomorphismus, es gilt daher π1 (X) ∼ = Z. Genauer, 1 die Inklusion f : S → X, f (w) := (0, w), induziert einen Isomorphismus f∗ : π1 (S 1 ) → π1 (X). Die Schleife I → X, s 7→ (0, e2πis ), repräsentiert daher einen Erzeuger in π1 (X). I.7.7. Satz. Zu jeder Gruppe G existiert ein wegzusammenhängender Hausdorffraum X mit π1 (X) ∼ = G. Ist G endlich präsentierbar, dann kann X kompakt gewählt werden. Beweis. Sei G ∼ = hS | Ri = F (S)/N (R) eine Präsentation von G mit ErzeugernWS und Relationen R ⊆ F (S). BetrachteWdie Einpunktvereinigung von Krei 1 1 ∼ sen s∈S (S , 1). Nach Beispiel I.7.1 ist π1 s∈S (S , 1) = F (S). Jede Relation 64 I. DIE FUNDAMENTALGRUPPE 1 W W r ∈ R ⊆ F (S) kann daher als Element in π1 s∈S (S 1 , 1) ∼ = (S , 1), s∈S (S 1 , 1) aufgefasst werden, siehe Proposition I.3.32. Für jedes r ∈ R sei ϕr : (S 1 , 1) → W 1 die r repäsentiert. Es bildet dann (ϕr )∗ : s∈S (S , 1) eineWstetige Abbildung 1 1 π1 (S , 1) → π1 s∈S (S , 1) den Erzeuger [ω1 ] ∈ π1 (S 1 , 1) auf r ab. Die Abbildungen ϕr liefern eine stetige Abbildung _ _ ϕ: (S 1 , 1) → (S 1 , 1). r∈R s∈S W Das Bild von ϕ∗ : π1 r∈R (S 1 , 1) → π1 s∈S (S 1 , 1) stimmt dann mit der von R erzeugten Untergruppe von F (S) überein, also ist N (img(ϕ∗ )) = N (R). Bezeichnet nun X := Cϕ den Abbildungskegel von ϕ, dann folgt π1 (X) ∼ = W ∼ G, siehe Satz I.5.13. Ist G endlich F (S)/N (R) π1 s∈S (S 1 , 1) /N (img(ϕ∗ )) ∼ = = präsentierbar, dann können wir S und R endlich wählen, und der eben konstruierte Raum X ist dann kompakt. W II. Überlagerungen Jeder hinreichend zusammenhängende topologische Raum besitzt eine einfach zusammenhängende, die sogenannte universelle Überlagerung. Geometrische Strukturen der Basis lassen sich oft in kanonischer Weise auf diese universelle Überlagerung liften. Die Fundamentalgruppe der Basis wirkt frei auf der universellen Überlagerung und lässt üblicherweise die gelifteten geometrischen Strukturen invariant. Die Überlagerungstheorie liefert daher ein Werkzeug mit dem das Studium geometrischer Objekte auf die einfach zusammenhängende Situation zurückgeführt werden kann. Als Beispiele seien hier nur die Theorie der Lie-Gruppen, die Riemannschen Flächen und die vollständigen Riemannschen Mannigfaltigkeiten mit konstanter Schnittkrümmung erwähnt. Unter schwachen Zusammenhangsvoraussetzungen ist eine vollständige Klassifikation der Überlagerungen eines Raumes mit Hilfe seiner Fundamentalgruppe möglich. Auch das Liftungsproblem lässt sich mittels der Fundamentalgruppe lösen. Schließlich können Überlagerungen dazu verwendet werden die Fundamentalgruppen mancher Räume zu bestimmen. Einführungen in die Überlagerungstheorie finden sich etwa in [8, Kapitel IX], [4, Chapter 1.3], [18, Kapitel II.6], [14, Kapitel III.6] oder [15, Chapter 2]. Für eine kurze Darstellung mittels Gruppoiden siehe [13, Chapter 3]. II.1. Elementare Eigenschaften von Überlagerungen. Eine surjektive stetige Abbildung p : X̃ → X wird eine Überlagerung genannt, falls jeder Punkt x ∈ X eine offene Umgebung U mit folgender Eigenschaft besitzt: Es existieren eine Indexmenge Λ und disjunkte offene Teilmengen Ũλ ⊆ X̃, λ ∈ Λ, mit F p−1 (U) = λ∈Λ Ũλ , sodass p|Ũλ : Ũλ → U ein Homöomorphismus ist, für jedes λ ∈ Λ. In diesem Fall sagen wir U wird gleichmäßig von p überlagert. In diesem Zusammenhang werden X als Basis, X̃ als Total- oder Überlagerungsraum und p als Überlagerungsabbildung bezeichnet. Wir sagen auch X̃ ist eine Überlagerung von X, wenn aus dem Zusammenhang hervorgeht welche Abbildung p gemeint ist. II.1.1. Beispiel. Die Abbildung p : R → S 1 , p(t) := e2πit , ist eine Überlagerung, die offenen Teilmengen S 1 \ {1} und S 1 \ {−1} werden von p gleichmäßig überlagert, siehe Lemma I.2.9. Unter einem Isomorphismus zwischen zwei Überlagerungen p1 : X̃1 → X und p2 : X̃2 → X verstehen wir einen Homöomorphismus ϕ : X̃1 → X̃2 für den p2 ◦ ϕ = p1 gilt. Zwei Überlagerungen desselben ϕ / X̃ X̃1 A 2 ∼ Raums werden isomorph genannt, falls ein Isomorphis= AA } } AA mus zwischen ihnen existiert. Ein Isomorphismus von }} p1 AA }} p2 } ~ Überlagerungen ϕ : X̃ → X̃ wird Automorphismus X oder Decktransformation von X̃ genannt. Die Menge der Decktransformationen einer Überlagerung bildet bezüglich der Komposition von Abbildungen eine Gruppe die mit Deck(p) oder Deck(X̃) bezeichnet wird. 65 66 II. ÜBERLAGERUNGEN II.1.2. Bemerkung. Jede Überlagerung ist ein lokaler Homöomorphismus und daher insbesondere eine offene Abbildung.17 Auch ist jede Überlagerung p : X̃ → X eine Quotientenabbildung, dh. eine Teilmenge U ⊆ X ist genau dann offen, wenn ihr Urbild p−1 (U) offen in X̃ ist. Ein surjektiver lokaler Homöomorphismus muss i.A. keine Überlagerung sein, etwa ist p : (0, 3π) → S 1 , p(t) := e2πit , keine Überlagerung. Weder 1 ∈ S 1 noch −1 ∈ S 1 besitzen offene Umgebungen die von p gleichmäßig überlagert werden. II.1.3. Beispiel. Ist F ein nicht leerer diskreter topologischer Raum, dann ist die kanonische Projektion pX : X × F → X eine Überlagerung. Jede Bijektion π : F → F liefert eine Decktransformation X × F → X × F , (x, f ) 7→ (x, π(f )). Wir erhalten einen injektiven Gruppenhomomorphismus S(F ) → Deck(pX ). II.1.4. Beispiel. Ist p : X̃ → X eine Überlagerung und A ⊆ X ein Teilraum, dann ist die Einschränkung p|p−1 (A) : p−1 (A) → A eine Überlagerung. Für diese eingeschränkte Überlagerung wird auch die Notation X̃|A verwendet. Eine Überlagerung wird trivial genannt, wenn sie zu einer Überlagerung pX : X × F → X isomorph ist, siehe Beispiel II.1.3. Die nächste Proposition zeigt, dass Überlagerungen stets lokal trivial sind. II.1.5. Proposition. Es sei p : X̃ → X eine Überlagerung und U ⊆ X eine offene Teilmenge die von p gleichmäßig überlagert wird. Dann existiert ein diskreter Raum F und ein Homöomorphismus ϕ : p−1 (U) → U × F , sodass pU ◦ ϕ = p|p−1 (U ) , wobei pU : U × F → U die kanonische Projektion bezeichnet. Die eingeschränkte Überlagerung X̃|U ist daher trivial. Beweis. Da U von p gleichmäßig überlagert wird existieren eine IndexmenF ge Λ und disjunkte offene Teilmengen Ũλ ⊆ X̃, λ ∈ Λ, mit p−1 (U) = λ∈Λ Ũλ und so, dass p|Ũλ : Ũλ → U ein Homöomorphismus ist, für jedes λ ∈ Λ. Wir versehen Λ mit der diskreten Topologie und beψ / p−1 (U) U × ΛE ∼ trachten die Abbildung ψ : U × Λ → p−1 (U), = EE xx EE ψ(x, λ) := (p|Ũλ )−1 (x). Offensichtlich ist ψ bijekxx EE x pU EE xx p tiv, und es gilt p◦ψ = pU . Da ψ die offenen Men" {xx U gen U ×{λ} homöomorph auf die offenen Mengen Ũλ abbildet, ist ψ ein Homöomorphismus. Setzen wir F := Λ und ϕ := ψ −1 , dann haben diese die in der Proposition formulierten Eigenschaften. II.1.6. Bemerkung. Offensichtlich gilt auch die folgende Umkehrung von Proposition II.1.5. Ist p : X̃ → X eine stetige Abbildung und existieren zu jedem 17Eine Abbildung f : Y → Z wird lokaler Homöomorphismus genannt, falls jeder Punkt y ∈ Y eine offene Umgebung U besitzt die durch f homöomorph auf eine offene Umgebung von f (y) abgebildet wird. Diese Eigenschaft bleibt dann für jede in U enthaltene offene Teilmenge richtig. Lokale Homöomorphismen sind stetig und offen. Dabei heißt eine Abbildung f : Y → Z offen, falls sie offene Teilmengen von Y auf offene Teilmengen in Z abbildet. II.1. ELEMENTARE EIGENSCHAFTEN VON ÜBERLAGERUNGEN 67 Punkt x ∈ X eine offene Umgebung U von x, ein diskreter Raum F und ein Homöomorphismus ϕ : p−1 (U) → U × F mit pU ◦ ϕ = p|p−1 (U ) , dann muss p schon eine Überlagerung sein. Ist p : X̃ → X eine Überlagerung und x ∈ X, dann wird Fx := p−1 (x) die Faser über x genannt. Aus der Definition einer Überlagerung folgt sofort, dass ihre Fasern diskrete topologische Räume sind. Die Kardinalität der Faser über x wird die Blätterzahl der Überlagerung an der Stelle x genannt. Die Blätterzahl einer Überlagerung definiert eine lokal konstante Funktion auf X. Für zusammenhängendes X muss daher die Blätterzahl konstant sein. Wir sprechen von einer n-blättrigen oder n-fachen Überlagerung, falls jede Faser aus genau n Punkten besteht. II.1.7. Beispiel. Jeder Homöomorphismus p : X̃ → X ist eine ein-blättrige Überlagerung. Umgekehrt muss jede ein-blättrige Überlagerung ein Homöomorphismus sein, siehe Bemerkung II.1.2. II.1.8. Beispiel. Die Abbildung p : R → S 1 aus Beispiel II.1.1 ist eine unendlich-blättrige Überlagerung. Für n ∈ Z ist die Translation τn : R → R, τn (t) := t + n, eine Decktransformation. Wir erhalten einen injektiven Gruppenhomomorphismus Z → Deck(p), n 7→ τn . II.1.9. Beispiel. Für n ∈ N ist die Abbildung pn : S 1 → S 1 , pn (z) := z n , eine n-blättrige Überlagerung. Dabei ist S 1 = {z ∈ C : |z| = 1}. Es bezeichne Gn := {ζ ∈ C : ζ n = 1} ⊆ S 1 ⊆ C die Menge der n-ten Einheitswurzeln. Diese bilden bezüglich der Multiplikation komplexer Zahlen eine zu Zn isomorphe ∼ = → Gn , [k] 7→ e2πik/n , gegeben. Jedes Gruppe, ein Isomorphismus ist durch Zn − ζ ∈ Gn definiert eine Decktransformation ρζ : S 1 → S 1 , ρζ (z) := ζz. Wegen pζ1 ζ2 = pζ1 ◦ pζ2 , ζ1 , ζ2 ∈ Gn , erhalten wir einen injektiven Homomorphismus Zn ∼ = Gn → Deck(pn ), ζ 7→ ρζ . II.1.10. Beispiel. Die Abbildung p : C → C× , p(z) := e2πiz , liefert eine unendlich-blättrige Überlagerung. Für n ∈ Z ist τn : C → C, τn (z) := z + n, eine Decktransformation. Wir erhalten einen injektiven Homomorphismus Z → Deck(p), n 7→ τn . Schränken wir diese Überlagerung auf den Teilraum S 1 ⊆ C× ein, so erhalten wir die Überlagerung aus Beispiel II.1.8. II.1.11. Beispiel. Für n ∈ N ist die Abbildung pn : C× → C× , pn (z) := z n , eine n-blättrige Überlagerung. Jede n-te Einheitswurzel ζ ∈ Gn , siehe Beispiel II.1.9, definiert eine Decktransformation ρζ : C× → C× , ρζ (z) := ζz. Wieder haben wir einen injektiven Homomorphismus Zn ∼ = Gn → Deck(pn ). Schränken wir diese Überlagerung auf den Teilraum S 1 ⊆ C× ein, so erhalten wir die Überlagerung aus Beispiel II.1.9. II.1.12. Beispiel. Die Quotientenabbildung p : S n → RPn ist eine zweiblättrige Überlagerung. Die sogenannte Antipodalabbildung A : S n → S n , A(x) := −x, 68 II. ÜBERLAGERUNGEN ist eine Decktransformation. Wegen A2 = idS n erhalten wir einen injektiven Homomorphismus Z2 → Deck(p), [0] 7→ idS n , [1] 7→ A. II.1.13. Beispiel. Sind p : X̃ → X und q : Ỹ → Y zwei Überlagerungen, dann ist auch p × q : X̃ × Ỹ → X × Y eine Überlagerung. Mittels Induktion folgt, dass endliche Produkte von Überlagerungen wieder Überlagerungen sind. Für unendlich viele Faktoren bleibt dies jedoch nicht richtig, siehe etwa [15, Example 2.2.9]. F II.1.14. Beispiel. Sind pj : X̃j → X Überlagerungen, j ∈ J, dann ist auch F j∈J pj : j∈ X̃j → X eine Überlagerung. II.1.15. Bemerkung. Die Komposition zweier Überlagerungen ist i.A. keine Überlagerung, siehe etwa [15, Example 2.2.8]. Der Totalraum einer Überlagerung erbt viele topologische Eigenschaften der Basis. Auch lassen sich geometrische Strukturen der Basis oft in kanonischer Weise auf die Überlagerung liften. Der Rest dieses Abschnitts sei einigen einfachen Beispielen dazu gewidmet. Ein weniger triviales Beispiel werden wir in Abschnitt II.8 diskutieren. II.1.16. Beispiel. Ist X ein Hausdorffraum und p : X̃ → X eine Überlagerung, dann ist auch X̃ Hausdorffsch. Liegen zwei Punkte von X̃ nicht in der selben Faser so können sie auf Grund der Hausdorff Eigenschaft von X durch disjunkte offene Umgebungen der Form p−1 (U) und p−1 (V ) getrennt werden. Liegen sie in der gleichen Faser, dann folgt direkt aus der Überlagerungseigenschaft von p, dass sie durch disjunkte offene Mengen der Form Ũλ1 und Ũλ2 getrennt werden können. II.1.17. Beispiel. Ist X ein parakompakter Hausdorffraum und p : X̃ → X eine Überlagerung, dann ist auch X̃ ein parakompakter Hausdorffraum.18 Um dies einzusehen sei Ũ eine offene Überdeckung von X̃. Da die Basis X parakompakt ist finden wir eine lokal endliche offene Überdeckung {Uj }∈J von X, sodass jedes Uj gleichmäßig von p überlagert wird. Es gibt daher diskrete Räume Fj mit p−1 (Uj ) ∼ = Uj × Fj , siehe Proposition II.1.5. Es existiert dann auch eine offene Überdeckung {Vj }j∈J von X mit V̄j ⊆ Uj für jedes j ∈ J. Ist nämlich fj : X → [0, 1], j ∈ J, eine Zerlegung der Eins mit supp(fj ) ⊆ Uj , dann können wir Vj := {x ∈ X : fj (x) 6= 0} verwenden. Beachte, dass V̄j als abgeschlossene 18Wir erinnern uns, dass ein topologischer Raum X parakompakt heißt, falls jede offene Überdeckung eine lokal endliche offene Verfeinerung besitzt. Genauer, ist U eine offene Überdeckung von X, dann existiert eine offene Überdeckung V von X die U verfeinert (dh. zu jedem V ∈ V existiert ein U ∈ U mit V ⊆ U ) und lokal endlich ist (dh. jeder Punkt x ∈ X besitzt eine Umgebung die nur endlich viele der offenen Mengen V ∈ V schneidet.) Ein Hausdorffraum ist genau dann parakompakt, wenn jede offene Überdeckung eine untergeordnete Zerlegung der Eins besitzt, siehe etwa [8, Kapitel VIII§5] oder [14, Kapitel I.8.6]. Nach einem Satz von Stone ist jeder metrisierbare Raum parakompakt, siehe [14, Kapitel I.8.7]. II.1. ELEMENTARE EIGENSCHAFTEN VON ÜBERLAGERUNGEN 69 Teilmenge eines parakompakten Raums selbst parakompakt ist. Damit sind auch lokal p−1 (V̄j ) ∼ = V̄j × Fj parakomapakt. Für jedes j ∈ J existiert daher eine −1 −1 endliche offene Überdeckung Ṽj von p (V̄j ), die die Überdeckung Ũ ∩ p (V̄j ) : Ũ ∈ Ũ verfeinert. Für jedes j ∈ J ist dann W̃j := Ṽ ∩ p−1 (Vj ) : Ṽ ∈ Ṽj eine offene Überdeckung von p−1 (Vj ) die die Überdeckung Ũ ∩ p−1 (Vj ) : Ũ ∈ S S Ũ verfeinert. Da j∈J Vj = X bildet W̃ := j∈J W̃j eine offene Überdeckung von X̃ die Ũ verfeinert. Es bleibt noch zu zeigen, dass W̃ lokal endlich ist. Mit {Uj }j∈J ist auch {p−1 (V̄j )}j∈J eine lokal endliche Überdeckung. Es genügt daher zu zeigen, dass zu fixem j ∈ J und x̃ ∈ X̃ eine Umgebung von x̃ existiert die nur endlich viele der Überdeckungsmengen in Ṽj trifft. Liegt x̃ nicht in p−1 (V̄j ) ist dies offensichtlich, denn p−1 (V̄j ) ist abgeschlossen in X̃. Im Fall x̃ ∈ p−1 (V̄j ) folgt dies aus der lokalen Endlichkeit von Ṽj . Damit ist W̃ eine lokal endliche offene Verfeinerung von Ũ, und X̃ daher parakompakt. II.1.18. Beispiel. Ist X eine topologische Mannigfaltigkeit19 und p : X̃ → X eine Überlagerung, dann ist auch X̃ eine topologische Mannigfaltigkeit. Dies folgt aus Beispiel II.1.17 und der Tatsache, dass p ein lokaler Homöomorphismus ist. II.1.19. Beispiel. Ist X eine glatte Mannigfaltigkeit und p : X̃ → X eine Überlagerung, dann gibt es auf X̃ genau eine glatte Struktur die p zu einem lokalen Diffeomorphismus macht. Jede Decktransformation ist dann ein Diffeomorphismus von X̃. II.1.20. Beispiel. Ist X eine Riemannmannigfaltigkeit und p : X̃ → X eine Überlagerung, dann gibt es auf X̃ genau eine Riemannmetrik die p zu einer lokalen Isometrie macht. Jede Decktransformation ist dann eine Isometrie von X̃. II.1.21. Beispiel. Ist X eine symplektische Mannigfaltigkeit und p : X̃ → X eine Überlagerung, dann gibt es auf X̃ genau eine symplektische Struktur die p zu einem lokalen Symplektomorphismus macht. Jede Decktransformation ist dann ein Symplektomorphismus von X̃. II.1.22. Beispiel. Ist X eine komplexe Mannigfaltigkeit und X̃ → X eine Überlagerung, dann gibt es auf X̃ genau eine komplexe Struktur die p zu einem lokalen Biholomorphismus macht. Jede Decktransformation ist dann ein Biholomorphismus von X̃. 19Unter einer topologischen Mannigfaltigkeit verstehen wir einen lokal euklidischen parakompakten Hausdorffraum. Dabei wird ein topologischer Raum lokal euklidisch genannt, falls jeder Punkt eine zu Rn homöomorphe offene Umgebung besitzt. Mit Hilfe eines Satzes von Stone lässt sich zeigen, dass ein lokal euklidischer Hausdorffraum genau dann parakompakt ist, wenn er metrisierbar ist. Wir können topologische Mannigfaltigkeiten daher äquivalent als metrisierbare lokal euklidische Räume definieren. 70 II. ÜBERLAGERUNGEN II.2. Strikt diskontinuierliche Gruppenwirkungen. Unter einer Linkswirkung einer Gruppe G auf einer Menge X verstehen wir eine Abbildung (die Wirkung) λ : G × X → X, (g, x) 7→ gx := g · x := λg (x) := λx (g) := λ(g, x) mit folgenden beiden Eigenschaften: (i) Für g, h ∈ G und x ∈ X gilt g(hx) = (gh)x, dh. λ(g, λ(h, x)) = λ(gh, x). (ii) Für das neutrale Element 1 ∈ G und x ∈ X gilt 1x = x, dh. λ(1, x) = x. In dieser Situation sagen wir auch die Gruppe G wirkt von links auf der Menge X. Aus (i) und (ii) folgt x = 1x = (g −1g)x = g −1 (gx), also λg−1 ◦ λg = idX , oder λg−1 = (λg )−1 . Daher ist jedes λg bijektiv, also eine Permutation von X. Wegen (i) ist die Abbildung G → S(X), g 7→ λg (II.1) ein Gruppenhomomorphismus, wobei S(X) die Gruppe der Permutationen von X bezeichnet. Umgekehrt definiert jeder Homomorphismus G → S(X) in offensichtlicher Weise eine Linkswirkung von G auf X. Eine Gruppenwirkung λ heißt treu wenn der Homomoprhismus (II.1) injektiv ist, wenn also nur das neutrale Element von G trivial, dh. durch die Identität, wirkt. I.A. ist der Kern von (II.1) ein Normalteiler N in G und die Wirkung (II.1) faktorisiert zu einer treuen Wirkung G/N → S(X) der Gruppe G/N auf X. Eine Gruppenwirkung heißt transitiv falls zu je zwei Punkten x, y ∈ X ein g ∈ G mit gx = y existiert. Ist x ∈ X, dann nennt man Gx := {gx : g ∈ G} den Orbit von x. Die Wirkung ist daher transitiv genau dann wenn für einen (und dann jeden) Punkt x ∈ X gilt Gx = X. Für g ∈ G ist λg (Gx) = Gx, also erhalten wir eine Gruppenwirkung G → S(Gx) der Gruppe G auf dem Orbit Gx. Die Wirkung von G auf Gx ist stets transitiv. Unter der Isotropiegruppe eines Punktes x ∈ X verstehen wir die Untergruppe Gx := {g ∈ G : gx = x} von G. Diese besteht daher aus allen Gruppenelementen die den Punkt x stabilisieren und wird auch Stabilisatoruntergruppe genannt. Wir erhalten eine Bijektion G/Gx ∼ = Gx, 20 x x gG 7→ gx, zwischen den Linksnebenklassen von G und dem Orbit Gx. Eine Gruppenwirkung heißt frei wenn folgendes gilt: Ist g ∈ G und x ∈ X mit gx = x, dann folgt schon g = 1. In anderen Worten, für g 6= 1 hat λg ∈ S(X) keinen Fixpunkt. Dies ist genau dann der Fall, wenn alle Isotropiegruppen trivial sind, dh. Gx = {1} für alle x ∈ X. In diesem Fall erhalten wir für jedes x ∈ X eine Bijektion G ∼ = Gx, g 7→ gx, zwischen G und dem Orbit durch x. Unter einer Rechtswirkung von G auf X verstehen wir eine Abbildung ρ : X × G → X, (x, g) 7→ xg := x·g := ρg (x) := ρx (g) := ρ(x, g), mit x1 = x und (xg)h = x(gh) für alle g, h ∈ G. Ist ρ : X × G → X eine Rechtswirkung, dann definiert λ : G × X → X, λ(g, x) := ρ(x, g −1 ), eine Linkswirkung von G auf X. Alle mit einer Linkswirkung assozierten Begriffe besitzen daher ein offensichtliches 20Ist G eine Gruppe und H ⊆ G eine Untergruppe, dann definiert g1 ∼ g2 ⇔ g2−1 g1 ∈ H eine Äquivalenzrelation auf G. Ihre Äquivalenzklassen sind von der Form gH = {gh : h ∈ H} und werden Linksnebenklassen von H genannt. Für die Menge der Linksnebenklassen schreiben wir G/H. II.2. STRIKT DISKONTINUIERLICHE GRUPPENWIRKUNGEN 71 Analogon für Rechtswirkungen. Etwa ist eine Rechtswirkung nichts anderes als ein Anti-Homomorphismus G → S(X). Unter einer stetigen Linkswirkung einer diskreten Gruppe G auf einem topologischen Raum X verstehen wir eine Linkswirkung λ : G × X → X die stetig ist, wobei G mit der diskreten Topologie versehen ist. Jedes λg : X → X ist dann stetig, und wegen (λg )−1 = λg−1 ein Homöomorphismus. Eine stetige Linkswirkung liefert daher einen Gruppenhomomorphismus G → Homeo(X), g 7→ λg , wobei Homeo(X) die Gruppe der Homöomorphismen von X bezeichnet. Umgekehrt definiert jeder solche Gruppenhomomorphismus eine stetige Linkswirkung der diskreten Gruppe G auf X. Analog sprechen wir von einer stetigen Rechtswirkung, falls die Wirkung ρ : X × G → X stetig ist. Eine stetige Wirkung einer diskreten Gruppe G auf einem topologischen Raum X wird strikt diskontinuierlich genannt, wenn jeder Punkt in x ∈ X eine Umgebung U besitzt für die gilt gU ∩ U = ∅, für alle g 6= 1 ∈ G. Offensichtlich muss eine strikt diskontinuierliche Gruppenwirkung frei sein, die Umkehrung gilt i.A. jedoch nicht. Aus gU ∩ U = ∅ folgt gU ∩ hU = ∅ für alle g 6= h ∈ G. Insbesondere ist die von X auf dem Orbit Gx induzierte Topologie diskret, die Bijektion G∼ = Gx also ein Homöomorphismus diskreter Räume. Für Wirkungen endlicher Gruppen ist folgende Beobachtung oft hilfreich. II.2.1. Proposition. Jede stetige freie Wirkung einer endlichen diskreten Gruppe auf einem Hausdorffraum ist strikt diskontinuierlich. Beweis. Sei also G eine endliche Gruppe die frei und stetig auf einem Hausdorffraum X wirkt. Sei nun x ∈ X. Da die Wirkung frei ist, sind die Punkte gx, g ∈ G, alle verschieden. Wegen der Hausdorffeigenschaft von X finden wir zu jedem g 6= 1 ∈ G eine Umgebung Vg1 von x und eine Umgebung Vg2 von gx mit Vg1 ∩ Vg2 = ∅. Auf Grund der Stetigkeit der Wirkung ist dann Vg := Vg1 ∩ g −1 Vg2 eine Umgebung T von x für die gVg ∩ Vg = ∅ gilt. Wegen der Endlichkeit von G ist auch U := g6=1 Vg eine Umgebung von x. Nach Konstruktion gilt gU ∩ U = ∅, für alle g 6= 1 ∈ G. Also ist die Wirkung strikt diskontinuierlich. Eine Linkswirkung von G auf X definiert eine Äquivalenzrelation auf X durch x ∼ y ⇔ ∃g ∈ G : gx = y. Ihre Äquivalenzklassen stimmen mit den Orbits überein, es ist also x ∼ y genau dann wenn Gx = Gy. Die Menge der Äquivalenzklassen wird als Orbitraum der Wirkung bezeichnet und mit X/G := X/∼ bezeichnet. Wir versehen X/G mit der Quotiententopologie, dh. mit der feinsten Topologie, sodass die kanonische Projektion p : X → X/G stetig ist. Eine Teilmenge V von X/G ist genau dann offen, wenn p−1 (V ) offen in X ist. II.2.2. Beispiel. Ist G eine Gruppe und H ⊆ G eine Untergruppe, dann definiert G × H → G, (g, h) 7→ gh, eine Rechtswirkung von H auf G. Ihre Orbits stimmen mit den Linksnebenklassen von H überein, siehe oben. II.2.3. Proposition. Wirkt die Gruppe G strikt diskontinuierlich auf dem topologischen Raum X, dann ist die kanonische Projektion p : X → X/G eine 72 II. ÜBERLAGERUNGEN Überlagerung. Ihre Blätterzahl stimmt mit der Ordnung von G überein. Jedes Element von G liefert eine Decktransformation, und wir erhalten einen injektiven Homomorphismus von Gruppen G → Deck(p). Beweis. Offensichtlich ist p stetig und surjektiv. Weiters ist p eine offene Abbildung, denn für S offenes U ⊆ X ist auf Grund der Stetigkeit der Wirkung −1 auch p (p(U)) = g∈G gU offen in X, also p(U) offen in X/G. Sei nun x ∈ X und U eine offene Umgebung von x, sodass gU ∩ hU = ∅ für alle g 6= h ∈ G. Dann sind {gU}g∈G , disjunkte offene F Teilmengen in X, und für die offene Menge −1 V := p(U) ⊆ X/G gilt p (V ) = g∈G gU. Schließlich ist für jedes g ∈ G die Einschränkung p|gU : gU → V eine stetige Bijektion, und wegen der Offenheit von p daher ein Homöomorphismus. Also ist p : X → X/G eine Überlagerung. Für g ∈ G liefert λg : X → X, λg (x) := gx, einen Homöomorphismus, und da offensichtlich auch p ◦ λg = p gilt, ist λg eine Decktransformation. Die Relation λgh = λg ◦ λh besagt gerade, dass G → Deck(X), g 7→ λg , ein Homomorphismus ist. Dieser Homomorphismus ist injektiv, denn strikt diskontinuierliche Wirkungen sind stets treu. II.2.4. Beispiel. Die Abbildung Z × R → R, (n, t) 7→ n + t, definiert eine stetige Linkswirkung der diskreten Gruppe Z auf dem topologischen Raum R. Diese Wirkung ist strikt diskontinuierlich, denn für t ∈ R und 0 6= n ∈ Z gilt (n + U) ∩ U = ∅, wobei U = (t − 12 , t + 21 ). Daher ist die Orbitprojektion R → R/Z eine Überlagerung, siehe Proposition II.2.3. Bis auf den Homöomorphismus R/Z ∼ = S 1 ist dies die Überlagerung aus Beispiel II.1.8 oben. II.2.5. Beispiel. Die Abbildung Zn × Rn → Rn , (k, x) 7→ k + x, ist eine strikt diskontinuierliche Linkswirkung von Zn auf Rn . Nach Proposition II.2.3 ist die Orbitprojektion p : Rn → Rn /Zn eine unendlich-blättrige Überlagerung. Beachte, dass Rn /Zn ∼ = S 1 × · · · × S 1 = T n , vgl. Beispiel I.2.17. II.2.6. Beispiel. Es bezeichne wieder Gn die Gruppe der n-ten Einheitswurzeln, n ∈ N, siehe Beispiel II.1.9 oben. Die Abbildung Gn × S 1 → S 1 , (ζ, z) 7→ ζz, ist eine freie und daher strikt diskontinuierliche Linkswirkung, siehe Proposition II.2.1. Nach Proposition II.2.3 ist die Orbitprojektion pn : S 1 → S 1 /Gn eine n-blättrige Überlagerung. Für den Quotientenraum gilt S 1 /Gn ∼ = S 1 , wir erhalten daher wieder die Überlagerung aus Beispiel II.1.9. II.2.7. Beispiel. Die Gruppe {−1, 1} ∼ = Z2 wirkt auf der Sphäre S n durch (±1)x := ±x in strikt diskontinuierlicher Weise, siehe Proposition II.2.1. Nach Proposition II.2.3 ist die Orbitprojektion S n → S n /Z2 ∼ = RPn eine zwei-blättrige Überlagerung, vgl. Beispiel II.1.12 oben. II.2.8. Beispiel (Linsenräume). Für n ∈ N betrachten wir die Sphäre S 2n−1 ⊆ C . Weiters seien p ∈ N und q1 , . . . , qn ∈ Z, sodass p teilerfremd zu qj ist, für jedes 1 ≤ j ≤ n. Es bezeichne Gp ∼ = Zp die Gruppe der p-ten Einheitswurzeln. n II.3. HOMOTOPIELIFTUNGSEIGENSCHAFT 73 Eine elementare Rechnung zeigt, dass Gp × S 2n−1 → S 2n−1 , ζ · (z1 , . . . , zn ) := (ζ q1 z1 , . . . , ζ qn zn ), eine stetige Linkswirkung von Gp auf S 2n−1 definiert. Diese Wirkung ist frei. Um dies einzusehen sei k ∈ Z, ζ = e2πik/p ∈ Gp und (z1 , . . . , zn ) ∈ S 2n−1 mit ζ · (z1 , . . . , zn ) = (z1 , . . . , zn ). Wähle j, sodass zj 6= 0. Aus ζ qj zj = zj erhalten wir dann e2πikqj /p = 1, also muss p die Zahl kqj teilen. Da p und qj teilerfremd sind, ist p ein Teiler von k, also ζ = 1 und die Wirkung tatsächlich frei. Nach Proposition II.2.1 ist sie daher strikt diskontinuierlich. Ihr Orbitraum wird als Linsenraum L(p; q1 , . . . , qn ) := S 2n−1 /Zp bezeichnet. Etwa gilt L(2; 1, . . . , 1) ∼ = RP2n−1 . Die Orbitprojektion S 2n−1 → L(p; q1 , . . . , qn ) ist eine p-blättrige Überlagerung, siehe Proposition II.2.3. II.2.9. Beispiel (Kleinsche Flasche). Betrachte die Gruppe Z ⋊ Z mit Multi l1 plikation (k1 , l1 )(k2 , l2 ) = k1 + (−1) k2 , l1 + l2 , vgl. Beispiel I.7.3. Eine einfache Rechnung zeigt, dass (k, l) · (x, y) := k + (−1)l x, l + y) eine Linkswirkung von Z ⋊ Z auf R2 definiert. Diese Wirkung ist strikt diskontinuierlich, die Quotientenabbildung R2 → R2 /(Z ⋊ Z) daher eine unendlich-blättrige Überlagerung, siehe Proposition II.2.3. Der Quotientenraum R2 /(Z ⋊ Z) ist zur Kleinschen Flasche aus Beispiel I.7.3 homöomorph. II.2.10. Beispiel. Die Abbildung A : T 2 → T 2 , A(z, w) := (−z, w̄), erfüllt A = idT 2 und definiert eine freie Wirkung der Gruppe Z2 auf T 2 = S 1 × S 1 . Nach Proposition II.2.1 ist dies eine strikt diskontinuierliche Wirkung, die Quotientenabbildung T 2 → T 2 /Z2 daher eine zwei-blättrige Überlagerung, siehe Proposition II.2.3. Der Quotientenraum T 2 /Z2 ist zur Kleinschen Flasche homöomorph, siehe Beispiel I.7.3. 2 II.3. Homotopieliftungseigenschaft. Sei p : X̃ → X eine Überlagerung und f : Y → X eine stetige Abbildung. Jede stetige Abbildung f˜ : Y → X̃ mit p ◦ f˜ = f wird ein Lift oder eine Hochhebung von f über p genannt. Es stellt sich nun die Frage unter welchen Umständen so ? X̃ f˜ p ein Lift von f existiert. Dieses Problem lässt sich elegant mit Hil f fe des induzierten Homomorphismus f∗ : π1 (Y ) → π1 (X) lösen, /X Y siehe Satz II.4.5 unten. Wir beginnen zunächst damit die Eindeutigkeit eines solchen Lifts zu besprechen. Die nächste Proposition besagt, dass für zusammenhängendes Y ein Lift von f schon durch den Wert bei einem einzigen Punkt vollständig festgelegt ist. II.3.1. Proposition. Es seien p : X̃ → X eine Überlagerung, Y zusammenhängend und f˜, g̃ : Y → X̃ stetig mit p ◦ f˜ = p ◦ g̃. Existiert ein Punkt y0 ∈ Y mit f˜(y0) = g̃(y0 ), dann gilt schon f˜ = g̃. ˜ Beweis. Betrachte die Teilmenge A := y ∈ Y : f(y) = g̃(y) . Da y0 ∈ A ist A 6= ∅. Wir zeigen zunächst, dass A offen ist. Sei dazu y ∈ A. Wegen der Überlagerungseigenschaft von p, existiert eine Umgebung Ũ von f˜(y) = g̃(y), sodass p|Ũ : Ũ → X injektiv ist. Wegen der Stetigkeit von f˜ und g̃ ist W := 74 II. ÜBERLAGERUNGEN f˜−1 (Ũ ) ∩ g̃ −1(Ũ ) eine Umgebung von y in Y . Aus p ◦ f˜ = p ◦ g̃ und der Injektivität von p|Ũ : Ũ → X folgt f˜|W = g̃|W . Daher ist W ⊆ A und A also offen. Schließlich zeigen wir, dass A auch abgeschlossen ist. Sei dazu y ∈ / A, also f˜(y) 6= g̃(y). Da ˜ p ◦ f˜ = p ◦ g̃ gilt jedenfalls p(f(y)) = p(g̃(y)). Aus der Überlagerungseigenschaft ˜ und Ṽ von g̃(y). Wegen der von p erhalten wir disjunkte Umgebung Ũ von f(y) −1 −1 Stetigkeit von f˜ und g̃ ist W := f˜ (Ũ ) ∩ g̃ (Ṽ ) eine Umgebung von y in Y . Aus Ũ ∩ Ṽ = ∅ erhalten wir W ⊆ Y \ A, also ist A abgeschlossen. Aus dem Zusammenhang von Y folgt nun A = Y und daher f˜ = g̃. II.3.2. Proposition. Es sei p : X̃ → X eine Überlagerung und X̃ zusammenhängend. Dann wirkt die Gruppe der Decktransformationen strikt diskontinuierlich auf X̃. Insbesondere ist diese Wirkung frei. Beweis. Es sei x̃ ∈ X̃. Wegen der Überlagerungseigenschaft von p existiert eine offene Umgebung Ũ von x̃, sodass p|Ũ : Ũ → X injektiv ist. Sei nun ϕ eine Decktransformation mit ϕ(Ũ) ∩ Ũ 6= ∅. Wir finden daher ỹ ∈ Ũ mit ϕ(ỹ) ∈ Ũ . Da p ◦ ϕ = p folgt aus der Injektivität von p|Ũ , dass ϕ(ỹ) = ỹ. Aus Proposition II.3.1 erhalten wir daher ϕ = idX̃ . Also ist die Wirkung von Deck(X̃) strikt diskontinuierlich. Jede Überlagerung hat die Homotopieliftungseigenschaft, siehe Satz II.3.3 unten. Der Beweis ist völlig analog zu dem Beweis von Proposition I.2.3. II.3.3. Satz (Homotopieliftungseigenschaft). Es seien p : X̃ → X eine Überlagerung, H : Y ×I → X eine Homotopie und h̃ : Y → X̃ stetig, sodass p◦h̃ = H0 . Dann existiert genau eine Homotopie H̃ : Y ×I → X̃ mit p ◦ H̃ = H und H̃0 = h̃. Beweis. Die Eindeutigkeit von H̃ folgt aus Proposition II.3.1 und dem Zusammenhang von I, denn für fixes y ∈ Y ist I → X̃, t 7→ H̃t (y) ein stetiger Lift des Weges I → X, t 7→ Ht (y), mit Anfangspunkt H̃0 (y) = h̃(y). Nun zur Konstruktion von H̃. Aus der Überlagerungseigenschaft von p erhalten wir eine offene Überdeckung {Uα }α∈A von X, sodass jedes Uα von p gleichmäßig überlagert wird. Die Beweise von Lemma I.2.10 und I.2.11 lassen sich mühelos auf die vorliegende Situation verallgemeinern. II.3.4. Lemma. Zu jedem Punkt y ∈ Y existieren eine offene Umgebung N von y, 0 = t0 < t1 < t2 < · · · < tn = 1 und α1 , . . . , αn ∈ A, sodass für jedes i = 1, . . . , n gilt H N × [ti−1 , ti ] ⊆ Uαi . Beweis. Da {Uα }α∈A eine Überdeckung von X bildet, existiert zu jedem s ∈ I ein αs ∈ A mit H(y, s) ∈ Uαs . Da H stetig ist, finden wir zu jedem s ∈ I eine offene Umgebung Ns von y und eine offene Umgebung Js von s mit H(Ns × Js ) ⊆ Uαs . Klarerweise bildet {Js }s∈I eine offene Überdeckung von I. Da I kompakt ist, existieren 0 = t0 < t1 < · · · < tn = 1 und s1 , . . . , sn ∈ I mit [ti−1 , ti ] ⊆ Jsi , 1 ≤ i ≤ n, siehe Lemma I.1.28. Betrachte nun die offene II.3. HOMOTOPIELIFTUNGSEIGENSCHAFT 75 Tn Umgebung N := N von y. Für 1 ≤ i ≤ n gilt dann H N × [t , t ] ⊆ s i−1 i i i=1 H Nsi × Jsi ⊆ Uαsi . Mit αi := αsi folgt daher die Behauptung. II.3.5. Lemma. Zu jedem y ∈ Y existieren eine offene Umgebung V von y und eine stetige Abbildung G̃ : V × I → X̃ mit p ◦ G̃ = H|V ×I und G̃0 = h̃|V . Beweis. Nach Lemma II.3.4 existieren eine offene Umgebung N von y, 0 = t0 < t1 < · · · < tn = 1 und α1 , . . . , αn ∈ A, sodass H N × [ti−1 , ti ] ⊆ Uαi , für i = 1, 2, . . . , n. (II.2) Da Uα von p gleichmäßig überlagert wird, existiert F eine λIndexmenge Λα , disjunkte λ −1 offene Teilmengen Ũα , λ ∈ Λα , mit p (Uα ) = λ∈Λα Ũα und so, dass p|Ũαλ : Ũαλ → Uα ein Homöomorphismus ist, für jedes λ ∈ Λα . Wegen (II.2) und p ◦ h̃ = H0 ist p(h̃(y)) = Ht0 (y) ∈ Uα1 , also existiert λ1 ∈ Λα1 mit h̃(y) ∈ Ũαλ11 . Betrachte die offene Umgebung V 1 := N ∩ h̃−1 (Ũαλ11 ) von y und die stetige Abbildung −1 ◦ H|V 1 ×[t0 ,t1 ] . G̃1 : V 1 × [t0 , t1 ] → Ũαλ11 ⊆ X̃, G̃1 := p|Ũαλ1 1 Offensichtlich gilt p ◦ G̃1 = H|V 1 ×[t0 ,t1 ] . Aus H0 = p ◦ h̃ erhalten wir p ◦ G̃1t0 = Ht0 |V 1 = p ◦ h̃|V 1 , und da p auf Ũαλ11 injektiv ist folgt G̃1t0 = h̃|V 1 . Induktiv fortfahrend erhalten wir offene Umgebungen V 1 ⊇ V 2 ⊇ · · · ⊇ V n von y, und λi ∈ Λαi , sowie stetige Abbildungen G̃i : V i × [ti−1 , ti ] →⊆ Ũαλii ⊆ X̃, 1 ≤ i ≤ n, sodass p ◦ G̃i = H|V i ×[ti−1 ,ti ] , G̃1t0 = h̃|V 1 und G̃iti−1 = G̃i−1 ti−1 |V i für i = 2, . . . , n. Betrachte nun die offene Umgebung V := V n von y und definiere eine Abbildung G̃ : V × I → R durch G̃|V ×[ti−1 ,ti ] := G̃i |V ×[ti−1 ,ti ] . Da G̃iti−1 |V = G̃i−1 ti−1 |V ist dies i wohldefiniert. Aus der Stetigkeit von G̃ |V ×[ti−1 ,ti ] und Lemma I.1.2 folgt, dass G̃ stetig ist. Aus p ◦ G̃i = H|V i ×[ti−1 ,ti ] erhalten wir p ◦ G̃ = H|V ×I . Schließlich folgt aus G̃1t0 = h̃|V 1 auch G̃0 = h̃|V . Also hat G̃ alle gewünschten Eigenschaften. Nach Lemma II.3.5 existiert zu jedem y ∈ Y eine offene Umgebung V y von y und eine stetige Abbildung G̃y : V y × I → X̃ mit p ◦ G̃y = H|V y ×I und G̃y0 = h̃|V y . Wie im Beweis der Eindeutigkeit von H̃, erhalten wir aus Proposition II.3.1 und dem Zusammenhang von I, dass die Abbildungen G̃y1 und G̃y2 auf (V y1 ∩ V y2 ) × I übereinstimmen müssen, y1 , y2 ∈ Y . Es existiert daher eine Abbildung H̃ : Y × I → X̃, sodass H̃|V y ×I = G̃y , für jedes y ∈ Y . Aus den entsprechenden Eigenschaften von G̃y folgt sofort p ◦ H̃ = H und H̃0 = h̃. Auch die Stetigkeit von H̃ ist offensichtlich, denn die Einschränkungen von H̃ auf die offenen Teilmengen V y × I sind stetig. Damit ist der Beweis von Satz II.3.3 vollständig. II.3.6. Korollar (Liften von Wegen). Es seien p : X̃ → X eine Überlagerung, f : I → X ein Weg in X und x̃ ∈ X̃ mit p(x̃) = f (0). Dann existiert genau ein Weg f˜ : I → X̃ mit p ◦ f˜ = f und f˜(0) = x̃. 76 II. ÜBERLAGERUNGEN Beweis. Die folgt aus Satz II.3.3 mit Y = {∗}, vgl. Proposition I.2.6. II.3.7. Korollar. Es seien p : X̃ → X eine Überlagerung, und f, g : I → X zwei Wege die homotop relativ Endpunkten sind. Weiters seien f˜, g̃ : I → X̃ Lifts von f und g mit gleichem Anfangspunkt f˜(0) = g̃(0). Dann sind auch f˜ und g̃ homotop relative Endpunkten in X̃. Insbesondere haben f˜ und g̃ denselben ˜ = g̃(1). Endpunkt, f(1) Beweis. Es bezeichne H : I×I → X eine Homotopie relativ Endpunkten von H0 = f nach H1 = g. Nach Satz II.3.3 existiert eine Homotopie H̃ : I ×I → X̃ mit H̃0 = f˜ und p ◦ H̃ = H. Da für i = 0, 1 der Weg t 7→ p(H̃(i, t)) = H(i, t) konstant ist, muss nach der Eindeutigkeitsaussage in Korollar II.3.6 auch t 7→ H̃(i, t) konstant in t sein. Also ist H̃ eine Homotopie relativ Endpunkten. Insbesondere gilt H̃1 (0) = H̃0 (0) = f˜(0) = g̃(0). Also ist s 7→ H̃1 (s) ein Lift von g mit Anfangspunkt H̃1 (0) = g̃(0). Aus der Eindeutigkeitsaussage in Korollar II.3.6 schließen wir H̃1 = g̃. Also ist H̃ eine Homotopie relativ Endpunkten von H̃0 = f˜ nach H̃1 = g̃. Es sei p : X̃ → X eine Überlagerung, x0 ∈ X und es bezeichne Fx0 = p−1 (x0 ) die Faser über x0 . Wir erhalten eine Abbildung Fx × π1 (X, x0 ) → Fx , (x̃, [f ]) 7→ x̃ · [f ] := f˜x̃ (1) (II.3) 0 0 wobei f˜x̃ : I → X̃ den eindeutigen Lift von f mit Anfangspunkt f˜x̃ (0) = x̃ bezeichnet, vgl. Korollar II.3.6. Beachte, dass dies nach Korollar II.3.7 tatsächlich wohldefiniert ist, denn der Endpunkt f˜x̃ (1) hängt nur von der Homotopieklasse von f ab. II.3.8. Proposition. Ist p : X̃ → X eine Überlagerung und x0 ∈ X, dann definiert die Abbildung (II.3) eine Rechtswirkung der Fundamentalgruppe π1 (X, x0 ) auf der Faser Fx0 = p−1 (x0 ). Diese Wirkung kommutiert mit der Linkswirkung der Gruppe der Decktransformationen Deck(X̃), dh. ϕ(x̃ · σ) = ϕ(x̃) · σ für alle ϕ ∈ Deck(X̃), x̃ ∈ Fx0 und σ ∈ π1 (X, x0 ). Für wegzusammenhängendes X̃ ist die Rechtswirkung (II.3) transitiv. Beweis. Da das neutrale Element 1 ∈ π1 (X, x0 ) durch die konstante Schleife cx0 repräsentiert wird, gilt offensichtlich x̃ · 1 = x̃ für jedes x̃ ∈ Fx0 . Sind f und g zwei Schleifen bei x0 und x̃ ∈ Fx0 , so folgt (ffg)x̃ = f˜x̃ g̃f˜x̃ (1) = f˜x̃ g̃x̃·[f ] , und daher x̃· ([f ][g]) = x̃ · [f g] = (ffg)x̃ (1) = f˜x̃ g̃x̃·[f ] (1) = g̃x̃·[f ] (1) = (x̃ · [f ]) · [g]. Dies zeigt, dass (II.3) tatsächlich eine Rechtswirkung auf Fx0 definiert. Ist ϕ ∈ Deck(X̃) eine Decktransformation so gilt ϕ ◦ f˜x̃ = f˜ϕ(x̃) und wir erhalten ϕ(x̃ · [f ]) = ϕ(f˜x̃ (1)) = (ϕ ◦ f˜x̃ )(1) = f˜ϕ(x̃) (1) = ϕ(x̃) · [f ], also kommutiert die Rechtswirkung von π1 (X, x0 ) mit der Linkswirkung der Decktransformationen. Zur Transitivität: Ist X̃ wegzusammenhängend, so finden wir zu zwei gegebenen Punkten x̃0 , x̃1 ∈ Fx0 einen Weg f˜ mit f˜(0) = x̃0 und f˜(1) = x̃1 . Da p(x̃0 ) = x0 = p(x̃1 ) ist II.3. HOMOTOPIELIFTUNGSEIGENSCHAFT 77 f := p ◦ f˜ eine Schleife bei x0 und definiert daher ein Element [f ] ∈ π1 (X, x0 ). Nach Konstruktion ist x̃0 · [f ] = x̃1 , die Wirkung also transitiv. Unter einer punktierte Überlagerung verstehen wir eine Abbildung punktierter Räume p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) deren zugrundeliegende Abbildung p : X̃ → X eine Überlagerung ist. Punktierte Überlagerunϕ / (Ỹ , ỹ ) ( X̃, x̃ ) 0 0 gen werden auch Überlagerung mit Basispunkt FF FF xx x F genannt. Unter einem Isomorphismus zwischen xx p FFF xx q x | # zwei punktierten Überlagerungen p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) (X, x0 ) und q : (Ỹ , ỹ0 ) → (X, x0 ) verstehen wir einen Homöomorphismus punktierter Räume ϕ : (X̃, x̃0 ) → (Ỹ , ỹ0 ) mit q ◦ ϕ = p. Existiert so ein Isomorphismus, dann nennen wir die beiden punktierten Überlagerungen isomorph. II.3.9. Definition (Charakteristische Untergruppe). Unter der charakteristische Untergruppe einer punktierten Überlagerung p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) verstehen wir die Untergruppe img(p∗ ) = p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) von π1 (X, x0 ). II.3.10. Bemerkung. Sind p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) und q : (Ỹ , ỹ0 ) → (X, x0 ) zwei isomorphe punktierte Überlagerungen, dann stimmen ihre charakteristischen Untergruppen überein, denn ist ϕ : (X̃, x̃0 ) → (Ỹ , ỹ0) ein Isomorphimus punktierter Überlagerungen, dann folgt p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) = (q ◦ ϕ)∗ (π1 (X̃, x̃0 )) = q∗ ϕ∗ (π1 (X̃, x̃0 )) = q∗ (π1 (Ỹ , ỹ0 )), siehe Proposition I.1.14. II.3.11. Proposition. Es sei p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) eine punktierte Überlagerung und es bezeichne Fx0 := p−1 (x0 ) die Faser über x0 . Dann gilt: (i) Der Homomorphismus p∗ : π1 (X̃, x̃0 ) → π1 (X, x0 ) ist injektiv, die charakteristische Untergruppe p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) daher zu π1 (X̃, x̃0 ) isomorph. (ii) Für eine Schleife f bei x0 gilt [f ] ∈ p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) genau dann, wenn sie sich zu einer Schleife bei x̃0 liften lässt, dh. f˜x̃0 (1) = x̃0 . (iii) Die Isotropiegruppe von x̃0 bezüglich der Rechtswirkung (II.3) stimmt mit der charakteristischen Untergruppe p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) überein. Wir erhalten daher eine injektive Abbildung π1 (X, x0 )/p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) → Fx0 , σ 7→ x̃0 · σ, (II.4) wobei π1 (X, x0 )/p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) die Menge der Rechtsnebenklassen bezeichnet. (iv) Für σ ∈ π1 (X, x0 ) gilt p∗ (π1 (X̃, x̃0 · σ)) = σ −1 p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) σ. Ist darüberhinaus X̃ wegzusammenhängend, dann gilt weiters: 78 II. ÜBERLAGERUNGEN (v) Die Abbildung (II.4) ist eine Bijektion. Die Blätterzahl von p stimmt daher mit dem Index21der charakteristischen Untergruppe p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) in π1 (X, x0 ) überein. (vi) Für x̃0 , x̃1 ∈ Fx0 sind die charakteristischen Untergruppen p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) und p∗ (π1 (X̃, x̃1 )) konjugiert22 in π1 (X, x0 ). (vii) Jede zu p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) konjugierte Untergruppe in π1 (X, x0 ) ist von der Form p∗ (π1 (X̃, x̃1 )) für einen geeigneten Punkt x̃1 ∈ Fx0 . (viii) Die Gleichung ϕ(x̃0 ) = x̃0 · Φ(ϕ), ϕ ∈ Deck(X̃), definiert einen injektiven Gruppenhomomorphismus23 Φ : Deck(X̃) → Nπ1 (X,x0 ) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )). (II.5) Beweis. Die Aussagen (i) und (ii) folgen sofort aus Korollar II.3.7. Ad (iii): Aus (ii) sehen wir, dass die Isotropiegruppe von x̃0 mit der charakteristischen Untergruppe p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) übereinstimmt. Es folgt daher x̃0 · σ1 = x̃0 · σ2 ⇔ x̃0 · (σ1 σ2−1 ) = x̃0 ⇔ σ1 σ2−1 ∈ p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) ⇔ p∗ (π1 (X̃, x̃0 ))σ1 = p∗ (π1 (X̃, x̃0 ))σ2 . Dies zeigt, dass (II.4) wohldefiniert und injektiv ist. Ad (iv): Sei f eine Schleife bei x0 die σ repräsentiert, und f˜ : I → X̃ ihr Lift mit Anfangspunk f˜(0) = x̃0 . Nach Definition ist dann x̃0 · σ = f˜(1). Nach Proposition I.1.18 gilt π1 (X̃, x̃0 ) = βf˜(π1 (X̃, x̃0 · σ)). Es folgt p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) = p∗ βf˜(π1 (X̃, x̃0 · σ)) = σ p∗ (π1 (X̃, x̃0 · σ)) σ −1 und damit die Behauptung. Sei nun X̃ wegzusammenhängend. Nach Proposition II.3.8 ist dann die Rechtswirkung von π1 (X, x0 ) auf Fx0 transitiv, daher (II.4) surjektiv, woraus nun (v) folgt. Aus der Transitivität der Wirkung von π1 (X, x0 ) auf Fx0 zusammen mit (iv) folgt (vi). Auch (vii) folgt sofort aus (iv). Wenden wir uns schließlich (viii) zu. Sei ϕ ∈ Deck(X̃). Wegen der Transitivität der Wirkung von π1 (X, x0 ) auf Fx0 existiert σ ∈ π1 (X, x0 ) mit ϕ(x̃0 ) = x̃0 · σ. Aus (iv) erhalten wir p∗ (π1 (X̃, ϕ(x̃0 ))) = σ −1 p∗ (π1 (X̃, x̃0 ))σ, nach Bemerkung II.3.10 gilt aber auch p∗ (π1 (X̃, ϕ(x̃0 ))) = p∗ (π1 (X̃, x̃0 )). Es folgt −1 σ p∗ (π1 (X̃, x̃0 ))σ = p∗ (π1 (X̃, x̃0 )), also σ ∈ Nπ1(X,x0 ) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) . Zusammen mit (v) sehen wir daher, dass ϕ(x̃0 ) = x̃0 · Φ(ϕ) tatsächlich eine Abbildung Φ : Deck(X̃) → Nπ1 (X,x0 ) p∗ (π1 (X, x̃0 )) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) definiert. Diese ist injektiv, denn die Wirkung von Deck(X̃) auf Fx0 ist frei, siehe Proposition II.3.2. Nach Proposition II.3.8 kommutieren die Wirkungen von Deck(X̃) und π1 (X, x0 ) auf der Faser Fx0 . Daher ist x̃0 ·Φ(ϕ◦ψ) = (ϕ◦ψ)(x̃0 ) = ϕ x̃0 ·Φ(ψ) = ϕ(x̃0 )·Φ(ψ) = 21Ist G eine Gruppe und H ⊆ G eine Untergruppe, dann wird die Kardinalzahl ♯(G/H) der Index von H in G genannt. Der Index einer Untergruppe ist daher die Anzahl der Linksnebenklassen von H, und dies stimmt mit der Anzahl ihrer Rechtsnebenklassen überein. 22Zwei Untergruppen H und H einer Gruppe G werden konjugiert genannt, falls g ∈ G mit 1 2 gH1 g −1 = H2 existiert. Dies definiert eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Untergruppen von G. 23Ist G eine Gruppe und H ⊆ G eine Untergruppe, dann heißt N (H) := {g ∈ G : G gHg −1 = H} der Normalisator von H in G. Dies ist die größte Untergruppe von G, die H als Normalteiler enthält. II.4. LIFTEN VON ABBILDUNGEN 79 (x̃0 · Φ(ϕ)) · Φ(ψ) = x̃0 · (Φ(ϕ)Φ(ψ)), also Φ(ϕ ◦ ψ) = Φ(ϕ)Φ(ψ). Damit ist auch die Homomorphismuseigenschaft von Φ gezeigt. II.4. Liften von Abbildungen. Unter schwachen Zusammenhangsvoraussetzungen erlaubt die charakteristische Untergruppe eine vollständige Lösung des Liftungsproblems. Wir benötigen hierfür den folgenden Zusammenhangsbegriff. Ein topologischer Raum X heißt lokal wegzusammenhängend, falls zu jedem Punkt x ∈ X und jeder Umgebung U von x, eine wegzusammenhängende Umgebung V von x mit V ⊆ U existiert. In anderen Worten, jeder Punkt in x ∈ X besitzt eine Umgebungsbasis aus wegzusammenhängenden Umgebungen. Ist X lokal wegzusammenhängend und U eine offene Umgebung von x ∈ X, dann bilden die Punkte in U die sich durch einen Weg in U mit x verbinden lassen eine offene wegzusammenhängende Umgebung von x. In einem lokal wegzusammenhängenden Raum besitzt daher jeder Punkt sogar eine Umgebungsbasis aus offenen wegzusammenhängenden Umgebungen. II.4.1. Bemerkung. Ein lokal wegzusammenhägender Raum ist genau dann wegzusammenhängend wenn er zusammenhängend ist. Dies folgt aus der Tatsache, dass in einem lokal wegzusammenhängenden Raum die Wegzusammenhangskomponenten offen und daher auch abgeschlossen sind. II.4.2. Bemerkung. Für eine Überlagerung p : X̃ → X gilt: X ist genau dann lokal wegzusammenhängend wenn X̃ lokal wegzusammenhängend ist. Dies folgt aus der Tatsache, dass p ein lokaler Homöomorphismus ist. II.4.3. Beispiel. Jeder lokal kontrahierbare Raum ist lokal wegzusammenhängend. Dabei heißt ein topologischer Raum lokal kontrahierbar, wenn jeder Punkt eine Umgebungsbasis kontrahierbarer Umgebungen besitzt, dh. zu jedem Punkt x und jeder Umgebung U von x existiert eine kontrahierbare Umgebung V von x mit V ⊆ U. Etwa sind topologische Mannigfaltigkeiten offensichtlich lokal kontrahierbar und damit auch lokal wegzusammenhängend. II.4.4. Beispiel. Bezeichne Z := {0} ∪ { n1 : n ∈ N} ⊆ R und betrachte X := I × {0} ∪ Z × I . Der Raum X ist wegzusammenhängend, aber nicht lokal wegzusammenhängend. Keiner der Punkte (0, y) ∈ X, y ∈ (0, 1], besitzt eine Basis aus wegzusammenhängenden Umgebungen. II.4.5. Satz (Liftungskriterium). Es sei p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) eine punktierte Überlagerung und (Y, y0 ) ein zusammenhängender, lokal wegzusammenhängender punktierter Raum. Eine Abbildung punktierter Räume f : (Y, y0 ) → (X, x0 ) lässt sich genau dann zu einer Abbildung punktierter Räume f˜ : (Y, y0 ) → (X̃, x̃0 ) liften, wenn f∗ (π1 (Y, y0 )) in der charakteristischen Untergruppe von p enthalten ist, dh. wenn gilt f∗ (π1 (Y, y0 )) ⊆ p∗ (π1 (X̃, x̃0 )). In diesem Fall ist der Lift f˜ eindeutig. 80 II. ÜBERLAGERUNGEN Beweis. Die Bedingung ist offensichtlich notwendig, denn ist f˜ : (Y, y0 ) → (X̃, x̃0 ) ein Lift von f , dann erhalten wir f∗ (π1 (Y, y0)) = (p ◦ f˜)∗ (π1 (Y, y0 )) = p∗ (f∗ (π1 (Y, y0)) ⊆ p∗ (π1 (X̃, x̃0 )). Die Eindeutigkeit des Lifts folgt aus Proposition II.3.1. Nun zur Konstruktion von f˜. Da Y wegzusammenhängend ist, siehe Bemerkung II.4.1, existiert zu jedem Punkt y ∈ Y ein Weg σ : I → Y von σ(0) = y0 nach σ(1) = y. Es ist dann f ◦ σ ein Weg in X mit Anfangspunkt (f ◦ σ)(0) = x0 . Nach Korollar II.3.6 lässt sich dieser Weg über p zu einem Weg f] ◦ σ mit An˜ ] ] fangspunkt (f ◦ σ)(0) = x̃0 liften. Wir setzen f (y) := (f ◦ σ)(1) und überzeugen uns zunächst davon, dass dies wohldefiniert, dh. unabhängig von der Wahl von σ ist. Ist τ ein weiterer Weg von y0 nach y, dann ist f ◦ (στ̄ ) = (f ◦ σ)(f ◦ τ ) eine Schleife bei x0 , die sich wegen f∗ (π1 (Y, y0)) ⊆ p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) und Proposition II.3.11(ii) zu einer Schleife bei x̃0 liften lässt. Es müssen daher die Endpunkte von f] ◦ σ und f] ◦ τ übereinstimmen, (f] ◦ σ)(1) = (f] ◦ τ )(1), und damit ist f˜ ˜ 0 ) = x̃0 . Es bleibt noch die wohldefiniert. Offensichtlich gilt p ◦ f˜ = f und f(y Stetigkeit von f˜ zu verifizieren. Sei dazu y ∈ Y und Ũ eine offene Umgebung von f˜(y), sodass U := π(Ũ) offen und p|Ũ : Ũ → U ein Homöomorphismus ist. Da f stetig und Y lokal wegzusammenhängend ist, existiert eine wegzusammenhängende Umgebung V von y mit f (V ) ⊆ U. Es genügt zu zeigen f˜(V ) ⊆ Ũ . Sei dazu v ∈ V und α ein Weg in V von y nach v. Dann ist σα ein Weg von y0 nach v, und (f] ◦ σ)((p|Ũ )−1 ◦f ◦α) der Lift des Weges f ◦(σα) mit Anfangspunkt x̃0 . Nach De finition von f˜ gilt daher f˜(v) = (f] ◦ σ)((p|Ũ )−1 ◦ f ◦ α) (1) = (p|Ũ )−1 (f (v)) ∈ Ũ . Dies zeigt f˜(V ) ⊆ Ũ , also ist f˜ stetig. II.4.6. Bemerkung. Da p∗ : π1 (X̃, x̃0 ) → π1 (X, x0 ) injektiv ist, siehe Proposition II.3.11(i), ist die Bedingung in Satz II.4.5 äquivalent zu der Forderung, dass sich der Homomorphismus f∗ : π1 (Y, y0 ) → π1 (X, x0 ) über p∗ zu einem Homomorphismus λ : π1 (Y, y0 ) → π1 (X̃, x̃0 ) liften lässt, dh. p∗ ◦ λ = f∗ . Das geometrische Liftungsproblem lässt sich daher genau dann lösen, wenn das entsprechende algebraische Problem lösebar ist: (X̃, x̃0 ) ∃f˜ u (Y, y0 ) u u f u: u / p (X, x0 ) π1 (X̃, x̃0 ) ⇐⇒ ∃λ q π1 (Y, y0 ) q q f∗ q / q8 p∗ π1 (X, x0 ) II.4.7. Beispiel. Für n ≥ 2 und k ∈ N gilt [S n , T k ] = 0, dh. je zwei stetige Abbildung S n → T k sind homotop. Seien dazu f, g : S n → T k stetig. Betrachte die Überlagerung p : Rk → T k aus Beispiel II.2.5. Da S n einfach zusammenhängend ist, folgt aus Satz II.4.5 die Existenz stetiger Abbildungen f˜, g̃ : S n → Rk mit p ◦ f˜ = f und p ◦ g̃ = g. Da Rk kontrahierbar ist, sind f˜ und g̃ homotop. Damit müssen auch f und g homotop sein. II.4. LIFTEN VON ABBILDUNGEN 81 II.4.8. Beispiel. Für n ≥ 2 und k ∈ N gilt [RPn , T k ] = 0, dh. je zwei stetige Abbildungen RPn → T k sind homotop. Wir betrachten wieder die Überlagerung p : Rk → T k . Da π1 (RPn ) ∼ = Zk , siehe = Z2 , siehe Proposition I.5.18, und π1 (T k ) ∼ Beispiel I.2.16, ist jeder Homomorphismus π1 (RPn ) → π1 (T k ) trivial. Sind also f, g : RPn → T k stetig, dann existieren f˜, g̃ : RPn → Rk mit p ◦ f˜ = f und p ◦ g̃ = g, siehe Satz II.4.5. Da Rk kontrahierbar ist, sind f˜ und g̃ homotop, also müssen auch f und g homotop sein. Wir nennen eine Überlagerung p : X̃ → X (weg)zusammenhängend, falls X̃ (weg)zusammenhängend ist. Als stetiges Bild von X̃ muss dann auch X (weg)zusammenhängend sein. Wenn wir im Folgenden von einer zusammenhängenden Überlagerung p : X̃ → X eines lokal wegzusammenhängenden Raumes X sprechen dann impliziert dies, dass X und X̃ beide wegzusammenhängend und lokal wegzusammenhängend sind, siehe die Bemerkungen II.4.1 und II.4.2. II.4.9. Korollar. Zwei zusammenhängende punktierte Überlagerungen eines lokal wegzusammenhängenden punktierten Raums sind genau dann isomorph, wenn ihre charakteristischen Untergruppen übereinstimmen. In diesem Fall gibt es genau einen Isomorphismus punktierter Überlagerungen zwischen ihnen. Beweis. Seien q : (Ỹ , ỹ0 ) → (X, x0 ) und p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) zwei zusammenhängende Überlagerungen von X. Existiert ein Isomorphismus punktierter Überlagerungen ϕ : (Ỹ , ỹ0 ) → (X̃, x̃0 ), dann müssen die charakteristischen Untergruppen übereinstimmen, siehe Bemerkung II.3.10. Da der Isomorphismus ϕ als Lift der Abbildung q über p interpretiert werden kann, folgt die Eindeutigkeit des Isomorphismus aus Proposition II.3.1. Ist andererseits p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) = q∗ (π1 (Ỹ , ỹ0)) dann folgt aus Satz II.4.5, dass p̃ p und q zu Abbildungen punktierter Räume (X̃, x̃0 ) m (Ỹ , ỹ0 ) JJ p̃ : (X̃, x̃0 ) → (Ỹ , ỹ0 ) und q̃ : (Ỹ , ỹ0 ) → t q̃ JJ t t JJ tt (X̃, x̃0 ) gelifted werden können: Es ist dann p JJJ tt q t zt % q̃ −1 ◦ p̃ ein Automorphismus der punktierten (X, x0 ) Überlagerung p, und wegen der Eindeutigkeit solcher Automorphismen, siehe Proposition II.3.1, muss q̃ −1 ◦ p̃ = idX̃ gelten. Ebenso folgt p̃−1 ◦ q̃ = idỸ . Also ist p̃ ein Homöomorphismus und damit der gesuchte Isomorphismus punktierter Überlagerungen. II.4.10. Korollar. Es sei X ein einfach zusammenhängender und lokal wegzusammenhängender Raum. Dann ist jede zusammenhängende Überlagerung von X zu der trivialen ein-blättrigen Überlagerung idX : X → X isomorph. Weiters ist jede Überlagerung von X trivial. Beweis. Die erste Aussage folgt sofort aus Korollar II.4.9. Sei nun p : X̃ → X eine nicht notwendigerweise zusammenhängende Überlagerung. Es bezeichnen X̃λ , λ ∈ Λ, die Wegzusammenhangskomponenten von X̃ und pλ := p|X̃λ : X̃λ → X. Aus dem Wegzusammenhang von X und Korollar II.3.6 folgt, dass jedes 82 II. ÜBERLAGERUNGEN pλ : X̃λ → X surjektiv ist. Ist U eine wegzusammenhängende offene Teilmenge die von p gleichmäßig überlagert wird, dann wird diese auch von pλ gleichmäßig überlagert. Also ist jedes pλ : X̃λ → X eine zusammenhängende Überlagerung, und daher ein Homöomorphismus. Es folgt X̃ ∼ = X × Λ, also ist p : X̃ → X eine triviale Überlagerung. II.4.11. Korollar. Es sei p : X̃ → X eine zusammenhängende Überlagerung eines lokal wegzusammenhängenden Raumes X. Weiters seien x0 ∈ X und x̃0 , x̃1 ∈ Fx0 = p−1 (x0 ). Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent: (i) Es existiert eine Decktransformation ϕ ∈ Deck(X̃) mit ϕ(x̃0 ) = x̃1 . (ii) Die Untergruppen p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) und p∗ (π1 (X̃, x̃1 ) stimmen überein. (iii) Für ein (und dann jedes) σ ∈ π1 (X, x0 ) mit x̃0 · σ = x̃1 gilt σ ∈ Nπ1(X,x0 ) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) . (iv) Für einen (und dann jeden) Weg f˜ : I → X̃ von x̃0 nach x̃1 liegt [p ◦ f˜] im Normalisator Nπ1(X,x0 ) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) . (v) Zu jeder Schleife f˜ bei x̃0 existiert eine Schleife g̃ bei x̃1 mit p◦ f˜ = p◦ g̃. Beweis. Die Äquivalenz (i)⇔(ii) folgt aus Korollar II.4.9, denn eine Decktransformation mit ϕ(x̃0 ) = x̃1 ist ein Isomorphismus punktierter Überlagerungen ϕ : (X̃, x̃0 ) → (X̃, x̃1 ). Die Äquivalenz (ii)⇔(iii) folgt aus Proposition II.3.11(iv). Die Äquivalenz (iii)⇔(iv) ist offensichtlich. Die Äquivalenz (ii)⇔(v) folgt aus Proposition II.3.11(ii). II.4.12. Korollar. Es sei p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) eine zusammenhängende punktierte Überlagerung eines lokal wegzusammenhängenden Raumes X. Dann ist (II.5) ein Isomorphismus von Gruppen, Deck(X̃) ∼ = Nπ (X,x ) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )). 1 0 Beweis. Nach Proposition II.3.11(viii) bleibt nur die Surjektivität des Homomorphsimus Φ : Deck(X̃) → Nπ1 (X,x0 ) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) zu zeigen. Sei also σ ∈ Nπ1 (X,x0 ) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) . Nach Korollar II.4.11 existiert eine Decktransformation ϕ mit ϕ(x̃0 ) = x̃0 · σ. Es folgt Φ(ϕ) = σ, also ist Φ surjektiv. II.5. Normale Überlagerungen. Normale Überlagerungen sind Überlagerungen mit maximaler Symmetrie. Genauer haben wir folgende Definition. Eine Überlagerung p : X̃ → X heißt normal, wenn für je zwei Punkte x̃0 , x̃1 ∈ X̃ mit p(x̃0 ) = p(x̃1 ) eine Decktransformation ϕ ∈ Deck(X̃) mit ϕ(x̃0 ) = x̃1 existiert. Eine Überlagerung ist also genau dann normal, wenn die Gruppe der Decktransformationen auf jeder Faser transitiv wirkt. Normale Überlagerungen werden manchmal auch als reguläre Überlagerungen bezeichnet. II.5.1. Proposition. Für eine zusammenhängende Überlagerung p : X̃ → X eines lokal wegzusammenhängenden Raumes X sind äquivalent: (i) p : X̃ → X ist eine normale Überlagerung. II.5. NORMALE ÜBERLAGERUNGEN 83 (ii) Für einen (und dann jeden) Punkt x0 ∈ X wirkt die Gruppe der Decktransformationen Deck(X̃) transitiv auf der Faser Fx0 = p−1 (x0 ). (iii) Für einen (und dann jeden) Punkt x̃0 ∈ X̃ ist die charakteristische Untergruppe p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) ein Normalteiler von π1 (X, p(x̃0 )). ˜ (iv) Zu jeder Schleife f˜ in X̃ und jedem Punkt x̃1 ∈ X̃ mit p(x̃1 ) = p(f(0)) existiert eine Schleife g̃ bei x̃1 mit p ◦ g̃ = p ◦ f˜. In diesem Fall gilt weiters Deck(X̃) ∼ = π1 (X, p(x̃0 ))/p∗ π1 (X̃, x̃0 ), für jedes x̃0 ∈ X̃, und die Blätterzahl von p stimmt mit der Ordnung von Deck(X̃) überein. Beweis. In der Äquivalenz (i)⇔(ii) ist nur zu zeigen, dass wenn Deck(X̃) auf der Faser Fx0 transitiv wirkt dies dann auch für jede andere Faser gilt. Seien dazu ỹ0 und ỹ1 mit p(ỹ0 ) = p(ỹ1 ) und x̃0 ∈ Fx0 beliebig. Wähle einen Weg f˜0 : I → X̃ von f˜0 (0) = ỹ0 nach f˜0 (1) = x̃0 . Weiters bezeichne f˜1 : I → X̃ den eindeutigen Weg mit p ◦ f˜1 = p ◦ f˜0 und f˜1 (0) = ỹ1 , siehe Korollar II.3.6. Es ist dann auch x̃1 := f˜1 (1) ∈ Fx0 , nach Voraussetzung existiert daher eine Decktransformation ϕ mit ϕ(x̃0 ) = x̃1 . Aus der Eindeutigkeitsaussage in Proposition II.3.1 folgt ϕ ◦ f˜0 = f˜1 , denn beide Wege liften den Weg p ◦ f˜0 und sie haben denselben Endpunkt (ϕ ◦ f˜0 )(1) = x̃1 = f˜1 (1). Dann gilt aber auch ϕ(ỹ0 ) = (ϕ ◦ f˜0 )(0) = f˜1 (0) = ỹ1 . Nun zur Implikation (ii)⇒(iii): Sei x̃0 ∈ X̃, x0 := p(x̃0 ) und σ ∈ π1 (X, x0 ). Da die Wirkung der Decktransformationen auf Fx0 transitiv ist, existiert ϕ ∈ Deck(X̃) mit ϕ(x̃0 ) = x̃0 · σ. Nach Korollar II.4.11 ist daher σ ∈ Nπ1(X,x0 ) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) . Da dies für alle σ ∈ π1 (X, x0 ) gilt muss p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) ein Normalteiler von π1 (X, x0 ) sein. Ad (iii)⇒(ii): Seien also x̃0 , x̃1 ∈ Fx0 . Nach Proposition II.3.8 existiert σ ∈ π1 (X, x0 ) mit x̃0 · σ = x̃1 . Da p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) ein Normalteiler von π1 (X, x0 ) ist, gilt insbesondere σ ∈ Nπ1 (X,x0 ) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) . Nach Korollar II.4.11 existiert daher ϕ ∈ Deck(X̃) mit ϕ(x̃0 ) = x̃1 . Also wirkt Deck(X̃) transitiv auf Fx0 . Schließlich folgt die Äquivalenz (iv)⇔(ii) aus Korollar II.4.11. Ist nun p normal und ∼ x̃0 ∈ X̃, dann folgt aus Korollar II.4.12 Deck(X̃) = π1 (X, p(x̃0 ))/p∗ π1 (X̃, x̃0 ), denn Nπ1 (X,p(x̃0 )) p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) = π1 (X, p(x̃0 )) da die charakteristische Untergruppe ein Normalteiler ist. Schließlich ist Deck(X̃) → Fp(x̃0 ) , ϕ 7→ ϕ(x̃0 ), bijektiv, denn Deck(X̃) wirkt frei und transitiv auf Fp(x̃0 ) . Also stimmt die Blätterzahl mit der Ordnung von Deck(X̃) überein. II.5.2. Beispiel. Jede zusammenhängende Überlagerung eines lokal wegzusammenhängenden Raums mit abelscher Fundamentalgruppe ist eine normale Überlagerung, siehe Proposition II.5.1, denn Untergruppen abelscher Gruppen sind stets Normalteiler. II.5.3. Beispiel. Betrachte die normale Überlagerung p : S 1 → S 1 , p(z) := z , n ∈ N. Ihre charakteristische Untergruppe ist nZ ⊆ Z ∼ = π1 (S 1 ). Aus Proposition II.5.1 folgt daher Deck(p) ∼ = Z/nZ = Zn . n 84 II. ÜBERLAGERUNGEN II.5.4. Beispiel. Jede einfach zusammenhängende Überlagerung p : X̃ → X eines lokal wegzusammenhängenden Raums X ist normal, denn die triviale Untergruppe ist stets ein Normalteiler. In diesem Fall gilt weiters Deck(X̃) ∼ = π1 (X), siehe Proposition II.5.1. II.5.5. Beispiel. Wirkt eine diskrete Gruppe G strikt diskontinuierlich von links auf einem topologischen Raum X, dann ist die Orbitprojektion p : X → X/G eine normale Überlagerung, siehe Proposition II.2.3. Ist X zusammenhängend, dann ist der Homomorphismus G → Deck(p), g 7→ λg , ein Isomorphismus. Ist nämlich ϕ eine Decktransformation, x ∈ X beliebig und g ∈ G mit ϕ(x) = gx, dann folgt aus Proposition II.3.2 schon ϕ = λg . Ist darüberhinaus X lokal wegzusammenhämgend, dann gilt G ∼ = π1 (X/G, p(x0 ))/p∗ (π1 (X, x0 )) für je= Deck(p) ∼ des x0 ∈ X, siehe Proposition II.5.1. Ist schließlich X einfach zusammenhängend, dann folgt G ∼ = Deck(p) ∼ = π1 (X/G). II.5.6. Beispiel. Betrachten wir die Überlagerung p : S n → S n /Z2 ∼ = RPn , n ≥ 2, aus Beispiel II.2.7, so erhalten wir π1 (RPn ) ∼ = Deck(p) ∼ = Z2 , siehe Beispiel II.5.5. II.5.7. Beispiel. Betrachte wir die Überlagerung p : S 2n−1 → S 2n−1 /Zp = L(p; q1 , . . . , qn ), n ≥ 2, aus Beispiel II.2.8, dann erhalten wir π1 L(p; q1 , . . . , qn ) ∼ = ∼ Deck(p) = Zp , siehe Beispiel II.5.5. II.5.8. Beispiel. Betrachte wir die Überlagerung p : Rn → Rn /Zn ∼ = T n aus siehe Beispiel II.2.5, so erhalten wir π1 (T n ) ∼ = Zn , siehe Beispiel II.5.5. = Deck(p) ∼ II.5.9. Beispiel. Betrachten wir die Überlagerung p : R2 → R2 /(Z ⋊ Z) ∼ =K ∼ ∼ aus Beispiel II.2.9, so erhalten wir π1 (K) = Deck(p) = Z⋊Z, siehe Beispiel II.5.5. II.5.10. Beispiel. Es bezeichne A : S 3 → S 3 die Antipodalabbildung, A(x) := −x. Die Abbildung A × A : S 3 × S 3 → S 3 × S 3 definiert eine freie Z2 -Wirkung auf S 3 × S 3 . Es gilt (S 3 × S 3 )/Z2 ∼ = SO4 . Mit Hilfe von Beispiel II.5.5 erhalten wir daher π1 (SO4 ) ∼ = Z2 , vgl. Proposition I.6.10. II.5.11. Beispiel (Poincarés Homologie Sphäre). Es bezeichne K ⊆ R3 einen Ikosaeder mit Mittelpunkt 0 ∈ R3 . Weiters bezeichne G ⊆ SO3 die Gruppe der Orientierungs bewahrenden Symmetrien von K, dh. jene A ∈ SO3 mit A(K) = K. Diese Gruppe wird als Ikosaeder Gruppe bezeichnet und ist zur Alternierenden Gruppe A5 = {σ ∈ S5 : sign(σ) = 1} isomorph, G ∼ = A5 . Gruppenmultiplikation liefert eine strikt diskontinuierliche Linkswirkung von G auf SO3 . Unter der Poincaré Homologie Sphäre verstehen wir den Raum (Mannigfaltigkeit) M := SO3 /A5. Es bezeichne nun p : S 3 → SO3 die universelle Überlagerung aus Beispiel I.6.7. Es ist dann G̃ := p−1 (G) eine Untergruppe von S 3 , denn p ist ein Gruppenhomomorphismus. Die Gruppe G̃ wird die binäre Ikosaeder Gruppe genannt. Da p eine zwei-blättrige Überlagerung ist, gilt ♯G̃ = 2♯G = 2♯A5 = 120, G̃ ist jedoch nicht zur symmetrischen Gruppe isomorph, G̃ ∼ 6= S5 . Multiplikation II.6. KONSTRUKTION VON ÜBERLAGERUNGEN 85 liefert eine strikt diskontinuierliche Linkswirkung von G̃ auf S 3 . Offensichtlich induziert p einen Homöomorphismus S 3 /G̃ ∼ = SO3 /G = M. Aus Beispiel II.5.5 ∼ folgt daher π1 (M) = G̃, insbesondere kann M nicht homöomorph zu S 3 sein. Weiters haben wir π1 (M) ∼ = hs, t | (st)2 , s3 , t5 i, für die Abelisierung folgt = G̃ ∼ daher π1 (M)ab ∼ = hs, t | (st)2 , s3 , t5 , sts−1 t−1 i = 0 = π1 (S 3 )ab . II.6. Konstruktion von Überlagerungen. Sei (X, x0 ) ein zusammenhängender und lokal wegzusammenhängender punktierter Raum. Wir haben im letzten Abschnitt gesehen, dass zusammenhängende punktierte Überlagerungen von (X, x0 ), bis auf Isomorphie, durch ihre charakteristische Untergruppe bestimmt sind, siehe Korollar II.4.9. Es stellt sich nun die Frage, ob jede Untergruppe von π1 (X, x0 ) als charakteristische Untergruppe einer punktierten Überlagerung von (X, x0 ) auftritt. Beispielsweise ist π1 (X, x0 ) die charakteristische Untergruppe der trivialen Überlagerung idX : (X, x0 ) → (X, x0 ). Das andere Extrem wäre eine Überlagerung p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) mit trivialer charakteristischer Untergruppe. Da p∗ : π1 (X̃, x̃0 ) → π1 (X, x0 ) stets injektiv ist, siehe Proposition II.3.11(i), ist dies genau dann der Fall wenn X̃ einfach zusammenhängend ist. Eine solche Überlagerung wird universell genannt. II.6.1. Definition (Universelle Überlagerung). Eine Überlagerung p : X̃ → X eines zusammenhängenden und lokal wegzusammenhängenden Raums X wird universell genannt, falls X̃ einfach zusammenhängend ist. II.6.2. Bemerkung. Ein zusammenhängender und lokal wegzusammenhängender Raum besitzt, bis auf Isomorphie, höchstens eine universelle Überlagerung X̃ → X, siehe Korollar II.4.9. Wir sprechen daher von der universellen Überlagerung. Eine weitere schwache Zusammenhangseigenschaft der Basis stellt die Existenz einer universellen Überlagerungen sicher, siehe Satz II.6.9 unten. Universelle Überlagerungen sind stets normal, und es gilt Deck(X̃) ∼ = π1 (X), siehe Beispiel II.5.4. II.6.3. Beispiel. Die Abbildung R → S 1 aus Beispiel II.2.4 ist die universelle Überlagerung des Kreises. Ebenso ist Rn → T n , siehe Beispiel II.2.5, die universelle Überlagerung des Torus. Die Quotientenabbildung S n → RPn aus Beispiel II.2.7, ist die universelle Überlagerung des projektiven Raums, n ≥ 2. Ebenso ist die Quotientenabbildung S 2n−1 → L(p; q1 , . . . , qn ), siehe Beispiel II.2.8, die universelle Überlagerung des Linsenraums, n ≥ 2. Die Abbildung R2 → R2 /(Z ⋊ Z) ∼ = K aus Beispiel II.2.9 ist die universelle Überlagerung der Kleinschen Flasche. Die Abbildung S 3 → SO3 aus Beispiel I.6.7 ist die universelle Überlagerung von SO3 . Die Abbildung S 3 × S 3 → SO4 aus Beispiel II.5.10 ist die universelle Überlagerung von SO4 . II.6.4. Bemerkung. Es sei p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) eine punktierte universelle Überlagerung eines lokal wegzusammenhängenden Raums X. Weiters sei H ⊆ π1 (X, x0 ) eine Untergruppe. Es bezeichne Φ : Deck(X̃) → π1 (X, x0 ) den 86 II. ÜBERLAGERUNGEN durch ϕ(x̃0 ) = x̃0 · Φ(ϕ) gegebenen Isomorphismus. Dann definiert h · x̃ := Φ−1 (h)(x̃) eine strikt diskontinuierlich Linkswirkung von H auf X̃, siehe Proposition II.3.2. Also ist die Orbitprojektion p̃ : (X̃, x̃0 ) → (X̃/H, ỹ0 ) eine (universelle) Überlagerung, wobei ỹ0 := p̃(x̃0 ), siehe Proposition II.2.3. Die Abbildung p faktorisiert zu einer surjektiven stetigen Abbildung (X̃, x̃0 ) q : (X̃/H, ỹ0) → (X, x0 ), dh. q ◦ p̃ = p. Dieses q ist NNNp̃ NNN eine Überlagerung, denn jede wegzusammenhängen& p de offene Teilmenge U ⊆ X die von p gleichmäßig (X̃/H, ỹ0 ) p p überlagert wird, wird auch von q gleichmäßig überp p wppp q lagert. Für die charakteristische Untergruppe von q (X, x0 ) gilt q∗ (π1 (X̃/H, ỹ0)) = H. Betrachte dazu eine Schleife f : I → X bei x0 und ihren Lift f˜ : I → X̃ mit f˜(0) = x̃0 . Dann ist p̃ ◦ f˜ : I → X̃/H der Lift von f über q mit Anfangspunkt (p̃ ◦ f˜)(0) = ỹ0 . Dieser Lift ist genau dann geschlossen, wenn x̃0 · [f ] = f˜(1) ∈ p̃−1 (ỹ0 ) = H · x̃0 = x̃0 · H liegt, und dies ist genau dann der Fall wenn [f ] ∈ H, denn die Rechtswirkung von π1 (X, x0 ) auf Fx0 ist frei wegen des einfachen Zusammenhangs von X̃. Aus Proposition II.3.11(ii) folgt daher die Behauptung über die charakteristische Untergruppe von q. II.6.5. Proposition (Universalität der universellen Überlagerung). Es sei p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) eine punktierte universelle Überlagerung des lokal wegzusammenhängenden Raumes X, und es sei q : (Ỹ , ỹ0) → (X, x0 ) eine weitere zusammenhängende Überlagerung. Dann existiert genau eine Abbildung punktierter Räume p̃ : (X̃, x̃0 ) → (Ỹ , ỹ0) mit q ◦ p̃ = p, und diese ist eine Überlagerung. Beweis. Es beizeichne H := q∗ (π1 (ỹ, ỹ0 )) ⊆ π1 (X, x0 ) die charakteristische Untergruppe von q. Nach Korollar II.4.9 ist q zu der punktierten Überlagerung (X̃/H, ỹ0) → (X, x0 ) aus Bemerkung II.6.4 isomorph. O.B.d.A. dürfen wir daher Y = X̃/H annehmen. Die Orbitprojektion p̃ : X̃ → X̃/H ist dann die gesuchte Überlagerung. Es sei p : X̃ → X eine universelle Überlagerung und x0 ∈ X. Dann existieren x̃0 ∈ Fx0 , offene Umgebungen Ũ von x̃0 und U von x0 , sodass p|Ũ : Ũ → U ein Homöomorphismus ist. Die kanonische Inklusion ι : U → X lässt sich dann als Komposition ι = p ◦ (p|Ũ )−1 schreiben. Aus π1 (X̃, x̃0 ) = 0 folgt nun, dass ι∗ = p∗ ◦((p|Ũ )−1 )∗ der triviale Homomorphismus sein muss. Ein Raum kann daher nur dann eine universelle Überlagerung besitzen wenn er folgende Eigenschaft hat: II.6.6. Definition (Semilokal einfach zusammenhängend). Ein topologischer Raum X heißt semilokal einfach zusammenhängend, falls jeder Punkt x0 ∈ X eine Umgebung U besitzt, sodass jede Schleife in U bei x0 , in X nullhomotop ist. In anderen Worten, die kanonische Inklusion U → X induziert den trivialen Homomorphismus π1 (U, x0 ) → π1 (X, x0 ). II.6. KONSTRUKTION VON ÜBERLAGERUNGEN 87 II.6.7. Bemerkung. Jeder lokal kontrahierbare Raum ist semilokal einfach zusammenhängend, vgl. Bemerkung II.4.3. Insbesondere sind topologische Mannigfaltigkeiten semilokal einfach zusammenhängend. Allgemeiner ist jeder lokal einfach zusammenhängende Raum auch semilokal einfach zusammenhängend. Dabei heißt ein Raum lokal einfach zusammenhängend falls jeder Punkt eine Umgebungsbasis aus einfach zusammenhängenden Umgebungen besitzt. Natürlich ist auch jeder einfach zusammenhängende Raum semilokal einfach zusammenhängend. S II.6.8. Beispiel. Der Teilraum X := n∈N {x ∈ R2 : kx − n1 k = n1 } von R2 ist nicht semilokal einfach zusammenhängend, der Punkt 0 ∈ X besitzt keine Umgebung U deren induzierter Homomorphismus π1 (U) → π1 (X) trivial ist. Der Kegel CX is kontrahierbar, also einfach zusammenhängend und damit auch semilokal einfach zusammenhängend, er ist aber nicht lokal einfach zusammenhängend. II.6.9. Satz (Universelle Überlagerung). Es sei X ein zusammenhängender, lokal wegzusammenhängender und semilokal einfach zusammenhängender Raum. Dann existiert eine universelle Überlagerung p : X̃ → X. Beweis. Wir fixieren einen Basispunkt x0 ∈ X, und definieren X̃ als die Menge der Homotopieklassen relativ Endpunkten von Wegen in X mit Anfangspunkt x0 , X̃ := Wege σ : I → X mit Anfangspunkt σ(0) = x0 / ≃ . Ist σ ein Weg mit σ(0) = x0 , dann schreiben wir [σ] ∈ X̃ für die von ihm repräsentierte Äquivalenzklasse. Offensichtlich ist p : X̃ → X, p([σ]) := σ(1) (II.6) eine wohldefinierte Abbildung, die wegen des Wegzusammenhangs von X auch surjektiv ist. Als Basispunkt in X̃ wählen wir die Homotopieklasse des konstanten Weges, x̃0 := [cx0 ]. Dann gilt p(x̃0 ) = x0 . Ist [σ] ∈ X̃ und U ⊆ X offen, dann definieren wir eine Teilmenge Ũ[σ] ⊆ X̃ durch Ũ[σ] := [στ ] ∈ X̃ : τ ein Weg in U mit σ(1) = τ (0) . Wir versehen X̃ mit der gröbsten Topologie, sodass alle diese Mengen Ũ[σ] offen sind. Eine Abbildung f : Z → X̃ ist also genau dann stetig, wenn für jede der Mengen Ũ[σ] das Urbild f −1 (Ũ[σ] ) offen in Z ist. Für [σ] ∈ Ũ[σ1 ] ∩ Ṽ[σ2 ] gilt [σ] ∈ W̃[σ] ⊆ Ũ[σ1 ] ∩ Ṽ[σ2 ] , wobei W := U ∩ V , daher bilden die Mengen Ũ[σ] sogar eine Basis der Topologie auf X̃. Ist γ ein Weg in X mit Anfangspunkt γ(0) = x0 , dann definiert γ̃ : I → X̃, γ̃(t) := [s 7→ γ(ts)], (II.7) 88 II. ÜBERLAGERUNGEN einen Weg in X̃ mit Anfangspunkt γ̃(0) = x̃0 und Endpunkt γ̃(1) = [γ]. Die Stetigkeit von γ̃ lässt sich leicht mit Hilfe der obigen Beschreibung stetiger Abbildungen nach X̃ verifizieren. Weiters gilt offensichtlich p ◦ γ̃ = γ, also ist γ̃ ein Lift von γ. Daraus folgt nun insbesondere, dass der Raum X̃ wegzusammenhängend ist, denn γ̃ verbindet den Basispunkt x̃0 mit [γ]. Die Abbildung (II.6) ist stetig, denn ist [σ] ∈ X̃ und U ⊆ X offen mit p([σ]) ∈ U, dann ist [σ] ∈ Ũ[σ] und Ũ[σ] ⊆ p−1 (U). Wir zeigen als nächstes, dass p : X̃ → X tatsächlich eine Überlagerung ist. Sei dazu x ∈ X. Da X lokal wegzusammenhängend und semilokal einfach zusammenhängend ist, existiert eine wegzusammenhängende offene Umgebung U von x mit der Eigenschaft, dass die Inklusion U → X den trivialen Homomorphismus π1 (U, x) → π1 (X, x) induziert. Es bezeichne Fx = p−1 (x) ⊆ X̃, die Menge der Homotopieklassen von Wegen von x0 nach x. Dann gilt zunächst Ũ[σ1 ] ∩ Ũ[σ2 ] = ∅ falls [σ1 ] 6= [σ2 ] ∈ Fx . (II.8) Um dies einzusehen nehmen wir an es gilt Ũ[σ1 ] ∩ Ũ[σ2 ] 6= ∅. Dann existieren zwei Wege τ1 und τ2 in U mit Anfangspunkt τ1 (0) = x = τ2 (0), sodass σ1 τ1 ≃ σ2 τ2 relative Endpunkten in X. Da π1 (U, x) → π1 (X, x) trivial ist, gilt τ1 τ̄2 ≃ cx relativ Endpunkten in X. Es folgt σ1 ≃ σ1 τ1 τ̄2 ≃ σ2 relative Endpunkten in X, also [σ1 ] = [σ2 ] ∈ X̃. Dies zeigt (II.8). Da U wegzusammenhängend ist, folgt F sofort p−1 (U) = [σ]∈Fx Ũ[σ] . Es bleibt noch zu zeigen, dass für jedes [σ] ∈ Fx p|Ũ[σ] : Ũ[σ] → U (II.9) ein Homöomorphismus ist. Wegen des Wegzusammenhangs von U ist (II.9) surjektiv. Aus der Trivialität von π1 (U, x) → π1 (X, x), folgt die Injektivität von (II.9). Da p stetig ist, bleibt bloß noch zu zeigen, dass (II.9) eine offene Abbildung ist. Sei dazu [γ] ∈ Ũ[σ] und W̃ ⊆ Ũ[σ] offen mit [γ] ∈ W̃ . Dann existiert eine wegzusammenhängende offene Umgebung V von γ(1) mit Ṽ[γ] ⊆ W̃ . Für diese gilt p(Ṽ[γ] ) = V , also ist p(W̃ ) ⊇ V eine Umgebung von p([γ]). Dies zeigt, dass (II.9) eine offene Abbildung, und damit ein Homöomorphismus ist. Daher ist (II.6) tatsächlich eine zusammenhängende Überlagerung. Schließlich ist noch π1 (X̃, x̃0 ) = 0 zu verifizieren. Nach Proposition II.3.11(i) genügt es p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) = 0 zu überprüfen. Sei also γ eine Schleife bei x0 mit [γ] ∈ p∗ (π1 (X̃, x̃0 )). Nach Proposition II.3.11(ii) ist der Lift γ̃, siehe (II.7), ein geschlossener Weg, dh. γ̃(1) = x̃0 . Da γ̃(1) = [γ], bedeutet dies aber gerade, dass [γ] = 1 ∈ π1 (X, x0 ). Also ist jedes Element in p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) trivial und daher p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) = 0. Damit ist der Beweis des Satzes vollständig. II.6.10. Korollar. Es sei (X, x0 ) ein zusammenhängender, lokal wegzusammenhängender, semilokal einfach zusammenhängender punktierter Raum, und II.7. DARSTELLUNGEN DER FUNDAMENTALGRUPPE 89 H ⊆ π1 (X, x0 ) eine Untergruppe. Dann existiert eine zusammenhängende punktierte Überlagerung p : (X̃, x̃0 ) → (X, x0 ) mit charakteristischer Untergruppe p∗ (π1 (X̃, x̃0 )) = H. Beweis. Dies folgt aus Satz II.6.9 und Bemerkung II.6.4. Aus Korollar II.4.9 und Korollar II.6.10 erhalten wir nun folgende vollständige Klassifikation der zusammenhängenden punktierten Überlagerungen eines hinreichend zusammenhängenden punktierten Raums. II.6.11. Korollar (Klassifikation punktierter Überlagerungen). Sei (X, x0 ) ein zusammenhängender, lokal wegzusammenhängender und semilokal einfach zusammenhängender punktierter Raum. Die Korrespondenz die jeder zusammenhängenden punktierten Überlagerung von (X, x0 ) ihre charakteristische Untergruppe zuordnet, definiert eine Bijektion zwischen den Isomorphieklassen zusammenhängender punktierter Überlagerungen von (X, x0 ) und den Untergruppen von π1 (X, x0 ). Ist p : X̃ → X eine wegzusammenhängende Überlagerung und x0 ∈ X, dann sind die charakteristischen Untergruppen p∗ (π1 (X̃, x̃0 )), x̃0 ∈ Fx0 = p−1 (x0 ), alle konjugiert in π1 (X, x0 ), siehe Proposition II.3.11(vi). Die Konjugationsklasse der charakteristischen Untergruppe ist daher auch ohne Basispunkt in X̃ wohldefiniert. Aus Korollar II.6.11 und Proposition II.3.11(vii) erhalten wir folgende vollständige Klassifikation der zusammenhängenden Überlagerungen eines hinreichend zusammenhängenden Raums. II.6.12. Korollar (Klassifikation von Überlagerungen). Es sei X ein zusammenhängender, lokal wegzusammenhängender, semilokal einfach zusammenhängender Raum, und x0 ∈ X. Die Korrespondenz die jeder zusammenhängenden Überlagerung von X die Konjugationsklasse ihrer charakteristische Untergruppe zuordnet, definiert eine Bijektion zwischen den Isomorphieklassen zusammenhängender Überlagerungen von X und den Konjugationsklassen von Untergruppen in π1 (X, x0 ). II.7. Darstellungen der Fundamentalgruppe. Wir wollen in diesem Abschnitt eine etwas andere Klassifikation der Überlagerungen diskutieren. Diese liefert eine genaue Beschreibung aller, nicht notwendigerweise zusammenhängenden, Überlagerungen eines hinreichend zusammenhängenden Raums. Wir erinnern uns, siehe Proposition II.3.8, dass jede Überlagerung p : X̃ → X eine Rechtswirkung der Fundamentalgruppe π1 (X, x0 ) auf der Faser p−1 (x0 ) definiert, wobei x0 ∈ X ein beliebiger Basispunkt ist. Ist ϕ : X̃ → Ỹ ein Isomorphismus von Überlagerungen, q : Ỹ → X, dann liefert die Einschränkung von ϕ eine äquivariante Bijektion ϕ0 := ϕ|p−1(x0 ) : p−1 (x0 ) → q −1 (x0 ), dh. ϕ0 (x̃0 · σ) = ϕ0 (x̃0 ) · σ, für alle x̃0 ∈ p−1 (x0 ) und alle σ ∈ π1 (X, x0 ). Ist nämlich 90 II. ÜBERLAGERUNGEN f : I → X eine Schleife bei x0 und f˜ : I → X̃ der Lift über p mit Anfangspunkt f˜(0) = x̃0 , dann ist ϕ ◦ f˜ : I → Ỹ der Lift von f über q mit Anfangspunkt (ϕ ◦ f˜)(0) = ϕ0 (x̃0 ) woraus sofort die Äquivarianz von ϕ0 folgt, denn ϕ0 (x̃0 ) · [f ] = (ϕ ◦ f˜)(1) = ϕ0 (f˜(1)) = ϕ0 (x̃0 · [f ]). Wir nennen zwei Rechtswirkungen ρi : Si × G → Si , i = 1, 2, einer Gruppe G äquivalent falls eine äquivariante Bijektion ϕ : S1 → S2 exstiert, dh. ϕ(s · g) = ϕ(s) · g, für alle s ∈ S1 und alle g ∈ G. Isomorphe Überlagerungen liefern daher äquivalenten Rechtswirkungen der Fundamentalgruppe. II.7.1. Satz. Es sei X ein zusammenhängender, lokal wegzusammenhängender und semilokal einfach zusammenhängender Raum und x0 ∈ X. Ordnen wir einer Überlagerung p : X̃ → X die Rechtswirkung der Fundamentalgruppe π1 (X, x0 ) auf der Faser p−1 (x0 ) zu, so erhalten wir eine bijektive Korrespondenz zwischen der Menge der Isomorphieklassen von Überlagerungen von X und den Äquivalenzklassen von Rechtswirkungen von π1 (X, x0 ). Beweis. Zu einer gegebenen Rechtswirkung von π1 (X, x0 ) auf einer Menge S konstruieren wir zunächst eine Überlagerung p : X̃ → X, sodass die auf p−1 (x0 ) induzierte Rechtswirkung von π1 (X, x0 ) äquivalent zu der gegebenen Wirkung auf S ist. Es bezeichne dazu q : Ỹ → X die universelle Überlagerung von X, siehe Satz II.6.9. Wähle ỹ0 ∈ Ỹ mit q(ỹ0 ) = x0 , und bezeichne mit Φ : Deck(Ỹ ) → π1 (X, x0 ) den duch ϕ(ỹ0 ) = ỹ0 · Φ(ϕ) gegebenen Isomorphismus. Auf Ỹ × S betrachten wir die Linkswirkung σ · (ỹ, s) := Φ−1 (σ)(ỹ), s · (σ −1 ) , (ỹ, s) ∈ Ỹ × S, σ ∈ π1 (X, x0 ). Es bezeichne X̃ := (Ỹ × S)/π1 (X, x0 ) den Orbitraum, und p : X̃ → X die durch p([ỹ, s]) := q(ỹ) definierte Abbildung. Beachte, dass p wohldefiniert, stetig und surjektiv ist. Tatsächlich ist p eine Überlagerung, denn jede wegzusammenhängende offene Teilmenge in X die von q gleichmäßig überlagert wird, wird auch von p gleichmäßig überlagert, siehe Proposition II.1.5. Die Abbildung ϕ : S → p−1 (x0 ), ϕ(s) := [ỹ0 , s] ist eine Bijektion, denn die Wirkung von π1 (X, x0 ) auf q −1 (x0 ) ist frei und transitiv. Sei nun f : I → X eine Schleife bei x0 , und f˜ : I → Ỹ der Lift mit Anfangspunkt f˜(0) = ỹ0 . Zu gegebenem s ∈ S ist dann I → X̃, t 7→ [f˜(t), s], ein Lift von−1f über p mit Anfangspunkt ˜ ϕ(s). Es folgt ϕ(s) · [f ] = [f (1), s] = ỹ0 · [f ], s = Φ ([f ])(ỹ0), s = ỹ0 , s · [f ] = ϕ(s·[f ]). Also ist ϕ : S → p−1 (x0 ) eine äquivariante Bijektion. Bis auf Äquivalenz erhalten wir also jede Rechtswirkung von π1 (X, x0 ) aus einer Überlagerung von X, dh. die Korrespondenz ist surjektiv. Nun zur Injektivität der Korrespondenz: Es sei p : X̃ → X eine Überlagerung und es bezeichnen F := p−1 (x0 ) die Faser über x0 versehen mit der üblichen Rechtswirkung von π1 (X, x0 ). Es genügt zu zeigen, dass die oben konstruierte Überlagerung (Ỹ × F )/π1 (X, x0 ) → X isomorph zu der Überlagerung p : X̃ → X ist. Wir definieren eine Abbildung ϕ̃ : Ỹ × F → X̃ wie folgt. Sind ỹ ∈ Ỹ , und x̃0 ∈ F , dann wählen wir einen Weg f : I → Ỹ von f (0) = ỹ0 nach f (1) = ỹ II.7. DARSTELLUNGEN DER FUNDAMENTALGRUPPE 91 ^ und bezeichnen mit (q ◦ f )x̃0 den eindeutigen Lift des Weges q ◦ f : I → X mit Anfangspunkt x̃0 . Auf Grund des einfachen Zusammenhangs von Ỹ ist der ^ Endpunkt ϕ̃(ỹ, x̃0 ) := (q ◦ f )x̃0 (1) unabhängig von der Wahl von f . Ist σ ∈ −1 π1 (X, x0 ) dann gilt ϕ̃ Φ (σ)ỹ, x̃0 · (σ −1 ) = ϕ̃(ỹ, x̃0 ), also faktorisiert ϕ̃ zu einer Abbildung ϕ : (Ỹ × F )/π1 (X, x0 ) → X̃. Es lässt sich nun leicht verifizieren, dass ϕ ein Isomorphismus von Überlagerungen ist. II.7.2. Bemerkung. Es sei X ein zusammenhängender, lokal wegzusammenhängender und semilokal einfach zusammenhängender Raum, x0 ∈ X, ρ eine Rechtswirkung von π1 (X, x0 ) auf einer Menge S und p : X̃ → X die entsprechende Überlagerung, siehe Satz II.7.1. Es ist dann X̃ zusammenhängend genau dann, wenn ρ transitiv ist. In diesem Fall stimmt die Konjugationsklasse der Charakteristischen Untergruppe von p mit der Konjugationsklasse der Isotropiegruppe {σ ∈ π1 (X, x0 ) : s · σ = s} überein, wobei s ∈ S beliebig ist.24 Insbesondere ist p genau dann universell, wenn die Wirkung ρ transitiv und frei ist. Im transitiven (zusammenhängenden) Fall ist p genau dann eine normale Überlagerung, wenn eine (und dann jede) Isotropiegruppe {σ ∈ π1 (X, x0 ) : s · σ = s} einen Normalteiler in π1 (X, x0 ) bildet. II.7.3. Bemerkung. Es sei G eine Gruppe und S eine Menge. Jeder Rechtswirkung ρ von G auf S können wir eine Linkswirkung λ von G auf S zuordnen, λ(g, s) := ρ(s, g −1 ). Offensichtlich liefert dies eine Bijektion zwischen den Linkswirkungen von G auf S und den Rechtswirkungen von G auf S. Eine Linkswirkung von G auf S ist aber nichts anderes als ein Homomorphismus G → S(S). Aus Satz II.7.1 erhalten wir daher eine bijektive Korrespondenz zwischen Isomorphieklassen von Überlagerungen eines Raums (X, x0 ) und Äquivalenzklassen von Homomorphismen π1 (X, x0 ) → S(S). Dabei sind zwei Homomorphismen λi : π1 (X, x0 ) → S(Si ), i = 1, 2, äquivalent, wenn eine Bijektion ϕ : S1 → S2 existiert, sodass ϕ ◦ λ1 (σ) ◦ ϕ−1 = λ2 (σ), für alle σ ∈ π1 (X, x0 ). Wollen wir alle Überlagerungen von (X, x0 ) mit vorgegebener Blätterzahl bestimmen, genügt es daher eine Menge S gegebener Kardinalität zu wählen und alle Äquivalenzklassen von Homomorphismen π1 (X, x0 ) → S(S) zu bestimmen. Dabei sind zwei Homomorphismen λ1 , λ2 : π1 (X, x0 ) → S(S) äquivalent, falls τ ∈ S(S) existiert, sodass τ ◦ λ1 (σ) ◦ τ −1 = λ2 (σ), für alle σ ∈ π1 (X, x0 ). II.7.4. Beispiel. Wir wollen alle zwei-fachen Überlagerungen von S 1 ∨ S 1 bestimmen. Diese stehen in bijektiver Korrespondenz mit Äquivalenzklassen von Homomorphismen π1 (S 1 ∨ S 1 ) → S2 := S({1, 2}), siehe Bemerkung II.7.3. Da S2 ∼ = Z2 abelsch ist, sind zwei solche Homomorphismen nur dann äquivalent wenn sie übereinstimmen. Da π1 (S 1 ∨S 1 ) ∼ = ha, b | −i stehen diese Homomorphismen in bijektiver Korrespondenz mit S2 × S2 , dabei entspricht einem Homomorphismus 24In diesem Fall sind die Isotropiegruppen von s ∈ S alle konjugiert. 92 II. ÜBERLAGERUNGEN ϕ : ha, b | −i → S2 das Paar ϕ(a), ϕ(b) ∈ S2 × S2 .25 Es gibt daher genau vier (Äquivalenzklassen von) Homomorphismen π1 (S 1 ∨ S 1 ) → S2 , und damit genau vier Isomorphieklassen zwei-blättriger Überlagerungen von S 1 ∨ S 1 . Bis auf eine sind sie alle zusammenhängend. II.7.5. Beispiel. Wir wollen alle drei-fachen Überlagerungen von S 1 ∨ S 1 bestimmen. Diese stehen in bijektiver Korrespondenz mit Äquivalenzklassen von Homomorphismen π1 (S 1 ∨ S 1 ) → S3 := S({1, 2, 3}). Da π1 (S 1 ∨ S 1 ) ∼ = ha, b | −i, stehen diese Homomorphismen in bijektiver Korrespondenz mit S3 × S3 , einem Homomorphismus ϕ entspricht dabei das Paar (ϕ(a), ϕ(b)). Mit wenig Aufwand lässt sich folgende Liste verifizieren, sie enthält aus jeder Äquivalenzklasse von Homomorphismen (Paaren) genau einen Repräsentanten.26 ϕ(a) ϕ(b) zush. () () () (12) (12) (12) (12) (123) (123) (123) (123) () (12) (123) () (12) (13) (123) () (12) (123) (132) nein nein ja nein nein ja ja ja ja ja ja Es gibt daher genau 11 drei-fache Überlagerungen von S 1 ∨ S 1 , und 7 davon sind zusammenhängend. II.7.6. Beispiel. Wir wollen alle drei-fachen Überlagerungen der Kleinschen Flasche K bestimmen. Wir erinnern uns, dass π1 (K) ∼ = ha, b | a2 b−2 i, siehe Beispiel I.7.3. Wieder genügt es die Äquivalenzklassen von Homomorphismen hab | a2 b−2 i → S3 zu bestimmen. Die Zuordnung ϕ 7→ (ϕ(a), ϕ(b)) liefert eine Bijektion von der Menge der Homomorphismen hab | a2 b−2 i → S3 auf die Menge der Paare (σ, τ ) ∈ S3 × S3 mit σ 2 = τ 2 . Folgende Liste enthält aus jeder Äquivalenzklasse von Homomorphismen (Paaren) genau einen Repräsentanten. ϕ(a) ϕ(b) zush. () () (12) (12) (12) (123) () (12) () (12) (13) (123) nein nein nein nein ja ja Es gibt daher, bis auf Isomorphie, genau sechs drei-blättrige Überlagerungen der Kleinschen Flasche, und zwei davon sind zusammenhängend. II.8. Überlagerungen topologischer Gruppen. Wir wollen diesen Abschnitt mit zwei Anwendungen des Liftungskriteriums abschließen, siehe Proposition II.8.1 und Proposition II.8.2. In beiden Fällen werden topologische bzw. geometrische Strukturen von der Basis auf den Totalraum geliftet. II.8.1. Proposition (Überlagerungen von H-Räumen). Es sei p : (X̃, ẽ) → (X, e) eine zusammenhängende punktierte Überlagerung eines lokal wegzusammenhängenden H-Raums mit Multiplikation µ : (X, e) × (X, e) → (X, e). Dann 25Dies folgt aus der Tatsache, dass wir einen Homomorphimus ha, b | −i auf den Erzeugern a und b beliebig vorgeben können und er dadurch schon vollständig festgelegt ist. 26Wir verwenden hier die übliche Zyklenschreibweise für Elemente in S . Etwa bezeich3 net (12) die Transposition von 1 und 2, (123) bezeichnet eine zyklische Permutation, und () bezeichnet die identische Permutation. II.8. ÜBERLAGERUNGEN TOPOLOGISCHER GRUPPEN 93 existiert genau eine Abbildung punktierter Räume µ̃ : (X̃, ẽ) × (X̃, ẽ) → (X̃, ẽ) mit p ◦ µ̃ = µ ◦ (p × p), und diese macht (X̃, ẽ) zu einem H-Raum. Beweis. Für den von µ ◦ (p × p) : (X̃, ẽ) × (X̃, ẽ)→ (X, e) induzierten Homomorphismus gilt (µ ◦ (p × p))∗ π1 (X̃, ẽ) × (X̃, ẽ) = µ∗ p∗ (π1 (X̃, ẽ)) × p∗ (π1 (X̃, ẽ)) = p∗ (π1 (X̃, ẽ)), denn µ∗ ist die Multiplikation in π1 (X, e), siehe Satz I.6.19, und p∗ (π1 (X̃, ẽ)) ist eine Untergrup∃!µ̃ pe. Nach Satz II.4.5 existiert daher eine eindeu(X̃, ẽ) × (X̃, ẽ) _ _ _/ (X̃, ẽ) tige Abbildung punktierter Räume µ̃ : (X̃, ẽ) × p p×p (X̃, ẽ) → (X̃, ẽ) mit p ◦ µ̃ = µ ◦ (p × p). Sei nun µ / (X, e) H : X × I → X eine Homotopie relativ Basis(X, e) × (X, e) punkt e von H0 = idX nach H1 = µ ◦ (idX , ce ). Dann ist G := H ◦ (p × idI ) : X̃ × I → X eine Homotopie relativ Basispunkt ẽ von G0 = p nach G1 = µ ◦ (idX , ce ) ◦ p. Nach Satz II.3.3 existiert eine Homotopie G̃ : X̃ ×I → X̃ mit p◦ G̃ = G und G̃0 = idX̃ . Da t 7→ p(G̃(ẽ, t)) = G(ẽ, t) = ẽ muss auch t 7→ G̃(ẽ, t) konstant in t sein, also ist G̃ eine Homotopie relativ Basispunkt ẽ. Da p◦ µ̃◦(idX̃ , cẽ ) = µ◦(p×p)◦(idX̃ , cẽ ) = µ◦(p, p◦cẽ) = µ◦(idX , ce )◦p = p◦ G̃1 folgt µ̃ ◦ (idX̃ , cẽ ) = G̃1 , denn die beiden Abbildungen stimmen bei ẽ überein, siehe Proposition II.3.1. Damit ist G̃ eine Homotopie relativ Basisunkt von idX̃ nach µ̃ ◦ (idX̃ , cẽ ). Ebenso lässt sich idX̃ ≃ µ̃ ◦ (cẽ , idX̃ ) zeigen. Also ist (X̃, ẽ) ein H-Raum. II.8.2. Proposition (Überlagerungen topologischer Gruppen). Es sei p : G̃ → G eine zusammenhängende Überlagerung einer lokal wegzusammenhängenden topologischen Gruppe G mit neutralem Element e. Weiters sei ẽ ∈ G̃ mit p(ẽ) = e. Dann gibt es auf G̃ genau eine Gruppenstruktur mit neutralem Element ẽ, die G̃ zu einer topologischen Gruppe und p : G̃ → G zu einem Homomorphismus macht. Ist G abelsch, dann auch G̃. Beweis. Nach Proposition II.8.1 gibt es genau eine stetige Abbildung µ̃ : G̃ × G̃ → G̃ mit p ◦ µ̃ = µ ◦ (p × p) und µ̃(ẽ, ẽ) = ẽ, wobei µ : G × G → G die Multiplikation in G bezeichnet. Insbesondere ist damit die Eindeutigkeitsaussage gezeigt. Da die Multiplikation µ assotiativ ist, dh. µ ◦ (µ × idG ) = µ ◦ (id G ×µ), folgt p ◦ µ̃ ◦ (µ̃ × idG̃ ) = µ ◦ (p × p) ◦ (µ̃ × idG̃ ) = µ ◦ (p ◦ µ̃) × p = µ ◦ (µ ◦ (p × p)) × p = µ ◦ (µ × idG ) ◦ (p × p × p) = µ ◦ (idG ×µ) ◦ (p × p × p) = µ ◦ p × (µ ◦ (p × p)) = µ ◦ p × (p ◦ µ̃) = µ ◦ (p × p) ◦ (idG̃ ×µ̃) = p ◦ µ̃ ◦ (idG̃ ×µ̃) also liften µ̃ ◦ (µ̃ × idG̃ ) und µ̃ ◦ (idG̃ ×µ̃) dieselbe Abbildung G̃ × G̃ × G̃ → G. Wir erhalten µ̃ ◦ (µ̃ × idG̃ ) = µ̃ ◦ (idG̃ ×µ̃), denn die beiden Abbildungen stimmen beim Punkt (ẽ, ẽ, ẽ) überein, siehe Proposition II.3.1. Damit ist µ̃ eine assotiative Multiplikation. Da e neutrales Element von G, dh. µ ◦ (ce , idG ) = idG , folgt p ◦ µ̃ ◦ (cẽ , idG̃ ) = µ ◦ (p × p) ◦ (cẽ, idG̃ ) = µ ◦ (p ◦ cẽ, p) = µ ◦ (ce , idG ) ◦ p = idG ◦p = p ◦ idG̃ , also liften 94 II. ÜBERLAGERUNGEN µ̃ ◦ (cẽ , idG̃ ) und idG̃ dieselbe Abbildung G̃ → G. Wir erhalten µ̃ ◦ (cẽ , idG̃ ) = idG̃ , denn die beiden Abbildungen stimmen beim Punkt ẽ überein. Damit ist ẽ linksneutrales Element der Multiplikation µ̃. Analog lässt sich zeigen, dass ẽ auch rechts-neutrales Element von µ̃ ist. Es bezeichne κ : G × G → G × G, κ(g, h) := (h, g), und κ̃ : G̃ × G̃ → G̃ × G̃, κ̃(g̃, h̃) = (h̃, g̃). Ist G kommutativ, dann gilt µ ◦ κ = µ und es folgt p ◦ µ̃ ◦ κ̃ = µ ◦ (p × p) ◦ κ̃ = µ ◦ κ ◦ (p × p) = µ ◦ (p × p) = p ◦ µ̃, also liften µ̃ ◦ κ̃ und µ̃ dieselbe Abbildung G̃ × G̃ → G. Wir erhalten µ̃ ◦ κ̃ = µ̃, denn die beiden Abbildungen stimmen beim Punkt (ẽ, ẽ) überein. Damit ist auch G̃ kommutativ. Es bezeichne nun ν : G → G die Inversion, ν(g) = g −1. Für den von ν ◦ p : (G̃, ẽ) → (G, e) induzierten Homomorphismus gilt (ν ◦ p)∗ (π1 (G̃, ẽ)) = ν∗ (p∗ (π1 (G̃, ẽ))) = p∗ (π1 (G̃, ẽ)), denn p∗ (π1 (G̃, ẽ)) ist eine Untergruppe und ν∗ ist die Inversion in π1 (G, e), siehe Korollar I.6.21. Nach Satz II.4.5 existiert daher eine stetige Abbildung ν̃ : G̃ → G̃ mit p ◦ ν̃ = ν ◦ p und ν̃(ẽ) = ẽ. Aus µ ◦ (ν, idG ) = ce folgt p ◦ µ̃ ◦ (ν̃, idG̃ ) = µ ◦ (p × p) ◦ (ν̃, idG̃ ) = µ ◦ (p ◦ ν̃, p) = µ ◦ (ν, idG ) ◦ p = ce ◦ p = p ◦ cẽ , also liften µ̃ ◦ (ν̃, idG̃ ) und cẽ dieselbe Abbildung G̃ → G. Wir erhalten µ̃ ◦ (ν̃, idG̃ ) = cẽ , denn die beiden Abbildungen stimmen beim Punkt ẽ überein. Damit ist ν̃(g̃) das Linksinverse von g̃ ∈ G̃. Ebenso folgt µ̃ ◦ (idG̃ , ν̃) = cẽ , also ist ν̃(g̃) auch Rechtsinverses von g̃ ∈ G̃. Damit ist G̃ eine topologische Gruppe. II.8.3. Bemerkung. Es seien G und G̃ zwei zusammenhängende topologische Gruppen und p : G̃ → G ein Homomorphismus der eine Überlagerung ist. Es bezeichnen e ∈ G und ẽ ∈ G̃ die neutralen Elemente. Jedes g̃ ∈ ker(p) = Fe definiert Decktransformationen λg̃ ∈ Deck(G̃), λg̃ (h̃) := g̃ h̃, und ρg̃ ∈ Deck(G̃), ρg̃ (h̃) := h̃g̃. Wegen λg̃ (ẽ) = g̃ = ρg̃ (ẽ) muss λg̃ = ρg̃ gelten, siehe Proposition II.3.2. Es folgt g̃ h̃ = h̃g̃ für alle g̃ ∈ ker(p) und h̃ ∈ G̃. Also liegt ker(p) im Zentrum C(G̃) von G̃. Auch folgt, dass die Decktransformationen transitiv auf den Fasern von p wirken, also ist p eine normale Überlagerung. Schließlich ist ker(p) → Deck(G̃), g̃ 7→ λg̃ , ein Isomorphismus von Gruppen mit Inversem Deck(G̃) → ker(p), ϕ 7→ ϕ(ẽ). Für einfach zusammenhängendes G̃ erhalten wir insbesondere π1 (G) ∼ = Deck(G̃) ∼ = ker(p). III. Kategorien und Funktoren Die Kategorientheorie bietet eine Sprache die sich gut eignet Gemeinsamkeiten in unterschiedlichen Disziplinen der Mathematik herauszuarbeiten und zu formalisieren. Sie liefert auch eine Möglichkeit verschiedene Gebiete in transparenter Weise miteinander in Beziehung zu setzen. Gerade in der algebraischen Topologie wo wir topologischen Räumen algebraische Gebilde zuordnen ist dies die Sprache der Wahl, und dort wurden die grundlegenden Begriffe der Kategorientheorie auch erfunden. Wir orientieren uns hier an [6, Chapter II]. Sehr knappe Einführungen finden sich auch in [4, Chapter 2.3] und [18, Kapitel 8.4]. Eine ausführliche Darstellung bietet [11]. III.1. Kategorien. Eine Kategorie C besteht aus: (i) Einer Klasse von Objekten. (ii) Zu je zwei Objekten X und Y von C, eine Menge C(X, Y ). Die Elemente von C(X, Y ) werden Morphismen von X nach Y genannt. Ist f ∈ C(X, Y ) so deuten wir dies auch durch f : X → Y an. (iii) Zu je drei Objekten X, Y und Z von C eine Abbildung, die sogenannte Komposition auch Verknüpfung, C(X, Y ) × C(Y, Z) → C(X, Z). Sind f ∈ C(X, Y ) und g ∈ C(Y, Z) dann schreiben wir g ◦ f oder gf für den entsprechenden Morphismus in C(X, Z). Diese Daten müssen den folgenden beiden Axiomen genügen: (A1) Zu jedem Objekt X von C existiert ein Morphismus idX ∈ C(X, X), sodass für alle Objekte Y, Z von C und alle Morphismen f ∈ C(X, Y ), g ∈ C(Z, X) stets f ◦ idX = f und idX ◦g = g gilt. (neutrale Elemente, identische Morphismen) (A2) Für Objekte X, Y, Z und W von C und Morphismen f ∈ C(X, Y ), g ∈ C(Y, Z), h ∈ (Z, W ) gilt stets (h ◦ g) ◦ f = h ◦ (g ◦ f ). (Assotiativität der Verknüpfung) III.1.1. Bemerkung. Ist C eine Kategorie, dann sind die neutralen Elemente idX durch die Eigenschaft f ◦ idX = f und idX ◦g = g eindeutig bestimmt. Ist nämlich 1X ∈ C(X, X) ein weiterer Morphismus, sodass für alle Objekte Y, Z von C und alle f ∈ C(X, Y ), g ∈ C(Z, X) die Relationen f ◦ 1X = f und 1X ◦ g = g gelten, dann folgt 1X = 1X ◦ idX = idX . Ein Morphismus f ∈ C(X, Y ) einer Kategorie C wird ein Isomorphismus genannt, falls ein Morphismus g ∈ C(Y, X) mit f ◦ g = idY und g ◦ f = idX existiert. Im Existenzfall ist so ein Morphismus g eindeutig bestimmt. Ist nämlich h ∈ C(Y, X) ein weiterer Morphismus mit f ◦ h = idY und h ◦ f = idX , dann folgt g = g◦idY = g◦(f ◦h) = (g◦f )◦h = idX ◦h = h. Wir bezeichnen den Morphismus g daher mit f −1 ∈ C(Y, X). Mit f ist natürlich auch f −1 ein Isomorphismus, und 95 96 III. KATEGORIEN UND FUNKTOREN es gilt (f −1 )−1 = f . Sind f1 ∈ C(X, Y ) und f2 ∈ C(Y, Z) zwei Isomorphismen, dann ist auch f2 ◦ f1 ∈ C(X, Z) ein Isomorpshimus mit (f2 ◦ f1 )−1 = f1−1 ◦ f2−1 . III.1.2. Bemerkung. Es sei f ∈ C(X, Y ) ein Morphismus einer Kategorie C. Weiters seien g ∈ C(Y, X) ein Linksinverses von f , dh. g ◦ f = idX , und h ∈ C(Y, X) sei ein Rechtsinverses von f , dh. f ◦ h = idY . Dann stimmen g und h überein und f ist ein Isomorphismus mit f −1 = g = h. Dies folgt wieder aus g = g ◦ idY = g ◦ (f ◦ h) = (g ◦ f ) ◦ h = idX ◦h = h. III.1.3. Beispiel (Kategorie der Mengen). Wir definieren eine Kategorie Set wie folgt. Als Objekte nehmen wir alle Mengen. Für zwei Objekte, dh. Mengen, X und Y bestehe die Menge der Morphismen Set(X, Y ) aus allen Abbildungen von X nach Y . Schließlich ist die Verknüpfung von Morphismen durch die übliche Komposition von Abbildungen gegeben. Offensichtlich bildet Set eine Kategorie, die Kategorie der Mengen und Abbildungen. Die Isomorphismen in Set sind genau die Bijektionen. III.1.4. Beispiel (Kategorie der punktierten Mengen). Ist X eine Menge und x0 ∈ X so bezeichnen wir das Paar (X, x0 ) als punktierte Menge. Unter einer Abbildung punktierter Mengen f : (X, x0 ) → (Y, y0 ) verstehen wir eine Abbildung f : X → Y für die f (x0 ) = y0 gilt. Die Klasse der Objekte der Kategorie Set∗ besteht aus allen punktierten Mengen. Die Menge der Morphismen Set∗ ((X, x0 ), (Y, y0 )) zwischen zwei Objekten, dh. punktierten Mengen, (X, x0 ) und (Y, y0) besteht aus allen Abbildungen punktierter Mengen von (X, x0 ) nach (Y, y0 ). Bezüglich der üblichen Komposition bildet Set∗ eine Kategorie, die Kategorie der punktierten Mengen. Die Isomorphismen in Set∗ sind genau die Basispunkt bewahrenden Bijektionen. III.1.5. Beispiel (Kategorie der Gruppen). Die Klasse der Objekte der Kategorie Grp besteht aus allen Gruppen. Für zwei Objekte, dh. Gruppen, G und H besteht die Menge der Morphismen Grp(G, H) := Hom(G, H) aus allen Gruppenhomomorphismen von G nach H. Die Verknüpfung von Morphismen ist durch die übliche Komposition von Homomorphismen gegeben. Beachte, dass die Komposition von Homomorphismen wieder ein Homomorphismen ist. Offensichtlich bildet Grp eine Kategorie, die Kategorie der Gruppen und Homomorphismen. Die Isomorphismen in Grp sind genau die Gruppenisomorphismen. III.1.6. Beispiel (Kategorie der abelschen Gruppen). Die Klasse der Objekte der Kategorie aGrp besteht aus allen abelschen Gruppen. Die Menge der Morphismen aGrp(A, B) := Hom(A, B) zwischen zwei Objekten, dh. abelschen Gruppen, A und B besteht aus allen Gruppenhomomorphismen von A nach B. Bezüglich der üblichen Komposition von Homomorphismen bildet aGrp eine Kategorie, die Kategorie der abelschen Gruppen und Homomorphismen. Die Isomorphismen in aGrp sind genau die Isomorphismen abelscher Gruppen. III.1. KATEGORIEN 97 III.1.7. Beispiel (Kategorie der K-Vektorräume). Es sei K ein Körper. Die Klasse der Objekte der Kategorie VspK besteht aus allen K-Vektorräumen. Die Menge der Morphismen VspK (V, W ) := LK (V, W ) zwischen zwei Objekten, dh. K-Vektorräumen, V und W besteht aus allen K-linearen Abbildungen von V nach W . Bezüglich der üblichen Komposition linearer Abbildungen bildet VspK eine Kategorie, die Kategorie der K-Vektorräume und linearen Abbildungen. Die Isomorpshimen in VspK sind genau die Isomorphismen von K-Vektorräumen. III.1.8. Beispiel (Kategorie der topologischen Räume). Die Klasse der Objekte der Kategorie Top besteht aus allen topologischen Räumen. Die Menge der Morphismen Top(X, Y ) := C(X, Y ) zwischen zwei Objekten, dh. topologischen Räumen, X und Y besteht aus allen stetigen Abbildungen von X nach Y . Bezüglich der üblichen Komposition von Abbildungen bildet Top eine Kategorie, die Kategorie der topologischen Räume und stetigen Abbildungen. Beachte hier, dass die Komposition stetiger Abbildungen wieder stetig ist. Die Isomorphismen in Top sind genau die Homöomorphismen. Ebenso können wir die Kategorie der Hausdorffräume, die Kategorie der kompakten Räume usw. betrachten. III.1.9. Beispiel (Kategorie der punktierten Räume). Die Klasse der Objekte der Kategorie Top∗ besteht aus allen punktierten Räumen. Die Menge der Morphismen zwischen zwei Objekten, dh. punktierten Räumen, (X, x0 ) und (Y, y0 ) besteht aus allen Abbildungen punktierter Räume (X, x0 ) → (Y, y0). Bezüglich der üblichen Komposition von Abbildungen bildet Top∗ eine Kategorie, die Kategorie der punktierten Räume. Die Isomorphismen in Top∗ sind genau die Homöomorphismen punktierter Räume. In allen bisher besprochenen Kategorien waren die Objekte Mengen mit gewissen Strukturen (Basispunkt, Gruppenstruktur, Vektorraumstruktur, Topologie, . . . ) und die Morphismen waren Abbildungen die diese Struktur bewahren (Basispunkt erhaltend, mit Gruppenmultiplikation verträglich, linear, stetig, . . . ) In den folgenden Beispielen sind die Morphismen keine Abbildungen. III.1.10. Beispiel. Die Klasse der Objekte der Kategorie hTop besteht aus allen topologischen Räumen. Für zwei Objekte, dh. topolgische Räume, X und Y besteht die Menge der Morphismen von X nach Y aus allen Homotopieklassen stetiger Abbildungen von X anch Y , dh. hTop(X, Y ) = [X, Y ], siehe Abschnitt I.3. Die Verknüpfung von Morphismen ist durch Komposition von Repräsentanten definiert, dh. [f ] ◦ [g] := [f ◦ g]. Beachte, dass dies nach Lemma I.3.4 tatsächlich wohldefiniert ist. Mit dieser Komposition bildet hTop eine Kategorie, die Kategorie der topologischen Räume und Homotopieklassen stetiger Abbildungen. Die Isomorphismen in hTop sind genau die Homotopieäquivalenzen. III.1.11. Beispiel. Die Klasse der Objekte der Kategorie hTop∗ besteht aus allen punktierten Räumen. Für zwei Objekte, dh. punktierte Räume, (X, x0 ) und (Y, y0 ) besteht die Menge der Morphismen von (X, x0 ) nach (Y, y0) aus allen Homotopieklassen (relativ Basispunkt) punktierter Abbildungen von (X, x0 ) anch 98 III. KATEGORIEN UND FUNKTOREN (Y, y0 ), dh. hTop∗ ((X, x0 ), (Y, y0)) = [(X, x0 ), (Y, y0)], siehe Abschnitt I.3. Die Verknüpfung von Morphismen ist durch Komposition von Repräsentanten definiert, dh. [f ] ◦ [g] := [f ◦ g]. Mit dieser Komposition bildet hTop∗ eine Kategorie, die Kategorie der punktierten Räume und Homotopieklassen stetiger Abbildungen. Die Isomorphismen in hTop∗ sind genau die Homotopieäquivalenzen punktierter Räume. III.1.12. Beispiel. Wir können eine Gruppe G auch als Kategorie CG auffassen. Diese besitzt nur ein einziges Objekt ∗ und die Menge der Morphismen ist durch CG (∗, ∗) := G festgelegt. Definieren wir die Verknüpfung von Morphismen durch die Gruppenmultiplikation in G so bildet dies eine Kategorie. Jeder Morphismus ist ein Isomorphismus, denn jedes Element in G besitzt ein Inverses. III.1.13. Beispiel (Duale Kategorie). Zu jeder Kategorie C kann eine dual Kategorie C op wie folgt definiert werden. Die Klasse der Objekte von C op stimmt mit der Klasse der Objekte von C überein. Sind X und Y Objekte von C op dann ist die Menge der Morphismen durch C op (X, Y ) := C(Y, X) definiert. Die Verknüpfung von f ∈ C op (X, Y ) mit g ∈ C op (Y, Z) ist durch g ◦C op f := f ◦C g definiert, wobei ◦C die Verknüpfung in C bezeichnet. Offensichtlich bildet C op wieder eine Kategorie. Sie wird die zu C duale Kategorie genannt. III.1.14. Beispiel (Produktkategorie). Sind C und D zwei Kategorien, dann lässt sich eine Produktkategorie C ×D wie folgt definieren. Die Objekte von C ×D sind Paare (X, Y ) wobei X ein Objekt von C, und Y ein Objekt von D ist. Auch die Morphismen (C ×D)((X1 , Y1 ), (X2 , Y2 )) sind Paare (f, g) wobei f ∈ C(X1 , X2 ) und g ∈ D(Y1 , Y2). Die Verknüpfung wird Komponentenweise definiert. III.2. Funktoren. Unter einem (kovarianten) Funktor F von einer Kategorie C in eine Kategorie D verstehen wir eine Zuordnung die jedem Objekt X von C ein Objekt F (X) aus D und jedem Morphismus f ∈ C(X, Y ) einen Morphismus F (f ) ∈ D(F (X), F (Y )) zuordnet, sodass F (idX ) = idF (X) und F (f ◦ g) = F (f ) ◦ F (g) für beliebige Objekte X, Y, Z von C und beliebige Morphismen g ∈ C(X, Y ), f ∈ C(Y, Z) gilt. In diesem Fall schreiben wir auch F : C → D. III.2.1. Bemerkung. Ist F : C → D ein Funktor und f ∈ C(X, Y ) ein Isomorphsimus, dann ist auch F (f ) ∈ D(F (X), F (Y )) ein Isomorphismus mit F (f )−1 = F (f −1 ), denn F (f −1) ◦ F (f ) = F (f −1 ◦ f ) = F (idX ) = idF (X) und F (f ) ◦ F (f −1 ) = F (f ◦ f −1 ) = F (idY ) = idF (Y ) . III.2.2. Bemerkung. Sind F : C → D und G : D → E zwei Funktoren, dann ist offensichtlich auch GF : C → E, (GF )(X) := G(F (X)), (GF )(f ) := G(F (f )) ein Funktor. Auch haben wir stets einen identischen Funktor idC : C → C, idC (X) := X, idC (f ) := f . III.2. FUNKTOREN 99 Unter einem kontravarianten Funktor F von einer Kategorie C in eine Kategorie D verstehen wir eine Zuordnung die jedem Objekt X von C ein Objekt F (X) aus D und jedem Morphismus f ∈ C(X, Y ) einen Morphismus F (f ) ∈ D(F (Y ), F (X)) zuordnet, sodass F (idX ) = idF (X) und F (f ◦ g) = F (g) ◦ F (f ) für beliebige Objekte X, Y, Z von C und beliebige Morphismen g ∈ C(X, Y ), f ∈ C(Y, Z) gilt. Ein kontravarianter Funktor von C nach D ist dasselbe wie ein kovarianter Funktor von C op nach D, siehe Beispiel III.1.13. Mit Hilfe der duale Kategorie lassen sich daher kontravariante Funktoren als kovariante auffassen. III.2.3. Beispiel (Vergissfunktoren). Eine Reihe kovarianter Funktoren erhalten wir indem wir gewisse Strukturen vergessen. Ordnen wir etwa einem topologischen Raum die zugrundeliegende Menge zu so erhalten wir einen Funktor Top → Set. Vergessen wir den Basispunkt eines punktierten Raums so erhalten wir einen Funktor Top∗ → Top. Ordnen wir einem Vektorraum die zugrundeliegende abelsche Gruppe zu so liefert dies einen Funktor Vsp → aGrp. Ebenso erhalten wir einen Funktor Grp → Set∗ indem wir einer Gruppe die zugrundeliegende Menge mit dem neutralen Element als Basispunkt zuordnen. Schließlich sei noch der Funktor hTop∗ → hTop erwähnt, der einer Homotopieklasse relative Basispunkt die entsprechende freie Homotopieklasse zuordnet. III.2.4. Beispiel. Fassen wir eine abelsche Gruppe als allgemeine Gruppe auf, so erhalten wir einen kovarianten Funktor aGrp → Grp. Ordnen wir einer beliebigen Gruppe ihre Abelisierung zu, so erhalten wir einen kovarianten Funktor Grp → aGrp. Beachte, dass jeder Gruppenhomomorphismus ϕ : G → H zu einem Homomorphismus abelscher Gruppen ϕab : Gab → Hab faktorisiert und offensichtlich (ψ ◦ ϕ)ab = ψab ◦ ϕab gilt. III.2.5. Beispiel. Ordnen wir einer stetigen Abbildung die von ihr repräsentierte Homotopieklasse zu so erhalten wir kovariante Funktoren Top → hTop und Top∗ → hTop∗ . III.2.6. Beispiel (Kegel). Wir können die Kegelkonstruktion als kovarianten Funktor C : Top → Top auffassen. Einem topologischen Raum wird dabei der Kegel CX := (X × I)/(X × {0}) zugeordnet, siehe Beispiel I.3.18. Ist f : X → Y eine stetige Abbildung, dann faktorisiert f × idI : X × I → Y × Y zu einer stetigen Abbildung Cf : CX → CY . Eine einfache Rechnung zeigt C(f ◦ g) = Cf ◦ Cg sowie C idX = idCX , also ist dies tatsächlich ein Funktor. Sind f, g : X → Y homotop, dann gilt auch Cf ≃ Cg, wir können die Kegelkonstruktion daher auch als Funktor C : hTop → hTop auffassen. Die Spitze des Kegels ∗ ∈ CX ist ein ausgezeichneter Punkt, der von den Abbildungen Cf respektiert wird. Die Kegelkonstruktion liefert daher auch Funktoren Top′ → Top′∗ bzw. hTop′ → hTop′∗ , wobei Top′ die Kategorie der nicht-leeren topologischen Räume bezeichnet und hTop′ sowie hTop′∗ analog definiert sind. 100 III. KATEGORIEN UND FUNKTOREN III.2.7. Beispiel (Suspension). Wir können die Suspension als kovarianten Funktor Σ : Top → Top auffassen. Einem topologischen Raum X wird dabei die Einhängung ΣX := (X × [−1, 1])/∼ zugeordnet, siehe Beispiel I.5.7. Ist f : X → Y stetig dann faktorisiert f × id[−1,1] : X × [−1, 1] → Y × [−1, 1] zu einer stetigen Abbildung Σf : ΣX → ΣY . Eine einfache Rechnung zeigt nun Σ(f ◦ g) = (Σf ) ◦ (Σg) und Σ(idX ) = idΣX , also ist Σ tatsächlich ein Funktor. Sind f, g : X → Y homotop, dann gilt auch Σf ≃ Σg, die Suspension liefert daher auch einen Funktor Σ : hTop → hTop. III.2.8. Beispiel (Fundamentalgruppe). Die Fundamentalgruppe definiert einen kovarianten Funktor π1 : Top∗ → Grp. Einem punktierten topologischen Raum (X, x0 ) wir dabei die Gruppe π1 (X, x0 ), und einer Abbildung punktierter Räume f : (X, x0 ) → (Y, y0) der Gruppenhomomorphismus f∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0) zugeordnet, siehe Proposition I.1.13. Die Relationen (f ◦ g)∗ = f∗ ◦ g∗ und (id(X,x0 ) )∗ = idπ1 (X,x0 ) besagen gerade, dass dies ein kovarianter Funktor ist. Auf Grund der Homotopieinvarianz, siehe Proposition I.3.24, können wir die Fundamentalgruppe auch als kovarianten Funktor π1 : hTop∗ → Grp auffassen. Die Isomorphismen in der Kategorie hTop∗ sind genau die Homotopieäquivalenzen punktierter Räume und diese müssen durch den Funktor π1 auf Isomorphismen in der Kategorie Grp, dh. Gruppenisomorphismen, abgebildet werden, siehe Bemerkung III.2.1. Wir erhalten so genau die Aussage von Proposition I.3.25. L III.2.9. Beispiel. Ist S eine Menge dann bezeichnet FA(S) := s∈S Z die freie abelsche Gruppe über S. Wir können S als Teilmenge (Basis) von FA(S) auffassen. Ist A eine weitere abelsche Gruppe und λ : S → A eine Abbildung, dann existiert genau ein Homomorphismus abelscher Gruppen ϕ : FA(S) → A, sodass ϕ(s) = λ(s) für alle s ∈ S. Dies wird als die universelle Eigenschaft von FA(S) bezeichnet. Ist nun T eine weitere Menge und f : S → T eine Abbildung, dann existiert also genau ein Homomorphismus FA(f ) : FA(S) → FA(T ), sodass FA(f )(s) = f (s), für alle s ∈ S. Dies definiert eine Funktor FA : Set → aGrp. III.2.10. Beispiel. Ist S eine Menge dann bezeichnet F (S) := ∗s∈S Z die freie Gruppe über S. Wir können S als Teilmenge von F (S) auffassen. Ist G eine weitere abelsche Gruppe und λ : S → G eine Abbildung, dann existiert genau ein Homomorphismus Gruppen ϕ : F (S) → G, sodass ϕ(s) = λ(s) für alle s ∈ S. Dies wird als die universelle Eigenschaft von F (G) bezeichnet. Ist nun T eine weitere Menge und f : S → T eine Abbildung, dann existiert also genau ein Homomorphismus F (f ) : F (S) → F (T ), sodass F (f )(s) = f (s), für alle s ∈ S. Dies definiert eine Funktor F : Set → Grp. III.2.11. Beispiel. Ordnen wir einem topologischer Raum X, die Algebra der stetigen Funktionen C(X, C) und einer stetigen Abbildung ϕ : X → Y den Algebrahomomorphismus ϕ∗ : C(Y, C) → C(X, C), ϕ∗ (f ) := f ◦ ϕ, zu so erhalten wir einen kontravarianten Funktor Top → Alg, denn offensichtlich gilt III.2. FUNKTOREN 101 (ϕ ◦ ψ)∗ = ψ ∗ ◦ ϕ∗ . Dabei bezeichnet Alg die Kategorie der C-Algebren und Algebrahomomorphismen. III.2.12. Beispiel. Ordnen wir einem K-Vektorraum V seinen Dualraum V ∗ = L(V, K) und einer linearen Abbildung ϕ : V → W die lineare Abbildung ϕ∗ : W ∗ → V ∗ zu, ϕ∗ (λ) := λ ◦ ϕ, so erhalten wir einen kontravarianten Funktor VspK → VspK , denn (ϕ ◦ ψ)∗ = ψ ∗ ◦ ϕ∗ . III.2.13. Beispiel. Für eine Gruppe G bezeichne C(G) die Menge der Konjugationsklassen in G. Da jeder Homomorphismus ϕ : G → H Konjugationsklassen von G in Konjugationsklassen von H abbildet, induziert er eine Abbildung C(ϕ) : C(G) → C(H). Offensichtlich gilt C(ψ ◦ ϕ) = C(ψ) ◦ C(ϕ), also liefert dies einen kovarianten Funktor C : Grp → Set. In jeder Gruppe gibt es eine ausgezeichnete Konjugationsklasse die nur aus dem neutralen Element besteht. Wir können diese Konjugationsklasse als Basispunkt in C(G) verwenden. Offensichtlich bildet C(ϕ) das ausgezeichnete Element in C(G) auf das ausgezeichnete Element in C(H) ab. Also erhalten wir auch einen Funktor C : Grp → Set∗ , vgl. Beispiel III.1.4. III.2.14. Beispiel. Es sei C eine Kategorie und X ein Objekt von C. Wir defnieren einen Funktor C → Set indem wir einem Objekt Y von C die Menge C(X, Y ) und einem Morphismus f ∈ C(Y1 , Y2 ) die Abbildung f∗ : C(X, Y1 ) → C(X, Y2 ), f∗ (ϕ) := f ◦ ϕ, zuordnen. Dieser Funktor wird üblicherweise mit C(X, ·) bezeichnet, für die Abbildung f∗ schreiben wir auch C(X, f ). Wegen (f ◦ g)∗ (ϕ) = (f ◦ g) ◦ ϕ = f ◦ (g ◦ ϕ) = f∗ (g∗ (ϕ)) = (f∗ ◦ g∗ )(ϕ) gilt (f ◦ g)∗ = f∗ ◦ g∗ , also ist dies ein kovarianter Funktor, vgl. Bemerkung I.3.6. Wenden wir dies etwa auf C = hTop und X = S 1 an, so erhalten wir einen Funktor hTop → Set der einem topologischen Raum Y die Menge der freien Homotopieklassen [S 1 , Y ] und einem stetigen f : Y1 → Y2 die Abbildung f∗ : [S 1 , Y1] → [S 1 , Y2 ] zuordnet. Wenden wir die Konstruktion auf C = hTop∗ und X = (S 1 , 1) an so erhalten wir einen Funktor hTop∗ → Set der einem punktierten Raum (Y, y0 ) die der Fundamentalgruppe zugrundeliegende Menge [(S 1 , 1), (Y, y0)] zuordnet, vgl. Proposition I.3.32. III.2.15. Beispiel. Es sei C eine Kategorie und Y ein Objekt von C. Wir definieren einen kontravarianten Funktor C → Set indem wir einem Objekt X von C die Menge C(X, Y ) und einem Morphismus f ∈ C(X1 , X2 ) die Abbildung f ∗ : C(X2 , Y ) → C(X1 , Y ) zuordnen, f ∗ (ϕ) := ϕ ◦ f . Wegen (f ◦ g)∗(ϕ) = ϕ ◦ (f ◦ g) = (ϕ ◦ f ) ◦ g = g ∗ (f ∗ (ϕ)) = (g ∗ ◦ f ∗ )(ϕ) gilt (f ◦ g)∗ = g ∗ ◦ f ∗ , also ist dies ein kontravarianter Funktor, vgl. Bemerkung I.3.7. Dieser Funktor wird üblicherweise mit C(·, Y ) bezeichnet. Für die Abbildung f ∗ schreiben wir auch C(f, Y ). III.2.16. Beispiel. Ist C eine Kategorie, dann lässt sich ein Funktor C op × C → Set wie folgt definieren. Einem Objekt (X, Y ) von C op × C ordnen wir die Menge C(X, Y ) zu, und einem Morphismus (f, g) ∈ (C op ×C)((X1 , Y1 ), (X2 , Y2 )) = 102 III. KATEGORIEN UND FUNKTOREN C(X2 , X1 ) × C(Y1 , Y2 ) ordnen wir die Abbildung f ∗ ◦ g∗ = g∗ ◦ f ∗ : C(X1 , Y1) → C(X2 , Y2) zu. Dieser Funktor wird üblicherweise mit C(·, ·) bezeichnet, für die Abbildung f ∗ ◦ g∗ schreiben wir auch C(f, g). III.3. Natürliche Transformationen. Es seien F : C → D und G : C → D zwei Funktoren. Eine natürliche Transformation ϕ von F nach G besteht aus einem Morphismus ϕX ∈ D(F (X), G(X)) für ϕX / G(X) F (X) jedes Objekt X von C, sodass für jeden Morphismus f ∈ C(X, Y ) nebenstehendes Diagramm kommutiert, dh. F (f ) G(f ) es gilt G(f ) ◦ ϕX = ϕY ◦ F (f ). Ist ϕX ∈ D(F (X), G(X)) ϕY / G(Y ) F (Y ) für jedes Objekt X von C ein Isomorphismus, dann wird ϕ ein natürlicher Isomorphismus oder eine natürliche Äquivalenz zwischen F und G genannt. In diesem Fall definiert ψX := (ϕX )−1 eine natürliche Transformation von G nach F . III.3.1. Beispiel. Betrachte den Funktor G : VspK → VspK der einem Vektorraum V seinen Bidual G(V ) := (V ∗ )∗ und einer linearen Abbildung ϕ : V → W ihre Biduale G(λ) := (λ∗ )∗ zuordnet. Dies stimmt mit dem Quadrat des kontravarianten Funktors in Beispiel III.2.12 überein. Weiters bezeichne F := id den identischen Funktor VspK → VspK . Zu einem Vektorraum V betrachte nun die lineare Abbildung ϕV : V → (V ∗ )∗ , ϕV (v)(λ) := λ(v), v ∈ V , λ ∈ V ∗ . Eine einfache Rechnung zeigt, dass ϕ eine natürliche Transformation von F nach G liefert. In der Kategorie der endlich dimensionalen Vektorräume ist ϕ ein natürlicher Isomorphismus zwischen F und G. III.3.2. Beispiel. Die kanonische Projektion p : G → Gab auf die Abelisierung einer Gruppe, kann als natürliche Transformation vom identischen Funktor id : Grp → Grp zum Abelisierungsfunktor Grp → aGrp → Grp aus Beispiel III.2.4 aufgefasst werden. III.3.3. Beispiel. Betrachte den Fundamentalgruppenfunktor π1 : Top∗ → Grp, siehe Beispiel III.2.8 sowie den Funktor F : Top∗ → Grp, der einem punktierten Raum (X, x0 ) die in Proposition I.3.32 besprochene Gruppe F (X, x0 ) := [(S 1 , 1), (X, x0 )], und einer Abbildung punktierter Räume f : (X, x0 ) → (Y, y0 ) den Homomorphismus F (f ) := f∗ zuordnet. Die in Proposition I.3.32 beschriebene Abbildung Ψ(X,x0 ) : π1 (X, x0 ) → [(S 1 , 1), (X, x0 )] definiert einen natürlichen Isomorphismus zwischen π1 und F . III.3.4. Beispiel. Wir betrachten den Funktor G : Top∗ → Set, G(X, x0 ) := [S , X], G(f ) := f∗ . Weiters sei π1 : Top∗ → Grp der Fundamentalgruppen Funktor und C : Grp → Set der Funktor aus Beispiel III.2.13. Ihre Komposition liefert einen Funktor F := C ◦ π1 : Top∗ → Set. Die in Satz I.3.33 besprochene Abbildung definiert eine natürliche Transformation von F nach G. Auf der Kategorie der wegzusammenhängenden punktierten Räume ist dies ein natürlicher Isomorphismus zwischen F und G, siehe Satz I.3.33. 1 III.3. NATÜRLICHE TRANSFORMATIONEN 103 III.3.5. Beispiel. Es bezeichne FA : Set → aGrp den Funktor aus Beispiel III.2.9, und V : aGrp → Set den Vergissfunktor. Wir betrachten nun zwei Funktoren Setop ×aGrp → Set, nämlich Set(·, V (·)) und aGrp(FA(·), ·). Der erste ordnet einer Menge S und einer abelschen Gruppe A die Menge Set(S, V (A)) zu, dh. die Menge der Abbildungen von S in die der abelschen Gruppe A zugrundeliegende Menge V (A). Der zweite ordnet einer Menge S und einer abelschen Gruppe A die Menge aGrp(FA(S), A) zu, dh. die Menge der Gruppenhomomorphismen von der freien abelschen Gruppe FA(S) in die abelsche Gruppe A. Die universelle Eigenschaft von FA(S) liefert eine Bijektion ∼ = → aGrp(FA(S), A), ϕ(S,A) : Set(S, V (A)) − sodass für (f, ϕ) ∈ (Setop × aGrp)((S, A), (T, B)) = Set(T, S) × aGrp(A, B) das folgendes Diagramm kommutiert: Set(S, V (A)) ϕ(S,A) / ∼ = aGrp(FA(S), A) Set(f,V (ϕ)) Set(T, V (B)) aGrp(FA(f ),ϕ) ϕ(T,B) ∼ = / aGrp(FA(T ), B) Daher liefert ϕ einen natürlichen Isomorphismus zwischen den beiden Funktoren Set(·, V (·)) und aGrp(FA(·), ·). Wir sagen der Funktor FA ist linksadjungiert zu V , bzw. V ist rechtsadjungiert zu FA. III.3.6. Beispiel. Es sei F : Set → Grp der Funktor aus Beispiel III.2.10, und V : Grp → Set der Vergissfunktor. Wir betrachten nun zwei Funktoren Setop × Grp → Set, nämlich Set(·, V (·)) und Grp(F (·), ·). Der erste ordnet einer Menge S und einer Gruppe G die Menge Set(S, V (G)) zu, dh. die Menge der Abbildungen von S in die der Gruppe G zugrundeliegende Menge V (G). Der zweite ordnet einer Menge S und einer Gruppe G die Menge Grp(F (S), G) zu, dh. die Menge der Gruppenhomomorphismen von der freien Gruppe F (S) in die Gruppe G. Die universelle Eigenschaft von F (S) liefert eine Bijektion ∼ = → Grp(F (S), G), ϕ(S,G) : Set(S, V (G)) − sodass für (f, ϕ) ∈ (Setop × Grp)((S, G), (T, H)) = Set(T, S) × Grp(G, H) das folgendes Diagramm kommutiert: Set(S, V (G)) ϕ(S,G) / ∼ = Grp(F (S), G) Set(f,V (ϕ)) Set(T, V (H)) Grp(F (f ),ϕ) ϕ(T,H) ∼ = / Grp(F (T ), H) Daher liefert ϕ einen natürlichen Isomorphismus zwischen den beiden Funktoren Set(·, V (·)) und Grp(F (·), ·). Wir sagen der Funktor F ist linksadjungiert zu V , bzw. V ist rechtsadjungiert zu F . 104 III. KATEGORIEN UND FUNKTOREN III.4. Produkte und Koprodukte. Es sei C eine Kategorie und Xα , α ∈ A, eine Menge von Objekten in C. Unter einem Produkt der Xα verstehen wir ein Objekt X von C zusammen mit Morphismen pα : X → Xα die folgende universelle Eigenschaft besitzen. Sind fα : Y → Xα , α ∈ A, Morphismen von C, dann existiert ein eindeutiger Morphismus f : Y → X mit pα ◦ f = fα für alle α ∈ A. Im Existenzfall ist das Objekt X und die sogenannten Projektionen pα bis auf kanonische Isomorphie eindeutig bestimmt, dh. ist X̃ ein Objekt von C und sind p̃α : X̃ → Xα Morphismen die ebenfalls obige universelle Eigenschaft besitzen, dann existiert ein eindeutiger Isomorphismus f : X → X̃, sodass p̃α ◦ f = pα , für alle α ∈ A. Aus der universellen Eigenschaft von X̃ folgt nämlich, dass es genau einen Morphismus f : X → X̃ mit p̃α ◦ f = pα gibt. Ebenso folgt aus der universellen Eigenschaft von X, dass es einen Morphismus f˜ : X̃ → X mit pα ◦ f˜ = p̃α gibt. Die Komposition f˜ ◦ f : X → X erfüllt dann pα ◦ (f˜ ◦ f ) = pα , wegen der Eindeutigkeitsaussage in der universellen Eigenschaft von X folgt f˜◦f = idX . Ebenso lässt sich f ◦ f˜ = idX̃ zeigen. Also ist f ein Isomorphismus mit ˜ Da Produkte bis auf kanonische Isomorphie eindeutig sind, sprechen Inverser f. Q wir auch von dem Produkt der Xα , und schreiben dafür meist α∈A Xα . Es gibt Kategorien in denen gewisse Produkte nicht existieren. III.4.1. von Set, QBeispiel (Produkte in Set). Sind Xα Mengen, dh. Objekte Q so bildet α Xα zusammen mit den kanonischen Projektionen pα : α′ Xα′ → Xα das Produkt in der Kategorie Set. III.4.2. Beispiel (Produkte in Top). Sind Xα topologische Räume, dh. ObQ jekte von Top, so bildet α Xα , versehen Q mit der Produkttopologie, zusammen mit den kanonischen Projektionen pα : α′ Xα′ → Xα das Produkt in der Kategorie Top. III.4.3. Beispiel (ProdukteQin Top∗ ). Sind (Xα , xα ) punktierte Räume, dh. Objekte von Top∗ , so bildet α (Xα , xα ), versehenQmit der Produkttopologie, zusammen mit den kanonischen Projektionen pα : α′ (Xα′ , xα′ ) → (Xα , xα )das Produkt in der Kategorie Top∗ . III.4.4. Beispiel (Produkte in VspK ). Sind Vα K-Vektorräume, dh. Objekte Q von Q VspK , so bildet α Vα zusammen mit den kanonischen Projektionen pα : α′ Vα′ → Vα das Produkt in der Kategorie VspK . III.4.5. Beispiel (Produkte in Grp). Sind Gα Gruppen, dh. Objekte von Q Grp, so bildet α Gα , versehen mit der üblichen komponentenweisen MultipliQ kation, zusammen mit den kanonischen Projektionen pα : α′ Gα′ → Gα das Produkt in der Kategorie Grp. Es seien Q F : C → D ein Funktor, und XαQObjekte in C. Weiters existiere das Produkt Cα Xα in C, und es bezeichnen pCα : Cα′ Xα′ → Xα die damit assozierten Projektionen. Durch Anwenden des Funktors F erhalten wir Morphismen F (pCα ) : Q F ( Cα′ Xα′ ) → F (Xα ). Ist dies stets ein Produkt der F (Xα ) in D, dann sagen wir III.4. PRODUKTE UND KOPRODUKTE 105 der Funktor F erhält Produkte. In dieser wir einen kanonischen QD Situation erhalten QC D C ∼ Isomorphismus Φ : F ( α Xα ) = α F (Xα ), sodass pα ◦ Φ = F (pα ), wobei Q D pD α : α′ ∈A F (Xα′ ) → F (Xα ) die Projektionen bezeichnen. III.4.6. Beispiel. Der Fundamentalgruppenfunktor π1 : Top∗ → Grp erhält Produkte, dies ist die Aussage von Proposition I.1.17. III.4.7. Beispiel. Der Abelisierungfunktor Grp → aGrp erhält Produkte. Es sei C eine Kategorie und Xα , α ∈ A, eine Menge von Objekten in C. Unter einem Koprodukt der Xα verstehen wir ein Objekt X von C zusammen mit Morphismen ια : Xα → X die folgende universelle Eigenschaft haben: Sind fα : Xα → Y , α ∈ A, Morphismen von C, dann existiert ein eindeutiger Morphismus f : X → Y mit f ◦ ια = fα für alle α ∈ A. Im Existenzfall ist das Objekt X und die Morphismen ια bis auf kanonische Isomorphie eindeutig bestimmt, dh. ist X̃ ein Objekt von C und sind ια : Xα → X̃ Morphismen die ebenfalls obige universelle Eigenschaft besitzen, dann existiert ein eindeutiger Isomorphismus f : X → X̃, sodass f ◦ ι̃α = ια , für alle α` ∈ A. Wir sprechen daher auch von dem Koprodukt der Xα und schreiben meist α∈A Xα . In vielen Kategorien wird das Koprodukt jedoch anders bezeichnet, siehe unten. Es gibt Kategorien in denen gewisse Koprodukte nicht existieren. III.4.8. Beispiel (Koprodukte in Set). F Sind Xα Mengen, dh. Objekte von Set, dann bildet die disjunkte Vereinigung α Xα zusammen mit den kanonischen F Inklusionen ια : Xα → α′ Xα′ das Koprodukt in der Kategorie Set. III.4.9. Beispiel (Koprodukte in Top). Sind XαFtopologische Räume, dh. Objekte von Top, so bildet die disjunkte Vereinigung α Xα zusammen mit den F kanonischen Inklusionen ια : Xα → α′ Xα′ das Koprodukt in der Kategorie Top. III.4.10. Beispiel (Koprodukte in Top∗ ). Sind (Xα , xW α ) punktierte Räume, dh. Objekte von Top∗ , so bildet die Einpunktvereinigung α (Xβ , xβ ) zusammen W mit den kanonischen Inklusionen ια : (Xα , xα ) → α′ (Xα′ , xα′ ) das Koprodukt in der Kategorie Top∗ . III.4.11. Beispiel (Koprodukte in VspK ). Sind Vα K-Vektorräume, dh. ObL jekte von Vsp L K , dann bildet α Vα zusammen mit den kanonischen Inklusionen ια : Vα → α′ Vα′ das Koprodukt in der Kategorie VspK . III.4.12. Beispiel (Koprodukte L in aGrp). Sind Aα abelsche Gruppen, dh. Objekte von aGrp, dann bildet α Aα zusammen mit den kanonischen InkluL sionen ια : Aα → α′ Aα′ das Koprodukt in der Kategorie aGrp. III.4.13. Beispiel (Koprodukte in Grp). Sind Gα Gruppen, dh. Objekte von Grp, so bildet ∗α Gα zusammen mit den kanonischen Inklusionen ια : Gα → ∗α′ Gα′ das Koprodukt in der Kategorie Grp. 106 III. KATEGORIEN UND FUNKTOREN Es seien ` F : C → D ein Funktor, und Xα Objekte in` C. Weiters existiere das C C Koprodukt α Xα in C, und es bezeichnen ια : Xα → Cα′ Xα′ die damit assozierten Inklusionen. ` Durch Anwenden des Funktors F erhalten wir Morphismen C F (ια ) : F (Xα ) → F ( Cα′ Xα′ ). Ist dies stets ein Koprodukt der F (Xα ) in D, dann sagen wir der Funktor F erhält Koprodukte. In dieser Situation erhalten wir einen ` ` ∼ = C → F ( Cα Xα ), sodass Φ ◦ ιD F (Xα ) − kanonischen Isomorphismus Φ : D α = F (ια ), α ` D wobei ιD α : F (Xα ) → α′ F (Xα′ ) die Inklusionen bezeichnen. III.4.14. Beispiel. Schränken wir den Funktor π1 : Top∗ → Grp auf die Kategorie jener punktierten Räume ein deren Basispunkt Deformationeretrakt einer offenen Umgebung ist, dann erhält dieser Funktor Koprodukte. Dies ist die Aussage von Proposition I.5.8. III.4.15. Beispiel. Der Abelisierungsfunktor Grp → aGrp erhält Koprodukte, siehe Beispiel I.5.3. IV. Homologie Jedem topologischen Raum X kann eine Folge von abelschen Gruppen Hq (X), die sogenannten Homologiegruppen von X, zugeordnet werden. Stetige Abbildungen induzieren Homomorphismen zwischen den Homologiegruppen und dies liefert kovariante Funktoren von der Kategorie der topologischen Räume in die Kategorie der abelschen Gruppen. Diese Funktoren sind homotopieinvariant, homotopieäquivalente Räume müssen daher isomorphe Homologiegruppen haben. Die Homologiegruppe H0 (X) misst die Anzahl der Wegzusammenhangskomponenten von X. Für wegzusammenhängende Räume liefert der Hurewicz-Homomorphismus einen Isomorphismus H1 (X) ∼ = π1 (X)ab . Die Berechnung der Homologiegruppen der Sphären ermöglicht u.A. die Beantwortung einiger grundlegenden jedoch subtilen Fragen über Teilmengen des Rn . Als Beispiel sei hier nur der Jordanschen Kurvensatz erwähnt, siehe Satz IV.12.25 unten. Einige Lehrbücher die Einführungen in die Homologietheorie bieten sind [2, 3, 4, 12, 13, 14, 15, 18]. Die Definition der Homologiegruppen erfordert einige algebraische Vorbereitungen denen wir uns in den Abschnitten IV.1 bis IV.4 widmen werden. Weiterführendes zu dieser sogenannten homologischen Algebra findet sich etwa in [6]. In Abschnitt IV.5 kehren wir dann zur Topologie zurück und geben eine Definition der Homologiegruppen eines Raums. In den folgenden Abschnitte IV.7 bis IV.10 leiten wir die wesentlichen Eigenschaften des Homologiefunktors her. Abschnitt IV.11 ist dem Hurewicz-Homomorphismus gewidmet. In Abschnitt IV.12 werden wir einige erste Anwendungen besprechen. IV.1. Kettenkomplexe und Homologie. Unter einer graduierten abelschen Gruppe verstehen wir ein System abelscher Gruppen Aq , q ∈ Z. Wir schreiben dafür oft A∗ oder bloß A. Seien nun A und B zwei graduierte abelsche Gruppen und k ∈ Z. Unter einem Homomorphismus ϕ : A → B vom Grad k verstehen wir ein System von Homomorphismen ϕq : Aq → Bq+k , q ∈ Z. Wir werden dies oft durch die Notation ϕ : A∗ → B∗+k andeuten. Die Menge aller Homomorphismen vom Grad k bezeichnen wir mit Homk (A, B). Für ϕ, ψ ∈ Homk (A, B), definieren wir ϕ + ψ ∈ Homk (A, B) durch (ϕ + ψ)q (a) := ϕq (a) + ψq (a), a ∈ Aq . Dadurch wird Homk (A, B) zu einer abelschen Gruppe. Sind A, B, C gradueirte abelsche Gruppen und ϕ ∈ Homk (A, B), ψ ∈ Homl (B, C), dann definiert ψ ◦ ϕ ∈ Homk+l (A, C), (ψ ◦ ϕ)q (a) := ψq+k (ϕq (a)), a ∈ Aq , einen Homomorphismus vom Grad k + l. Beachte, dass diese Komposition bilinear ist, dh. es gilt (ψ1 + ψ2 ) ◦ ϕ = ψ1 ◦ ϕ + ψ2 ◦ ϕ sowie ψ ◦ (ϕ1 + ϕ2 ) = ψ ◦ ϕ1 + ψ ◦ ϕ2 , für ϕ, ϕi ∈ Homk (A, B) und ψ, ψi ∈ Homl (B, C). Unter einem Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen verstehen wir einen Homomorphismus vom Grad 0. Wir werden die Menge dieser Homomorphismen mit Hom(A, B) bezeichnen. Die graduierten abelschen Gruppen zusammen mit diesen Homomorphismen bilden offensichtlich eine Kategorie. Die Isomorphismen dieser Kategorie sind genau jene Homomorphismen graduierter abelscher 107 108 IV. HOMOLOGIE Gruppen ϕ : A → B, sodass ϕq : Aq → Bq für jedes q ∈ Z ein Gruppenisomorphismus ist. Bezüglich obiger Addition bildet Hom(A, B) eine abelsche Gruppe, ihr neutrales Element ist durch den triviale Homomorphismus 0 : A → B gegeben. Sind A und B zwei graduierte abelsche Gruppen und gilt Aq ⊆ Bq für alle q ∈ Z, dann nennen wir A eine graduierte Untergruppe von B und schreiben A ⊆ B. Die Inklusionen ιq : Aq → Bq definieren einen Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen ι : A → B den wir als die kanonische Inklusion bezeichnen. Unter dem Quotienten B/A verstehen wir die graduierte abelsche Gruppe (B/A)q := Bq /Aq , q ∈ Z. Die Projektionen pq : Bq → Bq /Aq liefern einen Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen p : B → B/A, den wir als die kanonsiche Projektion bezeichnen. Ist ϕ : B → C ein Homomorphismus graduierte abelscher Gruppen mit ϕ ◦ ι = 0, dann existiert genau ein Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen ϕ̄ : B/A → C mit ϕ̄ ◦ p = ϕ. Ist ϕ : A → B ein Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen dann definieren wir seinen Kern ker(ϕ) als die graduierte abelsche Gruppe (ker(ϕ))q := ker(ϕq : Aq → Bq ). Dies ist offensichtlich eine graduierte Untergruppe von A, dh. ker(ϕ) ⊆ A. Analog definieren wir sein Bild img(ϕ) als die graduierte abelsche Gruppe (img(ϕ))q := img(ϕq : Aq → Bq ), q ∈ Z, eine graduierte Untergruppe von B, dh. img(ϕ) ⊆ B. Wir können den Homomorpismus ϕ als Homomorphismus ϕ : A → img(ϕ) betrachten und es gilt ϕ ◦ ι = 0, wobei ι : ker(ϕ) → A die kanonische Inklusion bezeichnet. Daher faktorisiert ϕ zu einen Homomorphismus ϕ̄ : A/ ker(ϕ) → img(ϕ). Nach dem Homomorphiesatz der Algebra ist ϕ̄q : Aq / ker(ϕq ) → img(ϕq ) ein Gruppenisomorphismus, daher ist ∼ = ϕ̄ : A/ ker(ϕ) − → img(ϕ) ein Isomorphismus graduierter abelscher Gruppen. Die Kategorie der graduierten abelschen Gruppen besitzt Koprodukte. Sind λ A , λ ∈ Λ, graduierte abelsche Gruppen dann definieren wir eine graduierte L L L Abelsche Gruppe λ∈Λ Aλ durch ( λ∈Λ Aλ )q := λ∈Λ Aλq und kanonische InL L ′ ′ klusionen ιλ : Aλ → λ′ ∈Λ Aλ durch die Inklusionen ιλq : Aλq → λ′ ∈Λ Aλq . Eine einfache Überlegung zeigt, dass dies tatsächlich die universelle Eigenschaft des Koprodukts hat. Genauer, für eine weitere graduierte abelsche Gruppe B und Homomorphismen graduierter abelscher Gruppen ϕλ : AλL→ B existiert genau ein Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen ϕ : λ∈Λ Aλ → B, sodass ϕ ◦ ιλ = ϕλ , für alle λ ∈ Λ. Die Kategorie abelschen Gruppen besitzt auch Produkte. Diese Q der graduierten Q sind durch ( λ∈Λ Aλ )q := λ∈Λ Aλq gegeben, die kanonischen Projektionen pλ : Q Q ′ λ′ → Aλ durch die Projektionen pλq : λ′ ∈Λ Aλq → Aλq definiert. Wieder λ′ ∈Λ′ A lässt sich leicht zeigen, dass dies die universelle Eigenschaft des Produktes besitzt, dh. für Homomorphismen graduierter abelscher Gruppen ϕλ : B → Aλ , λ ∈ Λ, existiert genau ein Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen ϕ : B → Q λ A , sodass pλ ◦ ϕ = ϕλ für alle λ ∈ Λ. λ∈Λ IV.1. KETTENKOMPLEXE UND HOMOLOGIE 109 Unter einem Kettenkomplex verstehen wir eine graduierte abelsche Gruppe C zusammen mit einem Homomorphismus vom ∂ ∈ Hom−1 (C, C) vom Grad −1, der ∂ 2 = 0, dh. ∂ ◦ ∂ = 0, erfüllt. Ein Kettenkomplex ist daher ein System abelscher Gruppen Cq , q ∈ Z, zusammen mit einem System von Homomorphismen ∂q : Cq → Cq−1 , q ∈ Z, sodass ∂q−1 ◦ ∂q = 0, für alle q ∈ Z. Wir werden Kettenkomplexe meist ∂q+1 ∂q−2 ∂q−1 ∂q mit C, C∗ , (C, ∂) oder (C∗ , ∂) be− Cq ←−− · · · · · · ←−− Cq−2 ←−− Cq−1 ← zeichnen. Die abelsche Gruppe Cq wird die Gruppe der q-Ketten genannt. Der Homomorphismus ∂ heißt Randoperator oder Differential des Kettenkomplexes. Die abelsche Gruppe Zq := Zq (C) := {c ∈ Cq : ∂q c = 0} wird die Gruppe der q-Zyklen genannt. Die abelsche Gruppe Bq := Bq (C) := {∂q+1 c : c ∈ Cq+1 } wird die Gruppe der q-Ränder bezeichnet. Aus ∂q ◦ ∂q+1 = 0 folgt Bq ⊆ Zq ⊆ Cq . Unter der qten Homologiegruppe des Kettenkomplexes verstehen wir die abelsche Gruppe Hq := Hq (C) := Hq (C, ∂) := Zq /Bq . Elemente von Hq werden als Homologieklassen bezeichnet. Ist c ∈ Zq so schreiben wir [c] ∈ Hq für die von c repräsentierte Homologieklasse. Zwei Zyklen c, c′ ∈ Zq definieren genau dann die selbe Homologieklasse, wenn sie sich um einen Rand unterscheiden, dh. wenn z ∈ Cq+1 mit c′ − c = ∂q+1 z existiert. Wir können die Systeme Zq , Bq , Hq , q ∈ Z, als graduierte abelsche Gruppen auffassen, und schreiben dafür meist Z∗ (C), B∗ (C) und H∗ (C), oder bloß B∗ , Z∗ sowie H∗ wenn aus dem Zusammenhang hervorgeht welcher Kettenkomplex gemeint ist. Wir haben kanonische Inklusionen graduierter Untergruppen B∗ ⊆ Z∗ ⊆ C∗ , und es gilt H∗ = Z∗ /B∗ . Ein Kettenkomplex C heißt azyklisch falls H∗ (C) = 0, dh. wenn alle Homologiegruppen trivial sind. Offensichtlich ist dies genau dann der Fall, wenn B∗ (C) = Z∗ (C), dh. wenn jeder Zykel Rand ist, es daher keine essentiellen Zykel gibt. IV.1.1. Beispiel. Betrachte den Kettenkomplex 0 2 (0,3) 0 ··· ← 0 ← 0 ← Z ← −Z← −Z← − Z ⊕ Z ←−− Z ← 0 ← 0 ← · · · dh. die einzigen nicht-trivialen Kettengruppen sind C0 = C1 = C2 = C3 = C4 = C5 = Z. Dann gilt H0 (C) = Z, H1 (C) = Z2 , H3 (C) = Z ⊕ Z3 , und alle anderen Homologiegruppen verschwinden. ϕ ψ Eine Sequenz von Gruppen A − →B− → C heißt exakt falls ker(ψ) = img(ϕ). Insbesondere muss daher ψ ◦ ϕ = 0 gelten, denn dies ist zur Inklusion img(ϕ) ⊆ ϕ 0 ker(ψ) äquivalent. Etwa ist die Sequenz A − →B− → C genau dann exakt, wenn ϕ 0 ψ surjektiv ist. Die Sequenz A − →B− → C ist genau dann exakt wenn ψ injektiv ist. ϕ 0 0 Eine Sequenz A − →B− →C− → D ist genau dann exakt wenn ϕ ein Isomorphismus ist. Unter einer kurzen exakten Sequenz verstehen wir eine exakte Sequenz der ϕ ψ Form 0 → A − →B − → C → 0, dh. ϕ ist injektiv, ψ ist surjektiv und ker(ψ) = img(ϕ). In diesem Fall können wir daher A als Untergruppe von B auffassen und ψ induziert einen Isomorphismus C ∼ = B/A. Die Homologiegruppe Hq (C) eines 110 IV. HOMOLOGIE ∂q ∂q+1 − Cq ←−− Cq+1 Kettenkomplexes C misst daher wie weit die Sequenz Cq−1 ← davon entfernt ist bei Cq exakt zu sein. Ein Kettenkomplex C ist genau dann ∂q ∂q+1 − Cq ←−− Cq+1 ← · · · bei jedem Cq azyklisch wenn die Sequenz · · · ← Cq−1 ← exakt ist. Seien nun (C, ∂) und (C ′ , ∂ ′ ) zwei Kettenkomplexe. Unter einer Kettenabbildung ϕ : C → C ′ verstehen wir einen Homomorphismus graduierte abelscher Gruppen ϕ ∈ Hom(C, C ′), sodass gilt ∂q ∂ ′ ◦ ϕ = ϕ ◦ ∂. Kettenabbildungen werden Cq−1 o Cq o ··· o ··· auch als Homomorphismen von Kettenkomϕq−1 ϕq plexen oder Komplexabbildungen bezeichnet. ′ Eine Kettenabbildung ist daher ein System ∂ ′ o q C′ o Cq−1 ··· o ··· q von Homomoprhismen ϕq : Cq → Cq′ , q ∈ Z, sodass ∂q′ ◦ ϕq = ϕq−1 ◦ ∂q , für alle q ∈ Z. Die Komposition zweier Komplexabbildungen ist wieder eine Komplexabbildung. Kettenkomplexe und Komplexabbildungen bilden daher eine Kategorie, die Kategorie der Kettenkomplexe. Die Isomorphismen dieser Kategorie sind genau jene Kettenabbildungen ϕ : C → C ′ , sodass ϕq : Cq → Cq′ für jedes q ∈ Z ein Gruppenisomorphismus ist. Sind ϕ, ψ : C → C ′ zwei Komplexabbildungen, dann ist auch ϕ + ψ : C → C ′ eine Komplexabbildung. Die Menge der Kettenabbildungen von C nach C ′ bildet daher eine abelsche Gruppe. Ist ϕ : C → C ′ eine Kettenabbildung, dann folgt aus der Relation ∂ ′ ◦ ϕ = ϕ ◦ ∂ sofort ϕq (Zq ) ⊆ Zq′ und ϕq (Bq ) ⊆ Bq′ . Eine Kettenabbildung induziert daher Homomorphismen zwischen den Homologiegruppen, ϕ∗ : Hq (C) → Hq (C ′ ), ϕ∗ ([c]) := [ϕq (c)], c ∈ Zq (C). Statt ϕ∗ : Hq (C) → Hq (C ′ ) werden wir gelegentlich auch Hq (ϕ) : Hq (C) → Hq (C ′ ) schreiben. IV.1.2. Proposition (Homologiefunktor). Ordnen wir einem Kettenkomplex C die graduierte abelsche Gruppe H∗ (C) und einer Kettenabbildung ϕ : C → C ′ den Homomorphismus ϕ∗ : H∗ (C) → H∗ (C ′ ) zu, so erhalten wir einen kovarianten Funktor von der Kategorie der Kettenkomplexe in die Kategorie der graduierten ableschen Gruppen. Dh. für je zwei Kettenabbildungen ϕ : C → C ′ und ϕ′ : C ′ → C ′′ gilt (ϕ′ ◦ ϕ)∗ = ϕ′∗ ◦ ϕ∗ , sowie (idC )∗ = idH∗ (C) . Weiters ist (ϕ + ψ)∗ = ϕ∗ + ψ∗ , für je zwei Kettenabbildungen ϕ, ψ : C → C ′ . Beweis. Seien ϕ : C → C ′ und ϕ′ : C ′ → C ′′ zwei Kettenabbildungen und c ∈ Zq (C). Dann gilt (ϕ′∗ ◦ ϕ∗ )([c]) = ϕ′∗ (ϕ∗ ([c])) = ϕ′∗ ([ϕq (c)]) = [ϕ′q (ϕq (c))] = (ϕ′ ◦ ϕ)∗ ([c]), also ϕ′∗ ◦ ϕ∗ = (ϕ′ ◦ ϕ)∗ : Hq (C) → Hq (C ′′ ). Die übrigen Aussagen sind ebenso trivial. Ist C ′ ein Kettenkomplex und C ⊆ C ′ eine graduierte Untergruppe die invariant unter dem Differential von C ′ ist, dh. ∂ ′ (Cq ) ⊆ Cq−1 für alle q ∈ Z, dann nennen wir C einen Teilkomplex von C ′ . Offensichtlich bildet C zusammen mit der Einschränkung von ∂ ′ wieder einen Kettenkomplex, und die kanonische Inklusion ι : C → C ′ ist eine Kettenabbildung. In dieser Situation induziert das IV.1. KETTENKOMPLEXE UND HOMOLOGIE 111 Differential ∂ ′ ein Differential auf der graduierten Quotientengruppe C ′ /C, denn ′ ′ ∂q′ : Cq′ → Cq−1 faktorisiert zu einem Homomorphismus Cq′ /Cq → Cq−1 /Cq−1 . ′ Dadurch wird C /C zu einem Kettenkomplex, den wir als den Quotientenkomplex von C ′ nach C bezeichnen. Nach Konstruktion ist die kanonische Projektion p : C ′ → C ′ /C eine Kettenabbildung. Ist ϕ : C → C ′ eine Kettenabbildung, dann bildet ker(ϕ) einen Teilkomplex von C, und img(ϕ) ist ein Teilkomplex von C ′ . Weiters ist der kanonische Isomorphismus C/ ker(ϕ) ∼ = img(ϕ) ein Isomorphismus von Kettenkomplexen. IV.1.3. Beispiel. Ist C ⊆ C ′ ein Teilkomplex dann ist die kanonische Inklusion Cq → Cq′ injektiv, die induzierten Homomorphismen ι∗ : Hq (C) → Hq (C ′ ) müssen aber keineswegs injektiv sein. Ebenso werden die von der kanonischen Projektion p : C ′ → C ′ /C induzierten Homomorphismen p∗ : Hq (C ′ ) → Hq (C ′ /C) i.A. nicht surjektiv sein. Dies lässt sich schon an einfachen Beispielen beobachten, 1 betrachte etwa den azyklischen Kettenkomplex · · · ← 0 ← Z ← − Z ← 0 ← ···, dh. C0′ = C1′ = Z, und den Teilkomplex der durch C0 = Z und C1 = 0 gegeben ist. Trotzdem gibt es einen engen Zusammenhang zwischen den Homologiegruppen von C, C ′ und C ′ /C, dieser ist jedoch ein wenig subtiler, vgl. Satz IV.3.1 unten. Die Kategorie der Kettenkomplexe besitzt Koprodukte. Sind (C λ , ∂ λ ), λ ∈ Λ, Kettenkomplexe dann induzieren die Differentiale ∂ λ einen Homomorphismus L L L λ λ λ ⊕λ∈Λ ∂ λ : → λ∈Λ C λ∈Λ C vom Grad −1. Offensichtlich wird λ∈Λ C dadurch zu einem Kettenkomplex, und die kanonischen Inklusionen ιλ : C λ → L λ′ sind Kettenabbildungen. Eine einfache Überlegung zeigt, dass diese λ′ ∈Λ C die universelle Eigenschaft des Koprodukts haben, dh. sind ϕλ :L C λ → C ′ Kettenabbildungen, dann existiert genau einen Kettenabbildung ϕ : λ∈Λ C λ → C ′ , sodass ϕ ◦ ιλ = ϕλ für alle λ ∈ Λ gilt. Die kanonischen Inklusionen ιλ : C λ → L L ′ λ λ′ induzieren Homomorphismen (ιλ )∗ : H∗ (C λ ) → H∗ , und λ′ ∈Λ C λ′ ∈Λ C diese definieren einen Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen L L λ λ H (C ) → H C . (IV.1) ∗ ∗ λ∈Λ λ∈Λ Der Homologiefunktor vertauscht in folgendem Sinn mit Koprodukten. IV.1.4. Proposition. Der Homomorphismus (IV.1) ist ein Isomorphismus graduierter abelscher Gruppen. L Beweis. Setze C := λ∈Λ C λ . Da die Inklusionen ιλ : C λ → C Kettenabbilλ λ dungen sind, liefern sie Inklusionen ) → Bq (C), und LZq (C ) →λ Zq∼(C) sowie Bq (C L λ ∼ diese induzieren Isomorphismen λ∈Λ Zq (C ) = Zq (C), sowie λ∈Λ Bq (C ) = Bq (C). Wir erhalten daher L λ M Zq (C λ ) M Zq (C) ∼ λ∈Λ Zq (C ) ∼ L Hq (C) = Hq (C λ ). = = = λ) λ) Bq (C) B (C B (C q λ∈Λ q λ∈Λ λ∈Λ Die Kategorie der Kettenkomplexe besitzt auch Produkte, diese werden im Folgenden aber nicht wichtig sein. Sind (C λ , ∂ λ ), λ ∈ Λ, Kettenkomplexe dann 112 IV. HOMOLOGIE Q λ λ λ induzieren die Differentiale ∂ einen Homomorphismus × : → λ∈Λ ∂ λ∈Λ C Q Q λ λ C dadurch zu einem Kettenλ∈Λ C vom Grad −1. Offensichtlich wird λ∈Λ Q ′ λ komplex, und die kanonischen Projektionen p : λ′ ∈Λ C λ → C λ sind Kettenabbildungen. Eine einfache Überlegung zeigt, dass diese die universelle Eigenschaft des Produkts haben, dh. sind ϕλ : C ′ → C λ Kettenabbildungen, dann existiert geQ nau einen Kettenabbildung ϕ : C ′ → λ∈Λ C λ , sodass pλ ◦ ϕ = ϕλ für alle λ ∈ Λ. Q λ λ′ Die kanonischen Projektionen p : → C λ induzieren Homomorphismen λ′ ∈Λ C Q ′ (pλ )∗ : H∗ λ′ ∈Λ C λ → H∗ (C λ ), und diese definieren einen Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen Q Q H∗ λ∈Λ C λ → λ∈Λ H∗ (C λ ). (IV.2) Der Homologiefunktor vertauscht in folgendem Sinn mit Produkten. IV.1.5. Proposition. Der Homomorphismus (IV.2) ist ein Isomorphismus graduierter abelscher Gruppen. Beweis. Analog zum Beweis von Proposition IV.1.4. IV.2. Kettenhomotopie. Zwei Kettenabbildungen ϕ, ψ : C → C ′ heißen (ketten)homotop falls ein Homomorphismus h : C → C ′ vom Grad 1 existiert, sodass ∂ ′ ◦ h + h ◦ ∂ = ψ − ϕ gilt. Jeder solche Homomorphismus h wird eine (Ketten)homotopie von ϕ nach ψ genannt. Eine Kettenhomotopie wie oben ist ′ daher ein System von Homomorphismen hq : Cq → Cq+1 , sodass für jedes q ∈ Z ′ die Gleichung ∂q+1 ◦ hq + hq−1 ◦ ∂q = ψq − ϕq gilt. ··· o Cq−1 No ··· o ′ Cq−1 ∂q Cq oNN Cq+1 o NNN h NNN N q NNhNq−1 ψq −ϕq NNNN NNN NNN NNN ′ & ∂q+1 & ′ o C o C′ o q q+1 ··· ··· Existiert eine Kettenhomotopie von ϕ nach ψ so schreiben wir ϕ ≃ ψ. IV.2.1. Lemma. Kettenhomotop zu sein ist eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Kettenabbildungen zwischen zwei Kettenkomplexen. Beweis. Ist ϕ : C → C ′ eine Kettenabbildung, dann definiert h := 0 eine Kettenhomotopie von ϕ nach ϕ, also ist die Relation reflexiv. Nun zur Sym′ metrie: Es sei also h : C∗ → C∗+1 eine Kettenhomotopie von ϕ nach ψ, dh. ′ ψ−ϕ = ∂ ◦h+h◦∂. Es gilt dann auch ϕ−ψ = ∂ ′ ◦(−h)+(−h)◦∂, also ist −h eine Kettenhomotopie von ψ nach ϕ. Damit ist die Relation auch symmetrisch. Kommen wir schließlich zur Transitivität. Seien dazu h1 : C∗ → C∗+1 eine Kettenho′ motopie von ϕ1 nach ϕ2 , und h2 : C∗ → C∗+1 eine Kettenhomotopie von ϕ2 nach ′ ϕ3 . Es gilt daher ϕ2 −ϕ1 = ∂ ◦h1 +h1 ◦∂ sowie ϕ3 −ϕ2 = ∂ ′ ◦h2 +h2 ◦∂. Durch Addition dieser beiden Gleichungen erhalten wir ϕ3 −ϕ1 = ∂ ′ ◦(h1 +h2 )+(h1 +h2 )◦∂, also ist h1 + h2 eine Kettenhomotopie von ϕ1 nach ϕ3 . IV.2. KETTENHOMOTOPIE 113 IV.2.2. Lemma. Kettenhomotop zu sein ist mit der Komposition von Kettenabbildungen verträglich, dh. aus ϕ ≃ ψ : C → C ′ und ϕ′ ≃ ψ ′ : C ′ → C ′′ folgt ϕ′ ◦ ϕ ≃ ψ ′ ◦ ψ : C → C ′′ . ′ Beweis. Seien also h : C∗ → C∗+1 eine Kettenhomotopie von ϕ nach ψ, und ′ ′ ′′ h : C∗ → C∗+1 eine Kettenhomotopie von ϕ′ nach ψ ′ . Es gilt daher ψ − ϕ = ∂ ′ ◦ h + h ◦ ∂ sowie ψ ′ − ϕ′ = ∂ ′′ ◦ h′ + h′ ◦ ∂ ′ . Aus der ersten Gleichung und ψ ′ ◦ ∂ ′ = ∂ ′′ ◦ ψ ′ folgt ψ ′ ◦ ψ − ψ ′ ◦ ϕ = ψ ′ ◦ ∂ ′ ◦ h + ψ ′ ◦ h ◦ ∂ = ∂ ′′ ◦ ψ ′ ◦ h + ψ ′ ◦ h ◦ ∂. Ebenso erhalten wir aus der zweiten Gleichung und ∂ ′ ◦ ϕ = ϕ ◦ ∂ die Relation ψ ′ ◦ ϕ − ϕ′ ◦ ϕ = ∂ ′′ ◦ h′ ◦ ϕ + h′ ◦ ∂ ′ ◦ ϕ = ∂ ′′ ◦ h′ ◦ ϕ + h′ ◦ ϕ ◦ ∂. Addition der letzten beiden Gleichungen liefert nun ψ ′ ◦ ψ − ϕ′ ◦ ϕ = ∂ ′′ ◦ (ψ ′ ◦ h + h′ ◦ ϕ) + (ψ ′ ◦ h + h′ ◦ ϕ) ◦ ∂, ′′ also ist ψ ′ ◦h+h′ ◦ϕ : C∗ → C∗+1 eine Kettenhomotopie von ϕ′ ◦ϕ nach ψ ′ ◦ψ. IV.2.3. Lemma. Kettenhomotop zu sein ist mit der Gruppenstruktur auf der Menge der Kettenabbildungen verträglich, dh. aus ϕ1 ≃ ψ1 : C → C ′ und ϕ2 ≃ ψ2 : C → C ′ folgt ϕ1 + ϕ2 ≃ ψ1 + ψ2 : C → C ′ . ′ Beweis. Seien also h1 : C∗ → C∗+1 eine Kettenhomotopie von ϕ1 nach ψ1 , ′ und h2 : C∗ → C∗+1 eine Kettenhomotopie von ϕ2 nach ψ2 . Es gilt daher ψ1 −ϕ1 = ∂ ′ ◦ h1 + h1 ◦ ∂ sowie ψ2 − ϕ2 = ∂ ′ ◦ h2 + h2 ◦ ∂. Addition dieser Gleichungen liefert (ψ1 + ψ2 ) − (ϕ1 + ϕ2 ) = ∂ ′ ◦ (h1 + h2 ) + (h1 + h2 ) ◦ ∂, ′ also ist h1 + h2 : C∗ → C∗+1 eine Kettenhomotopie von ϕ1 + ϕ2 nach ψ1 + ψ2 . IV.2.4. Proposition (Homotopieinvarianz). Sind ϕ, ψ : C → C ′ kettenhomotope Komplexabbildungen, dann gilt ϕ∗ = ψ∗ : H∗ (C) → H∗ (C ′ ). ′ Beweis. Nach Voraussetzung existiert eine Kettenhomotopie h : C∗ → C∗+1 mit ψ − ϕ = ∂ ′ ◦ h + h ◦ ∂. Sei nun c ∈ Zq (C) ein q-Zykel und betrachte die davon repräsentierte Homologieklasse [c] ∈ Hq (C). Wegen ∂c = 0 erhalten wir ψ(c)−ϕ(c) = ∂ ′ (h(c))+h(∂(c)) = ∂ ′ (h(c)) ∈ Bq (C ′ ), und damit ψ∗ ([c])−ϕ∗ ([c]) = [ψ(c)] − [ϕ(c)] = [ψ(c) − ϕ(c)] = 0 ∈ Hq (C ′ ). Es gilt daher ψ∗ ([c]) = ϕ∗ ([c]), für alle [c] ∈ Hq (C). Eine Kettenabbildung ϕ : C → C ′ wird (Ketten)homotopieäquivalenz genannt, falls eine Kettenabbildung ψ : C ′ → C existiert, sodass ψ ◦ ϕ ≃ idC und ϕ ◦ ψ ≃ idC ′ gilt. Zwei Kettenkomplexe heißen (ketten)homotopieäquivalent falls eine Kettenhomotopieäquivalenz C → C ′ existiert. In diesem Fall schreiben wir C ≃ C ′. IV.2.5. Proposition. Ist ϕ : C → C ′ eine Kettenhomotopieäquivalenz, dann ist ϕ∗ : H∗ (C) → H∗ (C ′ ) ein Isomorphismus graduierter abelscher Gruppen. Homotopieäquivalente Kettenkomplexe haben daher isomorphe Homologiegruppen. 114 IV. HOMOLOGIE Beweis. Nach Voraussetzung existiert eine Kettenabbildung ψ : C ′ → C mit ψ ◦ ϕ ≃ idC und ϕ ◦ ψ ≃ idC ′ . Aus Proposition IV.1.2 und Proposition IV.2.4 erhalten wir ψ∗ ◦ ϕ∗ = (ψ ◦ ϕ)∗ = (idC )∗ = idH∗ (C) sowie ϕ∗ ◦ ψ∗ = (ϕ ◦ ψ)∗ = (idC ′ )∗ = idH∗ (C ′ ) . Daher sind ϕ∗ : H∗ (C) → H∗ (C ′ ) und ψ∗ : H∗ (C ′ ) → H∗ (C) zueinander inverse Homomorphismen. IV.2.6. Bemerkung. Sind C und C ′ zwei Kettenkomplexe, dann bezeichnen wir mit [C, C ′] die Menge der Homotopieklassen von Kettenabbildungen. Ist ϕ : C → C ′ eine Kettenabbildung, dann schreiben wir [ϕ] ∈ [C, C ′ ] für die von ϕ repräsentierte Homotopieklasse. Nach Lemma IV.2.2 erhalten wir ei ne wohldefinierte Verknüpfung [C, C ′] × [C ′ , C ′′ ] → [C, C ′′ ], [ϕ], [ϕ′ ] 7→ [ϕ′ ◦ ϕ]. Wir erhalten daher eine Kategorie der Kettenkomplexe und Homotopieklassen von Kettenabbildungen. Die Isomorphismen dieser Kategorie sind genau die Kettenhomotopieäquivalenzen. Nach Proposition IV.2.4 faktorisiert der Homologiefunktor durch Kategorie der Kettenkomplexe und Homotopieklassen von Kettenabbildungen. IV.2.7. Beispiel (Abbildungskegel). Ist ϕ : (C, ∂) → (C ′ , ∂ ′ ) eine Kettenabbildung, dann definieren wir einen Kettenkomplex (Cϕ , ∂ Cϕ ), den sogenannten Abbildungskegel von ϕ, wie folgt: ∂qCϕ (c′ , c) := ∂q′ (c′ ) + ϕq−1 (c), −∂q−1 (c) . (Cϕ )q := Cq′ ⊕ Cq−1 , C C ϕ ◦ ∂q ϕ = 0, denn Da ϕ eine Kettenabbildung ist gilt tatsächlich ∂q−1 Cϕ ϕ ∂q−1 ∂qCϕ (c′ , c) = ∂q−1 ∂q′ (c′ ) + ϕq−1 (c), −∂q−1 (c) ′ = ∂q−1 (∂q′ (c′ ) + ϕq−1 (c)) + ϕq−2 (−∂q−1 (c)), ∂q−2 (∂q−1 (c)) ′ (ϕq−1 (c)) − ϕq−2 (∂q−1 (c)), 0 = 0. = ∂q−1 Wir haben zwei Kettenabbildungen ι π C′ − → Cϕ − → ΣC, ι(c′ ) := (c′ , 0), π(c′ , c) := c. (IV.3) Dabei bezeichnet (ΣC, ∂ ΣC ) den Kettenkomplex (ΣC)q := Cq−1 , ∂qΣC := −∂q−1 , die sogenannte Suspension von C. Ein Kettenkomplex C heißt kontrahierbar, falls C ≃ 0. Dies ist genau dann der Fall, wenn idC ≃ 0. Kontrahierbare Kettenkomplexe sind azyklisch, siehe Proposition IV.2.5. IV.2.8. Proposition. Eine Kettenabbildung ϕ : C → C ′ ist genau dann eine Kettenhomotopieäquivalenz, wenn der Abbildungskegel Cϕ kontrahierbar ist. Beweis. Es sei h : (Cϕ )∗ → (Cϕ )∗+1 ein Homomorphismus vom Grad 1. Bezüglich der Zerlegung C∗ϕ = C∗′ ⊕ C∗−1 können wir h und ∂ Cϕ als Matrizen schreiben, ′ g X ∂ ϕ Cϕ h= bzw. ∂ = . (IV.4) ψ k 0 −∂ IV.3. DIE LANGE EXAKTE HOMOLOGIESEQUENZ 115 ′ ′ Dabei sind ψ : C∗′ → C∗ , g : C∗′ → C∗+1 , k : C∗ → C∗+1 und X : C∗ → C∗+2 Homomorphismen vom Grad 0, 1, 1 bzw. 2. Es ist nun ′ ∂ ◦g+g◦∂ +ϕ◦ψ ∂′ ◦ X − X ◦ ∂ + g ◦ ϕ + ϕ ◦ k Cϕ Cϕ ∂ ◦h+h◦∂ = ψ ◦ ∂′ − ∂ ◦ ψ ψ◦ϕ−k◦∂−∂◦k wir erhalten daher: h 0 ≃ idCϕ ⇐⇒ ψ : C ′ → C ist eine Kettenabbildung, und k idC ≃ ψ ◦ ϕ, und g ϕ ◦ ψ ≃ idC ′ , und ∂ ′ ◦ X − X ◦ ∂ + g ◦ ϕ + ϕ ◦ k = 0. (IV.5) h Ist Cϕ kontrahierbar, dann existiert h mit 0 ≃ idCϕ und aus (IV.5) folgt, dass ϕ eine Kettenhomotopieäquivalenz mit Inverser ψ ist. Sei nun umgekehrt ϕ eine Kettenhomotopieäquivalenz. Dann existiert eine Kettenabildung ψ̃ : C ′ → C k̃ ′ sowie Homomorphismen g̃ : C∗′ → C∗+1 und k̃ : C∗ → C∗+1 , sodass idC ≃ ψ ◦ ϕ g̃ und ϕ ◦ ψ ≃ idC ′ . Durch geeignete Modifikation (siehe Vorlesung) ist es möglich ψ, g, k und X zu konstruieren, sodass alle Gleichungen auf der rechten Seite von (IV.5) erfüllt sind. Definieren wir nun h : (Cϕ )∗ → (Cϕ )∗+1 durch (IV.4) so h erhalten wir 0 ≃ idCϕ aus (IV.5), also ist Cϕ kontrahierbar. IV.3. Die lange exakte Homologiesequenz. Unter einer kurzen exakten Sequenz von Kettenkomplexen verstehen wir eine Sequenz von Kettenkomplexen und Komplexabbildungen ι π 0→C− → C′ − → C ′′ → 0 ιq πq sodass die Sequenz 0 → Cq − → Cq′ −→ Cq′′ → 0 exakt ist, für jedes q ∈ Z. Dies ist genau dann der Fall wenn ιq : Cq → Cq′ injektiv ist, πq : Cq′ → Cq′′ surjektiv ist und img(ιq ) = ker(πq ) gilt. Ist etwa C ein Teilkomplex von C ′ , dann haben wir stets eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen 0 → C → C ′ → ι π C ′ /C → 0. Ein anderes Beispiel liefert die Sequenz 0 → C − → Cϕ − → ΣC → 0 des Abbildungskegels einer Kettenabbildung ϕ : C → C ′ , siehe (IV.3). ι π → C ′′ → 0 von IV.3.1. Satz. Eine kurze exakte Sequenz 0 → C − → C′ − Kettenkomplexen induziert eine lange exakte Sequenz von Homologiegruppen: δq+1 ι δq π ∗ ∗ · · · → Hq+1 (C ′′ ) −−→ Hq (C) − → Hq (C ′ ) −→ Hq (C ′′ ) − → Hq−1 (C) → · · · Diese lange exakte Sequenz ist natürlich in folgendem Sinn. Ist / 0 C ι C′ / ϕ 0 / C̃ π C ′′ / ϕ′ ι̃ / C̃ ′ / 0 ϕ′′ π̃ / C̃ ′′ / 0 116 IV. HOMOLOGIE ein kommutatives Diagramm von Kettenkomplexen und Komplexabbildungen mit exakten Zeilen, dann kommutiert auch folgendes Diagramm: ··· / Hq+1 (C ′′ ) δq+1 / Hq (C) ϕ′′ ∗ ··· ′′ /H q+1 (C̃ ) ι∗ δq+1 / H (C̃) q ι̃∗ δq / Hq (C ′′ ) ϕ′∗ ϕ∗ π∗ / Hq (C ′ ) / Hq−1 (C) ϕ′′ ∗ ϕ∗ π̃∗ / H (C̃ ′ ) q / ··· δq / H (C̃ ′′ ) q /H q−1 (C̃) / ··· Beweis. Wir betrachten folgendes kommutatives Diagramm. Nach Voraussetzung sind alle Zeilen exakt. ′ Cq+1 πq+1 ′′ Cq+1 / ′ ∂q+1 / 0 ιq Cq / Cq−1 / 0 ιq−1 ′ Cq−1 / 0 / Cq−2 Cq′′ ιq−2 / 0 (IV.6) ∂q′′ πq−1 / ′′ Cq−1 / 0 ′ ∂q−1 ∂q−1 / ∂q′ ∂q 0 ′′ ∂q+1 πq Cq′ / / ′ Cq−2 Wir widmen uns zunächst der Konstruktion von δq : Hq (C ′′ ) → Hq−1 (C). Sei also α ∈ Hq (C ′′ ). Wähle einen Zykel c′′ ∈ Zq′′ der α repräsentiert, dh. α = [c′′ ]. Da πq surjektiv ist, existiert c′ ∈ Cq′ mit πq c′ = c′′ . Es folgt πq−1 ∂q′ c′ = ∂q′′ πq c′ = ∂q′′ c′′ = 0, also existiert c ∈ Cq−1 mit ιq−1 c = ∂q′ c′ , denn die dritte Zeile in (IV.6) ′ ′ ′ ist bei Cq−1 exakt. Wir erhalten ιq−2 ∂q−1 c = ∂q−1 ιq−1 c = ∂q−1 ∂q′ c′ = 0, denn ′ ∂q−1 ∂q′ = 0. Aus der Injektivität von ιq−2 folgt nun ∂q−1 c = 0, dh. c ∈ Zq−1 (C). Also repräsentiert c eine Homologieklasse [c] ∈ Hq−1 (C). Wir behaupten nun, dass diese Homologieklasse [c] ∈ Hq−1 (C) nur von α ∈ Hq (C ′′ ), nicht aber von der Wahl von c′′ , c′ oder c abhängt. Seien dazu c̄′′ ∈ Zq′′ mit [c̄′′ ] = α, c̄′ ∈ Cq′ mit πq c̄′ = c̄′′ , und c̄ ∈ Zq mit ιq−1 c̄ = ∂q′ c̄′ . Zu zeigen ist [c] = [c̄] ∈ Hq−1 (C). Zunächst ′′ ′′ existiert z ′′ ∈ Cq+1 mit c̄′′ = c′′ + ∂q+1 z ′′ , denn [c̄′′ ] = α = [c′′ ]. Auf Grund der ′ ′ Surjektivität von πq+1 existiert z ∈ Cq+1 mit πq+1 z ′ = z ′′ . Wir erhalten ′ ′′ ′′ πq c̄′ − c′ − ∂q+1 z ′ = c̄′′ − c′′ − ∂q+1 πq+1 z ′ = c̄′′ − c′′ − ∂q+1 z ′′ = 0, ′ also existiert z ∈ Cq mit ιq z = c̄′ − c′ − ∂q+1 z ′ , denn die zweite Zeile von (IV.6) ist ′ bei Cq′ exakt. Es folgt ιq−1 c̄ − c − ∂q z = ∂q′ c̄′ − ∂q′ c′ − ∂q′ ιq z = ∂q′ ∂q+1 z ′ = 0, denn ′ ′ ∂q ∂q+1 = 0. Aus der Injektivität von ιq−1 schließen wir daher c̄ − c − ∂q z = 0. Dies bedeutet aber [c] = [c̄] ∈ Hq−1 (C). wir können daher δq : Hq (C ′′ ) → Hq−1 (C) durch δq (α) := [c] definieren, wobei c wie oben gewählt ist. Wir werden als nächstes verifizieren, dass δq : Hq (C ′′ ) → Hq−1 (C) ein Gruppenhomomorphismus ist. Seien also α1 , α2 ∈ Hq (C ′′ ), c′′1 , c′′2 ∈ Zq′′ mit [c′′1 ] = α1 IV.3. DIE LANGE EXAKTE HOMOLOGIESEQUENZ 117 und [c′′2 ] = α2 , c′1 , c′2 ∈ Cq′ mit πq c′1 = c′′1 und πq c′2 = c′′2 sowie c1 , c2 ∈ Zq−1 mit ιq−1 c1 = ∂q c′1 und ιq−1 c2 = ∂q′ c′2 . Nach Definition von δq gilt dann δq (α1 ) = [c1 ] und δq (α2 ) = [c2 ]. Betrachte nun c′′ := c′′1 + c′′2 ∈ Zq′′ , c′ := c′1 + c′2 ∈ Cq′ und c := c1 + c2 ∈ Zq−1 . Dann gilt [c′′ ] = α1 + α2 , πq c′ = c′′ sowie ιq−1 c = ∂q′ c′ . Wir erhalten daher δq (α1 + α2 ) = [c] = [c1 + c2 ] = [c1 ] + [c2 ] = δq (α1 ) + δq (α2 ). Also ist δq : Hq (C ′′ ) → Hq−1 (C) tatsächlich ein Homomorphismus. Nun zur Natürlichkeitsaussage. Zunächst erhalten wir aus Proposition IV.1.2 sofort ϕ′∗ ◦ ι∗ = (ϕ′ ◦ ι)∗ = (ι̃ ◦ ϕ)∗ = ι̃∗ ◦ ϕ∗ sowie ϕ′′∗ ◦ π∗ = (ϕ′′ ◦ π)∗ = (π̃ ◦ ϕ′ )∗ = π̃∗ ◦ ϕ′∗ . Es bleibt daher nur ϕ∗ ◦ δq = δq ◦ ϕ′′∗ : Hq (C ′′ ) → Hq−1 (C̃) zu zeigen. Sei also α ∈ Hq (C ′′ ), c′′ ∈ Zq′′ mit α = [c′′ ], c′ ∈ Cq′ mit πq c′ = c′′ , und c ∈ Zq−1 mit ιq−1 c = ∂q′ c′ . Nach Definition von δq gilt dann δq (α) = [c] ∈ Hq−1 (C), also ϕ∗ (δq (α)) = [ϕq−1 c] ∈ Hq−1 (C̃). Betrachte nun c̃′′ := ϕ′′q c′′ ∈ Z̃q′′ , c̃′ := ϕ′q c′ ∈ C̃q′ und c̃ := ϕq−1 c ∈ Z̃q−1 . Dann gilt [c̃′′ ] = ϕ′′∗ (α) ∈ Hq (C̃ ′′ ). Weiters haben wir π̃q c̃′ = π̃q ϕ′q c′ = ϕ′′q πq c′ = ϕ′′q c′′ = c̃′′ . Und schließlich ι̃q−1 c̃ = ι̃q−1 ϕq−1 c = ϕ′q−1 ιq−1 c = ϕ′q−1 ∂q′ c′ = ∂˜q′ ϕ′q c′ = ∂˜q′ c̃′ . Nach Definition von δq gilt daher δq (ϕ′′∗ (α)) = [c̃]. Zusammen mit der obigen Relation ϕ∗ (δq (α)) = [ϕq−1 c] = [c̃] erhalten wir ϕ∗ (δq (α)) = δq (ϕ′′∗ (α)), für alle α ∈ Hq (C ′′ ). Als nächstes werden wir zeigen, dass die lange Sequenz bei Hq (C ′ ) exakt ist. Aus π ◦ ι = 0 folgt π∗ ◦ ι∗ = (π ◦ ι)∗ = 0, also img(ι∗ ) ⊆ ker(π∗ ). Es genügt daher ker(π∗ ) ⊆ img(ι∗ ) zu verifizieren. Sei also α ∈ ker π∗ : Hq (C ′ ) → Hq (C ′′ ) , und wähle einen Repräsentanten c′ ∈ Zq′ mit [c′ ] = α. Nach Voraussetzung ist ′′ ′′ [πq c′ ] = π∗ ([c′ ]) = π∗ (α) = 0 ∈ Hq (C ′′ ), also existiert z ′′ ∈ Cq+1 mit ∂q+1 z ′′ = πq c′ . ′ ′ ′ ′′ Wegen der Surjektivität von πq+1 finden wir z ∈ Cq+1 mit πq+1 z = z . Betrachte ′ nun c̄′ := c′ − ∂q+1 z ′ ∈ Zq′ . Offensichtlich gilt dann auch α = [c̄′ ] ∈ Hq (C ′ ), dieser ′ ′′ Repräsentant von α erfüllt aber sogar πq c̄′ = πq c′ −πq ∂q+1 z ′ = πq c′ −∂q+1 πq+1 z ′ = ′′ πq c′ − ∂q+1 z ′′ = 0. Da die zweite Zeile in (IV.6) bei Cq′ exakt ist, finden wir c ∈ Cq mit ιq c = c̄′ . Es folgt ιq−1 ∂q c = ∂q′ ιq c = ∂q′ c̄′ = 0. Aus der Injektivität von ιq−1 schließen wir ∂q c = 0, dh. c ∈ Zq . Also repräsentiert c eine Homologieklasse [c] ∈ Hq (C) für die ι∗ ([c]) = [ιq c] = [c̄′ ] = α gilt. Damit liegt α im Bild des Homomorphismus ι∗ : Hq (C) → Hq (C ′ ), womit nun auch ker(π∗ ) ⊆ img(ι∗ ) gezeigt wäre. Kommen wir nun zur Exaktheit bei Hq (C ′′ ). Wir zeigen zunächst δq ◦ π∗ = 0, dh. img(π∗ ) ⊆ ker(δq ). Sei also α′ ∈ Hq (C ′ ) und wähle einen Repräsentanten c′ ∈ Zq mit α = [c′ ]. Dann gilt π∗ (α′ ) = [πq c′ ] ∈ Hq (C ′′ ). Nun ist aber ∂q′ c′ = 0 = ιq−1 0, also δq (π∗ (α′ )) = δq ([πq c′ ]) = [0] = 0. Damit ist img(π∗ ) ⊆ ker(δq ) gezeigt. Nun zur anderen Inklusion ker(δq ) ⊆ img(π∗ ). Sei also α ∈ ker(δq ). Wähle einen Repräsentanten c′′ ∈ Zq′′ mit α = [c′′ ] ∈ Hq (C ′′ ). Weiters seien c′ ∈ Cq′ mit πq c′ = c′′ und c ∈ Zq−1 mit ιq−1 c = ∂q′ c′ . Nach Definition von δq gilt δq (α) = [c] ∈ Hq−1 (C). Nach Voraussetzung ist δq (α) = 0, also existiert z ∈ Cq mit ∂q z = c. Betrachte nun c̄′ := c′ − ιq z ∈ Cq′ . Dann gilt ∂q′ c̄′ = ∂q′ c′ − ∂q′ ιq z = ∂q′ c′ − ιq−1 ∂q z = ∂q′ c′ − ιq−1 c = 0, also c̄′ ∈ Zq′ . Wir erhalten eine Homologieklasse 118 IV. HOMOLOGIE [c̄′ ] ∈ Hq (C ′ ) für die nun π∗ ([c̄′ ]) = [πq c̄′ ] = [πq c′ − πq ιq z] = [πq c′ ] = [c′′ ] = α gilt. Also liegt α im Bild des Homomorphismus π∗ : Hq (C ′ ) → Hq (C ′′ ), womit nun auch ker(δq ) ⊆ img(π∗ ) gezeigt wäre. Es ist noch die Exaktheit bei Hq−1 (C) zu zeigen. Wieder folgt die Inklusion img(δq ) ⊆ ker(ι∗ ) sofort aus der Definition von δq , denn offensichtlich gilt ι∗ ◦ δq = 0. Widmen wir uns nun der anderen Inklusion ker(ι∗ ) ⊆ img(δq ). Sei also α ∈ ker ι∗ : Hq−1 (C) → Hq−1 (C ′ ) . Wähle einen Repräsentanten c ∈ Zq−1 mit α = [c]. Nach Voraussetzung ist [ιq−1 c] = ι∗ (α) = 0 ∈ Hq−1 (C ′ ), also existiert c′ ∈ Cq′ mit ∂q′ c′ = ιq−1 c. Betrachte nun c′′ := πq c′ ∈ Cq′′ . Dann gilt ∂q′′ c′′ = ∂q′′ πq c′ = πq−1 ∂q′ c′ = πq−1 ιq−1 c = 0, also c′′ ∈ Zq′′ . Wir erhalten daher eine Homologieklasse [c′′ ] ∈ Hq (C ′′ ) für die δq ([c′′ ]) = [c] = α gilt. Also liegt α im Bild des Homomoprhismus δq : Hq (C ′′ ) → Hq−1 (C) womit nun auch ker(ι∗ ) ⊆ img(δq ) gezeigt wäre. IV.3.2. Bemerkung. Der Homomorphismus δq : Hq (C ′′ ) → Hq−1 (C) der in Satz IV.3.1 auftritt wird Einhängungshomomorphismus genannt. Im Beweis von Satz IV.3.1 haben wir gesehen, dass dieser durch die Formel ′ −1 ′′ δq (α) = ι−1 q−1 (∂q (πq (c ))) wohldefiniert ist, α ∈ Hq (C ′′ ), c′′ ∈ Zq′′ mit α = [c′′ ], vgl. (IV.6). Etwas genau′ −1 ′′ er, die Teilmenge ι−1 q−1 (∂q (πq (c ))) ⊆ Cq−1 ist nicht leer, sie besteht nur aus −1 ′′ ′ Zyklen, dh. ι−1 q−1 (∂q (πq (c ))) ⊆ Zq−1 , alle diese Zyklen repräsentieren die selbe Homologieklasse, und diese Homologieklasse hängt nur von α, nicht aber vom Repräsentanten c′′ ab. ι π IV.3.3. Korollar. Es sei 0 → C − → C′ − → C ′′ → 0 eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen. Sind zwei der drei Kettenkomplexe azyklisch, dann gilt dies auch für den dritten. Beweis. Wir nehmen an die Kettenkomplexe C und C ′′ sind azyklisch, die anderen Fälle lassen sich völlig analog zeigen. Nach Satz IV.3.1 ist die Sequenz ι∗ π∗ Hq (C) − → Hq (C ′ ) −→ Hq (C ′′ ) exakt. Nach Voraussetzung gilt Hq (C) = 0 = ′′ Hq (C ). Aus der Exaktheit folgt daher Hq (C ′ ) = 0. Da dies für jedes q ∈ Z gilt, ist C ′ azyklisch. IV.3.4. Korollar. Es sei / 0 C ι C′ / ϕ 0 / C̃ π C ′′ / ϕ′ ι̃ / C̃ ′ / 0 ϕ′′ π̃ / C̃ ′′ / 0 eine kommutatives Diagramm von Kettenabbildungen mit exakten Zeilen. Sind zwei der drei Homomorphismen ϕ∗ : H∗ (C) → H∗ (C̃), ϕ′∗ : H∗ (C ′ ) → H∗ (C̃ ′ ) und ϕ′′∗ : H∗ (C ′′ ) → H∗ (C̃ ′′ ) Isomorphismen, dann gilt dies auch für den dritten. IV.3. DIE LANGE EXAKTE HOMOLOGIESEQUENZ 119 ∼ = ∼ = → H∗ (C̃ ′′ ) → H∗ (C̃) und ϕ′′∗ : H∗ (C ′′ ) − Beweis. Wir nehmen an ϕ∗ : H∗ (C) − sind Isomorphismen, die anderen Fälle lassen sich völlig anlog behandeln. Nach Satz IV.3.1 haben wir ein kommutatives Diagramm Hq+1 (C ′′ ) δq+1 ∼ = ϕ′′ ∗ ∼ = ϕ∗ ′′ Hq+1 (C̃ ) δq+1 ι∗ Hq (C) / / / Hq (C ′ ) π∗ / ι̃∗ Hq (C̃) / Hq−1 (C) / ∼ = ϕ′′ ∗ ϕ′∗ δq Hq (C ′′ ) ′ Hq (C̃ ) π̃∗ / ∼ = ϕ∗ δq ′′ Hq (C̃ ) / Hq−1 (C̃) mit exakten Zeilen. Nach Voraussetzung sind die vier äußeren vertikalen Pfeile Isomorphismen. Nach Lemma IV.3.5 unten muss auch ϕ′∗ : Hq (C ′ ) → Hq (C̃ ′ ) ein Isomorphismus sein, für jedes q ∈ Z. IV.3.5. Lemma (Fünfer-Lemma). Es sei G1 λ1 / G2 ∼ = ϕ1 ∼ = ϕ2 H1 µ1 / H2 λ2 / G3 λ3 / µ2 / H3 λ4 / µ3 / H4 G5 ∼ = ϕ5 ∼ = ϕ4 ϕ3 G4 µ4 / H5 ein kommutatives Diagramm von Gruppenhomomorphismen27 mit exakten Zeilen. Weiters seien ϕ1 , ϕ2 , ϕ4 und ϕ5 Isomorphismen. Dann ist auch ϕ3 ein Isomorphismus. Beweis. Wir zeigen zunächst die Injektivität von ϕ3 . Sei also g3 ∈ G3 mit ϕ3 (g3 ) = 1. Dann gilt ϕ4 (λ3 (g3 )) = µ3 (ϕ3 (g3 )) = µ3 (1) = 1 und wegen der Injektivität von ϕ4 somit λ3 (g3 ) = 1. Da die obere Zeile bei G3 exakt ist, existiert g2 ∈ G2 mit λ2 (g2 ) = g3 . Es folgt µ2 (ϕ2 (g2 )) = ϕ3 (λ2 (g2 )) = ϕ3 (g3 ) = 1. Da die zweite Zeile bei H2 exakt ist, existiert h1 ∈ H1 mit µ1 (h1 ) = ϕ2 (g2 ). Auf Grund der Surjektivität von ϕ1 finden wir g1 ∈ G1 mit ϕ1 (g1 ) = h1 . Es gilt dann ϕ2 (λ1 (g1 )) = µ1 (ϕ1 (g1 )) = µ1 (h1 ) = ϕ2 (g2 ), also λ1 (g1 ) = g2 , denn ϕ2 ist injektiv. Schließlich erhalten wir g3 = λ2 (g2 ) = λ2 (λ1 (g1 )) = 0, denn wegen der Exaktheit der oberen Zeile bei G2 gilt λ2 ◦ λ1 = 0. Also ist ϕ3 injektiv. Nun zur Surjektivität von ϕ3 . sei dazu h3 ∈ H3 . Da ϕ4 surjektiv ist existiert g4 ∈ G4 mit ϕ4 (g4 ) = µ3 (h3 ). Es folgt ϕ5 (λ4 (g4 )) = µ4 (ϕ4 (g4 )) = µ4 (µ3 (h3 )) = 1, denn µ4 ◦ µ3 = 0 wegen der Exaktheit der unteren Zeile bei H4 . Da ϕ5 injektiv ist, schließen wir λ4 (g4 ) = 1. Auf Grund der Exaktheitder oberen Zeile bei G4 existiert g3 ∈ G3 mit λ3 (g3 ) = g4 . Es folgt µ3 ϕ3 (g3−1 )h3 = µ3 (ϕ3 (g3−1 ))µ3 (h3 ) = ϕ4 (λ3 (g3−1))µ3 (h3 ) = ϕ4 (g4−1 )µ3 (h3 ) = µ3 (h−1 3 )µ3 (h3 ) = 1. Da die untere Zeile bei H3 exakt ist, existiert h2 ∈ H2 mit µ2 (h2 ) = ϕ3 (g3−1 )h3 . Weiters finden wir g2 ∈ G2 mit ϕ2 (g2 ) = h2 , denn ϕ2 ist surjektiv. Wir erhalten somit ϕ3 g3 λ2 (g2 ) = ϕ3 (g3 )ϕ3 (λ2 (g2 )) = ϕ3 (g3 )µ2 (ϕ2 (g2 )) = ϕ3 (g3 )µ2 (h2 ) = ϕ3 (g3 )ϕ3 (g3−1)h3 = h3 . Also ist ϕ3 surjektiv. 27Die Gruppen müssen nicht notwendigerweise abelsch sein. 120 IV. HOMOLOGIE IV.3.6. Bemerkung. Für abelsche Gruppen lässt sich die Aussage von Lemma IV.3.5 auch aus Satz IV.3.1 wie folgt herleiten. Setzen wir Ḡ2 := G2 / ker(λ2 ), H̄2 := H2 / ker(µ2 ), Ḡ4 := img(λ3 ) und H̄4 := img(µ3 ) und bezeichnen wir mit λ̄2 , λ̄3 , µ̄2 , µ̄3 , ϕ̄2 bzw. ϕ̄4 die von λ2 , λ3 , µ2 , µ3 , ϕ2 bzw. ϕ4 induzierten Homoλ̄2 / G3 λ̄3 / Ḡ /0 / Ḡ 0 2 4 morphismen, so erhalten wir nebenstehendes kommutatives Diagramm mit ex∼ ∼ ϕ3 = ϕ̄2 = ϕ̄4 akten Zeilen. Es ist auch leicht einzuseµ̄3 µ̄2 / /0 / / H 0 H̄2 H̄4 3 hen, dass ϕ̄2 und ϕ̄4 Isomorphismen sind. Damit ist die Aussage von Lemma IV.3.5 auf den Fall G1 = H1 = G5 = H5 = 0 reduziert. Wir können dieses Diagramm als eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen auffassen, jede der drei nichttrivialen Spalten bildet einen Kettenkomplex der in Grad 0 und 1 konzentriert ist. Die erste und dritte Spalte sind azyklisch, denn ϕ̄2 und ϕ̄4 sind Isomorphismen. Nach Korollar IV.3.3 muss daher auch die zweite Spalte azyklisch sein. Dies bedeutet aber gerade, dass ϕ3 ein Isomorphismus ist. i p IV.3.7. Proposition. Es sei 0 → A − → B − → C → 0 eine kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen. Dann sind äquivalent: (i) Es existiert ein Homomorphismus σ : C → B mit p ◦ σ = idC . (ii) Es existiert ein Homomorphismus ρ : B → A mit ρ ◦ i = idA . ∼ = (iii) Es existiert ein Isomorphismus ϕ : B − → A ⊕ C mit π2 ◦ ϕ = p und ϕ ◦ i = ι1 . Dabei bezeichnen ι1 : A → A ⊕ C und π2 : A ⊕ C → C die beiden Homomorphismen ι(a) := (a, 0) und π2 (a, c) := c. Beweis. Wir beginnen mit der Implikation (i)⇒(ii). Sei also σ : C → B ein Homomorphismus mit p ◦ σ = idC . Dann gilt p ◦ (idB −σ ◦ p) = p − p ◦ σ ◦ p = p − p = 0, wir erhalten daher einen Homomorphismus idB −σ ◦ p : B → ker(p) = img(i). Es ist nun ρ := i−1 ◦ (idB −σ ◦ p) der gesuchte Homomorphismus, denn ρ ◦ i = i−1 ◦ (idB −σ ◦ p) ◦ i = i−1 ◦ (i − σ ◦ p ◦ i) = i−1 ◦ (i − σ ◦ 0) = i−1 ◦ i = idA . Zur Implikation (ii)⇒(iii): Betrachte den Homomorphismus ϕ : B → A ⊕ C, ϕ := (ρ, p). Dann gilt π2 ◦ ϕ = p und ϕ ◦ i = p i (ρ, p)◦i = (ρ◦i, p◦i) = (idA , 0) = ι1 , also 0 /A /B /C /0 kommutiert nebenstehendes Diagramm. ∼ ∼ ϕ = idA = idC Beachte, dass auch die zweite Zeile exakt /0 / A ι1 / A ⊕ C π 2 / C ist. Aus Lemma IV.3.5 folgt nun, dass ϕ 0 ein Isomorphismus sein muss. Kommen wir schließlich zur Implikation (iii)⇒(i). Es bezeichne ι2 : C → A ⊕ C den durch ι2 (c) := (0, c) definierten Homomorphismus. Für σ := ϕ−1 ◦ ι2 gilt dann p ◦ σ = p ◦ ϕ−1 ◦ ι2 = π2 ◦ ι2 = idC , also hat σ die gewünschte Eigenschaft. i p Wir sagen einen kurze exakte Sequenz 0 → A − →B − → C → 0 splittet falls sie die äquivalenten Eigenschaften in Proposition IV.3.7 besitzt. Jeder Homomorphismus σ : C → B mit p ◦ σ = idC wird ein Splitt der Sequenz genannt. Nicht IV.4. RANG UND EULER-CHARAKTERISTIK 121 2 jede kurze exakte Sequenz splittet, etwa ist dies bei 0 → Z − → Z → Z2 → 0 nicht der Fall. IV.3.8. Proposition. Eine Kettenabbildung ϕ : C → C ′ induziert eine lange exakte Sequenz ϕ∗ ι ι ∗ ∗ · · · → Hq (C ′ ) − → Hq (Cϕ ) → Hq−1 (C) −→ Hq−1 (C ′ ) − → Hq−1 (Cϕ ) → · · · Dabei bezeichnet ι : C ′ → Cϕ die Kettenabbildung aus (IV.3). Beweis. In (IV.3) haben wir eine kurze exakte Sequenz von Kettenkompleι π xen 0 → C ′ − → Cϕ − → ΣC → 0 konstruiert. Nach Satz IV.3.1 induziert diese eine lange exakte Sequenz ι π δq ι ∗ ∗ ∗ · · · → Hq (C ′ ) − → Hq (Cϕ ) −→ Hq (ΣC) − → Hq−1 (C ′ ) − → Hq−1 (Cϕ ) → · · · Bis auf die offensichtliche Identifikation Hq (ΣC) = Hq−1 (C) stimmt der Einhängungshomomorphismus δ mit ϕ∗ überein. Ersetzen wir in obiger langen exakten Sequenz Hq (ΣC) durch Hq−1 (C) so erhalten wir daher die gesuchte lange exakte Sequenz. IV.3.9. Proposition. Eine Kettenabbildung ϕ : C → C ′ induziert genau ∼ = → H(C ′), wenn der Abbildungskegel azydann einen Isomorphismus ϕ∗ : H(C) − klisch ist, dh. H(Cϕ ) = 0, vgl. Beispiel IV.2.7. Beweis. Dies folgt aus der langen exakten Sequenz in Proposition IV.3.8. IV.4. Rang und Euler-Charakteristik. Jeder abelschen Gruppe kann ein Rang zugeordnet werden, analog zur Dimension eines Vektorraums. Dies ermöglicht die Definition der Bettizahlen und der Euler-Charakteristik eines Kettenkomplexes. Wir fassen in diesem Abschnitt die nötigen Grundlagen aus der Algebra zusammen. Weitergehende Informationen finden sich etwa in [9, Chapter I], siehe aber auch [14, Kapitel IV§3.6] oder [6, Chapter I.5]. Es sei A eine abelsche Gruppe. Eine Teilmenge S ⊆ APwird linear unabhängig genannt, falls sie folgende Eigenschaft besitzt: Ist 0 = s∈S ns s wobei ns ∈ Z und fast alle ns = 0, dann folgt ns = 0, für alle s ∈ S. Eine linear unabhängige Teilmenge S einer abelschen Gruppe A heißt maximal, falls es keine echt größere linear unabhängige Teilmenge gibt, dh. für jedes aP ∈ A ist S ∪{a} linear abhängig, dh. es gilt eine nicht-triviale Relation 0 = ma + s∈S ns s wobei m, ns ∈ Z, fast alle ns = 0, aber m oder ein ns verschwinden nicht. Nach dem Lemma von Zorn besitzt jede abelsche Gruppe A eine maximale linear unabhängige Teilmenge.28 28Bezeichnet U die Menge aller linear unabhängigen Teilmengen von A, dann definiert die Mengeninklusion eine Halbordnung auf U. Jede totalgeordnete Teilmenge von U besitzt eine obere Schranke. Ist nämlich T ⊆ U eine totalgeordnete Teilmenge, dh. für alle T1 , T2 ∈ T S gilt T1 ⊆ T2 oder T2 ⊆ T1 , dann ist auch S := T ∈T T linear unabhängig, dh. S ∈ U, und nach Konstruktion ist S obere Schranke von T . Nach dem Lemma von Zorn [8, Letztes Kapitel] besitzt U daher ein maximales Element, dh. A besitzt eine maximale linear unabhängige Teilmenge. 122 IV. HOMOLOGIE Unter dem Rang von A verstehen wir die Kardinalzahl rank(A) := ♯S, wobei S eine maximale linear unabhängige Teilmenge von A ist. Nach Satz IV.4.1 unten ist dies wohldefiniert. IV.4.1. Satz. Sind S und T zwei maximale linear unabhängige Teilmengen einer abelsche Gruppe A, dann gilt ♯S = ♯T , dh. S und T haben die gleiche Kardinalität. Beweis. Für jedes s ∈ S gilt eine Relation X ks s = ns,t t (IV.7) t∈T mit 0 6= ks ∈ Z, ns,t ∈ Z und fast alle ns,t = 0, denn T ist maximal linear unabhängig. Ebenso haben wir für jedes t ∈ T eine Relation X lt t = mt,s s (IV.8) s∈S mit 0 6= lt ∈ Z, mt,s ∈ Z und fast alleQmt,s = 0, denn S ist maximal linear unabhängig. Für t ∈ T bezeichne kt := s ks wobei wir das Produkt nur über jene endlich vielen s ∈ S bilden für die mt,s 6= 0. Für t ∈ T und s ∈ S setzen wir weiters k′t,s := kt /ks falls mt,s 6= 0, und k′t,s := 0 andernfalls. Offensichtlich gilt kt , k′t,s ∈ Z, kt 6= 0, und im Fall ms,t 6= 0 auch k′s,t ks = kt . Aus (IV.8) und (IV.7) erhalten wir, für jedes t ∈ T , XX X X X mt,s k′t,s ns,t̃ t̃. ns,t̃ t̃ = kt lt t = mt,s k′t,s ks s = mt,s k′t,s s∈S s∈S t̃∈T Da T linear unabhängig ist, schließen wir X mt,s k′t,s ns,t̃ = kt lt δt,t̃ t̃∈T s∈S (IV.9) s∈S wobei δt,t = 1 und δt,t̃ = 0 für t 6= t̃. Für Betrachte nun die rationalen Zahlen ps,t := ns,t /ks ∈ Q und P qt,s := mt,s /lt ∈ Q. Mittels Division von (IV.9) durch kt lt erhalten wir sofort s∈S qt,s ps,t̃ = δt,t̃ , für alle t, t̃ ∈ T . Analog lässt sich auch P t∈T ps,t qt,s̃ = δs,s̃ verifizieren, s, s̃ ∈ S. Die rationalen Zahlen ps,t und qt,s definieren lineare AbbildungenPzwischen den freien Q-Vektorräume überP S bzw. T , ϕ : QhSi → QhT i, ϕ(s) := t∈T ps,t t, und ψ : QhT i → QhSi, ψ(t) := s∈S qt,s s. Die beiden Gleichungen oben besagen gerade ϕ ◦ ψ = idQhT i und ψ ◦ ϕ = idQhSi , also sind die Vektorräume QhSi und QhT i isomorph. Mittels linarer Algebra erhalten wir nun ♯S = dimQ (QhSi) = dimQ (QhT i) = ♯T . IV.4.2. Bemerkung. Es gilt rank(A) = dimQ (A ⊗Z Q), wir werden dies hier aber nicht verwenden. IV.4. RANG UND EULER-CHARAKTERISTIK 123 IV.4.3. Beispiel. Für jede Menge S gilt rank(ZhSi) = ♯S, denn offensichtlich ist S eine maximale linear unabhängige Teilmenge von ZhSi. Insbesondere ist rank(Zn ) = n. Für jede endliche abelsche Gruppe A gilt rank(A) = 0, insbesondere ist rank(Zn ) = 0. Weiters gilt rank(Q) = 1 und rank(Q/Z) = 0. p i IV.4.4. Proposition. Ist 0 → A − →B− → C → 0 eine kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen dann gilt rank(B) = rank(A) + rank(C). Beweis. Es sei S eine maximale linear unabhängige Teilmenge von A, und T eine maximale linear unabhängige Teilmenge von C. Da p : B → C surjektiv ist, existiert eine Abbildung σ : C → B mit p ◦ σ = idT . Die Teilmengen i(S) und σ(T ) von B sind disjunkt, denn i(S) ⊆ ker(p) und σ(T ) ∩ ker(p) = ∅. Es genügt nun zu zeigen, dass i(S) ∪ σ(T ) eine maximale linear unabhängige Teilmenge von B ist, denn dann folgt rank(B) = ♯ i(S) ∪ σ(T ) = ♯(i(S)) + ♯(σ(T )) = ♯S + ♯T = rank(A) + rank(B), wobei wir im dritten Gleichheitszeichen die Injektivität von i und σ verwendet haben. Wir beginnen mit der linearen Unabhängigkeit. Sei also X X 0= ns i(s) + mt σ(t) (IV.10) s∈S t∈T mit nP s , mt ∈ Z, fast alle Pns = 0 und fast alle mt = 0. Anwenden von p liefert 0 = t∈T mt p(σ(t)) = t∈T mt t, denn p ◦ i = 0. Auf Grund der linearen UnabhängigkeitPder T schließen P wir mt = 0, für alle Pt ∈ T . Aus (IV.10) erhalten wir nun auch i n s = n i(s) = 0, also s∈S s s∈S s s∈S ns s = 0, denn i ist injektiv. Wegen der linearen Unabhängigkeit von S folgt nun auch ns = 0, für alle s ∈ S. Also ist i(S) ∪ σ(T ) eine linear unabhängige Teilmenge von B. Um die Maximalität einzusehen sei b ∈ B. Da die T eine maximale linear unabhängige Teilmenge von C bildet, gilt eine nicht-triviale Relation X 0 = k p(b) + mt t t∈T wobei k,Pmt ∈ Z, fast alle mt = 0,P aber k oder ein mt verschwinden nicht. Es folgt p kb + t∈T mt σ(t) = k p(b) + t∈T mt t = 0, also existiert a ∈ A mit X i(a) = kb + mt σ(t), (IV.11) t∈T denn ker(p) ⊆ img(i). Da die S eine maximale linear unabhängige Teilmenge von A bildet, existiert eine nicht-triviale Relation X 0 = la + ns s (IV.12) s∈S wobei l, ns ∈ Z, fast alle ns = 0, aber l oder ein ns verschwinden nicht. Wenden wir auf (IV.12) den Homomorphimus i an und kombinieren wir dies mit (IV.11), 124 IV. HOMOLOGIE so erhalten wir folgende Relation in B, X X 0 = klb + ns i(s) + lmt σ(t). s∈S t∈T Nach Konstruktion ist dies eine nicht-triviale Relation, dh. kl, ein ns oder ein lmt verschwinden nicht. Dies zeigt, dass i(S)∪σ(T ) eine maximale linear unabhängige Teilmenge von B ist. IV.4.5. Bemerkung. Es sei B eine abelsche Gruppe und A ⊆ B eine Untergruppe. Wenden wir Proposition IV.4.4 auf die kurze exakte Seqeunz 0 → A → B → B/A → 0 so erhalten wir insbesondere rank(A) ≤ rank(B) und rank(B/A) ≤ rank(B). Daher haben Untergruppen und Quotientengruppen abelscher Gruppen endlichen Rangs endlichen Rang. IV.4.6. Bemerkung. Es sein A und B zwei abelsche Gruppen. Wenden wir Proposition IV.4.4 auf die kurze exakte Sequenz 0 → A → A ⊕ B → B → 0 an, so folgt wir rank(A ⊕ B) = rank(A) + rank(B). Damit erhalten wir etwa rank(Zn ⊕ Zn1 ⊕ · · · ⊕ Znk ) = n, siehe Beispiel IV.4.3. Es sei A eine abelsche Gruppe. Eine Teilmenge S ⊆ A wird Erzeugendensystem von A P genannt, falls sich jedes Element a ∈ A als endliche Linearkombination a = s∈S ns s schreiben lässt, wobei ns ∈ Z und fast alle ns = 0. Eine abelsche Gruppe heißt endlich erzeugt, falls sie ein endliches Erzeugendensystem besitzt. Eine Teilmenge S ⊆ A wird Basis von A genannt, falls sie ein linear unabhängiges Erzeugendensystem bildet. P In diesem Fall läßt sich jedes Element a ∈ A auf eindeutige Weise als a = s∈S ns s schreiben, wobei ns ∈ Z und fast alle ns = 0. Wir erhalten daher einen Isomorphsimus A ∼ = ZhSi. Besitzt eine abelsche Gruppe eine Basis, dann wird sie eine freie abelsche Gruppe genannt. Ist A eine freie abelsche Gruppe mit Basis S, dann gilt rank(A) = ♯S, denn offensichtlich ist jede Basis eine maximale linear unabhängige Teilmenge. Zwei Basen einer freien abelschen Gruppe müssen daher stets gleiche Mächtigkeit haben, vgl. Satz IV.4.1. IV.4.7. Korollar. Zwei freie abelsche Gruppen sind genau dann isomorph, wenn sie gleichen Rank haben. Ist A eine freie abelsche Gruppe mit Basis S, ist B eine weitere abelsche Gruppe und sind für jedes s ∈ S Elemente bs ∈ B vorgegeben, dann existiert genau ein Homomorphismus ϕ : A → B mit ϕ(s) = ks für alle s ∈ S. IV.4.8. Proposition. Es sei p : A → B ein surjektiver Homomorphismus abelscher Gruppen, F eine freie abelsche Gruppe und ϕ : F → B ein weiterer Homomorphismus. Dann existiert ein Homomorphismus ϕ̃ : F → A mit p◦ϕ̃ = ϕ. Beweis. Wähle eine Basis S von F . Wegen der Surjektivität von p finden wir zu jedem s ∈ S ein as ∈ A mit p(as ) = ϕ(s). Der durch ϕ̃(s) := as , s ∈ S, wohldefinierte Homomorphismus ϕ̃ : F → A hat dann die gewünschte Eigenschaft, denn auf Basiselementen s ∈ S gilt nach Konstruktion p(ϕ̃(s)) = p(s) = ϕ(s). IV.4. RANG UND EULER-CHARAKTERISTIK 125 IV.4.9. Proposition. Ist F eine freie abelsche Gruppe, dann splittet jede p kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen 0 → A → B − → F → 0. Insbesondere gilt in dieser Situation B ∼ = A ⊕ F. Beweis. Wenden wir Proposition IV.4.8 mit ϕ = idF an so erhalten wir einen Homomorphismus σ : F → B mit p ◦ σ = idF , also einen Splitt der kurzen exakten Sequenz. Aus Proposition IV.3.7 folgt nun B ∼ = A ⊕ F. IV.4.10. Proposition. Ist A eine abelsche Gruppe, dann existiert eine freie abelsche Gruppe F und ein surjektiver Homomorphismus ϕ : F → A. Ist A endlich erzeugt, dann kann F so gewählt werden, dass es eine endliche Basis besitzt, dh. F ∼ = Zn für ein n ∈ N0 . Beweis. Wähle ein Erzeugendensystem S von A, und betrachte die freie abelsche Gruppe F := ZhSi. Der durch ϕ(s) := s, s ∈ S, definierte Homomorphismus ϕ : F → A ist dann offensichtlich surjektiv. Ist A endlich erzeugt, dann kann S endlich gewählt werden. IV.4.11. Korollar. Jede endlich erzeugte abelsche Gruppe hat endlichen Rang. Beweis. Dies folgt aus Proposition IV.4.10 und Bemerkung IV.4.5. IV.4.12. Satz. Untergruppen freier abelscher Gruppen sind frei abelsch. Beweis. Sei also B eine freie abelsche Gruppe und A ⊆ B eine Untergruppe. Wähle eine Basis S von B, und fixiere eine Wohlordnung29 auf S. Für s ∈ S definieren wir eine Homomorphismus ps : B → Z auf Basiselementen durch ps (s) := 1 und ps (t) := 0 falls s 6= t ∈ S. Für s ∈ S bezeichne Bs ⊆ B die von {t ∈ S : t ≤ s} erzeugte Untergruppe. Einschränkung von ps liefert einen Homomorphismus qs : A ∩ Bs → Z. Da Z ein Hauptidealring ist, wird das Bild img(qs ) ⊆ Z von einem Element ms ∈ Z erzeugt. Zu jedem s ∈ S wählen wir as ∈ A ∩ Bs , sodass qs (as ) = ms . Weiters setzen wir T := {s ∈ S : ms 6= 0} = {s ∈ S : img(qs ) 6= 0}. Wir werden nun zeigen, dass at , t ∈ T , eine Basis von A bildet. P Wir beginnen mit der linearen Unabhängigkeit. Sei also t∈T nt at = 0, wobei nt ∈ Z und fast alle nt = 0. Wir müssen zeigen, dass alle nt verschwinden. Wäre dies nicht P der Fall, dann gäbe es Pein größtes s ∈ T , sodass ns 6= 0. Es folgt 0 = qs ( t∈T nt at ) = qs (ns as + t<s nt at ) = ns qs (as ) = ns ms . Da s ∈ T ist ms 6= 0, also muss ns = 0 gelten, ein Widerspruch. Daher ist at , t ∈ T , linear unabhängig. 29Unter einer Halbordnung auf einer Menge X verstehen wir eine reflexive, transitive und antisymmetrisch Relation. Sind darüber hinaus je zwei Elemente vergleichbar, dh. gilt stets x ≤ y oder y ≤ x, dann sprechen wir von einer Totalordnung. Eine Totalordung wird Wohlordnung genannt, falls jede nicht-leere Teilmenge ein kleinstes Element besitzt. Jede Menge lässt sich wohlordnen, siehe etwa [8, Letztes Kapitel]. 126 IV. HOMOLOGIE Es bleibt zu zeigen, dass A von den Elementen at , t ∈ T , erzeugt wird. Es bezeichne dazu A0 ⊆ A die von at , t ∈ T , erzeugte Untergruppe. Wir gehen indirekt vor und nehmen A0 6= A an. Da S wohlgeordnet ist, existiert ein kleinstes s ∈ S, sodass A0 ∩ Bs 6= A ∩ Bs . Wähle nun a ∈ A ∩ Bs , sodass a ∈ / A0 . Weiters sei n ∈ Z mit qs (a) = nms . Falls ms = 0 so sei auch n = 0. Dann gilt jedenfalls nas ∈ A0 . Betrachte nun a′ := a − nas ∈ A ∩ Bs . Nach Konstruktion ist qs (a′ ) = qs (a − nas ) = qs (a) − nqs (as ) = nms − nms = 0. Daher existiert s̃ < s mit a′ ∈ Bs̃ und somit a′ ∈ A ∩ Bs̃ . Andererseits gilt auch a′ ∈ / A0 , denn a ∈ / A0 und nas ∈ A0 . Dies zeigt A0 ∩ Bs̃ 6= A ∩ Bs̃ , ein Widerspruch zur Minimalität von s. Daher wird A von den Elementen at , t ∈ T , erzeugt. IV.4.13. Korollar. Ist A eine abelsche Gruppe, dann existieren freie abelsche Gruppen F0 und F1 sowie eine kurze exakte Sequenz 0 → F1 → F0 → A → 0. Ist A endlich erzeugt, dann können F0 und F1 so gewählt werden, dass sie endliche Basen besizten, dh. F0 ∼ = Zn0 und F1 ∼ = Zn1 für gewisse n0 , n1 ∈ N0 mit n1 ≤ n0 . Beweis. Nach Proposition IV.4.10 existiert eine freie abelsche Gruppe F0 und ein surjektiver Homomorphismus p : F0 → A. Setzen wir F1 := ker(p), dann ist p jedenfalls 0 → F1 → F0 − → A → 0 eine kurze exakte Sequenz. Nach Satz IV.4.12 ist F1 eine freie abelsche Gruppe. Ist A endlich erzeugt, dann kann F0 mit endlicher Basis gewählt werden, siehe Proposition IV.4.10, nach Bemerkung IV.4.5 hat dann auch F1 endlichen Rang, besitzt also eine endliche Basis. p i IV.4.14. Proposition. Ist 0 → A − →B− → C → 0 eine kurze exakte Sequenz abelscher Gruppe, dann sind äquivalent: (i) B ist endlich erzeugt. (ii) A und C sind beide endlich erzeugt. Insbesondere sind Untergruppen und Quotientengruppen endlich erzeugter abelscher Gruppen wieder endlich erzeugt. Beweis. Wir beginnnen mit der Implikation (ii)⇒(i). Es sei S ein endliches Erzeugendensystem von A, und T ein endliches Erzeugendensystem von C. Da p surjektiv ist, existiert eine Abbildung σ : C → B mit p ◦ σ = idC . Wir werden nun zeigen, dass die endliche Menge i(S) ∪ σ(T ) ein Erzeugendensystem von B P bildet. Sei dazu b ∈ existieren mt ∈ Z mit p(b) = t∈T mt t. Es folgt B. DannP P p b − t∈T mt σ(t) = p(b) − t∈T mt t = 0, also existiert a ∈ A mit X i(a) = b − mt σ(t), t∈T P denn ker(p) ⊆ img(i). Weiters existieren ns ∈ Z mit a = s∈S ns s. Wenden wir darauf den Homomorphismus i an und kombinieren dies mit der vorigen IV.4. RANG UND EULER-CHARAKTERISTIK Gleichung so erhalten wir b= X s∈S ns i(s) + X 127 mt σ(t). t∈T Dies zeigt, dass i(S) ∪ σ(T ) ein Erzeugendensystem von B bilden, also ist B endlich erzeugt. Nun zu der Implikation (i)⇒(ii). Sei also B endlich erzeugt. Ist S ein endliches Erzeugendensystem von B, dann bildet offensichtlich p(S) ein endliches Erzeugendensystem von C, denn p ist surjektiv. Dies zeigt, dass Quotienten endlich erzeugter abelscher Gruppen endlich erzeugt sind. Es bleibt noch zu zeigen, dass auch A endlich erzeugt ist. Nach Porosition IV.4.10 existiert eine freie abelscher Gruppe F mit endlicher Basis und ein surjektiver Homomorphismus π : F → B. Betrachte nun die Untergruppe A0 := π −1 (i(A)) von F . Nach Bemerkung IV.4.5 ist A0 endlich erzeugt. Weiters gilt π(A0 ) = i(A) ∼ = A, denn π ist surjektiv und i ist injektiv. Daher ist A zu einem Quotienten einer endlich erzeugten abelschen Gruppe isomorph. Nach dem vorangehenden Absatz ist daher auch A endlich erzeugt. Dies zeigt, dass Untergruppen endlich erzeugter abelscher Gruppen endlich erzeugt sind. IV.4.15. Satz (Hauptsatz über endlich erzeugte abelsche Gruppen). Es sei A eine endlich erzeugte abelsche Gruppe. Dann existieren n ∈ N0 und ni ∈ N, sodass A ∼ = Zn ⊕ Zn1 ⊕ · · · ⊕ Znk . Beweisskizze.′ Auf Grund von Korollar IV.4.13 existiert eine kurze exakte j p′ Sequenz 0 → Zl − → Zm − → A → 0 und es muss l ≤ m gelten. Bezüglich der Standardbasen von Zl und Zm ist j ′ durch eine (m × l)-Matrix J ′ mit ganzzahligen Eintragungen gegeben. Durch geeignete Zeilen- und Spaltenumformungen kann die Matrix J ′ auf Diagonalgestalt gebracht werden, dh. es existieren Isomorphismen ϕ : Zl → Zl und ψ : Zm → Zm , sodass der Homomorphismus j := ψ −1 ◦ j ◦ ϕ : Zl → Zm bezüglich der Standardbasen von Zl und Zm durch eine Matrix J der Form n1 .. . nk 0 (IV.13) J = .. . 0 .. . 0 gegeben ist, wobei ni ∈ N. Setzen wir p := p′ ◦ ψ so erhalten wir eine kurze exakte j p Sequenz 0 → Zl − → Zm − → A → 0, also A ∼ = Zm /j(Zl ). Aus der Matrixdarstellung von j, siehe (IV.13), folgt nun sofort A ∼ = Zn ⊕Zn1 ⊕· · ·⊕Znk , mit n = m−k. IV.4.16. Bemerkung. Sind n und m teilerfremd, dann gilt Znm ∼ = Zn ⊕ Zm . Aus Satz IV.4.15 folgt daher, dass jede endlich erzeugte abelsche Gruppe mi A zu einer Gruppe der Form Zn ⊕ Zpm 1 ⊕ · · · ⊕ Z ml isomorph ist, wobei pi p 1 l 128 IV. HOMOLOGIE nicht notwendigerweise verschiedene Primzahlpotenzen bezeichnen. Die Zahlen k sind durch A, bis auf ihre Reihenfolge, eindeutig bestimmt. p1m1 , . . . , pm k Ist A eine abelsche Gruppe, dann bildet die Menge der Elemente endlicher Ordnung eine Untergruppe, die sogenannte Torsionsuntergruppe Ator . Ein Element a ∈ A ist genau dann in Ator enthalten, wenn na = 0 für ein n ∈ N. Beispielsweise gilt für A = Zn ⊕ Zn1 ⊕ · · · ⊕ Znk offensichtlich Ator = Zn1 ⊕ · · · ⊕ Znk . Die abelsche Gruppe A wird torsionsfrei genannt, falls Ator = 0 gilt, dh. falls jedes nicht-triviale Element von A unendliche Ordnung hat. Es ist leicht einzusehen, dass die Faktorgruppe A/Ator stets torsionsfrei ist. Offensichtlich sind alle freien abelschen Gruppen torsionsfrei. Eine torsionsfreie abelsche Gruppe muss jedoch nicht frei abelsch sein.30 Für endlich erzeugte abelsche Gruppen erhalten wir aus Satz IV.4.15 IV.4.17. Korollar. Jede torsionsfreie endlich erzeugte abelsche Gruppe ist frei abelsch. Eine graduierte abelsche Gruppe A heißt endlich erzeugt, falls jedes Aq endlich erzeugt ist, q ∈ Z, und nur endlich viele Aq 6= 0 sind. Ein Kettenkomplex heißt endlich erzeugt wenn die zugrundeliegende graduierte abelsche Gruppe endlich erzeugt ist. Wir sagen ein Kettenkomplex C hat endlich erzeugte Homologie, falls die graduierte abelsche Gruppe H∗ (C) endlich erzeugt ist. IV.4.18. Definition (Euler-Charakteristik). Ist C ein Kettenkomplex, dann wird die Kardinalzahl bq (C) := rank(Hq (C)) die q-te Bettizahl von C genannt. Hat C endlich erzeugte Homologie so definieren wir seine Euler-Charaktersitik als X χ(C) := (−1)q rank(Hq (C)). q Beachte, dass dies eine endliche Summe ist. IV.4.19. Proposition. Jeder endlich Perzeugter Kettenkomplex C hat endlich erzeugte Homologie und es gilt χ(C) = q (−1)q rank(Cq ). δq Beweis. Aus den kurzen exakten Sequenzen 0 → Zq → Cq − → Bq−1 → 0 und 0 → Bq → Zq → Hq (C) → 0 folgt, dass die graduierten abelschen Gruppen B∗ , Z∗ und H∗ (C) endlich erzeugt sind, siehe Proposition IV.4.14. Aus Proposition IV.4.4 erhalten wir: rank(Cq ) = rank(Zq ) + rank(Bq−1 ) rank(Zq ) = rank(Bq ) + rank(Hq (C)) Aus diesen Gleichungen folgt rank(Bq ) + rank(Bq−1 ) + rank(Hq (C)) = rank(Cq ). 30Etwa ist Q torsionsfrei, aber nicht frei abelsch, denn rank(Q) = 1 aber Q ∼ 6 Z. = IV.4. RANG UND EULER-CHARAKTERISTIK 129 Summation liefert X X X (−1)q rank(Bq ) + (−1)q rank(Bq−1 ) + (−1)q rank(Hq (C)) q q q = X (−1)q rank(Cq ). q Eine einfache Indexverschiebung Summen kürP ziegt,q dass sich die ersten P beiden q zen, und wir erhalten χ(C) = q (−1) rank(Hq (C)) = q (−1) rank(Cq ). IV.4.20. Korollar. Es sei 0 → C → C ′ → C ′′ → 0 eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen. Haben zwei der drei Kettenkomplexe endlich erzeugte Homologie, dann hat auch der dritte endlich erzeugte Homologie und es gilt die Formel χ(C ′ ) = χ(C) + χ(C ′′ ). ϕ ψ Beweis. Wir beginnen mit folgender Beobachtung. Ist A − → B − → C eine Sequenz abelscher Gruppen die bei B exakt ist, und sind A sowie C endlich erzeugt, dann ist auch B endlich erzeugt. Dies folgt aus Proposition IV.4.14 indem wir die kurze exakte Sequence 0 → A/ ker(ϕ) → B → img(ψ) → 0 betrachten. Wenden wir dies auf die lange exakte Sequenz · · · → Hq+1 (C ′′ ) → Hq (C) → Hq (C ′ ) → Hq (C ′′ ) → Hq−1 (C) → · · · (IV.14) aus Satz IV.3.1 an, so sehen wir, dass auch der dritte Kettenkomplex endlich erzeugte Homologie haben muss. Wir können (IV.14) daher als endlich erzeugten azyklischen Kettenkomplex L betrachten, genauer, L3q = Hq (C ′′ ), L3q+1 = Hq (C ′ ), L3q+2 = Hq (C), q ∈ Z. Da L azyklisch ist, gilt χ(L) = 0. Aus Proposition IV.4.19 folgt nun X 0 = χ(L) = (−1)k rank(Lk ) = X k (−1)3q rank(L3q ) + q = X q X q (−1)q rank(Hq (C ′′ )) − ′′ ′ = χ(C ) − χ(C ) + χ(C), (−1)3q+1 rank(L3q+1 ) + X q und damit χ(C ′ ) = χ(C) + χ(C ′′ ). X (−1)3q+2 rank(L3q+2 ) q (−1)q rank(Hq (C ′ )) + X (−1)q rank(Hq (C)) q Eine graduierte abelsche Gruppe A wird frei genannt, falls Aq eine freie abelsche Gruppe ist, für jedes q ∈ Z. Ein Kettenkomplex heißt frei, falls die zugrundeliegende graduierte abelsche Gruppe frei ist. IV.4.21. Proposition. Ein freier Kettenkomplex ist genau dann azyklisch, wenn er kontrahierbar ist. 130 IV. HOMOLOGIE Beweis. Sei also C ein Kettenkomplex. Ist C ≃ 0 dann folgt H(C) = 0 aus Proposition IV.2.5. Es genügt daher zu zeigen, dass azyklische freie Kettenkom∂q → Zq−1 → 0 plexe kontrahierbar sind. Sei also H(C) = 0, dh. 0 → Zq → Cq − ist eine kurze exakte Sequenz, für jedes q ∈ Z. Nach Satz IV.4.12 ist Zq eine freie abelsche Gruppe, also splitten diese kurzen exakten Sequenzen, siehe Proposition IV.4.9. Es existieren daher Homomorphismen σq : Zq−1 → Cq mit −s ◦ ∂ ∂q ◦ σq = idZq−1 . Es ist dann ∂ ◦ id = 0 und daher hq : Cq → Cq+1 , q q q Cq hq := sq+1 ◦ idCq −sq ◦ ∂q ein wohldefinierter Homomorphismus. Eine kurze einh fache Rechnung zeigt nun ∂q+1 ◦ hq + hq−1 ◦ ∂q = idCq , also ist 0 ≃ idC und C daher kontrahierbar. IV.4.22. Korollar. Eine Kettenabbildung ϕ : C → C ′ zwischen freien Kettenkomplexen ist genau dann einen Kettenhomotopieäquivalenz, wenn sie einen ∼ = Isomorphismus ϕ∗ : H(C) − → H(C ′ ) induziert. Beweis. Dies folgt aus Proposition IV.4.21, Proposition IV.3.9 und Proposition IV.2.8. Beachte, dass der Abbildungskegel Cϕ wieder ein freier Kettenkomplex ist, siehe Beispiel IV.2.7. IV.5. Singuläre Homologie. Für q ≥ 0 bezeichne ∆q := (t0 , . . . , tq ) ∈ Rq+1 0 ≤ ti ≤ 1, t0 + · · · + tq = 1 ⊆ Rq+1 den q-dimensionalen Standardsimplex. Dies ist die konvexe Hülle der Einheitsvektoren e0 , . . . , eq in Rq+1 . Sei nun X ein topologischer Raum. Unter einem singulären q-Simplex in X verstehen wir eine stetige Abbildung σ : ∆q → X. Mit Cq (X) bezeichnen wir die von allen singulären q-Simplizes σ in X erzeugte freie abelsche Gruppe, sie wird die q-te singuläre Kettengruppe von X genannt. Elemente von Cq (X) sind daher formale endliche Linearkombinationen n1 σ1 + · · · + nk σk , wobei ni ∈ Z und σi singuläre q-Simplizes in X sind. Für q < 0 setzen wir Cq (X) := 0. Es ist dann C∗ (X) eine graduierte abelsche Gruppe. IV.5.1. Bemerkung. Es sei X ein topologischer Raum, q ≥ 0 und A eine weitere abelsche Gruppe. Ist zu jedem singulären q-Simplex σ in X ein Element aσ ∈ A vorgegeben, dann gibt es genau einen Homomorphismus ϕ : Cq (X) → A, sodass ϕ(σ) = aσ , für jedes singuläre q-Simplex σ. Um einen Homomorphismus ϕ : Cq (X) → A zu definieren genügt es daher seine Werte auf singulären qSimplizes vorzugeben, er ist dadurch wohldefiniert und eindeutig bestimmt. Soll gezeigt werden, dass zwei Homomorphismen ϕ, ψ : Cq (X) → A übereinstimmen, genügt es ϕ(σ) = ψ(σ) für jedes q-Simplex σ zu verifizieren, denn diese erzeugen die Gruppe Cq (X). Für q ≥ 1 und 0 ≤ i ≤ q definieren wir stetige Abbildungen δqi : ∆q−1 → ∆q , δqi (t0 , . . . , tq−1 ) := (t0 , . . . , ti−1 , 0, ti, . . . , tq−1 ). (IV.15) IV.5. SINGULÄRE HOMOLOGIE 131 Dies ist die Einschränkung einer affinen Abbildung Rq → Rq−1 die die Einheitsvektoren wie folgt abbildet, e0 7→ e0 , . . . , ei−1 7→ ei−1 , ei 7→ ei+1 , . . . , eq−1 7→ eq . Die Abbildung δqi parametrisiert die der Ecke ei ∈ ∆q gegenüberliegende (q − 1)dimensionale Seite von ∆q . j−1 i . IV.5.2. Lemma. Für q ≥ 2 und 0 ≤ i < j ≤ q gilt δqj ◦ δq−1 = δqi ◦ δq−1 Beweis. Beide Seiten der zu zeigenden Gleichung sind Einschränkungen affiner Abbildungen Rq−1 → Rq+1 . Es genügt daher zu zeigen, dass die beiden Abbildungen auf den Einheitsvektoren e0 , . . . , eq−2 von Rq−1 übereinstimmen. Tatsächlich bilden beide Abbildungen diese Einheitsvektoren wie folgt ab: e0 7→ e0 , . . . , ei−1 7→ ei−1 , ei 7→ ei+1 , . . . , ej−2 7→ ej−1 , ej−1 7→ ej+1 , . . . eq−2 7→ eq . Ist X ein topologischer Raum und q ≥ 1, dann definieren wir einen Homomorphismus ∂q := ∂qX : Cq (X) → Cq−1 (X) auf q-Simplizes σ : ∆q → X, durch ∂q (σ) := q X i=0 (−1)i (σ ◦ δqi ), (IV.16) vgl. Bemerkung IV.5.1. Für q ≤ 0 setzen wir ∂q := 0. Die ∂q definieren daher einen Homomorphismus ∂ = ∂ X : C∗ (X) → C∗−1 (X) vom Grad −1. IV.5.3. Lemma. Es gilt ∂q−1 ◦ ∂q = 0, für alle q ∈ Z. Beweis. O.B.d.A. sei q ≥ 2. Weiters sei σ : ∆q → X ein q-Simplex in X. Es genügt ∂q−1 (∂q (σ)) = 0 zu zeigen, siehe Bemerkung IV.5.1. Aus der Definition erhalten wir zunächst: q q X X j j ∂q−1 (∂q (σ)) = ∂q−1 (−1)j ∂q−1 (σ ◦ δqj ) (−1) (σ ◦ δq ) = j=0 j=0 q = X q−1 (−1)j j=0 = X 0≤i<j≤q X i=0 i (−1)i (σ ◦ δqj ◦ δq−1 ) i (−1)i+j (σ ◦ δqj ◦ δq−1 )+ X i (−1)i+j (σ ◦ δqj ◦ δq−1 ) 0≤j≤i≤q−1 Mittels Substitution und Lemma IV.5.2 erhalten wir für den zweiten Summanden: X X j i (−1)i+j (σ ◦ δqj ◦ δq−1 )= (−1)i+j (σ ◦ δqi ◦ δq−1 ) 0≤j≤i≤q−1 0≤i≤j≤q−1 =− =− Insgesamt folgt ∂q−1 (∂q (σ)) = 0. X 0≤i<j≤q X 0≤i<j≤q j−1 (−1)i+j (σ ◦ δqi ◦ δq−1 ) i ) (−1)i+j (σ ◦ δqj ◦ δq−1 132 IV. HOMOLOGIE Auf Grund von Lemma IV.5.3 bildet C∗ (X) zusammen mit dem Randoperator ∂ : C∗ (X) → C∗−1 (X) einen Kettenkomplex, er wird der singuläre Kettenkomplex von X genannt. Ist f : X → Y eine stetige Abbildung, so definieren wir einen Homomorphismus f♯ : Cq (X) → Cq (Y ) auf q-Simplizes σ : ∆q → X durch f♯ (σ) := f ◦ σ, vgl. Bemerkung IV.5.1. Offensichtlich liefert dies einen Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen f♯ : C∗ (X) → C∗ (Y ). IV.5.4. Lemma. Für stetiges f : X → Y ist f♯ : C∗ (X) → C∗ (Y ) eine Kettenabbildung, dh. es gilt ∂ Y ◦ f♯ = f♯ ◦ ∂ X . Beweis. Wieder genügt es die Gleichung ∂ Y ◦ f♯ = f♯ ◦ ∂ X auf q-Simplizes in X zu verifizieren, q ≥ 1. Sei also σ : ∆q → X so ein q-Simplex. Dann gilt offensichtlich q X (−1)i (f ◦ σ ◦ δqi ) ∂qY (f♯ (σ)) = ∂qY (f ◦ σ) = i=0 sowie f♯ (∂qX (σ)) = f♯ X q i=0 i (−1) (σ ◦ δqi ) und daher ∂qY (f♯ (σ)) = f♯ (∂qX (σ)). = q X i=0 i (−1) f♯ (σ ◦ δqi ) = q X i=0 (−1)i (f ◦ σ ◦ δqi ) IV.5.5. Proposition. Ordnen wir einem topologischen Raum X seinen singulären Kettenkomplex C∗ (X) und einer stetigen Abbildung f : X → Y die Kettenabbildung f♯ : C∗ (X) → C∗ (Y ) zu, so erhalten wir einen kovarianten Funktor von der Kategorie der topologischen Räume in die Kategorie der Kettenkomplexe, dh. es gilt (g◦f )♯ = g♯ ◦f♯ und (idX )♯ = idC∗ (X) für stetige Abbildungen f : X → Y und g : Y → Z. Beweis. Es ist bloß noch (g ◦ f )♯ = g♯ ◦ f♯ sowie (idX )♯ = idC∗ (X) zu zeigen, wobei f : X → Y und g : Y → Z stetige Abbildungen sind. Beides ist offensichtlich, etwa gilt für jeden q-Simplex σ : ∆q → X (g♯ ◦ f♯ )(σ) = g♯ (f♯ (σ)) = g♯ (f ◦ σ) = g ◦ f ◦ σ = (g ◦ f )♯ (σ) und daher auch g♯ ◦ f♯ = (g ◦ f )♯ . IV.5.6. Definition (Singuläre Homologie). Es sei X ein topologischer Raum. Die Homologiegruppe Hq (X) := Hq (C∗ (X)) wird die q-te singuläre Homologiegruppe von X genannt. Ist f : X → Y stetig, dann wird der von der Kettenabbildung f♯ : C∗ (X) → C∗ (Y ) in der Homologie induzierte Homomorphismus mit f∗ : Hq (X) → Hq (Y ) bezeichnet. Auch die Bezeichnung Hq (f ) : Hq (X) → Hq (Y ) ist gelegentlich anzutreffen. Aus Proposition IV.5.5 und Proposition IV.1.2, siehe auch Bemerkung III.2.2, erhalten wir sofort IV.5. SINGULÄRE HOMOLOGIE 133 IV.5.7. Proposition. Ordnen wir einem topologischen Raum seine singuläre Homologie H∗ (X) und einer stetigen Abbildung f : X → Y den induzierten Homomorphismus f∗ : H∗ (X) → H∗ (Y ) zu, so erhalten wir einen kovarianten Funktor von der Kategorie der topologischen Räume in die Kategorie der graduierten abelschen Gruppen, dh. es gilt (g ◦ f )∗ = g∗ ◦ f∗ sowie (idX )∗ = idH∗ (X) für stetige Abbildungen f : X → Y und g : Y → Z. IV.5.8. Definition (Bettizahlen und Euler-Charakteristik). Es sei X ein topologischer Raum. Die Kardinalzahl bq (X) := rank(Hq (X)) = bq (C∗ (X)) wir die q-te Bettizahl von X genannt, siehe Definition IV.4.18. Hat X endlich erzeugte Homologie, dh. ist die graduierte abelsche Gruppe H∗ (X) endlich erzeugt, dann wird die Euler-Charakteristik von X durch X (−1)q bq (X) = χ(C∗ (X)) χ(X) := q∈Z defniert. Beachte, dass dies eine endliche Summe ist. IV.5.9. Bemerkung. Die Homologie H∗ (X) ist eine topologische Invariante, dh. sind X und Y homöomorphe Räume dann sind H∗ (X) und H∗ (Y ) isomorphe graduierte abelsche Gruppen. Ist nämlich f : X → Y ein Homöomorphismus mit Inverser g : Y → X, g ◦ f = idX , f ◦ g = idY , dann folgt aus der Funktorialität sofort g∗ ◦ f∗ = (g ◦ f )∗ = (idX )∗ = idH∗ (X) und f∗ ◦ g∗ = (f ◦ g)∗ = (idY )∗ = idH∗ (Y ) . Daher sind f∗ : H∗ (X) → H∗ (Y ) und g∗ : H∗ (Y ) → H∗ (X) zueinander inverse Isomorphismen, vgl. Bemerkung III.2.1. Daher sind auch die Bettizahlen topologische Invarianten, dh. aus X ∼ = Y folgt bq (X) = bq (Y ) für alle q ∈ Z. Ebenso müssen homöomorphe Räume mit endlich erzeugter Homologie die gleiche Euler-Charakteristik haben. IV.5.10. Bemerkung. Für q < 0 gilt stets Hq (X) = 0, denn Cq (X) = 0. IV.5.11. Beispiel. Für die Homologie des leeren Raums gilt H∗ (∅) = 0, denn C∗ (∅) = 0. Daher ist bq (∅) = 0 für alle q ∈ Z und χ(∅) = 0. IV.5.12. Beispiel. Für die Homologie des einpunktigen Raums gilt ( Z falls q = 0, und Hq ({∗}) ∼ = 0 falls q 6= 0. Insbesondere ist b0 ({∗}) = 1, bq ({∗}) = 0 für q 6= 0, und χ({∗}) = 1. Um dies einzusehen beobachten wir, dass es für jedes q ≥ 0 genau einen singulären q-Simplex σ : ∆q → {∗} gibt. Wir erhalten daher einen kanonischen Isomorphismus Cq ({∗}) ∼ = Z indem wir diesen Simplex σ auf 1 ∈ Z abbilden, q ≥ 0. Ein Blick auf die Definition des Randoperators, siehe (IV.16), zeigt, dass dies einen Isomorphismus zwischen C∗ ({∗}) und dem Kettenkomplex 0 1 0 1 0 1 0 1 ··· ← 0 ← 0 ← 0 ← Z ← −Z← −Z← −Z← −Z← −Z← −Z← −Z← − Z ← ··· 134 IV. HOMOLOGIE definiert. Die Homologiegruppen lassen sich nun einfach ablesen. Es sei X ein topologischer Raum mit Wegzusammenhangskomponenten Xλ , λ ∈ Λ. Die kanonischen Inklusionen ιλ : Xλ → X induzieren Homomorphismen (ιλ )∗ : H∗ (Xλ ) → H∗ (X). Diese liefern einen Homomorphismus L (IV.17) λ∈Λ H∗ (Xλ ) → H∗ (X). Das folgende Resultat führt die Berechnung der singulären Homologie auf den Fall wegzusammenhängender Räume zurück. IV.5.13. Proposition. Der Homomorphismus (IV.17) ist ein Isomorphismus L ∼ graduierte abelscher Gruppen, dh. λ∈Λ Hq (Xλ ) = Hq (X) für alle q ∈ Z. Beweis. Die Kettenabbildungen (ιL λ )♯ : C∗ (Xλ ) → C∗ (X) induzieren einen ∼ Isomorphismus von Kettenkomplexen λ∈Λ C∗ (Xλ ) = C∗ (X), denn wegen des q Wegzusammenhangs von ∆ muss jeder Simplex σ : ∆q → X zur Gänze in einem Xλ liegen. Die zu beweisende Aussage folgt daher aus Proposition IV.1.4. IV.5.14. Beispiel. Es sei X ein diskreter Raum. Aus Beispiel IV.5.12 und Proposition IV.5.13 folgt nun Hq (X) = 0 für q 6= 0. Weiters ist H0 (X) eine freie abelsche Gruppe deren Rang mit der Anzahl der Punkte von X übereinstimmt, rank(H0 (X)) = ♯X. F Es seien Xλ , λ ∈ Λ, topologische Räume und F λ∈Λ Xλ ihre disjunkte Vereinigung. Die kanonischen Inklusionen ιλ :Xλ → λ′ ∈Λ Xλ′ induzieren HomomorF phismen (ιλ )∗ : H∗ (Xλ ) → H∗ λ′ ∈Λ Xλ′ . Diese liefern einen Homomorphismus L F (IV.18) λ∈Λ H∗ (Xλ ) → H∗ λ∈Λ Xλ Der Homologiefunktor vertauscht in folgendem Sinn mit Koprodukten. IV.5.15. Proposition. Der Homomorphismus (IV.18) L F ist ein Isomorphismus ∼ graduierte abelscher Gruppen, dh. λ∈Λ Hq (Xλ ) = Hq λ∈Λ Xλ für alle q ∈ Z. Beweis. Dies lässt F sich genau wie Proposition IV.5.13 beweisen. Jeder singuläre q-Simplex in λ∈Λ Xλ muss zur Gänze in einem Xλ liegen, die kanonischen Inklusionen induzieren daher einen Isomorphismus von Kettenkomplexen L F ∼ C ( C (X ) X ). Die zu beweisende Aussage folgt daher aus Pro= ∗ λ λ λ∈Λ ∗ λ∈Λ position IV.1.4. IV.5.16. Proposition. Für jeden nichtleeren wegzusammenhängenden Raum X induziert die konstante Abbildung c : X → {∗} in den einpunktigen Raum ∼ = → H0 ({∗}), es gilt daher H0 (X) ∼ einen Isomorphismus c∗ : H0 (X) − = Z. Beweis. Wir fixieren eine Punkt x0 ∈ X und definieren eine Abbildung ι : {∗} → X durch ι(∗) := x0 . Offensichtlich gilt c ◦ ι = id{∗} also c∗ ◦ ι∗ = idH∗ ({∗}) , siehe Proposition IV.5.7. Es genügt daher ι∗ ◦ c∗ = idH0 (X) zu zeigen, denn dann sind c∗ : H0 (X) → H0 ({∗}) und ι∗ : H0 ({∗}) → H0 (X) zueinander inverse Gruppenisomorphismen und die Proposition folgt aus Beispiel IV.5.12. IV.5. SINGULÄRE HOMOLOGIE 135 Da ∆0 einpunktig ist, können wir singuläre 0-Simplizes mit Punkten in X identifizieren, für x ∈ X bezeichne σx : ∆0 → X den 0-Simplex σx (t) := x. Beachte (ι♯ ◦ c♯ )(σx ) = (ι ◦ c)♯ (σx ) = σx0 , für alle 0-Simplizes σx . Da X wegzusammenhängend ist, können wir zu jedem Punkt x ∈ X einen Weg τ̃x : I → X wählen, sodass τ̃x (1) = x und τ̃x (0) = x0 . Für die singulären 1-Simplizes τx : ∆1 → X, τx (t0 , t1 ) := τ̃x (t1 ), gilt dann ∂1 (τx ) = σx − σx0 . Wir definieren nun einen Homomorhismus h0 : C0 (X) → C1 (X) auf 0-Simplizes durch h0 (σx ) := τx . Es folgt ∂1 (h0 (σx )) = ∂1 (τx ) = σx − σx0 = σx − (ι♯ ◦ c♯ )(σx ), also ∂1 ◦ h0 = idC0 (X) −ι♯ ◦ c♯ . Gehen wir zur Homologie über, erhalten wir 0 = idH0 (X) −ι∗ ◦ c∗ : H0 (X) → H0 (X), siehe Proposition IV.1.2, es gilt daher auch ι∗ ◦ c∗ = idH0 (X) . Mittels Proposition IV.5.16 und Proposition IV.5.13 können wir nun die 0-ten Homologiegruppen beliebiger Räume bestimmen. IV.5.17. Proposition. Für jeden topologischen Raum X ist H0 (X) eine freie abelsche Gruppe deren Rang mit der Anzahl der Wegzusammenhangskomponenten von X übereinstimmt. Es bezeichne {∗} den einpunktigen Raum. Ist X ein topologischer Raum, dann gibt es genau eine (stetige) Abbildung c : X → {∗}. Diese induziert einen Homomorphismus c∗ : H∗ (X) → H∗ ({∗}). Unter der reduzierten Homologie H̃∗ (X) verstehen wir den Kern dieses Homomorphismus, H̃q (X) := ker c∗ : Hq (X) → H∗ ({∗}) . Ist f : X → Y stetig, dann gilt offensichtlich cY ◦f = cX wobei cX : X → {∗} und cY : Y → {∗}. Wir erhalten cY∗ ◦ f∗ → cX ∗ , also schränkt sich f∗ : H∗ (X) → H∗ (Y ) zu einem Homomorphismus f∗ : H̃∗ (X) → H̃∗ (Y ) ein. Die reduzierte Homologie liefert daher einen Funktor von der Kategorie der topologischen Räume in die Kategorie der graduierten abelschen Gruppen. Die reduzierten Bettizahlen sind durch b̃q (X) := rank(H̃q (X)) gegeben. Ist H̃∗ (X) endlich erzeugt, dann definieren P wir die reduzierte Euler-Charakteristik durch χ̃(X) := q (−1)b̃q (X). Wie aus Proposition IV.5.18 unten hervorgeht, beinhaltet die reduzierte Homologie H̃∗ (X) im wesentlichen die selbe Information wie die unreduzierte Homologie H∗ (X). Manchmal können durch Verwendung der reduzierten Homologie jedoch lästige Fallunterscheidungen vermieden werden. IV.5.18. Proposition. Es sei X 6= ∅ ein topologischer Raum. Dann ist c ∗ 0 → H̃q (X) → Hq (X) − → Hq ({∗}) → 0 eine splittende kurze exakte Sequenz. Es gilt daher H0 (X) ∼ = H̃0 (X) ⊕ Z sowie H̃q (X) = Hq (X) falls q 6= 0. Für die Bettizahlen erhalten wir b0 (X) = b̃0 (X) + 1 und b̃q (X) = bq (X) falls q 6= 0. Weiters ist H̃∗ (X) genau dann endlich erzeugt, wenn H∗ (X) endlich erzeugt ist, und in diesem Fall gilt χ(X) = χ̃(X) + 1. 136 IV. HOMOLOGIE Beweis. Da X 6= ∅ existiert eine Abbildung ι : {∗} → X mit c ◦ ι = id{∗} . Es folgt c∗ ◦ι∗ = idH0 (X) , also ist c∗ : H0 (X) → H0 ({∗}) surjektiv und ι∗ : H0 ({∗}) → H0 (X) ist ein Splitt der kurzen exakten Sequenz. Die restlichen Aussagen folgen nun aus Beispiel IV.5.12 und Proposition IV.3.7. IV.5.19. Bemerkung. Es ist nicht möglich einen natürlichen Isomorphimus ∼ = → H̃0 (X) ⊕ Z zu konstruieren, dh. für stetige Abbildungen f : X → ϕ : H0 (X) − Y wird i.A. nicht ϕY ◦ f∗ = (f∗ ⊕ idZ ) ◦ ϕX gelten. X IV.5.20. Bemerkung. Ein topologischer Raum X ist genau dann wegzusammenhängend, wenn H̃0 (X) = 0, siehe Proposition IV.5.18 und Proposition IV.5.17. Für X 6= ∅ ist dies zu H0 (X) ∼ = Z äquivalent. IV.5.21. Beispiel. Betrachte die 0-dimensionale Sphäre S 0 = zweipunktiger Raum. Aus Beispiel IV.5.14 und Proposition IV.5.18 ( ( Z ⊕ Z falls q = 0 Z falls Hq (S 0 ) ∼ sowie H̃q (S 0 ) ∼ = = 0 falls q 6= 0 0 falls {−1, 1}, ein folgt: q=0 q 6= 0 Insbesondere gilt b0 (S 0 ) = 2, b̃0 (S 0 ) = 1 und alle anderen (reduzierten) Bettizahlen verschwinden. Für die Euler-Charakteristik folgt χ(S 0 ) = 2, bzw. χ̃(S 0 ) = 1. IV.5.22. Definition. Ein topologischer Raum X wird azyklisch genannt, falls H̃∗ (X) = 0 gilt. Azyklische Räume sind insbesondere wegzusammenhängend, siehe Bemerkung IV.5.20. Ein nicht-leerer topologischer Raum X ist genau dann azyklisch, wenn H0 (X) ∼ = Z und Hq (X) = 0 für q 6= 0, siehe Proposition IV.5.18. Dies bedeutet gerade, dass X dieselben Homologiegruppen wie der einpunktige Raum hat. IV.6. Relative Homologie und lange exakte Sequenzen. Unter einem Paar von Räumen verstehen wir ein Paar (X, A) wobei X ein topologischer Raum und A ⊆ X ein Teilraum ist. Eine Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) ist eine stetige Abbildung f : X → Y mit f (A) ⊆ B. Wir erhalten eine Kategorie, die Kategorie der Paare topologischer Räume. Unter einem Homöomorphismus von Paaren verstehen wir eine Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B), für die f : X → Y ein Homöomorphismus ist und f (A) = B gilt. Dies sind genau die Isomorphismen in der Kategorie der Paare topologischer Räume. Ist (X, A) ein Paar von Räumen dann können wir C∗ (A) als Teilkomplex von C∗ (X) auffassen. Wir definieren den singulären Kettenkomplex des Paares (X, A) durch C∗ (X, A) := C∗ (X)/C∗ (A), und erhalten eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen ι♯ → C∗ (X) → C∗ (X, A) → 0 0 → C∗ (A) − (IV.19) wobei ι : A → X die kanonische Inklusion bezeichnet. Ist f : (X, A) → (Y, B) eine Abbildung von Paaren dann bildet die Kettenabbildung f♯ : C∗ (X) → C∗ (Y ) den IV.6. RELATIVE HOMOLOGIE UND LANGE EXAKTE SEQUENZEN 137 Teilkomplex C∗ (A) nach C∗ (B) ab und induziert daher eine Kettenabbildung f♯ : C∗ (X, A) → C∗ (Y, B). In anderen Worten, das folgende Diagramm kommutiert: (X,A) 0 / C∗ (A) ι♯ C∗ (X) / f♯ (f |A )♯ 0 / C∗ (B) C∗ (X, A) / (Y,B) ι♯ / C∗ (Y ) / 0 (IV.20) / f♯ C∗ (Y, B) / 0 Diese Zuordnung ist offensichtlich funktoriell, dh. ist g : (Y, B) → (Z, C) eine weiter Abbildung von Paaren, dann gilt (g ◦ f )♯ = g♯ ◦ f♯ , sowie (id(X,A) )♯ = idC∗ (X,A) .Wir erhalten daher einen Funktor von der Kategorie der Paare topologischer Räume in die Kategorie der Kettenkomplexe. IV.6.1. Definition (Relative Homologiegruppen). Ist (X, A) ein Paar von Räumen, dann heißt Hq (X, A) := Hq (C∗ (X, A)) die q-te relative Homologiegruppe des Paares (X, A). Ist f : (X, A) → (Y, B) eine Abbildung von Paaren, dann bezeichnen wir den von der Kettenabbildung f♯ : C∗ (X, A) → C∗ (Y, B) induzierten Homomorphismus mit f∗ : Hq (X, A) → Hq (Y, B). In diesem Zusammenhnag werden die Gruppen Hq (X) manchmal als absolute Homologiegruppen von X bezeichnet. Aus Proposition IV.1.2 erhalten wir sofort, siehe auch Bemerkung III.2.2 IV.6.2. Proposition. Ordnen wir einem Paar von Räumen seine relative Homologie H∗ (X, A) und einer Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) den induzierten Homomorphismus f∗ : H∗ (X, A) → H∗ (Y, B) zu, so erhalten wir einen kovarianten Funktor von der Kategorie der Paare topologischer Räume in die Kategorie der graduierten abelschen Gruppen, dh. es gilt (g ◦ f )∗ = g∗ ◦ f∗ sowie (id(X,A) )∗ = idH∗ (X,A) für Abbildungen von Paaren f : (X, A) → (Y, B) und g : (Y, B) → (Z, C). IV.6.3. Bemerkung. Betrachten wir das Paar (X, ∅) dann gilt C∗ (X, ∅) = C∗ (X)/C∗ (∅) = C∗ (X) und daher H∗ (X, ∅) = H∗ (X), vgl. Beispiel IV.5.11. Die relative Homologie von Paaren kann daher als Verallgemeinerung der absoluten Homologie von Räumen betrachtet werden. IV.6.4. Definition (Relative Bettizahlen und Euler-Charakteristik). Die Kardinalzahl bq (X, A) := rank(Hq (X, A)) wird die q-te relative Bettizahl des Paares (X, A) genannt. Ist H∗ (X, A) endlich erzeugt, dann definieren wir die relative P Euler-Charakteristik des Paares (X, A) durch χ(X, A) := q (−1)q bq (X, A). Wenden wir Satz IV.3.1 auf die kurze exakte Sequenz (IV.19) und (IV.20) an, so erhalten wir IV.6.5. Proposition (Lange exakte Sequenz eines Paares). Ein Paar von Räumen (X, A) induziert eine lange exakte Sequenz von Homologiegruppen: δq+1 ι δq ∗ · · · → Hq+1 (X, A) −−→ Hq (A) − → Hq−1 (A) → · · · → Hq (X) → Hq (X, A) − 138 IV. HOMOLOGIE Dabei bezeichnet ι : A → X die kanonische Inklusion, und der Homomorphismus Hq (X) → Hq (X, A) ist von der kanonischen Projektion C∗ (X) → C∗ (X, A) induziert. Diese Sequenz ist natürlich, dh. das Diagramm ··· Hq+1 (X, A) / δq+1 / Hq (A) ··· / Hq+1 (Y, B) Hq (X) / (f |A )∗ f∗ ι∗ δq+1 / Hq (B) Hq (X, A) / f∗ ι∗ / Hq (Y ) δq ··· / / f∗ Hq (Y, B) δq / ··· kommutiert für jede Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B). IV.6.6. Beispiel. Es sei f : (X, A) → (Y, B) eine Abbildung von Paaren. Sind zwei der drei Homomoprhismen (f |A )∗ : H∗ (A) → H∗ (B), f∗ : H∗ (X) → H∗ (Y ) und f∗ : H∗ (X, A) → H∗ (Y, B) Isomorphismen, dann gilt dies auch für den dritten. Dies folgt aus der Natürlichkeitsaussage in Proposition IV.6.5 und Lemma IV.3.5. Alternativ können wir auch direkt Korollar IV.3.4 auf (IV.20) anwenden. IV.6.7. Beispiel. Es sei (X, A) ein Paar von Räumen. Sind zwei der drei graduierten abelschen Gruppen H∗ (A), H∗ (X) und H∗ (X, A) endlich erzeugt, so gilt dies auch für die dritte und wir haben χ(X) = χ(A) + χ(X, A). Dies folgt aus Korollar IV.4.20 angewandt auf die kurze exakte Sequenz (IV.19). IV.6.8. Beispiel. Es sei (X, A) ein Paar von Räumen. Es gilt H∗ (X, A) = 0 genau dann, wenn die kanonische Inklusion ι : A → X einen Isomorphismus ∼ = ι∗ : H∗ (A) − → H∗ (X) induziert. Dies folgt aus der langen exakten Sequenz in Proposition IV.6.5. IV.6.9. Proposition. Ist A ein Retrakt von X, dann zerfällt die lange exakte Sequenz des Paares (X, A) in splittende kurze exakte Sequenzen 0 → Hq (A) → Hq (X) → Hq (X, A) → 0, es gilt daher Hq (X) ∼ = Hq (A) ⊕ Hq (X, A) für alle q. Beweis. Es bezeichne ι : A → X die Inklusion. Nach Voraussetzung existiert eine stetige Abbildung r : X → A mit r ◦ ι = idA . Es folgt idH∗ (A) = (idA )∗ = (r ◦ ι)∗ = r∗ ◦ ι∗ , also ist ι∗ : H∗ (A) → H∗ (X) injektiv. Wir sehen daher, dass der Einhängungshomomorphismus in der langen exakten Sequenz des Paares (X, A), siehe Proposition IV.6.5, verschwinden muss, denn img(δ) = ker(ι∗ ) = 0. Dann gilt aber auch ker(δ) = H∗ (X, A), also muss der Homomorphismus H∗ (X) → ι∗ H∗ (X, A) surjektiv sein. Daher ist 0 − → Hq (A) → Hq (X) → Hq (X, A) → 0 für jedes q eine kurze exakte Sequenz. Aus r∗ ◦ ι∗ = idHq (A) und Proposition IV.3.7 folgt nun auch die zweite Behauptung. Wir wollen noch eine Version von Proposition IV.6.5 für reduzierten Homologiegruppen herleiten. IV.6. RELATIVE HOMOLOGIE UND LANGE EXAKTE SEQUENZEN 139 IV.6.10. Proposition (Lange exakte Sequenz eines Paares). Ein Paar von Räumen (X, A) mit A 6= ∅ induziert eine lange exakte Sequenz δq+1 δq ι ∗ · · · → Hq+1 (X, A) −−→ H̃q (A) − → H̃q−1 (A) → · · · → H̃q (X) → Hq (X, A) − wobei ι : A → X die kanonische Inklusion bezeichnet. Diese Sequenz ist natürlich, dh. das Diagramm ··· Hq+1 (X, A) / δq+1 / H̃q (A) δq+1 Hq+1 (Y, B) / / H̃q (B) / f∗ H̃q (Y ) / ··· / f∗ ι∗ δq Hq (X, A) / H̃q (X) (f |A )∗ f∗ ··· ι∗ δq Hq (Y, B) / / ··· kommutiert für jede Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B). Beweis. Betrachte die die Abbildung von Paaren c : (X, A) → ({∗}, {∗}). Aus der Natürlichkeitsaussage in Proposition IV.6.5 erhalten wir ein kommutatives Diagramm: 0O ··· / 0O Hq+1 ({∗}, {∗}) δq+1 O / Hq ({∗}) O c∗ ··· / Hq+1 (X, A) ··· _ _ _/ Hq+1 (X, A) O 0 0O ι∗ ∼ = / Hq ({∗}) O c∗ δq+1 / Hq (A) _ _ _ _/ H̃q (A) 0 / Hq ({∗}, {∗}) ι∗ ι∗ / / / Hq (X, A) H̃q (X) _ _ _ _/ Hq (X, A) O 0 / ··· c∗ Hq (X) O δq O c∗ O O 0O O δq / ··· _ _ _/ ··· 0 Offensichtlich ist der mittlere obere horizontale Pfeil ein Isomorphismus. Aus der Exaktheit der oberen Zeile folgt daher H∗ ({∗}, {∗}) = 0. Damit sind die beiden äußeren Spalten exakt. Nach Proposition IV.5.18 sind auch die beiden mittleren Spalten exakt. Die Homomorphismen in der mittleren Zeile induzieren daher Homomorphismen in der unteren Zeile (strichlierte Pfeile), sodass das gesamte Diagramm kommutiert. Wir können dieses Diagramm als kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen auffassen. Die ersten beiden Zeilen sind azyklisch, siehe Proposition IV.6.5. Nach Korollar IV.3.3 muss daher auch die dritte Zeile azyklisch sein, also ist die fragliche Sequenz exakt. IV.6.11. Proposition. Ist P ∈ X, dann gilt H̃∗ (X) ∼ = H∗ (X, {P }). Beweis. Dies folgt aus der langen exakten Sequenz des Paares (X, {P }) in Proposition IV.6.10, denn H̃∗ ({P }) = 0. 140 IV. HOMOLOGIE IV.6.12. Proposition. Ist A 6= ∅ ein Retrakt von X, dann zerfällt die lange exakte Sequenz des Paares (X, A) in splittende kurze exakte Sequenzen 0 → H̃q (A) → H̃q (X) → Hq (X, A) → 0, es gilt daher H̃q (X) ∼ = H̃q (A) ⊕ Hq (X, A) für alle q. Beweis. Wir können genau wie im Beweis von Proposition IV.6.9 vorgehen, verwenden nun aber Proposition IV.6.10 anstatt Proposition IV.6.5. Unter einem Tripel von Räumen verstehen wir ein Tripel (X, A, B) wobei X ein topologischer Raum ist und B ⊆ A ⊆ X Teilräume sind. Unter einer Abbildung von Tripel f : (X1 , A1 , B1 ) → (X2 , A2 , B2 ) verstehen wir eine stetige Abbildung f : X1 → X2 mit f (A1 ) ⊆ A2 und f (B1 ) ⊆ B2 . Wir erhalten eine Kategorie, die Kategorie der Tripel topologischer Räume. Ist (X, A, B) ein Tripel von Räumen, dann induzieren die kanonischen Abbildungen von Paaren ι : (A, B) → (X, B) und j : (X, B) → (X, A) eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen j♯ ι♯ → C∗ (X, A) → 0. → C∗ (X, B) − 0 → C∗ (A, B) − (IV.21) Ist f : (X1 , A1 , B1 ) → (X2 , A2 , B2 ) eine Abbildung von Tripel, dann erhalten wir ein kommutatives Diagramm C∗ (A1 , B1 ) / 0 ι♯ f♯ / 0 C∗ (A2 , B2 ) j♯ C∗ (X1 , B1 ) / C∗ (X1 , A1 ) / f♯ ι♯ / / 0 (IV.22) f♯ C∗ (X2 , B2 ) j♯ / C∗ (X2 , A2 ) / 0 Wenden wir Satz IV.3.1 auf die kurze exakte Sequenz (IV.21) und (IV.22) an, so erhalten wir IV.6.13. Proposition (Lange exakte Sequenz eines Tripels). Ein Tripel von Räumen (X, A, B) induziert eine lange exakte Sequenz von Homologiegruppen: δq+1 δq j∗ ι ∗ · · · → Hq+1 (X, A) −−−→ Hq (A, B) − → Hq (X, B) −→ Hq (X, A) −→ Hq−1 (A, B) → · · · Dabei bezeichnen ι : (A, B) → (X, B) und j : (X, B) → (X, A) die kanonischen Inklusionen. Diese Sequenz ist natürlich, dh. das Diagramm ··· / Hq+1 (X1 , A1 ) δq+1 / Hq (A1 , B1 ) f∗ ··· / Hq+1 (X2 , A2 ) ι∗ / Hq (X1 , B1 ) f∗ δq+1 / Hq (A2 , B2 ) j∗ / Hq (X1 , A1 ) f∗ ι∗ / Hq (X2 , B2 ) δq / ··· / ··· f∗ j∗ / Hq (X2 , A2 ) δq kommutiert für jede Abbildung von Tripel f : (X1 , A1 , B1 ) → (X2 , A2 , B2 ). IV.7. HOMOTOPIEINVARIANZ 141 IV.6.14. Bemerkung. Die lange exakte Sequenz des Tripel (X, A, ∅) stimmt mit der langen exakten Sequenz des Paares (X, A) überein, in diesem Fall reduziert sich (IV.21) zu (IV.19), vgl. Bemerkung IV.6.3. Auch der Einhängungshomomorphismus des Tripels δ (X,A,∅) : H∗+1 (X, A) → H∗ (A, ∅) = H∗ (A) stimmt daher mit dem Einhängungshomomrphimsus des Paares δ (X,A) : H∗+1 (X, A) → H∗ (A) überein. IV.6.15. Bemerkung. Ist (X, A, B) ein Tripel von Räumen, dann stimmt der Einhängungshomomorphismus δ (X,A,B) : Hq (X, A) → Hq−1 (A, B) in Proposition IV.6.13 mit der Komposition δ(X,A) i ∗ Hq (X, A) −−−→ Hq−1 (A) = Hq−1 (A, ∅) − → Hq−1 (A, B) überein. Dabei bezeichnet i : (A, ∅) → (A, B) die kanonische Inklusion und δ (X,A) den Einhängungshomomorphismus der langen exakten Sequenz des Paares (X, A), siehe IV.6.5. Dies folgt aus der Natürlichkeitsaussage in Proposition IV.6.13 angewandt auf die kanonische Inklusion (X, A, ∅) → (X, A, B) und Bemerkung IV.6.14 oben. IV.6.16. Beispiel. Es sei (X, A, B) ein Tripel von Räumen und die kanonische ∼ = Inklusion i : B → A induziere einen Isomorphismus i∗ : H∗ (B) − → H∗ (A). Dann gilt H∗ (A, B) = 0, siehe Beispiel IV.6.8. Aus der langen exakten Sequenz in Proposition IV.6.13 folgt nun, dass die kanonische Inklusion j : (X, B) → (X, A) ∼ = einen Isomorphismus j∗ : H∗ (X, B) − → H∗ (X, A) induziert. IV.6.17. Bemerkung. Sind (Xλ , Aλ ) Paare von Räumen, λ ∈ Λ, so definieren wir ihre disjunkte Vereinigung durch F F F (X , A ) := X , A λ λ λ λ λ∈Λ λ∈Λ λ∈Λ F Zusammen mit den kanonischen Inklusionen ιλ : (Xλ , Aλ ) → λ′ ∈Λ (Xλ′ , Aλ′ ) ist dies das Koprodukt der (Xλ , Aλ ) in der Kategorie der Paare topologischer Räume. induzieren Homomorphismen (ιλ )∗ : H∗ (Xλ , Aλ ) → F Diese Inklusionen H∗ λ′ ∈Λ (Xλ′ , Aλ′ ) , und wir erhalten einen Homomorphismus L F λ∈Λ H∗ (Xλ , Aλ ) → H∗ λ′ ∈Λ (Xλ , Aλ ) . Dies ist ein Isomorphismus, der relative Homologiefunktor vertauscht daher mit Koprodukten, vgl. Proposition IV.5.15. IV.7. Homotopieinvarianz. Als ersten wesentlichen Schritt zur Berechnung der Homologiegruppen wollen wir in diesem Abschnitt zeigen, dass homotope Abbildungen f ≃ g : X → Y denselben Homomorphismus in der Homologie induzieren, f∗ = g∗ : H∗ (X) → H∗ (Y ), siehe Satz IV.7.4 unten. Dies erfordert wesentlich mehr Arbeit als die analoge Eigenschaft des Fundamentalgruppenfunktors, vgl. Proposition I.3.24. 142 IV. HOMOLOGIE Wir definieren affine Abbildungen ϕiq : ∆q+1 → ∆q × I, 0 ≤ i ≤ q, durch ϕiq (t0 , . . . , tq+1 ) := t0 , . . . , ti−1 , ti + ti+1 , ti+2 , . . . , tq+1 ; ti+1 + · · · + tq+1 dh. e0 7→ (e0 , 0), . . . , ei 7→ (ei , 0), ei+1 7→ (ei , 1), . . . , eq+1 7→ (eq , 1). IV.7.1. Lemma. Für die Abbildungen ϕqi gilt, vgl. (IV.15). i i (i) ϕi−1 ◦ δq+1 = ϕiq ◦ δq+1 , 1 ≤ i ≤ q. q 0 0 (ii) ϕq ◦ δq+1 = inc1 . q+1 = inc0 . (iii) ϕqq ◦ δq+1 j i−1 (iv) ϕq ◦ δq+1 = (δqj−1 × idI ) ◦ ϕi−1 q−1 , 1 ≤ i < j ≤ q + 1. j i−1 i j (v) ϕq ◦ δq+1 = (δq × idI ) ◦ ϕq−1 , 0 ≤ j < i ≤ q. Dabei bezeichnet incs : ∆q → ∆q × I, incs (t) := (t, s). Beweis. Alle auftretenden Abbildungen sind Einschränkungen affiner Abbidung Rq+1 → Rq+1 × R, es genügt daher die Gleichungen auf den Ecken ei ∈ ∆q zu verifizieren. Für jeden topologischen Raum X und q ≥ 0 definieren wir Homomorphismen Pq := PqX : Cq (X) → Cq+1 (X × I) auf q-Simplizes σ : ∆q → X durch Pq (σ) := q X i=0 (−1)i (σ × idI ) ◦ ϕiq , vgl. Bemerkung IV.5.1. Für q < 0 sei Pq := 0. Wir können die Pq daher als einen Homomorphismus P := P X : C∗ (X) → C∗+1 (X × I) vom Grad 1 betrachten. IV.7.2. Proposition. Der Homomorphismus P : C∗ (X) → C∗+1 (X × I) ist eine natürliche Kettenhomotopie von (inc0 )♯ nach (inc1 )♯ , wobei incs : X → X ×I, incs (x) := (x, s). Dh. es gilt ∂ ◦ P + P ◦ ∂ = (inc1 )♯ − (inc0 )♯ , und das Diagramm C∗ (X) PX C∗+1 (X × I) / f♯ (f ×idI )♯ C∗ (Y ) PY / C∗+1 (Y × I) kommutiert für jede stetige Abbildung f : X → Y . Beweis. Die Natürlichkeitsaussage ist trivial, denn für jeden q-Simplex σ : ∆ → X gilt offensichtlich q (f × idI )♯ (PqX (σ)) = q X i=0 q = (−1)i (f × idI ) ◦ (σ × idI ) ◦ ϕiq X i=0 (−1)i (f ◦ σ) × idI ◦ ϕiq = PqY (f ◦ σ) = PqY (f♯ (σ)), IV.7. HOMOTOPIEINVARIANZ 143 woraus wir (f × idI )♯ ◦ P X = P Y ◦ f♯ schließen, siehe Bemerkung IV.5.1. Nun zur Gleichung ∂ ◦ P + P ◦ ∂ = (inc1 )♯ − (inc0 )♯ . Sei wieder σ : ∆q → X ein q-Simplex. Es genügt dann ∂q+1 (Pq (σ)) − Pq−1 (∂q (σ)) = inc1 ◦σ − inc0 ◦σ (IV.23) zu zeigen, siehe Bemerkung IV.5.1. Einsetzen in die Definitionen, Aufspalten der Summation und die Substitution i 7→ i − 1 in der ersten Summe liefern: ∂q+1 (Pq (σ)) = X = q+1 q X X j=0 i=0 j (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕiq ◦ δq+1 j (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕiq ◦ δq+1 + 0≤i<j≤q+1 =− X X j (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕiq ◦ δq+1 0≤j≤i≤q j (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕi−1 ◦ δq+1 + q 1≤i≤j≤q+1 X j (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕiq ◦ δq+1 0≤j≤i≤q Aus Lemma IV.7.1(i) erhalten wir durch Kürzen der Terme mit i = j: q+1 0 − (σ × idI ) ◦ ϕqq ◦ δq+1 ∂q+1 (Pq (σ)) = (σ × idI ) ◦ ϕ0q ◦ δq+1 X j − (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕi−1 ◦ δq+1 q 1≤i<j≤q+1 + X 0≤j<i≤q j (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕiq ◦ δq+1 (IV.24) Aus Lemma IV.7.1(ii) folgt 0 = (σ × idI ) ◦ inc1 = inc1 ◦σ. (σ × idI ) ◦ ϕ0q ◦ δq+1 (IV.25) Ebenso folgt aus Lemma IV.7.1(iii) q+1 (σ × idI ) ◦ ϕqq ◦ δq+1 = (σ × idI ) ◦ inc0 = inc0 ◦σ. (IV.26) Aus Lemma IV.7.1(iv) und der Subsituation i 7→ i + 1, j 7→ j + 1 erhalten wir: X j (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕi−1 ◦ δq+1 q 1≤i<j≤q+1 = X (−1)i+j (σ × idI ) ◦ (δqj−1 × idI ) ◦ ϕi−1 q−1 1≤i<j≤q+1 = X 0≤i<j≤q (−1)i+j (σ ◦ δqj ) × idI ◦ ϕiq−1 144 IV. HOMOLOGIE Aus Lemma IV.7.1(v) und der Substitution i 7→ i + 1 erhalten wir: X j (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕiq ◦ δq+1 0≤j<i≤q = X 0≤j<i≤q (−1)i+j (σ × idI ) ◦ (δqj × idI ) ◦ ϕi−1 q − 1 =− X (−1)i+j (σ ◦ δqj ) × idI ◦ ϕiq−1 0≤j≤i≤q−1 Kombination der letzten beiden Gleichungen liefert X X j j − (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕi−1 ◦ δ + (−1)i+j (σ × idI ) ◦ ϕiq ◦ δq+1 q+1 q 1≤i<j≤q+1 0≤j<i≤q =− q−1 q X X i=0 j=0 (−1)i+j (σ ◦ δqj ) × idI ◦ ϕiq−1 = −Pq−1 (∂q (σ)) Kombinieren wir dies mit (IV.24), (IV.25) und (IV.26) so erhalten wir die zu zeigende Gleichung (IV.23). Es sei (X, A) ein Paar von Räumen und es bezeichne ι : A → X die kanonische Inklusion. Aus der Natürlichkeitsaussage in Proposition IV.7.2 folgt, dass die Kettenhomotopie P X : C∗ (X) → C∗+1 (X × I) zu einer Kettenhomotopie P (X,A) : C∗ (X, A) → C∗+1 (X × I, A × I) faktorisiert und das folgende Diagramm kommutiert: ι♯ C∗ (A) / C∗ (X) PA / C∗ (X, A) PX C∗+1 (A × I) (ι×idI )♯ / P (X,A) C∗+1 (X × I) / C∗+1 (X × I, A × I) Aus Proposition IV.7.2 erhalten wir sofort folgende Version für Paare. IV.7.3. Proposition. Es sei (X, A) ein Paar von Räumen. Dann ist P : C∗ (X, A) → C∗+1 (X × I, A × I) eine natürliche Kettenhomotopie von (inc0 )♯ nach (inc1 )♯ , wobei incs : (X, A) → (X × I, A × I), incs (x) := (x, s). Dh. es gilt ∂ ◦ P + P ◦ ∂ = (inc1 )♯ − (inc0 )♯ , und das Diagramm C∗ (X, A) P (X,A) C∗+1 (X × I, A × I) / (f ×idI )♯ f♯ C∗ (Y, B) P (Y,B) / C∗+1 (Y × I, B × I) kommutiert für jede Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B). IV.7. HOMOTOPIEINVARIANZ 145 Zwei Abbildungen von Paaren f, g : (X, A) → (Y, B) heißen homotop, falls eine Abbildung von Paaren H : (X × I, A × I) → (Y, B) mit H0 = f und H1 = g existiert. In diesem Fall sagen wir f und g sind homotope Abbildungen von Paaren und schreiben f ≃ g : (X, A) → (Y, B). Insbesondere liefert H : X × I → Y eine Homotopie von f : X → Y nach g : X → Y und diese Homotopie erfüllt Ht (A) ⊆ B, für alle t ∈ I. Homotopie von Paaren definiert eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Abbildungen von Paaren die mit der Komposition verträglich ist, dh. aus f1 ≃ g1 : (X1 , A1 ) → (X2 , A2 ) und f2 ≃ g2 : (X2 , A2 ) → (X3 , A3 ) folgt (f2 ◦ f1 ) ≃ (g2 ◦ g1 ) : (X1 , A1 ) → (X3 , A3 ). Die Menge der damit assozierten Äquivalenzklassen bezeichnen wir mit [(X, A), (Y, B)], für die von f : (X, A) → (Y, B) repräsentierte Äquivalenzklassen schreiben wir [f ] ∈ [(X, A), (Y, B)]. Wir erhalten eine wohldefinierte Verknüpfung [(X1 , A1 ), (X2 , A2 )] × [(X2 , A2 ), (X3 , A3 )] → [(X1 , A1 ), (X3 , A3 )], ([f ], [g]) 7→ [g ◦ f ]. Dies führt zu einer Kategorie, deren Objekte Paare topologischer Räume, und deren Morphismen gerade die Homotopieklassen von Abbildungen von Paaren sind. Eine Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) wird Homotopieäquivalenz von Paaren genannt, falls eine Abbildung von Paaren g : (Y, B) → (X, A) existiert, sodass g ◦ f ≃ id(X,A) : (X, A) → (X, A) und f ◦ g ≃ id(Y,B) : (Y, B) → (Y, B). In diesem Fall sagen wir (X, A) und (Y, B) sind homotopieäquivalent und schreiben (X, A) ≃ (Y, B). Dies ist genau dann der Fall wenn (X, A) und (Y, B) in der oben besprochenen Kategorie isomorph sind. Beachte, dass zwei Abbildungen von Paaren f, g : (X, ∅) → (Y, ∅) genau dann homotop sind, wenn die Abbildungen f : X → Y und g : X → Y homotop sind. Ebenso sind die Paare (X, ∅) und (Y, ∅) genau dann homotopieäquivalent, wenn die Räume X und Y homotopieäquivalent sind. IV.7.4. Satz (Homotopieinvarianz). Je zwei homotope Abbildungen von Paaren f ≃ g : (X, A) → (Y, B) induzieren kettenhomotope Komplexabbildungen f♯ ≃ g♯ : C∗ (X, A) → C∗ (Y, B). Insbesondere stimmen die in der Homologie induzieren Homorphismen überein, f∗ = g∗ : H∗ (X, A) → H∗ (Y, B). Beweis. Nach unseren Voraussetzung existiert eine Homotopie von Paaren F : (X × I, A × I) → (Y, B) von F0 = F ◦ inc0 = f nach F1 = F ◦ inc1 = g. Diese induziert eine Kettenabbildung F♯ : C∗ (X × I, A × I) → C∗ (Y, B). Wir erhalten g♯ − f♯ = (F ◦ inc1 )♯ − (F ◦ inc0 )♯ = F♯ ◦ (inc1 )♯ − F♯ ◦ (inc0 )♯ = F♯ ◦ (inc1 )♯ − (inc0 )♯ = F♯ ◦ ∂ ◦ P + P ◦ ∂ = ∂ ◦ F♯ ◦ P + F♯ ◦ P ◦ ∂, wobei P : C∗ (X, A) → C∗+1 (X × I, A × I) die Kettenhomotopie aus Proposition IV.7.3 bezeichnet. Also ist F♯ ◦ P : C∗ (X, A) → C∗+1 (Y, B) eine Kettenhomotopie von f♯ nach g♯ . Nach Proposition IV.2.4 gilt daher auch f∗ = g∗ : H∗ (X, A) → H∗ (Y, B). IV.7.5. Korollar (Homotopieinvarianz). Homotope Abbildungen f ≃ g : X → Y induzieren kettenhomotope Komplexabbildunge f♯ ≃ g♯ : C∗ (X) → C∗ (Y ). 146 IV. HOMOLOGIE Insbesondere stimmen die in der (reduzierten) Homologie induzierten Homomorphismen überein, dh. f∗ = g∗ : H∗ (X) → H∗ (Y ) und f∗ = g∗ : H̃∗ (X) → H̃∗ (Y ). Beweis. Dies folgt aus Satz IV.7.4, denn wir können f und g als homotope Abbildungen von Paaren auffassen, f ≃ g : (X, ∅) → (Y, ∅). IV.7.6. Bemerkung. Nach Korollar IV.7.7 definiert die singuläre Homologie einen Funktor von der Kategorie der topologischen Räume und Homotopieklassen stetiger Abbildungen in die Kategorie der graduierten abelschen Gruppen. Der Homologiefunktor faktorisiert daher durch die Kategorie der topologischen Räume und Homotopieklassen stetiger Abbildungen. Analoges gilt für die reduzierte Homologie und die relative Homologie. ≃ IV.7.7. Korollar. Jede Homotopieäquivalenz von Paaren f : (X, A) − → ∼ = (Y, B) induziert einen Isomorphismus f∗ : H∗ (X, A) − → H∗ (Y, B). Homotopieäquivalente Paare haben daher isomorphe Homologiegruppen. Ebenso induziert ∼ ≃ = → H∗ (Y ) und eine Homotopieäquivalenz f : X − → Y Isomorphismen f∗ : H∗ (X) − ∼ = f∗ : H̃∗ (X) − → H̃∗ (Y ). Insbesondere haben homotopieäquivalente Räume isomorphe (reduzierte) Homologiegruppen. Beweis. Sei also g : (Y, B) → (X, A), sodass g ◦ f ≃ id(X,A) und f ◦ g ≃ id(Y,B) . Mittels Satz IV.7.4 erhalten wir g∗ ◦ f∗ = (g ◦ f )∗ = (id(X,A) )∗ = idH∗ (X,A) und f∗ ◦ g∗ = (f ◦ g)∗ = (id(Y,B) )∗ = idH∗ (Y,B) . Also sind f∗ : H∗ (X, A) → H∗ (Y, B) und g∗ : H∗ (Y, B) → H∗ (X, A) zueinander inverse Isomorphismen. Mittels Bemerkung IV.7.6 könnten wir dies auch direkt aus Bemerkung III.2.1 folgern. Die anderen Aussagen folgen analog aus Korollar IV.7.5. IV.7.8. Korollar. Kontrahierbare Räume sind azyklisch. Beweis. Dies folgt aus Korollar IV.7.7, denn kontrahierbare Räume sind zum einpunktigen Raum homotopieäquivalent. IV.7.9. Korollar. Es sei f : (X, A) → (Y, B) eine Abbildung von Paaren, ≃ ≃ sodass f : X − → Y und f |A : A − → B beides Homotpieäquivalenzen sind.31 Dann ∼ = → H∗ (Y, B). induziert f einen Isomorphismus f∗ : H∗ (X, A) − 31Wir setzen hier nicht voraus, dass f : (X, A) → (Y, B) eine Homotopieäquivalenz von Paaren ist, dieser Fall wäre ja durch Korollar IV.7.7 abgedeckt. Die Abbildung f : (I, {0, 1}) → (I, I \{ 12 }) erfüllt die Voraussetungen von Korollar IV.7.9 ist jedoch keine Homotopieäquivalenz von Paaren. IV.7. HOMOTOPIEINVARIANZ 147 ∼ = → Beweis. Nach Korollar IV.7.7 induziert f Isomorphismen f∗ : H∗ (X) − ∼ = → H∗ (B). Aus der Natürlichkeitsaussage in ProposiH∗ (Y ) und (f |A )∗ : H∗ (A) − tion IV.6.5 erhalten wir folgendes kommutatives Diagramm: Hq (A) ι∗ Hq (X) / ∼ = (f |A )∗ Hq (B) Hq (X, A) / ∼ = f∗ ι∗ / Hq (Y ) δq / / Hq (Y, B) ι∗ Hq−1 (X) / ∼ = (f |A )∗ f∗ Hq−1 (A) δq / ∼ = f∗ Hq−1 (B) / Hq−1 (Y ) Nach Lemma IV.3.5 muss daher auch f∗ : Hq (X, A) → Hq (Y, B) ein Isomorphismus sein. IV.7.10. Beispiel. Aus der langen exakte Sequenz des Paares (D n , S n−1 ), siehe Proposition IV.6.10, δ · · · → H̃q (D n ) → Hq (D n , S n−1) − → H̃q−1 (S n−1 ) → H̃q−1 (D n ) → · · · und H̃∗ (D n ) = 0, siehe Korollar IV.7.8, sehen wir, dass der Einhängungshomo∼ = → H̃q−1 (S n−1 ) liefert, n ≥ 1. morphismus einen Isomorphimus δ : Hq (D n , S n−1 ) − IV.7.11. Beispiel. Die kanonischen Inklusionen S n−1 → D n \ {0} → Rn \ {0} sind Homotopieäquivalenzen. Nach Korollar IV.7.7 induzieren sie daher Isomorphismen H∗ (S n−1) ∼ = H∗ (Rn \ {0}). = H∗ (D n \ {0}) ∼ IV.7.12. Beispiel. Die Inklusionen On → GLn (R) und Un → GLn (C) sind Homotpieäquivalenzen, siehe Proposition I.6.8 und Proposition I.6.1. Sie induzieren daher Isomorphismen H∗ (On ) ∼ = H∗ (GLn (R)) bzw. H∗ (Un ) ∼ = H∗ (GLn (C)), siehe Korollar IV.7.7. IV.7.13. Beispiel. Betrachte den Kegel CX über einem topologischen Raum X 6= ∅. Wir bezeichnen mit ι : X → CX die kanonische Einbettung und fassen X als Teilraum von CX auf, siehe Beispiel I.3.18. Nach Korollar IV.7.8 gilt H̃∗ (CX) = 0, denn der Kegel CX ist kontrahierbar. Aus der langen exakten Sequenz des Paares (CX, X), siehe Proposition IV.6.10, δ ι ∗ · · · → H̃q (CX) → Hq (CX, X) − → H̃q−1 (X) − → H̃q−1 (CX) → · · · sehen wir daher, dass der Einhängungshomomorphismus einen Isomorphismus ∼ = → H̃q−1 (X) liefert. Da (CS n−1 , S n−1) ∼ δ : Hq (CX, X) − = (D n , S n−1 ), können wir dies als Verallgemeinerung von Beispiel IV.7.10 betrachten. IV.7.14. Proposition (Homologie des Abbildungszylinders). Es sei ϕ : Y → X eine stetige Abbildung und Y 6= ∅. Dann existiert eine lange exakte Sequenz δq+1 ϕ∗ δq · · · → Hq+1 (Zϕ , Y ) −−→ H̃q (Y ) −→ H̃q (X) → Hq (Zϕ , Y ) − → H̃q−1 (Y ) → · · · Dabei fassen wir Y als Teilraum des Abbildungszylinders Zϕ auf, siehe Beispiel I.3.20. 148 IV. HOMOLOGIE Beweis. Es bezeichne j : Y → Zϕ die kanonische Einbettung. Wir betrachten die lange exakte Sequenz des Paares (Zϕ , Y ), siehe Proposition IV.6.10, δq+1 j∗ δq → H̃q−1 (Y ) → · · · → H̃q (Zϕ ) → Hq (Zϕ , Y ) − · · · → Hq+1 (Zϕ , Y ) −−→ H̃q (Y ) − In Beispiel I.3.20 haben wir gesehen, dass die kanonische Einbettung ι : X → Zϕ eine Homotopieäquivalenz ist, nach Korollar IV.7.7 induziert sie daher einen ∼ = Isomorphismus ι∗ : H̃∗ (X) − → H̃∗ (Zϕ ). Weiters ist ι◦ϕ ≃ j und daher ι∗ ◦ϕ∗ = j∗ , siehe Korollar IV.7.5. Ersetzen wir in obiger Sequenz H̃q (Zϕ ) durch H̃q (X), so erhalten wir die gesuchte lange exakte Sequenz. IV.8. Baryzentrische Unterteilung. Neben der Homotopieinvarianz ist der Ausschneidungsssatz IV.9.1 unten die zweite wesentliche Eigenschaft des Homologiefunktors. Dieser ist ein einfaches Korollar aus Satz IV.8.9 am Ende dieses Abschnitts. Ein weiters einfaches Korollar aus Satz IV.8.9 ist die Existenz der Mayer–Vietoris Sequenz, diese werden wir in Abschnitt IV.10 besprechen. Ist q ≥ 0 und π ∈ S({0, . . . , q}) eine Permutation, dann definieren wir affine Abbildungen βqπ : ∆q → ∆q auf den Ecken ei ∈ ∆q durch 1 eπ(0) + · · · + eπ(i) , 0 ≤ i ≤ q. i+1 P Für (t0 , . . . , tq ) ∈ ∆q gilt daher βqπ (t0 , . . . , tq ) = qi=0 ti βqπ (ei ). βqπ (ei ) := (IV.27) IV.8.1. Lemma. Für die Abbildungen βqπ , q ≥ 1, gilt, vgl. (IV.15): π◦(i,i+1) (i) βqπ ◦ δqi = βq ◦ δqi , falls 0 ≤ i < q und π ∈ S({0, . . . , q}). (j,...,q)◦τ̂ τ (ii) δqj ◦ βq−1 = βq ◦ δqq , falls 0 ≤ j ≤ q und τ ∈ ({0, . . . , q − 1}). Wir verwenden hier die Zyklenschreibweise für Permutationen, etwa bezeichnet (i, i + 1) die Transposition von i und i + 1. Für τ ∈ S({0, . . . , q − 1}) bezeichnet τ̂ ∈ S({0, . . . , q}) die Permutation τ̂ (q) := q und τ̂ (i) := τ (i) für 0 ≤ i < q. Beweis. Alle auftretenden Abbildungen ∆q−1 → ∆q sind Einschränkungen affiner Abbildungen Rq → Rq+1 . Es genügt daher die Gleichungen auf den Ecken ei ∈ ∆q−1 zu verifizieren. Für jeden topologischen Raum X und q ≥ 0 definieren wir nun Homomorq phismen bq := bX q : Cq (X) → Cq (X) auf q-Simplizes σ : ∆ → X durch X bX (σ) := sign(π) σ ◦ βqπ . q π∈S({0,...,q}) X Für q < 0 setzen wir bX q := 0. Wir können die bq als Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen b = bX : C∗ (X) → C∗ (X) auffassen. Dieser Homomorphismus wird die baryzentrische Unterteilung genannt. IV.8. BARYZENTRISCHE UNTERTEILUNG 149 IV.8.2. Proposition. Die baryzentrische Unterteilung ist eine natürliche Kettenabbildung, dh. es gilt ∂ X ◦ bX = bX ◦ ∂ X sowie f♯ ◦ bX = bY ◦ f♯ für jede stetige Abbildung f : X → Y . Weiters ist bX 0 = idC0 (X) . Beweis. Die Natürlichkeit ist offensichtlich, denn für eine stetige Abbildung f : X → Y und jeden q-Simplex σ : ∆q → X gilt f♯ (bX q (σ)) = f♯ X π∈S({0,...,q}) sign(π) σ ◦ X = π∈S({0,...,q}) βqπ sign(π) f ◦ σ ◦ βqπ = bYq (f ◦ σ) = bYq (f♯ (σ)), Y X also f♯ ◦ bX q = bq ◦ f♯ . Auch b0 = idC0 (X) ist trivialerweise wahr. Sei nun q ≥ 1 und σ : ∆q → X ein q-Simplex. Es ist noch ∂q (bq (σ)) = bq−1 (∂q (σ)) zu zeigen. Aus Lemma IV.8.1(ii) erhalten wir: bq−1 (∂q (σ)) = bq−1 q X j=0 = q X (−1) σ ◦ (−1)j j=0 δqj X τ ∈S({0,...,q−1}) q = j X X τ sign(τ ) σ ◦ δqj ◦ βq−1 (−1)j sign(τ ) σ ◦ βq(j,...,q)◦τ̂ ◦ δqq j=0 τ ∈S({0,...,q−1}) q = (−1) q X j=0 = (−1)q X τ ∈S({0,...,q−1}) X π∈S({0,...,q}) sign (j, . . . , q) ◦ τ̂ σ ◦ βq(j,...,q)◦τ̂ ◦ δqq sign(π) σ ◦ βqπ ◦ δqq Daraus folgt: ∂q (bq (σ)) = ∂q = X π∈S({0,...,q}) X sign(π) σ ◦ sign(π) i=0 π∈S({0,...,q}) = bq−1 (∂q (σ)) + q X q−1 X i=0 βqπ (−1)i σ ◦ βqπ ◦ δqi (−1)i X π∈S({0,...,q}) sign(π) σ ◦ βqπ ◦ δqi 150 IV. HOMOLOGIE P Es genügt daher π∈S({0,...,q}) sign(π) σ ◦ βqπ ◦ δqi = 0 für alle 0 ≤ i < q zu zeigen. Dies folgt nun aus Lemma IV.8.1(i), denn X π∈S({0,...,q}) X sign(π) σ ◦ βqπ ◦ δqi = π∈S({0,...,q}) =− =− sign(π) σ ◦ βqπ◦(i,i+1) ◦ δqi X π∈S({0,...,q}) X π∈S({0,...,q}) sign π ◦ (i, i + 1) σ ◦ βqπ◦(i,i+1) ◦ δqi sign(π) σ ◦ βqπ ◦ δqi = 0 IV.8.3. Lemma. Es seien ϕX , ψ X : C∗ (X) → C∗ (X) zwei natürliche Kettenabbildungen, dh. ϕX und ψ X sind für jeden topologischen Raum X definiert, und die Diagramme C∗ (X) ϕX f♯ C∗ (Y ) C∗ (X) C∗ (X) / / C∗ (X) / f♯ f♯ ϕY ψX C∗ (Y ) C∗ (Y ) f♯ ψY / C∗ (Y ) X kommutieren für jede stetige Abbildung f : X → Y . Weiters sei ϕX 0 = ψ0 : X C0 (X) → C0 (Y ). Dann existiert eine natürliche Kettenhomotopie h : C∗ (X) → C∗+1 (X) von ϕX nach ψ X , dh. es gilt ψ X − ϕX = ∂ X ◦ hX + hX ◦ ∂ X und das Diagramm C∗ (X) hX C∗+1 (X) / f♯ C∗ (Y ) f♯ hY / C∗+1 (Y ) kommutiert für jede stetige Abbildung f : X → Y . Beweis. Wir werden hX q : Cq (X) → Cq+1 (X) mittels Induktion nach q für alle Räume X gleichzeitig konstruieren. Zunächst setze wir hX q := falls q ≤ 0. X X X Y X X X Dann gilt jedenfalls ψq − ϕq = ∂q+1 ◦ hq + hq−1 ◦ ∂q sowie f♯ ◦ hX q = hq ◦ f♯ für jedes q ≤ 0 und jede stetige Abbildung f : X → Y . Dabei haben wir in der X ersten Gleichung die Voraussetzung ϕX 0 = ψ0 verwendet. Für den Induktionsschritt sei nun q ≥ 1. Laut Induktionsvoraussetzung exiX X stieren Homomorphismen hX k : Ck (X) → Ck+1 (X), k < q, sodass ψk − ϕk = Y X X X X ∂k+1 ◦ hX k + hk−1 ◦ ∂k sowie f♯ ◦ hk = hk ◦ f♯ für jedes k < q und jede stetige Abbildung f : X → Y . Für den Induktionsschritt sind nun Homomorphismen hX q : Cq (X) → Cq+1 (X) zu konstruieren, die diese Gleichungen mit k = q erfüllen. IV.8. BARYZENTRISCHE UNTERTEILUNG 151 Zunächst gilt X X ∂qX ◦ ψqX − ϕX q − hq−1 ◦ ∂q X X X X X X X = ψq−1 − ϕX q−1 − ∂q ◦ hq−1 ◦ ∂q = hq−2 ◦ ∂q−1 ◦ ∂q = 0. Im ersten Gleichheitszeichen haben wir verwendet, dass ϕX und ψ X Kettenabbildungen sind, im zweiten ist die Induktionsvoraussetzung eingegangen, und im dritten schließlich ∂ 2 = 0. Wenden wir dies auf id∆q ∈ Cq (∆q ) an, so erhalten wir q q ∆q ∆q ψq∆ − ϕ∆ − h ◦ ∂ (id∆q ) ∈ Zq (∆q ). q q−1 q Nun ist ∆q kontrahierbar, also Hq (∆q ) = 0, siehe Korollar IV.7.8. Es existiert daher cq+1 ∈ Cq+1 (∆q ) mit q q ∆q ∆q ∆q ∂q+1 (cq+1 ) = ψq∆ − ϕ∆ − h ◦ ∂ (IV.28) (id∆q ). q q−1 q Für jeden topologischen Raum X definieren wir nun einen Homomorphismus q X hX q : Cq (X) → Cq+1 (X) auf q-Simplizes σ : ∆ → X durch hq (σ) := σ♯ (cq+1 ). Ist f : X → Y eine stetige Abbildung, gilt dann Y Y f♯ (hX q (σ)) = f♯ (σ♯ (cq+1 )) = (f ◦ σ)♯ (cq+1 ) = hq (f ◦ σ) = hq (f♯ (σ)) Y X und somit f♯ ◦ hX q = hq ◦ f♯ . Damit ist die Natürlichkeit von hq gezeigt. Weiters haben wir für jeden q-Simplex σ : ∆q → X offensichtlich σ = σ ◦ id∆q = σ♯ (id∆q ) und daher: X X X X X X ψqX − ϕX q − hq−1 ◦ ∂q (σ) = ψq − ϕq − hq−1 ◦ ∂q (σ♯ (id∆q )) q q ∆q ∆q = σ♯ ψq∆ − ϕ∆ (id∆q ) q − hq−1 ◦ ∂q ∆q = σ♯ ∂q+1 (cq+1 ) X = ∂q+1 (σ♯ (cq+1 )) X = ∂q+1 (hX q (σ)) X Dabei haben wir im zweiten Gleichheitszeichen die Natürlichkeit von ϕX q , ψq X und hq−1 verwendet, und im dritten Gleichheitszeichen ist die Definition von cq+1 X X X X eingegangen, siehe (IV.28). Somit gilt ψqX − ϕX q − hq−1 ◦ ∂q = ∂q+1 ◦ hq , und der Induktionsschritt ist gezeigt. IV.8.4. Bemerkung. Die Methode im Beweis von Lemma IV.8.3 oben wird die Methode der azyklischen Modelle genannt. IV.8.5. Proposition. Es existiert eine natürliche Kettenhomotopie von der baryzentrischen Unterteilung zur Identität, dh. zu jedem topologischen Raum X gibt es einen Homomorphismus hX : C∗ (X) → C∗+1 (X), sodass bX − idC∗ (X) = ∂ X ◦ hX + hX ◦ ∂ X und f♯ ◦ hX = hY ◦ f♯ für jede stetige Abbildung f : X → Y gilt. Insbesondere induziert die baryzentrische Unterteilung die Identität in der Homologie, bX ∗ = idH∗ (X) : H∗ (X) → H∗ (X). 152 IV. HOMOLOGIE Beweis. Wende Lemma IV.8.3 auf ϕX := bX und ψ X := idC∗ (X) an. Beachte, dass beides natürliche Kettenabbildungen sind, die auf C0 (X) übereinstimmen, vgl. Proposition IV.8.2. Ist σ : ∆q → Rn ein q-Simplex, dann definieren wir seinen Durchmesser als diam(σ) := maxq kσ(s) − σ(t)k. s,t∈∆ Wir nennen ein Simplex σ : ∆q → Rn affin falls σ Einschränkung einer affinen Abbildung Rq → Rn ist. IV.8.6. Lemma. Es sei σ : ∆q → Rn ein affiner q-Simplex, q ≥ 0 und π ∈ S({0, . . . , q}). Dann ist auch σ ◦ βqπ : ∆q → Rn ein affiner q-Simplex und es gilt q diam σ ◦ βqπ ≤ diam(σ). q+1 Insbesondere ist (bq )m (σ) eine Linearkombination affiner Simplizes die alle Durchm q haben. messer kleiner oder gleich q+1 Beweis. Sei also σ : ∆q → Rn ein affiner q-Simplex. Wir zeigen zunächst diam(σ) = max kσ(ei ) − σ(ej )k. (IV.29) 0≤i,j≤q Offensichtlich ist diam(σ) ≥ max0≤i,j≤q kσ(ei ) − σ(ej )k, es bleibt die Pq daher nur q umgekehrte Ungleichung zu zeigen. Sind s = (s0 , . . . , sq ) = i=0 si ei ∈ ∆ und P t = (t0 , . . . , tq ) = qj=0 tj ej ∈ ∆q dann gilt auf Grund der Affinität von σ σ(s) − σ(t) = σ = q X i=0 X si ei − σ 0≤i,j≤q q X tj ej = j=0 si tj σ(ei ) − X q X i=0 si σ(ei ) − si tj σ(ej ) = 0≤i,j≤q X q X 0≤i,j≤q si tj σ(ei ) − σ(ej ) . P Dabei haben wir im dritten Gleichheitszeichen i=0 si = 1 = qj=0 tj verwendet. Jedenfalls folgt nun aus der Dreiecksungleichung X X kσ(s) − σ(t)k ≤ si tj kσ(ei ) − σ(ej )k ≤ si tj max kσ(ei ) − σ(ej )k i,j Pq tj σ(ej ) j=0 0≤i,j≤q 0≤i,j≤q q q X X = si tj max kσ(ei ) − σ(ej )k = max kσ(ei ) − σ(ej )k. i=0 j=0 0≤i,j≤q 0≤i,j≤q Es folgt daher diam(σ) ≤ max0≤i,j≤q kσ(ei ) − σ(ej )k, womit nun (IV.29) gezeigt wäre. Mit σ ist auch σ ◦ βqπ affin, und wir erhalten aus (IV.29) diam σ ◦ βqπ = max σ(βqπ (ei )) − σ(βqπ (ej )). (IV.30) 0≤i,j≤q IV.8. BARYZENTRISCHE UNTERTEILUNG 153 Es ist nun, siehe (IV.27), σ βqπ (ei ) −σ βqπ (ej ) j i 1 X 1 X eπ(k) eπ(l) − σ =σ i+1 j+1 k=0 l=0 j i 1 X 1 X σ(eπ(l) ) − σ(eπ(k) ) i + 1 l=0 j + 1 k=0 X j j i X i X X 1 σ(eπ(k) ) σ(eπ(l) ) − = (i + 1)(j + 1) l=0 k=0 l=0 k=0 = i X 1 = (i + 1)(j + 1) X l=0 0≤k≤j, k6=l σ(eπ(l) ) − σ(eπ(k) ) Für i ≤ j folgt daher aus der Dreiecksungleichung σ(β π (ei )) − σ(β π (ej )) ≤ q q i X X 1 diam(σ) (i + 1)(j + 1) l=0 0≤k≤j,k6=l j q diam(σ) ≤ diam(σ). j+1 q+1 q diam(σ). Die verbleibenZusammen mit (IV.30) erhalten wir diam σ ◦ βqπ ≤ q+1 den Behauptungen sind nun trivial. = Ist U eine Familie von Teilmengen eines topologischen Raums X, dann bezeichnen wir mit CqU (X) die von Cq (U), U ∈ U, erzeugte Untergruppe von Cq (X). Elemente von CqU (X) sind daher Linearkombinationen von q-Simplizes die jeder in einer der Mengen U ∈ U liegen. Die CqU (X) bilden offensichtlich einen Teilkomplex C∗U (X) ⊆ C∗ (X). IV.8.7. Proposition. S Es sei U eine Familie von Teilmengen eines topologischen Raums X, sodass U ∈U Ů = X. Weiters sei c ∈ Cq (X). Dann existiert m ∈ N0 , sodass (bq )m (c) ∈ CqU (X). Beweis. O.B.d.A. sei c = σ, wobei σ : ∆q → X ein q-Simplex ist. Betrachte die offene Überdeckung V := {σ −1 (Ů) : U ∈ U} von ∆q . Da ∆q kompakt ist, existiert ε > 0 mit folgender Eigenschaft: ist A ⊆ ∆q und diam(A) ≤ ε dann existiert V ∈ V mit A ⊆ V , siehe Lemma I.1.28. Nach Lemma IV.8.6 exiq m stiert m ∈ N0 , sodass (b∆ q ) (id∆q ) Linearkombination von Simplizes ist, die alle q m V q Durchmesser höchstens ε haben. Es gilt daher (b∆ q ) (id∆q ) ∈ Cq (∆ ). Wegen der Natürlichkeit der baryzentrischen Unterteilung, siehe Proposition IV.8.2, folgt m X m ∆q m V q U q )) = σ♯ (b q ) ∈ σ♯ C (∆ ) ⊆ C (X). (bX ) (σ) = (b ) (σ (id ) (id ♯ ∆ ∆ q q q q q Ist U eine Familie von Teilmengen von X, dann schreiben wir H∗U (X) := H∗ (C U (X)) für die Homologie des Kettenkomplexes C∗U (X). 154 IV. HOMOLOGIE IV.8.8. Proposition.SEs sei U eine Familie von Teilmengen eines topologischen Raums X, sodass U ∈U Ů = X. Dann induziert die Inklusion C∗U (X) → C∗ (X) einen Isomorphismus H∗U (X) ∼ = H∗ (X). Beweis. Es bezeichne ι : C∗U (X) → C∗ (X) die Inklusion und ι∗ : H∗U (X) → H∗ (X) den induzierten Homomorphismus. Wir zeigen zunächst, dass ι∗ surjektiv ist. Sei dazu α ∈ Hq (X) und wähle c ∈ Zq (X), sodass α = [c]. Nach Proposition IV.8.7 existiert m ∈ N0 , sodass c̃ := (bq )m (c) ∈ CqU (X). Daher repräsentiert c̃ eine Homologieklasse α̃ := [c̃] ∈ HqU (X). Nach Proposition IV.8.5 gilt ι∗ (α̃) = [(bq )m (c)] = [c] = α ∈ Hq (X), also ist ι∗ surjektiv. Es bleibt noch die Injektivität von ι∗ zu zeigen. Sei dazu α ∈ HqU (X) mit ι∗ (α) = 0. Wähle c ∈ ZqU (X), sodass α = [c]. Nach Voraussetzung existiert z ∈ Cq+1 (X) mit ∂z = c. U Nach Proposition IV.8.7 existiert m ∈ N0 , sodass (bq+1 )m (z) ∈ Cq+1 (X). Es folgt ∂((bq+1 )m (z)) = (bq )m (∂z) = (bq )m (c), und daher [(bq )m (c)] = 0 ∈ HqU (X). Nach Proposition IV.8.5 ist aber α = [c] = [(bq )m (c)] ∈ HqU (X), es folgt daher α = 0 ∈ HqU (X). Dies zeigt, dass ι∗ trivialen Kern hat, also ist ι∗ injektiv. Sei nun (X, A) ein Paar von Räumen und U eine Familie von Teilmengen von X. Wir schreiben U ∩ A := {U ∩ A : U ∈ U} für die induzierte Familie von Teilmengen von A. Definiere einen Kettenkomplex C∗U (X, A) := C∗U (X)/C∗U ∩A (A). Wir können C∗U (X, A) als Teilkomplex von C∗ (X, A) auffassen, denn C∗U ∩A (A) = C∗U (X) ∩ C∗ (A). Schließlich sei H∗U (X, A) := H∗ (C U (X, A)). Im Fall A = ∅ reduziert sich dies auf H∗U (X, ∅) = H∗U (X), denn C∗U (X, ∅) = C∗U (X). IV.8.9. Satz. Es sei (X, A) ein Paar von Räumen, und es sei U eine FaS milie von Teilmengen von X, sodass Å ∪ U ∈U Ů = X. Dann ist die Inklusi≃ on C∗U (X, A) − → C∗ (X, A) eine Kettenhomotopieäquivalenz und induziert daher einen Isomorphismus H∗U (X, A) ∼ = H∗ (X, A). Beweis. Beachte, dass C∗U (X, A) und C∗ (X, A) beides freie Kettenkomplexe sind. Nach Korollar IV.4.22 genügt es daher zu zeigen, dass die Inklusion C∗U (X, A) → C∗ (X, A) Isomorphismus H∗U (X, A) ∼ = H∗ (X, A) induziert. Sei dazu V := U ∪ {A}. Nach Proposition IV.8.8 induzieren die Inklusionen C∗V (X) → C∗ (X) und C∗V∩A (A) → C∗ (A) Isomorphismen H∗V (X) ∼ = H∗ (X) und H∗V∩A (A) ∼ = H∗ (A). Weiters haben wir ein kommutatives Diagramm von Kettenkomplexen 0 0 / C∗V∩A (A) / C∗ (A) C∗V (X) / / C∗ (X) C∗V (X, A) / / C∗ (X, A) / / 0 0 mit exakten Zeilen. Aus Korollar IV.3.4 folgt daher, dass auch die Inklusion C∗V (X, A) → C∗ (X, A) einen Isomorphismus H∗V (X, A) ∼ = H∗ (X, A) induziert. Es V U V ist aber C∗ (X, A) = C∗ (X, A) und daher H∗ (X, A) = H∗U (X, A). IV.9. DER AUSSCHNEIDUNGSSATZ 155 IV.9. Der Ausschneidungssatz. Spezialisieren wir Satz IV.8.9 auf einelementige Familien U so erhalten wir folgende fundamentale Eigenschaft des Homologiefunktors. IV.9.1. Satz (Ausschneidungssatz, Excision). Es sei (X, A) ein Paar von Räumen und Z ⊆ A eine Teilmenge, sodass Z̄ ⊆ Å. Dann induziert die Inklusion ≃ ι : (X \Z, A\Z) → (X, A) eine Kettenhomotopieäquivalenz ι♯ : C∗ (X \Z, A\Z) − → ∼ = → H∗ (X, A). C∗ (X, A) und daher einen Isomorphismus ι∗ : H∗ (X \ Z, A \ Z) − Beweis. Beachte (X \ Z)˚= X \ Z̄ ⊇ X \ Å und somit Å ∪ (X \ Z)˚= X. Die einelementige Familie U := {X \ Z} erfüllt daher die Voraussetzungen von ≃ Satz IV.8.9, also ist die Inklusion C∗U (X, A) − → C∗ (X, A) eine Kettenhomotopieäquivalenz. Nach Konstruktion von U gilt C∗U (X, A) = C∗ (X \ Z, A \ Z). IV.9.2. Korollar. Es sei A ⊆ X eine nicht-leere abgeschlossene Teilmenge. Weiters existiere eine Umgebung U von A, sodass A Deformationsretrakt von U ist. Dann induziert die kanonische Projektion p : (X, A) → (X/A, A/A) einen ∼ = Isomorphismen p∗ : H∗ (X, A) − → H∗ (X/A, A/A) ∼ = H̃∗ (X/A). Beweis. Bezeichne Y := X/A, V := U/A, P := A/A und betrachte folgendes kommutatives Diagramm: H∗ (X, A) ∼ = Hq (X, U) o / p∗ H∗ (Y, P ) ∼ = ∼ = p∗ p∗ ∼ = / H∗ (Y, V ) o H∗ (X \ A, U \ A) ∼ = (IV.31) H∗ (Y \ P, V \ P ) Nach Voraussetzung existiert eine stetige Abbildung F : U ×I → U mit F0 = idU , F1 (A) ⊆ A und Ft (a) = a für alle a ∈ A, t ∈ I. Insbesondere ist die Inklusion A → U eine Homotopieäquivalenz, der linke obere horizontale Pfeil in (IV.31) also ein Isomorphismus, siehe Beispiel IV.6.16. Die Homotopie F faktorisiert zu einer stetigen Abbildung F̄ : V ×I → V mit F̄0 = idV , F̄1 (V ) ⊆ P und F̄t (P ) = P für alle t ∈ I, vgl. Lemma I.3.17. Daher ist P Deformationsretrakt von V . Insbesonder ist die Inklusion P → V ist eine Homotopieäquivalenz, der linke untere horizontale Pfeil (IV.31) daher ein Isomorphismus, siehe Beispiel IV.6.16. Nach Satz IV.9.1 sind auch die beiden rechten horizontalen Pfeile in (IV.31) Isomorphismen. Schließlich liefert die kanonische Projektion einen Homöomorphismus ∼ = → (Y \ P, V \ P ), also ist auch der rechte vertikale von Paaren p : (X \ A, U \ A) − Pfeil in (IV.31) ein Isomorphismus. Aus der Kommutativität von (IV.31) folgt nun, dass auch der linke vertikale Pfeil dieses Diagramms ein Isomorphismus sein muss. IV.9.3. Korollar. Es sei A ⊆ X eine nicht-leere abgeschlossene Teilmenge. Weiters existiere eine Umgebung U von A, sodass A Deformationsretrakt von U 156 IV. HOMOLOGIE ist. Dann existiert eine natürliche lange exakte Sequenz δq p∗ ι ι ∗ ∗ → H̃q−1 (A) − · · · → H̃q (A) − → H̃q (X/A) − → H̃q−1 (X) → · · · → H̃q (X) − Dabei bezeichnen ι : A → X und p : X → X/A die kanonische Inklusion bzw. Projektion. Ist f (X, A) → (Y, B) eine Abbildung von Paaren, wobei B ⊆ Y eine nicht-leere abgeschlossene Teilmenge bezeichnet, die Deformationsretrakt einer ihrer Umgebungen ist, dann kommutiert das folgende Diagramm: ... / H̃ (A) q ι∗ / H̃ (X) q (f |A )∗ ... / H̃ (B) q p∗ / H̃ (X/A) q ι∗ / H̃ (Y ) q / H̃ q−1 (A) f¯∗ f∗ δq p∗ / H̃ (Y /B) q ι∗ / H̃ q−1 (X) f∗ / ··· (f |A )∗ δq / H̃ q−1 (B) ι∗ / H̃ q−1 (Y ) / ··· Dabei bezeichnet f¯ : X/A → Y /B die von f induzierte Abbildung. Beweis. Dies folgt aus der langen exakten Sequenz des Paares (X, A), siehe Proposition IV.6.10, indem wir die auftretenden Gruppen Hq (X, A) durch H̃q (X/A) ersetzen, siehe Korollar IV.9.2. Die Natürlichkeit folgt aus der Natürlichkeit der Sequenz des Paares (X, A). IV.9.4. Beispiel. Betrachte die Suspension ΣX ∼ = CX/X eines topologischen Raums X, wobei wir wieder X als Teilraum des Kegels CX auffassen. Beachte, dass X Deformationsretrakt der Umgebung δq / H̃ U := CX \ {∗} ist, wobei ∗ ∈ CX die Spitze des KeH̃q (ΣX) ∼ q−1 (X) = gels bezeichnet. Da der Kegel CX kontrahierbar ist (Σf )∗ f∗ gilt H̃∗ (CX) = 0, also liefert der Einhängungshomo δq morphismus der langen exakten Sequenz in Korol/ H̃ H̃ (ΣY ) q q−1 (Y ) ∼ ∼ = = → H̃q−1 (X). lar IV.9.3 Isomorphismen δq : H̃q (ΣX) − Eine stetige Abbildung f : X → Y induziert eine Abbildung von Paaren Cf : (CX, X) → (CY, Y ), sodass (Cf )|X = f und Cf = Σf . Aus der Natürlichkeit der langen exakten Sequenz folgt daher, dass nebenstehendes Diagramm für jede stetige Abbildung f : X → Y kommutiert. IV.9.5. Satz. Für die Homologiegruppen der Sphären gilt:32 ( ( Z falls q = n Z falls q = 0 oder q = n H̃q (S n ) ∼ bzw. Hq (S n ) ∼ = = 0 falls q 6= n 0 andernfalls Für die Euler-Charakteristik folgt χ(S n ) = 1 + (−1)n bzw. χ̃(S n ) = (−1)n . Beweis. Beachte S n ∼ = = ΣS n−1 . Aus Beispiel IV.9.4 folgt daher H̃q (S n ) ∼ 0 n−1 ∼ ∼ H̃q−1 (S ) = · · · = H̃q−n (S ). Zusammen mit Beispiel IV.5.21 erhalten wir nun die Aussage über die reduzierte Homologie der Sphären. Die Homologiegruppen H∗ (S n ) können nun mittels Proposition IV.5.18 berechnet werden. 32Im Fall n = 0 ist dies als H0 (S 0 ) ∼ = Z ⊕ Z zu lesen, vgl. Beispiel IV.5.21 IV.9. DER AUSSCHNEIDUNGSSATZ 157 IV.9.6. Beispiel. Für n ∈ N und P ∈ Rn gilt ( Z falls q = n − 1 H̃q Rn \ {P } ∼ = 0 falls q 6= n − 1 Dies folgt aus Satz IV.9.5, denn S n−1 ≃ Rn \ {P }. IV.9.7. Beispiel. Für n ∈ N0 , P ∈ B n und Q ∈ Rn gilt: ( Z falls q = n Hq (D n , S n−1 ) ∼ = Hq D n , D n \ {P } ∼ = Hq Rn , Rn \ {Q} ∼ = 0 falls q 6= n In Beispiel IV.7.10 haben wir Hq (D n , S n−1 ) ∼ = H̃q−1 (S n−1 ) gezeigt, zusammen mit Satz IV.9.5 erhalten wir die Homologiegruppen von (D n, S n−1 ). Die verbleibenden Behauptungen folgen aus (D n , S n−1 ) ≃ D n , D n \ {P } ≃ Rn , Rn \ {Q} . ˙ n := {(t0 , . . . , tn ) ∈ ∆n | ∃j : tj = 0}. Dann IV.9.8. Beispiel. Es bezeichne ∆ ˙ n) ∼ gilt (∆n , ∆ = (D n , S n−1 ) und wir erhalten ( ( Z falls q = n Z falls q = n − 1 ˙ n) ∼ ˙ n) ∼ Hq (∆n , ∆ sowie H̃q (∆ = = 0 falls q 6= n 0 falls q 6= n − 1 aus Beispiel IV.9.7 bzw. Satz IV.9.5. In Proposition IV.9.9 unten werden wir explizite Erzeuger dieser Homologiegruppen angeben. Mit Hilfe eines Homöomor˙ n) ∼ phismus (∆n , ∆ = (D n , S n−1) liefert dies dann auch explizite Erzeuger von H∗ (D n , S n−1 ) und H̃∗ (S n−1 ). IV.9.9. Proposition. Für die singuäre Kette cn := id∆n ∈ Cn (∆n ) gilt: ˙ n ) und [cn ] ist ein Erzeuger von Hn (∆n , ∆ ˙ n ), n ≥ 0. (i) cn ∈ Zn (∆n , ∆ ˙ n ) und [∂cn ] ist ein Erzeuger von H̃n−1 (∆ ˙ n ), n > 0. (ii) ∂cn ∈ Zn−1 (∆ ˙ n ), denn ∂cn ∈ Cn−1 (∆ ˙ n ), siehe (IV.16), Beweis. Zunächst ist cn ∈ Zn (∆n , ∆ ˙ n ). Also repräsentiert cn eine Homologieklasse [cn ] ∈ also ∂cn = 0 ∈ Cn−1 (∆n , ∆ ˙ n ). Da ∆n azyklisch ist, liefert der Einhängungshomomorphismus der Hn (∆n , ∆ ˙ n ), siehe Proposition IV.6.10, einen langen exakten Sequenz des Paares (∆n , ∆ ∼ = ˙ n ), n > 0. Dieser Isomorphismus bildet ˙ n) − → H̃n−1 (∆ Isomorphismus δ : Hn (∆n , ∆ ˙ n ) auf [∂cn ] ∈ H̃n−1 (∆ ˙ n ) ab, vgl. Bemerkung IV.3.2. Es genügt [cn ] ∈ Hn (∆n , ∆ daher (i) zu zeigen. Wir führen den Beweis von (i) durch Induktion nach n. Der Induktionsbeginn n = 0 ist trivial. Für den Induktionsschritt sei nun n ≥ 1. Betrachte ˙ n. Λn := {(t0 , . . . , tn ) ∈ ∆n ∃j > 0 : tj = 0 ⊆ ∆ ≃ Die Inklusion ({e0 }, {e0 }) − → (∆n , Λn ) ist eine Homotopieäquivalenz von Paaren, denn F : (∆n × I, Λn × I) → (∆n , Λn ), F (t, s) := (1 − s)t + se0 , ist eine Homotopie von Paaren von F0 = id(∆n ,Λn ) zur konstanten Abbildung F1 (t) = e0 . Wir erhalten daher H∗ (∆n , Λn ) = H∗ ({e0 }, {e0 }) = 0, siehe Korollar IV.7.7. Somit 158 IV. HOMOLOGIE liefert der Einhängungshomomorphismus der langen exakten Sequenz des Tripels ˙ n , Λn ) einen Isomorphismus, siehe Proposition IV.6.13, (∆n , ∆ ∼ = ˙ n , Λn ). ˙ n) − → H∗−1 (∆ δ : H∗ (∆n , ∆ (IV.32) j j ˙ n ) auf [∂cn ] = Beachte, dass (IV.32) die Klasse [cn ] ∈ Hn (∆n , ∆ j=0 (−1) δn = ˙ n , Λn ) abbildet, siehe (IV.16) sowie Bemerkung IV.3.2. Dabei ist [δn0 ] ∈ Hn−1 (∆ δn0 : ∆n−1 → ∆n , δn0 (t0 , . . . , tn−1 ) := (0, t0 , . . . , tn−1 ), die Abbildung aus (IV.15), und wir haben verwendet, dass δnj Werte in Λn hat, falls j > 0. Die Abbildung δn0 : ∆n−1 → ∆n defniert eine Homotopieäquivalenz von Paaren ≃ ˙ n−1 − ˙ n \ {e0 }, Λn \ {e0 } . Um dies einzusehen betrachte die δn0 : ∆n−1 , ∆ → ∆ ˙ n \ {e0 }, Λn \ {e0 } → (∆n−1 , ∆ ˙ n−1 ), g(t0 , . . . , tn ) := Abbildung von Paaren g : ∆ 1 (t , . . . , tn ). Offensichtlich ist g ◦ δn0 = id(∆n−1 ,∆˙ n−1 ) , es gilt aber auch δn0 ◦ g ≃ 1−t0 1 id(∆˙ n \{e0 },Λn \{e0 }) , denn ˙ n \ {e0 }) × I, (Λn \ {e0 }) × I → ∆ ˙ n \ {e0 }, Λn \ {e0 } G : (∆ 0 (t , . . . , t ) G(t0 , . . . , tn ; s) := (1 − s)t0 , 1−(1−s)t 1 n 1−t0 Pn ist eine Homotopie von Paaren mit G0 = id(∆˙ n \{e0 },Λn \{e0 }) nach G1 = δn0 ◦ g. Aus Korollar IV.7.7 schließen wir, dass δn0 einen Isomorphismus ∼ = ˙ n−1 − ˙ n \ {e0 }, Λn \ {e0 } . (δn0 )∗ : H∗ ∆n−1 , ∆ → H∗ ∆ (IV.33) ˙ n−1 ) offensichtinduziert. Beachte, dass (IV.33) die Klasse [cn−1 ] ∈ Hn−1 (∆n−1 , ∆ ˙ n \ {e0 }, Λn \ {e0 } abbildet. lich auf [δn0 ] ∈ Hn−1 ∆ ˙ n \ {e0 }, Λn \ {e0 } → (∆ ˙ n , Λn ) eine Schließlich induziert die Inklusion ∆ Isomorphismus, siehe Satz IV.9.1, ∼ = ˙ n , Λn ). ˙ n \ {e0 }, Λn \ {e0 } − H∗ ∆ → H ∗ (∆ (IV.34) Kombination von (IV.32), (IV.33) und (IV.34) liefert einen Isomorphimus ˙ n−1 ), ˙ n) ∼ H∗ (∆n , ∆ = H∗−1 (∆n−1 , ∆ ˙ n ) auf [cn−1 ] ∈ Hn−1 (∆n−1 ∆ ˙ n−1 ) und dieser bildet die Klasse [cn ] ∈ Hn (∆n , ∆ ˙ n−1 ), ab. Nach Induktionsvoraussetzung ist [cn−1 ] ein Erzeuger von Hn−1 (∆n−1 , ∆ ˙ n ). also ist [cn ] ein Erzeuger von Hn (∆n , ∆ IV.9.10. Beispiel. Es sei X ⊆ Rn eine diskrete Teilmenge. Wir wollen die Homologiegruppen H̃∗ (Rn \X) berechnen. Da Rn azyklisch ist folgt aus der langen exakten Sequenz des Paares (Rn , Rn \ X), siehe Proposition IV.6.10, H̃q (Rn \ X) ∼ = Hq+1 (Rn , Rn \ X). Wähle nun abgeschlossene euklidische Bälle Dxn ⊆ Rn mit Mittelpunkt x so, dass S n n n Dx ∩ Dy = ∅, für alle x, y ∈ X. Weiters betrachten wir Z := R \ x∈X Dxn . Nach IV.9. DER AUSSCHNEIDUNGSSATZ 159 Satz IV.9.1 induziert die Inklusion Rn \ Z, Rn \ (X ∪ Z) → (Rn , Rn \ X) einen Isomorphismus H∗ (Rn , Rn \ X) ∼ = H∗ Rn \ Z, Rn \ (X ∪ Z) F Offensichtlich gilt Rn \ Z, Rn \ (X ∪ Z) ∼ = x∈X Dxn , Dxn \ {x} , aus Bemerkung IV.6.17 erhalten wir daher einen Isomorphismus M H∗ Dxn , Dxn \ {x} H∗ Rn \ Z, Rn \ (X ∪ Z) ∼ = x∈X Zusammen mit der Berechnung in Beispiel IV.9.7 erhalten wir (L M x∈X Z falls q = n − 1 Hq+1 Dxn , Dxn \ {x} ∼ H̃q (Rn \ X) ∼ = = 0 falls q = 6 n−1 x∈X denn (Dxn , Dxn \ {x}) ∼ = (D n , D n \ {0}). IV.9.11. Beispiel. Es seien Xλ topologische Räume und xλ ∈ Xλ , λ ∈ Λ. Wir W F fassen deren Einpunktvereinigung λ∈Λ Xλ = λ∈ΛFXλ /A als topologischen Raum (ohne Basispunkt) auf, A := {xλ : λ ∈ Λ} ⊆ λ∈Λ Xλ . Die kanonischen W Inklusionen ιλ : Xλ → λ∈Λ Xλ induzieren Homomoprhismen (ιλ )∗ : H̃∗ (Xλ ) → W H̃∗ λ′ ∈Λ Xλ′ und diese bestimmen einen Homomorphismus L W (IV.35) λ∈Λ H̃∗ (Xλ ) → H̃∗ λ∈Λ Xλ . Wir setzten weiters voraus, dass {xλ } abgeschlossen in Xλ ist und, dass Umgebungen Uλ von xλ in Xλ existieren, sodass {xλ } Deformationsretrakt von Uλ ist, λ ∈ Λ. Unter diesen Voraussetzungen ist (IV.35) ein Isomorphismus. Nach Korollar IV.9.2 und Bemerkung IV.6.17 gilt nämlich L L W F H̃∗ λ∈Λ Xλ ∼ = H∗ λ∈Λ Xλ , A ∼ = λ∈Λ H∗ (Xλ , {xλ } ∼ = λ∈Λ H̃∗ (Xλ ), F F denn λ∈Λ Xλ , A = λ∈Λ (Xλ , {xλ }). IV.9.12. Beispiel (Orientierbare Flächen). Wir betrachten wieder die orientierbare geschlossene Fläche vom Geschlecht g. Es bezeichne dazu Dg die kompakte Teilmenge von R2 die entsteht, wenn wir aus der abgeschlossenen Einheitsscheibe D 2 g kleine offene Scheiben herausnehmen deren Abschlüsse paarweise disjunkt sind und zur Gänze im Inneren B 2 liegen. Der Rand Ḋg besteht dann aus g + 1 Kreisen, Ḋg ∼ = S 1 ⊔ · · · ⊔ S 1 . Verkleben wir nun zwei Kopien Dg± := Dg längs der identischen Abbildung ϕ := id : Ḋg− → Ḋg+ so erhalten wir eine geschlossen Fläche, Fg := Dg+ ∪ϕ Dg− . Wir fassen Dg+ und Dg− als Teilräume von Fg auf. Offensichtlich ist Dg+ Retrakt von Fg , aus Proposition IV.6.12 folgt daher H̃∗ (Fg ) ∼ = H̃∗ (Dg+ ) ⊕ H∗ (Fg , Dg+ ). (IV.36) Beachte, dass eine Umgebung U von Ḋg− in Dg− existiert, sodass Ḋg− Deformationsretrakt von U ist. Es ist dann auch V := Dg+ ∪ U eine Umgebung von Dg+ 160 IV. HOMOLOGIE in Fg , und Dg+ ist Deformationsretrakt von V . Wir erhalten daher, siehe Beispiel IV.6.16, H∗ (Fg , D + ) ∼ = H∗ (Fg , V ) ∼ = H∗ (D − , U) ∼ = H∗ (D − , Ḋ − ). g g g g Alle Isomorphismen sind von kanonischen Inklusionen induziert, für den mittleren haben wir Satz IV.9.1 mit Z = Fg \ Dg− verwendet. Zusammen mit (IV.36) folgt H̃∗ (Fg ) = H̃∗ (Dg ) ⊕ H∗ (Dg , Ḋg ). (IV.37) Da Dg ≃ R \ {P1 , . . . , Pg }, folgt aus Beispiel IV.9.10: ( Zg falls q = 1 H̃q (Dg ) ∼ = 0 falls q 6= 1 2 (IV.38) Weiters ist Ḋg ∼ = S 1 ⊔ · · · ⊔ S 1 und daher, siehe Satz IV.9.5: g falls q = 0 Z g+1 ∼ H̃q (Ḋg ) = Z falls q = 1 0 andernfalls Nach den Betrachtungen in Beispiel IV.9.10 wissen wir auch, dass der von der Inklusion induzierte Homomorphismus H̃1 (Ḋg ) → H̃1 (Dg ) surjektiv ist. Aus der langen exakten Sequenz des Paares (Dg , Ḋg ), siehe Proposition IV.6.10, erhalten wir sofort Hq (Dg , Ḋg ) = 0 für q 6= 1, 2. Um H1 (Dg , Ḋg ) und H2 (Dg , Ḋg ) zu bestimmen, betrachten wir folgendes Stück dieser langen exakten Sequenz: 0 ∼ = → H̃0 (Ḋg ) → 0 0 → H2 (Dg , Ḋg ) → H̃1 (Ḋg ) → H̃1 (Dg ) − → H1 (Dg , Ḋg ) − Wegen der Surjektivität von H̃1 (Ḋg ) → H̃1 (Dg ), verschwindet der nachfolgende Homomorphismus, und ganz rechts erhalten wir einen Isomorphismus. Daher gilt: g Z falls q = 1 (IV.39) Hq (Dg , Ḋg ) ∼ = Z falls q = 2 0 andernfalls Es folgt H1 (Dg , Ḋg ) ∼ = Zg sowie H2 (Dg , Ḋg ) ∼ = Z. Aus (IV.37), (IV.38) und (IV.39) erhalten wir für die Homologie der orientierbaren Fläche vom Geschlecht g daher: Z falls q = 2 falls q = 0, 2 Z 2g 2g ∼ ∼ H̃q (Fg ) = Z bzw. Hq (Fg ) = Z falls q = 1 falls q = 1 0 andernfalls 0 andernfalls Inbesondere ist b0 (Fg ) = b2 (Fg ) = 1, b1 (Fg ) = 2g und alle anderen Bettizahlen verschwinden. Für die Euler-Charakteristik erhalten wir χ(Fg ) = 2 − 2g. Wir sehen daher, dass Fg1 und Fg2 für g1 6= g2 nicht homotopieäquivalent und daher auch nicht homöomorph sein können. IV.9. DER AUSSCHNEIDUNGSSATZ 161 IV.9.13. Proposition (Homologie des Abbildungskegels). Es sei Y ein nichtleerer topologischer Raum, ϕ : Y → X eine stetige Abbildung und es bezeichne ι : X → Cϕ die kanonische Einbettung von X in den Abbildungskegel Cϕ , siehe Beispiel I.5.12. Dann existiert eine lange exakte Sequenz: ϕ∗ δ ι δ ∗ · · · → H̃q+1 (Cϕ ) − → H̃q (Y ) −→ H̃q (X) − → H̃q (Cϕ ) − → H̃q−1 (Y ) → · · · Beweis. Beachte Cϕ = Zϕ /Y , wobei wir Y als Teilraum des Abbildungszylinders Zϕ auffassen. Aus Korollar IV.9.2 erhalten wir einen Isomorphismus H̃∗ (Cϕ ) ∼ = H∗ (Zϕ , Y ). Aus der langen exakten Sequenz in Proposition IV.7.14 erhalten wir daher unmittelbar die gewünschte Sequenz. IV.9.14. Beispiel. Es sei ϕ : S n−1 → X eine stetige Abbildung, n ≥ 1. Kleben wir D n längs ϕ an X, so erhalten wir X ∪ϕ D n ∼ = Cϕ . Aus Proposition IV.9.13 und Satz IV.9.5 folgt daher, dass die kanonische Inklusion ι : X → X ∪ϕ D n ∼ = → H̃q (X ∪ϕ D n ) induziert, falls q 6= n − 1, n. Darüber Isomorphismen ι∗ : H̃q (X) − hinaus haben wir eine exakte Sequenz: ι δ ϕ∗ ι ∗ ∗ 0 → H̃n (X) − → H̃n (X ∪ϕ D n ) − → H̃n−1 (S n−1 ) −→ H̃n−1 (X) − → H̃n−1 (X ∪ϕ Dn ) → 0 Es gilt daher weiters sowie ϕ∗ H̃n−1 (X ∪ϕ D n ) ∼ = H̃n−1 (X) img H̃n−1 (S n−1 ) −→ H̃n−1 (X) ( ϕ∗ H̃n (X) falls H̃n−1 (S n−1 ) −→ H̃n−1 (X) injektiv ∼ H̃n (X ∪ϕ D ) = H̃n (X) ⊕ Z andernfalls n Dies ermöglicht oft die Berechnung aller Homologiegruppen von X ∪ϕ D n . IV.9.15. Beispiel (Homologie des CPn ). Für die Homologie des komplexen projektiven Raums gilt: ( Z falls q = 0, 2, 4, 6, . . . , 2n Hq (CPn ) ∼ (IV.40) = 0 andernfalls Wir erinnern uns, dass CPn aus CPn−1 durch Ankleben von D 2n längs der Hopfabbildung ϕ : S 2n−1 → CPn−1 entsteht, CPn ∼ = CPn−1 ∪ϕ D 2n , siehe (I.20). Wir können daher (IV.40) durch Induktion nach n beweisen. Der Induktionsanfang n = 0 ist trivial, CP0 ist ein einpunktiger Raum. Der Induktionsschritt folgt aus den Betrachtungen in Beispiel IV.9.14. Beachte, dass der von der Klebeabbildung induzierte Homomorphismus ϕ∗ : H2n−1 (S 2n−1 ) → H2n−1 (CPn−1 ) aus Dimensionsgründen trivial ist, denn nach Induktionsvoraussetzung ist H2n−1 (CPn−1 ) = 0. Insbesondere ist b0 (CPn ) = b2 (CPn ) = · · · = b2n (CPn ) = 1 und alle anderen Bettizahlen verschwinden. Für die Euler-Charakteristik folgt χ(CPn ) = n + 1. 162 IV. HOMOLOGIE IV.9.16. Beispiel (Homologie des HPn ). Für die Homologie des quaternionischen projektiven Raums gilt: ( Z falls q = 0, 4, 8, 12, . . . , 4n Hq (HPn ) ∼ (IV.41) = 0 andernfalls Wir können genau wie in Beispiel IV.9.15 vorgehen, denn HPn ∼ = HPn−1 ∪ϕ D 4n . n n n Insbesondere ist b0 (HP ) = b4 (HP ) = · · · = b4n (HP ) = 1 und alle anderen Bettizahlen verschwinden. Für die Euler-Charakteristik folgt χ(HPn ) = n + 1. IV.10. Die Mayer–Vietoris Sequenz. Es sei X ein topologischer Raum der Vereinigung zweier offener Teilmengen U und V ist. Analog zum Satz von Seifert–van Kampen lassen sich die Homologiegruppen eines Raums X im Wesentlichen berechnen, wenn X als Vereinigung zweier offener Teilmengen X = U ∪ V vorliegt, und die Homologiegruppen von U, V und U ∩ V , sowie die von den Inklusionen induzierten Homomorphismen, bekannt sind. Genauer existiert eine lange exakte Sequenz die diese Homologiegruppen in Beziehung bringt. IV.10.1. Satz (Mayer–Vietoris Sequenz). Es seien X ein topologischer Raum und U, V ⊆ X zwei Teilmengen, sodass X = Ů ∪ V̊ . Dann existiert eine lange exakte Seqeunz (j U ,−j V ) ιU +ιV δq ∗ ∗ ∗ · · · → Hq (U ∩ V ) −−∗−−−− → Hq (U ) ⊕ Hq (V ) −− −−→ Hq (X) −→ Hq−1 (U ∩ V ) → · · · Dabei bezeichnen ιU : U → X, ιV : V → X, j U : U ∩ V → U und j V : U ∩ V → V die kanonischen Inklusionen. Diese Sequenz ist natürlich in folgendem Sinn: ist f : X → X̃ eine stetige Abbildung, und sind Ũ , Ṽ ⊆ X̃ zwei Teilmengen, sodass ˚ ∪ Ṽ ˚ = X̃, f (U) ⊆ Ũ sowie f (V ) ⊆ Ṽ , dann kommutiert folgendes Diagramm: Ũ ··· / Hq (U ∩ V ) U V (j∗ ,−j∗ ) / Hq (U ) ⊕ Hq (V ) (f |U ∩V )∗ ··· / Hq (Ũ ∩ Ṽ ) V ιU ∗ +ι∗ / Hq (X) (f |U )∗ ⊕(f |V )∗ Ũ Ṽ (j∗ ,−j∗ ) / Hq (Ũ ) ⊕ Hq (Ṽ ) δq / Hq−1 (U ∩ V ) (f |U ∩V )∗ f∗ Ṽ ιŨ ∗ +ι∗ / / δq Hq (X̃) / Hq−1 (Ũ ∩ Ṽ ) / Beweis. Betrachte U = {U, V }. Dann ist V ιU ♯ +ι♯ (j♯U ,−j♯V ) 0 → C∗ (U ∩ V ) −−−−−→ C∗ (U) ⊕ C∗ (V ) −−−→ C∗U (X) → 0 (IV.42) eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen. Diese induziert eine lange exakte Sequenz von Homologiegruppen, siehe Satz IV.3.1: (j U ,−j V ) ιU +ιV δq ∗ ∗ ∗ · · · → Hq (U ∩ V ) −−∗−−−− → Hq (U ) ⊕ Hq (V ) −− −−→ HqU (X) −→ Hq−1 (U ∩ V ) → · · · Nach Satz IV.8.9 induziert die Inklusion C∗U (X) → C∗ (X) einen Isomorphismus H∗U (X) ∼ = H∗ (X). Wir können daher in obiger langen exakten Sequenz HqU (X) IV.10. DIE MAYER–VIETORIS SEQUENZ 163 durch Hq (X) ersetzen, und erhalten so die gewünschte Mayer–Vietoris Sequenz. Um die Natürlichkeit einzusehen, beobachten wir, dass / 0 C∗ (U ∩ V ) (j♯U ,−j♯V ) / C∗ (U) ⊕ C∗ (V ) (f |U ∩V )♯ 0 / C∗ (Ũ ∩ Ṽ ) V ιU ♯ +ι♯ C∗U (X) / / C∗ (Ũ ) ⊕ C∗ (Ṽ ) 0 f♯ (f |U )♯ ⊕(f |V )♯ (j♯Ũ ,−j♯Ṽ ) / Ṽ ιŨ ♯ +ι♯ / C∗Ũ (X̃) / 0 ein kommutatives Diagramm von Kettenkomplexen bildet. Aus der Natürlichkeitsaussage in Satz IV.3.1 folgt somit auch die Natürlichkeit der Mayer–Vietoris Sequenz. IV.10.2. Korollar. Es seien U, V ⊆ X zwei Teilmengen eines topologischen Raums X, sodass X = Ů ∪ V̊ . Weiters seien H∗ (U), H∗ (V ) und H∗ (U ∩ V ) endlich erzeugt. Dann ist auch H∗ (X) endlich erzeugt, und es gilt die Formel33 χ(X) = χ(U) + χ(V ) − χ(U ∩ V ). Beweis. Dies folgt aus Korollar IV.4.20 angewandt auf die kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen (IV.42), sowie H∗U (X) = H∗ (X). IV.10.3. Bemerkung. Der Einhängungshomomorphismus der in Satz IV.10.1 auftritt, δq : Hq (X) → Hq−1 (U ∩ V ), stimmt mit der Komposition ∼ = δ(U,U ∩V ) Hq (X) = Hq (X, ∅) → Hq (X, V ) ← − Hq (U, U ∩ V ) −−−−−→ Hq−1 (U ∩ V ) überein. Dabei ist der linke Homomorphismus von der Inklusion (X, ∅) → (X, V ) induziert. Der mittlere von der Inklusion (U, U ∩ V ) → (X, V ) induzierte Homomorphismus ist ein Isomorphismus nach Satz IV.9.1 mit Z := X \ U. Schließlich bezeichnet δ (U,U ∩V ) den Einhängungshomomorphismus der langen exakten Sequenz des Paares (U, U ∩ V ), siehe Proposition IV.6.5. Dies folgt leicht aus der Definition des Einhängungshomomorphismus wenn wir berücksichtigen, dass jede Homologieklasse in Hq (X) durch einen Zykel in CqU (X) repräsentiert wird, U := {U, V }. IV.10.4. Korollar. Es seien U, V ⊆ X zwei Teilmengen eines topologischen Raums X, sodass X = Ů ∪ V̊ und U ∩ V 6= ∅. Dann existiert eine natürliche34 lange exakte Seqeunz (j U ,−j V ) ιU +ιV δq ∗ ∗ ∗ · · · → H̃q (U ∩ V ) −−∗−−−− → H̃q (U ) ⊕ H̃q (V ) −− −−→ H̃q (X) −→ H̃q−1 (U ∩ V ) → · · · Dabei bezeichnen ιU : U → X, ιV : V → X, j U : U ∩ V → U und j V : U ∩ V → V die kanonischen Inklusionen. 33Beachte, 34Die dass dies analog zur Formel für das Volumen einer Vereinigung ist. Formulierung der Natürlichkeit ist analog zu der in Satz IV.10.1. 164 IV. HOMOLOGIE Beweis. Es bezeichne c : X → {∗} die konstante Abbildung. Aus der Natürlichkeit der Mayer–Vietoris Sequenz in Satz IV.10.1 erhalten wir ein kommutatives Diagramm: 0O / ··· 0O Hq ({∗}) O / Hq ({∗}) ⊕ Hq ({∗}) O c∗ ··· / Hq (U ∩ V ) ··· / H̃q (U ∩ V ) 0 / / / 0O / Hq ({∗}) O Hq−1 ({∗}) O c∗ c∗ ⊕c∗ O O 0O Hq (U ) ⊕ Hq (V ) O H̃q (U ) ⊕ H̃q (V ) O 0 / / Hq−1 (U ∩ V ) _ _δ _/ H̃q−1 (U ∩ V ) O H̃q (X) O ··· c∗ δ Hq (X) / / 0 / O O / ··· ··· 0 Nach Proposition IV.5.18 sind alle Spalten exakt. Daher induziert der Einhängungshomomorphismus der mittleren Zeile einen Einhängungshomomorphismus der unteren Sequenz (strichlierter Pfeil). Wir können obiges Diagramm als kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen auffassen. Nach Satz IV.10.1 sind die erste und zweite Zeile azyklisch. Nach Korollar IV.3.3 muss daher auch die dritte Zeile azyklisch sein, dh. die Sequenz reduzierter Homologiegruppen ist exakt. IV.10.5. Bemerkung. Selbsverständlich gibt es auch eine Version der Mayer– Vietoris Sequenz für relative Homologiegruppen. Diese ist auch nicht schwieriger zu beweisen als die absolute Mayer–Vietoris Sequenz in Satz IV.10.1. Wir werden diese jedoch nicht benötigen und verzichten auf eine Formulierung, siehe etwa [2, Chapter 3 §8]. IV.10.6. Beispiel. Wir wollen nochmals die Homologiegruppen der Sphären berechnen, diesmal mit Hilfe der Mayer–Vietoris Sequenz. Es sei dazu N := (0, . . . , 0, 1) ∈ S n . Betrachte die offenen Teilmengen U := S n \ {−N} und V := S n \ {N} von S n = U ∪ V . Da U und V kontrahierbar sind, gilt H̃∗ (U) = 0 = H̃∗ (V ). Also induziert der Einhängungshomomorphismus der Mayer–Vietoris Sequenz aus Korollar IV.10.4 Isomorphismen ∼ = → H̃q−1 (U ∩ V ). δq : H̃q (S n ) − Beachte weiters, dass die Inklusion des Äquators S n−1 → U ∩ V eine Homotopieäquivalenz ist, und daher Isomorphismen H̃∗ (S n−1 ) ∼ = H̃∗ (U ∩ V ) induziert. Zusammenfassend erhalten wir H̃q (S n ) ∼ = H̃q−1 (S n−1 ), n ≥ 1. Es folgt H̃q (S n ) ∼ = H̃q−n (S 0 ). Kombinieren wir dies mit Bei= ··· ∼ = H̃q−1 (S n−1 ) ∼ spiel IV.5.21 erhalten wir die Homologiegruppen der Sphären, vgl. Satz IV.9.5. IV.11. DER HUREWICZ HOMOMORPHISMUS 165 IV.11. Der Hurewicz Homomorphismus. Wir identifizieren ∆1 ∼ = I, wo1 bei (t0 , t1 ) ∈ ∆ dem Element t1 ∈ I zugeordnet wird, dh. die Ecken e0 , e1 ∈ ∆1 entsprechen e0 ↔ 0 und e1 ↔ 1. Mit Hilfe dieser Identifizierung können wir Wege σ : I → X mit 1-Simplizes σ̃ : ∆1 → X identifizieren, σ̃(t0 , t1 ) = σ(t1 ). IV.11.1. Lemma. Es gilt: (i) Ist x ∈ X, dann existiert τ ∈ C2 (X) mit c̃x = ∂τ .35 (ii) Ist σ : I → X eine Schleife, dann gilt ∂ σ̃ = 0. (iii) Sind σ0 ≃ σ1 : I → X homotop relativ Endpunkten, dann existiert τ ∈ C2 (X) mit σ̃1 = σ̃0 + ∂τ . (iv) Sind σ0 , σ1 : I → X mit σ0 (1) = σ1 (0), dann existiert τ ∈ C2 (X) mit (σ0 σ1 )∼ = σ̃0 + σ̃1 + ∂τ . (v) Ist σ : I → X, dann existiert τ ∈ C2 (X) mit σ̄ ∼ = −σ̃ + ∂τ .36 (vi) Ist f : X → Y stetig und σ : I → X, dann gilt f ◦ σ̃ = (f ◦ σ)∼ . Beweis. Ad (i): Für den konstanten 2-Simplex τ : ∆2 → X, τ (t0 , t1 , t2 ) := x, erhalten wir ∂τ = c̃x − c̃x + c̃x = c̃x . Ad (ii): Für eine Schleife σ : I → X gilt ∂ σ̃ = σ(1) − σ(0) = 0 ∈ C0 (X). Ad (iii): Sei also H : I × I → X eine Homotopie relativ Endpunkten von σ0 nach σ1 . Definiere x0 := σ0 (0) = σ1 (0), x1 := σ0 (1) = σ1 (1), ρ : I → X, ρ(t) := Ht (t), sowie τ0 , τ1 : ∆2 → X, τ0 (t0 , t1 , t2 ) := Ht2 (t1 + t2 ), τ1 (t0 , t1 , t2 ) := Ht1 +t2 (t2 ). Dann gilt ∂τ0 = c̃x1 − ρ̃ + σ̃0 und ∂τ1 = σ̃1 − ρ̃ + c̃x0 . Nach (i) existieren τ2 , τ3 ∈ C2 (X) mit ∂τ2 = c̃x0 und ∂τ3 = c̃x1 . Wir erhalten daher σ̃1 − σ̃0 = ∂(τ1 − τ0 − τ2 + τ3 ), die Behauptung folgt daher mit τ := τ1 − τ0 − τ2 + τ3 . Ad (iv): Definieren wir τ : ∆2 → X, τ (t0 , t1 , t2 ) := (σ0 σ1 )(t1 /2 + t2 ), dann folgt ∂τ = σ̃1 − (σ0 σ1 )∼ + σ̃0 . Ad (v): Setze x0 := σ(0). Nach (iv) existiert τ1 ∈ C2 (X) mit (σσ̄)∼ = σ̃ + σ̄ ∼ −∂τ . Da σσ̄ ≃ cx0 erhalten wir aus (iii) ein τ2 ∈ C2 (X) mit (σσ̄)∼ = c̃x0 + ∂τ2 . Nach (i) existiert τ3 ∈ C2 (X) mit ∂τ3 = c̃x0 . Zusammen erhalten wir σ̃ + σ̄ ∼ = ∂(τ1 + τ2 + τ3 ). Behauptung (vi) ist trivial, (f ◦ σ̃)(t0 , t1 ) = f (σ̃(t0 , t1 )) = f (σ(t1 )) = (f ◦ σ)(t1 ) = (f ◦ σ)∼ (t0 , t1 ), für (t0 , t1 ) ∈ ∆1 . Nach Lemma IV.11.1(ii) und (iii) ist (X,x0 ) h1 = h1 : π1 (X, x0 ) → H1 (X), h1 ([σ]) := [σ̃]. (IV.43) eine wohldefinierte Abbildung, sie wird der (erste) Hurewicz-Homomorphismus genannt. Dabei bezeichnet [σ] ∈ π1 (X, x0 ) die Homotopieklasse der Schleife σ : I → X bei x0 , und [σ̃] ∈ H1 (X) die von dem ensprechenden 1-Simplex σ̃ : ∆1 → X repräsenterte Homologieklasse. In Proposition IV.11.2 unten werden wir zeigen, dass dies tatsächlich ein Gruppenhomomorphismus ist. 35Dabei 36Dabei bezeichnet cx : I → X den konstanten Weg, cx (t) := x. bezeichnet σ̄ : I → X den inversen Weg, σ̄(t) := σ(1 − t). 166 IV. HOMOLOGIE IV.11.2. Proposition (Hurewicz-Homomorphismus). Ist (X, x0 ) ein punktierter Raum, dann definiert (IV.43) einen Gruppenhomomorphismus. Dieser Homomorphismus ist natürlich, dh. das linke Diagramm (X,x0 ) π1 (X, x0 ) h1 H1 (X) / f∗ π1 (Y, y0 ) (X,x0 ) h1 5 H1 (X) i (X,x1 ) h1 f∗ (Y,y ) h1 0 / H1 (Y ) π1 (X, x0 ) o βh ∼ = π1 (X, x1 ) kommutiert für jede Abbildung punktierter Räume f : (X, x0 ) → (Y, y0). Für jeden Weg h : I → X von h(0) = x0 nach h(1) = x1 ist darüber hinaus das rechte Diagramm oben kommutative, siehe Proposition I.1.18. Beweis. Sind σ1 , σ2 : I → X zwei Schleifen bei x0 , dann folgt aus Lemma IV.11.1(iv) h1 ([σ1 ][σ2 ]) = h1 ([σ1 σ2 ] = [(σ1 σ2 )∼ ] = [σ̃1 ] + [σ̃2 ] = h1 ([σ1 ]) + h1 ([σ2 ]), also ist (IV.43) ein Gruppenhomomorphismus. Ist f : (X, x0 ) → (Y, y0 ) eine Abbildung punktierter Räume und σ : I → X eine Schleife bei x0 , dann folgt aus Lemma IV.11.1(vi) (Y,y0 ) h1 (Y,y0 ) (f∗ ([σ])) = h1 ([f ◦ σ]) = [(f ◦ σ)∼ ] (X,x0 ) = [f ◦ σ̃] = f∗ ([σ̃]) = f∗ (h1 ([σ])). Dies zeigt die Natürlichkeit von h1 . Ist nun σ : I → X eine Schleife bei x1 , dann folgt (X,x0 ) h1 (X,x0 ) (βh ([σ])) = h1 ([hσ h̄]) = [(hσ h̄)∼ ] (X,x0 ) = [h̃ + σ̃ + h̄∼ ] = [h̃ + σ̃ − h̃] = [σ̃] = h1 ([σ]). wobei wir Lemma IV.11.1(iv) und (v) verwendet haben. IV.11.3. Satz (Hurewicz-Isomorphismus). Es sei (X, x0 ) ein wegzusammenhängender punktierter Raum. Dann ist der Hurewicz-Homomorphismus (IV.43) surjektiv und sein Kern stimmt mit der Kommutatoruntergruppe von π1 (X, x0 ) überein. Er induziert daher einen Isomorphismus π1 (X, x0 )ab ∼ = H1 (X). Beweis. Da H1 (X) abelsch ist, induziert (IV.43) einen Homomorphismus h1 : π1 (X, x0 )ab → H1 (X). (IV.44) es genügt zu zeigen, dass (IV.44) ein Isomorphismus ist. Da X wegzusammenhängend ist, können wir zu jedem Punkt x ∈ X einen Weg ρx : I → X von ρx (0) = x0 nach ρx (1) = x wählen. Ist nun σ̃ : ∆1 → X ein 1-Simplex und σ : I → X der entsprechende Weg, dann ist (ρσ(0) σ)ρ̄σ(1) eine Schleife bei x0 und definiert daher IV.11. DER HUREWICZ HOMOMORPHISMUS 167 ein Element in [ρσ(0) σ ρ̄σ(1) ] ∈ π1 (X, x0 ). Da π1 (X, x0 )ab abelsch ist können wir einen Homomorphismus auf Erzeugern σ̃ : ∆1 → X wie folgt definieren: φ : C1 (X) → π1 (X, x0 )ab , φ(σ̃) := [ρσ(0) σ ρ̄σ(1) ]. Wir zeigen zunächst φ ◦ ∂ = 1 : C2 (X) → π1 (X, x0 )ab , (IV.45) dh. φ definiert einen Homomorphismus φ : H1 (X) → π1 (X, x0 )ab , φ([c]) := φ(c). (IV.46) Für τ : ∆2 → X ist also φ(∂τ ) = 1 zu zeigen.37 Setzen wir σ̃i := τ ◦ δ2i : ∆1 → X, i = 0, 1, 2, dann gilt offensichtlich ∂τ = σ̃0 − σ̃1 + σ̃2 . Da φ ein Homomorphismus ist, erhalten wir: φ(∂τ ) = φ(σ̃0 )φ(σ̃1 )−1 φ(σ̃2 ) = [ρσ0 (0) σ0 ρ̄σ0 (1) ][ρσ1 (0) σ1 ρ̄σ1 (1) ]−1 [ρσ2 (0) σ2 ρ̄σ2 (1) ] = [ρσ0 (0) σ0 ρ̄σ0 (1) ρσ1 (1) σ̄1 ρ̄σ1 (0) ρσ2 (0) σ2 ρ̄σ2 (1) ] = [ρσ0 (0) σ0 σ̄1 σ2 ρ̄σ2 (1) ] = [ρσ0 (0) ρ̄σ2 (1) ] = [cx0 ] = 1 Dabei haben wir verwendet, dass σ0 σ̄1 σ2 , ρ̄σ0 (1) ρσ1 (1) , ρ̄σ1 (0) ρσ2 (0) und ρσ0 (0) ρ̄σ2 (1) nullhomotope Schleifen sind. Damit ist (IV.45) gezeigt. Es genügt nun zu zeigen, dass (IV.46) invers zu (IV.44) ist. Zunächst gilt φ ◦ h1 = idπ1 (X,x0 )ab , denn für jede Schleife σ : I → X bei x0 gilt φ(h1 ([σ])) = φ([σ̃]) = φ(σ̃) = [ρx0 σ ρ̄x0 ] = [ρx0 ][σ̃][ρx0 ]−1 = [σ]. Es bleibt daher nur noch h1 ◦ φ = idH1 (X) (IV.47) zu zeigen. Um dies einzusehen definieren wir einen Homomorphismus auf Erzeugern x ∈ X durch g : C0 (X) → C1 (X), g(x) := ρ̃x . Für jeden 1-Simplex σ̃ : ∆1 → X gilt dann h1 (φ(σ̃)) = h1 ([ρσ(0) σ ρ̄σ(1) ]) = [(ρσ(0) σ ρ̄σ(1) )∼ ] = [ρ̃σ(0) + σ̃ − ρ̃σ(1) ] = [σ̃ − g(∂ σ̃)]. Dabei haben wir Lemma IV.11.1(iv) und (v) verwendet. Es folgt sofort h1 (φ(c)) = [c−g(∂c)] für alle c ∈ C1 (X), also h1 (φ(c)) = [c], für alle Zyklen c ∈ Z1 (X). Damit ist (IV.47) gezeigt und der Beweis vollständig. 37Wir schreiben die abelsche Gruppe π1 (X, x0 )ab multiplikativ. 168 IV. HOMOLOGIE IV.11.4. Beispiel. Aus Satz IV.11.3 erhalten wir, unabhängig von den Berechnungen in Kapitel IV: H1 (S 1 ) ∼ =Z H1 (RPn ) ∼ = Z2 , n ≥ 2 n (I.2.1) (I.5.18) H1 (CP ) = 0 (I.5.16) H1 (HPn ) = 0 H1 (K) ∼ = Z ⊕ Z2 (I.5.17) H1 (Fg ) ∼ = Z2g H1 (Ng ) ∼ = Zg−1 ⊕ Z2 H1 (SUn ) = H1 (SLn (C)) = 0 H1 (Un ) = H1 (GLn (C)) ∼ =Z ∼ H1 (SOn ) = H1 (SLn (R)) = H1 (GL+ n (R)) = Z2 , n ≥ 3 H1 (On ) = H1 (GLn (R)) ∼ = Z2 ⊕ Z2 , n ≥ 3 H1 (L(p; q1 , . . . , qn )) ∼ = Zp , n ≥ 2 (I.7.3) (I.7.4) (I.7.4) (I.6.4) (I.6.6) (I.6.10) (I.6.12) (II.5.7) IV.11.5. Beispiel. Wir erinnern uns an Poincarés Homologie Sphäre M = S 3 /G̃ aus Beispiel II.5.11. Dies ist eine geschlossene 3-Mannigfaltigkeit mit nichttrivialer Fundamentalgruppe, deren Abelisierung verschwindet. Aus Satz IV.11.3 folgt daher H1 (M) = 0 = H1 (S 3 ). Jedoch ist M nicht homotopieäquivalent zu S 3 , denn π1 (M) 6= 0 = π1 (S 3 ). Die Mannigfaltigkeit M wird als Homologiesphäre bezeichnet, denn es gilt sogar H∗ (M) = H∗ (S 3 ), wir werden dies später mit Hilfe der Poincaré Dualität beweisen. Henri Poincaré hatte 1900 behauptet, dass jede geschlossene 3-Mannigfaltigkeit deren Homologiegruppen mit denen der Sphäre S 3 übereinstimmen, schon zu S 3 homöomorph sein muss. Die Mannigfaltigkeit M von oben zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Dieses Beispiel wurde von Poincaré 1904 publiziert. In der gleichen Arbeit stellte er die Frage ob jede einfach zusammenhängende geschlossene 3-Mannigfaltigkeit homöomorph zu S 3 ist. Diese sogenannte Poincaré Vermutung galt lange Zeit als zentrale Frage der Topologie, und konnte erst Anfang dieses Jahrhunderts von Grigori Perelman positiv beantwortet werden. IV.11.6. Bemerkung. Es sei X = U ∪V wobei U und V zwei offene Teilmengen bezeichnen, sodass U, V und U ∩V alle nicht-leer und wegzusammenhängend sind. Wir fixieren einen Basispunkt in U ∩ V werden den in der Notation unten IV.11. DER HUREWICZ HOMOMORPHISMUS 169 aber unterdrücken. Aus der Natürlichkeit des Hurewicz-Homomorphismus erhalten wir ein kommutatives Diagramm: π1 (U ∩ V )ab (j∗U ,−j∗V ) / π1 (U)ab ⊕ π1 (V )ab H1 (U ∩ V ) π1 (X)ab / V ∼ = hU 1 ⊕h1 ∼ = h1U ∩V V ιU ∗ +ι∗ (j∗U ,−j∗V ) / H1 (U) ⊕ H1 (V ) 0 / ∼ = hX 1 V ιU ∗ +ι∗ / H1 (X) / 0 Aus dem Satz von Seifert–van Kampen, siehe Satz I.5.5, folgt, dass die erste Zeile exakt ist. Die untere Zeile ist ein Stück der Mayer–Vietors Sequenz, da H̃0 (U ∩ V ) = 0 ist sie auch bei H1 (X) exakt. Nach Satz IV.11.3 sind alle vertikalen Pfeile Isomorphismen. Wir können die Exaktheit dieses Stücks der Mayer– Vietoris Sequenz daher als Abelisierte Version des van Kampen Satzes verstehen. 170 IV. HOMOLOGIE IV.12. Anwendungen. Die Berechnung der Homologiegruppen der Sphären ermöglicht die Klärung einiger fundamentaler jedoch subtiler Fragen zu Teilmengen des Rn , siehe etwa den Jordanschen Kurvensatz IV.12.25 unten. Auch können wir nun stetigen Abbildungen S n → S n einen Abbildungsgrad zuordnen, der den in Abschnitt I.4 verallgemeinert. Auch werden wir sehen, dass die Dimension topologischer Mannigfaltigkeiten, sowie der Rand topologischer Mannigfaltigkeiten mit Rand, sinnvolle Konzepte darstellen. Schließlich werden wir auch auf den Begriff der Orientierung topologischer Mannigfaltigkeiten zu sprechen kommen. Aus Satz IV.9.5 und Korollar IV.7.7 erhalten wir sofort IV.12.1. Satz. Die Sphären S n und S m sind nicht homotopieäquivalent und daher auch nicht homöomorph, n 6= m. Auch können wir nun folgende Verallgemeinerung von Satz I.2.19 zeigen. IV.12.2. Satz. Die Sphäre S n−1 ist nicht Retrakt von D n , dh. es gibt keine stetige Abbildung r : D n → S n−1 mit r(x) = x für alle x ∈ S n−1 . Beweis. Wir nehmen indirket an es ist r : D n → S n−1 eine stetige Abbildung mit r ◦ι = idS n−1 , wobei ι : S n−1 → D n die kanonische Inklusion bezeichnet. Nach Korollar IV.7.8 gilt H̃∗ (D n ) = 0. Wie erhalten daher idH̃∗ (S n−1 ) = (idS n−1 )∗ = (r ◦ ι)∗ = r∗ ◦ ι∗ = 0. Dies steht aber im Widerspruch zu H̃n−1 (S n−1 ) 6= 0, siehe Satz IV.9.5. Daher kann es keine solche Retraktion geben. Wir können nun auch Satz I.2.21 auf beliebige Dimensionen verallgemeinern. IV.12.3. Satz (Brouwerscher Fixpunktsatz). Jede stetige Abbildung f : D n → D besitzt mindestens einen Fixpunkt. n Beweis. Wäre f : D n → D n eine stetige Abbildung ohne Fixpunkt, dann könnten wir, genau wie im Beweis von Satz I.2.21, eine Retraktion r : D n → S n−1 konstruieren und würden einen Widerspruch zu Satz IV.12.2 erhalten. Ist X ein topologischer Raum und x ∈ X, dann wird H∗ (X, X \{x}) die lokale Homologie von X bei x genannt. Lemma IV.12.4 unten rechtfertigt den Namen lokale Homologie. IV.12.4. Lemma. Ist X ein T1 -Raum38 und U eine Umgebung von x dann induziert die Inklusion (U, U \ {x}) → (X, X \ {x}) einen Isomorphismus lokaler Homologiegruppen H∗ (U, U \ {x}) ∼ = H∗ (X, X \ {x}). Beweis. Dies folgt aus Satz IV.9.1 mit Z := X\U. Beachte, dass Z̄ ⊆ X\{x}, denn U ist eine Umgebung von x. Nach Voraussetzung ist {x} abgeschlossen in X, und daher X \ {x} eine offene Teilmenge von X. Also sind tatsächlich alle Voraussetzungen von Satz IV.9.1 erfüllt. 38Ein topologischer Raum X erfüllt das Trennungsaxiom T1 falls zu je zwei Punkten x 6= y ∈ X eine Umgebungen U von y mit x ∈ / U existiert. Dies bedeutet gerade, dass die einpunktigen Teilmengen {x} abgeschlossen in X sind. Jeder Hausdorffraum erfüllt das Trennungsaxiom T1 . IV.12. ANWENDUNGEN 171 IV.12.5. Proposition. Es bezeichne Rn+ := {(x1 , . . . , xn ) ∈ Rn : x1 ≥ 0} und Ṙn+ := {(x1 , . . . , xn ) ∈ Rn : x1 = 0}. Dann gilt: (i) Für x ∈ Rn bzw. y ∈ Rn+ \ Ṙn+ ist Hq (Rn , Rn \ {x}) ∼ = Hq (Rn+ , Rn+ \ {y}) ∼ = ( Z falls q = n 0 falls q 6= n (ii) Für x ∈ Ṙn+ ist H∗ (Rn+ , Rn+ \ {x}) = 0. Beweis. Die lokalen Homologiegruppen von Rn haben wir bereits in Beispiel IV.9.7 berechnet. Die zweite Behauptung in (i) folgt nun aus Lemma IV.12.4, denn Rn+ ist eine Umgebung von y in Rn . Um (ii) zu zeigen, wählen wir einen Punkt P ∈ Rn+ \ Ṙn+ . Da x ∈ Ṙn+ ist G : Rn+ × I, (Rn+ \ {x}) × I → (Rn+ , Rn+ \ {x}), G(z, t) := tP + (1 − t)z, eine wohldefinierte Homotopie von Paaren von G0 = id(Rn+ ,Rn+ \{x}) zur konstanten Abbildung G1 : (Rn+ , Rn+ \{x}) → ({P }, {P }). Also ist die Inklusion ({P }, {P }) → (Rn+ , Rn+ \ {x}) eine Homotopieäquivalenz von Paaren. Da H∗ ({P }, {P }) = 0 erhalten wir nun H∗ (Rn+ , Rn+ \ {x}) = 0, siehe Korollar IV.7.7. IV.12.6. Satz (Brouwer, Invarianz der Dimension). Es seien U ⊆ Rn und V ⊆ Rm zwei nicht-leere offenen Teilmengen. Gilt weiters U ∼ = V , dann auch n m n = m. Insbesondere sind R und R nicht homöomorph, n 6= m. ∼ = → V ein Homöomorphismus. Wähle x ∈ U. Dann Beweis. Sei also ϕ : U − ∼ = ist ϕ : (U, U \ {x}) − → (V, V \ {ϕ(x)}) ein Homöomorphismus von Paaren und induziert daher einen Isomorphismus zwischen den lokalen Homologiegruppen, H∗ (U, U \ {x}) ∼ = H∗ (V, V \ {ϕ(x)}). Zusammen mit Lemma IV.12.4 erhalten wir H∗ (Rn , Rn \ {x}) ∼ = H∗ (Rm , Rm \ {ϕ(x)}). Mittels Proposition IV.12.5(i) folgt nun m = n. IV.12.7. Bemerkung. Nach Satz IV.12.6 ist die Dimension einer topologischen Mannigfaltgkeit ein wohldefiniertes Konzept. Eine topologische Mannigfaltigkeit ist ein parakompakter Hausdorffraum M, sodass jeder Punkt x ∈ M eine offene Umgebung U besitzt, die zu einer offenen Teilmenge V eines Rn homöomorph ist. Jeder solche Homöomorphismus U ∼ = V wird eine Karte von M um x genannt. Unter der Dimension von M bei x verstehen wir die Zahl dimx (M) := n. Nach Satz IV.12.6 ist dies wohldefiniert, dh. jede andere Karte um x muss auch Werte in Rn haben. Die Dimension liefert eine lokal konstante (stetige) Abbildung dim : M → Z, für zusammenhängendes M muss diese also konstant sein. Unter einer n-dimensionalen topologischen Mannigfaltigkeit verstehen wir eine topologische Mannigfaltigkeit, sodass dimx (M) = n für alle x ∈ M. In diesem Fall sprechen wir auch von einer topologischen n-Mannigfaltigkeit und schreiben dim(M) = n. 172 IV. HOMOLOGIE IV.12.8. Bemerkung. Es sei M eine topologische n-Mannigfaltigkeit. Für jedes x ∈ M gilt H̃n (M, M \ {x}) ∼ = Z. Betrachte nun die Menge G p M̃Z := H̃n (M, M \ {x}) − →M x∈X und die kanonische Projektion p : M̃Z → M. Wir wollen nun M̃Z mit einer Topologie versehen, sodass p : M̃Z → M eine Überlagerungsabbildung wird. Unter einem eingebetteten Ball wollen wir jede Teilmenge D ⊆ M verstehen, für ∼ = → Ũ ⊆ Rn existiert, die eine offene Umgebung U von D und eine Karte ϕ : U − sodass ϕ(D) = D n . Die Einschränkung von ϕ liefert dann Homöomorphismen D̊ ∼ = (D n , S n−1 ). Ist D ein eingebetteter Ball und = S n−1 sowie (D, Ḋ) ∼ = B n , Ḋ ∼ x ∈ D, dann ist M \ Ḋ Deformationsretrakt von M \{x}, denn für jedes z ∈ B n ist Rn \ B n ist Deformationsretrakt von Rn \ {z}, und diese Deformationsretraktion x lässt mit Hilfe einer Karte auf M übertragen. Also induziert die Inklusion ψD : ∼ = x → (M, M \ Ḋ) → (M, M \ {x}) einen Isomorphismus (ψD )∗ : H̃n (M, M \ Ḋ) − x H̃n (M, M \ {x}). Die (ψD )∗ , für x ∈ Ḋ, definieren daher eine Bijektion ∼ = → p−1 (Ḋ) ⊆ M̃Z ΨD : Ḋ × H̃n (M, M \ Ḋ) − (IV.48) und es gilt p◦ΨD = pr1 , wobei pr1 : Ḋ×H̃n (M, M \Ḋ) → Ḋ die Projektion auf den ersten Faktor bezeichnet.Wir versehen nun M̃Z mit der feinsten Topologie, sodass für jeden eingebetten Ball D die Abbildung ΨD , siehe (IV.48), stetig ist. Dabei betrachten wir H̃n (M, M \ Ḋ) ∼ = Z als diskreten Raum. Eine Teilmenge U ⊆ M̃Z ist also genau dann offen, wenn (ΨD )−1 (U) offen in Ḋ×H̃n (M, M \Ḋ) ist, für jeden eingebetteten Ball D. Es folgt sofort, dass p : M̃Z → M stetig ist. Eine einfache ∼ = → Überlegung zeigt, dass für jeden eingebetteten Ball ΨD : Ḋ × H̃n (M, M \ Ḋ) − p−1 (Ḋ) ein Homöomorphismus ist. Daher ist p : M̃Z → M eine Überlagerung mit Fasern p−1 (x) = H̃n (M, M \ {x}) ∼ = Z. Wir bezeichnen mit M̃ die Teilmenge von M̃Z die nur aus Erzeugern von H̃n (M, M \ {x}) besteht. Die Einschränkung von p liefert dann offensichtlich eine zwei-blättrige Überlagerung p : M̃ → M, deren Faser über x ∈ M gerade aus den beiden Erzeugern von H̃n (M, M \ {x}) besteht. Diese Überlagerung p : M̃ → M wird die Orientierungsüberlagerung von M genannt. Unter einer Orientierung von M verstehen wir einen Schnitt dieser Überlagerung, dh. eine stetige Abbildung39 o : M → M̃ mit p ◦ o = idM . Besitzt M̃ soeinen Schnitt, dann nennen wir M orientierbar. Dies ist genau dann der Fall, wenn die Überlagerung p : M̃ → M trivial ist. Etwa ist jede einfach zusammenhängende Mannigfaltigkeit orientierbar, 39So ein Schnitt o ordnet daher jedem Punkt x ∈ M einen Erzeuger ox ∈ H̃n (M, M \ {x}) zu. Die Stetigkeit bedeutet gerade, dass diese sogenannten lokalen Orientierungen ox kohärent in folgendem Sinn sind. Ist D ein eingebetteter Ball und sind x, y ∈ Ḋ, dann werden ox und oy durch die Isomorphismen ψxD : H̃n (M, M \ Ḋ) ∼ = H̃n (M, M \ {x}) bzw. ψyD : H̃n (M, M \ Ḋ) ∼ = H̃n (M, M \ {y}) auf dasselbe Element in H̃n (M, M \ Ḋ) abgebildet. IV.12. ANWENDUNGEN 173 siehe Korollar II.4.10. Ist o eine Orientierung von M, dann ist auch −o eine Orientierung von M. Stimmen zwei Orientierungen einer zusammenhängenden Mannigfaltigkeit in einem Punkt überein, dann müssen sie schon gleich sein, siehe Proposition II.3.1. Eine zusammenhängende orientierbare Mannigfaltigkeit besitzt daher genau zwei Orientierungen, o und −o. IV.12.9. Satz (Brouwer, Invarianz des Randes). Es seinen U, V ⊆ Rn+ zwei ∼ = → V ein Homöomorphismus. Für x ∈ U gilt dann offene Teilmengen und ϕ : U − x ∈ Ṙn+ ⇔ ϕ(x) ∈ Ṙn+ . Beweis. Nach Lemma IV.12.4 gilt H∗ (U, U \ {x}) ∼ = H∗ (Rn+ , Rn+ \ {x}), für jedes x ∈ U. Aus Proposition IV.12.5 erhalten wir daher folgende Charakterisierung der Punkte in U ∩ Ṙn+ ∀x ∈ U : x ∈ Ṙn+ ⇔ H∗ (U, U \ {x}) = 0. Ebenso gilt ∀y ∈ V : y ∈ Ṙn+ ⇔ H∗ (V, V \ {y}) = 0. Der Homöomorphismus ϕ ∼ = → (V, V \ {ϕ(x)}), liefert einen Homöomorphismus von Paaren ϕ : (U, U \ {x}) − also H∗ (U, U \ {x}) ∼ = H∗ (V, V \ {ϕ(x)}). Für beliebiges x ∈ U folgt daher x ∈ Ṙn+ ⇔ H∗ (U, U \ {x}) = 0 ⇔ H∗ (V, V \ {ϕ(x)}) = 0 ⇔ ϕ(x) ∈ Ṙn+ . IV.12.10. Bemerkung. Nach Satz IV.12.9 ist der Rand einer topologischen Mannigfaltigkeit mit Rand ein wohldefiniertes Konzept. Unter einer topologischen Mannigfaltigkeit mit Rand verstehen wir einen parakompakten Hausdorffraum M, sodass jeder Punkt x ∈ M eine offene Umgebung U besitzt die zu einer offenen Teilmenge V von Rn+ homöomorph ist. Jeder solche Homöomorphismus U ∼ =V n wird eine Karte von M um x genannt. Wird x durch eine Karte nach Ṙ+ abgebildet, dann muss dies auch für jede andere Karte um x gelten, siehe Satz IV.12.9. Unter dem Rand von M verstehen wir die Teilmenge ∂M ⊆ M der Punkte die durch eine (und dann alle) Karten um x nach Ṙn+ abgebildet werden. Diese lassen sich auch wie folgt charakterisieren, ∂M = {x ∈ M : H∗ (M, M \ {x}) = 0}. Jeder Punkt des Randes x ∈ ∂M besitzt dann eine offene Umgebung U mit (U, U ∩ ∂M) ∼ = (Rn+ , Ṙn+ ). Der Rand ∂M ist daher eine topologische Mannigfaltigkeit ohne Rand. Unter dem Inneren von M verstehen wird die Teilmenge Int(M) := M \ ∂M, dies ist einen topologische Mannigfaltigkeit ohne Rand. Wir wollen nun einen Abbildungsgrad für stetige Abbildungen f : S n → S n definieren. Nach Satz IV.9.5 ist H̃n (S n ) ∼ = Z und f induziert einen Homomorphisn n mus f∗ : H̃n (S ) → H̃n (S ). Es gibt daher genau eine Zahl deg(f ) ∈ Z, sodass f∗ (α) = deg(f )α, für alle α ∈ H̃n (S n ). Diese Zahl deg(f ) wird der Abbildungsgrad von f genannt. In Bemerkung IV.12.14 unten werden wir sehen, dass dies im Fall n = 1 mit dem Abbildungsgrad aus Abschnitt I.4 übereinstimmt. Beachte, dass die obige Definition mittels Homologiegruppen wesentlich einfacher ist als die Definition über die Fundamentalgruppe, da wir nicht auf Basispunkte Rücksicht nehmen müssen. 174 IV. HOMOLOGIE IV.12.11. Satz. Für stetige Abbildungen f, g : S n → S n gilt: (i) f ≃ g ⇒ deg(f ) = deg(g). (ii) deg(g ◦ f ) = deg(g) deg(f ). (iii) deg(idS n ) = 1. (iv) deg(Sf ) = deg(f ).40 (v) deg(fU ) = det(U), wobei U ∈ On+1 und fU : S n → S n , fU (x) := Ux. (vi) deg(A) = (−1)n+1 , wobei A : S n → S n , Ax := −x. Beweis. Behauptung (i) folgt aus Korollar IV.7.5. Aus (g ◦ f )∗ = g∗ ◦ f∗ erhalten wir sofort (ii), und wegen (idS n )∗ = idH̃n (S n ) gilt auch (iii). ∼ = Nun zur Behauptung (iv): Es bezeichne ϕ : ΣS n − → S n+1 den oben erwähnten Homöomorphismus. Nach Definition von Sf gilt Sf ◦ ϕ = ϕ ◦ Σf und daher (Sf )∗ ◦ ϕ∗ = ϕ∗ ◦ (Σf )∗ . Zusammen mit Beispiel IV.9.4 erhalten wir daher ein kommutatives Diagramm: H̃n+1 (S n+1 ) o ϕ∗ ∼ = H̃n+1 (ΣS n ) (Sf )∗ H̃n+1 (S n+1 ) o δ ∼ = H̃n (S n ) / (Σf )∗ ϕ∗ ∼ = H̃n+1 (ΣS n ) f∗ δ ∼ = / H̃n (S n ) Da alle horizontalen Pfeile Isomorphismen sind, erhalten wir deg(Sf ) = deg(f ). Widmen wir uns nun Behauptung (v). Ist σ : I → On+1 ein Weg von σ(0) = U0 nach σ(1) = U1 dann definiert H : S n × I → S n , H(x, t) := fσ(t) (x) = σ(t)x, eine Homotopie von H0 = fU0 nach H1 = fU1 . Wegen (i) gilt daher deg(fU0 ) = deg(fU1 ). Da auch det(U0 ) = det(U1 ) genügt es die fragliche Formel für je eine Matrix in jeder der beiden Wegzusammenhangskomponenten von On+1 zu verifizieren, vgl. Proposition I.6.12. Für In+1 ∈ SOn+1 folgt dies aus (iii), denn 0 fIn+1 = idS n . Die Matrix Jn+1 := −1 0 In ∈ On+1 liegt in der anderen Wegzusammenhangskomponente, denn det(Jn+1 ) = −1. Beachte, fJn+1 = S(fJn ) für n ≥ 1, nach (iv) genügt es daher deg(fJ1 ) = −1 zu zeigen, dies ist aber trivial. Schließlich folgt (vi) sofort aus (v), denn A = f−In+1 und det(−In+1 ) = (−1)n+1 . IV.12.12. Bemerkung. Für stetige Abbildungen f, g : S n → S n gilt sogar f ≃ g ⇔ deg(f ) = deg(g), vgl. Satz IV.12.11(i), dh. der Abbildungsgrad liefert eine Bijektion [S n , S n ] ∼ = Z. Im Fall n = 1 haben wir dies bereits gesehen, siehe Satz I.4.1(i), in höheren Dimensionen können wir dies mit den bisherigen Methoden noch nicht zeigen. 40Wir erinnern uns an die Suspension von Räumen und Abbildungen aus Beispiel III.2.7. Die stetige Abbildung S n × [−1, 1] → S n+1 , (x, t) 7→ (1 − t2 )1/2 x, t , faktorisiert zu einem ∼ = Homöomorphismus ϕ : ΣS n − → S n+1 . Dieser Homöomorphismus erlaubt es die Suspension n n Σf : ΣS → ΣS einer stetigen Abbildung f : S n → S n als eine stetige Abbildung Sf := ϕ ◦ Σf ◦ ϕ−1 : S n+1 → S n+1 aufzufassen. Es lässt sich leicht eine explizite Formel dafür angeben (Sf )(x, t) = (1 − t2 )1/2 f ((1 − t2 )−1/2 x), t . IV.12. ANWENDUNGEN 175 IV.12.13. Bemerkung. Für eine Homotopieäquivalenz f : S n → S n gilt deg(f ) = ±1. Ist nämlich g : S n → S n mit g ◦ f ≃ idS n , dann gilt nach Satz IV.12.11 1 = deg(idS n ) = deg(g ◦ f ) = deg(g) deg(f ), also deg(f ) = ±1. Umgekehrt lässt sich zeigen, dass jede stetige Abbildung f : S n → S n mit deg(f ) = ±1 eine Homotopieäquivalenz sein muss, vgl. Bemerkung IV.12.12. IV.12.14. Bemerkung. Der oben definierte Abbildungsgrad stimmt im Fall n = 1 mit dem Abbildungsgrad aus Abschnitt I.4 überein. Sei dazu f : S 1 → S 1 eine stetige Abbildung. Da jede solche Abbildung hoh1 / H (S 1 ) motop zu einer Basispunkt erhaltenden Abbildung π1 (S 1 , 1) ∼ 1 = ist, dürfen wir o.B.d.A. f (1) = 1 annehmen, siehe f∗ f∗ Satz IV.12.11(i) sowie Satz I.4.1(i). Aus Propositi h1 on IV.11.2 erhalten wir ein nebenstehendes kommu/ H (S 1 ) π1 (S 1 , 1) ∼ 1 = tatives Diagramm. Nach Satz IV.11.3 sind die beiden horizontalen Pfeile Isomorphismen. Daraus folgt sofort, dass der in Abschnitt I.4 definierte Abbildungsgrad mit dem Abbildungsgrad der Homologie übereinstimmt. Aus Satz I.4.1(iii) und Satz IV.12.11(iv) folgt nun, dass zu jedem k ∈ Z Abbildungen f : S n → S n mit deg(f ) = k existieren, n ≥ 1. Wir erhalten daher eine surjektive Abbildung deg : [S n , S n ] → Z, falls n ≥ 1. Im Fall n = 0 kann der Abbildungsgrad nur die Werte −1, 0, 1 annehmen. Analog zu Proposition I.4.2 gilt IV.12.15. Proposition. Eine stetige Abbildung f : S n → S n mit deg(f ) 6= 0 muss surjektiv sein. Beweis. Wir nehmen an f : S n → S n ist nicht surjektiv. Dann existiert ˜ P ∈ S n , sodass f eine stetige Abbildung f˜ : S n → S n \ {P } definiert, f(x) := n n f (x). Bezeichnet ι : S \ {P } → S die kanonische Inklusion, dann gilt also f = ι ◦ f˜. Da S n \ {P } kontrahierbar ist haben wir H̃∗ (S n \ {P }) = 0 und es folgt f∗ = (ι ◦ f˜)∗ = ι∗ ◦ f˜∗ = 0, also deg(f ) = 0. Analog zu Proposition I.4.4 und Proposition I.4.5 haben wir folgendes Resultat. IV.12.16. Proposition. Für stetiges f : S n → S n gilt: (i) Ist f Antipodalpunkt-frei, dh. f (x) 6= −x für alle x ∈ S n , dann ist f homotop zur identischen Abbildung idS n , es gilt daher deg(f ) = 1. (ii) Ist f Fixpunkt-frei, dh. f (x) 6= x für alle x ∈ S n , dann ist f homotop zur Antipodalabbildung, es gilt daher deg(f ) = (−1)n+1 . Beweis. Wir beginnen mit (IV.12.16): Sei also f : S n → S n eine stetige Abbildung, sodass f (x) 6= −x, für alle x ∈ S n . Dann ist H : S n × I → S n, H(x, t) := (1 − t)f (x) + tx |(1 − t)f (x) + tx| 176 IV. HOMOLOGIE eine wohldefinierte Homotopie von H0 = f nach H1 = idS n . Nach Satz IV.12.11 gilt daher deg(f ) = 1. Nun zur Behauptung (ii). Sei also f : S n → S n eine stetige Abbildung ohne Fixpunkt, und es bezeichne A : S n → S n , A(x) := x, die Antipodalabbildung, A2 = idS n . Dann ist die Abbildung A ◦ f : S n → S n Antipodalpunkt-frei, aus (i) folgt daher A ◦ f ≃ idS n . Durch Komposition mit A erhalten wir f ≃ A und daher deg(f ) = (−1)n+1 nach Satz IV.12.11. IV.12.17. Satz. Jede stetige Abbildung f : S 2n → S 2n besitzt einen Fixpunkt oder eine Antipodalpunkt, dh. es existiert x ∈ S 2n mit f (x) = x oder f (x) = −x. Beweis. Wäre f : S 2n → S 2n eine Fixpunkt- und Antipodalpunkt-freie stetige Abbildung, dann würden wir aus Proposition IV.12.16 den Widerspruch 1 = deg(f ) = (−1)2n+1 = −1 erhalten. Unter einem stetigen Vektorfeld auf S n verstehen wir eine stetige Abbildung f : S n → Rn+1 , sodass f (x) ⊥ x für alle x ∈ S n . IV.12.18. Satz (Satz vom Igel). Jedes stetige Vektorfeld auf S 2n besitzt mindestens eine Nullstelle. Beweis. Wir nehmen indirekt an f : S 2n → R2n+1 \ {0} ist eine stetige Abbildung mit f (x) ⊥ x für alle x ∈ S 2n . Betrachte nun die stetige Abbildung g : S 2n → S 2n , g(x) := |ff (x) . Da f (x) ⊥ x gilt g(x) 6= x und g(x) 6= −x für alle (x)| 2n x ∈ S . Dies widerspricht aber Satz IV.12.17. IV.12.19. Bemerkung. Auf den Sphären ungerader Dimension gibt es sehrwohl Vektorfelder ohne Nullstellen. Fassen wir S 2n−1 ⊆ Cn auf, dann ist etwa f : S 2n−1 → Cn = R2n , f (z) := iz, so ein Vektorfeld. Auf S 3 ⊆ H existieren sogar drei Vektorfelder f1 , f2 , f3 : S 3 → H = R4 , sodass {f1 (x), f2 (x), f3 (x)} bei jedem Punkt x ∈ S 3 linear unabhängig sind, etwa f1 (x) := ix, f2 (x) := jx, f3 (x) := kx. Auf S 7 gibt es sogar sieben punktweise linear unabhängige Vektorfelder. Definieren wir ρn := k ∈ N0 es existieren k punktweise l.u. Vektorfelder auf S n−1 dann gilt aus Dimensionsgründen 0 ≤ ρn ≤ n − 1, und Satz IV.12.18 besagt gerade ρ2n+1 = 0. Nach obigen Bemerkungen gilt auch ρ2n ≥ 1 sowie ρ4 = 3 und ρ8 = 7. Nach einem tiefen Resultat von Adams (1962) ist ρn = 2b + 8c − 1, wobei a, b, c die durch n eindeutig bestimmten Zahlen mit n = a2b+4c , a ungerade, b ∈ {0, 1, 2, 3} und c ∈ N0 bezeichnen. Für kleine n erhalten wir daher: n ρn 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 1 0 3 0 1 0 7 0 1 0 3 0 1 0 7 Insbesondere ist ρn = n − 1 nur für n = 2, 4, 8 möglich, dh. die einizigen Sphären die einen globalen Rahmen besizten sind S 1 , S 3 und S 7 . IV.12.20. Satz. Jede stetige Abbildung f : RP2n → RP2n besitzt mindestens einen Fixpunkt. IV.12. ANWENDUNGEN 177 Beweis. Wir betrachten die zweiblättrige Überlagerung p : S 2n → RP2n , siehe Beispiel II.1.12. Da S 2n einfach zusammenhängend ist, lässt sich f ◦ p : S 2n → RP2n zu einer stetigen Abbildung f˜ : S 2n → S 2n liften, p ◦ f˜ = f ◦ p, siehe Satz II.4.5. Nach Satz IV.12.17 existiert x̃ ∈ S 2n mit f˜(x̃) = x̃ oder f˜(x̃) = −x̃. In jedem Fall ist x := p(x̃) ∈ RP2n der gesuchte Fixpunkt von f , denn f (x) = f (p(x̃)) = p(f˜(x̃)) = p(±x̃) = x. IV.12.21. Satz. Ist G eine nicht-triviale Gruppe die frei auf S 2n wirkt, dann gilt G ∼ = Z2 . Beweis. Für g ∈ G bezeichne fg : S 2n → S 2n , fg (x) := g · x, und definiere d(g) ∈ Z durch d(g) := deg(fg ). Für g1 , g2 ∈ G gilt dann d(g1 g2 ) = deg(fg1 g2 ) = deg(fg1 ◦ fg2 ) = deg(fg1 ) deg(fg2 ) = d(g1 )d(g2 ), siehe Satz IV.12.11. Bezeichnet e ∈ G das neutrale Element, dann ist fe = idS 2n , also 1 = d(e) = d(gg −1) = d(g)d(g −1) und daher d(g) = ±1. Somit definiert d : G → {−1, 1}, d(g) := deg(fg ) (IV.49) einen Gruppenhomomorphismus. Für e 6= g ∈ G hat fg keinen Fixpunkt, denn die Wirkung von G auf S 2n ist frei, aus Proposition IV.12.16(i) folgt somit d(fg ) = (−1)2n+1 = −1. Daher ist der Kern von (IV.49) trivial, der Homomorphismus daher injektiv. Nach Voraussetzung ist G 6= {e}, also muss (IV.49) ein Isomorphismus sein. IV.12.22. Proposition. Ist X ⊆ S n und X ∼ = D k für ein k ≥ 0, dann gilt H̃∗ (S n \ X) = 0. Insbesondere ist S n \ X wegzusammenhängend. Beweis. Wir führen den Beweis mittels Induktion nach k. Für k = 0 ist die Aussage trivial, denn S n \ {P } ist kontrahierbar, siehe Beispiel I.1.25 und Korollar IV.7.8. Für den Induktionsschritt sei nun k ≥ 1. Beachte, dass D k ∼ = Ik, nach Voraussetzung existiert daher ein Homöomorphismus ϕ : I k → X. Sei nun [α] ∈ H̃q (S n \ X), wobei α ∈ Zq (S n \ X). Es ist [α] = 0 ∈ H̃q (S n \ X) zu zeigen. Wir werden zunächst folgende Behauptung beweisen: Jedes t ∈ I besitzt eine Umgebung U, sodass für den von der Inklusion ιU : S n \ X → S n \ ϕ(I k−1 × U) induzierten Homomorphismus (ιU )∗ : H̃q (S n \ X) → H̃q S n \ ϕ(I k−1 × U) gilt (ιU )∗ [α] = 0. Beachte, dass dies dann für jede kleinere Umgebung von t richtig bleibt. Nun zur Konstruktion dieser Umgebung U. Für t ∈ I bezeichne Xt := ϕ(I k−1 × {t}). Nach Induktionsvoraussetzung gilt H̃∗ (S n \ Xt ) = 0, (IV.50) denn Xt ∼ = D k−1 . Bezeichnet jt : S n \ X → S n \ Xt die kanonische Inklusion, dann gilt also (jt )∗ [α] = 0 ∈ H̃q (S n \ Xt ). Daher existiert β ∈ Cq+1 (S n \ Xt ) mit α = ∂q+1 β. Da Xt kompakt ist, existiert eine Umgebung U von t, sodass β ∈ Cq+1 (S n \ ϕ(I k−1 × U)). Es gilt daher (ιU )∗ [α] = 0, also ist U die gesuchte Umgebung. 178 IV. HOMOLOGIE Da I kompakt ist, existieren 0 = t0 < t1 < · · · < tN = 1, sodass für die von den Inklusionen ιi : S n \ X → S n \ Ai , wobei Ai := ϕ(I k−1 × [ti−1 , ti ]), induzierten Homomorphismen (ιi )∗ : H̃q (S n \ X) → H̃q (S n \ Ai ) gilt (ιi )∗ [α] = 0 ∈ H̃q (S n \ Ai ), i = 1, 2, . . . , N. (IV.51) Es genügt daher zu zeigen, dass der Homomorphismus ∼ = → H̃∗ (S n \ A1 ) ⊕ · · · ⊕ H̃∗ (S n \ AN ) H̃∗ (S n \ X) − σ 7→ (ι1 )∗ σ, . . . , (ιN )∗ σ (IV.52) ein Isomorphismus ist, denn zusammen mit (IV.51) folgt dann [α] = 0. Um dies einzusehen werden wir zeigen, dass für jedes 1 ≤ l ≤ N die Inklusionen S n \ (A1 ∪ · · · ∪ Al ) → S n \ Ai , 1 ≤ i ≤ l, einen Isomorphismus ∼ = H̃∗ S n \ (A1 ∪ · · · ∪ Al ) − → H̃∗ (S n \ A1 ) ⊕ · · · ⊕ H̃∗ (S n \ Al ) (IV.53) induzieren. Für l = N erhalten wir dann (IV.52), denn S n \ (A1 ∪ · · · ∪ AN ) = S n \ X. Wir führen den Beweis von (IV.53) mittels Induktion nach l. Der Fall l = 1 ist trivial. Für den Induktionsschritt sei nun 2 ≤ l ≤ N. Betrachte nun die offenen Teilmengen V1 := S n \ (A1 ∪ · · · ∪ Al−1 ) und V2 := S n \ Al von S n \ Xtl−1 . Offensichtlich ist V1 ∪V2 = Xtl−1 also H̃∗ (V1 ∪V2 ) = 0, siehe (IV.50). Aus der mit V1 und V2 assozierten Mayer–Vietoris Sequenz, siehe Korollar IV.10.4, folgt daher, dass ∼ = die Inklusionen einen Isomorphismus H̃∗ (V1 ∩ V2 ) − → H̃∗ (V1 ) ⊕ H̃∗ (V2 ) induzieren. Zusammen mit V1 ∩ V2 = S n \ (A1 ∪ · · · ∪ Al ) und der Induktionsvoraussetzung H̃∗ (V1 ) = H̃∗ (S n \ (A1 ∪ · · · ∪ Al−1 )) ∼ = H̃∗ (S n \ A1 ) ⊕ · · · ⊕ H̃∗ (S n \ Al−1 ) erhalten wir nun (IV.53). Damit ist der Beweis von H̃∗ (S n \ X) = 0 abgeschlossen. Der Wegzusammenhang von S n \ X folgt nun aus Bemerkung IV.5.20. IV.12.23. Proposition. Ist X ⊆ S n und X ∼ = S k mit 0 ≤ k < n, dann gilt: ( Z falls q = n − k − 1 H̃q (S n \ X) ∼ = 0 falls q 6= n − k − 1 Beweis. Wir führen den Beweis durch Induktion nach k. Im Fall k = 0 besteht X aus zwei Punkten, also S n \ X ∼ = S n−1 × R ≃ S n−1 , siehe Beispiel I.1.25, daher H̃∗ (S n \ X) ∼ = H̃∗ (S n−1 ), und die Aussage der Proposition folgt aus Satz IV.9.5. Für den Induktionsschritt sei nun k ≥ 1 und ϕ : S k → X ein Homöomorphismus. Es bezeichnen D ± := {(x1 , . . . , xk+1 ) ∈ S k : ±xk ≥ 0} die beiden abgeschlossenen Hemissphären von S k , dh. D + ∪ D − = S k , D+ ∩ D− ∼ = S k−1 und D ± ∼ = D k . Setze U := S n \ ϕ(D + ), V := S n \ ϕ(D − ) und S := ϕ(D + ∩ D − ) ∼ = S k−1. Dann sind U und V offene Teilmengen von IV.12. ANWENDUNGEN 179 S n \ S und es gilt U ∪ V = S n \ S sowie U ∩ V = S n \ X. Nach Proposition IV.12.22 gilt H̃∗ (U) = H̃∗ (V ) = 0. Also liefert der Einhängungshomomorphismus der mit U und V assozierten Mayer–Vietoris Sequenz einen Isomorphismus H̃∗+1 (S n \ S) ∼ = H̃∗ (S n \ X), siehe Korollar IV.10.4. Zusammen mit der Induktionsvoraussetzung folgt ( Z falls q + 1 = n − (k − 1) − 1 H̃q (S n \ X) ∼ = H̃q+1 (S n \ S) ∼ = 0 falls q + 1 6= n − (k − 1) − 1 IV.12.24. Beispiel. Ist sei K ⊆ S 3 und K ∼ = S 1 dann gilt: ( Z falls q = 0 oder q = 1 Hq (S 3 \ K) ∼ = 0 andernfalls Dies folgt sofort aus Proposition IV.12.23, siehe auch Proposition IV.5.18. Die Homologiegruppen des Knotenkomplements helfen daher nicht Knoten voneinander zu unterscheiden. IV.12.25. Satz (Jordanscher Kurvensatz). Ist n ≥ 1, X ⊆ S n und X ∼ = S n−1 , dann hat S n \ X genau zwei Wegzusammenhangskomponenten und beide sind azyklisch. Bezeichnen U und V die beiden Wegzusammenhangskomponenten von S n \ X, dann gilt weiters U̇ = V̇ = X.41 Beweis. Aus Proposition IV.12.23 und Proposition IV.5.18 erhalten wir: ( Z ⊕ Z falls q = 0 Hq (S n \ X) ∼ = 0 falls q 6= 0 Daher hat S n \ X genau zwei Wegzusammenhangskomponenten, siehe Proposition IV.5.17, und beide sind azyklisch, siehe Proposition IV.5.13. Damit ist der erste Teil des Satzes gezeigt. Es bezeichnen nun U und V die beiden Wegzusammenhangskomponenten von S n \ X. Aus Symmetriegründen genügt es U̇ = X zu zeigen. Wegen der Kompaktheit von X ist S n \ X eine offene Teilmenge von S n und daher lokal wegzusammenhängend. Die Wegzusammenhangskomponenten von S n \ X sind daher offene Teilmengen von S n \ X. Also sind U und V offene Teilmengen von S n . Betrachte nun die Zerlegung U ⊔ V ⊔ X = S n. (IV.54) Da U offen ist gilt Ů = U, also U̇ ∩ U = (Ū \ Ů ) ∩ U = (Ū \ U) ∩ U = ∅. Da U ⊆ S n \V folgt aus der Offenheit von V nun Ū ⊆ S n \V , also U̇ ∩V ⊆ Ū ∩V = ∅ und daher U̇ ∩ V = ∅. Zusammen mit (IV.54) erhalten wir U̇ ⊆ X. 41Ist A eine Teilmenge eines topologsichen Raums Y , dann schreiben wir Ȧ := Ā \ Å = Ā ∩ Y \ A für den Rand von A. Dies ist eine abgeschlossene Teilmenge von Y die oft auch mit ∂A bezeichnet wird. Ein Punkt aus Y liegt genau dann in Ȧ wenn jede seiner Umgebungen Punkte aus A sowie Punkte aus Y \ A enthält. 180 IV. HOMOLOGIE Es verbleibt daher X ⊆ U̇ zu zeigen. Sei dazu x ∈ X und N eine Umgebung von x in S n . Es genügt U̇ ∩ N 6= ∅ zu zeigen, denn wenn in jeder Umgebung von x Punkte aus U̇ liegt, dann muss x im Abschluss von U̇ enthalten sein, dieser stimmt aber mit U̇ überein, denn U̇ ist eine abgeschlossene Teilmenge von S n . Da X ∼ = S n−1 finden wir Teilmengen D + und D − von X, mit D + ∼ = D n−1 ∼ = − + − + D , D ∪ D = X und x ∈ D ⊆ N. Nach Proposition IV.12.22 ist S n \ D − wegzusammenhängend, also existiert ein Weg ω : I → S n \ D − mit ω(0) ∈ U und ω(1) ∈ V . Betrachte t0 := sup{t ∈ I : ω(t) ∈ U}. Auf Grund der Stetigkeit von ω ist ω −1 (Ū ) abgeschlossen in I, also t0 ∈ ω −1(Ū ) und damit ω(t0) ∈ Ū. Ebenso ist ω −1 (Ů) offen in [0, 1), also t0 ∈ / ω −1 (Ů) und daher ω(t0 ) ∈ / Ů . Wir erhalten + − daher ω(t0 ) ∈ Ū \ Ů = U̇ ⊆ X = D ∪ D , also auch ω(t0 ) ∈ D + ⊆ N. Ingesamt folgt ω(t0 ) ∈ U̇ ∩ N, also ist U̇ ∩ N 6= ∅. n−1 n IV.12.26. Bemerkung. Ist n ≥ 3, X ⊆ S und X ∼ = S , dann müssen die Wegzusammenhangskomponenten des Komplements S n \ X nicht unbedingt kontrahierbar sein. Etwa ist für Alexanders gehörnte Sphäre eine dieser Wegzusammenhangskomponenten nicht einfach zusammenhängend, siehe [4, page 170]. Im Fall n = 2 gilt jedoch der Satz von Schönflies. Ist X ⊆ S 2 und X ∼ = S 1 dann existiert ein Homöomorphismus ϕ : S 2 → S 2 mit ϕ(X) = S 1 ⊆ S 2 , wobei wir S 1 als Äquator von S 2 auffassen. Im Fall n = 2 sind daher beide Wegzusammenhangskomponenten des Komplements sogar homöomorph zu B 2 ∼ = R2 . IV.12.27. Korollar. Es sei n ≥ 2, X ⊆ Rn und X ∼ = S n−1 . Dann hat Rn \X genau zwei Wegzusammenhangskomponenten. Eine davon, U, ist beschränkt, die andere, V , ist unbeschränkt.42 Weiters ist U azyklisch, und es gilt H̃n−1 (V ) ∼ =Z sowie H̃q (V ) = 0 für q 6= n − 1. Schließlich haben wir U̇ = X = V̇ . Beweis. Wir fixieren einen Punkt ∞ ∈ S n und fassen Rn als Teilraum von S auf, dh. Rn = S n \ {∞}. Dadurch wird auch X ein Teilraum von S n . Nach Satz IV.12.25 hat S n \ X genau zwei Wegzusammenhangskomponenten. Es bezeichne Ṽ jene Wegzusammenhangskomponente die ∞ enthält, und U die andere. Beachte U ⊆ Rn . Setzen wir V := Ṽ \ {∞} erhalten wir eine disjunkte Zerlegung Rn \ X = U ⊔ V . Da Ṽ eine offene Teilmenge von S n ist, existiert eine Umgebung von ∞ die zur Gänze in Ṽ liegt, also muss U beschränkt in Rn sein, und V ist unbeschränkt in Rn . Aus Satz IV.12.25 folgt auch sofort U̇ = X = V̇ , sowie H̃∗ (U) = 0 = H̃∗ (Ṽ ). Daher liefert der Einhängungshomomorphismus der langen exakten Sequenz des Paares (Ṽ , V ) = (Ṽ , Ṽ \ {∞}) einen Isomorphismus ∼ = → H̃∗−1 (V ). Aus Lemma IV.12.4 und Proposition IV.12.5(i) δ : H̃∗ (Ṽ , Ṽ \ {∞}) − folgt daher ( ∼ Z falls q = n − 1 H̃q (V ) = 0 falls q 6= n − 1 n 42Die beschränkte Wegzusammenhangskomponente U wird das Innere von X genannt, die unbeschränkte Wegzusammenhangskomponente V heißt das Äußere von X. IV.12. ANWENDUNGEN 181 Da n ≥ 2, gilt insbesondere H̃0 (V ) = 0, also ist V wegzusammenhängend. Somit sind U und V die beiden Wegzusammenhangskomponenten von Rn \ X. IV.12.28. Satz (Brouwer, Invarianz des Gebiets). Es sei U ⊆ Rn eine offenen Teilmenge und f : U → Rn eine injektive stetige Abbildung. Dann ist f (U) offen in Rn . Beweis. Wir wählen einen Punkt ∞ ∈ S n und identifizieren Rn = S n \ {∞}, vgl. Beispiel I.1.25. Fassen wir nun f als stetige Abbildung f : U → S n auf, dann genügt es zu zeigen, dass f (U) eine offene Teilmenge von S n ist, denn Rn ist offen in S n . Sei dazu x ∈ U. Wegen der Offenheit von U existiert ε > 0, sodass für D := {y ∈ Rn : ky − xk ≤ ε} ∼ = D n gilt D ⊆ U. Weiters setzen wir S := {y ∈ Rn : kx − yk = ε} ∼ = S n−1 . Wegen der Injektivität von f haben wir eine disjunkte Zerlegung f (D) = f (S) ⊔ f (D \ S), also auch S n \ f (S) = (S n \ f (D)) ⊔ f (D \ S). (IV.55) ∼ = → f (D) ein Da D kompakt ist muss die bijektive stetige Abbildung f |D : D − Homöomorphismus sein. Einschränkung von f liefert daher Homöomorphismen S ∼ = f (D \ S). Also ist f (D \ S) wegzusammenhängend, = f (S) und D \ S ∼ n S \f (D) ist wegzusammenhängend, siehe Proposition IV.12.22, und S n \f (S) hat genau zwei Wegzusammenhangskomponenten, siehe Satz IV.12.25. Aus (IV.55) schließen wir nun, dass S n \ f (D) und f (D \ S) die beiden Wegzusammenhangskomponenten von S n \ f (S) sind. Insbesondere ist f (D \ S) offen in S n und damit f (x) innerer Punkt von f (U). Da x ∈ U beliebig war, ist also f (U) eine offene Teilmenge von S n , der Beweis daher vollständig. IV.12.29. Korollar. Ist U ⊆ Rn eine offene Teilmenge, V ⊆ Rn und gilt U∼ = V , dann ist auch V eine offene Teilmenge von Rn . ∼ = → V als injektive stetige Beweis. Wir können einen Homöomorphismus U − Abbildung f : U → Rn mit f (U) = V auffassen. Nach Satz IV.12.28 muss daher auch V offen in Rn sein. IV.12.30. Korollar. Jede injektive stetige Abbildung f : M → N zwischen topologischen n-Mannigfaltigkeiten M und N ist offen.43 Insbesondere ist f (M) ∼ = → f (M) ist ein Homöomorphismus. offen in N, und f : M − Beweis. Sei also O eine offene Teilmenge von M und x ∈ O. Es genügt zu zeigen, dass f (x) innerer Punkt von f (O) ist. Da M und N beides n-dimensionale topologische Mannigfaltigkeiten sind, finden wir eine offene Umgebung U von x ∼ = → Ũ auf eine offene Teilmenge Ũ ⊆ Rn , sowie und einen Homöomorphismus ϕ : U − 43Eine Abbildung f : X → Y zwischen topologischen Räumen heißt offen, falls sie offene Teilmengen von X auf offene Teilmengen von Y abbildet. Offensichtlich liefert eine injektive stetige und offene Abbildung f : X → Y einen Homöomorphismus von X auf die offene Teilmenge f (X). 182 IV. HOMOLOGIE ∼ = → Ṽ auf eine offene Umgebung V von f (x) und einen Homöomorphismus ψ : V − n −1 eine offene Teilmenge Ṽ ⊆ R . Wegen der Stetigkeit von f ist O ∩ f (V ) eine offene Umgebung von x. Durch Einschränken von ϕ dürfen wir daher o.B.d.A. U ⊆ O ∩ f −1 (V ) annehmen. Es ist dann ψ ◦ f |U ◦ ϕ−1 : Ũ → Ṽ ⊆ Rn eine wohldefinierte, injektive und stetige Abbildung. Aus Satz IV.12.28 folgt, dass ihr Bild ψ(f (U)) offen in Rn ist. Somit ist f (U) eine offene Umgebung von f (x) in N. Da f (U) ⊆ f (O) ist f (x) also innerer Punkt von f (O). IV.12.31. Korollar. Es sei f : M → N eine injektive stetige Abbildung zwischen topologischen n-Mannigfaltigkeiten M und N. Weiters sei M nicht∼ = → N ein leer und kompakt, und N sei zusammenhängend. Dann ist f : M − Homöomorphismus. Beweis. Wegen der Kompaktheit von M ist f (M) kompakt und daher abgeschlossen in N. Nach Korollar IV.12.30 ist f (M) aber auch offen in N. Aus dem Zusammenhang von N folgt daher f (M) = N. Mit Hilfe von Korollar IV.12.30 sehen wir nun, dass f : M → N ein Homöomorphismus sein muss. IV.12.32. Korollar. Es gibt keine injektive stetige Abbildung f : S n → Rn . Beweis. Dies folgt aus Korollar IV.12.31, denn S n und Rn können nicht homöomorph sein, da ja S n kompakt, Rn aber nicht kompakt ist. IV.12.33. Korollar. Ist f : M → N eine injektive stetige Abbildung von einer nicht-leeren topologischen m-Mannigfaltigkeit M in eine topologische nMannigfaltigkeit N, dann gilt n ≥ m. Beweis. Nehmen wir indirekt n < m an. Dann definiert M → N × Rm−n , x 7→ (f (x), 0), eine injektive stetige Abbildung zwischen m-dimensionalen topologischen Mannigfaltigkeiten, deren Bild keine offene Teilmenge von N × Rm−n sein kann. Dies steht im Widerspruch zu Korollar IV.12.30. Unter einer Algebra (über R) verstehen wir einen R-Vektorraum A zusammen mit einer bilinearen Abbildung A × A → A, (a, b) 7→ ab. Diese Abbildung wird als die Multiplikation der Algebra bezeichnet. Auf Grund der Bilinearität gelten also die Distributivegesetze (a1 + a2 )b = a1 b + a2 b und a(b1 + b2 ) = ab1 + ab2 sowie skalare Assotiativität, λ(ab) = (λa)b = a(λb), für alle a, ai , b, bi ∈ A und λ ∈ R. Wir nennen A eine Divisionsalgebra falls die beiden linearen Abbildungen A → A, x 7→ ax, und A → A, x 7→ xa, für jedes 0 6= a ∈ A surjektiv sind, dh. für 0 6= a ∈ A und b ∈ A besitzen die beiden Gleichungen ax = b und xa = b stets eine Lösung x ∈ A. Für endlich dimensionales A ist dies äquivalent zu der Forderung, dass die beiden Abbildungen A → A, x 7→ ax, und A → A, x 7→ xa für jedes a 6= 0 injektiv sind. Dies bedeutet gerade, dass A keine Nullteiler besitzt, aus ab = 0 folgt stets a = 0 oder b = 0. Eine Divisionsalgebra wird assotiativ genannt, falls a(bc) = (ab)c, für alle a, b, c ∈ A. Sie heißt kommutativ, falls ab = ba für alle a, b ∈ A. Die Körper R und C sind assotiative, kommutative IV.12. ANWENDUNGEN 183 Divisionsalgebren. Hamiltons Quaternionen H bilden eine 4-dimensionale assotiative aber nicht kommutative Divisionsalgebra. Caleys Oktonionen O bilden eine 8-dimensionale nicht assotiative und nicht kommutative Divisionsalgebra. Alle diese Beispiel sind Divisionsalgebren mit Eins, dh. es existiert e ∈ A mit ae = a = ea für alle a ∈ A. IV.12.34. Satz. Ist A eine endlich dimensionale kommutative Divisionsalgebra44 über R, dann gilt dim(A) ≤ 2. Beweis. Wir nehmen indirekt an es gibt n ≥ 3, sodass Rn eine kommutative Divisionsalgebra ist. Betrachte die stetige Abbildung 1 f : S n−1 → S n−1 , f (x) := 2 x2 . kx k Beachte, dass wegen der Nullteilerfreiheit x2 6= 0, für alle x ∈ S n−1 . Offensichtlich ist f (−x) = f (x), also faktorisiert f zu einer stetigen Abbildung f¯ : RPn−1 → S n−1 , dh. f¯ ◦ p = f , wobei p : S n−1 → RPn−1 die kanonische Projektion bezeichnet. Wir werden nun zeigen, dass f¯ : RPn−1 → S n−1 injektiv ist. Seien dazu x, y ∈ S n−1 mit f (x) = f (y). Dann gilt x2 = α2 y 2 mit α := kx2 k1/2 ky 2 k−1/2 . Aus der Kommutativität erhalten wir (x − αy)(x + αy) = x2 − α2 y 2 = 0. Wegen der Nullteilerfreiheit folgt x = ±αy. Insbesondere erhalten wir 1 = kxk = k ± αyk = |α|kyk = |α|, also α = ±1. Somit ist x = ±y, und daher p(x) = p(y). Dies zeigt, dass f¯ injektiv ist. Aus Korollar IV.12.31 schließen wir, dass f¯ : RPn−1 → S n−1 ein Homöomorphismus sein muss. Da n ≥ 3 ist π1 (S n−1 ) = 0, siehe Satz I.1.26, und π1 (RPn−1 ) ∼ = Z2 , siehe Proposition I.5.18, also können S n−1 und RPn−1 nicht homöomorph sein, ein Widerspruch. Also kann es auf Rn , n ≥ 3, keine kommutative Divisionsalgebrenstruktur geben. IV.12.35. Bemerkung. Bis auf Isomorphie sind R und C die einzigen endlich dimensionalen kommutativen Divisonsalgebren mit Eins. Um dies einzusehen, sei also A eine endlich dimensionale kommutative Divisionsalgebra mit Einselement e ∈ A, dh. ea = a = ae für alle a ∈ A. Nach Satz IV.12.34 ist dim(A) ≤ 2. Im Fall dim(A) = 1 folgt sofort A ∼ = R. Sei also o.B.d.A. dim(A) = 2. Wähle j ∈ A, sodass {e, j} eine Basis von A bildet. Dann existieren α, β ∈ R mit j 2 = αe + βj. Definieren wir k := j − 21 βe dann ist auch {e, k} eine Basis von A und es gilt k 2 = (α + 41 β 2 )e. Es muss α + 41 β 2 < 0 sein, denn andernfalls existiert γ := (α + 14 β 2 )1/2 ∈ R mit (k − γe)(k + γe) = k 2 − γ 2 e = 0 woraus wegen der Nullteilerfreiheit k = ±γe folgt, also wäre {e, k} keine Basis von A. Setzen wir i := (−(α + 41 β 2 ))−1/2 k, dann ist {e, i} eine Basis von A und es gilt i2 = −e. Daraus folgt nun A ∼ = C. IV.12.36. Bemerkung. Wir werden später zeigen, dass die Dimension einer endlich dimensionalen Divisionsalgebra A eine Potenz von 2 sein muss, dim(A) = 44Assotiativität wird nicht gefordert! 184 IV. HOMOLOGIE 2k für k ∈ N0 . Nach einem tiefen Resultat von Bott–Milnor und Kervair (1958) gilt sogar dim(A) ∈ {1, 2, 4, 8}, ein Beweis mittels K-Theorie findet sich in [5]. Oben haben wir schon die Beispiele R, C, H und O gesehen, es gibt aber noch weitere. V. Homologie mit Koeffizienten Wir werden in diesem Kapitel jedem topologischen Raum X singuläre Homologiegruppen H∗ (X; G) mit Koeffizienten in einer abelschen Gruppe G zuordnen. Dies verallgemeinert die singulären Homologiegruppen aus Kapitel IV, dh. H∗ (X; Z) = H∗ (X). Wir betrachten dazu formale Linearkombinationen singulärer Simplizes in X wobei wir nun aber Koeffizienten in G verwenden. Diese bilden einen Kettenkomplex C∗ (X; G), und wir definieren dann H∗ (X; G) als dessen Homologie. In einfachen Fällen gilt H∗ (X; G) = H∗ (X) ⊗ G, i.A. stimmt dies aber nicht. Das universelle Koeffiziententheorem, siehe Satz V.4.6 unten, ermöglicht jedoch die Berechnung von H∗ (X; G) wenn H∗ (X) bekannt ist. Singuläre Homologie mit Koeffizienten in G liefert einen Funktor mit Eigenschaften die völlig analog zu denen von H∗ (X) sind. Formal werden wir den singulären Kettenkomplex mit Koeffizienten in G durch C∗ (X; G) := C∗ (X)⊗G definieren. In Abschnitt V.1 stellen wir die benötigten Eigenschaften des Tensorprodukts abelscher Gruppen zusammen. Es stellt sich heraus, dass kurze exakte Sequenzen nach Tensorieren mit einer fixen abelschen Gruppe zu nicht exakten Sequenzen werden können, dh. Azyklizität eines Kettenkomplexes kann verloren gehen. In Abschnitt V.2 werden wir dieses Phänomen genauer untersuchen. Dies führt zum Torsionsprodukt abelscher Gruppen und schließlich zur algebraischen Version des universellen Koeffiziententheorems, siehe Satz V.3.3 unten. Dieses ermöglicht die Berechnung von H∗ (C ⊗ G) aus H∗ (C), für jeden freien Kettenkomplex C∗ und jede abelsche Gruppe G. Das oben erwähnte universelle Koeffiziententheorem für topologische Räume ist eine unmittelbare Konsequenz dieses algebraischen Resultats. Anschließend werden wir die Homologie eines Produktes X × Y untersuchen. Zunächst ist der singuläre Kettenkomplex des Produkts homotopieäquivalent zum Tensorprodukt der Kettenkomplexe der beiden Faktoren, die sogenannte Eilenberg–Zilber Äquivalenz liefert eine natürliche Kettenhomotopieäquivalenz C∗ (X × Y ) ≃ C∗ (X) ⊗ C∗ (Y ). Dies reduziert die Berechnung von H∗ (X × Y ) auf das algebraische Problem der Berechnung der Homologie eines Tensorprodukts von Kettenkomplexen. Letzteres wird vom Künneth Theorem beantwortet, das als Verallgemeinerung des universellen Koeffiziententheorems verstanden werden kann. In einfachen Fällen erhalten wir H∗ (X × Y ) = H∗ (X) ⊗ H∗ (Y ), i.A. ist die Situation jedoch komplizierter. All dies wird in den meisten Lehrbüchern über Homologietheorie behandelt, siehe etwa [2, 4, 12, 15, 18, 20]. Weiterführendes zur Homologischen Algebra findet sich in [6]. V.1. Tensorprodukt abelscher Gruppen. Unter einem Tensorprodukt zweier abelscher Gruppen A und B verstehen wir eine abelsche Gruppe A ⊗ B zusammen mit einer bilinearen Abbildung ⊗ : A × B → A ⊗ B, (a, b) 7→ a ⊗ b, die folgende universelle Eigenschaft besitzt. Ist C eine weitere abelsche Gruppe und ϕ : A × B → C bilinear, dann existiert genau ein Homomorphismus ϕ̃ : 185 186 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN A ⊗ B → C mit ϕ = ϕ̃ ◦ ⊗, dh. ϕ(a, b) = ϕ̃(a ⊗ b) für alle a ∈ A und b ∈ B. Das Tensorprodukt abelscher Gruppen ist durch diese universelle Eigenschaft ˜ eine bis auf kanonischen Isomorphismus eindeutig bestimmt. Genauer, ist A⊗B ˜ ˜ weiter abelsche Gruppe und ⊗ : A × B → A⊗B eine weitere bilineare Abbildung mit obiger universellen Eigenschaft, dann existiert genau ein Isomorphismus ϕ : ∼ = ˜ mit ϕ ◦ ⊗ = ⊗. ˜ 45 Wir sprechen daher von dem Tensorprodukt A⊗B − → A⊗B abelscher Gruppen. Die folgende Proposition stellt deren Existenz sicher. V.1.1. Proposition. Sind A und B zwei abelsche Gruppen, dann existiert eine abelsche Gruppe A ⊗ B und eine bilineare Abbildung ⊗ : A × B → A ⊗ B mit folgender universellen Eigenschaft: Ist C eine weitere abelsche Gruppe und ist ϕ : A × B → C bilinear, dann existiert genau ein Homomorphismus abelscher Gruppen ϕ̃ : A ⊗ B → C mit ϕ = ϕ̃ ◦ ⊗. Beweis. Es bezeichne F die von der Menge A × B erzeugte freie abelsche Gruppe. Weiters bezeichne R ⊆ F die von Elementen der Form (a1 + a2 , b) − (a1 , b) − (a2 , b) und (a, b1 + b2 ) − (a, b1 ) − (a, b2 ) erzeugte Untergruppe, a, ai ∈ A, b, bi ∈ B. Betrachte nun die Quotientengruppe A ⊗ B := F/R und definiere eine Abbildung ⊗ A×B − → A ⊗ B = F/R, (a, b) 7→ a ⊗ b := [(a, b)]. Nach Definition von R ist dies eine bilineare Abbildung. Für die Verifikation der universellen Eigenschaft sei nun C eine weitere abelsche Gruppe und ϕ : A×B → C bilinear. Nach Konstruktion von F existiert genau ein Homomorphismus ϕ′ : F → C, sodass ϕ′ (a, b) = ϕ(a, b), für alle (a, b) ∈ A × B. Aus der Bilinerität von ϕ folgt ϕ′ |R = 0, also faktorisiert ϕ′ zu einem Homomorphimus ϕ̃ : A ⊗ B → C. Nach Konstruktion gilt ϕ(a, b) = ϕ̃(a⊗b). Da A⊗B von Elementen der Form a⊗b erzeugt wird, kann es höchstens einen solchen Homomorphismus ϕ̃ geben. Damit ist auch die Eindeutigkeitsaussage in der universellen Eigenschaft gezeigt. V.1.2. Bemerkung. Das Tensorprodukt A ⊗ B wird von {a ⊗ b : a ∈ A, b ∈ B} erzeugt, dh. jedes Element in A ⊗ B lässt sich in der Form n1 (a1 ⊗ b1 ) + · · · + nk (ak ⊗ bk ) schreiben, wobei ni ∈ Z, ai ∈ A und bi ∈ B. Dies folgt sofort aus der Beobachtung, dass auch die von {a ⊗ b : a ∈ A, b ∈ B} erzeugte Untergruppe in A ⊗ B die universelle Eigenschaft des Tensorprodukts hat. V.1.3. Bemerkung. Es gilt A ⊗ B = B ⊗ A, für je zwei abelsche Gruppen A ∼ = → B ⊗ A, und B. Etwas präziser, es gibt genau einen Isomorphismus ϕ : A ⊗ B − sodass ϕ(a⊗b) = b⊗a, für alle a ∈ A und b ∈ B. Dies folgt aus der Beobachtung, 45Aus der universellen Eigenschaft von A⊗ B folgt, dass ein Homomorphismus ϕ : A⊗ B → ˜ ˜ existiert. Ebenso folgt aus der universellen Eigenschaft von A⊗B, ˜ A⊗B mit ϕ ◦ ⊗ = ⊗ dass ein ˜ → A ⊗ B mit ψ ◦ ⊗ ˜ = ⊗ existiert. Aus der Eindeutigkeitsaussage Homomorphismus ψ : A⊗B in der universellen Eigenschaft erhalten wir ψ ◦ ϕ = idA⊗B sowie ϕ ◦ ψ = idA⊗B ˜ . Also ist ϕ ein Isomorphismus mit Inversem ψ. V.1. TENSORPRODUKT ABELSCHER GRUPPEN flip 187 ⊗ dass B × A −→ A × B − → A ⊗ B die universelle Eigenschaft des Tensorprodukts B ⊗ A hat. V.1.4. Bemerkung. Es gilt (A ⊗ B) ⊗ C = A ⊗ (B ⊗ C), für je drei abelsche Gruppen A, B und C. Etwas präziser, es gibt genau einen Isomorphismus ϕ : ∼ = → A ⊗ (B ⊗ C), sodass ϕ((a ⊗ b) ⊗ c) = a ⊗ (b ⊗ c), für alle a ∈ A, (A ⊗ B) ⊗ C − b ∈ B und c ∈ C. Wir betrachten dazu die trilineare Abbildung A × B × C → (A ⊗ B) ⊗ C, (a, b, c) 7→ (a ⊗ b) ⊗ c. A × B × C → A ⊗ (B ⊗ C), (a, b, c) 7→ a ⊗ (b ⊗ c) Aus der universellen Eigenschaft des Tensorprodukts folgt, dass diese trilineare Abbildung folgende universelle Eigenschaft hat. Ist D eine weitere abelsche Gruppe und ist τ : A × B × C → D trilinear, dann existiert genau ein Homomorphismus τ̃ : (A ⊗ B) ⊗ C → D mit τ̃ ((a ⊗ b) ⊗ c) = τ̃ (a, b, c). Da auch die trilineare Abbildung diese universelle Eigenschaft besitzt, folgt nun die Existenz und Eindeutigkeit ∼ = → A ⊗ (B ⊗ C) wie oben. eines Isomorphismus ϕ : (A ⊗ B) ⊗ C − V.1.5. Bemerkung. Es gilt A⊗Z = A, für jede abelsche Gruppe A. Genauer, ∼ = → A ⊗ Z, ϕ(a) := a ⊗ 1 ist ein Isomorphismus, denn der Homomorphismus ϕ : A − die bilineare Abbildung A×Z → A, (a, n) 7→ na, definiert einen Homomorphismus ψ : A ⊗ Z → A mit ψ(a ⊗ n) = na woraus sofort ϕ ◦ ψ = idA⊗Z und ψ ◦ ϕ = idA folgt, vgl. Bemerkung V.1.2. V.1.6. Bemerkung. Es gilt A ⊗ Zm = A/mA. Genauer, der Homomorphismus ϕ̃ : A → A ⊗ Zm , ϕ̃(a) := a ⊗ 1, faktorisiert zu einem Isomorphismus ∼ = → A⊗Zm . Die bilineare Abbildung A×Zm → A/mA, (a, [k]) 7→ [ma], ϕ : A/mA − liefert einen Homomorphismus ψ : A ⊗ Zm → A/mA, der invers zu ϕ ist. Inbesondere haben wir Q ⊗ Zm = 0, R ⊗ Zm = 0, und Zn ⊗ Zm ∼ = Zggt(n,m) , wobei ggt(n, m) den gößten gemeinsamen Teiler von n und m bezeichnet. Die letzte Behauptung lässt sich wie folgt einsehen. Zunächst liefert die Komposition der kanonischen Projektionen Z → Zn → Zn /mZn einen surjektiven Homomorphismus dessen Kern mit der von n und m erzeugten Untergruppe hn, mi ⊆ Z übereinstimmt. Da diese Untergruppe von d := ggt(n, m) erzeugt wird gilt hn, mi = dZ, und wir erhalten Zn ⊗ Zm ∼ = Z/hn, mi = Z/dZ = Zd . = Zn /mZn ∼ V.1.7. Bemerkung. Sind ϕ1 : A1 → B1 und ϕ2 : A2 → B2 zwei Homomorphismen, dann existiert genau ein Homomorphismus ϕ1 ⊗ϕ2 : A1 ⊗A2 → B1 ⊗B2 , sodass (ϕ1 ⊗ ϕ2 )(a1 ⊗ a2 ) = ϕ1 (a1 ) ⊗ ϕ2 (a2 ), für alle a1 ∈ A1 und a2 ∈ A2 . Dies ⊗ folgt aus der universellen Eigenschaft des Tensorprodukts A1 × A2 − → A1 ⊗ A2 ϕ1 ×ϕ2 ⊗ → B1 ⊗ B2 . Sind angewandt auf die bilineare Abbildung A1 × A2 −−−−→ B1 × B2 − 188 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN ψ1 : B1 → C1 und ψ2 : B2 → C2 zwei weitere Homomorphismen, dann gilt offensichtlich (ψ1 ⊗ ψ2 ) ◦ (ϕ1 ⊗ ϕ2 ) = (ψ1 ◦ ϕ1 ) ⊗ (ψ2 ◦ ϕ2 ), sowie idA1 ⊗ idA2 = idA1 ⊗A2 . Das Tensorprodukt definiert daher einen Funktor ⊗ : aGrp × aGrp → aGrp, vgl. Beispiel III.1.14. V.1.8. Bemerkung. Ist B eine fixe abelsche Gruppe, dann definiert das Tensorprodukt mit B einen Funktor − ⊗ B : aGrp → aGrp. Dabei wird einem Homomorphismus ϕ : A1 → A2 der Homomorphismus ϕ ⊗ idB : A1 ⊗ B → A2 ⊗ B zugeordnet. Aus Bemerkung V.1.7 folgt, dass dies tatsächlich funktoriell ist, dh. für jeden weiteren Homomorphismus ψ : A2 → A3 gilt (ψ ⊗ idB ) ◦ (ϕ ⊗ idB ) = (ψ ◦ ϕ) ⊗ idB : A1 ⊗ B → A3 ⊗ B. Ebenso erhalten wir für jede fixe abelsche Gruppe A einen Funktor A ⊗ − : aGrp → aGrp. V.1.9. Bemerkung. Der Tensorproduktfunktor ist additiv in folgendem Sinn. Sind ϕ1 , ϕ2 : A → A′ und ψ : B → B ′ Homomorphismen abelscher Gruppen, dann gilt (ϕ1 + ϕ2 ) ⊗ ψ = ϕ1 ⊗ ψ + ϕ2 ⊗ ψ : A ⊗ B → A′ ⊗ B ′ . Ebenso gilt ϕ ⊗ (ψ1 + ψ2 ) = ϕ ⊗ ψ1 + ϕ ⊗ ψ2 für Homomorphismen ϕ : A → A′ und ψ1 , ψ2 : B → B′. V.1.10. Bemerkung. Es gilt (A1 ⊕A2 ) ⊗B = (A1 ⊗B) ⊕(A1 ⊗B), für je drei abelsche Gruppen A1 , A2 und B. Die kanonischen Inklusionen ιi : Ai → A1 ⊕ A2 liefern Homomorphismen ιi ⊗ idB : Ai ⊗ B → (A1 ⊕ A2 ) ⊗ B, i = 1, 2, siehe Bemerkung V.1.8, und diese bestimmen einen Homomorphismus ϕ : (A1 ⊗ B) ⊕ (A2 ⊗ B) → (A1 ⊕ A2 ) ⊗ B. Die bilineare Abbildung (A1 ⊕ A2 ) × B → (A1 ⊗ B) ⊕ (A2 ⊗ B), ((a1 , a2 ), b) 7→ (a1 ⊗ b, a2 ⊗ b) induziert einen Homomorphismus ψ : (A1 ⊕ A2 ) ⊗ B → (A1 ⊗ B) ⊕ (A2 ⊗ B). Es lässt sich leicht verifizieren, dass ψ invers zu ϕ ist. Daher ist ϕ ein Isomorphismus, der einzige Isomorphismus für den ϕ(a1 ⊗ b, a2 ⊗ b) = (a1 , a2 ) ⊗ b gilt, ai ∈ Ai , b ∈ B. Eine einfache Verallgemeinerung dieses Arguments, zeigt L L (V.1) λ∈Λ Aλ ⊗ B = λ∈Λ (Aλ ⊗ B). für abelsche Gruppen B und Aλ , λ ∈ Λ. Der Funktor aus Bemerkung V.1.8 vetauscht daher mit Koprodukten. Inbesondere ist das Tensorprodukt freier abelscher Gruppen wieder frei abelsch, etwa gilt Zn ⊗ Zm ∼ = Znm . V.1.11. Bemerkung. Nach dem Hauptsatz über endlich erzeugte abelsche Gruppen, siehe Satz IV.4.15, ist jede endlich erzeugte abelsche Gruppe zu einer Gruppe der Form Zn ⊕Zn1 ⊕· · ·⊕Znk isomorph. Mit obigen Bemerkungen können wir also das Tensorprodukt von endlich erzeugten abelscher Gruppen berechnen, siehe (V.1) sowie die Bemerkungen V.1.3, V.1.6 und V.1.5. V.1.12. Bemerkung. Es gilt Hom(A ⊗ B, C) = Hom(A, Hom(B, C)), für je drei abelsche Gruppen A, B und C. Dies folgt aus der universellen Eigenschaft, denn die abelsche Gruppe der bilinearen Abbildungen A × B → C kann V.1. TENSORPRODUKT ABELSCHER GRUPPEN 189 in natürlicher Weise mit Hom(A, Hom(B, C)) identifiziert werden. Der Funktor − ⊗ B : aGrp → aGrp ist daher linjksadjungiert zum Funktor Hom(B, −) : aGrp → aGrp, vgl. die Beispiele III.3.5 und III.3.6. ϕ1 ϕ2 V.1.13. Proposition. Ist A1 −→ A2 −→ A3 → 0 eine exakte Sequenz abelscher Gruppen, und B eine weitere abelsche Gruppe, dann ist auch ϕ1 ⊗id ϕ2 ⊗id B B A1 ⊗ B −−−−→ A2 ⊗ B −−−−→ A3 ⊗ B → 0 eine exakte Sequenz.46 ϕ2 ⊗idB Beweis. Zunächst ist A2 ⊗B −−−−→ A3 ⊗B surjektiv, denn A3 ⊗B wird von Elementen der Form a3 ⊗ b erzeugt, siehe Bemerkung V.1.2, und diese Elemente liegen im Bild von ϕ2 ⊗ idB , denn ϕ2 und idB sind beide surjektiv. Weiters gilt offensichtlich img(ϕ1 ⊗ idB ) ⊆ ker(ϕ2 ⊗ idB ), denn (ϕ2 ⊗ idB ) ◦ (ϕ1 ⊗ idB ) = (ϕ2 ◦ ϕ1 ) ⊗ idB = 0 ⊗ idB = 0, siehe Bemerkung V.1.8. Es bleibt daher noch img(ϕ1 ⊗ idB ) ⊇ ker(ϕ2 ⊗ idB ) zu zeigen. Betrachte dazu die bilineare Abbildung ψ(a3 , b) := [ϕ−1 2 (a3 ) ⊗ b]. ψ : A3 × B → A2 ⊗ B/ img(ϕ1 ⊗ idB ), Beachte, dass dies wohldefiniert ist, denn img(ϕ1 ) ⊇ ker(ϕ2 ). Wir erhalten daher einen Homomorphismus ψ̃ : A3 ⊗ B → A2 ⊗ B/ img(ϕ1 ⊗ idB ), der offensichtlich ϕ2 ⊗id B linksinvers zu A2 ⊗ B/ img(ϕ1 ⊗ idB ) −−−−→ A3 ⊗ B ist. Damit ist letzterer injektiv, also img(ϕ1 ⊗ idB ) ⊇ ker(ϕ2 ⊗ idB ). ι π V.1.14. Bemerkung. Ist 0 → A1 − → A2 − → A3 → 0 eine kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen, dann wird die Sequenz ι⊗id π⊗id B B 0 → A1 ⊗ B −−−→ A2 ⊗ B −−−→ A3 ⊗ B → 0 i.A. bei A1 ⊗ B nicht exakt sein. Tensorieren wir etwa die kurze exakte Sequenz 2 0 1 0→Z− → Z → Z2 → 0 mit B = Z2 , so erhalten wir 0 → Z2 − → Z2 − → Z2 → 0, und dies ist keine exakte Sequenz. Wir werden dieses Phänomen im nächsten Abschitt systematisch studieren. ι π V.1.15. Bemerkung. Ist 0 → A1 − → A2 − → A3 → 0 eine splittende kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen, dann ist auch ι⊗id π⊗id B B 0 → A1 ⊗ B −−−→ A2 ⊗ B −−−→ A3 ⊗ B → 0 (V.2) eine splittende kurze exakte Sequenz. Ist nämlich ρ : A2 → A1 ein Splitt der ersten Sequenz, ρ ◦ ι = idA1 , dann folgt (ρ ⊗ idB ) ◦ (ι ⊗ idB ) = idA1 ⊗B , also ist ι ⊗ idB injektiv und (V.2) daher exakt, siehe Proposition V.1.13. Aus obiger Realtion folgt nun auch, dass ρ ⊗ idB ein Splitt von (V.2) ist. V.1.16. Definition (Flache abelsche Gruppe). Eine ablesche Gruppe B heißt flach falls für jeden injektiven Homomorphismus ϕ : A1 → A2 auch ϕ ⊗ idB : A1 ⊗ B → A2 ⊗ B injektiv ist. 46Wir sagen daher der Funktor − ⊗ B : aGrp → aGrp ist rechtsexakt. 190 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN ι π V.1.17. Bemerkung. Ist 0 → A1 − → A2 − → A3 → 0 eine kurze exakte Sequenz und B eine flache abelsche Gruppe, dann ist auch ι⊗id π⊗id B B 0 → A1 ⊗ B −−−→ A2 ⊗ B −−−→ A3 ⊗ B → 0 eine kurze exakte Sequenz, siehe Proposition V.1.13. Die flachen abelschen Gruppen sind also genau jene abelschen Gruppen B für die der Funktor − ⊗ B : aGrp → aGrp exakt ist, dh. kurze exakte Sequenzen auf kurze exakte Sequenzen abbildet. V.1.18. Beispiel. Die abelsche Gruppe Z ist flach, siehe L Bemerkung V.1.5. Sind Bλ , λ ∈ Λ, flache abelsche Gruppen, dann ist auch λ∈Λ Bλ flach, siehe Bemerkung V.1.10. Insbesonder sind freie abelsche Gruppen flach. V.1.19. Bemerkung. Ist B flach, dann ist B torsionsfrei, dh. Btor = 0, siehe Abschnitt IV.4. Um dies einzusehen sei 0 6= m ∈ Z. Tensorieren wir den injektiven m Homomorphismus Z − → Z mit B, so erhalten wir wegen der Flachheit von B einen m⊗idB injektiven Homomorphismus Z ⊗ B −−−−→ Z ⊗ B. Bis auf den Isomorphismus m Z ⊗ B = B, siehe Bemerkung V.1.5, stimmt dieser mit B − → B überein. Da dies für jedes m 6= 0 injektiv ist, folgt Btor = 0. Wir werden weiter später sehen, dass eine abelsche Grupp genau dann flach ist, wenn sie torsionsfrei ist, siehe Proposition V.2.19 unten. V.1.20. Bemerkung. Ist A eine abellsche Gruppe und R ein kommutativer Ring mit Eins, dann ist A ⊗ R in kanonischer Weise eine R-Modul.47 Genauer, definieren wir die Multiplikation durch R × (A ⊗ R) → A ⊗ R, r(a ⊗ s) := a ⊗ (rs), r, s ∈ R, a ∈ A. Dies ist tatsächlich wohldefiert, denn (r, a, s) 7→ a ⊗ (rs) ist offensichtlich eine trilineare Abbildung R × A × R → A ⊗ R. Auch die Modulaxiome lassen sich sofort verifizieren. Für jeden Gruppenhomomorphismus ϕ : A → A′ ist ϕ ⊗ idR : A ⊗ R → A′ ⊗ R, siehe Bemerkung V.1.7, R-linear.48 Für jeden kommutativen 47Der Begriff des Moduls über einem Ring bildet eine naheliegende Verallgemeinerung des Konzepts eines Vektorraums über einem Körper. Genauer, unter einem R-Modul verstehen wir eine abelsche Gruppe M zusammen mit einer bilinearen Abbildung R × M → M , (r, m) 7→ r · m = rm, sodass r1 (r2 m) = (r1 r2 )m für alle r1 , r2 ∈ R und m ∈ M gilt. Besitzt R eine Eins so verlangen wir weiters 1m = m für m ∈ M . Wir werden uns in diesem Kapitel ausschließlich mit Moduln über einem kommutativen Ring mit Eins befassen, für nicht kommutative Ringe muss zwischen Links- und Rechtsmoduln unterschieden werden. Ein Z-Modul ist dasselbe wie eine abelsche Gruppe. 48Ein Homomorphismus abelscher Gruppen ψ : M → M ′ zwischen R-Moduln M und M ′ wird R-linear genannt, falls ψ(rm) = rψ(m) für alle r ∈ R und m ∈ M gilt. Dies verallgemeinert in offensichtlicher Weise den Begriff der linearen Abbildung zwischen Vektorräumen. Die Moduln über einem fixen Ring R zusammen mit den R-linearen Abbildungen bilden in natürlicher Weise eine Kategorie, die wir mit ModR bezeichnen werden. Für jeden Körper R = K gilt ModK = VspK . Weiters gilt ModZ = aGrp, denn jeder Homomorphismus abelscher Gruppen ist Z-linear. V.2. TORSIONSPRODUKT ABELSCHER GRUPPEN 191 Ring mit Eins erhalten wir daher einen Funktor − ⊗ R : aGrp → ModR von der Kategorie der abelschen Gruppen in die Kategorie der R-Moduln. Insbesondere liefert jeder Körper K einen Funktor − ⊗ K : aGrp → VspK in die Kategorie der Vektorräume über K. V.2. Torsionsprodukt abelscher Gruppen. Wir werden in diesem Abschnitt die Nicht-Exaktheit des Tensorproduktfunktors genauer untersuchen, siehe Bemerkung V.1.14 oben. Dies führt zum Torsionsprodukt abelscher Gruppen und schließlich zum universellen Koeffizienten Theorem, siehe Satz V.3.3 unten. V.2.1. Definition. Unter einer freien Auflösung einer abelschen Gruppe A verstehen wir eine exakte Sequenz ϕ0 ϕ1 ϕ2 ϕ3 0 ← A ←− F0 ←− F1 ←− F2 ←− F3 ← · · · in der jedes Fi eine freie abelsche Gruppe ist. V.2.2. Bemerkung. Jede abelsche Gruppe A besitzt eine freie Auflösung der Form 0 ← A ← F0 ← F1 ← 0, siehe Korollar IV.4.13. An dieser Stelle geht ein, dass Z ein Hauptidealring ist. V.2.3. Lemma. Es seien A und A′ zwei abelsche Gruppen. Weiters seien ϕ0 ϕ1 0 ← A ←− F0 ←− F1 ← · · · ϕ′ ϕ′ 1 0 F1′ ← · · · 0 ← A′ ←− F0′ ←− und zwei freie Auflösungen von A bzw. A′ . Dann gilt: (i) Jeder Homomorphismus α : A → A′ lässt sich zu einer Kettenabbildung ausdehnen, dh. es existieren Homomorphismen αi : Fi → Fi′ die das folgende Diagramm kommutativ machen: 0o Ao ϕ0 F0 o 0o A′ o F1 o α0 α ϕ1 ϕ′0 F0′ o ϕ2 F2 o α1 ϕ′1 F1′ o ··· α2 ϕ′2 F2′ o ··· (ii) Je zwei Ausdehnungen von α : A → A′ wie in (i) sind kettenhomotop. Beweis. Ad (i): Wir gehen induktiv vor und nehmen an α0 , . . . , αk sind schon konstruiert. Es sei bi eine Basis von Fk+1 . Wegen ϕ′k αk ϕk+1 = αk−1 ϕk ϕk+1 = 0 ′ mit ϕ′k+1 (b′i ) = gilt img(αk ϕk+1) ⊆ ker ϕ′k = img ϕ′k+1. Daher finden wir b′i ∈ Fk+1 ′ αk (ϕk+1(bi )). Definiere nun einen Homomorphismus αk+1 : Fk+1 → Fk+1 auf ′ ′ ′ ′ Basiselementen durch αk+1 (bi ) := bi . Dann folgt ϕk+1(αk+1 (bi )) = ϕk+1 (bi ) = αk (ϕk+1(bi )), und daher ϕ′k+1 ◦ αk+1 = αk ◦ ϕk+1 . Damit ist der Induktionsschritt gezeigt und (i) bewiesen. Nun zu (ii): Seien also αi , βi : Fi → Fi′ zwei Ausdehnungen von α : A → A′ wie in (i). Es sind Homomorphismen hi : Fi−1 → Fi′ zu konstruieren, für die 192 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN βi −αi = hi−1 ϕi +ϕ′i+1hi gilt. Wir gehen induktiv vor und nehmen an h0 , . . . , hk−1 wären schon konstruiert, für h−1 : A → F0′ verwenden wir h−1 := 0. ϕk−1 ϕk+1 ϕk Fk−2 oO Fk−1 No Fk+1 Fk oN OOO NN NNN h OOhOk−2 Nh N kN β α OOO βk−1 αk−1 NNNk−1 βk−2 αk−2 NNN βk αk N Nk−1 k−1 O O ′ O' N ′ & N ϕ′k−1 ϕ ϕk & ′ k+1 ′ ′ ′ o o Fk−2 Fk−1 Fk+1 Fk o Nach Induktionsvoraussetung gilt βk−1 − αk−1 = hk−2 ϕk−1 + ϕ′k hk−1 woraus wir sofort ϕ′k βk − αk − hk−1 ϕk = βk−1 − αk−1 − ϕ′k hk−1 ϕk = hk−2 ϕk−1ϕk = 0 erhalten. Wir schließen img βk −αk −hk−1 ϕk ⊆ ker ϕ′k = img ϕ′k+1 . Ist nun bi eine Basis von Fk , so existieren also b′i ∈ Fk+1 mit ϕ′k+1 (b′i ) = (βk − αk − hk−1 ϕk )(bi ). ′ Wir definieren einen Homomorphismus hk : Fk → Fk+1 auf Basiselementen durch ′ ′ hk (bi ) := bi . Es folgt dann ϕk+1 (hk (bi )) = (βk − αk − hk−1 ϕk )(bi ) und daher die gewünschte Relation ϕ′k+1 ◦hk = βk −αk −hk−1 ϕk . Damit ist der Induktionsschritt gezeigt und (ii) bewiesen. ϕ0 ϕ1 Es sei nun F : 0 ← A ←− F0 ←− F1 ← · · · eine freie Auflösung von A. Durch Tensorieren mit einer abelschen Gruppe B erhalten wir einen Kettenkomplex ϕ1 ⊗id ϕ2 ⊗id B B 0 ← F0 ⊗ B ←−−−− F1 ⊗ B ←−−−− F2 ⊗ B ← · · · denn (ϕk ⊗ idB ) ◦ (ϕk+1 ⊗ idB ) = (ϕk ◦ ϕk+1 ) ⊗ idB = 0. Wir bezeichnen diesen Kettenkomplex mit F ⊗ B und seine Homologie mit H∗ (F ⊗ B), dh. Hk (F ⊗ B) := ker(ϕk ⊗ idB )/ img(ϕk+1 ⊗ idB ). ϕ′ ϕ′ 1 0 F1′ ← · · · Sei nun α : A → A′ ein Homomorphismus und F ′ : 0 ← A′ ←− F0′ ←− ′ ′ eine freie Auflösung von A . Weiters sei αk : Fk → Fk eine Ausdehnung von α wie in Lemma V.2.3(i). Tensorieren mit B liefert eine Kettenabbildung 0o F0 ⊗ B o ϕ1 ⊗idB F1 ⊗ B o α0 ⊗idB 0o F0′ ⊗ B o ϕ2 ⊗idB F2 ⊗ B o α1 ⊗idB ϕ′1 ⊗idB F1′ ⊗ B o ··· α2 ⊗idB ϕ′2 ⊗idB F2′ ⊗ B o ··· und diese induziert einen Homomorphismus der Homologiegruppen den wir mit α∗ : H∗ (F ⊗ B) → H∗ (F ′ ⊗ B) bezeichnen. Nach Lemma V.2.3(ii) ist dieser Homomorphismus unabhängig von der Wahl der Ausdehnung. Ist α′ : A′ → A′′ ein weiterer Homomorphismus und F ′′ eine freie Auflösung von A′′ dann gilt offensichtlich (α′ ◦ α)∗ = α∗′ ◦ α∗ : H∗ (F ⊗ B) → H∗ (F ′′ ⊗ B) (V.3) sowie (idA )∗ = idH∗ (F⊗B) . Wenden wir dies auf idA : A → A an so erhalten wir V.2. TORSIONSPRODUKT ABELSCHER GRUPPEN 193 V.2.4. Lemma. Sind F und F ′ zwei freie Auflösungen einer abelschen Gruppe A, und ist B eine weitere abelsche Gruppe, dann existiert ein kanonischer Isomorphismus H∗ (F ⊗ B) = H∗ (F ′ ⊗ B). Die Homologie H∗ (F ⊗ B) ist daher, bis auf kanonischen Isomorphismus, unabhängig von der Wahl der freien Auflösung. Für zwei abelsche Gruppen A und B definieren wir daher Torn (A, B) := Hn (F ⊗ B), wobei F eine freie Auflösung von A ist, siehe Bemerkung V.2.2. V.2.5. Bemerkung. Für eine fixe abelsche Gruppe B erhalten wir Funktoren Torn (−, B) : aGrp → aGrp, siehe (V.3). V.2.6. Bemerkung. Für eine fixe abelsche Gruppe A erhalten wir aber auch Funktoren Torn (A, −) : aGrp → aGrp. Ist nämlich β : B → B ′ ein Homomorphismus und F eine freie Auflösung von A, so erhalten wir durch Tensorieren mit β eine Kettenabbildung idF ⊗β : F ⊗ B → F ⊗ B ′ , und diese induziert Homomorphismen β∗ : Hn (F ⊗ B) → Hn (F ⊗ B ′ ). Eine einfache Überlegung zeigt, dass dies tatsächlich funktoriell ist, dh. für jeden weiteren Homomorphismus β ′ : B ′ → B ′′ gilt (β ′ ◦ β)∗ = β∗′ ◦ β∗ : Torn (A, B) → Torn (A, B ′′ ) sowie (idB )∗ = idTorn (A,B) . Ist α : A → A′ ein Homomorphismus, dann gilt sogar α∗ ◦β∗ = β∗ ◦α∗ : Torn (A, B) → Torn (A′ , B ′ ), siehe Bemerkung V.2.5. Wir können daher Torn : aGrp × aGrp → aGrp als Funktor auffassen, und schreiben auch Torn (α, β) : Torn (A, B) → Torn (A′ , B ′ ) für den induzierten Homomorphismus. V.2.7. Bemerkung. Der Funktor Torn ist additiv, dh. sind α, α′ : A → A′ und β : B → B ′ Homomorphismen abelscher Gruppen, dann gilt Torn (α + α′ , β) = Torn (α, β) + Torn (α′ , β) : Torn (A, B) → Torn (A′ , B ′ ). Dies folgt aus Bemerkung V.1.9 und der Beobachtung, dass die Summe zweier Ausdehnungen von α und α′ wie in Lemma V.2.3(i) offensichtlich eine Ausdehnung von α + α′ ist, siehe aber auch Proposition IV.1.2. Ebenso haben wir auch Torn (α, β + β ′ ) = Torn (α, β) + Torn (α, β ′ ) für Homomorphismen α : A → A′ und β, β ′ : B → B ′ . V.2.8. Bemerkung. Es gilt Tor0 (A, B) = A ⊗ B, siehe Proposition V.1.13. Weiters haben wir Torn (A, B) = 0, für n ≥ 2, siehe Bemerkung V.2.2. Es ist daher nur Tor1 (A, B) interessant.49 V.2.9. Definition (Torsionsprodukt). Sind A und B abelsche Gruppen, dann wird Tor(A, B) := Tor1 (A, B) das Torsionsprodukt von A und B genannt. Dies ist ein additiver Funktor Tor : aGrp × aGrp → aGrp. 49Obige Überlegungen lassen sich in offensichtlicherweise auf Moduln über einem kommutativen Ring R verallgemeinern. Ist R kein Hauptidealring, dann ist Torn i.A. auch für n ≥ 2 nicht-trivial. 194 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN i V.2.10. Bemerkung. Ist 0 → R − → F → A → 0 exakt und F frei abelsch, dann gilt i⊗idB Tor(A, B) = ker R ⊗ B −−−→ F ⊗B . Dies folgt sofort aus der Definition des Torsionsproduktes und der (nicht-trivialen) Tatsache, dass auch R eine freie abelsche Gruppe sein muss, siehe Satz IV.4.12. V.2.11. Beispiel. Ist B flach, so gilt Tor(A, B) = 0, siehe Bemerkung V.1.17 und Bemerkung V.2.2. Insbesondere ist Tor(A, F ) = 0, für jede freie abelsche Gruppe F , siehe Bemerkung V.1.18. V.2.12. Beispiel. Ist F frei abelsch, dann gilt Tor(F, B) = 0. In diesem Fall idF haben wir nämlich eine freie Auflösung 0 ← F ←−− F ← 0. n V.2.13. Beispiel. Es gilt Tor(Zn , B) = ker(B − → B) = {b ∈ B : nb = 0}. n Betrachte dazu die freie Auflösung 0 ← Zn ← Z ← − Z ← 0 von Zn . Tensorieren wir diese mit B und verwenden Bemerkung V.1.5 so erhalten wir sofort obige Behauptung, siehe auch Bemerkung V.2.10. Insbesondere erhalten wir Btor = 0 ⇔ Tor(Zp , B) = 0 für alle Primzahlen p. (V.4) n Für B = Zm folgt Tor(Zn , Zm ) = ker(Zm − → Zm ) und daher Tor(Zn , Zm ) ∼ = Zggt(n,m) . (V.5) a Sei dazu d := ggt(n, m) und a ∈ Z mit ad = m. Dann ist Zd − → Zm , [k] 7→ [ak], ein a n injektiver Homomorphismus, es genügt daher img Zd − → Zm = ker Zm − → Zm zu zeigen. Da m = ad Teiler von na ist, erhalten wir zunächst die Inklusion a n img Zd − → Zm ⊆ ker Zm − → Zm . Für die umgekehrte Inklusion betrachten wir n nun l ∈ Z mit [l] ∈ ker(Zm − → Zm ), es gilt daher m | nl. Weiters sei b ∈ Z mit bd = n. Dann folgt ad | bdl, also a | bl, und daher a | l, denn ggt(a, b) = 1. Es a existiert daher k ∈ Z, sodass ak = l, also [l] ∈ img Zd − → Zm , womit auch die a n umgekehrte Inklusion img Zd − → Zm ⊇ ker Zm − → Zm gezeigt wäre. V.2.14. Bemerkung. Es gilt Tor(A ⊕ A′ , B) = Tor(A, B) ⊕ Tor(A′ , B). ϕ0 ϕ1 Betrachte dazu freie Auflösungen 0 ← A ←− F0 ←− F1 ← · · · von A und ϕ′ ϕ′ 1 0 F1′ ← · · · von A′ . Verwenden wir nun die freie Auflösung 0 ← A′ ←− F0′ ←− ϕ0 ⊕ϕ′ ϕ1 ⊕ϕ′ 1 0 F1 ⊕ F1′ ← · · · 0 ← A ⊕ A′ ←−−−− F0 ⊕ F0′ ←−−−− von A ⊕ A′ zur Berechnung von Tor(A ⊕ A′ , B) so folgt sofort Tor(A ⊕ A′ , B) = Tor(A, B) ⊕ Tor(A′ , B), siehe Bemerkung V.1.10 sowie (IV.1). Völlig analog erhalten wir für beliebige Indexmengen Λ L L Tor A , B = λ∈Λ Tor(Aλ , B). (V.6) λ λ∈Λ V.2. TORSIONSPRODUKT ABELSCHER GRUPPEN 195 p i V.2.15. Proposition. Ist 0 → B1 − → B2 − → B3 → 0 eine kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen, dann existiert eine exakte Sequenz i p∗ δ δ id ⊗i ∗ 0 → Tor(A, B1 ) − → Tor(A, B3 ) − → → Tor(A, B2 ) − id ⊗p − → A ⊗ B1 −−A−→ A ⊗ B2 −−A−− → A ⊗ B3 → 0. Diese Sequenz ist natürlich in A und auch natürlich in der kurzen exakten Sequenz 0 → B1 → B2 → B3 → 0. ϕ1 ϕ1 ϕ2 Beweis. Ist F : 0 ← A ←− F0 ←− F1 ←− F2 ← · · · eine freie Auslösung von A, dann können wir 0 0 F ⊗ B1 0o F0 ⊗ B1 o F ⊗ B2 0o F0 ⊗ B2 o F ⊗ B3 F1 ⊗ B1 o 0o F0 ⊗ B3 o F1 ⊗ B2 o ϕ1 ⊗idB3 F1 ⊗ B3 o idF2 ⊗i ϕ2 ⊗idB2 ··· F2 ⊗ B2 o idF2 ⊗p ϕ2 ⊗idB3 0 ··· F2 ⊗ B1 o idF1 ⊗p 0 ϕ2 ⊗idB1 idF1 ⊗i ϕ1 ⊗idB2 idF0 ⊗p idF ⊗p 0 ϕ1 ⊗idB1 idF0 ⊗i idF ⊗i 0 ··· F2 ⊗ B3 o 0 0 als kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen aufassen. Beachte, dass die Spalten wegen Bemerkung V.1.17 tatsächlich exakt sind. Nach Satz IV.3.1 induziert diese eine lange exakte Sequenz: δ i p∗ δ ∗ · · · → Hn+1 (F ⊗ B3 ) − → Hn (F ⊗ B1 ) − → Hn (F ⊗ B2 ) − → Hn (F ⊗ B3 ) − → ··· Nach Definition von Torn erhalten wir also die lange exakte Seqeunz: δ i p∗ ∗ · · · → Torn+1 (A, B3 ) − → Torn (A, B1 ) − → Torn (A, B2 ) − → Torn (A, B3 ) → · · · Wegen Bemerkung V.2.8 ist dies die gesuchte exakte Sequenz. V.2.16. Proposition. Es gilt Tor(A, B) = Tor(B, A) für je zwei abelsche Gruppen A und B. i Beweis. Es sei 0 → F1 − → F0 → B → 0 eine frei Auflösung von B, siehe Bemerkung V.2.2. Mittels Bemerkung V.2.10 erhalten wir i⊗idA Tor(B, A) = ker F1 ⊗ A −−−→ F0 ⊗ A . 196 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Weiters ist Tor(A, F0 ) = 0, siehe Beispiel V.2.11, also liefert Porposition V.2.15 id ⊗i δ eine exakte Sequenz 0 → Tor(A, B) − → A ⊗ F1 −−A−→ A ⊗ F0 , dh. id ⊗i Tor(A, B) = ker A ⊗ F1 −−A−→ A ⊗ F0 . Aus Bemerkung V.1.3 folgt nun sofort Tor(A, B) = Tor(B, A). V.2.17. Bemerkung. Nach dem Hauptsatz über endlich erzeugte abelsche Gruppen, siehe Satz IV.4.15, ist jede endlich erzeugte abelsche Gruppe zu einer Gruppe der Form Zn ⊕Zn1 ⊕· · ·⊕Znk isomorph. Mit obigen Bemerkungen können wir also das Torsionsprodukt endlich erzeugter abelscher Gruppen berechnen, siehe (V.5) und (V.6) sowie Bemerkung V.2.12 und Proposition V.2.16. V.2.18. Proposition. Es gilt Tor(A, B) = Tor(Ator , Btor ), für je zwei abelsche Gruppen A und B. Beweis. Es genügt Tor(A, B) = Tor(A, Btor ) zu zeigen, denn mittels Proposition V.2.16 erhalten wir daraus Tor(A, B) = Tor(A, Btor ) = Tor(Btor , A) = Tor(Btor , Ator ) = Tor(Ator , Btor ). Die kurze exakte Sequenz 0 → Btor → B → B/Btor → 0 induziert eine exakte Sequenz 0 → Tor(A, Btor ) → Tor(A, B) → Tor(A, B/Btor ), siehe Proposition V.2.15, es genügt daher Tor(A, B/Btor ) = 0 zu zeigen. Da B/Btor torsionsfrei ist, dürfen wir also o.B.d.A. Btor = 0 annehmen und haben Tor(A, B) = 0 zu zeigen. Sei nun 0 → F1 → F0 → A → 0 eine freie i⊗idB Auflösung von A. Es ist zu zeigen, dass F1 ⊗ B −−−→ F0 ⊗ B injektiv ist, siehe Bemerkung V.2.10. Ist x im Kern dieses i⊗idB Homormorphismus, dann existiert eine end/F ⊗B F1 ⊗ B 0 O O lich erzeugte Untergruppe B0 von B, sodass x ∈ img(F1 ⊗ B0 → F1 ⊗ B). Weiters ist i⊗idB0 F0 ⊗ B0 → F0 ⊗ B injektiv, denn F0 ist / F ⊗B F1 ⊗ B0 0 0 flach, siehe Bemerkung V.1.18. Ebenso ist i⊗idB 0 F0 ⊗ B0 injektiv, denn als endlich erzeugte torsionsfreie abelsche F1 ⊗ B0 −−−−→ Gruppe muss B0 frei abelsch sein, siehe Korollar IV.4.17. Mit der Kommutativität des nebenstehenden Diagramms folgt nun x = 0. V.2.19. Proposition. Für eine abelsche Gruppe A sind äquivalent: (i) A ist flach. (ii) Ator = 0. (iii) Tor(A, B) = 0 = Tor(B, A), für jede abelsche Gruppe B. (iv) Tor(A, Zp ) = 0, für jede Primzahl p. Beweis. Die Implikation (i)⇒(ii) folgt aus Bemerkung V.1.19. Die Implikation (ii)⇒(iii) folgt aus Proposition V.2.18. Die Implikation (iii)⇒(i) folgt aus Proposition V.2.15. Schließlich folgt die Äquivalenz (ii)⇔(iv) aus (V.4) und Proposition V.2.18. V.2. TORSIONSPRODUKT ABELSCHER GRUPPEN 197 V.2.20. Beispiel. Aus Proposition V.2.19 folgt, dass die abelsche Gruppe Q flach ist, denn offensichtlich gilt Qtor = 0. Insbesondere erhalten wir Tor(A, Q) = 0 = Tor(Q, A) für jede abelsche Gruppe A. Etwas allgemeiner, die einem Körper mit Charakteristik 0 zugrundeliegende abelsche Gruppe ist stets flach. V.2.21. Proposition. Ist A eine abelsche Gruppe, sodass A ⊗ Q = 0 und Tor(A, Zp ) = 0 für jede Primzahl p, dann gilt schon A = 0.50 Beweis. Beachte zunächst, dass A flach ist, siehe Proposition V.2.19. Tensorieren wir die kurze exakte Sequenz 0 → Z → Q → Q/Z → 0 mit A, erhalten wir also eine kurze exakte Sequenz 0 → A → A ⊗ Q → A ⊗ Q/Z → 0. Nach Voraussetzung ist A ⊗ Q = 0, also folgt A=0. V.2.22. Bemerkung. Wir haben in Abschnitt IV.4 den Rang einer abelschen Gruppe als die Kardinalität einer maximal linear unabhängigen Teilmenge definiert, und in Satz IV.4.1 gezeigt, dass dies wohldefiniert ist. Mit Hilfe obiger Beobachtungen lässt sich der Beweis dieses Satzes wesentlich transparenter präsentieren. Ist S eine maximal linear unabhängige Teilmenge einer abelschen Gruppe A, dann haben wir eine kurze exakte Sequenz 0 → Z[S] → A → A/hSi → 0, wobei hSi die von S erzeugte Untergruppe von A bezeichnet. Aufgrund der Flachheit von Q, siehe Beispiel V.2.20, ist auch 0 → (Z[S]) ⊗ Q → A ⊗ Q → (A/hSi) ⊗ Q → 0, exakt, siehe Bemerkung V.1.17. Beachte, dass dies eine kurze exakte Sequenz von Q-Vektorräumen ist, siehe Bemerkung V.1.20. Wegen der Maximalität von S gilt A/hSi = (A/hSi)tor , und daher (A/hSi)⊗Q = 0.51 Weiters ist Z[S]⊗Q ∼ = Q[S] := L s∈S Q, siehe Bemerkung V.1.20. Wir erhalten daher einen Isomorphismus von Q-Vektorräumen Q[S] ∼ = A ⊗ Q und damit ♯S = dimQ (A ⊗ Q). Da die rechte Seite dieser Gleichung nicht von S abhängt, schließen wir, dass je zwei maximal linear unabhängige Teilmengen von A die gleiche Kardinalität haben.52 Weiters erhalten wir rank(A) = dimQ (A⊗Q), vgl. Bemerkung IV.4.2. Dasselbe Argument zeigt rank(A) = dimK (A ⊗ K) (V.7) für jeden Körper K mit Charakteristik 0, siehe Beispiel V.2.20. Auch der Beweis von Proposition IV.4.4 wird nun viel transparenter. Ist 0 → A → B → C → 0 eine kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen, dann folgt aus der Flachheit von 50Es gibt sehr wohl nicht-triviale abelsche Gruppen A mit A ⊗ Q = 0 und A ⊗ Zn = 0 für jedes n, etwa A := Q/Z. 51Allgemein folgt aus B = B tor sofort B ⊗ Q = 0, denn zu jedem b ∈ B existiert 0 6= m ∈ Z q q ) = mb ⊗ m = 0, für jedes q ∈ Q. mit mb = 0 und daher gilt b ⊗ q = b ⊗ (m m 52Wir führen daher die Wohldefiniertheit des Ranges einer abelschen Gruppe auf die Wohldefiniertheit der Dimension eines Vektorraums zurück, dh. wir verwenden an dieser Stelle, dass je zwei Basen eines Vektorraums gleiche Kardinalität haben. 198 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Q, dass 0 → A ⊗ Q → B ⊗ Q → C ⊗ Q → 0 eine kurze exakte Sequenz von Vektorräumen über Q ist. Mittels linearer Algebra schließen wir dimQ (A ⊗ Q) + dimQ (C ⊗ Q) = dimQ (B ⊗ Q), und damit rank(A) + rank(C) = rank(B). V.2.23. Bemerkung. Für einen kommutativen Ring mit Eins R und eine abelsche Gruppe A, ist Tor(A, R) in kanonischer Weise ein R-Modul. Dabei definieren wir die Skalarmultiplikation mit r ∈ R durch den von dem Gruppenhor momorphismus R − → R induzierten Homomorphismus Tor(idA , r) : Tor(A, R) → Tor(A, R). Aus der Funktorialität und Additivität von Tor folgt sofort, dass die Modulaxiome gelten. Der von einem Homomorphismus ϕ : A → A′ induzierte Homomorphismus ϕ∗ : Tor(A, R) → Tor(A′ , R) ist offensichtlich R-linear, wir erhalten daher einen Funktor Tor(−, R) : aGrp → ModR . Insbesondere ist Tor(A, K) ein K-Vektorraum, für jeden Körper K, und wir erhalten einen Funktor Tor(−, K) : aGrp → VspK . V.2.24. Proposition. Ist A eine endlich erzeugte abelsche Gruppe und K ein Körper, dann ist A ⊗ K ein endlich dimensionaler K-Vektorraum und dimK (A ⊗ K) = rank(A) + dimK (Tor(A, K)). Beweis. Beachte zunächst, dass die Aussage dieser Proposition mit der direkten Summe abelscher Gruppen verträglich ist. Genauer, ist die Proposition für zwei Gruppen A und A′ wahr, dann bleibt sie auch für A ⊕ A′ wahr, denn dimK ((A ⊕ A′ ) ⊗ K) = dimK (A ⊗ K) ⊕ (A′ ⊗ K) = dimK (A ⊗ K) + dimK (A ⊗ K), rank(A ⊕ A′ ) =rank(A) + rank(A′ ) und dimK (Tor(A ⊕ A′ , K)) = dimK Tor(A, K) ⊕ Tor(A′ , K) = dimK (Tor(A, K)) + dimK (Tor(A′ , K)). Nach dem Hauptsatz über endlich erzeugte abelsche Gruppen, siehe Satz IV.4.15, genügt es daher die Spezialfälle A = Z und A = Zn zu behandeln. Der erste Fall n ist trivial, sei also o.B.d.A. A = Zn . Die freie Auflösung 0 → Z − → Z → Zn → 0 liefert eine exakte Sequenz von K-Vektorräumen n 0 → Tor(Zn , K) → K − → K → Zn ⊗ K → 0. Mittels linearer Algebra schließen wir dimK (Tor(Zn , K)) = dimK (Zn ⊗ K). Da rank(Zn ) = 0 ist der Beweis nun vollständig. V.3. Das universelle Koeffiziententheorem. Ist (C∗ , ∂) ein Kettenkomplex und ist A eine abelsche Gruppe dann ist auch ∂q ⊗idA ∂q+1 ⊗idA · · · ← Cq−1 ⊗ A ←−−−− Cq ⊗ A ←−−−−− Cq+1 ⊗ A ← · · · ein Kettenkomlex, denn (∂ ⊗ idA )q ◦ (∂ ⊗ idA )q+1 = (∂q ⊗ idA ) ◦ (∂q+1 ⊗ idA ) = (∂q ◦ ∂q+1 ) ⊗ idA = 0 ⊗ idA = 0, siehe Bemerkung V.1.8. Wir bezeichnen diesen Kettenkomplex mit C ⊗ A, dh. (C ⊗ A)q := Cq ⊗ A, q ∈ Z. Für jede Kettenabbildung ϕ : C → C ′ ist auch ϕ ⊗ idA : C ⊗ A → C ′ ⊗ A eine Kettenabbildung, denn (∂ ′ ⊗idA )q ◦(ϕ⊗idA )q = (∂q′ ◦ϕq )⊗idA = (ϕq−1 ◦∂q )⊗idA = (ϕq−1 ⊗idA )◦(∂q ⊗idA ). Diese Konstruktion liefert offensichtlich einen Funktor − ⊗ A : Comp → Comp, V.3. DAS UNIVERSELLE KOEFFIZIENTENTHEOREM 199 wobei Comp die Kategorie der Kettenkomplexe und Kettenabbildungen bezeichnet. Ist α : A → A′ ein Homomorphismus abelscher Gruppen, dann ist auch idC ⊗α : C ⊗ A → C ⊗ A′ eine Kettenabbildung, wir können obige Konstruktion daher auch als Funktor ⊗ : Comp × aGrp → Comp betrachten. V.3.1. Bemerkung. Sind ϕ : C → C ′ und ψ : C → C ′ zwei homotope Kettenabbildungen, siehe Abschnitt IV.2, dann sind auch ϕ⊗idA : C⊗A → C ′ ⊗A und ψ ⊗ idA : C ⊗ A → C ′ ⊗ A kettenhomotop. Ist nämlich h : C∗ → C∗+1 eine Kettenhomotopie von ϕ nach ψ, dh. gilt ψ − ϕ = ∂ ′ ◦ h + h ◦ ∂, dann ist h ⊗ idA eine Kettenhomotopie von ϕ ⊗ idA nach ψ ⊗ idA , denn ψ ◦ idA −ϕ ⊗ idA = (ψ − ϕ) ⊗ idA = (∂ ′ ◦ h + h ◦ ∂) ⊗ id A = (∂ ′ ⊗ idA ) ◦ (h ⊗ idA ) + (h ⊗ idA ) ◦ (∂ ⊗ idA ), siehe Bemerkung V.2.7. Sind C und C ′ kettenhomotopieäquivalent, dann sind daher auch C ⊗ A und C ′ ⊗ A kettenhomotopieäquivalent. V.3.2. Bemerkung. Es sei R ein kommutativer Ring mit Eins. Unter einem Kettenkomplex über R verstehen wir einen Kettenkomplex (C∗ , ∂) wobei jedes Cq mit einer R-Modulstruktur ausgestattet ist für die ∂q : Cq → Cq−1 ein R-Modul Homomorphismus ist. Die Kettenkomplexe über einem fixen Ring R zusammen mit den R-linearen Kettenabbildungen bilden eine Kategorie die wir mit CompR bezeichnen. Für R = Z erhalten wir die gewöhnlichen Kettenkomplexe zurück, CompZ = Comp. Die Homologie eines Kettenkomplexes über R ist in natürlicher Weise ein graduierter R-Modul, dh. jede Homologiegruppe Hq (C) erbt eine R-Modulstruktur und die von R-linearen Kettenabbildungen induzierten Homomorphismen sind wieder R-linear. Für fixes R erhalten wir also einen HomologieR funktor H∗ (−) : CompR → ModR ∗ , wobei Mod∗ die Kategorie der graduierten R-Moduln bezeichnet. V.3.3. Satz (Universelles Koeffiziententheorem). Ist C ein freier Kettenkomplex und ist A eine abelsche Gruppe dann existiert eine natürliche kurze exakte Sequenz 0 → Hn (C) ⊗ A → Hn (C ⊗ A) → Tor(Hn−1 (C), A) → 0, (V.8) dh. für jede Kettenabbildung zwischen freien Kettenkomplexen ϕ : C → C ′ und jeden Homomorphismus abelscher Gruppen α : A → A′ kommutiert das Diagramm / 0 Hn (C) ⊗ A / Hn (C ⊗ A) ϕ∗ ⊗α 0 / Hn (C ′ ) ⊗ A′ / Tor(Hn−1 (C), A) / (ϕ⊗α)∗ Hn (C ′ ⊗ A′ ) / 0 / Tor(ϕ∗ ,α) Tor(Hn−1 (C ′ ), A′ ) / 0 Darüberhinaus, splittet die kurze exakte Sequenz (V.8), und es gilt daher (V.9) Hn (C ⊗ A) ∼ = (Hn (C) ⊗ A) ⊕ Tor(Hn−1 (C), A). Dieser Splitt kann nicht natürlich in C gewählt werden. Ist R = A ein kommutativer Ring mit Eins, dann ist (V.8) eine splittende kurze exakte Sequenz von 200 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN R-Moduln, der Splitt kann R-linear gewählt werden, und es existiert daher ein Isomorphismus von R-Moduln wie in (V.9). Beweis. Bezeichnen Zn := ker(∂n ) und Bn−1 := img(∂n−1 ), dann ist ∂ n 0 → Zn → Cn −→ Bn−1 → 0 (V.10) eine kurze exakte Sequenz. Als Untergruppe der freien abelschen Gruppe Cn−1 ist auch Bn−1 eine freie ablesche Gruppe, siehe Satz IV.4.12. Nach Proposition IV.4.9 splittet daher die kurze exakte Sequenz (V.10). Also ist auch ∂n ⊗id A 0 → Zn ⊗ A → Cn ⊗ A −−−−→ Bn−1 ⊗ A → 0 (V.11) eine splittende kurze exakte Sequenz, siehe Bemerkung V.1.15. Wir können dies als kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen auffassen: .. . .. . ∂n+1 ⊗idA 0 / 0 Zn ⊗ A / 0 / Zn−1 ⊗ A 0 Cn ⊗ A / Bn−1 ⊗ A ∂n ⊗idA 0 .. . / Cn−1 ⊗ A / Bn−2 ⊗ A / 0 0 .. . 0 0 ∂n−1 ⊗idA 0 / .. . .. . Der Einhängungshomomorphismus der entsprechenden langen exakten Sequenz, siehe Satz IV.3.1, stimmt offensichtlich mit in ⊗ idA : Bn ⊗ A → Zn ⊗ A überein, wobei in : Bn → Zn die kanonische Inklusion bezeichnet. Wir erhalten daher eine exakte Sequenz: in−1 ⊗idA in ⊗id A Bn ⊗ A −−−−→ Zn ⊗ A → Hn (C ⊗ A) → Bn−1 ⊗ A −−−−−→ Zn−1 ⊗ A (V.12) Nach Bemerkung V.2.10 liefert die kurze exakte Sequenz i eine exakte Sequenz n 0 → Bn − → Zn → Hn (C) → 0 in ⊗id A Zn ⊗ A → Hn (C) ⊗ A → 0. 0 → Tor(Hn (C), A) → Bn ⊗ A −−−−→ Wir schließen daraus ker(in ⊗ idA ) = Tor(Hn (C), A) und coker(in ⊗ idA ) = Hn (C) ⊗ A. Kombinieren wir dies mit (V.12) so erhalten wir die gewünschte kurze exakte Sequenz 0 → Hn (C) ⊗ A → Hn (C ⊗ A) → Tor(Hn−1 (C), A) → 0. (V.13) V.3. DAS UNIVERSELLE KOEFFIZIENTENTHEOREM 201 Die Natürlichkeit dieser Sequenz ist offensichtlich, jeder Schritt in ihrer Konstruktion war natürlich. Ist ρn : Cn → Zn ein Splitt von (V.10), so können wir diese ρ als Kettenabbildung (C∗ , ∂) − → H∗ (C), ∂ = 0 auffassen. Tensorieren mit A lie ρ⊗idA fert eine Kettenabbildung C ⊗ A −−−→ H∗ (C) ⊗ A, ∂ = 0 , und diese induziert Homomorphismen in der Homologie, Hn (C ⊗ A) → Hn (C) ⊗ A. Eine einfache Überlegung zeigt, dass dies tatsächlich ein Splitt von (V.13) ist. V.3.4. Korollar. Für einen freien Kettenkomplex C sind äquivalent: (i) H∗ (C) = 0. (ii) H∗ (C ⊗ A) = 0, für jede abelsche Gruppe A. (iii) H∗ (C ⊗ Q) = 0 und H∗ (C ⊗ Zp ) = 0, für jede Primzahl p. Beweis. Die Implikation (i)⇒(ii) folgt sofort aus Satz V.3.3 oben. Die Implikation (ii)⇒(iii) trivial. Es bleibt daher noch (iii)⇒(i) zu zeigen. Aus H∗ (C ⊗Q) = 0 und Satz V.3.3 erhalten wir Hn (C) ⊗ Q = 0, für jedes n. Wegen H∗ (C ⊗ Zp ) = 0 folgt mittels Satz V.3.3 auch Tor(Hn (C), Zp ) = 0, für jedes n und alle Primzahlen p. Nach Proposition V.2.21 muss daher Hn (C) = 0 gelten, für jedes n. V.3.5. Korollar. Für eine Kettenabbildung ϕ : C → C ′ zwischen freien Kettenkomplexen C und C ′ sind äquivalent: (i) ϕ∗ : H∗ (C) → H∗ (C ′ ) ist ein Isomorphismus. (ii) ϕ∗ : H∗ (C ⊗ A) → H∗ (C ′ ⊗ A) ist ein Isomorphismus, für jedes A. (iii) ϕ∗ : H∗ (C ⊗ Q) → H∗ (C ′ ⊗ Q) und ϕ∗ : H∗ (C ⊗ Zp ) → H∗ (C ′ ⊗ Zp ) sind Isomorphismen, für jede Primzahl p. Beweis. Betrachte den Abbildungskegel Cϕ aus Beispiel IV.2.7. Nach Proposition IV.3.9 ist (i) zu H∗ (Cϕ ) = 0 äquivalent. Ein Blick auf die Definition des Abbildungskegels zeigt Cϕ⊗idA = Cϕ ⊗ A. Daher ist (ii) zu H∗ (Cϕ ⊗ A) = 0 für jede abelsche Gruppe A, äquivalent. Ebenso ist (iii) zu H∗ (Cϕ ⊗ Q) = 0 und H∗ (Cϕ ⊗ Zp ) = 0 für jede Primzahl p, äquivalent. Das Korollar folgt daher unmittelbar aus Korollar V.3.4, denn auch Cϕ ist ein freier Kettenkomplex. V.3.6. Bemerkung. Es sei C ein freier Kettenkomplex. Für flache abelsche Gruppen A verschwindet der Torsionsterm in Satz V.3.3 und wir erhalten daher einen natürlichen Isomorphismus Hn (C)⊗A = Hn (C ⊗A). Insbesondere erhalten wir für jeden Körper K mit Charakteristik 0 Hq (C) ⊗ K = Hq (C ⊗ K), (V.14) bq (C) = dimK (Hq (C ⊗ K)). (V.15) siehe Beispiel V.2.20, und damit auch, siehe (V.7) und Definition IV.4.18, Hat C endlich erzeugte Homologie, dann ist H∗ (C ⊗ K) also endlich dimensional, und es gilt X χ(C) = (−1)q dimK (Hq (C ⊗ K)). q 202 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Hat K positive Charakteristik, dann verlieren (V.14) und (V.15) i.A. ihre Gültigkeit, vgl. Proposition V.2.24, die Formel für die Euler Charakteristik bleibt jedoch richtig. V.3.7. Korollar. Es sei C ein freier Kettenkomplex mit endlich erzeugter Homologie und K ein Körper beliebiger Charakteristik. Dann ist H∗ (C ⊗ K) endlich dimensional und es gilt X χ(C) = (−1)q dimK (Hq (C ⊗ K)). q Beweis. Aus Satz V.3.3 erhalten wir dimK (Hq (C ⊗ K)) = dimK Hq (C) ⊗ K) + dimK Tor(Hq−1 (C), K) . Nach Proposition V.2.24 gilt dimK Hq (C) ⊗ K) = bq (C) + dimK Tor(Hq (C), K) . Kombination dieser beiden Gleichungen ergibt dimK (Hq (C ⊗ K)) = bq (C) + dimK Tor(Hq (C), K) + dimK Tor(Hq−1 (C), K) . P P Es folgt daher q (−1)q dimK (Hq (C ⊗ K)) = q (−1)q bq (C) = χ(C). V.4. Singuläre Homologie mit Koeffizienten. Sei nun G eine abelsche Gruppe. Für jeden topologischen Raum X definieren wir den singulären Kettenkomplex von X mit Koeffizienten in G durch C∗ (X; G) := C∗ (X) ⊗ G. Jede stetige Abbildung f : X → Y induziert eine Kettenabbildung f♯ ⊗ idG : C∗ (X; G) → C∗ (Y ; G). Für jede weitere stetige Abbildung g : Y → Z gilt offensichtlich (g ◦ f )♯ ⊗ idG = (g♯ ⊗ idG ) ◦ (f♯ ⊗ idG ) : C∗ (X; G) → C∗ (Z; G) sowie (idX )♯ ⊗ idG = idC∗ (X;G) . Für fixes G erhalten wir daher einen Funktor C∗ (−; G) von der Kategorie der topologischen Räume in die Kategorie der Kettenkomplexe. Unter der q-ten Homologiegruppe von X mit Koeffizienten in G verstehen wir Hq (X; G) := Hq (C∗ (X; G)). Die Kettenabbildung f♯ ⊗ idG : C∗ (X; G) → C∗ (Y ; G) induziert einen Homomorphismus f∗ : H∗ (X; G) → H∗ (Y ; G) und es gilt (g ◦ f )∗ = g∗ ◦ f∗ : H∗ (X; G) → H∗ (Z; G) sowie (idX )∗ = idH∗ (X;G) für jede weitere stetige Abbildung g : Y → Z. Wir erhalten daher einen Funktor H∗ (−; G) : Top → aGrp∗ von der Kategorie der topologischen Räume in die Kategorie der graduierten abelschen Gruppen. Dieser Funktor wird der singuläre Homologiefunktor mit Koeffizienten in G genannt. Dies lässt sich in offensichtlicher Weise auf Paare topologischer Räume ausdehnen. Wir definieren den singulären Kettenkomplex eines Paares (X, A) mit Koeffizienten in G durch C∗ (X, A; G) := C∗ (X, A) ⊗ G. Da die kurze exakte Sequenz 0 → Cq (A) → Cq (X) → Cq (X, A) → 0 splittet, ist auch 0 → Cq (A) ⊗ G → Cq (X) ⊗ G → Cq (X, A) ⊗ G → 0 V.4. SINGULÄRE HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN 203 eine (splittende) kurze exakte Sequenz, siehe Bemerkung V.1.15. Wir können daher C∗ (A; G) als Teilkomplex von C∗ (X; G) auffassen und erhalten die Darstellung C∗ (X, A; G) = C∗ (X; G)/C∗ (A; G). Unter der q-ten relativen Homologiegruppe von (X, A) mit Koeffizienten in G verstehen wir Hq (X, A; G) := Hq (C∗ (X, A; G)). Jede Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) induziert einen Homomorphismus f∗ : H∗ (X, A; G) → H∗ (Y, B; G). Gelegentlich schreiben wir auch H∗ (f ; G) : H∗ (X, A; G) → H∗ (Y, B; G). Für jede weiter Abbildung von Paaren g : (Y, B) → (Z, C) gilt (g ◦ f )∗ = g∗ ◦ f∗ , sowie (id(X,A) )∗ = idH∗ (X,A;G) . Wir halten diese Beobachtungen in folgender Proposition fest. V.4.1. Proposition. Singuläre Homologie mit Koeffizienten in einer abelschen Gruppe G definiert einen kovarianten Funktor H∗ (−; G) : Top2 → aGrp∗ von der Kategorie der Paare topologischer Räume in die Kategorie der graduierten abelschen Gruppen. Dabei wird einer Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) der Homomorphismus f∗ : H∗ (X, A; G) → H∗ (Y, B; G) zugeordnet. V.4.2. Bemerkung. Für jedes Paar (X, A) gilt C∗ (X, A; Z) = C∗ (X, A) und daher H∗ (X, A; Z) = H∗ (X, A). Die Funktoren H∗ (−; G) aus Proposition V.4.1 können daher als Verallgemeinerungen des Funktors H∗ (−) aus Kapitel IV verstanden werden. V.4.3. Bemerkung. Für jeden topologischen Raum X und jede abelsche Gruppe G gilt C∗ (X, ∅; G) = C∗ (X; G) und daher H∗ (X, ∅; G) = H∗ (X; G). V.4.4. Bemerkung. Jeder Homomorphismus abelscher Gruppen ϕ : G → G′ induziert eine Kettenabbildung idC∗ (X,A) ⊗ϕ : C∗ (X, A; G) → C∗ (X, A; G′ ). Für jeden weiteren Homomorphismus abelscher Gruppen ϕ′ : G′ → G′′ gilt offensichtlich idC∗ (X,A) ⊗(ϕ′ ◦ ϕ) = (idC∗ (X,A) ⊗ϕ′ ) ◦ (idC∗ (X,A) ⊗ϕ) sowie idC∗ (X,A) ⊗ idG = idC∗ (X,A;G) . Die Kettenabbildung idC∗ (X,A) ⊗ϕ : C∗ (X, A; G) → C∗ (X, A; G′ ) induziert einen Homomorphismus ϕ∗ : H∗ (X, A; G) → H∗ (X, A; G′ ) für den wir gelegentlich auch Hq (X, A; ϕ) : Hq (X, A; G) → Hq (X, A; G′ ) schreiben. Aus obigen Betrachtungen folgt sofort (ϕ′ ◦ϕ)∗ = ϕ′∗ ◦ϕ∗ : H∗ (X, A; G) → H∗ (X, A; G′′ ) sowie (idG )∗ = idH∗ (X,A;G) . Für ein fixes Paar (X, A) erhalten wir daher einen Funktor H∗ (X, A; −) : aGrp → aGrp∗ von der Kategorie der abelschen Gruppen in die Kategorie der graduierten abelschen ϕ∗ / H∗ (X, A; G′ ) Gruppen. Für jede Abbildung von Paaren H∗ (X, A; G) f : (X, A) → (Y, B) gilt darüber hinaus f∗ f∗ f∗ ◦ ϕ∗ = ϕ∗ ◦ f∗ , dh. nebenstehendes Dia ϕ∗ gramm kommutiert. Dies bedeutet gerade, / H∗ (Y, B; G′ ) H∗ (Y, B; G) dass der Homologiefunktor als Bifunktor aufgefasst werden kann, H∗ (−; −) : Top2 ×aGrp → aGrp∗ . Wir schreiben in diesem Zusammenhang auch H∗ (f, ϕ) := ϕ∗ ◦ f∗ = f∗ ◦ ϕ∗ : H∗ (X, A; G) → (Y, B; G′ ). V.4.5. Bemerkung. Ist R ein kommutativer Ring, dann ist C∗ (X, A; R) ein Kettenkomplex von R-Moduln, dh. das Differential in C∗ (X, A; R) ist R-linear. 204 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Auch ist die von einer Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) induzierte Kettenabbildung R-linear. Es sind dann auch die Homologiegruppen H∗ (X, A; R) Moduln über R, und der von einer Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) induzierte Homomorphismus f∗ : H∗ (X, A; R) → H∗ (Y, B; R) ist R-linear. Für einen fixen kommutativen Ring R können wir den Homologiefunktor daher als Funktor H∗ (−; R) : Top2 → ModR ∗ von der Kategorie der Paare topologischer Räume in die Kategorie der graduierten R-Moduln auffassen. Insbesondere erhalten wir für jeden Körper K einen Funktor H∗ (−; K) : Top2 → VspK ∗ von der Kategorie der Paare topologischer Räume in die Kategorie graduierter KVektorräume. Vor allem die Körper Q und Zp , p eine Primzahl, spielen in der algebraischen Topologie eine wichtige Rolle, vgl. die Korollare V.4.7 und V.4.8 unten. Aber auch die Körper R und C sind oft anzutreffen, vor Allem ihm Zusammenhang mit Analysis auf glatten Mannigfaltigkeiten. V.4.6. Satz (Universelles Koeffiziententheorem). Ist (X, A) ein Paar von Räumen und G eine abelsche Gruppe dann existiert eine natürliche kurze exakte Sequenz 0 → Hn (X, A) ⊗ G → Hn (X, A; G) → Tor Hn−1 (X, A), G → 0, (V.16) dh. für jede Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) und jeden Homomorphismus abelscher Gruppen ϕ : G → G′ kommutiert das folgende Diagramm: / Hn (X, A) ⊗ G / Hn (X, A; G) / Tor Hn−1 (X, A); G /0 0 f∗ ⊗ϕ 0 / Hn (Y, B) ⊗ G′ / Hn (f,ϕ) Hn (Y, B; G′ ) Tor(f∗ ,ϕ) / Tor Hn−1 (Y, B); G′ / 0 Darüberhinaus splittet die kurze exakte Sequenz (V.16) und es gilt daher (V.17) Hn (X, A; G) ∼ = Hn (X, A) ⊗ G ⊕ Tor Hn−1 (X, A), G . Dieser Splitt kann nicht natürlich in (X, A) gewählt werden. Ist G = R ein kommutativer Ring, dann ist (V.16) eine splittende kurze exakte Sequenz von R-Moduln, dh. der Splitt kann R-linear gewählt werden und es gibt daher einen Isomorphismus von R-Moduln wie in (V.17). Beweis. Dies folgt aus Satz V.3.3 angewandt auf den singuläre Kettenkomplex C∗ (X, A). Beachte, dass dies ein freier Kettenkomplex ist. V.4.7. Korollar. Für ein Paar von Räumen (X, A) sind äquivalent: (i) H∗ (X, A) = 0. (ii) H∗ (X, A; G) = 0, für jede abelsche Gruppe G. (iii) H∗ (X, A; Q) = 0 und H∗ (X, A; Zp ) = 0, für jede Primzahl p. Beweis. Dies folgt aus Korollar V.3.4, denn C∗ (X, A) ist ein freier Kettenkomplex. V.4. SINGULÄRE HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN 205 V.4.8. Korollar. Für eine Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) sind äquivalent: (i) f∗ : H∗ (X, A) → H∗ (Y, B) ist ein Isomorphismus. (ii) f∗ : H∗ (X, A; G) → H∗ (Y, B; G) ist ein Isomorphismus, für jedes G. (iii) f∗ : H∗ (X, A; Q) → H∗ (Y, B; Q) und f∗ : H∗ (X, A; Zp ) → H∗ (Y, B; Zp ) sind Isomorphismen, für jede Primzahl p. Beweis. Dies folgt aus Korollar V.3.5, denn C∗ (X, A) ist frei. V.4.9. Bemerkung. Für flache abelsche Gruppen G verschwindet der Torsionsterm in Satz V.4.6 und wir erhalten daher einen natürlichen Isomorphismus H∗ (X, A) ⊗ G = H∗ (X, A; G). Insbesondere haben wir für jeden Körper K mit Charakteristik 0 einen Isomorphismus graduierter K-Vektorräume H∗ (X, A; K) = H∗ (X, A) ⊗ K, (V.18) und damit auch, siehe (V.7), bq (X, A) = dimK (Hq (X, A; K)). (V.19) Hat (X, A) endlich erzeugte Homologie, dann ist H∗ (X, A; K) also endlich dimensional, und es gilt X χ(X, A) = (−1)q dimK (Hq (X, A; K)). (V.20) q Hat K positive Charakteristik, dann verlieren (V.18) und (V.19) i.A. ihre Gültigkeit, die Formel für die Euler Charakteristik bleibt jedoch richtig, siehe Korollar V.3.7. V.4.10. Bemerkung. Aus Satz V.4.6 erhalten wir sofort H0 (X, A; G) = H0 (X, A) ⊗ G sowie H1 (X, A; G) = H1 (X, A) ⊗ G, denn H0 (X, A) ist stets frei abelsch. V.4.11. Beispiel. Ist X kontrahierbar, dann gilt ( G falls q = 0 Hq (X; G) = Hq (X) ⊗ G ∼ = 0 falls q = 6 0. für jede abelsche Gruppe G. Wir definieren die reduzierte Homologie mit Koeffizienten in G durch H̃q (X; G) := ker c∗ : Hq (X; G) → Hq ({∗}; G) wobei c : X → {∗} die konstante Abbildung in den einpunktigen Raum bezeichnet. Mit Beispiel V.4.11 folgt H̃q (X; G) = Hq (X; G) falls q 6= 0, und H0 (X; G) = H̃0 (X; G) ⊕ G für X 6= ∅. Ist X kontrahierbar dann gilt daher H̃∗ (X; G) = 0 für jede abelsche Gruppe G. 206 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN V.4.12. Beispiel. Für jede abelsche Gruppe G gilt ( G falls q = n H̃q (S n ; G) = H̃q (S n ) ⊗ G ∼ = 0 falls q = 6 n Dies folgt aus Satz IV.9.5 und Satz V.4.6. Für stetiges f : S n → S n ist der induzierte Homomorphismus f∗ : H̃n (S n ; G) → H̃n (S n ; G) durch Multiplikation mit dem Abbildungsgrad gegeben. Dies folgt aus der Natürlichkeitsaussage in Satz V.4.6. Weiters gilt ( G falls q = 0 oder q = n n n Hq (S ; G) = Hq (S ) ⊗ G ∼ = 0 sonst wobei dies im Fall n = 0 als H0 (S 0 ; G) = G ⊕ G zu lesen ist. V.4.13. Beispiel. Für n ≥ 0 und jede abelsche Gruppe G gilt ( G falls q = 0, 2, 4, . . . , 2n Hq (CPn ; G) = Hq (CPn ) ⊗ G ∼ = 0 sonst und die kanonische Inklusion CPn−1 → CPn , n ≥ 1, induziert einen Isomorphis∼ = → Hq (CPn ; G) für alle q 6= 2n. Dies folgt aus Beispiel IV.9.15 mus Hq (CPn−1 ; G) − und Satz V.4.6. Ebenso gilt, siehe Beispiel IV.9.16, ( G falls q = 0, 4, 8, . . . , 4n Hq (HPn ; G) = Hq (HPn ) ⊗ G ∼ = 0 sonst und die kanonische Inklusion HPn−1 → HPn , n ≥ 1, induziert einen Isomorphis∼ = → Hq (HPn ; G), für alle q 6= 4n. Aus Proposition V.4.14 unten mus Hq (HPn−1 ; G) − und Satz V.4.6 erhalten wir ( Z2 falls 0 ≤ q ≤ n Hq (RPn ; Z2 ) ∼ = 0 sonst denn Z ⊗ Z2 ∼ = Z2 ⊗ Z2 ∼ = Tor(Z2 , Z2 ) ∼ = Z2 und Tor(Z, Z2 ) = 0, vgl. die Bemerkungen V.1.6, V.2.12 und V.1.5 sowie (V.5). Die kanonische Inklusion ι : ∼ = RPn−1 → RPn , n ≥ 1, induziert Isomorphismen Hq (RPn−1 ; Z2 ) − → Hq (RPn ; Z2 ) für alle q 6= n, denn wegen der Natürlichkeit der kurzen exakten Sequenz in Satz V.4.6 haben wir ein kommutatives Diagramm 0 / Hq (RPn−1 ) ⊗ Z2 / Hq (RPn−1 ; Z2 ) ι∗ ⊗idZ2 0 / Hq (RPn ) ⊗ Z2 / Tor Hq−1 (RPn−1 ), Z2 ι∗ / Hq (RPn ; Z2 ) Tor(ι∗ ,idZ2 ) / Tor Hq−1 (RPn ), Z2 /0 /0 indem, für q < n, die beiden äußeren vertikalen Pfeile Isomorphsimen sind, vgl. Proposition V.4.14. Die kanonische Projektion S n → RPn induziert triviale Homomorphismen Hq (S n ; Z2 ) → Hq (RPn ; Z2 ) für alle q 6= 0. Auch dies folgt mithilfe V.4. SINGULÄRE HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN 207 der Natütlichkeitsaussage in Satz V.4.6 aus der letzten Behauptung in Proposition V.4.14 unten. V.4.14. Proposition. Für n ≥ 0 gilt Z falls q = 0 Z falls 0 < q < n und q ungerade 2 ∼ Hq (RPn ) = Z falls q = n ungerade 0 sonst Der von der kanonische Inklusion RPn−1 → RPn , n ≥ 1, induzierte Homomorphismus Hq (RPn−1 ) → Hq (RPn ) ist ein Isomorphismus falls q 6= n, n − 1, und eine Surjektion falls q = n − 1. Für ungerades n bildet der von der kanonischen Projektion S n → RPn induzierte Homomorphismus Hn (S n ) → Hn (RPn ) einen Erzeuger von Hn (S n ) ∼ = Z ab. = Z auf das Doppelte eines Erzeugers in Hn (RPn ) ∼ Beweis. Wir beweisen die gesamte Aussage der Proposition mittels Induktion nach n. Der Induktionsbeginn n = 0 ist trivial, denn RP0 ∼ = {∗}. Für den Induktionsschritt sei nun n ≥ 1. Wir erinnern uns, dass RPn aus RPn−1 durch Ankleben einer n-Zelle entsteht, dh. RPn ∼ = RPn−1 ∪p D n , wobei p : n−1 n−1 S → RP die kanonische Projektion bezeichnet, siehe Abschnitt I.5. Nach Beispiel IV.9.14 induziert die kanonische Inklusion ι : RPn−1 → RPn Isomorphis∼ = → H̃q (RPn ) für q 6= n, n − 1, und wir erhalten eine exakte men ι∗ : H̃q (RPn−1 ) − Sequenz δ p∗ ι ∗ 0 → H̃n (RPn ) − → H̃n−1 (S n−1 ) − → H̃n−1 (RPn−1 ) − → H̃n−1 (RPn ) → 0 (V.21) denn nach Induktionsvoraussetzung gilt H̃n (RPn−1 ) = 0.53 Daher ist auch ι∗ : H̃n−1 (RPn−1 ) → H̃n−1 (RPn ) surjektiv. Für gerades n gilt nach Induktionsvoraussetzung H̃n−1 (RPn−1 ) ∼ = Z, und p∗ : H̃n−1 (S n−1 ) → H̃n−1 (RPn−1 ) bildet einen Erzeuger von H̃n−1 (S n−1 ) auf das Doppelte eines Erzeugers von H̃n−1 (RPn−1 ) ab. Aus der Exaktheit von (V.21) folgt daher H̃n (RPn ) = 0 und H̃n−1 (RPn−1 ) ∼ = Z2 , womit der Induktionsschritt für gerades n gezeigt wäre. Sei nun n ungerade. Nach Induktiosvoraussetzung gilt H̃n−1 (RPn−1 ) = 0, aus der Exaktheit von (V.21) folgt daher H̃n (RPn ) ∼ = Z und = H̃n−1 (S n−1 ) ∼ n H̃n−1 (RP ) = 0. Es bleibt also bloß noch zu zeigen, dass der von der kanonischen Projektion induzierte Homomorphis/ H̃ (S n /S −1 ) mus H̃n (S n ) → H̃n (RPn ) einen Erzeuger von H̃n (S n ) n n ∼ H̃n (S ) = Z auf das Doppelte eines Erzeugers von H̃n (RPn ) ∼ = Z abbildet. Diese Pro ∼ = / n n jektion induziert nebenstehendes kommutaH̃n (RP ) H̃n (RP /RPn−1 ) tives Diagramm. Nach Korollar IV.9.3 ist der 53Um lästige Fallunterscheidungen zu vermeiden arbeiten wir durchgehend mit reduzierter Homologie, der Übergang zur absoluten Homologie ist dann trivial. 208 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN untere horizontale Pfeil ein Isomorphismus, denn es gilt H̃n (RPn−1 ) = 0 = H̃n−1 (RPn−1 ). Nach Lemma V.4.15 unten, und weil (−1)n+1 = 1, bildet die Komposition des oberen mit dem rechten Pfeil einen Erzeuger von H̃n (S n ) auf das Doppelte eines Erzeugers von H̃n (RPn /RPn−1 ) ab. Damit ist der Beweis der Proposition vollständig. V.4.15. Lemma. Es sei n ≥ 1 und es bezeichne A : S n /S n−1 → S n /S n−1 die von der Antipodalabbildung induzierte Abbildung. Weiters sei x ∈ Hn (S n /S n−1 ) n das Bild eines Erzeugers von Hn (D+ /S n−1 ) ∼ = Z unter dem von der Inklusion n n n der oberen Hemisphäre D+ ⊆ S induzierten Homomorphismus Hn (D+ /S n−1 ) → Hn (S n /S n−1 ). Dann gilt: (i) {x, A∗ x} bildet eine Basis von Hn (S n /S n−1) ∼ = Z2 . n (ii) Der von der kanonischen Projektion S → S n /S n−1 induzierte Homomorphismus Hn (S n ) → Hn (S n /S n−1) bildet einen Erzeuger der Gruppe Hn (S n ) ∼ = Z auf ± x + (−1)n+1 A∗ x ab. (iii) Der von der kanonischen Projektion S n → RPn induzierte Homomorphismus Hn (S n /S n−1 ) → Hn (RPn /RPn−1 ) bildet x und A∗ x auf denselben Erzeuger von Hn (RPn /RPn−1 ) ∼ = Z ab. n Beweis. Die Inklusionen der beiden Hemisphären D± ⊆ S n induzieren einen n n Homöomorphismus D+ /S n−1 ∨ D− /S n−1 ∼ = S n /S n−1 , und dieser induziert einen Isomorphismus ∼ = n n → Hn (S n /S n−1), Hn (D+ /S n−1 ) ⊕ Hn (D− /S n−1 ) − (V.22) siehe Beispiel IV.9.11. Da obiger Homöomorphismus mit der Antipodalabbildung kommutiert folgt sofort die Behauptung (i). Für die zweite Behauptung beobachn n ten wir, dass die Kompositionen S n /S n−1 → S n /D∓ = D± /S n−1 einen Isomorphismus ∼ = n n Hn (S n /S n−1 ) − → Hn (D+ /S n−1) ⊕ Hn (D− /S n−1), π induzieren, der invers zu (V.22) ist. Da die Kompositionen S n − → S n /S n−1 → n n n n−1 S /D∓ = D± /S Homotopieäquivalenzen sind, bilden sie einen Erzeuger z ∈ n n /S n−1 ) ab. Aus obigen Überlegungen Hn (S ) auf einen Erzeuger von Hn (D± schließen wir nun π∗ z = ±x ± A∗ x ∈ Hn (S n /S n−1 ). Da π mit der Antipodalabbiln+1 dung kommutiert erhalten wir aus Satz IV.12.11(vi) weiters A A∗ z. ∗ π∗ z = (−1) 2 n+1 Zusammen mit A = id folgt nun π∗ z = ± x + (−1) A∗ x . Damit ist auch Bep n hauptung (ii) gezeigt. Da die Komposition D+ /S n−1 → S n /S n−1 − → RPn /RPn−1 ein Homöomorphismus ist, siehe Abschnitt I.5, ist p∗ x tatsächlich ein Erzeuger von Hn (RPn /RPn−1 ). Wegen p ◦ A = p wird A∗ x auf denselben Erzeuger abgebildet. Damit ist auch (iii) gezeigt. Wir wollen nun die wichtigsten Eigenschaften des Homologiefunktors aus Kapitel IV auf den Fall beliebiger Koeffizientengruppen verallgemeinern. Wir beschränken uns auf jene Resultate die wir später verwenden werden. V.4. SINGULÄRE HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN 209 V.4.16. Proposition (Additivität). Sind (Xλ , Aλ ), λ ∈ Λ, F Paare von F Räume, ′, ′ dann induzieren die kanonischen Inklusionen (Xλ , Aλ ) → X A λ λ λ∈Λ λ∈Λ für jede abelsche Gruppe G einen Isomorphismus L F F ∼ λ∈Λ H∗ (Xλ , Aλ ; G) = H∗ λ′ ∈Λ Xλ , λ′ ∈Λ Aλ ; G . F L Beweis. Offensichtlich gilt C∗ λ∈Λ Xλ = λ∈Λ C∗ (Xλ ) und daher auch F L C∗ λ∈Λ Aλ = λ∈ΛC∗ (Aλ ), vgl. den Beweis von Proposition IV.5.15. Es folgt F F L C∗ λ∈Λ Xλ , λ∈Λ Aλ = λ∈Λ C∗ (Xλ , Aλ ) und daher, siehe Bemerkung V.1.9, F F L C∗ λ∈Λ Xλ , λ∈Λ Aλ ; ⊗ G = λ∈Λ C∗ (Xλ , Aλ ) ⊗ G . Mittels Proposition IV.1.4 folgt nun die Behauptung. V.4.17. Proposition (Homotopieinvarianz). Je zwei homotope Abbildungen von Paaren f ≃ g : (X, A) → (Y, B) induzieren denselben Homomorphismus in der Homologie f∗ = g∗ : H∗ (X, A; G) → H∗ (Y, B; G) für jede abelsche Gruppe G. Beweis. Nach Satz IV.7.4 gilt f♯ ≃ g♯ : C∗ (X, A) → C∗ (Y, B). Mittels Bemerkung V.3.1 erhalten wir f♯ ⊗ idG ≃ g♯ ⊗ idG : C∗ (X, A; G) → C∗ (Y, B; G), woraus sofort f∗ = g∗ : H∗ (X, A; G) → H∗ (Y, B; G) folgt. V.4.18. Proposition (Excision). Es sei (X, A) ein Paar von Räumen und Z ⊆ A eine Teilmenge, sodass Z̄ ⊆ Å. Dann induziert die kanonische Inklusion ∼ = (X \Z, A\Z) → (X, A) einen Isomorphismus H∗ (X \Z, A\Z; G) − → H∗ (X, A; G), für jede abelsche Gruppe G. Beweis. Nach Satz IV.9.1 induziert die Inklusion ι : (X \ Z, A \ Z) → (X, A) eine Kettenhomotopieäquivalenz ι♯ : C∗ (X \ Z, A \ Z) ≃ C∗ (X, A). Tensorieren mit G liefert eine Kettenhomotopieäquivalenz ι♯ ⊗ idG : C∗ (X \ Z, A \ Z; G) ≃ C∗ (X, A; G), siehe Bemerkung V.3.1. Daher induziert ι♯ ⊗idG einen Isomorphimus in der Homologie. Einen alternativen Beweis erhalten wir durch Kombination von Satz IV.9.1 mit Korollar V.4.8. V.4.19. Proposition. Es sei A ⊆ X eine nicht-leere abgeschlossene Teilmenge. Weiters existiere eine Umgebung U von A, sodass A Deformationsretrakt von U ist. Dann induziert die Projektion p : (X, A) → (X/A, A/A) einen Isomorphismus H∗ (X, A; G) ∼ = H∗ (X/A, A/A; G) für jede abelsche Gruppe G. Beweis. Dies folgt aus Korollar IV.9.2 und Korollar V.4.8. V.4.20. Proposition (Lange exakte Sequenz eines Tripels). Es sei G eine abelsche Gruppe. Jedes Tripel von Räumen (X, A, B) induziert eine lange exakte Sequenz von Homologiegruppen: δq+1 j∗ ι ∗ · · · → Hq+1 (X, A; G) −−→ Hq (A, B; G) − → → Hq (X, B; G) − j∗ δq → Hq−1 (A, B; G) → · · · − → Hq (X, A; G) − 210 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Dabei bezeichnen ι : (A, B) → (X, B) und j : (X, B) → (X, A) die kanonischen Inklusionen. Diese Sequenz ist natürlich, dh. das Diagramm / Hq+1 (X1 , A1 ; G1 ) δq+1 / / Hq+1 (X2 , A2 ; G2 ) / δq+1 / / / Hq (f,ϕ) / δq Hq (X1 , A1 ; G1 ) Hq (f,ϕ) ι∗ Hq (A2 , B2 ; G2 ) j∗ Hq (X1 , B1 ; G1 ) Hq (f |A1 ,ϕ) Hq+1 (f,ϕ) ι∗ Hq (A1 , B1 ; G1 ) j∗ Hq (X2 , B2 ; G2 ) / δq Hq (X2 , A2 ; G2 ) / kommutiert für jede Abbildung von Tripel f : (X1 , A1 , B1 ) → (X2 , A2 , B2 ) und jeden Homomorphismus abelscher Gruppen ϕ : G1 → G2 . Beweis. Da C∗ (X, A) ein freier Kettenkomplex ist, splittet die kurze exakte Sequenz j♯ ι♯ → Cq (X, A) → 0. → Cq (X, B) − 0 → Cq (A, B) − Durch tensorieren mit G erhalten wir daher eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen, siehe Bemerkung V.1.15, ι♯ ⊗idG j♯ ⊗idG 0 → C∗ (A, B; G) −−−−→ C∗ (X, B; G) −−−−→ C∗ (X, A; G) → 0. Klarerweise ist diese Sequenz natürlich, dh. das Diagramm 0 C∗ (A1 , B1 ; G1 ) / ι♯ ⊗idG1 / C∗ (X1 , B1 ; G1 ) 0 / C∗ (A2 , B2 ; G2 ) / C∗ (X1 , A1 ; G1 ) f♯ ⊗ϕ (f |A )♯ ⊗ϕ j♯ ⊗idG1 ι♯ ⊗idG2 / / 0 / 0 f♯ ⊗ϕ j♯ ⊗idG2 C∗ (X2 , B2 ; G2 ) / C∗ (X2 , A2 ; G2 ) kommutiert. Die Proposition folgt daher aus Satz IV.3.1. V.4.21. Proposition (Lange exakte Sequenz eines Paares). Es sei G eine abelsche Gruppe. Jedes Paar von Räumen (X, A) induziert eine lange exakte Sequenz von Homologiegruppen δq+1 δq ι ∗ · · · → Hq+1 (X, A; G) −−→ Hq (A; G) − → Hq (X; G) → Hq (X, A; G) − → ··· wobei ι : A → X die kanonische Inklusion bezeichnet. Diese Sequenz ist natürlich, dh. das Diagramm / ··· Hq+1 (X, A; G) δq+1 / Hq (A; G) Hq+1 (f,ϕ) ··· / Hq+1 (Y, B; G′ ) δq+1 ι∗ / / Hq (f |A ,ϕ) Hq (B; G′ ) ι∗ / Hq (X; G) Hq (X, A; G) / Hq (f,ϕ) Hq (Y ; G′ ) δq / ··· / Hq (f,ϕ) Hq (Y, B; G′ ) δq / ··· kommutiert für jede Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) und jeden Homomorphismus abelscher Gruppen ϕ : G → G′ . Beweis. Dies folgt sofort aus Proposition V.4.20 angewandt auf das Tripel (X, A, ∅), siehe auch Bemerkung V.4.3. V.4. SINGULÄRE HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN 211 V.4.22. Bemerkung. Auch Bemerkung IV.6.15 bleibt sinngemäß richtig. Ist (X, A, B) ein Tripel von Räumen, dann stimmt der Einhängungshomomorphismus δ (X,A,B) : Hq (X, A; G) → Hq−1 (A, B; G) in Proposition V.4.20 mit der Komposition δ(X,A) i ∗ Hq (X, A; G) −−−→ Hq−1 (A; G) = Hq−1 (A, ∅; G) − → Hq−1 (A, B; G) überein. Dabei bezeichnet i : (A, ∅) → (A, B) die kanonische Inklusion und δ (X,A) den Einhängungshomomorphismus aus Proposition V.4.21. V.4.23. Proposition (Mayer–Vietoris Sequenz). Es seien G eine abelsche Gruppe, X ein topologischer Raum und U, V ⊆ X zwei Teilmengen, sodass X = Ů ∪ V̊ . Dann existiert eine natürliche lange exakte Seqeunz (j U ,−j V ) ιU +ιV ∗ ∗ · · · → Hq (U ∩ V ; G) −−∗−−− → Hq (U; G) ⊕ Hq (V ; G) −∗−−→ ιU +ιV δq ∗ −∗−−→ Hq (X; G) − → Hq−1 (U ∩ V ; G) → · · · Dabei bezeichnen ιU : U → X, ιV : V → X, j U : U ∩ V → U und j V : U ∩ V → V die kanonischen Inklusionen. Beweis. Betrachte U := {U, V }. Wir erinnern uns an die kurze exakte Sequenz, siehe (IV.42), V ιU ♯ +ι♯ (j♯U ,−j♯V ) 0 → C∗ (U ∩ V ) −−−−−→ C∗ (U) ⊕ C∗ (V ) −−−→ C∗U (X) → 0. Da dies Sequenz splittet erhalten wir durch Tensorieren mit G eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen V ιU ♯ +ι♯ (j♯U ,−j♯V ) 0 → C∗ (U ∩ V ; G) −−−−−→ C∗ (U; G) ⊕ C∗ (V ; G) −−−→ C∗U (X) ⊗ G → 0. Nach Satz IV.8.9 ist die Inklusion C∗U (X) → C∗ (X) eine Kettenhomotopieäquivalenz. Daher ist auch C∗U (X) ⊗ G → C∗ (X) ⊗ G = C∗ (X; G) eine Kettenhomotopieäquivalenz, siehe Bemerkung V.3.1, und induziert also einen Isomorphismus in der Homologie. Aus Satz IV.3.1 erhalten wir nun die gewünschte lange exakte Mayer–Vietoris Sequenz. V.4.24. Bemerkung. Ist G = R ein kommutativer Ring, dann sind die langen exakten Sequenzen in den Propositionen V.4.20, V.4.21 und V.4.23 Sequenzen von R-Moduln, dh. alle Homomorphismen sind R-linear. Beachte, dass der Einhängungshomomorphismus einer kurzen exakten Sequenz von Kettenkomplexen über R offensichtlich R-linear ist, vgl. Satz IV.3.1. i p V.4.25. Proposition (Bockstein-Homomorphismus). Sei 0 → G1 − → G2 − → G3 → 0 eine kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen und (X, A) ein Paar von Räumen. Dann existiert eine lange exakte Sequenz i p∗ βq ∗ · · · → Hq (X, A; G1 ) − → Hq (X, A; G2 ) −→ Hq (X, A; G3 ) −→ Hq−1 (X, A; G1 ) → · · · 212 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Diese Sequenz ist natürlich, dh. für jede Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) und jedes kommutativer Diagram / 0 i G1 / G3 / ϕ2 ϕ1 0 p G2 / i′ G′1 0 ϕ3 p′ G′2 / / G′3 / / 0 mit exakten Zeilen kommutiert auch das folgende Diagramm: Hq (X, A; G1 ) i∗ Hq (X, A; G2 ) / Hq (f,ϕ1 ) Hq (Y, B; G′1) p∗ Hq (X, A; G3 ) / Hq (f,ϕ2 ) i′∗ / Hq (Y, B; G′2 ) βq Hq−1 (X, A; G1 ) / Hq (f,ϕ3 ) p′∗ Hq (Y, B; G′3 ) / Hq−1 (f,ϕ1 ) βq′ / Hq−1 (Y, B; G′1 ) Der Homomorphismus β : H∗ (X, A; G3 ) → H∗−1 (X, A; G1 ) wird der von der p i kurzen exakten Sequenz 0 → G1 − → G2 − → G3 → 0 induzierte Bockstein-Homomorphismus genannt. i p Beweis. Tensorieren der kurzen exakten Sequenz 0 → G1 − → G2 − → G3 → 0 mit C∗ (X, A) liefert eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen idC∗ (X,A) ⊗i idC∗ (X,A) ⊗p 0 → C∗ (X, A) ⊗ G1 −−−−−−−→ C∗ (X, A) ⊗ G2 −−−−−−−→ C∗ (X, A) ⊗ G3 → 0, denn C∗ (X, A) ist ein freier Kettenkomplex, und diese induziert die gewünschte lange exakte Sequenz, siehe Satz IV.3.1. Die Natürlichkeit folgt sofort aus der Kommutativität des Diagramms 0 C∗ (X, A) ⊗ G1 / id ⊗i f♯ ⊗ϕ1 0 / C∗ (Y, B) ⊗ G′1 id ⊗p C∗ (X, A) ⊗ G2 / / C∗ (X, A) ⊗ G3 f♯ ⊗ϕ2 id ⊗i′ / C∗ (Y, B) ⊗ / 0 f♯ ⊗ϕ3 id ⊗p′ / G′2 C∗ (Y, B) ⊗ G′3 und der Natürlichkeitsaussage in Satz IV.3.1. / 0 V.4.26. Beispiel (Bockstein-Homomorphismus). Betrachte fogendes kommutatives Diagramm mit exakten Zeilen: / 0 Z m / Z ρ / Zm / 0 Zm / 0 ρ 0 / Zm m / Zm2 / Aus der ersten Zeile erhalten wir Bockstein-Homomorphismen β̃ : H∗ (X, A; Zm ) → H∗−1 (X, A; Z) V.4. SINGULÄRE HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN 213 für jedes Paar von Räumen (X, A), und die zweite Zeile liefert Bockstein-Homomorphismen β : H∗ (X, A; Zm ) → H∗−1 (X, A; Zm ). Nach Proposition V.4.25 gilt β = ρ∗ ◦ β̃ : H∗ (X, A; Zm ) → H∗−1 (X, A; Zm ), und damit auch β 2 = β ◦ β = 0, denn β̃ ◦ ρ∗ = 0. Für jede Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) gilt f∗ ◦ β̃ = β̃ ◦ f∗ sowie f∗ ◦ β = β ◦ f∗ , dh. die beiden Diagramme H∗ (X, A; Zm ) β̃ H∗−1 (X, A; Z) / f∗ f∗ H∗ (X, A; Zm ) H∗ (Y, B; Zm ) β̃ / β H∗−1 (X, A; Zm ) / f∗ f∗ H∗−1 (Y, B; Z) H∗ (Y, B; Zm ) β / H∗−1 (Y, B; Zm ) sind kommutativ. Ist etwa β : Hq (X, A; Zm ) → Hq−1 (X, A; Zm ) nicht-trivial, so erhalten wir nicht-triviale Relationen zwischen den von f induzierten Homomorphsimen f∗ : Hq (X, A; Zm ) → Hq (Y, B; Zm ) und f∗ : Hq−1 (X, A; Zm ) → Hq−1 (Y, B; Zm ). 2 V.4.27. Beispiel. Der von der kurzen exakten Sequenz 0 → Z2 − → Z4 → Z2 → 0 induzierte Bockstein-Homomorphismus, siehe Beispiel V.4.26 mit m = 2, β : Hq (RPn ; Z2 ) → Hq−1 (RPn ; Z2 ) ist ein Isomorphismus für gerades q mit 2 ≤ q ≤ n, andernfalls ist β = 0. Für den von einer stetigen Abbildung f : RPn → RPn induzierten Homomorphismus f∗ : H∗ (RPn ; Z2 ) → H∗ (RPn ; Z2 ) sind die Relationen β ◦ f∗ = f∗ ◦ β daher nicht trivial. Insbesondere sehen wir, dass nicht jeder Homomorphismus graduierter Z2 -Vektorräume H∗ (RPn ; Z2 ) → H∗ (RPn ; Z2 ) von einer stetigen Abbildung induziert wird.54 Nun aber zum Beweis obiger Behauptung. Wir verwenden die Notation aus Beispiel V.4.26 mit m = 2. Aus Proposition V.4.25 erhalten wir ein kommutatives Diagramm Hq (RPn ; Z2 ) β̃ / Hq−1 (RPn ; Z) 2 / Hq−1 (RPn ; Z) ρ∗ Hq (RPn ; Z2 ) β / Hq−1 (RPn ; Z2 ) mit exakter erster Zeile. Sei nun q gerade mit 2 ≤ q ≤ n. Nach Proposition V.4.14 2 → gilt dann Hq−1 (RPn ; Z) ∼ = Z2 , also muss der Homomorphismus Hq−1 (RPn ; Z) − Hq−1 (RPn ; Z) verschwinden. Wir schließen daher, dass β̃ im obigen Diagramm 54Wir werden später noch wesentlich stärkere Relationen zwischen den induzierten Homomorphsimen fq : Hq (RPn ; Z2 ) → Hq (RPn ; Z2 ) herleiten, und dies führt dann sofort zu einem Beweis des allgemeinen Borsuk–Ulam Theorems, vgl. Satz I.4.10 und Bemerkung I.4.11. 214 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN surjektiv ist. Aus Satz V.4.6 erhalten wir nebenstehendes kommutatives Diagramm, indem der untere horizontale Pfeil ein Isomorphismus ist, denn Hq−1 (RPn ; Z) Hq−1 (RPn ) ⊗ Z n es gilt Tor(Hq−2 (RP ), Z2 ) = 0, siehe ρ∗ 1⊗ρ∗ Proposition V.4.14. Da der linke ver ∼ = / tikale Pfeil offensichtlich surjektiv ist, Hq−1 (RPn ) ⊗ Z2 Hq−1 (RPn ; Z2 ) muss also auch der rechte vertikale Homomorphismus surjektiv sein. Wir schließen, dass β = β̃ ◦ ρ∗ surjektiv ist, für gerades q mit 2 ≤ q ≤ n. Zusammen mit β ◦ β = 0, siehe Beispiel V.4.26, und den Berechnungen in Beispiel V.4.13 folgt nun die Behauptung. V.5. Künneth Formel. Wir werden im nächsten Abschnitt eine natürliche Kettenhomotopieäquivalenz C(X × Y ) ≃ C(X) ⊗ C(Y ) konstruieren und so die Berechnung der Homologie von X × Y auf die Berechnung der Homologie eines Tensorproduktes freier Kettenkomplexe zurückführen. Das Künneth– Theorem welches wir in diesem Abschnitt herleiten wollen, siehe Satz V.5.8 unten, beantwortet dieses algebraische Problem. Es sei R ein kommutativer Ring mit Eins. Unter einem Tensorprodukt von zwei R-Moduln A und B verstehen wir einen R-Modul A ⊗R B zusammen mit einer R-bilinearen Abbildung ⊗ : A × B → A ⊗R B, (a, b) 7→ a ⊗ b, die folgende universelle Eigenschaft besitzt. Ist C ein weiterer R-Modul und ϕ : A × B → C eine R-bilineare Abbildung, dann existiert genau eine R-lineare Abbildung ϕ̃ : A ⊗R B → C, sodass ϕ̃ ◦ ⊗ = ϕ. Durch diese universelle Eigenschaft ist A ⊗R B zusammen mit der bilinearen Abbildung ⊗ bis auf kanonischen Isomorphismus eindeutig bestimmt, wir sprechen daher von dem Tensorprodukt von A mit B. Um die Existenz von Tensorprodukten einzusehen, bezeichne F die von der Menge A × B erzeugte freie abelsche Gruppe, und es bezeichne P ⊆ F die Untergruppe die von Elementen der Form (a1 + a2 , b) − (a1 , b) − (a2 , b), (a, b1 + b2 ) − (a, b1 ) − (a, b2 ), (ra, b) − (a, rb) erzeugt wird, a, ai ∈ A, b, bi ∈ B, r ∈ R. Definiere nun A ⊗R B := F/P , und a ⊗ b := [(a, b)]. Beachte, dass r · [(a, b)] := [(ra, b)] = [(a, rb)] wegen der Kommutativität von R eine R-Modulstruktur auf A⊗R B definiert. Offensichtlich ist dann ⊗ : A × B → A ⊗R B eine R-bilineare Abbildung. Ist nun ϕ : A × B → C eine R-bilineare Abbildung, dann faktorisiert der durch (a, b) 7→ ϕ(a, b) definierte Homomorphismus F → C zu einer R-linearen Abbildung ϕ̃ : A ⊗R B = F/P → C, für die nun ϕ̃ ◦ ⊗ = ϕ gilt. Es kann auch nur ein solches ϕ̃ geben, denn A ⊗R B wird von Elementen der Form a ⊗ b erzeugt. Also hat das eben konstruierte ⊗ : A × B → A ⊗R B die universelle Eigenschaft des Tensorprodukts. Sind ϕ : A → A′ und ψ : B → B ′ zwei R-Modulhomomorphismen, dann induzieren diese einen R-Modulhomomorphismus ϕ ⊗ ψ : A ⊗R B → A′ ⊗R B ′ , denn A × B → A′ ⊗R B, (a, b) 7→ ϕ(a) ⊗ ψ(b) ist offensichtlich R-bilinear. Diese Konstruktion ist funktoriell, dh. für zwei weitere R-Modulhomomorphismen ϕ′ : V.5. KÜNNETH FORMEL 215 A′ → A′′ und ψ ′ : B ′ → B ′′ gilt (ϕ′ ⊗ ψ ′ ) ◦ (ϕ ⊗ ψ) = (ϕ′ ◦ ϕ) ⊗ (ψ ′ ◦ ψ). Das Tensorprodukt von R-Moduln liefert daher einen Funktor ModR × ModR → ModR . Für den Ring R = Z erhalten wir das Tensorprodukt abelscher Gruppen, vgl. Abschnitt V.1, denn ein Z-Modul ist dasselbe wie eine abelsche Gruppe. Für einen Körper K = R erhalten wir das übliche Tensorprodukt von Vektorräumen über K. V.5.1. Bemerkung. Es sei R ein kommutativer Ring mit Eins. Für jeden R-Modul A induziert die R-bilineare Abbildung A × R → A, (a, r) 7→ ra, einen kanonischen Isomorphismus von R-Moduln A ⊗R R = A (V.23) (A ⊗R B) ⊗R C = A ⊗R (B ⊗R C), (V.25) mit Inversem a 7→ a⊗1R . Für je zwei R-Moduln A und B induziert die R-bilineare Abbildung A × B → B ⊗R A, (a, b) 7→ b ⊗ a, einen kanonischen Isomorphismus von R-Moduln A ⊗R B = B ⊗R A. (V.24) Ebenso haben wir für je drei R-Moduln A, B und C, einen kanonischen Isomorphismus von R-Moduln vgl. Bemerkung V.1.4. Wie auch für abelsche Gruppen haben wir einen kanonischen Isomorphismus von R-Moduln L L λ ⊗R B = λ∈Λ (Aλ ⊗R B) (V.26) λ∈Λ A für R-Moduln Aλ . V.5.2. Bemerkung. Es seien A und B abelsche Gruppen und R ein kommutativer Ring mit Eins. Dann haben wir einen kanonischen Isomorphismus von R-Moduln, vgl. Bemerkung V.1.20, (A ⊗ R) ⊗R (B ⊗ R) = (A ⊗ B) ⊗ R. Dieser wird von der mulilinearen Abbildung A × R × B × R → (A ⊗ B) ⊗ R, (a, r, b, s) 7→ (a ⊗ b) ⊗ (rs) induziert. Der Inverse wird von der multilinearen Abbildung A × B × R → (A ⊗ R) ⊗R (B ⊗ R), (a, b, r) 7→ (a ⊗ r) ⊗ (b ⊗ 1R ) = (a ⊗ 1R ) ⊗ (b ⊗ r) induziert. Sind A und B zwei graduierte R-Moduln, dann definieren wir ihr Tensorprodukt A ⊗R B als den graduierten R-Modul L (A ⊗R B)n := p+q=n Ap ⊗R Bq . Sind ϕ : A → A′ und ψ : B → B ′ zwei Homomorphismen graduierter R-Moduln, so erhalten wir einen Homomorphismus graduierter R-Moduln ϕ ⊗ ψ : A ⊗R B → A′ ⊗R B ′ indem wir L (ϕ ⊗ ψ)n : (A ⊗R B)n → (A′ ⊗R B ′ )n , (ϕ ⊗ ψ)n := p+q=n (ϕp ⊗ ψq ) 216 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN setzen. Das Tensorprodukt graduierter R-Moduln liefert daher einen Funktor R R ⊗ : ModR ∗ × Mod∗ → Mod∗ . V.5.3. Bemerkung. Fassen wir R als einen im Grad 0 konzentrierten graduierten R-Modul auf, so erhalten wir aus (V.23) einen kanonischen Isomorphismus graduierter R-Moduln A ⊗R R = A (V.27) für jeden graduierten R-Modul A. Aus (V.25) erhalten wir einen kanonischen Isomorphismus graduierter R-Moduln (A ⊗R B) ⊗R C = A ⊗R (B ⊗R C), (V.28) für je drei graduierte R-Moduln A, B und C. Aus (V.26) erhalten wir einen kanonischen Isomorphismus graduierter R-Moduln, L L λ A ⊗R B = λ∈Λ (Aλ ⊗R B) (V.29) λ∈Λ L λ für graduierte R-Moduln Aλ , λ ∈ Λ, und B. bezeichnet λ∈Λ A die L Dabei L λ λ direkte Summe graduierter R-Moduln, dh. ( λ∈Λ A )n := λ∈Λ An . Für zwei graduierte R-Moduln A und B definieren wir einen kanonischen Isomorphismus graduierter R-Moduln auf Elementen a ⊗ b ∈ Ap ⊗R Bq , durch ∼ = → B ⊗R A, τ A,B : A ⊗R B − τ A,B (a ⊗ b) := (−1)pq b ⊗ a (V.30) Dies würde auch ohne Vorzeichen funktionieren, vgl. (V.24), das Vorzeichen wird notwendig wenn wir Tensorprodukte von Kettenkomplexen über R betrachten, siehe unten. Sind C und D zwei Kettenkomplexe über R, dann machen wir den graduierten R-Modul C ⊗R D zu einem Kettenkomplex über R indem wir ein Differential ∂nC⊗R D : (C ⊗R D)n → (C ⊗R D)n−1 auf Elementen c ⊗ d ∈ Cp ⊗R Dq mit p + q = n, durch ∂nC⊗R D (c ⊗ d) := (∂pC c) ⊗ d + (−1)p c ⊗ (∂qD d) (V.31) definieren. Dies ist tatsächlich ein Differential, denn C⊗R D C⊗R D C⊗R D ∂n−1 ∂n (c ⊗ d) = ∂n−1 (∂pC c) ⊗ d + (−1)p c ⊗ (∂qD d) C = (∂p−1 ∂pC c) ⊗ d + (−1)p−1 (∂pC c) ⊗ (∂qD d) + (−1)p (∂pC c) ⊗ (∂qD d) D + (−1)p (−1)p c ⊗ (∂q−1 ∂qD d) = 0. Beachte, dass hierfür das Vorzeichen in (V.31) wesentlich ist. Sind ϕ : C → C ′ und ψ : D → D ′ zwei Kettenabbildungen zwischen Kettenkomplexen über R, dann ist der Homomorphismus graduierter R-Moduln V.5. KÜNNETH FORMEL 217 ϕ⊗ψ : C ⊗R D → C ′ ⊗R D ′ wieder eine Kettenabbildung, denn für c⊗d ∈ Cp ⊗Dq mit p + q = n gilt: ∂nC⊗R D ◦ (ϕ ⊗ ψ) (c ⊗ d) = ∂nC⊗R D (ϕc ⊗ ψd) = (∂pC ϕc) ⊗ ψd + (−1)p ϕc ⊗ (∂qD ψd) = (ϕ∂pC c) ⊗ ψd + (−1)p ϕc ⊗ (ψ∂qD d) = (ϕ ⊗ ψ) (∂pC c) ⊗ d + (−1)p c ⊗ (∂qD d) = (ϕ ⊗ ψ) ◦ ∂nC⊗R D (c ⊗ d) Das Tensorprodukt von Kettenkomplexen über R liefert daher einen Funktor ⊗ : CompR × CompR → CompR . V.5.4. Bemerkung. Fassen wir R als einen im Grad 0 konzentrierten Kettenkomplex (mit trivialen Differential) auf, dann liefert (V.27) einen kanonischen Isomorphismus von Kettenkomplexen über R, C ⊗R R = C. (V.32) Für drei Kettenkomplexe C, D, E über R definiert (V.28) einen kanonischen Isomorphismus von Kettenkomplexen über R, (C ⊗R D) ⊗R E = C ⊗R (D ⊗R E), (V.33) denn für c ⊗ d ⊗ e ∈ Cp ⊗R Dq ⊗R Er mit p + q + r = n gilt C⊗R D ∂n(C⊗R D)⊗R E (c ⊗ d ⊗ e) = ∂p+q (c ⊗ d) ⊗ e + (−1)p+q (c ⊗ d) ⊗ (∂rE e) = (∂pC c) ⊗ d + (−1)p c ⊗ (∂qD d) ⊗ e + (−1)p+q c ⊗ d ⊗ (∂rE e) = (∂pC c) ⊗ (d ⊗ e) + (−1)p c ⊗ (∂qD )d ⊗ e + (−1)q d ⊗ (∂ E e) = (∂pC c) ⊗ (d ⊗ e) + (−1)p c ⊗ ∂qD⊗R E (d ⊗ e) = ∂nC⊗R (D⊗R E) (c ⊗ d ⊗ e) Für Kettenkomplexe C λ , λ ∈ Λ, und D liefert (V.29) einen kanonischen Isomorphismus von Kettenkomplexen über R, L L λ ⊗R D = λ∈Λ (C λ ⊗R D). (V.34) λ∈Λ C L Dabei bezeichnet λ∈Λ C λ die direkte Summe von Kettenkomplexen über R, dh. L L L L λ λ Cλ ∂n λ := λ ∂nC : λ Cnλ → λ Cn−1 . Wie in Proposition IV.1.4 erhalten wir auch einen kanonischen Isomorphismus graduierter R-Moduln L L λ H = λ∈Λ H(C λ ). (V.35) λ∈Λ C Für zwei Kettenkomplexe C und D über R definiert (V.30) einen kanonischen Isomorphismus von Kettenkomplexen über R, ∼ = → D ⊗R C. τ C,D : C ⊗R D − 218 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Beachte, dass hier das Vorzeichen in der Definition von τ C,D , siehe (V.30), wesentlich eingeht, denn für c ⊗ d ∈ Cp ⊗R Dq mit p + q = n, gilt: ∂nD⊗R C ◦ τ C,D (c ⊗ d) = ∂nD⊗R C (−1)pq d ⊗ c = (−1)pq (∂qD d) ⊗ c + (−1)q d ⊗ (∂pC c) = (−1)(p−1)q d ⊗ (∂pC c) + (−1)p (−1)p(q−1) (∂qD d) ⊗ c = τ C,D (∂pC c) ⊗ d + (−1)p c ⊗ (∂qD d) = τ C,D ◦ ∂nC⊗R D (c ⊗ d) V.5.5. Bemerkung. Das Tensorprodukt von Kettenkomplexen über R ist auch mit Kettenhomotopie55 verträglich. Sind ϕ ≃ ϕ̃ : C → C ′ und ψ ≃ ψ̃ : D → D ′ homotope Kettenabbildungen zwischen Kettenkomplexen über R, dann gilt ′ auch ϕ ⊗ ψ ≃ ϕ̃ ⊗ ψ̃ : C ⊗R D → C ′ ⊗R D ′ . Sind nämlich g : C∗ → C∗+1 und ′ h : D∗ → D∗+1 zwei R-lineare Homotopien mit ′ ϕ̃ − ϕ = g ◦ ∂ C + ∂ C ◦ g, und ′ ψ̃ − ψ = h ◦ ∂ D + ∂ D ◦ h, dann ist k : (C ⊗R D)∗ → (C ′ ⊗R D ′ )∗+1 definiert durch k|Cp ⊗R Dq := gp ⊗ ψq + (−1)p ϕ̃p ⊗ hq eine R-lineare Homotopie mit ′ ′ ϕ̃ ⊗ ψ̃ − ϕ ⊗ ψ = k ◦ ∂ C⊗R D + ∂ C ⊗R D ◦ k. Insbesondere folgt aus C ≃ C ′ und D ≃ D ′ sofort C ⊗R D ≃ C ′ ⊗R D ′ . Für zwei Kettenkomplexe C und D über R definieren wir λC,D p,q : Hp (C) × Hq (D) → Hp+q (C ⊗R D), λC,D [c], [d] := [c ⊗ d]. Beachte, dass dies aufgrund von (V.31) tatsächlich wohldefiniert ist. Offensichtlich ist diese Abbildung R-bilinear und kann daher auch als R-lineare Abbildung λC,D p,q : Hp (C) ⊗R Hq (D) → Hp+q (C ⊗R D) aufgefasst werden. Wir erhalten somit einen kanonischen Homomorphismus graduierter R-Moduln λC,D : H(C) ⊗R H(D) → H(C ⊗R D). (V.36) In der folgenden Proposition stellen wir einige einfache Eigenschaften dieses Homomorpshimus zusammen, die wir später verwenden werden. V.5.6. Proposition. Ist R ein kommutativer Ring mit Eins, dann gilt: 55Unter einer Kettenhomotopie zwischen Kettenkomplexen über R verstehen wir eine Rlineare Kettenhomotopie. V.5. KÜNNETH FORMEL 219 (i) Für je zwei Kettenabbildungen ϕ : C → C ′ und ψ : D → D ′ zwischen Kettenkomplexen über R kommutiert das folgende Diagramm: λC,D H(C) ⊗R H(D) H(C ⊗R D) / ϕ∗ ⊗ψ∗ (ϕ⊗ψ)∗ ′ ′ λC ,D H(C ′ ) ⊗R H(D ′ ) H(C ′ ⊗R D ′ ) / (ii) Für je zwei Kettenkomplexe C und D über R kommutiert das folgende Diagramm: λC,D H(C) ⊗R H(D) H(C ⊗R D) / ∼ = τ∗C,D ∼ = τ H(C),H(D) H(D) ⊗R H(C) λD,C H(D ⊗R C) / (iii) Für je drei Kettenkomplexe C, D und E über R ist das folgende Diagramm kommutativ: H(C) ⊗R H(D) ⊗R H(E) λC,D ⊗idH(E) H(C ⊗R D) ⊗R H(E) / idH(C) ⊗λD,E λC⊗R D,E λC,D⊗R E H(C) ⊗R H(D ⊗R E) / H(C ⊗R D ⊗R E) (iv) Fassen wir R als einen in Grad 0 konzentrierten Kettenkomplex auf, dann gilt H(R) = R, C ⊗R R = C und folgendes Diagramm kommutiert: H(C) ⊗R H(R) λC,R / H(C ⊗R R) H(C) ⊗R R H(C) (v) Für Kettenkomplexe C α , α ∈ A, und D über R kommutiert das folgende Diagramm: L α L α L α λ C ,D /H ( H ⊗R H(D) α C ) ⊗R D αC siehe (V.34) siehe (V.35) L L α α H(C ) ⊗R H(D) α H siehe (V.29) H(C α ) ⊗R H(D) L α λC ,D / L L α α α (C ⊗R D) siehe (V.35) H(C α ⊗R D) Beweis. Alle diese Aussagen sind trivial, λ wird ja im Wesentlichen von der identischen Abbildung induziert. 220 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN V.5.7. Satz (Künneth Theorem). Es seien C und D zwei Kettenkomplexe über einem Körper K. Dann ist ∼ = λC,D : H(C) ⊗K H(D) − → H(C ⊗K D) ein natürlicher Isomorphismus, es gilt daher M Hp (C) ⊗K Hq (D). Hn (C ⊗K D) ∼ = p+q=n Sind A und B zwei graduierte abelsche Gruppen, dann definieren wir eine graduierte abelsche Gruppe Tor(A, B) durch M Tor(A, B)n := Tor(Ap , Bq ). p+q=n Dies liefert in naheliegender Weise einen Funktor Tor : aGrp∗ ×aGrp∗ → aGrp∗ der den Funktor aus Abschnitt V.2 erweitert. V.5.8. Satz (Künneth Theorem). Es seien C und D zwei Kettenkomplexe56 von denen mindestens einer frei ist. Dann existiert eine natürliche kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen λC,D 0 → H(C) ⊗ H(D) n −−−→ Hn (C ⊗ D) → Tor(H(C), H(D))n−1 → 0 dh. für zwei Kettenabbildungen ϕ : C → C ′ und D → D ′ kommutiert das Diagramm / H(C) ⊗ H(D) 0 ϕ∗ ⊗ψ∗ / H(C ′ ) ⊗ H(D ′ ) 0 λC,D n / Hn (C ⊗ D) / Tor(H(C), H(D))n−1 (ϕ⊗ψ)∗ C ′ ,D ′ λ n / Hn (C ′ ⊗ D ′ ) /0 Tor(ϕ∗ ,ψ∗ ) / Tor(H(C ′ ), H(D ′ ))n−1 /0 Sind C und D beide frei, dann splittet diese Sequenz und es gilt daher Hn (C ⊗ D) ∼ = H(C) ⊗ H(D) n ⊕ Tor(H(C), H(D))n−1 M M = Hp (C) ⊗ Hq (D) ⊕ Tor(Hp (C), Hq (D)). p+q=n p+q=n−1 Dieser Split kann jedoch nicht natürlich gewählt werden. V.5.9. Bemerkung. Die beiden Sätze V.5.7 und V.5.8 können als Spezialfälle eines allgemeineren Künneth–Theorems aufgefasst werden. Dieses berechnet den graduierten R-Modul H(C ⊗R D) für freie Kettenkomplexe C und D über einem Hauptidealring R. Das Resultat sieht wie Satz V.5.8 aus, nur treten jetzt Tensorprodukt über R und eine Verallgemeinerung des Tor-Funktors für R-Moduln auf. Genaueres findet sich etwa in [6]. 56dh. R=Z V.5. KÜNNETH FORMEL 221 V.5.10. Bemerkung. Ist G eine abelsche Gruppe und fassen wir diese als einen im Grad 0 konzentrierten Kettenkomplex D := G auf, dann gilt H(D) = G, und Satz V.5.8 reduziert sich auf das universelle Koeffiziententheorem V.3.3. Im verbleibenden Teil dieses Abschnitts werden wir die beiden Sätze oben beweisen. Unter einem freien R-Modul verstehen wir einen R-Modul der zu einer L direkten Summe α∈A R isomorph ist. Ein freier Z-Modul ist daher dasselbe wie eine freie abelsche Gruppe. Jeder Vektorraum über K besitzt eine Basis und ist daher ein freier K-Modul. Unter einem freien Kettenkomplex über R verstehen wir einen Kettenkomplex C über R indem jedes Cq ein freier R-Modul ist. Jeder Kettenkomplex über einem Körper K ist frei. V.5.11. Lemma. Es sei R ein kommutativer Ring mit Eins und es sei C ein freier Kettenkomplex über R mit ∂ C = 0, dh. H(C) = C. Dann ist ∼ = → H(C ⊗R D) λC,D : H(C) ⊗R H(D) − ein Isomorphismus von R-Moduln, für jeden weiteren Kettenkomplex D über R. Beweis. Wir betrachten zunächst C = R, dh. wir fassen R als einen im Grad 0 konzentrierten Kettenkomplex auf. In diesem Fall folgt die Behauptung sofort aus Proposition V.5.6(iv). Etwas allgemeiner sei nun k ∈ Z fix, und C von der Form Ck = R und Cq = 0 für q 6= k. Da sich dies von dem zuvor betrachteten Kettenkomplex bloß um eine Verschiebung der Graduierung unterscheidet, bleibt die Behauptung des Lemmas offensichtlich auch für diesen Kettenkomplex richtig. Jeder freie C über R mit ∂ C = 0 ist zu einem Kettenkomplex der L Kettenkomplex α Form isomorph, wobei jeder der Kettenkomplexe C α von der oben α∈A C betrachteten Gestalt ist, dh. es existieren kα ∈ Z, sodass Ckαα = R und Cqα = 0 für alle q 6= kα . Das Lemma folgt daher aus Proposition V.5.6(v). Sei nun C ein freier Kettenkomplex über R. Wir definieren einen Kettenkomplex C + durch Verschiebung der Graduierung, dh. C∗+ := C∗−1 . Dann können wir j ∂C 0 → ZC − → C −→ BC + → 0 (V.37) als kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen über R auffassen. Dabei bezeichnen ZC die Zyklen von C und BC + die Ränder von C + mit den trivialen Diffe+ rentialen ∂ ZC = 0 und ∂ BC = 0. Ist nun R = K ein Körper oder R = Z dann ist auch BC + ⊆ C + frei, und die Sequenz (V.37) splittet daher.57 Also ist auch j⊗idD ∂ C ⊗id D 0 → ZC ⊗R D −−−→ C ⊗R D −−−−→ BC + ⊗R D → 0 57Dieses Argument bleibt für Hauptidealringe R richtig, denn in diesem Fall ist jeder Teilmodul eines freien R-Moduls wieder frei. 222 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN eine splittende kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen über R. Diese induziert eine lange exakte Sequenz von R-Moduln δ (∂ C ⊗idD )∗ (j⊗idD )∗ Hn+1 BC + ⊗R D − → Hn (ZC ⊗R D) −−−−−→ Hn (C ⊗R D) −−−−−−→ (∂ C ⊗idD )∗ δ −−−−−−→ Hn (BC + ⊗R D) − → Hn−1 (ZC ⊗R D) Eine einfache Überlegung zeigt, dass das folgende Diagramm kommutiert: δ / Hn (ZC ⊗R D) Hn+1 BC + ⊗R D O O ∼ = λZC,D ∼ = λBC + ,D H(BC + ) ⊗R H(D) BC ⊗R H(D) n+1 i⊗idH(D) n H(ZC) ⊗R H(D) / ZC ⊗R H(D) n (V.38) n wobei i : BC → ZC die kanonische Inklusion bezeichnet. Nach Lemma V.5.11 sind die vertikalen λ-Pfeile alle Isomorphismen. Aus der langen exakten Sequenz oben erhalten wir somit eine natürliche exakte Sequenz i⊗idH(D) 0 → coker BC ⊗R H(D) n −−−−−→ (ZC ⊗R H(D) n → Hn (C ⊗R D) → i⊗idH(D) → ker BC ⊗R H(D) n−1 −−−−−→ ZC ⊗R H(D) n−1 → 0. (V.39) Zur Berechnung der beiden Randterme in (V.39) betrachten wir nun die kurze exakte Sequenz graduierter R-Moduln i 0 → BC − → ZC → H(C) → 0. (V.40) Ist R = K ein Körper, dann ist H(C) frei, die Sequenz (V.40) splittet daher, und wir erhalten durch Tensorieren mit H(D) eine kurze exakte Sequenz graduierter K-Vektorräume i⊗idH(D) 0 → BC ⊗K H(D) −−−−−→ ZC ⊗K H(D) → H(C) ⊗K H(D) → 0. Wir erhalten somit natürliche Isomorphismen: i⊗idH(D) ker BC ⊗K H(D) −−−−−→ ZC ⊗K H(D) = 0 i⊗idH(D) coker BC ⊗K H(D) −−−−−→ ZC ⊗K H(D) = H(C) ⊗K H(D) Die kurze exakte Sequenz (V.39) liefert für R = K daher den gesuchten Isomorphismus: H(C) ⊗K H(D) n = Hn (C ⊗K D). V.5. KÜNNETH FORMEL 223 Eine einfache Überlegung zeigt, dass dieser tatsächlich mit λC,D übereinstimmt, siehe (V.38). Damit ist Satz V.5.7 gezeigt, die Natürlichkeitsaussage haben wir schon in Proposition V.5.6(i) festgehalten. Sei nun R = Z. Wir betrachten wieder die kurze exakte Sequenz i 0 → Bp (C) − → Zp (C) → Hp (C) → 0. Da C frei ist, sind auch Bp (C) und Zp (C) frei, dies ist also eine freie Auflösung von Hp (C). Für jedes q erhalten wir somit eine natürliche exakte Sequenz:58 i⊗idHq (D) 0 → Tor(Hp (C), Hq (D)) → Bp (C) ⊗ Hq (D) −−−−−−→ i⊗idHq (D) −−−−−−→ Zp (C) ⊗ Hq (D) → Hp (C) ⊗ Hq (D) → 0. Summieren über alle p und q liefert eine natürliche exakte Sequenz graduierter abelscher Gruppen i⊗idH(D) 0 → Tor(H(C), H(D)) → BC ⊗ H(D) −−−−−−→ ZC ⊗ H(D) → H(C) ⊗ H(D) → 0. und daher natürliche Isomorphismen i⊗idH(D) ker BC ⊗ H(D) −−−−−→ ZC ⊗ H(D) = Tor(H(C), H(D)) i⊗idH(D) coker BC ⊗ H(D) −−−−−→ ZC ⊗ H(D) = H(C) ⊗ H(D) Zusammen mit der kurzen exakten Sequenz (V.39) erhalten wir nun die gesuchte kurze exakte Sequenz 0 → H(C) ⊗ H(D) n → Hn (C ⊗ D) → Tor(H(C), H(D))n−1 → 0. (V.41) Wieder ist es leicht einzusehen, dass der injektive Homomorphismus mit λC,D übereinstimmt. Auch die Natürlichkeitsaussage ist trivial, wir haben ja bloß natürliche Kostruktionen verwendet. Um den Beweis von Satz V.5.8 abzuschließen genügt es nun einen Splitt dieser Sequenz zu konstruieren. Seien dazu C und D beide frei. Wähle einen Splitt r : C → ZC der kurzen exakten Sequenz 0 → ZC → C → BC + → 0 und einen Splitt ρ : D → ZD der kurzen exakten Sequenz 0 → ZD → D → BD + → 0. Fassen wir dies als Kettenabbildungen r̄ : C, ∂ C → H(C), ∂ = 0 und ρ̄ : D, ∂ D → H(D), ∂ = 0 auf, so erhalten wir eine Kettenabbildung r̄ ⊗ ρ̄ : C ⊗ D, ∂ C⊗D → H(C) ⊗ H(D), ∂ = 0 und diese induziert einen Homomorphismus abelscher Gruppen (r̄ ⊗ ρ̄)∗ : Hn (C ⊗ D) → H(C) ⊗ H(D) n . 58Auch dieser Schritt lässt sich über jedem Hauptidealring R durchführen, in diesem Fall tritt nun aber die naheliegende Verallgemeinerung des Tor-Funktors für R-Moduln auf. 224 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Eine einfache Überlegung zeigt, dass dies ein Splitt der Sequenz (V.41) ist. Damit ist auch der Beweis von Satz V.5.8 vollständig. V.6. Eilenberg–Zilber Äquivalenz. Wir werden in diesem Abschnitt eine natürliche Kettenhomotopieäquivalenz C(X × Y ) ≃ C(X) ⊗ C(Y ) konstruieren, siehe Satz V.6.2 unten, und diese dann mit dem universellen Koeffiziententheorem aus Abschnitt V.5 kombinieren um H(X × Y ) zu berechnen, siehe Korollar V.6.7 bzw. Korollar V.6.8 unten. Es ist möglich für diese Kettenhomotopieäquivalenz explizite Formeln anzugeben, vgl. Bemerkung V.6.4 unten, diese sind aber nicht besonders hilfreich. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass eine solche natürliche Kettenhomotopieäquivalenz bis auf Kettenhomotopie eindeutig ist. Insbesondere ist der davon induzierte Isomorphismus H(X × Y ) = H(C(X) ⊗ C(Y )) unabhängig von der Wahl einer solchen natürlichen Kettenhomotopieäquivalenz. V.6.1. Definition (Eilenberg–Zilber Äquivalenz). Unter einer Eilenberg–Zilber Äquivalenz verstehen wir normierte natürliche Kettenabbildungen P : C(X) ⊗ C(Y ) → C(X × Y ) bzw. Q : C(X × Y ) → C(X) ⊗ C(Y ). Dh. P bzw. Q sind für je zwei topologische Räume X und Y definiert, und für stetige Abbildungen f : X → X ′ sowie g : Y → Y ′ kommutieren die Diagramme P X,Y C(X) ⊗ C(Y ) / C(X × Y ) f♯ ⊗g♯ (f ×g)♯ ′ P C(X ′ ) ⊗ C(Y ) X ′ ,Y ′ / bzw. C(X × Y ) C(X) ⊗ C(Y ) / f♯ ⊗g♯ (f ×g)♯ C(X ′ ⊗ Y ′ ) QX,Y X ′ Q C(X ′ × Y ) ′ ,Y ′ / C(X ′ ) ⊗ C(Y ′ ) Weiters sollen die Normierungsbedingungen P (x ⊗ y) = (x, y) bzw. Q(x, y) = x ⊗ y für alle singuläre 0-Simplizes x : ∆0 → X und y : ∆0 → Y gelten. Für jeden topologischen Raum definieren wir die sogenannte Augmentation εX : C0 (X) → Z auf Erzeugern x : ∆0 → X durch εX (x) := 1. Dies ist offensichtlich natürlich, dh. für jede stetige Abbildung f : X → Y gilt εY ◦ f♯ = εX . Da εX ◦ ∂1X = 0, können wir die Augmentation auch als Kettenabbildung εX : C(X) → Z betrachten, wobei wir nun Z als einen im Grad 0 konzentrierten Kettenkomplex mit trivialem Differential auffassen. Es ist dann ker(εX ) ein Teilkomplex von C(X) und H(ker εX ) = H̃(X). V.6.2. Satz (Eilenberg–Zilber Äquivalenz). Es existieren Eilenberg–Zilber Äquivalenzen P und Q wie oben. Für je zwei Eilenberg–Zilber Äquivalenzen P und Q existieren natürliche Kettenhomotopien P X,Y ◦ QX,Y ≃ idC(X×Y ) und QX,Y ◦ P X,Y ≃ idC(X)⊗C(Y ) . V.6. EILENBERG–ZILBER ÄQUIVALENZ 225 Insbesondere ist jede Eilenberg–Zilber Äquivalenz eine Kettenhomotopieäquivalenz. Weiters sind je zwei Eilenberg–Zilber Äquivalenzen (vom selben Typ) kettenhomotopieäquivalent. Sind P und Q Eilenberg–Zilber Äquivalenzen, dann kommutieren die folgenden Diagramme bis auf natürliche Kettenhomotopie: P X,Y C(X) ⊗ C(Y ) P Y,X C(Y ) ⊗ C(X) C(X) ⊗ C(Y ) / T♯X,Y τ C(X),C(Y ) QX,Y C(X × Y ) / / C(X) ⊗ C(Y ) ⊗ C(Z) τ C(X),C(Y ) QY,X C(Y × X) P X,Y ⊗idC(Z) / P X×Y,Z P X,Y ×Z C(X) ⊗ C(Y × Z) / QX×Y,Z C(X × Y × Z) C(Y ) ⊗ C(X) / C(X × Y ) ⊗ C(Z) idC(X) ⊗P Y,Z / C(X × Y × Z) C(X × Y ) ⊗ C(Z) QX,Y ⊗idC(Z) idC(X) C(X) ⊗ C(Y × Z) C(X) ⊗ C({∗}) P X,{∗} / ⊗QY,Z C(X × {∗}) / C(X) ⊗ Z C(X) ⊗ C(Y ) ⊗ C(Z) QX,{∗} / C(X) ⊗ C({∗}) idC(X) ⊗ε{∗} C(X) (V.44) idC(X) ⊗ε{∗} (V.43) QX,Y ×Z (V.42) (V.45) C(X) ⊗ Z Dabei bezeichnet T X,Y die Abbildung T X,Y : X ×Y → Y ×X, T X,Y (x, y) := (y, x). Beweis. Wir führen den Beweis mittels der Methode der azyklischen Modelle. Da ∆p × ∆q kontrahierbar ist, gilt: ( Z falls k = 0 Hk C(∆p × ∆q ) = Hk (∆p × ∆q ) = (V.46) 0 sonst Aus der Kontrahierbarkeit von ∆p und Satz V.5.8 erhalten wir weiters: ( Z falls k = 0 Hk C(∆p ) ⊗ C(∆q ) = 0 sonst (V.47) Wir zeigen zunächst die Existenz von P , es sind daher Homomorphismen PnX,Y : C(X) ⊗ C(Y ) n → Cn (X × Y ) (V.48) 226 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN zu konstruieren, sodass P0X,Y (x ⊗ y) = (x, y) (V.49) X,Y ∂nC(X×Y ) ◦ PnX,Y = Pn−1 ◦ ∂nC(X)⊗C(Y ) X ′ ,Y ′ (f × g)♯ ◦ PnX,Y = Pn (V.50) ◦ (f♯ ⊗ g♯ ) (V.51) für alle singuläre 0-Simplizes x : ∆0 → X und y : ∆0 → Y und alle stetigen Abbildungen f : X → X ′ sowie g : Y → Y ′ . Wir konstruieren PnX,Y mittels Induktion nach n. Für den Induktionsbeginn bemerken wir, dass P0X,Y durch (V.49) völlig festgelegt ist und offensichtlich (V.51) mit n = 0 erfüllt. Für den IndukX,Y tionsschritt nehmen wir nun an, dass P0X,Y , . . . , Pn−1 mit obigen Eigenschaften (V.49) bis (V.51) bereits konstruiert sind, n ≥ 1. Aus der Induktionsvoraussetzung (V.50) erhalten wir C(X×Y ) ∂n−1 C(X)⊗C(Y ) X,Y X,Y ◦ ∂n−1 ◦ ∂nC(X)⊗C(Y ) = Pn−2 ◦ Pn−1 ◦ ∂nC(X)⊗C(Y ) = 0. Für p+q = n ist id∆p ⊗ id∆q ∈ (C(∆p )⊗C(∆q ))n . Da Hn−1 (C(∆p )⊗C(∆q )) = 0, siehe (V.46), erhalten wir aus obiger Gleichung mit X = ∆p und Y = ∆q also bp,q ∈ Cn (∆p × ∆q ) mit p q p q ∆p ,∆q (V.52) ◦ ∂nC(∆ )⊗C(∆ ) (id∆p ⊗ id∆q ). ∂nC(∆ ×∆ ) (bp,q ) = Pn−1 Die letzte Behauptung bleibt auch für n = 1 richtig, denn C(X)⊗C(Y ) εX×Y ◦ P0X,Y ◦ ∂1 C(X)⊗C(Y ) = (εX ⊗ εY ) ◦ ∂1 =0 L p q und H0 (ker(ε∆ ×∆ )) = H̃0 (∆p ×∆q ) = 0. Da (C(X)⊗C(Y ))n = p+q=n Cp (X)⊗ Cq (Y ) können wir nun Homomorphismen PnX,Y wie in (V.48) auf singulären Simplizes σ : ∆p → X und τ : ∆q → Y durch PnX,Y (σ ⊗ τ ) := (σ × τ )♯ (bp,q ) definieren. Dieses PnX,Y ist natürlich, dh. erfüllt (V.51), denn: (f × g)♯ ◦ PnX,Y (σ ⊗ τ ) = (f × g)♯ ◦ (σ × τ )♯ (bp,q ) = (f × g) ◦ (σ × τ ) ♯ (bp,q ) = (f ◦ σ) × (g ◦ τ ) ♯ (bp,q ) ′ ′ = PnX ,Y (f ◦ σ) ⊗ (g ◦ τ ) ′ ′ = PnX ,Y f♯ (σ) ⊗ g♯ (τ ) ′ ′ = PnX ,Y ◦ (f♯ ⊗ g♯ ) (σ ⊗ τ ) (V.53) V.6. EILENBERG–ZILBER ÄQUIVALENZ 227 Der Homomorphsimus PnX,Y genügt aber auch der Kettenrelation (V.50), denn: ∂nC(X×Y ) ◦ PnX,Y (σ ⊗ τ ) = ∂nC(X×Y ) ◦ (σ × τ )♯ (bp,q ) p q = (σ × τ )♯ ◦ ∂nC(∆ ×∆ ) (bp,q ) p q ∆p ,∆q ◦ ∂nC(∆ )⊗C(∆ ) (id∆p ⊗ id∆q ) = (σ × τ )♯ ◦ Pn−1 p q X,Y ◦ (σ♯ ⊗ τ♯ ) ◦ ∂nC(∆ )⊗C(∆ ) (id∆p ⊗ id∆q ) = Pn−1 X,Y ◦ ∂nC(X)⊗C(Y ) ◦ (σ♯ ⊗ τ♯ ) (id∆p ⊗ id∆q ) = Pn−1 X,Y ◦ ∂nC(X)⊗C(Y ) (σ ⊗ τ ) = Pn−1 Dabei haben wir im ersten Gleichheitszeichen die Definition (V.53) verwendet, im dritten ist (V.52) eingegangen, und im vierten Gleichheitszeichen haben wir die Natürlichkeit von Pn−1 , dh. die Induktionsvoraussetzung (V.51), verwendet. Damit ist der Beweis des Induktionsschrittes vollständig und die Existenz einer Eilenberg–Zilber Äquivalenz P gezeigt. Wir widmen uns nun der Existenz von Q, es sind daher Homomorphismen QX,Y : Cn (X × Y ) → C(X) ⊗ C(Y ) n (V.54) n zu konstruieren, sodass (x, y) = x ⊗ y QX,Y 0 ∂nC(X)⊗C(Y ) ◦ QX,Y n = QX,Y n−1 (V.55) (V.56) ◦ (f × g)♯ (V.57) ◦ X ′ ,Y ′ (f♯ ⊗ g♯ ) ◦ QX,Y = Qn n ∂nC(X×Y ) für alle singuläre 0-Simplizes x : ∆0 → X und y : ∆0 → Y und alle stetigen Abbildungen f : X → X ′ sowie g : Y → Y ′ . Wir konstruieren QX,Y wieder n mittels Induktions nach n. Für den Induktionsbeginn bemerken wir, dass QX,Y 0 durch (V.55) völlig festgelegt ist und offensichtlich (V.57) mit n = 0 erfüllt. Für den Induktionsschritt nehmen wir nun an, dass QX,Y , . . . , QX,Y 0 n−1 mit obigen Eigenschaften (V.55) bis (V.57) bereits konstruiert sind, n ≥ 1. Aus der Induktionsvoraussetzung (V.56) erhalten wir C(X)⊗C(Y ) ∂n−1 C(X×Y ) C(X×Y ) ◦ QX,Y = QX,Y n−1 ◦ ∂n n−2 ◦ ∂n−1 ◦ ∂nC(X×Y ) = 0. Betrachte nun die Diagonalabbildung Dn : ∆n → ∆n × ∆n , Dn (t) := (t, t), als singulären Simplex Dn ∈ Cn (∆n × ∆n ). Da Hn−1 (C(∆n ) ⊗ C(∆n )) = 0, siehe (V.47), erhalten wir aus obiger Gleichung mit X = Y = ∆n also bn ∈ (C(∆n ) ⊗ C(∆n ))n mit n ,∆n n n n n ◦ ∂nC(∆ ×∆ ) (Dn ). ∂nC(∆ )⊗C(∆ ) (bn ) = Q∆ (V.58) n−1 Dies bleibt auch für n = 1 richtig, denn C(X×Y ) (εX ⊗ εY ) ◦ QX,Y ◦ ∂1 0 C(X×Y ) = εX×Y ◦ ∂1 =0 228 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN n n und H0 (ker(ε∆ ⊗ ε∆ )) = 0. Definiere nun einen Homomorphismus QX,Y wie in n n (V.54) auf singulären Simiplizes σ : ∆ → X × Y durch n QX,Y (V.59) n (σ) := (π1 ◦ σ)♯ ⊗ (π2 ◦ σ)♯ (b ), wobei π1 : X × Y → X und π2 : X × Y → Y die beiden kanonischen Projektionen bezeichnen. Dieses QX,Y ist natürlich, dh. erfüllt (V.57), denn: n n (f♯ ⊗ g♯ ) ◦ QX,Y (σ) = (f ⊗ g ) ◦ (π ◦ σ) ⊗ (π ◦ σ) (b ) ♯ ♯ 1 ♯ 2 ♯ n = f♯ ◦ (π1 ◦ σ)♯ ⊗ g♯ ◦ (π2 ◦ σ)♯ (bn ) = (f ◦ π1 ◦ σ)♯ ⊗ (g ◦ π2 ◦ σ)♯ (bn ) = (π1 ◦ (f × g) ◦ σ)♯ ⊗ (π2 ◦ (f × g) ◦ σ)♯ (bn ) ′ ,Y ′ = QX (f × g) ◦ σ n ′ ,Y ′ = QX ◦ (f × g)♯ (σ) n Der Homomorphsimus QX,Y genügt aber auch der Kettenrelation (V.56), denn: n n C(X)⊗C(Y ) X,Y C(X)⊗C(Y ) ∂n ◦ Qn (σ) = ∂n ◦ (π1 ◦ σ)♯ ⊗ (π2 ◦ σ)♯ (b ) n n = (π1 ◦ σ)♯ ⊗ (π2 ◦ σ)♯ ◦ ∂nC(∆ )⊗C(∆ ) (bn ) ∆n ,∆n C(∆n ×∆n ) = (π1 ◦ σ)♯ ⊗ (π2 ◦ σ)♯ ◦ Qn−1 ◦ ∂n (Dn ) n n C(∆ ×∆ ) (Dn ) = QX,Y n−1 ◦ (π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ) ♯ ◦ ∂n C(X×Y ) = QX,Y ◦ (π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ) ♯ (Dn ) n−1 ◦ ∂n C(X×Y ) = QX,Y (π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ) ◦ Dn n−1 ◦ ∂n C(X×Y ) = QX,Y (σ) n−1 ◦ ∂n Dabei haben wir im ersten Gleichheitszeichen die Definition (V.59) verwendet, im dritten ist (V.58) eingegangen, und im vierten haben wir die Natürlichkeit von Qn−1 , dh. die Induktionsvoraussetzung (V.57), verwendet. Damit ist der Induktionsschritt gezeigt und die Existenz einer Eilenberg–Zilber Äquivalenz Q bewiesen. Betrachten wir nun zwei fixe Eilberg–Zilber Äquivalenzen P und Q wie oben. Wir wollen zunächst P X,Y ◦ QX,Y ≃ idC(X×Y ) zeigen. Beachte, dass ϕX,Y := P X,Y ◦ QX,Y − idC(X×Y ) : C(X × Y ) → C(X × Y ) eine natürliche Kettenabbildung ist, die auf C0 (X × Y ) verschwindet. Wir konstruieren nun induktiv natürliche Homomorphismen hX,Y : Cn (X × Y ) → Cn+1(X × Y ) n (V.60) V.6. EILENBERG–ZILBER ÄQUIVALENZ 229 sodass C(X×Y ) ϕX,Y = ∂n+1 n X ′ ,Y ′ (f × g)♯ ◦ hX,Y = hn n C(X×Y ) ◦ hX,Y + hX,Y n n−1 ◦ ∂n ◦ (f × g)♯ (V.61) (V.62) für alle stetigen Abbildungen f : X → X ′ und g : Y → Y ′ . Für den Induktionsbeginn genügt es zu beobachten, dass hX,Y := 0 alle gewünschten Eigenschaften 0 X,Y hat. Induktiv nehmen wir nun an h0 , . . . , hX,Y n−1 , n ≥ 1, sind schon konstruiert und genügen den Relationen (V.61) und (V.62) oben. Aus der Induktionsvoraussetzung, siehe (V.61), erhalten wir C(X×Y ) ∂nC(X×Y ) ◦ ϕX,Y − hX,Y n n−1 ◦ ∂n C(X×Y ) C(X×Y ) = ϕX,Y ◦ hX,Y n−1 − ∂n n−1 ◦ ∂n C(X×Y ) = hX,Y n−2 ◦ ∂n−1 ◦ ∂nC(X×Y ) = 0. Wir betrachten wieder Dn ∈ Cn (∆n ×∆n ). Da Hn (C(∆n ×∆n )) = 0, siehe (V.46), erhalten wir aus obiger Relation mit X = Y = ∆n also an+1 ∈ Cn+1 (∆n × ∆n ) mit n ,∆n n ,∆n n n C(∆n ×∆n ) ∂n+1 (an+1 ) = ϕ∆ (V.63) ◦ ∂nC(∆ ×∆ ) (Dn ). − h∆ n−1 n Wir definieren nun einen Homomorphismus hX,Y wie in (V.60) auf singulären n Simplizes σ : ∆n → X × Y durch hX,Y n (σ) := (π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ) ♯ (an+1 ) (V.64) wobei π1 : X × Y → X und π2 : X × Y → Y die beiden kanonischen Projektionen bezeichnen, und daher (π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ) : ∆n × ∆n → X × Y . Dieses hX,Y ist n natürlich, dh. erfüllt (V.62), denn: (f × g)♯ ◦ hX,Y (σ) = (f × g)♯ ◦ ((π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ))♯ (an+1 ) n = (f × g) ◦ ((π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ)) ♯ (an+1 ) = (f ◦ π1 ◦ σ) × (g ◦ π2 ◦ σ) ♯ (an+1 ) = (π1 ◦ (f × g) ◦ σ) × (π2 ◦ (f × g) ◦ σ) ♯ (an+1 ) ′ ,Y ′ = hX (f × g) ◦ σ n ′ ,Y ′ = hX ◦ (f × g)♯ (σ) n 230 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Der Homomorphismus hX,Y erfüllt aber auch die Homotopierelation (V.61), denn: n C(X×Y ) C(X×Y ) ∂n+1 ◦ hX,Y (σ) = ∂n+1 ◦ ((π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ))♯ (an+1 ) n C(∆n ×∆n ) = ((π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ))♯ ◦ ∂n+1 (an+1 ) ∆n ,∆n ∆n ,∆n C(∆n ×∆n ) = ((π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ))♯ ◦ ϕn (Dn ) − hn−1 ◦ ∂n C(X×Y ) = ϕX,Y ◦ ((π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ))♯ (Dn ) − hX,Y n−1 ◦ ∂n n C(X×Y ) = ϕX,Y − hX,Y (π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ)) ◦ Dn n n−1 ◦ ∂n C(X×Y ) = ϕX,Y − hX,Y (σ) n−1 ◦ ∂n n Dabei haben wir im ersten Gleichheitszeichen die Definition (V.64) verwendet, im dritten ist (V.63) eingegangen, und im vierten Gleichheitszeichen haben wir die Natürlichkeit von ϕn und hn−1 , dh. die Induktionsvoraussetzung (V.62), angewandt. Damit ist der Induktionsschritt vollständig, und hX,Y daher die gesuchte Homotopie. Wir wollen nun auch QX,Y ◦ P X,Y ≃ idC(X)⊗C(Y ) zeigen. Beachte, dass ψ X,Y := QX,Y ◦ P X,Y − idC(X)⊗C(Y ) : C(X) ⊗ C(Y ) → C(X) ⊗ C(Y ) eine natürliche Kettenabbildung ist, die auf (C(X) ⊗ C(Y ))0 verschwindet. Wir konstruieren nun induktiv natürliche Homomorphismen knX,Y : C(X) ⊗ C(Y ) n → C(X) ⊗ C(Y ) n+1 (V.65) sodass C(X)⊗C(Y ) ψnX,Y = ∂n+1 X ′ ,Y ′ (f♯ ⊗ g♯ ) ◦ knX,Y = kn X,Y ◦ ∂nC(X)⊗C(Y ) ◦ knX,Y + kn−1 ◦ (f♯ ⊗ g♯ ) (V.66) (V.67) für alle stetigen Abbildungen f : X → X ′ und g : Y → Y ′ . Für den Induktionsbeginn genügt es zu beobachten, dass k0X,Y := 0 alle gewünschten Eigenschaften X,Y hat. Induktiv nehmen wir nun an k0X,Y , . . . , kn−1 , n ≥ 1, sind schon konstruiert und genügen den Relationen (V.66) und (V.67) oben. Aus der Induktionsvoraussetzung, siehe (V.66), erhalten wir X,Y ◦ ∂nC(X)⊗C(Y ) ∂nC(X)⊗C(Y ) ◦ ψnX,Y − kn−1 X,Y X,Y ◦ ∂nC(X)⊗C(Y ) − ∂nC(X)⊗C(Y ) ◦ kn−1 = ψn−1 C(X)⊗C(Y ) X,Y ◦ ∂n−1 = kn−2 ◦ ∂nC(X)⊗C(Y ) = 0. Für p + q = n ist id∆p ⊗ id∆q ∈ (C(∆p ) ⊗ C(∆q ))n . Da Hn (C(∆p ) ⊗ C(∆q )) = 0, siehe (V.47), erhalten wir aus obiger Gleichung für X = ∆p und Y = ∆q also ap,q ∈ (C(∆p ) ⊗ C(∆q ))n+1 mit p q C(∆p )⊗C(∆q ) ∆p ,∆q ∆ ,∆ C(∆p )⊗C(∆q ) ∂n+1 (ap,q ) = ψn − kn−1 ◦ ∂n (id∆p ⊗ id∆q ). (V.68) V.6. EILENBERG–ZILBER ÄQUIVALENZ 231 Wir definieren nun einen Homomorphismus knX,Y wie in (V.65) auf singulären Simplizes σ : ∆p → X und τ : ∆q → Y durch knX,Y (σ ⊗ τ ) := (σ♯ ⊗ τ♯ )(ap,q ). (V.69) Dieses knX,Y ist natürlich, dh. erfüllt (V.67), denn: (f♯ ⊗ g♯ ) ◦ knX,Y (σ ⊗ τ ) = (f♯ ⊗ g♯ ) ◦ (σ♯ ⊗ τ♯ ) (ap.q ) = (f♯ ◦ σ♯ ) ⊗ (g♯ ◦ τ♯ ) (ap.q ) = (f ◦ σ)♯ ⊗ (g ◦ τ )♯ (ap.q ) ′ ′ = knX ,Y (f ◦ σ) ⊗ (g ◦ τ ) ′ ′ = knX ,Y (f♯ σ) ⊗ (g♯ τ ) ′ ′ = knX ,Y ◦ (f♯ ⊗ g♯ ) (σ ⊗ τ ) Der Homomorphismus knX,Y erfüllt auch die Homotopierelation (V.66), denn: C(X)⊗C(Y ) C(X)⊗C(Y ) ∂n+1 ◦knX,Y (σ ⊗ τ ) = ∂n+1 ◦ (σ♯ ⊗ τ♯ ) (ap,q ) C(∆p )⊗C(∆q ) = (σ♯ ⊗ τ♯ ) ◦ ∂n+1 (ap,q ) ∆p ,∆q ∆p ,∆q C(∆p )⊗C(∆q ) = (σ♯ ⊗ τ♯ ) ◦ ψn − kn−1 ◦ ∂n (id∆p ⊗ id∆q ) X,Y = ψnX,Y − kn−1 ◦ ∂nC(X)⊗C(Y ) ◦ (σ♯ ⊗ τ♯ ) (id∆p ⊗ id∆q ) X,Y X,Y C(X)⊗C(Y ) = ψn − kn−1 ◦ ∂n (σ ⊗ τ ) Dabei haben wir im ersten Gleichheitszeichen die Definition (V.69) verwendet, im dritten ist (V.68) eingegangen, und im vierten Gleichheitszeichen haben wir die Natürlichkeit von ψn und kn−1 , dh. die Induktionsvoraussetzung (V.67), angewandt. Damit ist der Induktionsschritt vollständig, und k X,Y daher die gesuchte Homotopie. Die nächste Behauptung des Satzes ist nun eine formale Konsequenz. Sind etwa P und P̃ zwei Eilenberg–Zilber Äquivalenzen dann folgt aus den obigen Überlegungen P = id ◦P ≃ (P̃ ◦ Q) ◦ P = P̃ ◦ (Q ◦ P ) ≃ P̃ ◦ id = P̃ . Analog folgt für zwei Eilenberg–Zilber Äquivalenzen Q und Q̃ vom anderen Typ sofort Q = id ◦Q ≃ (Q̃ ◦ P ) ◦ Q = Q̃ ◦ (P ◦ Q) ≃ Q̃ ◦ id = Q̃. Wir werden nun zeigen, dass das Diagramm (V.42) bis auf Homotopie kommutiert. Beachte, dass die Komposition T♯Y,X ◦ P Y,X ◦ τ C(X),C(Y ) : C(X) ⊗ C(Y ) → C(X × Y ) eine Eilenberg–Zilber Äquivalenz ist, und daher nach obigen Überlegungen kettenhomotop zu P X,Y sein muss. Mit (T Y,X )−1 = T X,Y folgt nun, dass der linke Teil von (V.42) bis auf Homotopie kommutativ ist. Völlig analog ist τ C(Y ),C(X) ◦ QY,X ◦ T♯X,Y : C(X × Y ) → C(X) ⊗ C(Y ) 232 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN eine Eilenberg–Zilber Äquivalenz und daher homotop zu QX,Y , also kommutiert auch die rechte Seite von (V.42) bis auf Homotopie. Widmen wir uns nun der Kommutativität von (V.43). Beachte, dass die Abbildung ϕX,Y,Z : C(X) ⊗ C(Y ) ⊗ C(Z) → C(X × Y × Z), ϕX,Y,Z := P X,Y ×Z ◦ idC(X) ⊗P Y,Z − P X×Y,Z ◦ P X,Y ⊗ idC(Z) eine natürliche Kettenabbildung ist, die auf C(X)⊗C(Y )⊗C(Z) 0 verschwindet. Wir konstruieren nun induktiv natürliche Homomorphismen LX,Y,Z : C(X) ⊗ C(Y ) ⊗ C(Z) n → Cn+1 (X × Y × Z) (V.70) n sodass C(X×Y ×Z) ϕX,Y,Z = ∂n+1 n ′ ,Y (f × g × h)♯ ◦ LX,Y,Z = LX n n ′ ,Z ′ C(X)⊗C(Y )⊗C(Z) ◦ LX,Y,Z + LX,Y,Z (V.71) n−1 ◦ ∂n n ◦ (f♯ ⊗ g♯ ⊗ h♯ ) (V.72) für alle stetigen Abbildungen f : X → X ′ , g : Y → Y ′ und h : Z → Z ′ . Für den Induktionsbeginn können wir wieder LX,Y,Z := 0 setzen. Für den Induktions0 X,Y,Z schritt ist nun Ln zu konstruieren. Aus der Induktionsvoraussetzung (V.71) erhalten wir C(X)⊗C(Y )⊗C(Z) ∂nC(X×Y ×Z) ◦ ϕX,Y,Z − LX,Y,Z = 0. n n−1 ◦ ∂n Für p + q + r = n ist id∆p ⊗ id∆q ⊗ id∆r ∈ (C(X) ⊗ C(Y ) ⊗ C(Z))n . Aufgrund von Hn (C(∆p ) ⊗ C(∆q ) ⊗ C(∆r )) = 0 erhalten wir aus obiger Relation für X = ∆p , Y = ∆q , Z = ∆r also cp,q,r ∈ Cn+1 (∆p × ∆q × ∆r ) mit C(∆p ×∆q ×∆r ) p,q,r X,Y,Z C(X)⊗C(Y )⊗C(Z) (id∆p ⊗ id∆q ⊗ id∆r ). ◦ ∂ − L ∂n+1 (c ) = ϕX,Y,Z n n−1 n Wir definieren nun einen Homomorphismus LX,Y,Z wie in (V.70) auf singulären n p q r Simplizes σ : ∆ → X, τ : ∆ → Y und ρ : ∆ → Z durch LX,Y,Z (σ ⊗ τ ⊗ ρ) := (σ × τ × ρ)♯ (cp,q,r ). n Einfache Rechnungen analog zu denen weiter oben zeigen, dass Ln (V.71) und (V.72) genügt. Damit ist der Induktionsschritt gezeigt, und LX,Y,Z die gesucht Homotopie. Völlig analog lässt sich zeigen, dass auch (V.44) bis auf Homotopie kommutiert. Dasselbe Argument zeigt auch, dass (V.45) bis auf Homotopie kommutativ ist. Wieder sind bzw. ϕX := P X,{∗} − idC(X) ⊗ε{∗} : C(X) ⊗ C({∗}) → C(X) ψ X := idC(X) ⊗ε{∗} ◦ QX,{∗} − idC(X) : C(X × {∗}) → C(X) natürliche Kettenabbildung die auf C(X) ⊗ C({∗}) 0 bzw. C0 (X × {∗}) verschwinden. Die Konstruktionen der gesuchten natürlichen Homotopien basiert nun auf Hn (C(∆n ) ⊗ C({∗})) = 0 bzw. Hn (∆n × {∗}) = 0, für alle n ≥ 1. V.6. EILENBERG–ZILBER ÄQUIVALENZ 233 V.6.3. Bemerkung. Es ist offensichtlich, dass wir im obigen Beweis wieder und wieder dasselbe Argument verwendet haben. Die Beweismethode lässt sich weiter formalisieren und ist unter dem Namen Methode der azyklischen Modelle bekannt, siehe etwa [2]. In unserem Beweis oben haben die Kettenkomplexe C(∆p × ∆q ) und C(∆p ) ⊗ C(∆q ) die Rolle der azyklischen Modelle gespielt. V.6.4. Bemerkung. Es ist möglich eine explizite Formel für eine Eilenberg– Zilber Äquivalenz anzugeben. Wir betrachten dazu die Abbildungen inq : ∆q → ∆n inq (t0 , . . . , tq ) := (t0 , . . . , tq , 0, . . . , 0) jqn : ∆n−q → ∆n jqn (tq , . . . , tn ) := (0, . . . , 0, tq , . . . , tn ) Definieren wir QX,Y : C(X × Y ) → C(X) ⊗ C(Y ) auf singulären Simplizes σ : ∆n → X × Y durch X,Y Q n X (σ) := q=0 (π1 ◦ σ ◦ inq ) ⊗ (π2 ◦ σ ◦ jqn ) (V.73) wobei π1 : X × Y → X und π2 : X × Y → Y die beiden kanonischen Projektionen bezeichnen, dann ist dies eine Eilenberg–Zilber Äquivalenz. Um dies einzusehen bemerken wir zunächst, dass dieses Q offensichtlich die Normierungsbedingung erfüllt. Auch die Natürlichkeit lässt sich leicht zeigen, denn für stetige Abbildungen f : X → X ′ , g : Y → Y ′ und σ : ∆n → X × Y gilt: X,Y (f♯ ⊗ g♯ ) ◦ Q (σ) = = n X q=0 n X q=0 (f ◦ π1 ◦ σ ◦ inq ) ⊗ (g ◦ π2 ◦ σ ◦ jqn ) (π1 ◦ (f × g) ◦ σ ◦ inq ) ⊗ (π2 ◦ (f × g) ◦ σ ◦ jqn ) ′ ′ = QX ,Y ◦ (f × g)♯ (σ) Aufgrund der Natürlichkeit von Q genügt es noch ∂nC(∆ n )⊗C(∆n ) ◦ Q∆ n ,∆n (Dn ) = Q∆ n ,∆n ◦ ∂nC(∆ n ×∆n ) (Dn ) (V.74) 234 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN zu zeigen, wobei Dn ∈ Cn (∆n × ∆n ) die Diagonalabbildung bezeichnet. Dann folgt nämlich für jeden singulären Simplex σ : ∆n → X × Y , ∂ C(X)⊗C(Y ) ◦ QX,Y (σ) = ∂ C(X)⊗C(Y ) ◦ QX,Y ◦ ((π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ))♯ (Dn ) n n = ∂ C(X)⊗C(Y ) ◦ ((π1 ◦ σ)♯ ⊗ (π2 ◦ σ)♯ ) ◦ Q∆ ,∆ (Dn ) n n n n = ((π1 ◦ σ)♯ ⊗ (π2 ◦ σ)♯ ) ◦ ∂ C(∆ )⊗C(∆ ) ◦ Q∆ ,∆ (Dn ) n n n n = ((π1 ◦ σ)♯ ⊗ (π2 ◦ σ)♯ ) ◦ Q∆ ,∆ ◦ ∂ C(∆ ×∆ ) (Dn ) n n = QX,Y ◦ ((π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ))♯ ◦ ∂ C(∆ ×∆ ) (Dn ) = QX,Y ◦ ∂ C(X×Y ) ◦ ((π1 ◦ σ) × (π2 ◦ σ))♯ (Dn ) = QX,Y ◦ ∂ C(X×Y ) (σ) P n n Nun zu (V.74). Es gilt Q∆ ,∆ (Dn ) = nq=0 inq ⊗ jqn und daher: n n ∂nC(∆ )⊗C(∆ ) ∆n ,∆n ◦Q = n n−1 X X C(∆n ) C(∆n ) n n (Dn ) = (∂q iq ) ⊗ jq + (−1)q inq ⊗ (∂n−q jqn ) q=1 q n X X q=1 l=0 = q−1 n X X q=1 l=0 + (−1)l (inq ◦ δql ) ⊗ jqn + n−q n−1 X X n X (−1)q (−1)l (δnl+q ◦ iqn−1 ) ⊗ (δnl+q ◦ jqn−1 ) (−1)q inq−1 q=1 = q n−1 X X q=0 l=0 + q=0 l=0 l (−1)q (−1)l inq ⊗ (jqn ◦ δn−q ) n−1 n−1 (−1)l (δnl ◦ iq−1 ) ⊗ (δnl ◦ jq−1 ) q=0 l=1 + q=0 n−q n−1 X X ⊗ jqn + n−1 X q=0 n (−1)q inq ⊗ jq+1 (−1)l (δnl ◦ iqn−1 ) ⊗ (δnl ◦ jqn−1 ) n−1 X n X (−1)l (δnl ◦ iqn−1 ) ⊗ (δnl ◦ jqn−1 ) q=0 l=q+1 = n X n−1 X l=0 q=0 = Q∆ (−1)l (δnl ◦ iqn−1 ) ⊗ (δnl ◦ jqn−1 ) n ,∆n ◦ ∂nC(∆ n ×∆n ) (Dn ) Dabei haben wir im dritten Gleichheitszeichen die offensichtlichen Relationen n−1 n−1 l , l < q, und und jqn ◦ δn−q = δnl+q ◦ jqn−1 sowie jqn = δnl ◦ jq−1 inq ◦ δql = δnl ◦ iq−1 n l n−1 n q n n 0 n iq = δn ◦iq , l > q, sowie iq ◦δq = iq−1 und jq ◦δn−q = jq+1 benutzt. Also definiert V.6. EILENBERG–ZILBER ÄQUIVALENZ 235 (V.73) tatsächlich eine Eilenberg–Zilber Äquivalenz. Nach Satz V.6.2 ist dies eine Kettenhomotopieäquivalenz. Beachte, dass für dieses Q das Diagramm (V.44) strikt kommutativ ist. Ebenso lässt sich eine explizite Formel für eine Eilenberg– Zilber Äquivalenz P angeben, siehe etwa [20, page 240]. Sei nun R ein kommutativer Ring mit Eins und P eine Eilenberg–Zilber Äquivalenz. Tensorieren wir P X,Y : C(X) ⊗ C(Y ) → C(X × Y ) mit R, so erhalten wir, vgl. Bemerkung V.5.2, P X,Y ⊗idR P X,Y ;R : C(X; R) ⊗R C(Y ; R) = C(X) ⊗ C(Y ) ⊗ R −−−−−−→ C(X × Y ; R). Nach Satz V.6.2 ist dies eine Kettenhomotopieäquivalenz und induziert daher einen Isomorphismus graduierter R-Moduln ∼ = → H(X × Y ; R). (V.75) P∗X,Y ;R : H C(X; R) ⊗R C(Y ; R) − Nach Satz V.6.2 hängt dieser Isomorphismus nicht von der Wahl von P ab. Kombinieren wir dies mit dem natürlichen Homomorphismus λ aus (V.36), so erhalten wir eine Homomorphismus graduierter R-Moduln P∗X,Y ;R λC(X;R),C(Y ;R) H(X; R)⊗R H(Y ; R) −−−−−−−−→ H C(X; R)⊗R C(Y ; R) −− −−→ H(X ×Y ; R). Diese Komposition wird das Homologie-Kreuzprodukt genannt, und mit × H(X; R) ⊗R H(Y ; R) − → H(X × Y ; R) bezeichnet. Äquivalent, können wir das Homologie-Kreuzprodukt auch als Rbilineare Abbildung × Hp (X; R) × Hq (Y ; R) − → Hp+q (X × Y ; R) auffassen. Nach Definition gilt also a × b = P∗X,Y ;R ◦ λC(X;R),C(Y ;R) (a ⊗ b), für a ∈ H(X; R) und b ∈ H(Y ; R). Das Homologie-Kreuzprodukt hat die folgenden Eigenschaften. V.6.5. Satz (Homologie-Kreuzprodukt). Es seien R ein kommutativer Ring mit Eins, X, Y , Z topologische Räume, f : X → X ′ , g : Y → Y ′ stetige Abbildungen, a ∈ Hp (X; R), b ∈ Hq (Y ; R) und c ∈ Hr (Z; R). Dann gilt: (i) (a × b) × c = a × (b × c) (Assotiativität) pq (ii) b × a = (−1) T∗ (a × b) (graduierte Kommutativität59) (iii) a × 1{∗} = a (Einselement60) (iv) (f × g)∗ (a × b) = (f∗ a) × (g∗ b) (Natürlichkeit) 59Hier bezeichnet T die Abbildung T : X × Y → Y × X, T (x, y) := (y, x). ist Y = {∗} der einpunktige Raum, also X × Y = X, und 1{∗} ∈ H0 ({∗}; R) = R bezeichnet die kanonische Homologieklasse die dem Einselement in R entspricht. 60Hier 236 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Beweis. Ad (ii): Da der linke Teil des Diagramms (V.42) bis auf Homotopie kommutiert, erhalten wir für die induzierten Homomorphismen in der Homologie ein kommutatives Diagramm: H C(X; R) ⊗R C(Y ; R) P∗X,Y ;R P∗Y,X;R H(X × Y ; R) / C(X;R),C(Y ;R) τ∗ H C(Y ; R) ⊗R C(X; R) T∗ H(Y × X; R) / Zusammen mit der Kommutativität von λ, siehe Proposition V.5.6(ii), folgt nun: T∗ (a × b) = T∗ ◦ P∗X,Y ;R ◦ λC(X;R),C(Y ;R) (a ⊗ b) = P∗Y,X;R ◦ τ∗C(X;R),C(Y ;R) ◦ λC(X;R),C(Y ;R) (a ⊗ b) = P∗Y,X;R ◦ λC(Y ;R),C(X;R) ◦ τ H(X;R),H(Y ;R) (a ⊗ b) = P∗Y,X;R ◦ λC(Y ;R),C(X;R) ((−1)pq b ⊗ a) = (−1)pq b × a Ad (i): Da das Diagramm (V.43) bis auf Homotopie kommutiert, erhalten wir für die induzierten Abbildungen in der Homologie ein kommutatives Diagramm: ` ´ H C(X; R) ⊗R C(Y ; R) ⊗R C(X; R) (P X,Y ;R ⊗idC(Z;R) )∗ / ` ´ H C(X × Y ; R) ⊗R C(Z; R) (idC(X;R) ⊗P Y,Z;R )∗ ` ´ H C(X; R) ⊗R C(Y × Z; R) P∗X×Y,Z;R P∗X,Y ×Z;R / H(X × Y × Z; R) Aus der Natürlichkeit von λ, siehe Proposition V.5.6(i), erhalten wir die Relationen: (P X,Y ;R ⊗ idC(Z;R) ∗ ◦ λC(X×Y ;R),C(Z;R) = λC(X×Y ;R),C(Z;R) ◦ P∗X,Y ;R ⊗ idH(Z;R) (idC(X;R) ⊗P Y,Z;R ∗ ◦ λC(X;R),C(Y ×Z;R) = λC(X;R),C(Y ×Z;R) ◦ idH(X;R) ⊗P∗Y,Z;R Kombinieren wir dies mit der Assotiativität von λ, siehe Proposition V.5.6(iii), so folgt: P∗X×Y,Z;R ◦ λC(X×Y ;R),C(Z;R) ◦ P∗X,Y ;R ⊗ idH(Z;R) ◦ λC(X;R),C(Y ;R) ⊗ idH(Z;R) = P∗X,Y ×Z;R ◦ λC(X;R),C(Y ×Z;R) ◦ idH(X;R) ⊗P∗Y,Z;R ◦ idH(X) ⊗λC(Y ;R),C(Z;R) Werten wir diese Gleichheit bei a ⊗ b ⊗ c ∈ H(X; R) ⊗R H(Y ; R) ⊗R H(Z; R) aus, so erhalten wir nun (a × b) × c = a × (b × c). V.6. EILENBERG–ZILBER ÄQUIVALENZ 237 Ad (iii): Aus der Natürlichkeit von λ, siehe Proposition V.5.6(i), und da der linke Teil des Diagramms (V.45) kommutiert, erhalten wir folgendes kommutatives Diagramm: λC(X;R),C({∗};R) H(X; R) ⊗R H({∗}; R) X,{∗};R / ` ´ H C(X; R) ⊗R C({∗}; R) {∗};R λC(X;R),R H(X; R) ⊗R H(R) / H(X × {∗}; R) (idC(X;R) ⊗ε{∗};R )∗ idH(X;R) ⊗ε∗ P∗ / ` ´ H C(X; R) ⊗R R H(X; R) εX ⊗id R Dabei bezeichnet εX;R : C(X; R) = C(X) ⊗ R −−−−→ Z ⊗ R = R die mit R tensorierte Augmentation. Zusammen mit Proposition V.5.6(iv) folgt nun: a × 1{∗} = P∗X,{∗};R ◦ λC(X;R),C({∗};R) (a ⊗ 1{∗} ) = λC(X;R),R ◦ (idH(X;R) ⊗ε{∗};R ) (a ⊗ 1{∗} ) = λC(X;R),R (a ⊗ 1R ) = a ∗ Ad (iv): Aus der Natürlichkeit von P und der Natürlichkeit von λ, siehe Proposition V.5.6(i), erhalten wir ein kommutatives Diagramm λC(X;R),C(Y ;R) H(X; R) ⊗R H(Y ; R) / ` ´ H C(X; R) ⊗R C(Y ; R) / H(X × Y ; R) (f♯ ⊗g♯ )∗ f∗ ⊗g∗ P∗X,Y ;R H(X ′ ; R) ⊗R H(Y ′ ; R) ′ ′ λC(X ;R),C(Y ;R) / (f ×g)∗ ` ´ H C(X ′ ; R) ⊗R C(Y ′ ; R) ′ ′ P∗X ,Y ;R / H(X ′ × Y ′ ; R) und daher die Relation ′ (f × g)∗ ◦ P∗X,Y ;R ◦ λC(X;R),C(Y ;R) = P∗X ,Y ′ ;R ′ ◦ λC(X ;R),C(Y ′ ;R) ◦ (f∗ ⊗ g∗ ). Auswerten bei a ⊗ b ∈ H(X; R) ⊗R H(Y ; R) liefert dann (f × g)∗(a × b) = f∗ a × g∗ b. V.6.6. Bemerkung. Eine einfache Überlegung zeigt, dass das Homologiekreuzprodukt auch im Koeffizientenring natürlich ist, dh. für jeden Ringhomomorphismus ρ : R → R′ gilt ρ∗ (a × b) = ρ∗ a × ρ∗ b ∈ H(X × Y ; R′ ), wobei a ∈ H(X; R) und b ∈ H(Y ; R). Aus Satz V.5.7, siehe aber auch (V.75), erhalten wir sofort V.6.7. Korollar (Künneth Theorem für Räume). Es seien X und Y topologische Räume und K ein Körper. Dann liefert das Homologie-Kreuzprodukt ∼ = × : H(X; K) ⊗K H(Y ; K) − → H(X × Y ; K) einen natürlichen Isomorphismus graduierter K-Vektorräume, es gilt daher M Hp (X; K) ⊗K Hq (Y ; K). Hn (X × Y ; K) ∼ = p+q=n Ebenso erhalten wir aus Satz V.5.8 sofort 238 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN V.6.8. Korollar (Künneth Theorem für Räume). Für topologische Räume X und Y existiert eine natürliche kurze exakte Sequenz × 0 → H(X) ⊗ H(Y ) n − → Hn (X × Y ) → Tor H(X), H(Y ) n−1 → 0, (V.76) dh. für je zwei stetige Abbildungen f : X → X ′ und g : Y → Y ′ kommutiert das Diagramm: 0 f∗ ⊗g∗ 0 / H(X) ⊗ H(Y ) × n / H(X ′ ) ⊗ H(Y ′ ) / Hn (X × Y ) / Tor H(X), H(Y ) (f ×g)∗ × n / Hn (X ′ × Y ′ ) n−1 /0 Tor(f∗ ,g∗ ) / Tor H(X ′ ), H(Y ′ ) n−1 /0 Die Sequenz (V.76) splittet, es gilt daher Hn (X × Y ) ∼ = H(X) ⊗ H(Y ) n ⊕ Tor H(X), H(Y ) n−1 M M = Hq (X) ⊗ Hq (Y ) ⊕ Tor Hp (X), Hq (Y ) p+q=n p+q=n−1 Der Splitt kann jedoch nicht natürlich in X und Y gewählt werden. V.6.9. Korollar. Es seien X und Y zwei topologische Räume mit endlich erzeugter Homologie. Dann hat auch X × Y endlich erzeugte Homologie und X bp (X) · bq (Y ). bn (X × Y ) = p+q=n Beweis. Dies folgt aus Korollar V.6.8, denn für endlich erzeugte abelsche Gruppen A und B sind auch A ⊗ B sowie Tor(A, B) endlich erzeugt, und es gilt rank(A ⊗ B) = rank(A) · rank(B) sowie rank(Tor(A, B)) = 0. V.6.10. Bemerkung (Poincaré Polynom). Ist X ein topologischer Raum mit endlich erzeugter Homologie, dann wird X pX (t) := bq (X)tq q das Poincaré Polynom von X genannt. Beachte, dass pX (0) = b0 (X) mit der Anzahl der Wegzusammenhangskomponenten von X übereinstimmt, siehe Proposition IV.5.13. Weiters ist pX (1) = rank(H∗ (X)) und pX (−1) = χ(X). Für einen weiteren Raum Y mit endlich erzeugter Homologie gilt pX⊔Y = pX + pY und pX×Y = pX · pY . Die erste dieser Gleichung folgt aus Proposition IV.5.15, die zweite aus Korollar V.6.9. Insbesonder erhalten wir χ(X × Y ) = χ(X) · χ(Y ), denn χ(X × Y ) = pX×Y (−1) = pX (−1) · pY (−1) = χ(X) · χ(Y ). (V.77) V.6. EILENBERG–ZILBER ÄQUIVALENZ 239 V.6.11. Beispiel. Mittels Korollar V.6.8 können wir etwa H∗ (S m × S n ) berechnen. Es bezeichne dazu 1S n ∈ H0 (S n ) = Z den kanonischen Erzeuger und αS n ∈ Hn (S n ) einen Erzeuger, sodass 1S n und αS n eine Basis von H∗ (S n ) bilden, siehe Satz IV.9.5. Aus Korollar V.6.8 folgt nun, dass 1S m × 1S n , 1S m × αS n , αS m × 1S n , αS m × αS n eine Basis von H∗ (S m × S n ) bilden. In anderen Worten, H∗ (S m × S n ) ist eine freie graduierte abelsche Gruppe mit je einem Erzeuger im Grad 0, n, m und n + m. Etwas allgemeiner liefert das Kreuzprodukt für jeden Raum X einen Isomorphismus ∼ = → Hq (X × S n ), Hq (X) ⊕ Hq−n (X) − (a, b) 7→ a × 1S n + b × αS n . Mittels Induktion folgt für den n-dimensionalen Torus T n:= S 1 × · · · × S 1 , dass H∗ (T n ) eine freie abelsche Gruppe vom Rang bq (T n ) = nq ist. Wegen (V.77) ist P χ(T n ) = χ(S 1 )n = 0, was der Relation q (−1)q nq = 0 entspricht. Wir wollen nun auch eine relative Version des Homologie-Kreuzproduktes und des Künneth-Theorems besprechen. Seien dazu (X, A) und (Y, B) zwei Paare von Räumen. Aufgrund der Natürlichkeit der Eilenberg–Zilber Äquivalenzen kommutiert das folgende Diagramm C(A) ⊗ C(Y ) C(X) ⊗ C(Y ) P A,Y / P X,Y / O C(X) ⊗ C(B) P X,B / C(A × Y ) C(X × Y ) QA,Y QX,Y / C(X × B) C(X) ⊗ C(Y ) / O QX,B C(A) ⊗ C(Y ) / O C(X) ⊗ C(B) wobei die vertikalen Pfeile von den kanonischen Inkusionen induziert sind. Wir erhalten daher eine induzierte Kettenhomotopieäquivalenz C(X, A) ⊗ C(Y, B) = C(X) C(A) ⊗ C(Y ) C(B) P X,Y ≃ / C(X×Y ) C(A×Y )+C(X×B) mit Homotopieinverser die von QX,Y induziert wird. Setzen wir dies mit der von der kanonischen Inklusion C(A×Y )+C(X ×B) → C(A×Y ∪X ×B) induzierten Projektion C(X×Y ) C(X×Y ) → C(A×X∪X×B) = C X × Y, A × Y ∪ X × B (V.78) C(A×Y )+C(X×B) zusammen, so erhalten wir eine natürliche Kettenabbildung P (X,A),(Y,B) C(X, A) ⊗ C(Y, B) −−−−−−−→ C X × Y, A × Y ∪ X × B . (V.79) Ist nun R ein kommutativer Ring mit Eins, dann erhalten wir durch Tensorieren mit R eine Kettenabbildung P (X,A),(Y,B);R C(X, A; R) ⊗R C(Y, B; R) −−−−−−−−→ C X × Y, A × Y ∪ X × B; R , (V.80) 240 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN und diese induziert einen Homomorphismus graduierter R-Moduln P∗(X,A),(Y,B);R H C(X, A; R) ⊗R C(Y, B; R) −− −−−−−−→ H X × Y, A × Y ∪ X × B; R . Setzen wir dies mit dem natürlichen Homomorphismus, siehe (V.36), λC(X,A;R),C(Y,B;R) H(X, A; R) ⊗R H(Y, B; R) −−−−−−−−−−−→ H C(X, A; R) ⊗R C(Y, B; R) zusammen, so erhalten wir das relative Homologie-Kreuzprodukt × H(X, A; R) ⊗R H(Y, B; R) − → H X × Y, A × Y ∪ X × B; R Wir können das Homologiekreuzprodukt auch als R-bilineare Abbildung × Hp (X, A; R) × Hq (Y, B; R) − → Hp+q X × Y, A × Y ∪ X × B; R auffassen. Nach Definition gilt also a × b = P∗(X,A),(Y,B);R ◦ λC(X,Y ;R),C(Y,B;R) (a ⊗ b) für a ∈ H(X, A; R) und b ∈ H(Y, B; R). Satz V.6.5 bleibt für diese relative Version des Kreuzproduktes gültig, der Beweis ist völlig analog. Natürlichkeit bedeutet hier Kompatibilität mit den von Abbildungen f : (X, A) → (X ′ , A′ ) und g : (Y, B) → (Y ′ , B ′ ) induzierten Homomorphismen. Aufgrund der Natürlichkeit der Homotopien in Satz V.6.2 kommutieren auch die relativen Versionen der Diagramme in Satz V.6.2. Kompabilität mit dem Einhängungshomomorphismus lässt sich durch folgendes kommutatives Diagramm ausdrücken × Hp (X, A; R) ⊗R Hq (Y, B; R) / Hp+q (X × Y, A × Y ∪ X × B; R) δ Hp+q−1 (A × Y ∪ X × B; A × B; R) δ⊗id +(−1)p id ⊗δ O i∗ +j∗ × ⊕ × Hp−1(A; R) ⊗R Hq (Y, B; R) ⊕ Hp (X, A; R) ⊗R Hq−1 (B; R) / Hp+q−1(A × Y, A × B; R) ⊕ Hp+q−1 (X × B, A × B; R) wobei i : (A × Y, A × B) → (A × Y ∪ X × B, A × B) und j : (X × B, A × B) → (A×Y ∪X ×B, A×B) die kanonischen Inklusionen bezeichnen. Der Beweis dieser Tatsache ist eine einfache Übungsaufgabe, siehe [2, page 191]. Für a ∈ H(X, A; R) und b ∈ H(Y, B; R) gilt daher die (graduierte) Derivationsformel δ(a × b) = i∗ ((δa) × b) + (−1)|a| j∗ (a × δb). Ist B = ∅, so vereinfacht sich dies zu δ(a × b) = (δa) × b denn in diesem Fall ist i∗ die indentische Abbildung. (V.81) V.6. EILENBERG–ZILBER ÄQUIVALENZ 241 V.6.12. Lemma. Für U ⊆ X und V ⊆ X sind äquivalent: (i) C(U, U ∩ V ) → C(U ∪ V, V ) ist eine Homotopieäquivalenz. (ii) C(V, U ∩ V ) → C(U ∪ V, U) ist eine Homotopieäquivalenz. (iii) C(U, U ∩ V ) ⊕ C(V, U ∩ V ) → C(U ∪ V, U ∩ V ) ist eine Homotopieäqu. (iv) C(U) + C(V ) ⊆ C(U ∪ V ) ist eine Homotopieäquivalenz. )+C(V ) (v) C(U → C(U ∪ V, U ∩ V ) ist eine Homotopieäquivalenz. C(U ∩V ) (vi) C(X) C(U )+C(V ) → C(X, U ∪ V ) ist eine Homotopieäquivalenz. In dieser Situation wird (X; U, V ) eine excisive Triade genannt. Beweis. Die kanonischen Inklusionen induzieren kurze exakte Sequenzen von Kettenkomplexen: 0→ C(U) C(U ∪ V ) C(U ∪ V ) → → →0 C(U ∩ V ) C(V ) C(U) + C(V ) 0 → C(U) + C(V ) → C(U ∪ V ) → 0→ C(U ∪ V ) →0 C(U) + C(V ) C(U ∪ V ) C(U ∪ V ) C(U) + C(V ) → → →0 C(U ∩ V ) C(U ∩ V ) C(U) + C(V ) C(X) C(X) C(U ∪ V ) → → →0 C(U) + C(V ) C(U) + C(V ) C(U ∪ V ) Betrachten wir die davon induzierten langen exakten Homologiesequenzen und verwenden Korollar IV.4.22 so erhalten wir die Äquivalenz (i)⇔(iv)⇔(v)⇔(vi). Aus Symmetriegründen gilt daher auch (ii)⇔(iv)⇔(v)⇔(vi). Aus der Kommutativität des Diagramms 0→ C(U ) C(U ∩V ) ⊕ C(U )+C(V ) C(U ∩V ) C(V ) C(U ∩V ) NNN NNN NNN NN& C(U ∪V ) C(U ∩V ) folgt schließlich auch die Äquivalenz (iii)⇔(v). t tt tt t t tz t V.6.13. Beispiel. Es seien U ⊆ X und V ⊆ X. In folgenden Fällen bildet (X; U, V ) eine excisive Triade: (i) U = ∅ oder V = ∅. (ii) U und V sind beide offen in U ∪ V . (iii) U ist Deformationsretrakt einer Umgebung in U ∪ V , und V ist Deformationsretrakt einer Umgebung in U ∪ V . Der Fall (i) ist trivial, (ii) folgt aus Satz IV.8.9, siehe Lemma V.6.12(iv). Die letzte Aussage (iii) folgt aus der Homotopieinvarianz und Satz IV.8.9. 242 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN V.6.14. Bemerkung. Die Bedingung, dass (X; U, V ) eine excisive Triade bilden stellt sicher, dass sich das Argument im Beweis von Proposition V.4.23 durchführen lässt, und führt zu einer natürlichen langen exakten Mayer–Vietoris Sequenz δ · · · → Hq (U ∩ V ; G) → Hq (U ; G) ⊕ Hq (V ; G) → Hq (U ∪ V ; G) − → Hq−1 (U ∩ V ; G) → · · · für jede excisive Triade (X; U, V ) und jede abelsche Gruppe G. V.6.15. Proposition (Mayer–Vietoris Sequenz). Es seien U ⊆ X und V ⊆ X so, dass (X; U, V ) eine excisive Triade bildet. Dann existiert für jede abelsche Gruppe G eine natürliche lange exakte Sequenz: (j U ,−j V ) ιU +ιV ∗ ∗ · · · → Hq (X, U ∩ V ; G) −−∗−−− → Hq (X, U; G) ⊕ Hq (X, V ; G) −∗−−→ ιU +ιV δ ∗ −∗−−→ Hq (X, U ∪ V ; G) − → Hq−1 (X, U ∩ V ; G) → · · · Dabei bezeichnen j U : (X, U ∩ V ) → (X, U), j V : (X, U ∩ V ) → (X, V ), ιU : (X, U) → (X, U ∪ V ) und ιV : (X, V ) → (X, U ∪ V ) die kanonischen Inklusionen. Beweis. Betrachte die offene Überdeckung U := {U, V } von U ∪ V . Es bezeichne wieder C U (U ∪ V ) := C(U) + C(V ) ⊆ C(U ∪ V ) den Teilkomplex der von singulären Simplizes erzeugt wird, die zur Gänze in U oder V liegen. Wir erinnern uns an die kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen V ιU ♯ +ι♯ (j♯U ,−j♯V ) 0 → C(U ∩ V ) −−−−−→ C(U) ⊕ C(V ) −−−→ C U (U ∪ V ) → 0. Dies liefert eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen C(X) C(X) C(X) C(X) 0→ → ⊕ → U → 0. C(U ∩ V ) C(U) C(V ) C (U ∪ V ) Da dies freie Kettenkomplexe sind, erhalten wir durch Tensorieren mit G eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen V ιU ♯ +ι♯ (j♯U ,−j♯V ) 0 → C(X, U ∩ V ; G) −−−−−−→ C(X, U ; G) ⊕ C(X, V ; G) −−−−→ C U (X, U ∪ V ; G) → 0, wobei C U (X, U ∪ V ; G) := C(X)/C U (U ∪ V ) ⊗ G = C(X; G)/C U (U ∪ V ; G). Diese induziert eine lange exakte Sequenz von Homologiegruppen (j U ,−j V ) ιU +ιV ∗ ∗ · · · → Hq (X, U ∩ V ; G) −−∗−−− → Hq (X, U; G) ⊕ Hq (X, V ; G) −∗−−→ ιU +ιV δ ∗ −∗−−→ HqU (X, U ∪ V ; G) − → Hq−1 (X, U ∩ V ; G) → · · · (V.82) wobei H U (X, U ∪ V ; G) die Homologie des Kettenkomplexes C U (X, U ∪ V ; G) bezeichnet. Nach Voraussetzung, siehe Lemma V.6.12(vi), ist die kanonische Inklusion C U (X, U ∪ V ) → C(X, U ∪ V ) eine Kettenhomotopieäquivalenz, und induziert daher einen Isomorphismus von Homologiegruppen H U (X, U ∪ V ; G) = H(X, U ∪V ; G). Zusammen mit (V.82) erhalten wir nun die gesuchte lange exakte Sequenz. V.6. EILENBERG–ZILBER ÄQUIVALENZ 243 V.6.16. Proposition. Sind (X, A) und (Y, B) Paare von Räumen, sodass (X × Y ; A × Y, X × B) eine excisive Triade bildet, dann ist ≃ P (X,A),(Y,B);R : C(X, A; R) ⊗R C(Y, B; R) − → C X × Y, A × Y ∪ X × B; R eine Kettenhomotopieäquivalenz, für jeden kommutativen Ring R. Beweis. In dieser Situation ist (V.78) eine Kettenhomotopieäquivalenz, siehe Lemma V.6.12(vi). Dann sind aber auch (V.79) und (V.80) Kettenhomotopieäquivalenzen. Aus Satz V.5.7 und Proposition V.6.16 erhalten wir sofort V.6.17. Korollar (Relatives Künneth-Theorem). Seien (X, A) und (Y, B) Paare von Räume, sodass (X × Y ; A × Y, X × B) eine excisive Triade bildet. Für jeden Körpr K liefert dann das Homologie-Kreuzprodukt ∼ = → H X × Y, A × Y ∪ X × B; K × : H(X, A; K) ⊗K H(Y, B; K) − einen natürlichen Isomorphismus graduierter K-Vektorräume, es gilt daher M Hp (X, A; K) ⊗K Hq (Y, B; K). Hn X × Y, A × Y ∪ X × B; K ∼ = p+q=n Ebenso erhalten wir aus Satz V.5.8 und Proposition V.6.16 auch V.6.18. Korollar (Relatives Künneth-Theorem). Seien (X, A) und (Y, B) Paare von Räumen, sodass (X × Y ; A × Y, X × B) eine excisive Triade bildet. Dann existiert eine natürliche kurze exakte Sequenz: ` ´ × ` ´ ` ´ 0 → H(X, A) ⊗ H(Y, B) n −→ Hn X × Y, A × Y ∪ X × B → Tor H(X, A), H(Y, B) n−1 → 0. Diese Sequenz splittet, es gilt daher Hn (X ×Y, A×Y ∪X ×B) ∼ = H(X, A)⊗H(Y, B) n ⊕Tor H(X, A), H(Y, B) n−1 M M = Hq (X, A) ⊗ Hq (Y, B) ⊕ Tor Hp (X, A), Hq (Y, B) p+q=n p+q=n−1 Der Splitt kann jedoch nicht natürlich in (X, A) und (Y, B) gewählt werden. V.6.19. Beispiel. Nach Korollar V.6.18 liefert das Kreuzprodukt einen Isomorphsimus ∼ = × : H Rn , Rn \ {0} ⊗ H Rm , Rm \ {0} − → H Rn+m , Rn+m \ {0} . (V.83) Etwas allgemeiner seien nun M eine m-Mannigfaltigkeit und N eine n-Mannigfaltigkeit. Dann ist M × N eine (n + m)-Mannigfaltigkeit und das Kreuzprodukt liefert einen Isomorphsimus lokaler Homologiegruppen ∼ = × : Hm M, M \ {x} ⊗ Hn N, N \ {y} − → Hm+n M × N, (M × N) \ {(x, y)} für je zwei Punkte x ∈ M und y ∈ N. Da Mannigfaltigkeiten lokal homöomorph zum Euklidischen Raum sind, folgt dies mittels Excision und der Natürlichkeit des 244 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Kreuzproduktes, siehe Satz V.6.5(iv), aus (V.83) oben. Ist oM eine Orientierung von M und oN eine Orientierung von N, siehe Bemerkung IV.12.8, dann ist ×N M N also oM (x,y) := ox × oy ein Erzeuger von Hm+n (M × N, (M × N) \ {(x, y)}) für jedes (x, y) ∈ M × N. Offensichtlich definiert oM ×N einen stetigen Schnitt der Überlagerung (M × N)Z → M × N. Also ist oM ×N eine Orientierung von M × N. Diese Orientierung wird die Produktorientierung genannt, das Produkt zweier orientierter Mannigfaltigkeiten ist in kanonischer Weise orientiert. Insbesondere ist das Produkt zweier orientierbarer Mannigfaltigkeiten wieder orientierbar. V.7. H-Räume und Hopf-Algebren. V.7.1. Definition (Graduierte R-Algebra). Es sei R ein kommutativer Ring mit Eins. Unter einer graduierten R-Algebra verstehen wir einen graduierten R-Modul A zusammen mit einem Homomorphismus, der sogenannten Multiplikation A ⊗R A → A, (a, b) 7→ a · b = ab. Dh. wir haben R-bilineare Abbildungen Ap × Aq → Ap+q , (a, b) 7→ ab, für jedes p und q. Wir setzen stets voraus, dass eine graduierte R-Algebra ein Einselement besitzt, dh. es existiert 1 ∈ A0 mit 1 · a = a = a · 1, für alle a ∈ A. Eine graduierte R-Algebra heißt assotiativ, falls a(bc) = (ab)c, für alle a, b, c ∈ A. Sie heißt graduiert kommutativ, falls ab = (−1)|a||b| ba für alle (homogenen) a ∈ A und b ∈ A gilt. Eine graduierte ∼ = R-Algebra heißt zusammenhängend falls R − → A0 , r 7→ r · 1, ein Isomorphismus ist. Unter einem Homomorphismus graduierter R-Algebren ϕ : A → B verstehen wir einen Homomorphismus graduierter R-Moduln der mit Multiplikation und Einselement verträglich ist, dh. ϕ(ab) = ϕ(a)ϕ(b) und ϕ(1A ) = 1B . V.7.2. Bemerkung. Es sei A eine graduiert kommutative R-Algebra, a ∈ A und |a| ungerade, dh. a ∈ Aq mit q ungerade. Dann gilt aa = (−1)|a||a| aa = −aa, also 2a2 = 0. Ist 12 ∈ R, dann können wir a2 = 0 schließen. V.7.3. Beispiel. Die Algebra der Differentialformen Ω∗ (M) = Γ∞ (ΛT ∗ M) mit dem ∧-Produkt auf einer glatten Mannigfaltigkeit M ist eine graduiert kommutative und assotiative R-Algebra. Das Einselement ist durch die konstante Funktion 1M ∈ Ω0 (M) gegeben. V.7.4. Beispiel (Polynomalgebren). Die Polynom Algebra R[x] ist eine strikt kommutative und assotiative R-Algebra. Wir können sie zu einer graduierten Algebra machen, indem wir dem Erzeuger x eine Grad |x| ∈ N zuordnen. Als graduierter R-Modul gilt R[x] = R⊕R⊕· · · , die Elemente xk ∈ (R[x])k|x| = R, k ∈ N0 , bilden eine Basis von R[x]. Ist |x| gerade, oder gilt 1 = −1 ∈ R, dann können wir R[x] auch als graduiert kommutative R-Algebra auffassen. Faktorisieren wir das von xk erzeugte Ideal heraus so erhalten wir eine graduiert kommutative und assotiative R-Algebra R[x]/xk mit additiver Basis 1, x, x2 , . . . , xk−1 . Analog haben wir (graduiert) kommutative Polynomalgebren R[x1 , . . . , xn ] falls alle |xi | gerade sind oder 1 = −1 ∈ R. Diese sind durch folgende universelle Eigenschaft eindeutig charakterisiert. Für jede graduiert kommutative und assotiative R-Algebra A V.7. H-RÄUME UND HOPF-ALGEBREN 245 und homogene Elemente ai ∈ A|xi | , i = 1, . . . , n, existiert ein eindeutiger Homomorphismus graduierter R-Algebren ϕ : R[x1 , . . . , xn ] → A, sodass ϕ(xi ) = ai , i = 1, . . . , n. Für R = Z2 bildet die Polynomalgebra Z2 [x] eine (graduiert) kommutative und assotiative Z2 -Algebra, wobei x nun beliebigen Grad haben kann, denn in Z2 gilt 1 = −1. Analog haben wir (graduiert) kommutative und assotiative Z2 -Algebren Z2 [x1 , . . . , xn ] für xi mit beliebigem Grad. V.7.5. Beispiel (Dividierte Polynomalgebren). Wir fixieren wieder einen Grad |x| ∈ N und betrachten den freien graduierten R-Modul ΓR [x] mit Basis xk ∈ (ΓR [x])k|x| = R, k ∈ N0 . Dh. der ΓR [x] zugrunde liegende graduierte R-Modul stimmt mit dem von R[x] überein. Wir definieren nun eine Multiplikation auf ΓR [x] durch xk · xl := k+l xk+l . Dies macht ΓR [x] zu einer kommutativen und k assotiativen Algebra mit Einselement 1 = x0 . Wir schreiben x := x1 , es gilt daher xk = k!xk . Ist |x| gerade oder gilt 1 = −1 ∈ R, dann können wir ΓR [x] auch als graduiert kommutative und assotiative R-Algebra auffassen. Ist R = K ein Körper mit Charakteristik 0 dann gilt ΓK [x] ∼ = K[y] mit |y| = |x|, denn aus der universellen Eigenschaft der Polynomalgebra erhalten wir einen Algebra Homomorphismus K[y] → ΓK [x] mit ϕ(y) = x und dieser bildet die Basis y k , k ∈ N0 , von K[y] auf die Basis k!xk , k ∈ N0 , von ΓK [x] ab, ist also ein Isomorphismus. Andererseits ist ΓZ [x] ∼ 6= Z[x], denn die Multiplikation (Z[x])1 ⊗ (Z[x])1 → (Z[x])2 ist ein Isomorphismus, aber (ΓZ [x])1 ⊗ (ΓZ [x])1 → (ΓZ [x])2 ist nicht surjektiv. V.7.6. Beispiel (Äußere Algebra). Die äußere Algebra ΛR [x1 , . . . , xn ] ist eine assotiative graduierte R-Algebra mit Relationen xi xj = −xj xi und x2i = 0. Die Elemente xi1 xi2 · · · xik , 1 ≤ i1 < i2 < · · · < ik ≤ n, bilden eine Basis des zugrunde liegenden graduierten R-Moduls, xi1 · · · xik ∈ (ΛR [x1 , . . . , xn ])|xi1 |+···+|xik | . Sind alle |xi | ungerade, dann können wir ΛR [x1 , . . . , xn ] als graduiert kommutative und assotiative R-Algebra auffassen. Etwa bilden 1 und x eine Basis von ΛR [x] und wir haben x2 = 0. Gilt 12 ∈ R, dann ist diese graduierte R-Algebra durch folgende universelle Eigenschaft eindeutig charakteristiert. Für jede graduiert kommutative und assotiative R-Algebra A und homogene Elemente ungeraden Grades ai ∈ A|xi| existiert genau ein Homomorphismus graduierter RAlgebren ϕ : ΛR [x1 , . . . , xn ] → A, sodass ϕ(xi ) = ai . V.7.7. Bemerkung (Tensorprodukt graduierter Algebren). Es seien A und B zwei graduierte R-Algebren. Wir machen den graduierten R-Modul A ⊗R B mit folgender Multiplikation id ⊗τ B,A ⊗id µ ⊗µ A B B (A ⊗R A) ⊗R (B ⊗R B) −− −−→ A ⊗R B (A ⊗R B) ⊗R (A ⊗R B) −−A−−−−−−−→ zu einer graduierten R-Algebra, dh. für ai ∈ A und bi ∈ B setzen wir (a1 ⊗ b1 )(a2 ⊗ b2 ) := (−1)|b1 ||a2 | (a1 a2 ) ⊗ (b1 b2 ). Bezeichnen 1A ∈ A und 1B ∈ B die Einselemente, dann ist 1A ⊗ 1B das Einselement von A ⊗R B. Sind A und B zusammenhängend, dann ist auch A ⊗R B 246 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN zusammenhängend. Sind A und B assotiativ, dann ist auch A ⊗R B assotiativ. Sind A und B graduiert kommutativ, dann ist auch A ⊗R B graduiert kommutativ. Etwa gilt |xi | gerade oder 1 = −1 ∈ R R[x1 , . . . , xn ] ∼ = R[x1 ] ⊗R · · · ⊗R R[xn ] ΛR [x1 , . . . , xn ] ∼ = ΛR [x1 ] ⊗R · · · ⊗R ΛR [xn ] ′ |xi | ungerade ′ Sind ϕ : A → A und ψ : B → B zwei Homomorphismen graduierter R-Algebren, dann ist auch ϕ ⊗ ψ : A ⊗R B → A′ ⊗R B ′ ein Homomorphismus graduierter RAlgebren. V.7.8. Proposition (Pontrayagin Algebra). Ist X ein wegzusammenhängender H-Raum mit Multiplikation µ : X × X → X, dann macht die Komposition µ∗ × H∗ (X; R) ⊗R H∗ (X; R) − → H∗ (X × X; R) −→ H∗ (X; R), a · b := µ∗ (a × b) H∗ (X; R) zu einer zusammenhängenden graduierten R-Algebra mit Einselement 1 ∈ H0 (X; R) = R, 1 ↔ 1R . Diese graduierte R-Algebra wird die PontryaginAlgebra des H-Raums (X, µ) genannt. Ist X homotopieassotiativ61 dann ist sie assotiative, ist X homotopiekommutativ62 dann ist sie graduiert kommutativ. Ist Y ein weiterer wegzusammenhängender H-Raum und f : X → Y eine Abbildung von H-Räumen63 dann ist f∗ : H∗ (X; R) → H∗ (Y ; R) ein Homomorphismus graduierter R-Algebren. Das Homologiekreuzprodukt liefert einen Homomorphismus graduierter R-Algebren64 × H∗ (X; R) ⊗R H∗ (Y ; R) − → H∗ (X × Y ; R). (V.84) Beweis. Es sei e ∈ X das Einselement. Weiters bezeichnen c : X → X und c̃ : {∗} → X die konstante Abbildung, dh. c(x) := e und c̃(∗) = e. Offensichtlich gilt 1 = c̃∗ 1{∗} , wobei 1{∗} ∈ H0 ({∗}; R) = R dem Einselement 1R entspricht. Aus µ ◦ (idX , c) ≃ idX : X → X erhalten wir mittels Satz V.6.5(iii)&(iv) a · 1 = µ∗ (a × 1) = µ∗ (a × c̃∗ 1{∗} ) = µ∗ (idX ×c̃)∗ (a × 1{∗} ) = µ∗ (idX , c)∗ a = (µ ◦ (idX , c))∗ a = (idX )∗ a = a. Analog folgt 1 · a = a aus µ ◦ (c, idX ) ≃ idX . Der Zusammenhang von H∗ (X; R) folgt aus dem Wegzusammenhang von X. Ist X homotopiekommutativ, dann folgt aus µ ◦ T ≃ µ mittels Satz V.6.5(ii) a · b = µ∗ (a × b) = (µ ◦ T )∗ (a × b) = µ∗ T∗ (a × b) = (−1)|a||b| µ∗ (b × a) = (−1)|a||b| b · a, 61dh. µ ◦ (idX ×µ) ≃ µ ◦ (µ × idX ) : X × X × X → X µ ◦ T ≃ µ : X × X → X, wobei T : X × X → X × X, T (x1 , x2 ) := (x2 , x1 ) 63dh. µY ◦ (f × f ) ≃ f ◦ µX : X × X → Y 64Wir versehen X × Y mit der Multiplikation µX×Y := (µX × µY ) ◦ (id ×T Y,X × id ), X Y dh. (x1 , y1 ) · (x2 , y2 ) := (x1 · x2 , y1 · y2 ). Eine einfache Überlegung zeigt, dass dadurch X × Y zu einem H-Raum wird. 62dh. V.7. H-RÄUME UND HOPF-ALGEBREN 247 also ist H∗ (X; R) graduiert kommutativ. Ist X homotopieassotiativ, dann folgt aus µ ◦ (idX ×µ) ≃ µ ◦ (µ × idX ) mittels Satz V.6.5(i)&(iv) a · (b · c) = µ∗ (a × µ∗ (b × c)) = µ∗ (idX ×µ)∗ (a × (b × c)) = (µ ◦ (idX ×µ))∗ (a × b × c) = (µ ◦ (µ × idX ))∗ (a × b × c) = µ∗ (µ × idX )∗ ((a × b) × c) = µ∗ (µ∗ (a × b) × c) = (a · b) · c, also ist H∗ (X; R) assotiativ. Ist f : X → Y eine Abbildung von H-Räumen, dann folgt aus f ◦ µX ≃ µY ◦ (f × f ) mittels Satz V.6.5(iv) X Y f∗ (a · b) = f∗ µX ∗ (a × b) = (f ◦ µ )∗ (a × b) = (µ ◦ (f × f ))∗ (a × b) = µY∗ (f × f )∗ (a × b) = µY∗ (f∗ a × f∗ b) = f∗ a · f∗ b, also ist f∗ : H∗ (X; R) → H∗ (Y ; R) ein Homomorphismus graduierter R-Algebren, denn offensichtlich gilt auch f∗ (1X ) = 1Y . Schließlich ist (V.84) ein Homomorphismus graduierter R-Algebren, denn aus µX×Y = (µX ×µY )◦(idX ×T Y,X ×idY ) folgt mittels Satz V.6.5(ii)&(iv) (a1 × b1 ) · (a2 × b2 ) = µ∗X×Y (a1 × b1 × a2 × b2 ) = (µX × µY ) ◦ (idX ×T Y,X × idY ) ∗ (a1 × b1 × a2 × b2 ) = (µX × µY )∗ (idX ×T Y,X × idY )∗ (a1 × b1 × a2 × b2 ) = (µX × µY )∗ (a1 × T∗Y,X (b1 × a2 ) × b2 ) = (−1)|b1 ||a2 | (µX × µY )∗ (a1 × a2 × b1 × b2 ) Y = (−1)|b1 ||a2 | µX ∗ (a1 × a2 ) × µ∗ (b1 × b2 ) = (−1)|b1 ||a2 | (a1 · a2 ) × (b1 · b2 ) und dies bedeutet gerade, dass (V.84) ein Algebra Homomorphismus ist. Beachte, dass offensichtlich auch 1X × 1Y = 1X×Y gilt. V.7.9. Beispiel. Für den Pontryagin Ring der topologischen Gruppe S 1 gilt aus Dimensionsgründen H∗ (S 1 ; Z) ∼ = ΛZ [x] mit |x| = 1. Für den Torus T n erhalten wir daher, siehe Proposition V.7.8 und Bemerkung V.7.7, H∗ (T n ; Z) ∼ |xi | = 1. = ΛZ [x1 ] ⊗ · · · ⊗ ΛZ [xn ] ∼ = ΛZ [x1 , . . . , xn ], Beachte, dass in diesem Fall (V.84) ein Isomorphismus ist, siehe Korollar V.6.8. Für die Gruppe der Einheitsquaternionen S 3 ⊆ H gilt wieder aus Dimensionsgründen H∗ (S 3 ; Z) ∼ = ΛZ [y] mit |y| = 3. Wie oben folgt |yi| = 3. H∗ (S 3 × · · · × S 3 ; Z) ∼ = ΛZ [y1 , . . . , yn ], = ΛZ [y1 ] ⊗ · · · ⊗ ΛZ [yn ] ∼ 248 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN V.7.10. Definition (Graduierte Koalgebra). Es sei R ein kommutativer Ring mit Eins. Unter einer graduierten R-Koalgebra verstehen wir einen graduierten R-Modul A zusammen mit einem R-Modulhomomorphismus, der sogenannten Komultiplikation oder Diagonale, ∆ : A → A ⊗R A. Wir setzen stets voraus, dass A mit einer Koeinheit ausgestattet ist, dh. wir haben einen Homomorphismus ε : A → R und das folgenden Diagramm kommutiert: ε⊗idA R ⊗A A o A ⊗O R A idA ⊗ε / A ⊗R R (V.85) ∆ A A A ∼ = →R Die graduierte R-Koalgebra A wird zusammenhängend genannt, falls ε : A0 − ein Isomorphismus ist und Aq = 0 für q < 0. Sie wird koassotiativ genannt falls das linke Diagramm unten kommutiert. A ∆ / A ⊗R A idA ⊗∆ ∆ A ⊗R A ∆⊗idA / A ⊗R A ⊗R A v A HHH HH∆ vv v HH vv HH v v{ v # A,A τ / A⊗ A ∆ A ⊗R R A Kommutiert das rechte Diagramm, dann wird A graduiert kokommutativ genannt. Unter einem Homomorphismus garduierter Koalgebren verstehen wir einen Homomorphismus graduierter R-Moduln ϕ : A → B der mit Komultiplikation und Koeinheit verträglich ist, dh. es gilt ∆B ◦ ϕ = (ϕ ⊗ ϕ) ◦ ∆A sowie εB ◦ ϕ = εA . V.7.11. Bemerkung. Die Komultiplikation einer L R-Koalgebra A besteht aus R-lineare Abbildungen ∆ : An → (A ⊗R A)n = p+q=n Ap ⊗R Aq . Wir erhalten daher R-lineare Abbildungen ∆p,q : A → Ap ⊗R Aq und es gilt X ∆p,q (a), a ∈ An . ∆(a) = p+q=n ∼ = → R ⊗R An = An ein Für zusammenhängendes A ist ε ⊗ idAn : A0 ⊗R An − Isomorphismus und mittels (V.85) folgt ∆0,n (a) = 1 ⊗ a und analog ∆n,0 (a) = ∼ = → R dem a⊗1, für a ∈ An . Dabei bezeichnet 1 ∈ A0 jenes Element, das via ε : A0 − Einselement in R entspricht. Im zusammenhängenden Fall gilt daher ∆(1) = 1⊗1 und n−1 X ∆(a) = 1 ⊗ a + ∆k,n−k (a) + a ⊗ 1, a ∈ An , n ≥ 1. k=1 Ein Element a ∈ A wird primitiv genannt, falls ∆(a) = 1 ⊗ a + a ⊗ 1. V.7.12. Bemerkung (Tensorprodukt graduierter Koalgebren). Es seien A und B zwei graduierte Koalgebren über einem kommutativen Ring mit Eins R. V.7. H-RÄUME UND HOPF-ALGEBREN 249 Wir machen den graduierten R-Modul A ⊗R B durch folgende Komultiplikation id ⊗τ A,B ⊗id ∆ ⊗∆ B B A ⊗R B −−A−−−→ (A ⊗R A) ⊗R (B ⊗R B) −−A−−−−−−−→ (A ⊗R B) ⊗R (A ⊗R B) zu einer graduierten R-Koalgebra. Die Koeinheit von A ⊗R B ist durch εA ⊗ εB : A ⊗R B → R ⊗R R = R gegeben. Sind A und B zusammenhängend dann ist auch A ⊗R B zusammenhängend. Sind A und B koassotiativ dann ist auch A ⊗R B koassotiativ. Sind A und B kokommutativ dann ist auch A ⊗R B komommutativ. Sind ϕ : A → A′ und ψ : B → B ′ zwei Homomorphismen graduierter R-Koalgebren, dann ist auch ϕ ⊗ ψ : A ⊗R B → A′ ⊗R B ′ ein Homomorphismus graduierter R-Koalgebren. V.7.13. Proposition. Es sei X wegzusammenhängender topologischer Raum und es bezeichne D : X → X × X, D(x) := (x, x), die Diagonalabbildung. Weiters sei R ein kommutativer Ring mit Eins, sodass das Homologiekreuzprodukt × H(X; R)⊗R H(X; R) − → H(X ×X; R) ein Isomorphismus ist.65 Die Komposition ×−1 D ∗ ∆ : H∗ (X; R) −→ H∗ (X × X; R) −−→ H∗ (X; R) ⊗R H∗ (X; R) macht dann H∗ (X; R) zu einer zusammenhängenden graduiert kokommutativen = und koassotiativen R-Koalgebra mit Koeinheit ε : H0 (X; R) − → R. Jede stetige Abbildung zwischen wegzusammenhängenden Räumen f : X → Y induziert einen Homomorphismus graduierter R-Koalgebren f∗ : H∗ (X; R) → H∗ (Y ; R), und das Kreuzprodukt liefert einen Homomorphismus graduierter R-Koalgebren,66 × H∗ (X; R) ⊗R H∗ (Y ; R) − → H∗ (X × Y ; R). (V.86) Beweis. Bezeichnet ε̃ : X → {∗} die konstante Abbildung dann gilt ε = ε̃∗ : H(X; R) → H({∗}; R) = R. Nach V.6.5(iii)&(iv) kommutiert das Diagramm H(X; R) D∗ / H(X × X; R) o × H(X; R) ⊗R H(X; R) idH(X;R)⊗ε̃∗ (idX ×ε̃)∗ idH(X;R) H(X × {∗}; R) o ) H(X; R) × H(X; R) ⊗R H({∗}; R) H(X; R) ⊗R R also gilt (idH(X;R) ⊗ε)◦∆ = idH(X;R) . Analog lässt sich (ε⊗idH(X;R) )◦∆ = idH(X;R) zeigen, also ist ε tatsächlich eine Koeinheit. Der Zusammenhang von H∗ (X; R) 65Nach Korollar V.6.7 ist diese Voraussetzung für jeden Körper K = R erfüllt. Im Fall R = Z ist dies zumindest dann erfüllt, wenn H∗ (X) frei abelsch ist, siehe Korollar V.6.8. × 66Wir setzten hier natürlich voraus, dass auch H(Y ; R) ⊗ H (Y ; R) − → H(Y × Y ; R) und R ∗ × H(X × Y ; R) ⊗R H∗ (X × Y ; R) − → H(X × Y × X × Y ; R) Isomorphismen sind, sodass H∗ (Y ; R) und H∗ (X × Y ; R) tatsächlich R-Koalgebren sind. 250 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN folgt aus dem Wegzusammenhang von X. Die Koassotiativität von ∆ folgt aus der Kommutativität des Diagramms: D∗ H(X) × / H(X × X) o H(X) ⊗ H(X) idH(X) ⊗D∗ (idX ×D)∗ D∗ (D×idX )∗ H(X × X) × / H(X × X × X) o O O × H(X) ⊗ H(X × X) O idH(X) ⊗× × H(X) ⊗ H(X) D∗ ⊗idH(X) / H(X × X) ⊗ H(X) o ×⊗idH(X) H(X) ⊗ H(X) ⊗ H(X) Das linke obere Rechteck kommutiert aufgrund der Relation (idX ×D)◦D = (D× idX ) ◦ D. Der rechte untere Teil des Diagramms kommutiert wegen Satz V.6.5(i). Die beiden anderen Rechtecke kommutieren wegen der Natürlichkeit des Kreuzproduktes, siehe Satz V.6.5(iv). Aus T ◦ D = D und Satz V.6.5(ii) erhalten wir ein kommutatives Diagramm H(X; R) D∗ × H(X × X; R) o / H(X; R) ⊗R H(X; R) T∗ D∗ τ H(X),H(X) * × H(X × X; R) o H(X; R) ⊗R H(X; R) also ist ∆ graduiert kokommutativ. Ist f : X → Y stetig so erhalten wir aus (f × f )◦D X = D Y ◦f und der Natürlichkeit des Kreuzproduktes, siehe Satz V.6.5(iv), ein kommutatives Diagramm: H(X; R) D∗X H(X; R) ⊗R H(X; R) (f ×f )∗ f∗ × H(X × X; R) o / H(Y ; R) D∗Y / f∗ ⊗f∗ × H(Y × Y ; R) o H(Y ; R) ⊗R H(Y ; R) Also ist f∗ : H∗ (X; R) → H∗ (Y ; R) ein Homomorphismus von R-Koalgebren, denn offensichtlich gilt auch εY ◦ f∗ = εX . Für die letzte Behauptung der Proposition betrachten wir nun das kommutative Diagramm: × H(X) ⊗ H(Y ) / H(X × Y ) j j j j jjj jjj(DjX ×DY )∗ j j j ju X Y D∗ ⊗D∗ H(X × X) ⊗ H(Y × Y ) O × / H(X × X × Y × Y ) ×⊗× H(X) ⊗ H(X) ⊗ H(Y ) ⊗ H(Y ) H(X × Y × X × Y ) O idH(X) ⊗τ H(X),H(Y ) ⊗idH(Y ) H(X) ⊗ H(Y ) ⊗ H(X) ⊗ H(Y ) X×Y D∗ TTTT TTTT TTTT X,Y TTT) (idX ×T ×idY )∗ × ×⊗× / H(X × Y ) ⊗ H(X × Y ) V.7. H-RÄUME UND HOPF-ALGEBREN 251 Der linke obere Teil kommutiert wegen Satz V.6.5(iv), der rechte obere Teil kommutiert aufgrund der Relation (idX ×T X,Y × idY ) ◦ (D X × D Y ) = D X×Y , und der untere Teil kommutiert nach Satz V.6.5(i)&(ii). Es gilt daher (× ⊗ ×)(∆H(X)⊗H(Y ) (a ⊗ b)) = ∆H(X×Y ) (×(a ⊗ b)), also ist (V.86) ein Homomorphismus graduierter R-Koalgebren, denn offensichtlich gilt auch εH(X)⊗H(Y ) (a ⊗ b) = εH(X×Y ) (a × b). V.7.14. Definition (Hopf-Algebra). Unter einer Hopf-Algebra über einem kommutativen Ring mit Eins R verstehen wir eine zusammenhängende graduierte R-Algebra A die auch mit der Struktur einer R-Koalgebra ausgestattet ist. Diese beiden Strukturen sollen in folgendem Sinn verträglich sein: (i) Für das Einselement 1 ∈ A und die Koeinheit ε : A → R gilt ε(1) = 1R . (ii) Es gilt ∆(ab) = ∆(a)∆(b), dh. das folgende Diagramm kommutiert: A ⊗R A ∆⊗∆ / A ⊗R A ⊗R A ⊗R A idA ⊗τ A,A ⊗idA / A ⊗R A ⊗R A ⊗R A µ A µ⊗µ ∆ / A ⊗R A Unter einem Homomorphismus von Hopf-Algebren verstehen wir einen Homomorphismus ϕ : A → B der gleichzeitig Algebra- und Koalgebrahomomorphismus ist. V.7.15. Bemerkung. Aus (i) oben und dem Zusammenhang folgt ∆(1) = 1 ⊗ 1 = 1A⊗R A sowie ε ◦ µ = ε ⊗ ε = εA⊗R A . Die Forderung (ii) bedeutet gerade, dass die Komultiplikation ∆ : A → A ⊗R A ein R-Algebra Homomorphismus ist. Äquivalent kann dies aber auch so interpretiert werden, dass die Multiplikation µ : A ⊗R A → A einen Homomorphismus von R-Koalgebren bildet. Die Koeinheit ε : A → R ist ein R-Algebra Homomorphismus. Statten wir R mit der Struktur einer Hopfalgebra aus, ∆R (r) = r, dann ist R → A, r 7→ r · 1, ein Homomorphismus von R-Koalgebren. V.7.16. Bemerkung (Tensorprodukt von Hopf-Algebren). Sind A und B zwei Hopf-Algebren über R, dann ist A ⊗R B sowohl eine graduierte R-Algebra, siehe Bemerkung V.7.7, als auch graduierte R-Koalgebra, siehe Bemerkung V.7.12. Dadurch wird A⊗R B zu einer Hopf-Algebra, denn die Komultiplikation auf A⊗R B ist Komposition zweier R-Algebra Homomorphismen, siehe Bemerkung V.7.12. Das Tensorprodukt zweier Hopf-Algebren ist daher wieder eine Hopf-Algebra. Sind ϕ : A → A′ und ψ : B → B ′ zwei Homomorphismen von Hopf-Algebren, dann ist auch ϕ ⊗ ψ : A ⊗R B → A′ ⊗R B ′ ein Homomorphismus von HopfAlgebren. V.7.17. Beispiel (R[x] als Hopf-Algebra). Betrachte die Polynomalgebra R[x] mit |x| gerade oder 1 = −1 ∈ R. Es gibt genau eine Möglichkeit diese graduiert kommutative und assotiative R-Algebra zu einer Hopf-Algebra zu machen. Für die Koeinheit muss ε(1) = 1 und ε(xk ) = 0 falls k > 0 gelten, womit ε 252 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN völlig festgelegt ist. Aus Dimensionsgründen gilt weiters ∆(x) = 1⊗x+x⊗1, siehe Bemerkung V.7.11 Aus der universellen Eigenschaft der Polynomalgebra erhalten wir einen eindeutigen Homomorphismus graduierter R-Algebren ∆ : R[x] → R[x] ⊗R R[x] mit ∆(x) = 1 ⊗ x + x ⊗ 1. Mit dieser Komultiplikation wird R[x] also zu einer graduiert kokommutativen und koassotiativen Hopf-Algebra. Dies ist die einzige Komultiplikation die R[x] zu einer Hopf-Algebra macht. Es folgt n n X n k n n x ⊗ xn−k . ∆(x ) = ∆(x) = 1 ⊗ x + x ⊗ 1 = k k=0 V.7.18. Beispiel (ΓR [x] als Hopf-Algebra). Betrachte die dividierte Polynomalgebra ΓR [x] wobei |x| gerade oder 1 = −1 ∈ R, siehe BeispielV.7.5, mit Basis xk ∈ (ΓR [x])k|x| = R, k ∈ N0 , und Multiplikation xk · xl = k+l xk+l . Eine k einfache Rechnung zeigt, dass ΓR [x] durch die Komultiplikation ∆ : ΓR [x] → ΓR [x] ⊗R ΓR [x], ∆(xn ) = n X k=0 xk ⊗ xn−k zu einer graduiert kokommutativen und koassotiativen Hopf-Algebra wird. Ist Z → R, n 7→ n · 1R , injektiv, dann ist dies die einzige Komultiplikation die ΓR [x] zu einer Hopf-Algebra macht. Für einen Körper K = R der Charakteristik 0 ist der Isomorphismus ΓK [x] ∼ = K[x], siehe Beispiel V.7.5, ein Isomorphismus von Hopf-Algebren. V.7.19. Beispiel (ΛR [x] als Hopf-Algebra). Aus Dimensionsgründen gibt es genau eine Komultiplikation auf ΛR [x] mit |x| ungerade, die die R-Algebra ΛR [x] zu einer Hopf-Algebra macht, ∆(x) = 1 ⊗ x + x ⊗ 1. Beachte 1 ⊗ x + x ⊗ 1 1 ⊗ x + x ⊗ 1 = 1 ⊗ x2 + x ⊗ x + (−1)|x||x| x ⊗ x + x2 ⊗ 1 = 0, denn |x| ist ungerade. Daher gilt tatsächlich ∆(x2 ) = ∆(x)∆(x). V.7.20. Bemerkung. Es sei R ein kommutativer Ring, sodass Z → R, n 7→ n · 1R injektiv ist, etwa R = K ein Körper der Charakteristik 0 oder R = Z. Weiters sei n ≥ 2. Auf der graduierten Algebra R[x]/xn , mit |x| gerade, existiert keine Komultiplikation die sie zu einer Hopf-Algebra machen würde. Nehmen wir dazu indirekt an es wäre ∆ soeine Komultiplikation. Aus xn = 0 erhalten wir n n X n k n n x ⊗ xn−k , 0 = ∆(x ) = ∆(x) = 1 ⊗ x + x ⊗ 1 = k k=0 n und daher k = 0, für alle 0 < k < n, ein Widerspruch, denn Z → R ist injektiv. s V.7.21. Beispiel (Die Hopf-Algebra Zp [x]/xp .). Es sei p eine Primzahl und s s ∈ N. Betrachte die graduiert kommutative und assotiative Algebra Zp [x]/xp , wobei wir |x| gerade voraussetzen falls p 6= 2. Auf dieser Algebra gibt es genau eine Komultiplikation die sie zu einer Hopf-Algebra macht. Aufgrund der V.7. H-RÄUME UND HOPF-ALGEBREN 253 universellen Eigenschaft des Polynomrings existiert nämlich genau ein Algebra ˜ ˜ : Zp [x] → Zp [x]/xps ⊗Zp Zp [x]/xps mit ∆(x) = 1 ⊗ x + x ⊗ 1. Homomorphismus ∆ Aus Lemma V.7.23 unten folgt ps ˜ ps ) = (∆(x)) ˜ ∆(x = 1⊗x+x⊗1 ps s s = 1 ⊗ xp + xp ⊗ 1 = 0, ˜ zu einem Algebra Homomorphismus also faktorisiert ∆ s s s ∆ : Zp [x]/xp → Zp [x]/xp ⊗Zp Zp [x]/xp . Dies ist die gesuchte eindeutige Komultiplikation. V.7.22. Bemerkung. Es sei p eine Primzahl und n ∈ N. Betrachte die graduiert kommutative und assotiative Algebra Zp [x]/xn , wobei wir |x| gerade voraussetzen falls p 6= 2. Diese Algebra kann nur dann zu einer Hopf-Algebra gemacht werden, wenn n eine Potenz von p ist, vgl. Beispiel V.7.21 oben. Aus xn = 0 erhalten wir nämlich n n 0 = ∆(x ) = ∆(x) = 1 ⊗ x + x ⊗ 1 n n X n k x ⊗ xn−k , = k k=0 also nk ≡ 0 mod p, für alle 0 < k < n, und dies ist nur im Fall n = ps möglich, siehe Lemma V.7.23 unten. V.7.23. Lemma. Ist p eine Primzahl und n, k ∈ N0 dann gilt Y ni n = ki k i mod p, (V.87) P P wobei n = i ni pi und k = i ki pi die p-adischen Entwicklungen von n bzw. p bezeichnen, 0 ≤ ni < p, 0 ≤ ki < p.67 Weiters sind für n ≥ 1 die folgenden Aussagen äquivalent: (i) (x + y)n = xn + y n ∈ Zp [x, y]. (ii) Für alle 0 < k < n gilt nk ≡ 0 mod p. (iii) Es gilt n = ps , für ein s ∈ N0 . P Beweis. In Zp [x] gilt (1 + x)p = pk=0 kp xk = 1 + xp , denn p teilt kp , für i i jedes 0 < k < p. Mittels Induktion folgt (1 + x)p = 1 + xp , i ∈ N0 . Aus dem 67Wir verwenden hier die Konvention n k = 0 falls k > n. 254 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN binomischen Lehrsatz erhalten wir daher, in Zp [x]: n ∞ X P n k X n k i x = (1 + x)n = (1 + x) i ni p x = k k k=0 k=0 Y Y i i n = (1 + x)ni p = 1 + xp i i i p−1 Y ni ki pi Y X ni ki pi x x = = ki ki i ki =0 i ki =0 p−1 p−1 p−1 Y ni P i XX X x i ki p ··· = ki i k0 =0 k1 =0 k2 =0 ∞ Y X ni k x = ki k=0 i ni X P Die letzte Gleichheit folgt aus der eindeutigen Primfaktorzerlegung, k = i ki pi . Koeffizientenvergleich liefert nun (V.87). Die Äquivalenz (i)⇔(ii) folgt aus dem binomischen Lehrsatz. Q s 0 ps Ad (iii)⇒(ii): Aus (V.87) erhalten wir pk = k1s i6=s ki . Ist k 6= 0 dann folgt ki = 0, für alle i 6= s, sowie ks = 0, 1, und damit k = 0 oder k = ps = n. Ad (ii)⇒(iii): Wir nehmen indirekt an n wäre keine Potenz von p,dh. ps 6= n, Q ni für alle s. Aus (ii) und (V.87) folgt 0 = pns = n1s = n1s für alle s. i6=s 0 Daher ns = 0 für alle s und somit n = 0, ein Widerspruch. V.7.24. Proposition. Es sei X ein wegzusammenhängender H-Raum und R ein kommutativer Ring mit Eins, sodass das Homologiekreuzprodukt H(X; R) ⊗R × H∗ (X; R) − → H(X × X; R) ein Isomorphismus ist.68 Dann bildet H∗ (X; R) bezüglich der Multiplikation aus Proposition V.7.8 und der Komultiplikation aus Proposition V.7.13 eine kokommutative und koassotiative Hopf-Algebra. Ist X homotopieassotiativ dann ist H∗ (X; R) assotiativ. Ist X homotpiekommutativ dann ist H∗ (X; R) kommutativ. Jede Abbildung zusammenhängender H-Räume f : X → Y induziert einen Homomorphismus von Hopf-Algebren f∗ : H∗ (X; R) → H∗ (Y ; R), das Kreuzprodukt einen Homomorphismus von Hopf-Algebren69 × H∗ (X; R) ⊗R H∗ (Y ; R) − → H∗ (X × Y ; R). Beweis. Es ist nur noch zu zeigen, dass die Komultiplikation D ×−1 ∗ ∆ : H(X; R) −→ H(X × X; R) −−→ H(X; R) ⊗R H(X; R) 68Etwa R = K ein Körper, oder R = Z und H∗ (X) frei abelsch. × setzten hier natürlich voraus, dass H(Y ; R) ⊗R H∗ (Y ; R) − → H(Y × Y ; R) und × H(X × Y ; R) ⊗R H∗ (X × Y ; R) − → H(X × Y × X × Y ; R) Isomorphismen sind, sodass H∗ (Y ; R) und H∗ (X × Y ; R) tatsächlich Hopf-Algebren sind. 69Wir V.7. H-RÄUME UND HOPF-ALGEBREN 255 ein Algebra Homomorphismus ist. Nach Proposition V.7.8 sind aber beide Abbildungen Algebrahomomorphismen, denn D : X → X × X ist eine Abbildung von H-Räumen. V.7.25. Lemma. Für n ≥ 1 gilt: (i) Ist Rn eine Divisionsalgebra dann sind S n−1 und RPn−1 H-Räume. (ii) Ist Cn eine Divisionsalgebra über C, dann ist CPn−1 ein H-Raum. (iii) Ist S n−1 parallelisierbar70 dann ist S n−1 ein H-Raum. Beweis. Ist Rn eine Divisionsalgebra, dann existiert auf Rn auch eine Divisionsalgebren Struktur mit Einselement. Wähle dazu 0 6= e ∈ Rn und einen linearen Isomorphismus ϕ ∈ GL(R) mit ϕ(e2 ) = e. Beachte hier, dass e2 6= 0 wegen der Nullteilerfreiheit einer Divisionsalgebra. Es ist nun auch µ̃(x, y) := ϕ(xy) eine Divisionsalgebrenstruktur auf Rn für die µ̃(e, e) = e gilt. Es bezeichne le ∈ GL(Rn ), le (y) := µ̃(e, y), und re ∈ GL(Rn ), re (x) := µ̃(x, e). Definieren wir schließlich µ(x, y) := µ(re−1(x), le−1 (y)), dann ist dies eine Divisionsalgebrenstruktur mit Einselement e. Ad (i): Nach obiger Bemerkung dürfen wir o.B.d.A. annehmen, dass die Divisionsalgebrenstruktur auf Rn ein Einselement besitzt. Es definiert nun (x, y) 7→ xy/kxyk eine H-Raumstruktur auf S n−1 , und ([x], [y]) 7→ [xy] eine H-Raumstruktur auf RPn−1 . Beachte, dass dies wegen der Nullteilerfreiheit der Multiplikation tatsächlich wohldefiniert ist. Ad (ii): Wie oben dürfen wir o.B.d.A. annehmen, dass die Divisionsalgebra Cn ein Einselement besitzt. Es definiert dann ([x], [y]) 7→ [xy], eine H-Raum Struktur auf CPn . Beachte, dass dies aufgrund der Nullteilerfreiheit und der komplexen Linearität der Multiplikation auf Cn tatsächlich wohldefiniert ist. Ad (iii): Seien also vi : S n−1 → Rn punktweise linear unabhängige stetig Vektorfelder, vi (x) ⊥ x. Für jedes x ∈ S n−1 ist dann die Matrix Ax := (x, v2 (x), . . . , vn (x)) invertierbar, dh. Ax ∈ GL(Rn ). Bezeichnet e := (1, 0, . . . , 0) ∈ S n−1 den ersten Einheitsvektor, dann definiert µ : S n−1 ×S n−1 → S n−1 , µ(x, y) := −1 n−1 Ax A−1 mit Einselement e, denn ofe y/kAx Ae yk, eine H-Raum Struktur auf S fensichtlich µ(e, y) = y, aber auch µ(x, e) = x, denn es gilt Ax e = x und daher auch A−1 e e = e. V.7.26. Satz. Für 0 ≤ i, j, i + j ≤ n sind die folgenden Komultiplikationen Isomorphismen: ∼ = → Hi (RPn ; Z2 ) ⊗Z2 Hj (RPn ; Z2 ) (i) ∆i,j : Hi+j (RPn ; Z2 ) − ∼ = → H2i (CPn ; Z) ⊗ H2j (CPn ; Z) (ii) ∆2i,2j : H2(i+j) (CPn ; Z) − ∼ = → H4i (HPn ; Z) ⊗ H4j (HPn ; Z) (iii) ∆4i,4j : H4(i+j) (HPn ; Z) − 70dh. es existieren n − 1 tangentiale Vektorfelder v2 , . . . , vn auf S n−1 , vi : S n−1 → Rn stetig und vi (x) ⊥ x, x ∈ S n−1 , i = 2, . . . , n, die punktweise linear unabhängig sind, dh. v2 (x), . . . , vn (x) linear unabhängig in Rn , für jedes x ∈ S n−1 . Dies bedeutet, dass das Tangentialbündel von S n−1 trivial ist, dh. T S n−1 ∼ = S n−1 × Rn−1 . 256 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Beweis. Wir folgen der Darstellung in [2, Chapter VII.9.3]. Wir beweisen alle drei Ausagen gleichzeitig und setzen dazu P n := RPn , CPn , HPn , K = R, C, H sowie d := 1, 2, 4 in den drei Fällen (i), (ii) bzw. (iii). Aufgrund der Natürlichkeit von ∆ dürfen wir o.B.d.A. i + j = n annehmen, denn die Inklusion P i+j → P n ∼ = → Hq (P n ), für alle q ≤ d(i + j). Betrachte: induziert Isomorphismen Hq (P i+j ) − P i := [x0 : x1 : . . . : xn ] ∈ P n xi+1 = · · · = xn = 0 ⊆ P n P̂ j := [x0 : x1 : . . . : xn ] ∈ P n x0 = · · · = xi−1 = 0 ⊆ P n Offensichtlich gilt P i ∩ P̂ j = {∗} (V.88) mit ∗ := [0 : · · · 0 : 1 : 0 : · · · : 0] ∈ P n . Die Inklusion P i−1 → P n \ P̂ j ist eine Homotopieäquivalenz, denn [x0 : · · · : xn ] 7→ [x0 : · · · : xi−1 : txi : · · · : txn ] definiert eine retrahierende Deformation von P n \ P̂ j auf P i−1. Die Inklusion ∼ = → H∗ (P n , P n \ P̂ j ). Aus der induziert daher einen Isomorphismus H∗ (P n , P i−1) − langen exakten Sequenz des Paares (P n , P i−1 ) folgt nun Hq (P n , P n \ P̂ j ) = 0, für q < di, (V.89) und die Inklusionen induzieren Isomorphismen ∼ = sowie Hq (P i, P i \ ∗) − → Hq (P n , P n \ P̂ j ), für q ≤ di (V.90) ∼ = → Hdi (P n , P n \ P̂ j ). (V.91) Hdi (P n ) − Analog gilt Hq (P n , P n \ P i ) = 0 für q < dj, und die Inklusionen induziert Iso∼ ∼ = = → → Hq (P n , P n \ P i ), für q ≤ dj, sowie Hdj (P n ) − morphismen Hq (P̂ j , P̂ j \ ∗) − Hdj (P n , P n \ P i ). Setze K i := (x1 , . . . , xn ) ∈ K n xi+1 = · · · = xn = 0 ⊆ K n K̂ j := (x1 , . . . , xn ) ∈ K n x1 = · · · = xi = 0 ⊆ K n und betrachte die Karte ϕ : K n → P n, ϕ(x1 , . . . , xn ) := x1 : · · · : xi : 1 : xi+1 : · · · : xn . Betrachte das kommutative Diagramm Hq (K n , K n \ K̂ j ) ϕ∗ / O Hq (P n , P n \ P̂ j ) O ∼ = Hq (K i , K i \ 0) (ϕ|K i )∗ ∼ = / Hq (P i , P i \ ∗) Der linke vertikale Pfeil ist ein Isomorphismus, denn die Inklusion (K i , K i \ 0) → (K n , K n \ K̂ j ) ist eine Homotopieäquivalenz. Mittels Excision folgt, dass auch der untere horizontale Pfeil ein Isomorphismus ist. Für q ≤ di ist auch der rechte V.7. H-RÄUME UND HOPF-ALGEBREN 257 vertikale Pfeil ein Isomorphismus, siehe (V.90). Wir erhalten daher Isomorphismen ∼ = ϕ∗ : Hq (K n , K n \ K̂ j ) − → Hq (P n , P n \ P̂ j ), für q ≤ di. ∼ = (V.92) → Hq (P n , P n \ P i), falls q ≤ dj. Betrachte Analog gilt auch ϕ∗ : Hq (K n , K n \ K i ) − nun folgendes Diagramm: ∆di,dj D∗ Hdn (P n ) / Hdn (P n × P n ) o * × Hdi (P n ) ⊗ Hdj (P n ) ∼ = ∼ = D∗ Hdn (P n , P n \ ∗) O / ∼ = ` ´ Hdn P n × P n , (P n \ P̂ j ) × P n ∪ P n × (P n \ P i ) ϕ∗ O × o ∼ = O ϕ∗ ⊗ϕ∗ (ϕ×ϕ)∗ D∗ Hdn (K n , K n \ 0) / Hdi (P n , P n \ P̂ j ) ⊗ Hdj (P n , P n \ P i ) ` ´ Hdn K n × K n , (K n \ K̂ j ) × K n ∪ K n × (K n \ K i ) O o × ∼ = ∼ = Hdi (K n , K n \ K̂ j ) ⊗ Hdj (K n , K n \ K i ) ∼ = ∼ = * ` ´ Hdn K i × K̂ j , (K i \ 0) × K̂ j ∪ K i × (K̂ j \ 0) Der rechte Teil des Diagramms kommutiert wegen der Natürlichkeit des Kreuzproduktes. Nach Korollar V.6.17 bzw. Korollar V.6.18 und (V.89) sind die beiden Kreuzprodukte tatsächlich Isomorphismen. Nach (V.91) und (V.92) sind die beiden vertikalen Pfeile rechts Isomorphismen. Der linke untere diagonale Pfeil wird von der Identifikation (K n , K n \ 0) = (K i × K̂ j , (K i \ 0) × K̂ j ∪ K i × (K̂ j \ 0)) induziert und ist daher ein Isomorphismus. Der linke untere Teil des Diagramms kommutiert, denn (x1 , . . . , xn ) 7→ x1 , . . . , xi , txi+1 , . . . , txn ; tx1 , . . . , txi , xi+1 , . . . , xn ist eine Homotopie von D zu der Komposition der beiden anderen Pfeile. Der mittlere vertikale Pfeil unten ist von einer Homotopieäquivalenz induziert und daher ein Isomorphismus. Der verbleibende Teil des Diagramms kommutiert aus trivialen Gründen, alle unbeschrifteten Pfeile sind von Inkusionen induziert. Beachte, dass wegen (V.88) die Diagonalabbildungen wirklich Homomorphismen relativer Homologiegruppen wie angegeben induzieren. Der vertikale Pfeil links oben ist wegen (V.91) mit j = 0 und i = n ein Isomorpshimus. Auch der mittlere vertikale Pfeil links ist ein Isomorphismus, dies folgt aus (V.92) mit j = 0 und i = n, oder mittels Excision. Wir sehen also, dass alle als Isomorphismen gekennzeichneten Pfeile tatsächlich Isomorphismen sind. Aus der Kommutativität des Diagramms folgt nun, dass auch ∆di,dj ein Isomorphismus sein muss. 258 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN V.7.27. Beispiel. Betrachte die Räume CP2 und S 2 ∨ S 4 . Für jede abelsche Gruppe G gilt Hq (CP2 ; G) ∼ = Hq (S 2 ∨ S 4 ; G), die additive Struktur der Homologiegruppen erlaubt es daher nicht diese beiden Räume zu unterscheiden. Nach Satz V.7.26(ii) ist jedoch ∼ = → H2 (CP2 ) ⊗ H2 (CP2 ) ∆2,2 : H4 (CP2 ) − ein Isomorphismus, während 0 = ∆2,2 : H4 (S 2 ∨ S 4 ) → H2 (S 2 ∨ S 4 ) ⊗ H2 (S 2 ∨ S 4 ) verschwindet. Die letzte Aussage folgt aus der Existenz einer Retraktion r : S 2 ∨ S 4 → S 2 , denn für x ∈ H4 (S 2 ∨ S 4 ) erhalten wir r∗ x = 0, also 0 = ∆2,2 (r∗ x) = (r∗ ⊗ r∗ )∆2,2 (x) und damit ∆2,2 (x) = 0 da ja r∗ : H2 (S 2 ∨ S 4 ) → H2 (S 2 ) aufgrund der Retraktionseigenschaft von r ein Isomorphismus ist. Die Räume CP2 und S 2 ∨ S 4 können daher nicht homotopieäquivalent sein. Analog lässt sich CPn 6≃ S 2 ∨ S 4 ∨ · · · ∨ S 2n zeigen, obwohl additiv Hq (CPn ; G) ∼ = Hq (S 2 ∨ · · · ∨ S 2n ; G) für alle q gilt. V.7.28. Proposition. Es sei A ein graduierter R-Modul sodass Aq = 0 für q < 0, und sodass Aq ∼ = Rnq für q ≥ 0. Weiters bezeichne HomR (A, R) den graduierten R-Modul HomR (A, R)q := HomR (Aq , R). Ist (A, µ) eine graduierte Algebra dann wird HomR (A, R) durch µ∗ HomR (A, R) −→ HomR (A ⊗R A, R) = HomR (A, R) ⊗R HomR (A, R) zu einer graduierten Koalgebra. Ist A graduiert kommutativ dann ist HomR (A, R) graduiert kokommutativ. Ist A assotiativ dann ist HomR (A, R) koassotiativ. Ist (A, ∆) eine graduierte Koalgebra dann wird HomR (A, R) durch ∆∗ HomR (A, R) ⊗R HomR (A, R) = HomR (A ⊗R A, R) −→ HomR (A, R) zu einer graduierten Algebra. Ist A graduiert kokommutativ dann ist HomR (A, R) graduiert kommutativ. Ist A koassotiativ dann ist HomR (A, R) assotiativ. Ist A eine Hopf-Algebra dann ist auch HomR (A, R) eine Hopf-Algebra. Beweis. Die Voraussetzungen an A stellen sicher, dass der kanonische Homomorphismus ∼ = HomR (A, R) ⊗ HomR (A, R) − → Hom(A ⊗R A, R) ein Isomorphismus ist. Sei nun etwa ∆ eine koassotiative Komultiplikation auf A, dh. das Diagramm A ∆ / A ⊗R A idA ⊗∆ ∆ A ⊗R A ∆⊗idA / A ⊗R A ⊗R A V.7. H-RÄUME UND HOPF-ALGEBREN 259 kommutiert. Durch Anwenden des Funktors HomR (−, R) sehen wir, dass auch HomR (A, R) O ∆∗ o HomR (A, R) ⊗R HomR (A, R) O id ⊗∆∗ ∆∗ ∗ HomR (A, R) ⊗R HomR (A, R) o ∆ ⊗id HomR (A, R) ⊗R HomR (A, R) ⊗R HomR (A, R) kommutiert, also ist die Multiplikation ∆∗ auf HomR (A, R) assotiativ. Die anderen Aussagen lassen sich analog zeigen. V.7.29. Beispiel. Es sei wieder |x| gerade oder 1 = −1 ∈ R. Dann existiert ein Isomorphismus von Hopf-Algebren (V.93) HomR (R[x], R) ∼ = ΓR [x]. Bezeichne dazu αk ∈ HomR (R[x], R)k|x| jenen Erzeuger für den αk (xk ) = 1R gilt. k k+l l Da ∆k,l (xk+l ) = k+l x ⊗ x , erhalten wir α α = αk+l , und aus xk xl = xk+l k l k k k folgt ∆k,l (αk+l ) = αk ⊗ αl . Die Zuordnung αk ↔ x liefert daher den gewünschten Isomorphismus (V.93). Ebenso existiert ein Isomorphismus von Hopf-Algebren HomR (ΓR [x], R) ∼ = R[x]. V.7.30. Korollar. Für n ≥ 0 gilt: (i) Es existiert eine Basis xk ∈ Hk (RPn ; Z2 ), 0 ≤ k ≤ n, mit ∆(xk ) = Pk i=0 xi ⊗ xk−i . (ii) Es existiert eine Basis yk ∈ H2k (CPn ), 0 ≤ k ≤ n, mit ∆(yk ) = Pk i=0 yi ⊗ yk−i . (iii) Es existiert eine Basis zk ∈ H4k (HPn ), 0 ≤ k ≤ n, mit ∆(zk ) = Pk i=0 zi ⊗ zk−i . Beweis. Behauptung (i) folgt sofort aus Satz V.7.26(i), denn Hk (RPn ; Z2 ) ∼ = Z2 , 0 ≤ k ≤ n, besitzt nur eine Basis. Behauptung (ii) folgt aus Satz V.7.26(ii) und der Koassotiativität von H∗ (CPn ). Nach Proposition V.7.28 induziert die Komultiplikation auf B := Hom(H∗ (CPn ), Z) die Struktur einer (graduiert) kommutativen und assotiativen Algebra. Nach Satz V.7.26(ii) ist die Multiplikation Bi ⊗ Bk−i → Bk ein Isomorphismus. Bezeichnet β ∈ B2 ∼ = Z einen Erzeuger, i ∼ dann ist also auch βi := β ∈ B2i = Z ein Erzeuger, 0 ≤ i ≤ n. Aus der Assotiativität von B folgt βi βk−i = βk . Bezeichnet nun yi ∈ H2i (CPn ) den Erzeuger mit βi (yi ) = 1R , 0 ≤ i ≤ n, dann erhalten wir ∆i,k−i (yk ) = yi ⊗ yk−i. Dies zeigt (ii), Behauptung (iii) lässt sich analog aus Satz V.7.26(iii) herleiten. V.7.31. Korollar. Für n ≥ 0 gilt: (i) Ist f : RPn → RPn stetig dann existiert λ ∈ Z2 , sodass für 1 ≤ q ≤ n gilt f∗ = λ : Hq (RPn ; Z2 ) → Hq (RPn ; Z2 ). (ii) Ist f : CPn → CPn stetig dann existiert λ ∈ Z, sodass für 1 ≤ q ≤ n gilt f∗ = λq : H2q (CPn ) → H2q (CPn ). 260 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN (iii) Ist f : HPn → HPn stetig dann existiert λ ∈ Z, sodass für 1 ≤ q ≤ n gilt f∗ = λq : H4q (HPn ) → H4q (HPn ). Beweis. Es existieren λq ∈ Z2 , sodass f∗ xq = λq xq , q = 0, . . . , n, wobei xq ∈ Hq (RPn ; Z2 ) eine Basis wie in Korollar V.7.30(i) bezeichnet. Aus der Natürlichkeit von ∆ und Korollar V.7.30(i) folgt nun λq x1 ⊗ xq−1 = λq ∆1,q−1 (xq ) = ∆1,q−1 (f∗ xq ) = (f∗ ⊗ f∗ )∆1,q−1 (xq ) = (f∗ ⊗ f∗ )x1 ⊗ xq−1 = λ1 λq−1 x1 ⊗ xq−1 und daher λq = λ1 λq−1 , q ≥ 1. Mittels Induktion erhalten wir λq = λq1 , q ≥ 1. Da λq1 = λ1 ∈ Z2 folgt Behauptung (i) mit λ := λ1 . Behauptung (ii) lässt sich analog beweisen. Zunächst existieren λq ∈ Z mit f∗ yq = λq yq , q = 0, 1, . . . , n, wobei yq ∈ H2q (CPn ) eine Basis wie in Korollar V.7.30(ii) bezeichnet. Aus einer Rechnung wie oben folgt λq = λ1 λq−1 , q ≥ 1, und daher λq = λq mit λ := λ1 . Damit ist (ii) bewiesen, dasselbe Argument zeigt auch (iii). V.7.32. Korollar. Für 0 < k < n gilt: (i) RPk ist nicht Retrakt von RPn . (ii) CPk ist nicht Retrakt von CPn . (iii) HPk ist nicht Retrakt von HPn . Beweis. Wir gehen indirekt vor und nehmen an r : RPn → RPk ⊆ RPn wäre eine Retraktion, r|RPk = idRPk . Da die Inklusion RPk → RPn einen Isomorphis∼ = mus H1 (RPk ; Z2 ) − → H1 (RPn ; Z2 ) induziert, gilt also r∗ = id : H1 (RPn ; Z2 ) → H1 (RPn ; Z2 ). Aus Korollar V.7.31(i) folgt nun r∗ = id : Hn (RPn ; Z2 ) → Hn (RPn ; Z2 ), ein Widerspruch, denn Hn (RPk ; Z2 ) = 0. Damit ist (V.7.32) gezeigt, die verbleibenden Aussagen lassen sich analog beweisen. V.7.33. Korollar. Es sei n ≥ 1: (i) Ist RPn−1 ein H-Raum dann gilt n = 2s für ein s ∈ N0 .71 (ii) Ist CPn−1 ein H-Raum dann gilt n = 1. (iii) Ist HPn−1 ein H-Raum dann gilt n = 1. Beweis. Ad Behauptung (i): Wie in Beispiel V.7.29 folgt aus Satz V.7.30(i) HomZ2 (H∗ (RPn−1 ; Z2 ), Z2 ) ∼ = Z2 [x]/xn , als graduierte Algebren, |x| = 1. Ist n−1 RP ein H-Raum, dann ist dies eine Hopf-Algebra, siehe Proposition V.7.28. Nach Bemerkung V.7.22 muss daher n = 2s gelten. Ad Behauptung (ii): Wie in Beispiel V.7.29 folgt aus Satz V.7.30(ii) Hom(H∗ (CPn−1 ), Z) ∼ = Z[y]/y n, als 71Tatsächlich folgt n = 1, 2, 4 oder 8 nach einem Resultat von Adams. V.7. H-RÄUME UND HOPF-ALGEBREN 261 graduierte Algebren, |y| = 2. Ist CPn−1 ein H-Raum, dann ist dies eine HopfAlgebra, siehe Proposition V.7.28. Nach Bemerkung V.7.20 muss daher n = 1 gelten. Behauptung (iii) lässt sich analog beweisen. V.7.34. Korollar. (i) Die Dimension einer endlich-dimensionale Divisionsalgebra über R ist von der Form 2s , für ein s ∈ N0 .72 (ii) C ist die einzige endlich-dimensionale komplexe Divisionsalgebra. Beweis. Dies folgt aus Korollar V.7.33 und Lemma V.7.25. 0 1 2 V.7.35. Beispiel. S n Wir betrachten die Inklusionen R ⊆ R ⊆ R ⊆ · · · und ∞ versehen R := n R mit der schwachen Topologie dh. eine Teilemenge U ⊆ R∞ ist genau dann offen, wenn U ∩ Rn offen in Rn ist, für jedes n. Wir schreiben auch R∞ = lim Rn . Diese Topologie auf R∞ ist durch folgende universelle Eigenschaft −→ charakterisiert. Sind fn : Rn → X stetig mit fn |Rm = fm , m ≤ n, dann existiert genau eine stetige Abbildung f : R∞ → X, sodass f |Rn = fn für alle n. Etwa ist jede lineare Abbildung R∞ → R stetig. Ist S K ⊆ R∞ kompakt, dann existiert 73 n ∈ N, sodass K ⊆ Rn . Die Sphäre S ∞ := n S n = {x ∈ R∞ : kxk = 1} ist ein abgeschlossener Teilraum von R∞ , und es gilt S ∞ = lim S n , dh. U ⊆ S ∞ ist −→ genau dann offen wenn U ∩ S n offen in S n ist, für jedes n. Wieder muss jede kompakte Teilmenge K ⊆ S ∞ schon zur Gänze in einer endlich dimensionalen Sphäre S n liegen. Zusammen mit der Berechnung der Homologiegruppen von S n folgt nun H̃∗ (S ∞ ) = 0, dh. S ∞ ist azyklisch. Tatsächlich ist S ∞ kontrahierbar. Bezeichnet s : S ∞ → S ∞ die Abbildung s(x1 , x2 , . . . ) := (0, x1 , x2 , . . . ) dann gilt nämlich idS ∞ ≃ s via der Homotopie F : S ∞ × I → S ∞, Ft (x) := ts(x) + (1 − t)x kts(x) + (1 − t)xk Gt (x) := (1 − t)s(x) + te k(1 − t)s(x) + tek und s ≃ const via der Homotopie G : S ∞ × I → S ∞, wobei e = (1, 0, 0, . . . ) ∈ S ∞ , also idS ∞ ≃ const. Die Stetigkeit dieser Homotopien folgt aus S ∞ × I = lim(S n × I). Polynommultiplikation (Faltung) liefert eine −→ 72Tatsächlich kann die Dimension nur 1, 2, 4 oder 8 sein, siehe oben. Die Beispiele R, C, H und O zeigen, dass alle diese Dimensionen auch auftreten. 73Sei dazu M := {m ∈ N | K ∩ (Rm \ Rm−1 ) 6= ∅}. Wähle nun x ∈ K ∩ (Rm \ Rm−1 ), m m ∈ M , und betrachte X := {xm | m ∈ M }. Es ist dann X abgeschlossen in R∞ , denn offensichtlich ist X ∩ Rn abgeschlossen in Rn , für jedes n. Das selbe Argument zeigt, dass auch X \ {xm } abgeschlossen in R∞ ist, für jedes m ∈ M . Also ist X eine abgeschlossene, diskrete Teilmenge von K. Aufgrund der Kompaktheit von K muss X daher endlich sein. Nach Konstruktion ist dann auch M endlich, also gilt K ⊆ Rn mit n := max(M ). 262 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Abbildung m : R∞ × R∞ → R∞ , X X m (x0 , x1 , . . . ), (y0, y1 , . . . ) := x0 y0 , x0 y1 + x1 y0 , xi yj , . . . , xi yj , . . . . i+j=2 i+j=k Dadurch wird R zu einer kommutativen und assotiativen Divisionsalgebra mit Einselement e. Wegen R∞ × R∞ = lim(Rn × Rn ) ist m auch stetig, also definiert −→ m(x, y) µ : S ∞ × S ∞ → S ∞, µ(x, y) := (V.94) km(x, y)k ∞ eine strikt kommutative und assotiative H-Raumstruktur auf S ∞ . Analog definieren wir C∞ := lim Cn und H∞ := lim Hn . Polynommultiplikation liefert wieder −→ −→ stetige Abbildungen C∞ × C∞ → C∞ und H∞ × H∞ → H∞ . Dadurch werden C∞ und H∞ zu assotiativen Divisionsalgebren mit Eins, C∞ ist darüberhinaus auch kommutativ. Beachte auch S ∞ ⊆ C∞ und S ∞ ⊆ H∞ . V.7.36. Beispiel (RP∞ als H-Raum).SWir betrachten die Inklusionen RP0 ⊆ RP ⊆ RP2 ⊆ · · · und versehen RP∞ := n≥0 RPn mit der schwachen Topologie, dh. eine Teilemenge U ⊆ RP∞ ist genau dann offen wenn U ∩ RPn offen in RPn ist, für jedes n. Wir schreiben dafür auch RP∞ = lim RPn . Sind fn : RPn → X −→ stetige Abbildungen mit fn |RPm = fm , m ≤ n, dann existiert genau eine stetige Abbildung f : RP∞ → X, sodass f |RPn = fn für alle n ∈ N. Die Projektionen p : S n → RPn induzieren eine stetige Abbildung p : S ∞ → RP∞ , die Topologie auf RP∞ stimmt mit der Quotiententopologie überein. Also ist p : S ∞ → RP∞ die universelle (zwei-blättrige) Überlagerung von RP∞ . Ist K ⊆ RP∞ kompakt, dann existiert n ∈ N, sodass K ⊆ RPn . Mittels Proposition V.4.14 folgt daraus Z falls q = 0 ∞ ∼ Hq (RP ; Z) = Z2 falls q = 1, 3, 5, 7, . . . 0 sonst bzw. Hq (RP∞ ; Z2 ) ∼ = Z2 für alle q ≥ 0. Aus Satz V.7.26(i) und der Natürlichkeit von ∆ folgt, dass 1 ∼ = → Hi (RP∞ ; Z2 ) ⊗Z2 Hj (RP∞ ; Z2 ), ∆i,j : Hi+j (RP∞ ; Z2 ) − ∞ i, j ≥ 0 Isomorphismen sind. Es existiert daher eine Basis xk ∈ Hk (RP ; Z2 ), sodass ∆(xk ) = k X i=0 ∞ xi ⊗ xk−i , k ≥ 0. (V.95) Die H-Raumstruktur auf S , siehe (V.94), faktorisiert zu einer kommutativen und assotiativen H-Raumstruktur auf RP∞ . Für die Hopf-Algebra gilt |x| = 1. (V.96) H∗ (RP∞ ; Z2 ) ∼ = ΓZ [x], 2 Aus (V.95) folgt nämlich HomZ2 (H∗ (RP ; Z2 ), Z2 ) ∼ = Z2 [x], als graduierte Algebren. Da es auf Z2 [x] nur eine Hopf-Algebrenstruktur gibt, siehe Beispiel V.7.17, ∞ V.7. H-RÄUME UND HOPF-ALGEBREN 263 muss dies ein Isomorphismus von Hopf-Algebren sein. Mittels Proposition V.7.28 und Beispiel V.7.29 erhalten wir nun (V.96). V.7.37. Beispiel (CP∞ als H-Raum). Wie in Beispiel V.7.36 definieren wir CP = lim CPn und erhalten −→ ( Z falls q = 0, 2, 4, 6, 8, . . . Hq (CP∞ ; Z) ∼ = 0 sonst ∞ Die Projektionen p : S 2n+1 → CPn induzieren eine stetige Abbildung p : S ∞ → CP∞ , und die Topologie auf CP∞ stimmt mit der Quotiententopologie überein. Aus Satz V.7.26(ii) sehen wir, dass ∼ = ∆2i,2j : H2i+2j (CP∞ ) − → H2i (CP∞ ) ⊗ H2j (CP∞ ), i, j ≥ 0 Isomorphismen sind. Wie im Beweis von Korollar V.7.30 folgt daraus, dass eine Basis yk ∈ H2k (CP∞ ) existiert, sodass ∆(yk ) = k X i=0 yi ⊗ yk−i, k ≥ 0. (V.97) Polynommultiplikation auf C∞ induziert eine kommutative und assotiative HRaumstruktur auf CP∞ , µ : CP∞ × CP∞ → CP∞ , µ([x], [y]) := [m(x, y)]. Als Hopf-Algebren gilt H∗ (CP∞ ) ∼ = ΓZ [y], |y| = 2. (V.98) Aus (V.97) folgt nämlich Hom(H∗ (CP ), Z) ∼ = Z[x], als graduierte Algebren. Da es auf Z[x] nur eine Hopf-Algebrenstruktur gibt, siehe Beispiel V.7.17, muss dies ein Isomorphismus von Hopfalgebren sein. Mittels Proposition V.7.28 und Beispiel V.7.29 erhalten wir nun (V.98). ∞ V.7.38. Beispiel (HP∞ als H-Raum). Wie in Beispiel V.7.37 definieren wir HP = lim HPn und erhalten −→ ( Z falls q = 0, 4, 8, 12, 16, . . . ∞ Hq (HP ; Z) ∼ = 0 sonst ∞ Die Projektionen p : S 4n+3 → HPn induzieren eine stetige Abbildung p : S ∞ → HP∞ , und die Topologie auf HP∞ stimmt mit der Quotiententopologie überein. Polynommultiplikation auf H∞ induziert eine nicht kommutative aber assotiative H-Raumstruktur auf HP∞ , also ist H∗ (HP∞ ; Z) eine Hopfalgebra. Wie im vorangehenden Beispiel folgt H∗ (HP∞ ) ∼ |z| = 4, = ΓZ [z], als Hopf-Algebren. 264 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN V.8. Das Borsuk–Ulam Theorem. Eine stetige Abbildung f : S n → S m wird ungerade genannt, falls f (−x) = −f (x) für alle x ∈ S n gilt. Dies bedeutet, dass f mit der Antipodalabbildung A : S n → S n , A(x) := −x, kommutiert, dh. f ◦A = A◦f . Analog wird eine stetige Abbildung f : S n → Rm ungerade genannt, falls f (−x) = −f (x) für alle x ∈ S n gilt. V.8.1. Satz (Borsuk). Jede ungerade Abbildung S n → S n hat ungeraden Abbildungsgrad, n ≥ 0. Insbesondere sind ungerade Abbildungen S n → S n stets surjektiv und nicht nullhomotop. Beweis. Sei also f : S n → S n ungerade. Es ist dann auch die Suspension Sf : S n+1 → S n+1 ungerade mit Abbildungsgrad deg(Sf ) = deg(f ), siehe Satz IV.12.11(iv). Wir dürfen daher o.B.d.A. n ungerade und n ≥ 3 voraussetzen. Es bezeichne nun f¯ : RPn → RPn die von f induzierte stetige Abbildung, dh. p ◦ f = f¯◦ p, wobei p : S n → RPn die kanonische Projektion bezeichnet. Nach p∗ → Hn (RPn ) ∼ Proposition V.4.14 ist der Homomorphismus Z ∼ = Z = Hn (S n ) − injektiv, aus p∗ ◦ f∗ = f¯∗ ◦ p∗ folgt daher f¯∗ = deg(f ) : Hn (RPn ) → Hn (RPn ). Mit Hilfe der Natürlichkeitsaussage im universellen Koeffiziententheorem V.4.6 erhalten wir daraus auch f¯∗ = deg(f ) : Hn (RPn ; Z2 ) → Hn (RPn ; Z2 ). (V.99) Es bezeichne x0 ∈ RPn einen Basispunkt und σ : I → S n einen Weg der die beiden Punkte in p−1 (x0 ) verbindet. Es repräsentiert dann σ̄ := p ◦ σ : I → RPn das nicht-triviale Element in π1 (RPn , x0 ) ∼ = Z2 , siehe Proposition II.3.11(ii) und Proposition I.5.18. Da f ungerade ist, kann f ◦ σ nicht geschlossen sein, daher ¯ 0 )). Deshalb repräsentiert f¯◦ σ̄ = p◦f ◦σ das nicht-triviale Element in π1 (RPn , f(x muss ∼ = f¯∗ : π1 (RPn , x0 ) − → π1 (RPn , f¯(x0 )) ein Isomorphismus sein. Wegen der Natürlichkeit des Huréwicz-Isomorphimus, siehe Proposition IV.11.2 und Satz IV.11.3 folgt f¯∗ = id : H1 (RPn ; Z2 ) → H1 (RPn ; Z2 ). Aus Korollar V.7.31(i) schließen wir f¯∗ = id : Hn (RPn ; Z2 ) → Hn (RPn ; Z2 ). Wegen (V.99) muss deg(f ) also ungerade sein. Die zweite Behauptung des Satzes folg nun aus Satz IV.12.11(i) und Proposition IV.12.15. V.8.2. Bemerkung. Ist n ≥ 1, dann tritt jede ungerade Zahl tatsächlich als Abbildungsgrad einer ungeraden Abbildung S n → S n auf. Sei dazu k ∈ Z ungerade. Im Fall n = 1 ist die Abbildung S 1 → S 1 , z 7→ z k , ungerade mit Abbildungsgrad k, siehe Satz I.4.1(iii). Den allgemeinen Fall erhalten wir nun aus folgender Beobachtung. Ist f : S n → S n ungerade, dann ist auch ihre Suspension V.8. DAS BORSUK–ULAM THEOREM 265 Sf : S n+1 → S n+1 eine ungerade Abbildung mit Abbildungsgrad deg(Sf ) = deg(f ), siehe Satz IV.12.11(iv). Eine stetige Abbildung f : S n → S n wird gerade genannt falls f (x) = f (−x), für alle x ∈ S n . Analog zu Satz V.8.1 gilt auch folgendes Resultat, das jedoch wesentlich einfacher zu beweisen ist. V.8.3. Proposition. Jede gerade Abbildung f : S n → S n hat geraden Abbildungsgrad. Ist n gerade, dann gilt sogar deg(f ) = 0. Beweis. Sei also f : S n → S n eine gerade Abbildung. Dann faktorisiert f über die kanonische Projektion p : S n → RPn zu einer stetigen Abbildung f¯ : RPn → S n , dh. f = f¯ ◦ p. Ist n gerade, dann gilt Hn (RPn ) = 0, siehe Proposition V.4.14, daher auch f∗ = f¯∗ ◦ p∗ = 0 : Hn (S n ) → Hn (S n ), und wir p∗ → Hn (RPn ) ∼ erhalten deg(f ) = 0. Ist n ungerade, dann bildet Z ∼ =Z = Hn (S n ) − einen Erzeuger auf das Doppelte eines Erzeugers ab, siehe Porposition V.4.14. Aus f∗ → Hn (S n ) ∼ f∗ = f¯∗ ◦ p∗ folgt daher, dass Z ∼ = Z einen Erzeuger auf ein = Hn (S n ) − gerades Vielfaches eines Erzeugers abbildet, also muss f geraden Abbildungsgrad haben. V.8.4. Bemerkung. Ist n ungerade, dann tritt jede gerade Zahl tatsächlich als Abbildungsgrad einer geraden Abbildung S n → S n auf. Betrachte dazu die Komposition f : S n → RPn → RPn /RPn−1 ∼ = S n . Dies ist offensichtlich eine gerade Abbildung mit Abbildungsgrad deg(f ) = ±2. Für jedes g : S n → S n ist dann auch g◦f : S n → S n eine gerade Abbildung mit Abbildungsgrad deg(g◦f ) = ±2 deg(g). Durch geeignete Wahl von g lässt sich so jeder gerade Abbildungsgrad realisieren, vgl. Bemerkung IV.12.14. V.8.5. Korollar (Borsuk–Ulam). Für n ≥ 0 gilt: (i) Ist f : S n → Rn stetig, dann existiert x ∈ S n mit f (x) = f (−x). (ii) Ist f : S n → Rn ungerade, dann existiert x ∈ S n mit f (x) = 0. (iii) Es existiert keine ungerade Abbildung f : S n+1 → S n . (iv) Es existiert keine stetige Abbildung f : D n+1 → S n deren Einschränkung f |S n : S n → S n ungerade ist. Beweis. Ad (iv): Ist f : D n+1 → S n stetig, dann gilt deg(f |S n ) = 0, denn H̃n (D n+1 ) = 0. Nach Satz V.8.1 kann also f |S n nicht ungerade sein. Ad (iii): Ist f : S n+1 → S n stetig, dann gilt deg(f : S n+1 → S n ⊆ S n+1 ) = 0, denn Hn+1 (S n ) = 0. Nach Satz V.8.1 kann also f nicht ungerade sein. Ad (i): Sei also f : S n → Rn stetig. Wir nehmen indirekt an f (x) 6= f (−x), (x)−f (−x) für alle x ∈ S n . Dann definiert g : S n → S n−1 , g(x) := kff (x)−f eine ungerade (−x)k Abbildung, ein Widerspruch zu (iii). Ad (ii): Sei also f : S n → Rn ungerade. Nach (i) existiert x ∈ S n mit f (x) = f (−x). Da f ungerade ist, gilt auch f (−x) = −f (x) und damit f (x) = 0. 266 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN V.8.6. Korollar (Ham Sandwich Theorem). Sind A1 , . . . , An ⊆ Rn Lebesgue messbar mit endlichem Volumen, dann existiert eine affine Hyperebene E ⊆ Rn , die jede der Mengen Ai in zwei gleich große Teile unterteilt. Beweis. Für x ∈ S n−1 und r ∈ R bezeichne Hx− (r) := {y ∈ Rn | hx, yi ≤ r}. Hx+ (r) := {y ∈ Rn | hx, yi ≥ r}, Weiters sei Ix := r ∈ R vol(An ∩ Hx+ (r)) = vol(An ∩ Hx− (r)) . Wegen der Stetigkeit von r 7→ vol(An ∩ Hx± (r)) und weil lim vol(An ∩ Hx± (r)) = 0, r→±∞ lim vol(An ∩ Hx∓ (r)) = vol(An ) r→±∞ ist Ix ein kompaktes nicht-leeres Interval. Beachte auch, dass rx := 21 (min(Ix ) + max(Ix )) ∈ Ix stetig von x ∈ S n−1 abhängt. Setzen wir nun Hx± := Hx± (rx ), dann gilt vol(An ∩ Hx+ ) = vol(An ∩ Hx− ), aber auch denn I−x = −Ix , r−x Abbildung für alle x ∈ S n−1 , (V.100) + H−x = Hx− , für alle x ∈ S n−1 , (V.101) + = −rx und Hx− (r) = H−x (−r). Betrachte nun die stetige f : S n−1 → Rn−1 , f (x) := vol(A1 ∩ Hx+ ), . . . , vol(An−1 ∩ Hx+ ) . Nach Korollar V.8.5(ii) existiert y ∈ S n−1 mit f (y) = f (−y), dh. + vol(Ai ∩ Hy+ ) = vol(Ai ∩ H−y ) = vol(Ai ∩ Hy− ), 1 ≤ i ≤ n − 1. Zusammen mit (V.100) zeigt dies, dass die Hyperbene E := Hy+ ∩ Hy− die gewünschte Eigenschaft besitzt. V.8.7. Korollar. Es sei S n = A1 ∪ · · · ∪ An+1 wobei jedes Ai entweder offen oder abgeschlossen ist, n ≥ 0. Dann muss eine der Mengen Ai ein Paar von Antipodalpunkten enthalten, dh. es existieren i ∈ {1, . . . , n + 1} und x ∈ S n , sodass {x, −x} ⊆ Ai . Beweis. Wir nehmen zunächst an, dass alle Ai abgeschlossen sind. Betrachte die stetige Abbildung f : S n → Rn , f (x) := d(x, A1 ), . . . , d(x, An ) , wobei d(x, Ai ) := mina∈Ai kx − ak den Abstand von x zu Ai bezeichnet. Nach Korollar V.8.5(i) existiert y ∈ S n mit f (y) = f (−y), dh. d(y, Ai) = d(−y, Ai ), für alle 1 ≤ i ≤ n. Falls d(y, Ai) = d(−y, Ai ) 6= 0 für alle 1 ≤ i ≤ n, dann folgt y ∈ / A1 ∪ · · · ∪ An und n −y ∈ / A1 ∪ · · · ∪ An , also {y, −y} ⊆ An+1 , denn S = A1 ∪ · · · ∪ An+1 . Andernfalls V.8. DAS BORSUK–ULAM THEOREM 267 existiert j ∈ {1, . . . , n} mit d(y, Aj ) = d(−y, Ai) = 0, und daher {y, −y} ⊆ Aj , denn Aj ist abgeschlossen. Im nächsten Schritt nehmen wir nun an, dass alle Ai offen sind. Für ε > 0 betrachten wir die offenen Teilmengen Uiε := x ∈ S n d(x, S n \ Ai ) > ε ⊆ S n . S ε n Beachte A = i ε>0 Ui aufgrund der Abgeschlossenheit von S \ Ai . Es gilt daher S ε S n = ε>0 (U1ε ∪ · · · ∪ Un+1 ). Wegen der Kompaktheit von S n existiert also ε > 0 n ε ε mit S = U1 ∪ · · · ∪ Un+1 . Nach dem ersten Schritt oben existieren daher i und x ∈ S n mit {x, −x} ∈ Ūiε ⊆ Ai . Für den allgemeinen Fall seien nun o.B.d.A. A1 , . . . , Ak abgeschlossen und Ak+1 , . . . , An+1 offen. Für ε > 0 und 1 ≤ i ≤ k betrachten wir die offenen Teilmengen Viε := x ∈ S n d(x, Ai ) < ε ⊆ S n . T Beachte ε>0 Viε = Ai aufgrund der Abgeschlossenheit von Ai , 1 ≤ i ≤ k. O.B.d.A. nehmen wir an, dass keine der Teilmengen Ak+1 , . . . , An+1 ein Paar von Antipodalpunkten enthält. Nach dem zweiten Schritt oben, muss eine der Mengen V1ε , . . . , Vkε ein Paar von Antipodalpunkten enthalten. Es existiert da1/l her j ∈ {1, . . . , k} und eine Folge xl ∈ S n , sodass {xl , −xl } ⊆ Vk , für alle l ∈ N. Durch Übergang zu einer Teilfolge, dürfen wir o.B.d.A. annehmen, dass xl konvergiert. Für den Grenzwert y := liml→∞ xl gilt nun {y, −y} ∈ Aj . V.8.8. Bemerkung. Betrachte die beiden Teilmengen A1 := eπit t ∈ [0, 1) ⊆ S 1 und A2 := eπit t ∈ [1, 2) ⊆ S 1 . Offensichtlich gilt S 1 = A1 ∪ A2 , aber keine der beiden Mengen enthält ein Paar von Antipodalpunkten. Beachte, dass Ai weder offen noch abgeschlossen ist. Es seien k, n ∈ N, 1 ≤ k ≤ n. Weiters bezeichne En,k die Menge aller kelementigen Teilmengen von {1, . . . , n}. Unter dem Kneser-Graph KGn,k verstehen wir den Graphen mit Eckenmenge En,k , wobei zwei Ecken v, w ∈ En,k durch eine Kante verbunden werden, falls v ∩ w = ∅. Ist n < 2k, dann besitzt KGn,k keine Kanten. Von nun an sei also n ≥ 2k − 1. Der Kneser-Graph KGn,k besitzt eine Färbung mit n − 2k + 2 Farben, dh. es existiert eine Abbildung ϕ : En,k → {1, . . . , n − 2k + 2}, sodass ϕ(v) 6= ϕ(w) falls v und w durch eine Kante verbunden sind. Eine solche Färbung lässt sich leich angeben,74 ϕ(v) := min min(v), n − 2k + 2 . 74Um die Färbungseigenschaft von ϕ einzusehen sei also ϕ(v) = ϕ(w). Es ist zu zeigen, dass v und w nicht durch eine Kante verbunden sind, dh. wir haben v ∩ w 6= ∅ zu zeigen. Falls ϕ(v) = ϕ(w) = n − 2k + 2 dann folgt min(v), min(w) ≥ n − 2k + 2, also sind v und w beide in der (2k − 1)-elementigen Menge {n − 2k + 2, . . . , n} enthalten und müssen sich daher schneiden. Andernfalls gilt ϕ(v) = ϕ(w) = min(v) = min(w) =: m, und daher m ∈ v ∩ w 6= ∅. 268 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Die chromatische Zahl75 des Kneser-Graphen ist daher höchstens n − 2k + 2. V.8.9. Korollar (Kneser-Vermutung). Es sei n ≥ 2k − 1. Die chromatische Zahl des Kneser-Graphen KGn,k ist n − 2k + 2. Beweis. Wir folgen der Darstellung in [20, Chapter 10.6]. Wir gehen indirekt vor und wählen ein Färbung von KGn,k mit d := n − 2k + 1 Farben. Weiters sei X ⊆ S d ⊆ Rd+1 eine n-elementige Teilmenge, sodass je d + 1 verschiedene Punkte von X stets linear unabhängig in Rd+1 sind. Für x ∈ S d bezeichne H(x) := {z ∈ Rd+1 |hx, zi > 0}. Wir identifizieren X = {1, . . . , n}, und betrachten die offenen Teilmengen n X ∩ H(x) enthält eine k-elementige ⊆ S d , 1 ≤ i ≤ d. Ai := x ∈ S Teilmenge mit Farbe i Wegen der Färbungseigenschaft und weil H(x)∩H(−x) = ∅, kann keine der Mengen Ai ein Paar von Antipodalpunkten enhalten. Nach Korollar V.8.7 muss also die abgeschlossene Menge Ad+1 := S n \ (A1 ∪ · · · ∪ Ad ) ein Paar von Antipodalpunkten enthalten, {y, −y} ⊆ Ad+1 . Da y ∈ / A1 ∪ · · ·∪ Ad gilt ♯(X ∩ H(y)) ≤ k − 1 und ebenso ♯(X ∩ H(−y)) ≤ k − 1, denn −y ∈ / A1 ∪ · · · ∪ Ad . Nach Konstruktion von X gilt aber auch ♯(X ∩ y ⊥ ) ≤ d, wobei y ⊥ := {z ∈ Rd+1 | hy, zi = 0}. Aus H(−y) ∪ y ⊥ ∪ H(y) = Rd+1 folgt nun ♯X ≤ ♯(X ∩ H(−y)) + ♯(X ∩ y ⊥ ) + ♯(X ∩ H(y)) der gewünschte Widerspruch, denn ♯X = n. ≤ (k − 1) + d + (k − 1) = n − 1, V.9. Hopf-Invariante. Wir wollen nun mit Hilfe der Komultiplikation die sogenannte Hopf-Invariante einer stetigen Abbildung f : S 2n−1 → S n definieren, n ≥ 2. Dazu fixieren wir Erzeuger αS n ∈ Hn (S n ) und betrachte den Raum Cf := S n ∪f D 2n . Nach Beispiel IV.9.14 gilt: ( Z falls q = 0, n, 2n Hq (Cf ) ∼ = 0 sonst Die kanonische Inklusion ι = ιf : S n → Cf induziert einen Isomorphismus ∼ = → Hn (Cf ). ι∗ : Hn (S n ) − (V.102) Wir setzen a = af := ι∗ (αS n ) ∈ Hn (Cf ), dh. a ist ein Erzeuger von Hn (Cf ) ∼ = Z. Wir fassen S n via ι als Teilraum von Cf auf. Mit Hilfe der kanonische Abbildung Φ = Φf : (D 2n , S 2n−1 ) → (Cf , S n ) erhalten wir Isomorphismen H2n (Cf ) 75Unter ∼ = / H2n (Cf , S n ) o Φ∗ ∼ = H2n (D 2n , S 2n−1 ) δ ∼ = / H2n−1 (S 2n−1 ) (V.103) der chromatischen Zahl eines Graphen verstehen wir die kleinste Zahl k für die eine Färbung mit k Farben existiert. V.9. HOPF-INVARIANTE 269 Mit b = bf ∈ H2n (Cf ) ∼ = Z bezeichnen wir jenen Erzeuger, der via (V.103) dem Erzeuger α2n−1 ∈ H2n−1 (S 2n−1 ) entspricht. Nach Konstruktion bilden 1 ∈ H0 (Cf ), a ∈ Hn (Cf ) und b ∈ H2n (Cf ) eine Basis von H∗ (Cf ). Aus Dimensionsgründen existiert genau eine Zahl h(f ) ∈ Z, sodass ∆(b) = 1 ⊗ b + h(f )a ⊗ a + b ⊗ 1. Diese Zahl wird die Hopf-Invariante der Abbildung f : S 2n−1 → S n genannt. Mit der Notation aus Bemerkung V.7.11 lässt sich dies auch so schreiben: ∆n,n (b) = h(f )a ⊗ a. V.9.1. Beispiel. Für die Hopfabbildung p : S 3 → CP1 ∼ = S 2 gilt Cp = CP1 ∪p D 4 ∼ = CP2 , also h(p) = ±1 nach Korollar V.7.30(ii). Aus Satz V.9.3(i)&(ii) unten folgt nun, dass p nicht nullhomotop ist. V.9.2. Beispiel. Für die Hopfabbildung p : S 7 → HP1 ∼ = S 4 gilt Cp = HP1 ∪p 2 D8 ∼ = HP , also h(p) = ±1 nach Korollar V.7.30(iii). Aus Satz V.9.3(i)&(ii) unten folgt nun, dass p nicht nullhomotop ist. V.9.3. Satz (Hopf-Invariante). Die Hopf-Invariante stetiger Abildungen f : S 2n−1 → S n , n ≥ 2, hat folgende Eigenschaften: (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi) (vii) f ≃ g ⇒ h(f ) = h(g). Wir erhalten daher h : [S 2n−1 , S n ] → Z. h(const) = 0. Ist n ungerade, dann gilt h(f ) = 0. h(ϕ ◦ f ) = deg(ϕ)2 h(f ), für alle ϕ : S n → S n . h(f ◦ ψ) = h(f ) deg(ψ), für alle ψ : S 2n−1 → S 2n−1 . Ist n gerade, dann existiert f : S 2n−1 → S n mit h(f ) = 2. Ist S n−1 ein H-Raum, dann existiert f : S 2n−1 → S n mit h(f ) = 1. Beweis. Ad Behauptung (i). Wir werden eine stetige Abbildung ρ : Cf → Cg mit ρ◦ ιf = ιg : S n → Cg und ρ◦ Φf ≃ Φg : (D 2n , S 2n−1 ) → (Cg , S n ) konstruieren. Ist dies gelungen, dann folgt ρ∗ af = ag und ρ∗ bf = bg , vgl. (V.102) und (V.103), somit h(f )ag ⊗ ag = h(f )ρ∗ af ⊗ ρ∗ af = (ρ∗ ⊗ ρ∗ ) h(f )af ⊗ af = (ρ∗ ⊗ ρ∗ )∆n,n (bf ) = ∆n,n (ρ∗ bf ) = ∆n,n (bg ) = h(g)ag ⊗ ag , und daher h(f ) = h(g). Für die Konstruktion von ρ wählen wir eine Homotopie F : S 2n−1 × I → S n von F0 = f nach F1 = g und betrachte den Raum CF := S n ∪F (D 2n × I). Weiters sei r : D 2n × I → (D 2n × {1}) ∪ (S 2n−1 × I) eine Retraktion, und es bezeichne i : D 2n → D 2n × I, i(z) := (z, 0), die Inklusion. 270 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Diese induzieren stetige Abbildungen ĩ : Cf → CF und r̃ : CF → Cg , Cf S n ∪f D2n ĩ r̃ / CF idS n ∪i / S n ∪F (D 2n × I) / Cg idS n ∪r / S n ∪F (D 2n × {1}) ∪ (S 2n−1 × I) Setzen wir nun ρ := r̃ ◦ ĩ dann gilt sicherlich ρ ◦ ιf = ιg , und die Komposition Φ r̃ F (D 2n , S 2n−1 ) × I = (D 2n × I, S 2n−1 × I) −−→ (CF , S n ) − → (Cg , S n ) liefert die gewünschte Homotopie von ρ ◦ Φf nach Φg . Ad Behauptung (ii). In diesem Fall gilt Cf ∼ = S n ∨ S 2n , es existiert daher eine Retraktion r : Cf → S n , r|S n = idS n . Es folgt r∗ a = a, r∗ b = 0 und damit 0 = ∆n,n (r∗ b) = (r∗ ⊗ r∗ )∆n,n (b) = (r∗ ⊗ r∗ ) h(f )a ⊗ a = h(f )r∗ a ⊗ r∗ a = h(f )a ⊗ a, also h(f ) = 0. Ad Behauptung (iii). Wegen der Kokommutativität von ∆ gilt τ (∆n,n (b)) = ∆n,n (b), also h(f )a ⊗ a = ∆n,n (b) = τ (∆n,n (b)) = τ h(f )a ⊗ a = (−1)|a||a| h(f )a ⊗ a = −h(f )a ⊗ a, und somit h(f ) = 0. Ad Behauptung (iv). Betrachte die stetige Abbildung ϕ̃ : Cf → Cϕf , ϕ∪id 2n D ϕ̃ : Cf = S n ∪f D 2n −−−− −→ S n ∪ϕf D 2n = Cϕf . Aus ϕ̃ ◦ ιf = ιϕf ◦ ϕ erhalten wir ϕ̃∗ af = deg(ϕ)aϕf , und aus ϕ̃ ◦ Φf = Φϕf folgt ϕ̃∗ bf = bϕf . Somit erhalten wir h(ϕf )aϕf ⊗ aϕf = ∆n,n (bϕf ) = ∆n,n (ϕ̃∗ bf ) = (ϕ̃∗ ⊗ ϕ̃∗ )∆n,n (bf ) = (ϕ̃∗ ⊗ ϕ̃∗ ) h(f )af ⊗ af = h(f )ϕ̃∗ af ⊗ ϕ̃∗ af = h(f ) deg(ϕ)2 aϕf ⊗ aϕf , also h(ϕf ) = h(f ) deg(ϕ)2 . Ad Behauptung (v). Wir setzen ψ : S 2n−1 → S 2n−1 zu einer stetigen Abbildung ψ̄ : D 2n → D 2n fort, etwa durch ψ̄(z) := kzkψ(z/kzk), es gilt daher ψ̄|S 2n−1 = ψ. Betrachte nun die stetige Abbildung ψ̃ : Cf ψ → Cf , id n ∪ψ̄ ψ̃ : Cf ψ = S n ∪f ψ D 2n −−S−−→ S n ∪f D 2n = Cf . V.9. HOPF-INVARIANTE 271 Aus ψ̃ ◦ ιf ψ = ιf erhalten wir ψ̃∗ af ψ = af , und aus ψ̃ ◦ Φf ψ = Φf ◦ ψ̄ folgt ψ̃∗ bf ψ = deg(ψ)bf . Somit erhalten wir deg(ψ)h(f )af ⊗ af = deg(ψ)∆n,n (bf ) = ∆n,n (ψ̃∗ bf ψ ) = (ψ̃∗ ⊗ ψ̃∗ )∆n,n (bf ψ ) = (ψ̃∗ ⊗ ψ̃∗ ) h(f ψ)af ψ ⊗ af ψ = h(f ψ)ψ̃∗ af ψ ⊗ ψ̃∗ af ψ = h(f ψ)af ⊗ af , also deg(ψ)h(f ) = h(f ψ). Ad Behauptung (vi). Es bezeichne ∗ ∈ S n einen Punkt. Wähle eine Abbildung ∼ = g : (D n , ∂D n ) → (S n , {∗}), sodass g : D n /∂Dn − → S n einen Homöomorphismus induziert. Betrachte nun die Abbildung f : S 2n−1 → S n , (g◦pr )∪(g◦pr ) 1 f : S 2n−1 = ∂D 2n = ∂(D n × D n ) = (∂D n × D n ) ∪ (D n × ∂D n ) −−−−2−−−−−→ S n. Beachte, dass dies wohldefniert und stetig ist, denn g|∂Dn = const∗ . Wir werden nun h(f ) = ±2 zeigen. Betrachte dazu den Raum X := S n × S n / ∼ n (x, ∗) ∼ (∗, x), n und bezeichne mit p : S × S → X die kanonische Projektion. Weiters bezeichne j : S n → X die durch j(x) := p(∗, x) = p(x, ∗) definierte stetige Abbildung. Beachte, dass j injektiv ist. Definiere weiters G : D 2n → X als die Komposition g×g p G : D 2n = D n × D n −−→ S n × S n − → X. ∼ = → X \ j(S n ) einschränkt. Da Beachte, dass sich G zu einer Bijektion G|D̊2n : D̊ 2n − G|S 2n−1 = j ◦ f erhalten wir eine stetige Abbildung J : Cf → X, j∪G J : Cf = S n ∪f D 2n −−→ X ∼ = → X. Nach Konstruktion ist J eine Bijektion, also ein Homöomorphismus J : Cf − ∼ Z jeweils Z und b̄ := J b ∈ H (X) Daher sind ā := J∗ af ∈ Hn (X) ∼ = = ∗ f 2n Erzeuger. Wegen der Natürlichkeit der Komultiplikation genügt es daher ∆n,n (b̄) = ±2ā ⊗ ā ∈ Hn (X) ⊗ Hn (X) (V.104) zu zeigen. Nach dem Künneth Theorem bilden 1 := 1S n × 1S n ∈ H0 (S n × S n ) ã1 := αS n × 1S n ∈ Hn (S n × S n ) ã2 := 1S n × αS n ∈ Hn (S n × S n ) b̃ := αS n × αS n ∈ H2n (S n × S n ) eine Basis von H∗ (S n × S n ). Bezeichnen i1 , i2 : S n → S n × S n die beiden Inklusionen, i1 (x) = (x, ∗), i2 (x) = (∗, x), dann folgt aus Satz V.6.5 und der Relation p ◦ i1 = j = J ◦ ιf p∗ ã1 = p∗ (αS n × 1S n ) = p∗ (i1 )∗ (αS n ) = (p ◦ i1 )∗ αS n = (J ◦ ιf )∗ αS n = J∗ (ιf )∗ αS n = J∗ af = ā. 272 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Ebenso folgt aus p ◦ i2 = j = J ◦ ιf auch p∗ ã2 = ā. Die Projektion induziert einen ∼ = → X/j(S n ), und daher Homöomorphismus p : (S n × S n )/(S n × {∗} ∪ {∗} × S n ) − ∼ = → H∗ (X, j(S n )). einen Isomorphismus p∗ : H∗ (S n × S n , S n × {∗} ∪ {∗} × S n ) − Aus der Natürlichkeit der langen exakten Sequenz von Paaren folgt nun, dass ∼ = → H2n (X) ein Isomorphismus sein muss. Also ist p∗ b̃ ∈ auch p∗ : H2n (S n × S n ) − H2n (X) ∼ = Z ein Erzeuger, es muss daher p∗ b̃ = ±b̄ gelten. Da n gerade ist folgt aus (V.86) und ∆(αS n ) = 1S n ⊗ αS n + αS n ⊗ 1S n ∆n,n (b̃) = ∆n,n (αS n × αS n ) = ã1 ⊗ ã2 + (−1)|ã1 ||ã2 | ã2 ⊗ ã1 = ã1 ⊗ ã2 + ã2 ⊗ ã1 woraus wir nun ±∆(b̄) = ∆(p∗ b̃) = (p∗ ⊗ p∗ )∆(b̃) = p∗ ã1 ⊗ p∗ ã2 + p∗ ã2 ⊗ p∗ ã1 = 2ā ⊗ ā erhalten. Damit ist nun (V.104) gezeigt. Ad Behauptung (vii). Es bezeichne also µ : S n−1 × S n−1 → S n−1 eine Hn Raummultiplikation. Weiters bezeichne D+ ⊆ S n die nördliche Hemisphere und n n n n n D− ⊆ S die südliche Hemisphere, dh. D+ ∩D− = S n−1 ⊆ S n . Da D+ kontrahiern n n bar ist lässt sich µ zu einer stetigen Abbildung f+ : ∂D × D → D+ fortsetzen.76 n Ebenso lässt sich µ zu einer stetigen Abbildung f− : D n × ∂D n → D− fortsetzen. Wegen f+ |∂Dn ×∂Dn = µ = f− |∂Dn ×∂Dn erhalten wir eine stetige Abbildung f+ ∪f− f : S 2n−1 = ∂D 2n = ∂(D n × D n ) = ∂D n × D n ∪ D n × ∂D n −−−−→ S n . n ⊆ S n ⊆ Cf auf und Wir werden nun h(f ) = ±1 zeigen. Wir fassen wieder D± betrachten Φf Φ : D n × D n = D 2n −→ Cf , es gilt daher Φ|∂Dn ×Dn = f+ sowie Φ|Dn ×∂Dn = f− . Weiters seien i± : D n → D n × D n , i+ (x) := (x, ∗), i− (x) := (∗, x), wobei ∗ ∈ S n−1 ⊆ D n einen Basispunkt bezeichnet. Beachte n n Φ ◦ i+ : (D n , S n−1 ) → (D− , S n−1 ) ⊆ (Cf , D+ ), und (Φ ◦ i+ )|S n−1 = µ+ wobei µ+ : S n−1 → S n−1 , µ+ (x) := µ(x, ∗). Wir erhalten daher ein kommutatives Diagramm: Hn (D n × D n , ∂D n × D n ) Φ∗ n Hn (Cf , D+ ) / O O ∼ = (i+ )∗ Hn (D n , S n−1 ) ∼ = (Φ◦i+ )∗ / n Hn (D− , S n−1) ∼ = δ Hn−1 (S n−1 ) 76Identifizieren Fortsetzung. δ ∼ = (µ+ )∗ ∼ = / Hn−1 (S n−1) n wir D+ = Dn , dann liefert etwa f+ (x, y) := kykµ(x, y/kyk) eine explizite V.9. HOPF-INVARIANTE 273 Da µ eine H-Raummultiplikation ist gilt µ+ ≃ idS n−1 , also ist der untere horzontale Pfeil tatsächlich ein Isomorphismus. Der linke obere vertikale Pfeil ist ein Isomorphismus, denn i+ : (D n , S n−1) → (D n × D n , ∂D n × D n ) ist eine Homotopieäquivalenz. Schließlich ist auch der rechte obere vertikale Pfeil ein Isomorphis∼ = n → mus, denn er stimmt mit der Komposition der Isomorphismen Hn (D− , S n−1 ) − ∼ = n n Hn (S n , D+ ) − → Hn (Cf , D+ ) überein. Aus der Kommutativität des Diagramms schließen wir nun, dass Φ einen Isomorphsimus ∼ = n Φ∗ : Hn (D n × D n , ∂D n × D n ) − → Hn (Cf , D+ ) induziert. Analog lässt sich zeigen, dass Φ auch einen Isomorphismus ∼ = n → Hn (Cf , D− ) Φ∗ : Hn (D n × D n , D n × ∂D n ) − induziert. Bezeichnen D die Diagonalabbildungen, dann erhalten wir aus der Natürlichkeit des Kreuzproduktes ein kommutatives Diagramm: × Hn (Cf ) ⊗ Hn (Cf ) / H2n (Cf × Cf ) D∗ o H2n (Cf ) ∼ = ∼ = n ) ⊗ H (C , D n ) Hn (Cf , D+ n f − O ∼ = × / ∼ = Φ∗ ⊗Φ∗ Hn (D n × D n , ∂D n × D n ) ⊗ Hn (D n × D n , D n × ∂D n ) × / ∼ = O D∗ o × ∼ = / H2n (Cf , S n ) O Φ∗ ` ´ H2n (D n )4 , ∂D n × (D n )3 ∪ (D n )3 × ∂D n O (i+ ×i− )∗ (i+ )∗ ⊗(i− )∗ Hn (D n , ∂D n ) ⊗ Hn (D n , ∂D n ) ` ´ n × C ) ∪ (C × D n ) H2n Cf × Cf , (D+ f f − (Φ×Φ)∗ O ∼ = ∼ = o D∗ ∼ = H2n (D n × D n , ∂(D n × D n )) r∗ ` ´ H2n D n × D n , (∂D n × D n ) ∪ (D n × ∂D n ) n Nach obigen Bemerkungen und weil D± kontrahierbar ist, sind alle vertikalen Pfeile in der linken Spalte Isomorphismen. Aufgrund der relativen Version des Künneth-Theorems sind die drei unteren Kreuzprodukte Isomorphismen. Beachte, dass auch i+ ×i− eine Homotpieäquivalenz mit Homotopieinverser r : (D n )4 → D n × D n , r(x1 , y1, x2 , y2 ) := (x1 , y2 ) ist. Da offensichtlich D ◦ r = id kommutiert auch der rechte untere Teil des Diagramms. Aus der Kommutativität dieses Diagramms folgt nun n n D∗ bf = ±af × af ∈ H2n Cf × Cf , (D+ × Cf ) ∪ (Cf × D− ) , denn beides sind Erzeuger derselben Gruppe. Daraus erhalten wir D∗ bf = 1 × bf + bf × 1 ± af × af ∈ H2n (Cf × Cf ), und dies bedeutet gerade ∆n,n (bf ) = ±af ⊗ af , also h(f ) = ±1. V.9.4. Bemerkung. Nach Satz V.9.3(vii) existieren Abbildungen S 3 → S 2 , S → S 4 und S 15 → S 8 mit Hopfinvariante 1, denn S 1 ⊆ C, S 3 ⊆ H und S 7 ⊆ O sind H-Räume. Es stellt sich nun die Frage für welche (geraden) n tatsächlich eine 7 274 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN stetige Abbildung f : S 2n−1 → S n mit h(f ) = 1 existiert. Nach einem Resultat von Adams sind ist dies nur für n = 2, 4, 8 möglich. Nach Satz V.9.3(vii) sind daher S 0 , S 1 , S 3 und S 7 die einzigen Sphären, die eine H-Raum Struktur besitzen. Nach Lemma V.7.25(iii) sind also S 0 , S 1 , S 3 und S 7 die einzigen parallelisierbaren Sphären. Aus Lemma V.7.25(i) folgt daraus auch, dass eine endlich-dimensionale Divisionsalgebra über R Dimension 1, 2, 4 oder 8 haben muss, vgl. Korollar V.7.33 sowie Korollar V.7.34. V.10. Die Fundamentalklasse einer Mannigfaltigkeit. Es sei M eine n-Mannigfaltigkeit ohne Rand. In Bemerkung IV.12.8 haben wir eine Überlagerung M̃Z → M definiert deren Faser über x ∈ M gerade die lokale Homologiegruppe Hn (M, M \ {x}) ∼ = Z war. Dies lässt sich in naheliegender Weise auf eine beliebige Koeffizientengruppe G verallgemeinern. Für eine abelsche Gruppe F G setzen wir M̃G := x∈M Hn (M, M \ {x}; G) und betrachten die kanonische Projektion p : M̃G → M, dh. p−1 (x) = Hn (M, M \ {x}; G). Wir versehen nun M̃G mit einer Topologie, sodass p : M̃G → M eine Überlagerung wird. Wie in Bemerkung IV.12.8 betrachten wir einen eingebetteten Ball D ⊆ M und die Bijektion ∼ = → p−1 (D̊) ⊆ M̃G , ΨD : D̊ × Hn (M, M \ D̊; G) − (V.105) die x ∈ D̊ und a ∈ Hn (M, M \ D̊; G) das von der Inklusion ιD x : (M, M \ D̊) → −1 ) a ∈ p (x) = H (M, M \ {x}; G) zuordnet, (M, M \ {x}) induzierte Element (ιD n x ∗ es gilt daher p ◦ ΨD = pr1 . Wir versehen M̃G mit der eindeutigen Topologie, sodass (V.105) für jeden eingebetteten Ball D ein Homöomorphismus wird, wobei Hn (M, M \ D̊; G) als diskreter Raum aufgefasst wird. Mit dieser Topologie ist p : M̃G → M eine Überlagerung. Beachte, dass die Faser p−1 (x) = Hn (M, M \{x}; G) über jedem x ∈ M mit einer Gruppenstruktur ausgestattet ist. V.10.1. Bemerkung. Die zweiblättrige Überlagerung M̃Z2 → M ist stets trivial, dh. M̃Z2 = M × Z2 . Ordnen wir jedem x ∈ M das (eindeutige) nichttriviale Element in H(M, M \ {x}; Z2 ) ∼ = Z2 zu, so erhalten wir einen stetigen Schnitt von M̃Z2 → M. Zusammen mit dem (stetigen) Nullschnitt liefert dies einen kanonischen Isomorphismus von Überlagerungen M̃Z2 = M × Z2 . V.10.2. Bemerkung. Die unendlich-blättrige Überlagerung M̃Z → M ist genau dann trivial, wenn M orientierbar ist. In diesem Fall liefert jede Orientierung von M einen stetigen Schnitt von M̃Z → M der jedem x ∈ M einen Erzeuger der lokalen Homologiegruppe Hn (M, M \ {x}) ∼ = Z zuordnet. Umgekehrt bestimmt jeder solche Schnitt eine Orientierung von M. V.10.3. Bemerkung. Ist M orientierbar, dann ist die Überlagerung M̃G → M für jede abelsche Gruppe G trivial. Für jedes x ∈ M erhalten wir nämlich aus dem universellen Koeffiziententheorem einen Isomorphismus Hn (M, M \ {x}) ⊗ G = Hn (M, M \ {x}; G). Ist nun o eine Orientierung von M, dann liefert M × V.10. DIE FUNDAMENTALKLASSE EINER MANNIGFALTIGKEIT 275 G → M̃G , (x, g) 7→ ox ⊗ g, den gewünschten Isomorphismus von Überlagerungen M̃G ∼ = M × G. Ist p : X̃ → X eine Überlagerung, dann bezeichnen wir mit Γ(X̃) die Menge der stetigen Schnitte dieser Überlagerung, dh. die Menge aller stetigen Abbildungen σ : X → X̃ mit p ◦ σ = idX . Beachte, dass Γ(X̃) durchaus leer sein kann, die Überlagerungen M̃G → M besitzen jedoch immer einen (stetigen) Nullschnitt. Für eine triviale Überlagerung X̃ = X × Λ kann Γ(X̃) mit der Menge der lokal konstanten Funktionen X → Λ identifiziert werden. Ist darüberhinaus X zusammenhängend, dann erhalten wir Γ(X̃) = Λ. Sei nun A ⊆ M abgeschlossen. Dann ist auch M̃G |A → A eine Überlagerung. Es bezeichne Γc (M̃G |A ) die Menge der stetigen Schnitte mit kompakten Träger dieser Überlagerung. Beachte, dass die punktweise Addition von Schnitten Γc (M̃G |A ) zu einer abelschen Gruppe macht. Ist G = R ein kommutativer Ring, dann ist Γc (M̃R |A ) in kanonischer Weise ein R-Modul. Jede Homologieklasse a ∈ Hn (M, M \A; G) liefert einen stetigen Schnitt JGA (a) von M̃G |A . Dieser ordnet jedem x ∈ A das Bild von a unter dem von der kanonischen Inklusion ιA x : (M, M \ A) → (M, M \ {x}) induzierten Homomorphismus (ιA x )∗ : Hn (M, M \ A; G) → (M, M \ {x}; G), JGA (a)(x) := (ιA x )∗ (a) zu. Da a von einer endlichen Linearkombination singulärer Simplizes repräsentiert wird, und da diese in einer kompakten Teilmenge von M liegen müssen, hat der Schnitt JGA (a) kompakten Träger. Offensichtlich gilt JGA (a1 + a2 ) = JGA (a1 ) + JGA (a2 ). Wir erhalten somit einen Homomorphismus abelscher Gruppen JGA : Hn (M, M \ A; G) → Γc (M̃G |A ). (V.106) Ist G = R ein Ring, dann ist dies ein Homomorphismus von R-Moduln. V.10.4. Satz. Es sei M eine n-Mannigfaltigkeit, A ⊆ M abgeschlossen und G eine abelsche Gruppe. Dann ist (V.106) ist ein Isomorphismus, und es gilt Hq (M, M \ A; G) = 0, für alle q > n. Spezialisieren wir Satz V.10.4 auf A = M, so erhalten wir V.10.5. Korollar. Es sei M eine n-Mannigfaltigkeit und G eine abelsche ∼ = → Γc (M̃G ) ein Isomorphismus, und es gilt Gruppe. Dann ist JGM : Hn (M; G) − Hq (M; G) = 0 für alle q > n. Beweis von Satz V.10.4. Wir folgen im Wesentlichen dem Beweis in [20, Chapter 16.3], siehe aber auch [2, Chapter VIII§3] oder [4, Lemma 3.27]. Sind A ⊆ B ⊆ M abgeschlossen, dann bezeichnen wir mit ιB A : (M, M \B) → (M, M \A) die B kanonische Inklusion, und mit rA : Γc (M̃G |B ) → Γc (M̃G |A ) die Einschränkung. 276 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Offensichtlich kommutiert dann das Diagramm: Hn (M, M \ B; G) B JG Γc (M̃G |B ) / (ιB A )∗ Hn (M, M \ A; G) (V.107) B rA A JG / Γc (M̃G |A ) Behauptung 1. Es seien A und B zwei abgeschlossene Teilmengen von M. Weiters sei die Aussage des Satzes für A, B und A ∩ B richtig. Dann gilt der Satz auch für A ∪ B. Wir betrachten dazu das folgende Diagramm: /0 Hn+1 M, M \ (A ∩ B); G ∼ = δ Hn M, M \ (A ∪ B); G A∪B JG / Γc (M̃G |A∪B ) A∪B ) ,−(ιA∪B ) ) ((ιA ∗ ∗ B Hn M, M \ A; G ⊕ Hn M, M \ B; G A∪B ,−r A∪B ) (rA B A ⊕J B JG G ∼ = / Γc (M̃G |A ) ⊕ Γc (M̃G |B ) B A +rA∩B rA∩B B (ιA A∩B )∗ +(ιA∩B )∗ Hn M, M \ (A ∩ B); G A∩B JG ∼ = / Γc (M̃G |A∩B ) Aus (V.107) folgt, dass dieses Diagramm kommutiert. Offensichtlich ist die rechte Spalte bei der zweiten und dritten Zeile exakt. Nach Proposition V.6.15 ist auch die linke Spalte exakt. Nach Voraussetzung sind der erste, dritte und vierte horizontale Pfeil Isomorphismen. Daraus folgt sofort, dass auch der zweite horizontale Pfeil ein Isomorphismus sein muss. Aus der Exaktheit der Mayer–Vietoris Sequenz der linken Spalte in höheren Dimensionen folgt, Hq (M, M \ (A ∪ B); G) = 0, für q > n. Damit ist Behauptung 1 bewiesen. Behauptung 2. Der Satz ist für M = Rn und jede kompakte konvexe Teilmenge A ⊆ Rn richtig. O.B.d.A. dürfen wir 0 ∈ A ⊆ B n annehmen. Betrachte die Homotopie H : (Rn \ A) × I → Rn \ A, x Ht (x) := tx + (1 − t) kxk . Beachte, dass dies wegen der Konvexität von A tatsächlich Werte in Rn \ A hat. Weiters gilt H1 = idRn \A und H0 : Rn \ A → S n−1 ist eine Retraktion. Somit sehen wir, dass S n−1 ⊆ Rn \ A ein Deformationsretrakt ist. Insbesondere ∼ = induziert die Inklusion einen Isomorphismus H∗ (S n−1 ; G) − → H∗ (Rn \ A; G). Da ∼ = auch die Inklusion D n → Rn einen Isomorphismus H∗ (D n ; G) − → H∗ (Rn ; G) induziert, folgt aus der Natürlichkeit der langen exakten Sequenz von Paaren, ∼ = dass die Inklusion einen Isomorphismus H∗ (D n , S n−1 ; G) − → H∗ (Rn , Rn \ A; G) V.10. DIE FUNDAMENTALKLASSE EINER MANNIGFALTIGKEIT 277 induziert. Ebenso haben wir einen von der Inklusion induzierten Isomorphismus ∼ = H∗ (D n , S n−1 ; G) − → H∗ (Rn , Rn \ {0}; G). Somit ist ∼ = n n (ιA → H∗ (Rn , Rn \ {0}; G). {0} )∗ : H∗ (R , R \ A; G) − ein Isomorphismus. Insbesondere gilt Hq (Rn , Rn \A; G) = 0, für alle q 6= n. Wegen der Kontrahierbarkeit von A ist auch ∼ = A → Γ(R̃nG |{0} ) = Hn (Rn , Rn \ {0}; G) r{0} : Γ(R̃nG |A ) − ein Isomorphismus. Behauptung 2 folgt nun aus der Kommutativität von (V.107). Behauptung 3. Der Satz ist für M = Rn und jede endliche Vereinigung kompakter, konvexer Teilmengen A ⊆ Rn richtig. Sei also A = A1 ∪ · · · ∪ Ak , wobei jedes Ai kompakt und konvex ist. Wir zeigen die Behauptung mittels Induktion nach k. Den Induktionsbeginn k = 1 haben wir in Behauptung 2 behandelt. Für den Induktionsschritt schreiben wir A = (A1 ∪ · · · ∪ Ak−1 ) ∪ Ak und beobachten, dass (A1 ∪ · · · ∪ Ak−1 ) ∩ Ak = (A1 ∩Ak )∪· · ·∪(Ak−1 ∩Ak ) eine Vereinigung von (k −1) kompakten und konvexen Teilmengen ist. Nach Induktionsvoraussetzung ist der Satz also für A1 ∪· · ·∪Ak−1 , Ak und (A1 ∪ · · ·∪ Ak−1 ) ∩ Ak richtig. Aus Behauptung 1 schließen wir, dass er für A = (A1 ∪ · · · ∪ Ak−1 ) ∪ Ak richtig bleibt. Damit ist der Induktionsschritt gezeigt und der Beweis von Behauptung 3 vollständig. Behauptung 4. Der Satz ist für M = Rn und jede kompakte Teilmenge A ⊆ Rn richtig. Wir zeigen zunächst Hq (Rn , Rn \ A; G) = 0 für q > n. Sei dazu a ∈ Cq (Rn ; G) eine Kette die eine Homologieklasse [a] ∈ Hq (Rn , Rn \ A; G) repräsentiert. Da ∂a in einer kompakten Teilmenge von Rn \ A liegt, existiert eine Umgebung U von A, sodass a eine Homologieklasse [a] ∈ Hq (Rn , Rn \ U; G) repräsentiert. Aufgrund der Kompaktheit von A existieren endlich viele konvexe kompakte Teilmengen A1 , . . . , Ak mit A ⊆ A1 ∪ . . . Ak ⊆ U, a repräsentiert daher auch eine Homologieklasse [a] ∈ Hq (Rn , Rn \ (A1 ∪ · · · ∪ Ak ); G). Nach Behauptung 3 ist diese Homologiegruppe trivial, es folgt daher 0 = [a] ∈ Hq (Rn , Rn \ A; G). Es bleibt noch zu zeigen, dass JGA : Hn (Rn , Rn \ A; G) → Γ(R̃nG |A ) (V.108) ein Isomorphismus ist. Um die Injektivität von (V.108) einzusehen, sei nun a ∈ Cn (Rn ; G) eine Kette die eine Klasse [a] ∈ Hn (Rn , Rn \ A; G) mit JGA ([a]) = 0 repräsentiert. Wie oben finden wir kompakte konvexe Teilmengen A1 , . . . , Ak mit A ⊆ A1 ∪ · · · ∪ Ak , sodass [a] ∈ Hn (Rn , Rn \ (A1 ∪ · · · ∪ Ak ); G). Wählen wir Ai so, dass A ∩ Ai 6= ∅, i = 1, . . . , k, dann ist A1 ∪···∪Ak rA : Γ(R̃nG |A1 ∪···∪Ak ) → Γ(R̃nG |A ) injektiv. Aus der Kommutativität von (V.107) folgt daher JGA1 ∪···∪Ak ([a]) = 0. Nach Behauptung 3 gilt 0 = [a] ∈ Hn (Rn , Rn \ (A1 ∪ · · · ∪ Ak ); G) und somit auch 0 = [a] ∈ Hn (Rn , Rn \ A; G). Nun zur Surjektivität von (V.108). Sei also σ ∈ 278 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Γ(R̃nG |A ). Nach dem Fortsetzungssatz von Tietze77 lässt sich σ zu einem stetigen Schnitt σ̃ ∈ Γ(R̃nG ) ausdehnen, denn R̃nG ∼ = Rn × G. Wieder wählen wir endlich viele konvexe kompakte Teilmengen A1 , . . . , Ak , sodass A ⊆ A1 ∪ · · · ∪ Ak . Durch Einschränken erhalten wir σ̄ := σ̃|A1 ∪···∪Ak ∈ Γ(R̃nG |A1 ∪···∪Ak ). Nach Behauptung 3 existiert ā ∈ Hn (Rn , Rn \ (A1 ∪ · · · ∪ Ak ); G) mit JGA1 ∪···∪Ak (ā) = σ̄. Aufgrund der 1 ∪···∪Ak Kommutativität von (V.107) gilt für a := (ιA )∗ (ā) ∈ Hn (Rn , Rn \ A; G) A A nun JG (a) = σ. Damit ist auch Behauptung 4 gezeigt. ∼ = → Rn mit Behauptung 5. Es sei A ⊆ M kompakt, sodass eine Karte ϕ : U − A ⊆ U existiert. Dann ist der Satz ist für A richtig. Nach Behauptung 4 ist der Satz für A ⊆ U richtig. Mittels Excision sehen wir, dass die Inklusion einen Isomorphismus H∗ (U, U \ A; G) ∼ = H∗ (M, M \ A; G) induziert. Also gilt der Satz auch für A ⊆ M, denn M̃G |A = ŨG |A . Somit ist Behauptung 5 gezeigt. Behauptung 6. Der Satz ist für jedes M und jede kompakte Teilmenge A ⊆ M richtig. Wegen der Kompaktheit von A finden wir endlich viele kompakte Teilmengen A1 , . . . , Ak mit A = A1 ∪ · · · ∪ Ak und so, dass jedes Ai in einem Kartengebiet wie in Behauptung 5 liegt. Ein Induktionsargument wie in Behauptung 3 zeigt nun, dass der Satz auch für A = A1 ∪· · ·∪Ak gilt. Der Induktionsbeginn k = 1 wurde in Behauptung 5 behandelt. Für den Induktionsschritt schreiben wir A = (A1 ∪· · ·∪ Ak−1 )∪Ak und beobachten, dass (A1 ∪· · ·∪Ak−1 )∩Ak = (A1 ∩Ak )∪· · ·∪(Ak−1 ∩Ak ) eine Vereinigung von k − 1 kompakten Teilmengen ist, und jede davon liegt in einem Kartengebiet. Nach Induktionsvoraussetzung gilt die Behauptung also für A1 ∪ · · · ∪ Ak−1 , Ak und (A1 ∪ · · · ∪ Ak−1 ) ∩ Ak . Nach Behauptung 1 bleibt der Satz daher für A = (A1 ∪ · · · Ak−1 ) ∪ Ak richtig. Damit ist der Induktionsschritt gezeigt und Behauptung 6 bewiesen. Behauptung 7. Es sei A ⊆ M eine disjunkte Vereinigung kompakter Teilmengen. Dann gilt F der Satz für A. Sei also A = λ∈Λ Aλ , wobei jedes Aλ kompakt ist, S dh. die Aλ sind paarweise disjunkt, und die von M auf der Vereinigung A = λ∈Λ Aλ induzierte Topologie ist die der disjunkten Vereinigung. Es existieren paarweise disjunkte offene S Teilmengen F Uλ ⊆ M mit Aλ ⊆ Uλ . Setzen wir U := λ∈Λ Uλ , dann gilt also (U, A) = λ∈Λ (Uλ , Aλ ). Mittels Excision erhalten wir einen Isomorphismus Hq (M, M \ A; G) = Hq (U, U \ A; G) M M Hq (Uλ , Uλ \ Aλ ; G) = Hq (M, M \ Aλ ; G). = λ∈Λ 77Ist λ∈Λ X ein normaler Raum, A ⊆ X abgeschlossen und f : A → R stetig, dann existiert eine stetige Fortsetzung F : X → R von f , dh. F |A = f , siehe etwa [14, Kapitel ???]. Da jeder metrische Raum normal ist, ist auch Rn normal. V.10. DIE FUNDAMENTALKLASSE EINER MANNIGFALTIGKEIT 279 Zusammen mit Behauptung 6 folgt daraus Hq (M, M \A; G) = 0 für q > n. Weiters L haben wir Γc (M̃G |A ) = λ∈Λ Γc (M̃G |Aλ ), und bis auf diese Isomorphismen gilt L Aλ A JG = λ∈Λ JG . Aus Behauptung 6 folgt daher, dass auch JGA ein Isomorphismus ist. Damit ist Behauptung 7 gezeigt. Um den Beweis von Satz V.10.4 abzuschließen sei nun A ⊆ M eine beliebige abgeschlossene Teilmenge. Nach Lemma V.10.6 gilt A = B ∪ C wobei B, C und B ∩ C jeweils disjunkte Vereinigungen kompakter Teilmengen sind. Nach den Behauptungen 6 und 7 ist der Satz also für B, C und B ∩ C richtig. Nach Behauptung 1 gilt er daher auch für A = B ∪ C. V.10.6. Lemma. Jede abgeschlossene Teilmenge A einer topologischen Mannigfaltigkeit M lässt sich in der Form A = B ∪ C darstellen, wobei B, C und B ∩ C jeweils disjunkte Vereinigungen kompakter Teilmengen sind. Beweis. Wir dürfen o.B.d.A. M als zusammenhängend voraussetzen. Es existiert daher eine kompakte Ausschöpfung ∅ = K0 ⊆ K1 ⊆ K2 ⊆ KS 3 ⊆ · · · von M.78 Dh. jedes Ki ist kompakt, und es gilt Ki ⊆ K̊i+1 sowie M = i∈N Ki . Die Mengen [ G B := A ∩ (K2i \ K̊2i−1 ) = A ∩ (K2i \ K̊2i−1 ) und C := A ∩ i∈N i∈N [ G i∈N (K2i+1 \ K̊2i ) = haben nun die gewünschten Eigenschaften. i∈N A ∩ (K2i+1 \ K̊2i ) V.10.7. Korollar (Z2 -Fundamentalklasse). Es sei M eine geschlossene79 nMannigfaltigkeit. Dann existiert eine eindeutige Klasse [M]Z2 ∈ Hn (M; Z2 ) mit folgender Eigenschaft. Für jedes x ∈ M bildet der von der kanonischen Inklusion ιM x : (M, ∅) → (M, M \ {x}) induzierte Homomorphismus (ιM )∗ : Hn (M; Z2 ) → Hn (M, M \ {x}; Z2 ) ∼ = Z2 x 78Jeder zusammenhängende parakompakte und lokal kompakte Raum besitzt eine kompakte Ausschöpfung. Wähle eine lokal endliche offene Überdeckung {Uλ }λ∈Λ sodass jedes Ūλ kompakt und nichtleer ist. Wähle λ0 ∈ Λ und setze Λ0 := {λ0 }. Für k ∈ N definiere rekursiv Teilmengen Λk ⊆ Λ durch Λk+1 := λ ∈ Λ ∃µ ∈ Λk : Uλ ∩ Uµ 6= ∅ . Da Ūµ kompakt und die Überdeckung {Uλ }λ∈Λ lokal endlich ist, können nur endlich viele Uλ nichtleeren Durchschnitt S mitSUµ haben. Daher sind alle Λk endlich. Bemerke, dass Λk ⊆ Λk+1 . / U Betrachte jetzt U := k∈N λ∈Λk Uλ . Als Vereinigung offener Mengen ist U offen. Ist x ∈ dann finden wir λ ∈ Λ sodass x ∈ Uλ , und es gilt Uλ ∩ U = ∅, andernfalls fänden wir nämlich k ∈ N und µ ∈ Λk mit Uλ ∩Uβ 6= ∅, also λ ∈ Λk+1 und x ∈ U . Also ist U S auch abgeschlossen und stimmt daher mit dem ganzen Raum überein. Daher bilden Kn := λ∈Λn Ūλ eine kompakte Überdeckung. Es gilt tatsächlich Kn ⊆ K̊n+1 , denn ist x ∈ Kn dann existiert λ ∈ Λ sodass S x ∈ Uλ , und µ ∈ Λn mit x ∈ Ūµ , also Uλ ∩Uµ 6= ∅, daher λ ∈ Λn+1 und x ∈ λ∈Λn+1 Uλ ⊆ K̊n+1 . 79dh. kompakt und ohne Rand 280 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN die Klasse [M]Z2 auf das (eindeutige) nicht-triviale Element der lokalen Homologiegruppe Hn (M, M \ {x}; Z2 ) ab. Diese Homologieklasse [M]Z2 ∈ Hn (M; Z2 ) wird die Z2 -Fundamentalklasse von M genannt und hat folgende Eigenschaften: (i) f∗ ([M]Z2 ) = [M ′ ]Z2 für jeden Homöomorphismus geschlossener n-Mannigfaltigkeiten f : M → M ′ . (ii) [M1 ⊔ M2 ]Z2 = [M1 ]Z2 + [M2 ]Z2 für je zwei geschlossene n-Mannigfaltigkeiten M1 und M2 . (iii) [M × N]Z2 = [M]Z2 × [N]Z2 für jede geschlossene m-Mannigfaltigkeit M und jede geschlossene n-Mannigfaltigkeit N. Beweis. Ordnen wir jedem x ∈ M das (eindeutige) nicht-triviale Element der lokalen Homologiegruppe Hn (M, M \ {x}; Z2 ) ∼ = Z2 zu, so erhalten wir einen stetigen Schnitt der Überlagerung M̃Z2 → M, vgl. Bemerkung V.10.1. Da M kompakt ist, hat dieser Schnitt kompakten Träger. Die Existenz und Eindeutigkeit von [M]Z2 folgt daher aus Korollar V.10.5. Ad Behauptung (i): Für jedes x′ ∈ M ′ ist f∗ : Hn (M, M \ {f −1 (x′ )}; Z2 ) → Hn (M ′ , M ′ \ {x′ }; Z2 ) ein Isomorphismus, also induziert die Homologieklasse f∗ ([M]Z2 ) ∈ Hn (M ′ ; Z2 ) das nicht-triviale Element in jeder lokalen Homologiegruppe Hn (M ′ , M ′ \ {x′ }; Z2 ), x′ ∈ M ′ . Aufgrund der Eindeutigkeit einer solchen Klasse muss also f∗ ([M]Z2 ) = [M ′ ]Z2 gelten. Ad Behauptung (ii): Offensichtlich induziert die Homologieklasse [M1 ]Z2 + [M2 ]Z2 ∈ Hn (M1 ⊔M2 ; Z2 ) = Hn (M1 ; Z2 ) ⊕Hn (M2 ; Z2 ) das nicht-triviale Element in jeder lokalen Homologiegruppe Hn (M1 ⊔M2 , (M1 ⊔M2 )\{x}; Z2 ), x ∈ M1 ⊔M2 . Aufgrund der Eindeutigkeit einer solchen Klasse muss also [M1 ⊔M2 ]Z2 = [M1 ]Z2 + [M2 ]Z2 gelten. Ad Behauptung (iii): Nach Korollar V.6.17 liefert das relative Kreuzprodukt einen Isomorphismus Hm (M, M \ x; Z2 ) ⊗Z2 Hn (N, N \ y; Z2 ) = Hm+n M × N, (M × N) \ (x, y); Z2 . Aufgrund der Natürlichkeit des Kreuzproduktes induziert die Homologieklasse [M]Z2 × [N]Z2 ∈ Hm+n (M × N; Z2 ) daher das nicht triviale Element in jeder lokalen Homologiegruppe Hm+n (M × N, (M × N) \ {(x, y)}; Z2 ), (x, y) ∈ M × N. Wegen der Eindeutigkeit einer solchen Klasse muss also [M ×N]Z2 = [M]Z2 ×[N]Z2 gelten. V.10.8. Korollar (Fundamentalklasse). Ist M eine orientierte geschlossene n-Mannigfaltigkeit, dann existiert eine eindeutige Klasse [M] ∈ Hn (M) mit folgender Eigenschaft. Für jedes x ∈ M bildet der von der kanonischen Inklusion ιM x : (M, ∅) → (M, M \ {x}) induzierte Homomorphismus (ιM )∗ : Hn (M) → Hn (M, M \ {x}) ∼ =Z x die Klasse [M] auf die lokale Orientierung oM x ∈ Hn (M, M \ {x}) ab. Diese Homologieklasse [M] ∈ Hn (M) wird die Fundamentalklasse von M genannt und hat folgende Eigenschaften: V.10. DIE FUNDAMENTALKLASSE EINER MANNIGFALTIGKEIT 281 (i) f∗ ([M]) = [M ′ ] für jeden orientierungsbewahrenden80 Homöomorphismus geschlossener orientierter n-Mannigfaltigkeiten f : M → M ′ . (ii) [M1 ⊔ M2 ] = [M1 ] + [M2 ] für je zwei orientierte geschlossene n-Mannigfaltigkeiten M1 und M2 .81 (iii) [M×N] = [M]×[N] für jede orientierte geschlossene m-Mannigfaltigkeit M und jede orientierte geschlossene n-Mannigfaltigkeit N.82 (iv) [−M] = −[M].83 (v) ρ∗ ([M]) = [M]Z2 wobei ρ∗ : Hn (M) → Hn (M; Z2 ) den von ρ : Z → Z2 induzierten Homomorphismus bezeichnet. Beweis. Die Orientierung von M ist ein stetiger Schnitt der Überlagerung M̃Z → M, siehe Bemerkung V.10.2. Da M kompakt ist hat dieser Schnitt kompakten Träger, dh. oM ∈ Γc (M̃Z ). Die Existenz und Eindeutigkeit der Klasse [M] folgt daher aus Korollar V.10.5. Der Beweis der verbleibenden Aussagen kann nun wie in Korollar V.10.7 geführt werden. Etwa ist [M] × [N] ∈ Hm+n (M × N) eine Homologieklasse, die aufgrund der Natürlichkeit des Kreuzproduktes in jeder lokalen ×N Homologiegruppe H(M ×N, (M ×N)\{(x, y)}) die Produktorientierung oM (x,y) = N oM x × oy induziert, (x, y) ∈ M × N. Aufgrund der Eindeutigkeit einer solchen Klasse muss [M × N] = [M] × [N] gelten. Die Klasse −[M] ∈ Hn (M) induziert −M −oM ∈ Hn (M, M \ {x}), für jedes x ∈ M. Wegen der Eindeutigkeit einer x = ox solchen Klasse muss also −[M] = [−M] gelten. Ebenso ist ρ∗ ([M]) ∈ Hn (M; Z2 ) eine Homologieklasse, die wegen des universellen Koeffiziententheorems in jeder lokalen Homologiegruppe Hn (M, M \ {x}; Z2 ) = Hn (M, M \ {x}) ⊗ Z2 das nichttriviale Element induziert. Aufgrund der Eindeutigkeit einer solchen Klasse, siehe Korollar V.10.7, muss daher ρ∗ ([M]) = [M]Z2 gelten. V.10.9. Bemerkung. Es sei M eine orientierte n-Mannigfaltigkeit. Nach Bemerkung V.10.3 ist die Überlagerung M̃G trivial, wir erhalten daher einen Isomorphismus Γc (M̃Z ) ⊗ G = Γc (M̃G ). Zusammen mit Korollar V.10.5 folgt Hn (M) ⊗ G = Hn (M; G). Aus dem universellen Koeffiziententheorem schließen wir Tor(Hn−1 (M); G) = 0, für jede abelsche Gruppe G. Mittels Proposition V.2.19 erhalten wir daher Hn−1 (M)tor = 0. Ist M geschlossen und R ein kommutativer Ring mit Eins, dann induziert der Ringhomomorphismus Z → R einen Homomorphismus Hn (M) → Hn (M; R). 80Ein Homöomorphismus f : M → M ′ zwischen orientierten n-Mannigfaltigkeiten wird M′ orientierungsbewahrend genannt, falls f∗ (oM x ) = of (x) für jeden Punkt x ∈ M gilt, wobei f∗ : Hn (M, M \ {x}) → Hn (M ′ , M ′ \ {f (x)}). 81Dabei ist M ⊔ M mit der von M und M induzierten Orientierung versehen. 1 2 1 2 82Dabei ist M × N mit der Produktorientierung versehen, siehe Beispiel V.6.19. 83Ist M eine orientierte n-Mannigfaltigkeit, dann bezeichnet −M dieselbe Mannigfaltigkeit mit der Orientierung o−M := −oM . 282 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Dieser bildet die Fundamentalklasse [M] ∈ Hn (M) auf ein Element [M]R ∈ Hn (M; R) ab, das für jedes x ∈ M einen Erzeuger von Hn (M, M \ {x}; R) = R induziert. Für R = Z2 stimmt dies mit [M]Z2 aus Korollar V.10.7 überein. V.10.10. Korollar. Es sei M eine zusammenhängende n-Mannigfaltigkeit ohne Rand. (i) Ist M nicht kompakt, dann gilt Hn (M; G) = 0 für jedes G. (ii) Ist M kompakt, dann bildet die Fundamentalklasse [M]Z2 eine Basis von Hn (M; Z2 ) ∼ = Z2 . (iii) Ist M kompakt und orientiert, dann bildet die Fundamentalklasse [M] einen Erzeuger von Hn (M) ∼ = Z. Weiters induziert [M] einen Erzeuger ∼ des R-Moduls Hn (M; R) = R für jeden kommutativen Ring mit Eins. (iv) Ist M nicht orientierbar, dann gilt Hn (M) = 0. V.10.11. Bemerkung. Nach Korollar V.10.10 ist eine zusammenhängende geschlossene n-Mannigfaltigkeit genau dann orientierbar, wenn Hn (M) 6= 0. In diesem Fall gilt Hn (M) ∼ = Z, und jeder (der beiden) Erzeuger dieser Gruppe bestimmt eine Orientierung von M, sodass die damit assozierte Fundamentalklasse [M] mit diesem Erzeuger übereinstimmt. V.10.12. Beispiel. Die Mannigfaltigkeiten CPn und HPn sind einfach zusammenhängend und daher orientierbar, vgl. Bemerkung IV.12.8. Die Mannigfaltigkeit RPn ist für ungerades n orientierbar, für gerades n ≥ 2 nicht orientierbar, siehe Proposition V.4.14 und Bemerkung V.10.11. Ebenso sind die orientierbaren Flächen orientierbar, siehe Beispiel IV.9.12. V.10.13. Bemerkung. Aus obigen Überlegungen folgt auch bm (M; Z2 ) = b0 (M; Z2 ) für jede geschlossene m-Mannigfaltigkeit M, und bm (M) = b0 (M) für jede orientierbare geschlossene m-Mannigfaltigkeit M. Insbesondere sind die Betti-Zahlen bm (M) und bm (M; Z2 ) endlich, wobei bq (M; Z2 ) := dimZ2 Hq (M; Z2 ) die sogenannten Z2 -Bettizahlen bezeichnen. V.10.14. Bemerkung. Ist M eine geschlossene n-Mannigfaltigkeit und f : M → X stetig, dann erhalten wir eine Homologieklasse f∗ ([M]Z2 ) ∈ Hn (X; Z2 ). Ist M orientierbar, so erhalten wir eine Homologieklasse f∗ ([M]) ∈ Hn (X). Etwa können wir den Erzeuger von Hk (RPn ; Z2 ), k ≤ n, als Bild der Z2 -Fundamentalklasse von RPk unter dem von der Inklusion RPk → RPn induzierten Homomorphismus verstehen. Ebenso können wir die Erzeuger von H2k (CPn ) als Bild der Fundamentalklasse von CPk interpretieren. V.10.15. Definition (Abbildungsgrad). Es sei M eine orientierte geschlossene n-Mannigfaltigkeit mit Fundamentalklasse [M] ∈ Hn (M), und es sei N eine V.10. DIE FUNDAMENTALKLASSE EINER MANNIGFALTIGKEIT 283 zusammenhängende orientierte und geschlossene n-Mannigfaltigkeit mit Fundamentalklasse [N] ∈ Hn (N) ∼ = Z. Ist nun f : M → N eine stetige Abbildung, dann existiert genau eine Zahl deg(f ) ∈ Z, sodass f∗ ([M]) = deg(f ) · [N]. Diese Zahl deg(f ) ∈ Z wird der Abbildungsgrad von f genannt. V.10.16. Bemerkung. Beachte, dass dies für Abbildungen f : S n → S n mit dem Abbildungsgrad in Abschnitt IV.12 übereinstimmt. V.10.17. Proposition. Der Abbildungsgrad stetiger Abbildungen zwischen orientierten geschlossenen Mannigfaltigkeiten hat folgende Eigenschaften. (i) deg(idM ) = 1. (ii) f ≃ g ⇒ deg(f ) = deg(g). (iii) deg(f ◦ g) = deg(f ) · deg(g). (iv) deg(f ⊔ g) = deg(f ) + deg(g). (v) deg(f × g) = deg(f ) · deg(g). M M (vi) deg−M N (f ) = deg −N (f ) = − degN (f ). (vii) Ist f eine Homotopieäquivalenz, dann gilt deg(f ) = ±1. (viii) Ist deg(f ) 6= 0, dann ist f surjektiv. Beweis. Behauptung (i) folgt aus (idM )∗ = idHn (M ) . Behauptung (ii) folgt aus der Homotpieinvarianz, siehe Satz IV.7.4. Behauptung (iii) folgt aus (f ◦ g)∗ = f∗ ◦ g∗. Behauptung (iv) folgt aus Korollar V.10.8(ii). Behauptung (v) folgt aus Korollar V.10.8(iii) und der Natürlichkeit des Kreuzproduktes. Behauptung (vi) folgt aus Korollar V.10.8(iv). Ad Behauptung (vii): In diesem Fall ist f∗ : Hn (M) → Hn (N) ein Isomorphismus, muss daher [M] auf einen Erzeuger, dh. ±[N], abbilden. Nun zu Behauptung (viii): Wir nehmen indirekt an f wäre nicht surjektiv. Dann existiert x ∈ N, sodass f : M → N \{x}. Aufgrund der Exaktheit ∼ = von Hn (N \{x}) → Hn (N) − → Hn (N, N \{x}) induziert die Inklusion den trivialen Homomorphismus Hn (N \{x}) → Hn (N), also ist auch der Homomorphismus f∗ : Hn (M) → Hn (N) trivial und damit deg(f ) = 0. Da dies unserer Voraussetzung widerspricht, muss also f surjektiv sein. V.10.18. Beispiel. Für ungerades n hat die kanonische Projektion p : S n → RPn Abbildungsgrad deg(p) = ±2, siehe Proposition V.4.14. Für gerades n ≥ 2 ist der Abbildungsgrad der Projektion S n → RPn nicht definiert, da RPn nicht orientierbar ist. Es sei nun f : M → N eine stetige Abbildung zwischen orientierten Mannigfaltigkeiten. Weiters sei x ∈ M ein isolierter Punkt von f −1 (f (x)), dh. es existiert eine offene Umgebung U von x mit U ∩ f −1 (f (x)) = {x}. Wir erhalten daher eine Abbildung von Paaren f |U : (U, U \{x}) → (N, N \{f (x)}) und einen induzierten Homomorphismus zwischen den lokalen Homologiegruppen (f |U )∗ Hn (M, M \ {x}) = Hn (U, U \ {x}) −−−→ Hn (N, N \ {f (x)}). 284 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Es existiert daher genau eine Zahl degx (f ) ∈ Z, sodass (f |U )∗ (oUx ) = degx (f ) · oN f (x) . Dabei bezeichnet oU die von M induzierte Orientierung auf U, dh. bis auf den U Excisionsisomorphismus Hn (M, M \ {x}) = Hn (U, U \ {x}) gilt oM x = ox . Diese Zahl degx (f ) hängt nicht von der Wahl der Umgebung U ab, und wird der lokale Abbildungsgrad von f bei x genannt. Die folgende Proposition zeigt, dass dieser lokale Abbildungsgrad in vielen Fällen leicht bestimmbar ist. V.10.19. Proposition. Es sei U ⊆ Rn offen und f : U → Rn eine C 1 Abbildung. Weiters sei x ∈ U mit det(Dx f ) 6= 0. Dann ist x ein isolierter Punkt in f −1 (f (x)) und es gilt degx (f ) = sign det(Dx f ). Dabei ist U mit einer von Rn induzierten Orientierung versehen. Beweis. Nach dem inversen Funktionensatz ist x ein isolierter Punkt in f (f (x)), und daher degx (f ) definiert. Durch Komposition mit Translationen dürfen wir o.B.d.A. x = 0 = f (x) annehmen. Durch Einschränken und Skalieren können wir weiters U = B n sowie f −1 (f (0)) = {0} annehmen. Betrachte nun die Homotopie H : (B n , B n \ {0}) × I → (Rn , Rn \ {0}), ( f (ty)/t falls t > 0, Ht (y) := D0 f · y für t = 0. −1 von H0 = D0 f nach H1 = f . Nach Proposition I.6.8 ist die Inklusion On ⊆ GLn (Rn ) eine Homotopieäquivalenz, insbesondere kann D0 f durch einen stetigen Weg in GLn (Rn ) mit einer orthogonalen Matrix G ∈ On verbunden werden. Aus der Homotopieinvarianz folgt deg0 (f ) = deg0 (D0 f ) = deg0 (G). Aufgrund der Stetigkeit der Abbildung sign det : GLn (Rn ) → {−1, 1} gilt auch sign det(D0 f ) = sign det(G) = det(G). Es genügt daher deg0 (G) = det(G) für jedes G ∈ On zu zeigen. Mit Hilfe des kommutativen Diagramms Hn (B n , B n \ {0}) G∗ δ ∼ = H̃n−1 (B n \ {0}) o / G∗ Hn (Rn , Rn \ 0) o ∼ = ∼ = H̃n−1 (S n−1 ) G∗ G∗ Hn (B n , B n \ {0}) δ ∼ = folgt dies aber sofort aus Satz IV.12.11(v). / H̃n−1 (B n \ {0}) o ∼ = H̃n−1 (S n−1 ) V.10.20. Satz. Es sei f : M → N eine stetige Abbildung von einer geschlossenen orientierten n-Mannigfaltigkeit M in eine zusammenhängende orientierte geschlossene n-Mannigfaltigkeit N. Weiters sei y ∈ N, sodass f −1 (y) endlich ist. Dann gilt X deg(f ) = degx (f ). (V.109) x∈f −1 (y) V.10. DIE FUNDAMENTALKLASSE EINER MANNIGFALTIGKEIT 285 Beweis. Es bezeichne X := f −1 (y) = {x1 , . . . , xk }. Wähle paarweise disjunkte offene Umgebungen Ui von xi , und setze U := U1 ∪ · · · ∪ Uk . Wir statten U sowie U aus. Beachte weiters Fik mit der von M induzierten Orientierung Fk M̃ |U = Ũ = i=1 Ũi und daher M̃ |X = Ũ |X = i=1 Ũi |{xi } . Betrachte nun das folgende kommutative Diagramm: Lk / Γ(M̃ | ) Γ(M̃ ) Γ(Ũ|X ) X i=1 Γ(Ũi |{xi } ) O O ∼ = JM Hn (M) / Hn (M, M \ X) o Hn (N) ∼ = Hn (U, U \ X) o (f |U )∗ f∗ f∗ O ∼ = J (U,X) ∼ = J (M,X) ∼ = / Hn (N, N \ {y}) Hn (N, N \ {y}) r ∼ = Lk i=1 Hn (Ui , Ui \ {xi }) Pk i=1 (f |Ui )∗ Durch den oberen Teil dieses Diagramms wird die Fundamentalklasse [M] ∈ Hn (M) auf oM ∈ Γ(M̃ ), oM |X ∈ Γ(M̃ |X ), oU |X ∈ Γ(Ũ|X ) und schließlich auf L (oUx11 , . . . , oUxkk ) ∈ ki=1 Hn (Ui , Ui \{xi }) abgebildet. Unter dem unteren rechten HoP P momorphismus geht dies in ki=1 (f |Ui )∗ oUxii = ki=1 degxi (f )·oN y ∈ Hn (N, N \{y}) Pk über, was in Hn (N) nun i=1 degxi (f ) · [N] entspricht. Aufgrund der Kommutativität des Diagramms muss dies mit f∗ ([M]) = deg(f ) · [N] übereinstimmen, und dies liefert die zu beweisende Relation. V.10.21. Bemerkung. Aus Satz V.10.20 folgt, dass die rechte Seite in (V.109) nicht von y abhängt Auch folgt, dass dieser Ausdruck nur von der Homotopieklasse von f abhängt, vgl. Proposition V.10.17(ii). Ohne der homologischen Interpretation aus Satz V.10.20 wären diese Tatsachen alles andere als offensichtlich. V.10.22. Beispiel. Wir wollen nun Satz V.10.20 verwenden um nochmals den Abbildungsgrad der Antipodalabbildung A : S n → S n , Ax := −x, zu berechnen. Es bezeichne N ∈ S n den Nordpol und ϕ : Rn → S n \ {N} die stereographische Projektion, siehe Beispiel I.1.25. Eine einfache geometrische Überlegung zeigt A ◦ ϕ = ϕ ◦ Ā mit Ā : Rn \ {0} → Rn \ {0}, Ā(x) = −x/kxk. Für die Ableitung beim Einheitsvektor x := e1 ∈ Rn ergibt sich die Diagonalmatrix Dx Ā = diag(1, −1, . . . , −1). Es gilt daher degx (Ā) = (−1)n−1 , siehe Proposition V.10.19. Wegen A = ϕ ◦ Ā ◦ ϕ−1 erhalten wir degx (A) = degx (Ā) = (−1)n−1 . Mittels Satz V.10.20 folgt nun deg(A) = (−1)n−1 , vgl. Satz IV.12.11(vi). V.10.23. Beispiel. Es sei p : M̃ → M eine k-blättrige Überlagerung einer geschlossenen orientierten n-Mannigfaltigkeit M. Dann ist auch M̃ eine orientierbare geschlossene n-Mannigfaltigkeit. Es gibt genau eine Orientierung auf M̃ , sodass p ein lokal orientierungsbewahrender Homöomorphismus ist. Bezüglich dieser Orientierung gilt deg(p) = k, siehe Satz V.10.20. Insbesondere sehen wir, dass die kanonische Projektion p : S n → RPn für ungerades n Abbildungsgrad deg(p) = 2 hat, vgl. Proposition V.4.14. 286 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN V.10.24. Beispiel. Es sei n ≥ 1. Ist M eine orientierte geschlossenen nMannigfaltigkeit, dann existiert zu jedem k ∈ Z eine Abbildung f : M → S n mit deg(f ) = k. Wir erhalten daher eine surjektive Abbildung deg : [M, S n ] → Z. Nach Bemerkung IV.12.14 existiert nämlich g : S n → S n mit deg(g) = k. Es genügt daher f : M → S n mit deg(f ) = ±1 zu konstruieren, siehe Proposition V.10.17(iii). Betrachte dazu einen eingebetteten Ball D n ⊆ M und die davon induzierten stetige Abbildung f : M → M/(M \ B n ) = D n /S n−1 ∼ = S n . Nach Satz V.10.20 hat f Abbildungsgrad deg(f ) = ±1. V.10.25. Bemerkung (Z2 -Abbildungsgrad). Es sei f : M → N eine stetige Abbildung von einer geschlossenen n-Mannigfaltigkeit M in eine zusammenhängende geschlossene n-Mannigfaltigkeit N.84 Dann existiert genau eine Zahl deg2 (f ) ∈ Z2 , sodass f∗ ([M]Z2 ) = deg2 (f ) · [N]Z2 ∈ Hn (N; Z2 ) ∼ = Z2 . Diese Zahl wird der Z2 -Abbildungsgrad von f genannt. Dieser Abbildungsgrad hat Eigenschaften analog zu denen in Proposition V.10.17, die Beweise sind völlig gleich. (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi) (vii) (viii) deg2 (idM ) = 1. f ≃ g ⇒ deg2 (f ) = deg2 (g). deg2 (f ◦ g) = deg2 (f ) · deg2 (g). deg2 (f ⊔ g) = deg2 (f ) + deg2 (g). deg2 (f × g) = deg2 (f ) · deg2 (g). Sind M und N orientiert, dann gilt deg(f ) ≡ deg2 (f ) mod 2. Ist f eine Homotopieäquivalenz dann gilt deg2 (f ) = 1. Ist deg2 (f ) 6= 0, dann ist f surjektiv. Auch Satz V.10.20 bleibt richtig, ist f −1 (y) eine endliche Menge, dann gilt X deg2 (f ) = deg2,x (f ). x∈f −1 (y) Dabei wird der lokale Z2 -Abbildungsgrad deg2,x (f ) ∈ Z2 analog zur ganzzahligen Variante definiert. Im orientierbaren Fall gilt offensichtlich deg2,x (f ) ≡ degx (f ) mod 2. Der lokale Z2 -Abbildungsgrad ist besonders leicht zu bestimmen, ist f bei x ein lokaler Homöomorphismus, dann gilt offensichtlich deg2,x (f ) = 1. Ist etwa f bei jedem x ∈ f −1 (y) ein lokaler Homöomorphismus ist, dann folgt deg2 (f ) ≡ ♯f −1 (y) mod 2. Für eine k-blättrige Überlagerung p : M̃ → M einer zusammenhängenden geschlossenen Mannigfaltigkeit M, erhalten wir daher deg2 (p) ≡ k mod 2. Für p : S n → RPn ergibt sich deg2 (p) = 0, vgl. Beispiel V.4.13. 84Wir setzen nicht voraus, dass M oder N orientierbar sind, noch verlangen wir, dass diese Mannigfaltigkeiten im orientierbaren Fall mit einer Orientierung versehen sind. V.10. DIE FUNDAMENTALKLASSE EINER MANNIGFALTIGKEIT 287 Wir wollen nun auch die Homologie von Mannigfaltigkeiten mit Rand untersuchen, siehe Bemerkung IV.12.10. Sei also M eine n-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M. Dann ist ∂M eine, möglicherweise leere, (n−1)-Mannigfaltigkeit ohne Rand, und das Innere Int(M) = M \ ∂M ist eine randlose n-Mannigfaltigkeit. V.10.26. Satz (Kragen des Randes). Ist M eine Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M, dann existiert eine offene Umgebung U von ∂M in M, und ein Homöomorphismus ∼ = → U ⊆ M, ϕ : ∂M × [0, 1) − sodass ϕ|∂M ×{0} = id∂M . Insbesondere ist die Inklusion Int(M) → M eine Homotopieäquivalenz. Beweis. Wir werden den Satz nur für glatte Mannigfaltigkeiten zeigen. Wir wählen eine Riemannmetrik auf M und bezeichnen mit ν(x) ∈ Tx M den nach innen weisenden Normalvektor, x ∈ ∂M. Weiters bezeichne t 7→ ϕ(x, t) := exp(tν(x)) die Geodäte die bei x in Richtung ν(x) startet. Dies ist bei fixem x ∈ ∂M für kleine t ≥ 0 definiert. Wir erhalten weiters eine offene Umgebung V von ∂M ×{0} in ∂M ×[0, ∞), sodass ϕ : V → M eine glatte Abbildung definiert. Offensichtlich gilt ϕ|∂M ×{0} = id∂M und die Tangentialabbildung T(x,0) ϕ ist ein Isomorphismus für jedes x ∈ ∂M. Nach dem inversen Funktionensatz können wir durch Verkleinern der Umgebung V sicherstellen, dass ϕ : V → M ein Diffeomorphismus auf sein (offenes) Bild ist. Durch geeignetes Skalieren folgt nun der Satz, für glattes M. V.10.27. Bemerkung. Nach Satz V.10.26 induziert die Inklusion Int(M) → M einen Isomorphismus H∗ (Int(M); G) = H∗ (M; G). Die Berechnung der Homologiegruppen H∗ (M; G) ist daher auf die Bestimmung der Homologiegruppen der randlosen Mannigfaltigkeit Int(M) zurückgeführt. Insbesondere folgt Hq (M; G) = 0, für alle q > n. Ist M zusammenhängend und ∂M 6= ∅, dann ist Int(M) nicht kompakt und daher Hn (M; G) = 0, siehe Korollar V.10.10(i). Aus der exakten Sequenz δ Hq (M; G) → Hq (M, ∂M; G) − → Hq−1 (∂M; G) erhalten wir nun auch Hq (M, ∂M; G) = 0, für q > n, denn Hq−1 (∂M; G) = 0 nach Korollar V.10.5. Wesentlich interessanter sind die relativen Homologiegruppen Hn (M, ∂M). Wir beginnen wieder mit der Z2 -Version da diese keine Orientierungen benötigt. V.10.28. Korollar (Z2 -Fundamentalklasse). Ist M eine kompakte n-Mannigfaltigkeit mit Rand, dann existiert eine eindeutige Homologieklasse [M]Z2 ∈ Hn (M, ∂M; Z2 ) mit folgender Eigenschaft. Für jedes x ∈ Int(M) bildet der von der kanonischen Inklusion ιM x : (M, ∂M) → (M, M \ {x}) induzierte Homomorphismus ∼ (ιM x )∗ : Hn (M, ∂M; Z2 ) → Hn (M, M \ {x}; Z2 ) = Z2 288 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN die Klasse [M]Z2 auf das (eindeutige) nicht-triviale Element der lokalen Homologiegruppe Hn (M, M \{x}; Z2 ) ab. Diese Homologieklasse [M]Z2 ∈ Hn (M, ∂M; Z2 ) wird die Z2 -Fundamentalklasse von M genannt und hat folgende Eigenschaften: (i) f∗ ([M]Z2 ) = [M ′ ]Z2 für jeden Homöomorphismus kompakter n-Mannigfaltigkeiten mit Rand, f : M → M ′ .85 (ii) [M1 ⊔M2 ]Z2 = [M1 ]Z2 +[M2 ]Z2 für je zwei kompakte n-Mannigfaltigkeiten mit Rand. (iii) [M × N]Z2 = [M]Z2 × [N]Z2 für je zwei kompakte Mannigfaltigkeit mit Rand der Dimension m bzw. n.86 (iv) δ([M]Z2 ) = [∂M]Z2 wobei δ : Hn (M, ∂M; Z2 ) → Hn−1 (∂M; Z2 ) den Einhängungshomomorphismus bezeichnet.87 Beweis. Es sei ϕ : ∂M ×[0, 1) → M ein Kragen wie in Satz V.10.26. Für 0 < ε < 1 betrachte Aε := M \ ϕ(∂M × [0, ε)) ⊆ Int(M). Dies ist eine abgeschlossene Teilmenge von M, also kompakt. Nach Satz V.10.4 existiert genau eine Klasse in Hn (Int(M), Int(M) \ Aε ; Z2 ) die für jedes x ∈ Aε das nicht-triviale Element in Hn (Int(M), Int(M) \ {x}; Z2 ) induziert. Da die Inklusionen (M, ∂M) → M, ϕ(∂M × [0, ε)) ← Int(M), Int(M) \ Aε beide Homotopieäquivalenzen sind folgt also, dass genau eine Klasse [M]Z2 ∈ Hn (M, ∂M; Z2 ) existiert, die für jeden Punkt x ∈ Aε das nicht-triviale Element in Hn (M, M \{x}; Z2 ) induziert. Da ε belibig war, bleibt dies für jedes x ∈ Int(M) richtig. Die Eigenschaften (i) bis (iii) lassen sich nun genau wie im Beweis von Korollar V.10.7 verifizieren. Es bleibt noch Behauptung (iv) zu zeigen. Betrachte zunächst die 1-dimensionale kompakte Mannigfaltigkeit mit Rand I = [0, 1]. In diesem Fall gilt sicherlich δ([I]Z2 ) = 1{1} − 1{0} ∈ H0 ({0, 1}; Z2 ). Aus (iii) und (V.81) folgt nun δ([I × ∂M]Z2 ) = δ([I]Z2 × [∂M]Z2 ) = δ([I]Z2 ) × [∂M]Z2 = 1{1} × [∂M]Z2 − 1{0} × [∂M]Z2 . (V.110) Nach Satz V.10.26 existiert ein Homöomorphismus ∼ = ψ : (−1, 1] × ∂M − →U ⊆M 85Beachte, mit ψ|{1}×∂M = id∂M . dass so ein Homöomorphismus nach Satz IV.12.9 ∂M homöomorph auf ∂M ′ abbilden muss, und daher einen Isomorphismus f∗ : Hn (M, ∂M ; Z2 ) → Hn (M ′ , ∂M ′ ; Z2 ) induziert. 86Beachte, dass M × N eine topologische (m + n)-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂(M × N ) = (∂M × N ) ∪ (M × ∂N ) ist. 87Beachte, dass ∂M eine geschlossene (n − 1)-Mannigfaltigkeit ist. V.10. DIE FUNDAMENTALKLASSE EINER MANNIGFALTIGKEIT 289 Setze A := M \ ψ (0, 1] × ∂M und betrachte das kommutative Diagramm: Hn (M, ∂M ; Z2 ) / Hn (M, ∂M ∪ A; Z2 ) o δ ψ∗ ∼ = Hn (I × ∂M, ∂I × ∂M ; Z2 ) δ Hn−1 (∂M ; Z2 ) (id,0) / Hn−1 (∂M ∪ A; Z2 ) o + Hn−1 (∂M ; Z2 ) o ⊕ Hn−1 (A; Z2 ) δ ψ∗ Hn−1 (∂I × ∂M ); Z2 ) Hn−1 ({1} × ∂M ; Z2 ) ⊕ Hn−1 ({0} × ∂M ; Z2 ) ψ∗ Mittels Exzision und Homotopieinvarianz folgt sofort, dass der obere rechte Pfeil ein Isomorphismus ist. Da ψ ein lokaler Homöomorphismus ist, wird die Fundamentalklasse [M]Z2 ∈ Hn (M, ∂M; Z2 ) durch die beiden oberen horizontalen Pfeile auf die Fundamentalklasse [I × ∂M]Z2 ∈ Hn (I × ∂M, ∂I × ∂M; Z2 ) abgebildet. Nach (V.110) wird dies durch die rechten vertikalen Pfeile auf [∂M]Z2 , ∗ in der unteren mittleren Gruppe abgebildet. Wegen der Kommutativität des Diagramms muss dies mit δ([M]Z2 ), 0 übereinstimmen, es gilt daher δ([M]Z2 ) = [∂M]Z2 . V.10.29. Korollar. Es sei M eine kompakte n-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M. Dann ist ∂M nicht Retrakt von M. Beweis. Wir gehen indirekt vor und nehmen an r : M → ∂M wäre eine Retraktion, dh. r ◦ ι = id∂M , wobei ι : ∂M → M die kanonische Inklusion bezeichnet. Betrachte die exakte Sequenz δ ι ∗ Hn (M, ∂M; Z2 ) − → Hn−1 (∂M; Z2 ) − → Hn−1 (M; Z2 ). Wegen r∗ ◦ ι∗ = idHn−1 (∂M ;Z2 ) ist ι∗ injektiv und daher δ = 0. Mit Korollar V.10.28(iv) folgt [∂M]Z2 = δ([M]Z2 ) = 0. Da dies der Definition von [∂M]Z2 widerspricht, kann es also keine solche Retraktion r geben. V.10.30. Korollar. Es sei W eine kompakte (n + 1)-Mannigfaltigkeit mit Rand und F : W → X stetig. Betrachte die geschlossenen n-Mannigfaltigkeit M := ∂W und f := F |∂W : M → X. Dann gilt f∗ ([M]Z2 ) = 0 ∈ Hn (X; Z2 ). Beweis. Es bezeichne ι : M = ∂W → W die Inklusion, dh. f = F ◦ ι. Mittels Korollar V.10.28(iv) folgt f∗ ([∂W ]Z2 ) = F∗ ι∗ ([∂W ]Z2 ) = F∗ ι∗ δ([W ]Z2 ) = 0, δ ι ∗ wobei wir die Exaktheit von Hn+1 (W, ∂W ; Z2 ) − → Hn (∂W ; Z2 ) − → Hn (W ; Z2 ) verwendet haben. V.10.31. Bemerkung (Bordismeninvarianz). Es seien M1 und M2 zwei geschlossene n-Mannigfaltigkeiten. Zwei stetige Abbildungen f1 : M1 → X und f2 : M2 → X werden bordant genannt, falls eine kompakte (n + 1)-Mannigfaltigkeit 290 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN W mit Rand ∂W = M1 ⊔M2 sowie eine stetige Abbildung F : W → X existieren, sodass F |M1 = f1 und F |M2 = f2 . In dieser Situation folgt (f1 )∗ ([M1 ]Z2 ) = (f2 )∗ ([M2 ]Z2 ) ∈ Hn (X; Z2 ), siehe Korollar V.10.30 und Korollar V.10.28(ii). Ist nun N = X eine zusammenhägende geschlossene n-Mannigfaltigkeit, so erhalten wir deg2 (f1 ) = deg2 (f2 ). Dies wird als Bordismeninvarianz des Z2 -Abbildungsgrades bezeichnet und verallgemeinert dessen Homotopieinvarianz, denn zwei homotope Abbildungen f1 ≃ f2 : M → X sind stets bordant, W = I × M und F : W → X eine Homotopie von f1 nach f2 . Unter einer Orientierung einer n-Mannigfaltigkeit M mit Rand verstehen wir eine Orientierung des Inneren Int(M). Eine Orientierung oM von M induziert eine Orientierung o∂M des Randes ∂M wie folgt. Ist x ∈ ∂M dann existiert eine offene ∼ = Umgebung U von x und eine Karte ϕ : U − → H := {(x1 , . . . , xn ) ∈ Rn | x1 ≤ 0}. Die Orientierung von M bestimmt eine Orientierung oH von H und damit eine n n−1 Orientierung oR von Rn . Es gibt nun auf Rn−1 genau eine Orientierung oR , sodass die Identifikation Rn = R × Rn−1 orientierungsbewarend ist, wobei R mit der Standardorientierung88 versehen ist. Mit Hilfe der Karte ϕ|U ∩∂M : U ∩ ∼ n−1 = → Rn−1 erhalten wir aus oR eine Orientierung oU ∩∂M von U ∩ ∂M. Es ∂M − lässt sich leicht verifizieren, dass die davon induzierte lokale Orientierung o∂M ∈ x Hn−1 (∂M, ∂M \ {x}; Z2 ) nicht von der Wahl der Karte ϕ abhängt. Die lokalen ∂M Orientierungen o∂M . x , x ∈ ∂M, definieren daher eine Orientierung des Randes o V.10.32. Beispiel. Es sei M eine orientierte Mannigfaltigkeit. Wir versehen I × M mit der Produktorientierung, wobei I mit der Standardorientierung ausgestattet ist. Der Rand von I × M besteht aus zwei Kopien von M, genauer ∂(I × M) = M+ ⊔ M− , wobei M+ := {1} × M ∼ = M und M− := {0} × M ∼ = M. Die Orientierung von M liefert daher auch Orientierungen von M+ und M− . Es gilt nun ∂(I × M) = M+ ⊔ (−M− ), als orientierte Mannigfaltigkeiten. V.10.33. Korollar (Fundamentalklasse). Ist M eine orientierte kompakte n-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M, dann existiert eine eindeutige Klasse [M] ∈ Hn (M, ∂M) mit folgender Eigenschaft. Für jedes x ∈ Int(M) bildet der von der kanonischen Inklusion ιM x : (M, ∂M) → (M, M \ {x}) induzierte Homomorphismus ∼ (ιM x )∗ : Hn (M, ∂M) → Hn (M, M \ {x}) = Z 88Die Standardorientierung oR von R ist dadurch charakterisiert, dass die davon induzierte lokale Orientierung oR 0 ∈ H1 (R, R \ {0}) durch den Einhängungshomomorphismus δ : H1 (R, R \ {0}) → H0 (R \ {0}) = H0 (R+ ) ⊕ H0 (R− ) auf δ(oR 0 ) = 1R+ − 1R− abgebildet wird. V.10. DIE FUNDAMENTALKLASSE EINER MANNIGFALTIGKEIT 291 die Klasse [M] auf die lokale Orientierung oM x ∈ Hn (M, M \ {x}) ab. Diese Homologieklasse [M] ∈ Hn (M, ∂M) wird die Fundamentalklasse von M genannt und hat folgende Eigenschaften: (i) f∗ ([M]) = [M ′ ] für jeden orientierungsbewahrenden Homöomorphismus kompakter orientierter n-Mannigfaltigkeiten mit Rand, f : M → M ′ .89 (ii) [M1 ⊔ M2 ] = [M1 ] + [M2 ] für je zwei orientierte kompakte n-Mannigfaltigkeiten mit Rand, M1 und M2 . (iii) [M × N] = [M] × [N] für je zwei orientierte kompakte Mannigfaltigkeit mit Rand der Dimension m bzw. n.90 (iv) [−M] = −[M]. (v) ρ∗ ([M]) = [M]Z2 wobei ρ∗ : Hn (M, ∂M) → Hn (M, ∂M; Z2 ) den von ρ : Z → Z2 induzierten Homomorphismus bezeichnet. (vi) δ([M]) = [∂M], wobei δ : Hn (M, ∂M) → Hn−1 (∂M) den Einhängungshomomorphismus bezeichnet.91 Beweis. Wir gehen genau wie im Beweis von Korollar V.10.28 vor. Es sei ϕ : ∂M × [0, 1) → M ein Kragen wie in Satz V.10.26. Für 0 < ε < 1 betrachte Aε := M \ ϕ(∂M × [0, ε)) ⊆ Int(M). Dies ist eine abgeschlossene Teilmenge von M, also kompakt. Nach Satz V.10.4 existiert genau eine Klasse in Hn (Int(M), Int(M)\Aε ) die für jedes x ∈ Aε die lokale Orientierung oM x ∈ Hn (Int(M), Int(M) \ {x}) induziert. Da die Inklusionen (M, ∂M) → M, ϕ(∂M × [0, ε)) ← Int(M), Int(M) \ Aε (V.111) beide Homotopieäquivalenzen sind folgt also, dass genau eine Klasse [M] ∈ Hn (M, ∂M) existiert, die für jeden Punkt x ∈ Aε die lokale Orientierung oM x ∈ Hn (M, M \ {x}) induziert. Da ε belibig war, bleibt dies für jedes x ∈ Int(M) richtig. Die Eigenschaften (i) bis (v) lassen sich nun genau wie im Beweis von Korollar V.10.8 verifizieren. Es bleibt noch Behauptung (vi) zu zeigen. Versehen wir I = [0, 1] mit der Standardorientierung, dann gilt δ([I]) = 1{1} −1{0} ∈ H0 ({0, 1}). Aus (iii) und (V.81) folgt nun δ([I × ∂M]) = δ([I] × [∂M]) = δ([I]) × [∂M] = 1{1} × [∂M] − 1{0} × [∂M]. (V.112) Nach Satz V.10.26 existiert ein Homöomorphismus ∼ = →U ⊆M ψ : (−1, 1] × ∂M − 89Beachte, mit ψ|{1}×∂M = id∂M . dass so ein Homöomorphismus nach Satz IV.12.9 ∂M homöomorph auf ∂M ′ abbilden muss, und daher einen Isomorphismus f∗ : Hn (M, ∂M ) → Hn (M ′ , ∂M ′ ) induziert. 90Beachte, dass M × N eine topologische Mannigfaltigkeit mit Rand ∂(M × N ) = (∂M × N ) ∪ (M × ∂N ) ist. 91Beachte, dass ∂M eine geschlossene (n − 1)-Mannigfaltigkeit ist, die mit der von M induzierten Orientierung versehen ist. 292 V. HOMOLOGIE MIT KOEFFIZIENTEN Setze A := M \ ψ (0, 1] × ∂M und betrachte das kommutative Diagramm: Hn (M, ∂M) Hn (M, ∂M ∪ A) o / ψ∗ ∼ = Hn (I × ∂M, ∂I × ∂M) δ δ Hn−1 (∂M) (id,0) / Hn−1 (∂M ∪ A) o * Hn−1 (∂M) o ⊕ Hn−1 (A) δ ψ∗ ψ∗ Hn−1 (∂I × ∂M)) Hn−1 ({1} × ∂M) ⊕ Hn−1 ({0} × ∂M) Wie im Beweis von Korollar V.10.28 sehen wir, dass der obere rechte Pfeil ein Isomorphismus ist. Da ψ ein Orientierungsbewarender Homöomorphismus ist, wird die Fundamentalklasse [M] ∈ Hn (M, ∂M) durch die beiden oberen horizontalen Pfeile auf die Fundamentalklasse [I × ∂M] ∈ Hn (I × ∂M, ∂I × ∂M) abgebildet. Nach (V.112) wird dies durch die rechten vertikalen Pfeile auf [∂M], ∗ in der unteren mittleren Gruppe abgebildet. Wegen der Kommutativität des Diagramms muss dies mit δ([M]), 0 übereinstimmen, es gilt daher δ([M]) = [∂M]. V.10.34. Korollar. Es sei W eine kompakte orientierte (n + 1)-Mannigfaltigkeit mit Rand und F : W → X stetig. Betrachte die geschlossene orientierte n-Mannigfaltigkeit M := ∂W und f := F |∂W : M → X. Dann gilt f∗ ([M]) = 0 ∈ Hn (X). Beweis. Der Beweis ist analog zu dem von Korollar V.10.30. Bezeichnet ι : M = ∂W → W die Inklusion, dh. f = F ◦ι, dann folgt aus Korollar V.10.33(iv) f∗ ([∂W ]) = F∗ ι∗ ([∂W ]) = F∗ ι∗ δ([W ]) = 0. Dabei haben wir im letzten Gleichδ ι∗ heitszeichen die Exaktheit von Hn+1 (W, ∂W ) − → Hn (∂W ) − → Hn (W ) verwendet. V.10.35. Bemerkung (Bordismeninvarianz). Es seien M1 und M2 zwei geschlossene orientierte n-Mannigfaltigkeiten. Zwei stetige Abbildungen f1 : M1 → X und f2 : M2 → X werden orientiert bordant genannt, falls eine kompakte orientierte (n + 1)-Mannigfaltigkeit W mit Rand ∂W = M2 ⊔ (−M1 ) sowie eine stetige Abbildung F : W → X existieren, sodass F |M1 = f1 und F |M2 = f2 . In dieser Situation folgt (f1 )∗ ([M1 ]) = (f2 )∗ ([M2 ]) ∈ Hn (X), siehe Korollar V.10.34 und Korollar V.10.33(ii)&(iv). Ist nun N = X eine zusammenhängende geschlossene n-Mannigfaltigkeit, so erhalten wir deg(f1 ) = deg(f2 ). Dies wird als Bordismeninvarianz des Abbildungsgrades bezeichnet und verallgemeinert dessen Homotopieinvarianz. Beachte, dass zwei homotope Abbildungen V.10. DIE FUNDAMENTALKLASSE EINER MANNIGFALTIGKEIT 293 f1 ≃ f2 : M → X stets orientiert bordant sind, W = I × M mit der Produktorientierung und F : W → X eine Homotopie von f1 nach f2 , siehe Beispiel V.10.32. V.10.36. Korollar. Es sei M eine zusammenhängende n-Mannigfaltigkeit mit Rand. (i) Ist M nicht kompakt, dann gilt Hn (M, ∂M; G) = 0 für jedes G. (ii) Ist M kompakt, dann bildet die Fundamentalklasse [M]Z2 eine Basis von Hn (M, ∂M; Z2 ) ∼ = Z2 . (iii) Ist M kompakt und orientiert, dann bildet die Fundamentalklasse [M] einen Erzeuger von Hn (M, ∂M) ∼ = Z. Weiters induziert [M] einen Erzeuger des R-Moduls Hn (M, ∂M; R) ∼ = R für jeden kommutativen Ring mit Eins. (iv) Ist M nicht orientierbar, dann gilt Hn (M, ∂M) = 0. Beweis. Betrachte wieder die abgeschlossenen Teilmengen Aε ⊆ Int(M) wie im Beweis von Korollar V.10.33. Nach Satz V.10.4 und wegen der Homotopieäquivalenzen (V.111) gilt ^ |A . (V.113) Hn (M, ∂M; G) ∼ = Γc Int(M) G ε Mit M ist auch jedes Aε wegzusammenhängend. Ist M nicht kompakt, dann existiert ε > 0, sodass Aε nicht kompakt ist, also verschwindet die rechte Seite von (V.113) und Behauptung (i) folgt. Sei nun M kompakt. Dann ist auch jedes Aε ^Z ∼ kompakt. Im Fall G = Z2 gilt Int(M) 2 = Int(M) × Z2 , aus (V.113) erhalten wir ∼ daher Hn (M, ∂M; Z2 ) = Z2 , womit Behauptung (ii) gezeigt ist. Ist M orientier^ ∼ ∼ bar, dann gilt Int(M) Z = Int(M) × Z, aus (V.113) folgt Hn (M, ∂M) = Z und damit Behauptung (iii). Um die letzte Behauptung (iv) einzusehen, nehmen wir ^ |A trivial Hn (M, ∂M) 6= 0 an. Aus (V.113) folgt, dass die Überlagerung Int(M) Z ε ^ eine triviale Überlagerung, denn Int(M) ≃ Aε , und ist, also ist auch Int(M) Z damit Int(M) orientierbar. VI. Kohomologie VI.1. Kokettenkomplexe und Kohomologie. Unter einem Kokettenkomplex verstehen wir eine graduierte abelsche Gruppe C ∗ zusammen mit einem Homomorphismus ∂ : C ∗ → C ∗+1 vom Grad 1, dem sogenannten Kodifferential, sodass ∂ ◦ ∂ = 0 gilt. Ist D ∗ ein weiterer Kokettenkomplex und ϕ : C ∗ → D ∗ ein Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen der ϕ ◦ ∂C = ∂D ◦ ϕ erfüllt, dann wird ϕ eine Kokettenabbildung genannt: ··· ··· / / C D q−1 q−1 ∂C ϕq−1 ∂ q−1 q−1 D / C q q ∂C / C q+1 / ϕq Dq q ∂D / D q+2 ∂C ϕq+1 ∂ q+2 q+1 D / C q+2 / ··· / ϕq+2 D q+2 / ··· Die Komposition von Kokettenabbildungen ist wieder eine Kokettenabbildung, Kokettenkomplexe und Kokettenabbildungen bilden daher eine Kategorie. Unter einem Kokettenkomplex über einem kommutativen Ring R verstehen wir einen Kokettenkomplex (C, ∂) zusammen mit der Struktur eines garduierten R-Moduls auf C ∗ , sodass ∂ R-linear ist. Auch die Kokettenkomplexe über R zusammen mit den R-linearen Kokettenabbildungen bilden eine Kategorie. Für R = Z stimmt dies mit der Kategorie der Kokettenkomplexe überein. VI.1.1. Bemerkung. Ist C∗ ein Kettenkomplex, dann definiert D q := C−q q C und ∂D := ∂−q einen Kokettenkomplex D ∗ , und umgekehrt. Bis auf die Nummerierung der Kettengruppen ist ein Kokettenkomplex daher dasselbe wie ein Kettenkomplex. Es sei (C ∗ , ∂) ein Kokettenkomplex. Die Elemente der Gruppen Z q := ker(∂ q : C q → C q+1 ) und B q := img(∂ q−1 : C q−1 → C q ) werden Kozyklen bzw. Koränder genannt. Unter der q-ten Kohomologiegruppe von (C ∗ , ∂) verstehen wir H q := Z q /B q . Diese Konstruktion liefert einen kovarianten Funktor von der Kategorie der Kokettenkomplexe in die Kategorie der graduierten abelschen Gruppen. Ebenso erhalten wir einen kovarianten Funktor von der Kategorie der Kokettenkomplexe über einem fixen kommutativen Ring R in die Kategorie der graduierten R-Moduln. Aus Satz IV.3.1 und Bemerkung VI.1.1 erhalten wir sofort ι π VI.1.2. Proposition. Eine kurze exakte Sequenz 0 → C − → C′ − → C ′′ → 0 von Kokettenkomplexen induziert eine lange exakte Sequenz von Kohomologiegruppen: δq−1 ι π δq ∗ ∗ · · · → H q−1(C ′′ ) −−→ H q (C) − → H q (C ′ ) −→ H q (C ′′ ) − → H q+1 (C) → · · · 295 296 VI. KOHOMOLOGIE Ist die ursprüngliche Sequenz eine exakte Sequenz von Kokettenkomplexen über einem kommutativen Ring R, dann ist dies eine lange exakte Sequenz von RModuln. Diese lange exakte Sequenz ist natürlich in folgendem Sinn. Ist / 0 ι C / ϕ π C′ / C ′′ ϕ′ ι̃ / 0 ϕ′′ π̃ / D ′′ /0 D′ ein kommutatives Diagramm von Kokettenkomplexen und Kokettenabbildungen mit exakten Zeilen, dann kommutiert auch folgendes Diagramm: / 0 ··· / H q−1 (C ′′ ) δq−1 / H q (C) δq−1 ϕ′′ ∗ ··· / H q−1 (D ′′ ) D / ι∗ / H q (C ′ ) ι̃∗ / H q (C ′′ ) π̃∗ ϕ′∗ ϕ∗ / H q (D) π∗ / H q (D ′ ) δq / H q+1 (C) δq ϕ′′ ∗ / H q (D ′′ ) / ··· ϕ∗ / H q+1 (D) / ··· Zwei Kokettenabbildungen ϕ : C ∗ → D ∗ und ψ : C ∗ → D ∗ werden kettenhomotop genannt, falls ein Homomorphismus h : C ∗ → D ∗−1 vom Grad −1 existiert, sodass ψ−ϕ = ∂D ◦h+h◦∂C . In diesem Fall schreiben wir wieder ϕ ≃ ψ. Aus Bemerkung VI.1.1 und den Resultaten in Abschnitt IV.2 folgt sofort, dass dies eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Kokettenabbildungen definiert die mit Komposition und Addition von Kokettenabbildungen verträglich ist. Offensichtlich induzieren kettenhomotope Kokettenabbildungen ϕ ≃ ψ den selben Homomorphismus in der Kohomologie, ϕ∗ = ψ∗ : H ∗ (C) → H ∗ (D). Es sollte nun klar sein was wir unter einer Kettenhomotopieäquivalenz von Kokettenkomplexen verstehen und, dass diese Isomorphismen in der Kohomologie induzieren. Sind Cλ∗ Kokettenkomplexe, λ ∈ Λ, dann induzieren die L Lkanonischen Inklusionen Cλ∗ → λ′ ∈Λ Cλ∗′ Homomorphismen H ∗ (Cλ ) → H ∗ ( λ′ ∈Λ Cλ′ ) und diese definieren einen kanonischen Isomorphismus L L ∼ = ∗ → H ∗ ( λ∈Λ Cλ ). (VI.1) λ∈Λ H (Cλ ) − Q Ebenso induzieren die kanonischen Projektionen λ′ ∈Λ Cλ∗′ → Cλ∗ HomomorphisQ men H ∗ λ′ ∈Λ Cλ′ → H ∗ (Cλ ), und diese definieren einen kanonischen Isomorphismus ∼ Q = Q → λ∈Λ H ∗ (Cλ ). (VI.2) H ∗ λ∈Λ Cλ − Dies folgt aus Bemerkung VI.1.1 und den entsprechenden Resultaten in Abschnitt IV.1, siehe auch Proposition IV.1.4 und Proposition IV.1.5. VI.2. Der Hom-Funktor. Sind A und B zwei abelsche Gruppe, dann ist auch Hom(A, B) in natürlicher Weise eine abelsche Gruppe. Wir können diese Konstruktion als Bifunktor aGrp × aGrp → aGrp auffassen, kontravariant in A und kovariant in B. Zwei Homomorphismen α : A′ → A und β : B → B ′ induzieren den Homomorphsimus Hom(α, β) = α∗ ◦ β∗ = β∗ ◦ α∗ : Hom(A, B) → Hom(A′ , B ′ ). Sind α′ : A′′ → A′ und β ′ : B ′ → B ′′ zwei weitere Homomorphismen, VI.2. DER Hom-FUNKTOR 297 dann gilt (α ◦ α′ )∗ = (α′ )∗ ◦ α∗ sowie (β ′ ◦ β)∗ = (β ′ )∗ ◦ β∗ . Ist B = R ein kommutativer Ring dann ist auch Hom(A, R) in natürlicher Weise ein R-Modul, und wir erhalten so einen Bifunktor Hom(−, R) : aGrp → ModR . SindQBλ abelsche Gruppen, λ ∈ Λ, dann induzieren Projek Q die kanonischen tionen λ′ ∈Λ Bλ′ → Bλ Homomorphismen Hom A, λ′ ∈Λ Bλ′ → Hom(A, Bλ ) und diese definieren einen kanonischen Isomorphismus ∼ Q = Q Hom A, λ∈Λ Bλ − → λ∈Λ Hom(A, Bλ ). (VI.3) Sind AλL abelsche Gruppen, λ ∈ Λ, dann induzieren die kanonischen Inklusionen L ′ Homomorphismen Hom ′, B Aλ → A → Hom(A A ′ ′ λ λ , B) und λ λ ∈Λ λ ∈Λ diese definieren einen kanonischen Isomorphismus ∼ L = Q Hom → λ∈Λ Hom(Aλ , B). (VI.4) λ∈Λ Aλ , B − VI.2.1. Beispiel. Es gilt Hom(Z, B) ∼ = {b ∈ = B, α 7→ α(1), und Hom(Zn , B) ∼ B : nb = 0}, α 7→ α(1̄). Insbesondere erhalten wir Hom(Z, Z) ∼ = = Z, Hom(Z, Zn ) ∼ ∼ Zn , Hom(Zn , Z) = 0 und Hom(Zn , Zm ) = Zggt(n,m) . Diese Berechnungen zusammen mit (VI.3) und (VI.4) erlauben die Bestimmung von Hom(A, B) für endlich erzeugte abelsche Gruppen A und B, siehe Satz IV.4.15. Insbesondere ist Hom(A, Z) endlich erzeugt und rank(Hom(A, Z)) = rank(A), (VI.5) für jede endlich erzeugte abelsche Gruppe A. Ist weiters K ein Körper mit Charakteristik 0, dann ist Hom(A, K) ein endlich dimensionaler K-Vektorraum und dimK (Hom(A, K)) = rank(A), (VI.6) denn Hom(Z, K) = K und Hom(Zn , K) = {k ∈ K | nk = 0} = 0. Ist C∗ ein Kettenkomplex und A eine abelsche Gruppe, dann definieren wir einen Kokettenkomplex Hom(C∗ , A) durch Hom(C∗ , A)q := Hom(Cq , A), C ∂ q := (∂q+1 )∗ : Hom(Cq , A) → Hom(Cq+1 , A), C dh. (∂ q α)(c) := α(∂q+1 (c)), α ∈ Hom(Cq , A), c ∈ Cq+1 . Jede Kettenabbildung ′ ϕ : C∗ → C∗ induziert eine Kokettenabbildung ϕ∗ : Hom(C∗′ , A) → Hom(C∗ , A), (ϕ∗ β)(c) := β(ϕ(c)), β ∈ Hom(Cq′ , A), d ∈ Cq . Offensichtlich liefert dies einen kontravarianten Funktor Hom(−, G) von der Kategorie der Kettenkomplexe in die Kategorie der Kokettenkomplexe, dh. für Kettenabbildungen ϕ : C∗ → C∗′ und ψ : C∗′ → C∗′′ gilt (ψ ◦ ϕ)∗ = ϕ∗ ◦ ψ ∗ . Ist A = R ein kommutativer Ring, dann ist Hom(C∗ , R) in kanonischer Weise ein R-Modul und wir erhalten einen kontravarianten Funktor Hom(−, R) von der Kategorie der Kettenkomplexe in die Kategorie der Kokettenkomplexe über R, dh. ϕ∗ : Hom(C∗′ , R) → Hom(C∗ , R) ist R-linear. Schließlich induziert ein Gruppenhomomorphismus α : A → A′ eine Kokettenabbildung α∗ : Hom(C∗ , A) → Hom(C∗ , A′ ) und dies ist funktoriell. Wir schreiben auch Hom(ϕ, α) = ϕ∗ ◦ α∗ = α∗ ◦ ϕ∗ : Hom(C∗′ , A) → Hom(C∗ , A′ ). 298 VI. KOHOMOLOGIE VI.2.2. Bemerkung. Sind C∗λ , λ ∈ Λ, Kettenkomplexe undL A eine abelsche λ λ′ Gruppe, dann induzieren die kanonischen Inklusionen C∗ → λ′ ∈Λ C∗ einen Isomorphismus von Kokettenkomplexen, siehe (VI.4), L ∼ = Q λ Hom → λ∈Λ Hom(C∗λ , A). λ∈Λ C∗ , A) − Ist A = R ein kommutativer Ring, dann ist dies ein Isomorphismus von RModuln. VI.2.3. Bemerkung. Sind ϕ ≃ ψ : C∗ → D∗ kettenhomotop, dann sind auch ϕ ≃ ψ ∗ : Hom(D∗ , A) → Hom(C∗ , A) kettenhomotop, für jede abelsche Gruppe A. Insbesondere folgt aus C∗ ≃ D∗ sofort Hom(C∗ ; A) ≃ Hom(D∗ ; A). ∗ VI.3. Der Ext-Funktor. Analog zu Proposition V.1.13 gilt ϕ1 ϕ2 VI.3.1. Proposition. Ist A1 −→ A2 −→ A3 → 0 eine exakte Sequenz abelscher Gruppen, und B eine weitere abelsche Gruppe, dann ist auch ϕ∗ ϕ∗ 1 2 Hom(A1 , B) ←− Hom(A2 , B) ←− Hom(A3 , B) ← 0 eine exakte Sequenz. Beweis. Ist α3 ∈ ker(ϕ∗2 ), dh. α3 : A3 → B, α3 ◦ ϕ2 = 0, dann folgt aus der Surjektivität von ϕ2 , dass α3 = 0, also ist die Sequenz bei Hom(A3 , B) exakt. Aus ϕ2 ◦ ϕ1 = 0 folgt auch sofort ϕ∗1 ◦ ϕ∗2 = 0 und daher img(ϕ∗2 ) ⊆ ker(ϕ∗1 ). Ist α2 ∈ ker(ϕ∗1 ), dh. α2 : A2 → B und α2 ◦ ϕ1 = 0, dann faktorisiert α2 zu einem α2 Homomorphismus α3 : A3 ∼ = A2 / ker(ϕ2 ) = A2 / img(ϕ1 ) −→ B mit α3 ◦ ϕ2 = α2 , dh. α2 ∈ img(ϕ∗2 ). Damit ist auch ker(ϕ∗1 ) ⊆ img(ϕ∗2 ) gezeigt, die Sequenz ist daher auch bei Hom(A2 , B) exakt. ι π VI.3.2. Bemerkung. Ist 0 → A1 − → A2 − → A3 → 0 eine kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen, dann wird die Sequenz ι∗ π∗ 0 ← Hom(A1 , B) ← − Hom(A2 , B) ←− Hom(A3 , B) ← 0 2 i.A. bei Hom(A1 , B) nicht exakt sein. Dies kann beispielsweise bei 0 → Z − →Z→ Z2 → 0 und B = Z2 beobachtet werden. ι π VI.3.3. Bemerkung. Ist 0 → A1 − → A2 − → A3 → 0 eine splittende kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen, dann ist auch ι∗ π∗ 0 ← Hom(A1 , B) ← − Hom(A2 , B) ←− Hom(A3 , B) ← 0, eine splittende kurze exakte Sequenz, für jede weitere abelsche Gruppe B. Ist nämlich ρ : A2 → A1 ein Splitt, ρ ◦ ι = idA1 , dann folgt ι∗ ◦ ρ∗ = idHom(A1 ,B) , und daher ist ι∗ surjektiv. VI.3. DER EXT-FUNKTOR 299 ϕ0 ϕ1 Es sei nun F : 0 ← A ←− F0 ←− F1 ← · · · eine freie Auflösung einer abelschen Gruppe A, siehe Abschnitt V.2. Ist B eine weitere abelsche Gruppe B so erhalten wir einen Kokettenkomplex ϕ∗ ϕ∗ ϕ∗ 1 2 3 0 → Hom(F0 , B) −→ Hom(F1 , B) −→ Hom(F2 , B) −→ Hom(F3 , B) → · · · Wir bezeichnen diesen Kokettenkomplex mit Hom(F , B) und seine Kohomologie mit H ∗ (Hom(F , B)), dh. H k (Hom(F , B)) := ker(ϕ∗k+1 )/ img(ϕ∗k ). ϕ′ ϕ′ 1 0 F1′ ← · · · Sei nun α : A → A′ ein Homomorphismus und F ′ : 0 ← A′ ←− F0′ ←− ′ ′ eine freie Auflösung von A . Weiters sei αk : Fk → Fk eine Ausdehnung von α wie in Lemma V.2.3(i). Wir erhalten eine Kokettenabbildung 0 / Hom(F0 , B) ϕ∗1 O / α∗0 0 / Hom(F1 , B) ϕ∗2 / O Hom(F2 , B) α∗1 Hom(F0′ , B) (ϕ′1 )∗ / Hom(F1′ , B) / O ··· α∗2 (ϕ′2 )∗ / Hom(F2′ , B) / ··· und diese induziert einen Homomorphismus der Kohomologiegruppen den wir mit α∗ : H ∗ (Hom(F ′ , B)) → H ∗ (Hom(F , B)) bezeichnen. Nach Lemma V.2.3(ii) und Bemerkung VI.2.3 ist dieser Homomorphismus unabhängig von der Wahl der Ausdehnung. Ist α′ : A′ → A′′ ein weiterer Homomorphismus und F ′′ eine freie Auflösung von A′′ dann gilt offensichtlich (α′ ◦ α)∗ = α∗ ◦ (α′ )∗ : H ∗ (Hom(F ′′ , B)) → H ∗ (Hom(F , B)) (VI.7) sowie (idA )∗ = idH ∗ (Hom(F ,B)) . Wenden wir dies auf idA : A → A an so erhalten wir VI.3.4. Lemma. Sind F und F ′ zwei freie Auflösungen einer abelschen Gruppe A, und ist B eine weitere abelsche Gruppe, dann existiert ein kanonischer Isomorphismus H ∗ (Hom(F ′ , B)) = H ∗ (Hom(F , B)). Die Kohomologie H ∗ (Hom(F , B)) ist daher, bis auf kanonischen Isomorphismus, unabhängig von der Wahl der freien Auflösung. Für zwei abelsche Gruppen A und B definieren wir Extn (A, B) := H n (Hom(F , B)), wobei F eine freie Auflösung von A ist. Für eine fixe abelsche Gruppe B erhalten wir also kontravariante Funktoren Extn (−, B) : aGrp → aGrp, siehe (VI.7). VI.3.5. Bemerkung. Für eine fixe abelsche Gruppe A erhalten wir aber auch kovariante Funktoren Extn (A, −) : aGrp → aGrp. Ist nämlich β : B → B ′ 300 VI. KOHOMOLOGIE ein Homomorphismus und F eine freie Auflösung von A, so erhalten wir eine Kettenabbildung Hom(F , β) : Hom(F , B) → Hom(F , B ′), und diese induziert Homomorphismen β∗ : H n (Hom(F , B)) → H n (Hom(F , B ′)). Eine einfache Überlegung zeigt, dass dies tatsächlich funktoriell ist, dh. für jeden weiteren Homomorphismus β ′ : B ′ → B ′′ gilt (β ′ ◦ β)∗ = β∗′ ◦ β∗ : Extn (A, B) → Extn (A, B ′′ ) sowie (idB )∗ = idExtn (A,B) . Ist α : A′ → A ein Homomorphismus, dann gilt sogar α∗ ◦ β∗ = β∗ ◦ α∗ : Extn (A, B) → Extn (A′ , B ′ ). Wir können daher Extn : aGrp × aGrp → aGrp als Bifunktor auffassen, und schreiben auch Extn (α, β) : Extn (A, B) → Extn (A′ , B ′ ) für den induzierten Homomorphismus. VI.3.6. Bemerkung. Der Funktor Extn ist additiv, dh. sind α1 , α2 : A′ → A und β : B → B ′ Homomorphismen abelscher Gruppen, dann gilt Extn (α1 + α2 , β) = Extn (α1 , β) + Extn (α2 , β) : Extn (A, B) → Extn (A′ , B ′ ). Ebenso gilt Extn (α, β1 + β2 ) = Extn (α, β1 ) + Extn (α, β2 ) für Homomorphismen α : A′ → A und β1 , β2 : B → B ′ . VI.3.7. Bemerkung. Es gilt stets Ext0 (A, B) = Hom(A, B), siehe Proposition VI.3.1. Weiters haben wir Extn (A, B) = 0, für n ≥ 2, denn es existiert stets eine freie Auflösung der Form 0 ← A ← F0 ← F1 ← 0, siehe Bemerkung V.2.2. Es ist daher nur Ext1 (A, B) interessant.92 Wir schreiben von nun an Ext(A, B) := Ext1 (A, B). Dies ist ein additiver Funktor Ext : aGrp × aGrp → aGrp. i VI.3.8. Bemerkung. Ist 0 → R − → F → A → 0 exakt und F frei abelsch, dann gilt Hom(R, B) i∗ Ext(A, B) = coker Hom(F, B) − → Hom(R, B) = . img(i∗ ) Dies folgt sofort aus der Definition von Ext und der (nicht-trivialen) Tatsache, dass auch R eine freie abelsche Gruppe sein muss, siehe Satz IV.4.12. VI.3.9. Beispiel. Ist F frei abelsch, dann gilt Ext(F, B) = 0. In diesem idF Fall haben wir nämlich eine freie Auflösung 0 ← F ←−− F ← 0. Insbesondere gilt Ext(Z, B) = 0, für jede abelsche Gruppe B, also auch Ext(Z, Z) = 0 und Ext(Z, Zn ) = 0. VI.3.10. Beispiel. Es gilt Ext(Zn , B) = B/nB, für jede abelsche Gruppe B. n Dies folgt aus der freien Auflösung 0 ← Zn ← Z ← − Z ← 0 und Hom(Z, B) = B, siehe auch Bemerkung VI.3.8. Insbesondere erhalten wir Ext(Zn , Z) ∼ = Zn und Ext(Zn , Zm ) = Zggt(n,m) . 92Obige Überlegungen lassen sich in offensichtlicherweise auf Moduln über einem kommutativen Ring R verallgemeinern. Ist R kein Hauptidealring, dann ist Extn i.A. auch für n ≥ 2 nicht-trivial. VI.3. DER EXT-FUNKTOR 301 VI.3.11. Bemerkung. Es gilt Ext(A ⊕ A′ , B) = Ext(A, B) × Ext(A′ , B). ϕ0 ϕ1 Betrachte dazu freie Auflösungen 0 ← A ←− F0 ←− F1 ← · · · von A und 0 ← ϕ′ ϕ′ 1 0 F1′ ← · · · von A′ . Verwenden wir nun die freie Auflösung A′ ←− F0′ ←− ϕ1 ⊕ϕ′ ϕ0 ⊕ϕ′ 1 0 F1 ⊕ F1′ ← · · · 0 ← A ⊕ A′ ←−−−− F0 ⊕ F0′ ←−−−− von A ⊕ A′ zur Berechnung von Ext(A ⊕ A′ , B) so folgt sofort Ext(A ⊕ A′ , B) = Ext(A, B) × Ext(A′ , B), siehe Bemerkung VI.2.2 und (VI.2). Völlig analog erhalten wir für beliebige Indexmengen Λ Q L Ext A , B = λ∈Λ Ext(Aλ , B). (VI.8) λ λ∈Λ Es gilt auch Ext(A, B × B ′ ) = Ext(A, B) × Ext(A, B ′ ) und allgemeiner Q Q Ext A, λ∈Λ Bλ = λ∈Λ Ext(A, Bλ ). Dies folgt aus (VI.3) und (VI.2). Zusammen mit den Berechnungen in den Beispielen VI.3.9 und VI.3.10 ermöglicht dies die Bestimmung von Ext(A, B) für endlich erzeugte abelsche Gruppen A und B, siehe Satz IV.4.15. Insbesondere ist Ext(A, Z) endlich erzeugt und rank(Ext(A, Z)) = 0, (VI.9) für jede endlich erzeugte abelsche Gruppe A. VI.3.12. Bemerkung. Es seien A und B zwei abelsche Gruppen. Unter einer Erweiterung von A durch B verstehen wir eine kurze exakte Sequenz 0 → B → E → A → 0. Zwei solche Erweiterungen E und E ′ werden als äquivalent betrachtet, wenn ein Isomorphismus E ∼ = E ′ existiert, der folgendes Diagramm kommutativ macht: 0 / / B / E / A 0 ∼ = 0 / B / E′ / A / 0 Es existiert eine natürliche Bijektion zwischen Ext(A, B) und der Menge der Äquivalenzklassen von Erweiterungen 0 → B → E → A → 0, siehe etwa [6, Chapter III, Theorem 2.4]. VI.3.13. Bemerkung. Für einen kommutativen Ring mit Eins R und eine abelsche Gruppe A, ist Ext(A, R) in kanonischer Weise ein R-Modul. Dabei definieren wir die Skalarmultiplikation mit r ∈ R durch den von dem Gruppenhor momorphismus R − → R induzierten Homomorphismus Ext(idA , r) : Ext(A, R) → Ext(A, R). Aus der Funktorialität und Additivität von Ext folgt sofort, dass die Modulaxiome gelten. Der von einem Homomorphismus ϕ : A′ → A induzierte Homomorphismus ϕ∗ : Ext(A, R) → Ext(A′ , R) ist offensichtlich R-linear, wir erhalten daher einen Funktor Ext(−, R) : aGrp → ModR . Insbesondere ist 302 VI. KOHOMOLOGIE Ext(A, K) ein K-Vektorraum, für jeden Körper K, und wir erhalten einen Funktor Ext(−, K) : aGrp → VspK . Ist A endlich erzeugt und hat K Charakteristik 0, dann folgt aus Satz IV.4.15 und (VI.8) sofort Ext(A, K) = 0, (VI.10) denn Ext(Z, K) = 0, siehe Beispiel VI.3.9, und Ext(Zn , K) = K/nK = 0, siehe Beispiel VI.3.10. VI.3.14. Satz (Universelles Koeffiziententheorem). Ist C∗ ein freier Kettenkomplex und A eine abelsche Gruppe, dann existiert eine natürliche kurze exakte Sequenz 0 → Ext(Hn−1 (C), A) → H n (Hom(C∗ , A)) → Hom(Hn (C), A) → 0, (VI.11) dh. für jede Kettenabbildung ϕ : C∗′ → C∗ und jeden Homomorphismus ρ : A → A′ kommutiert das Diagramm: / 0 Ext(Hn−1 (C), A) / H n (Hom(C∗ , A)) / Hom(Hn (C), A) Hom(ϕ,ρ)∗ Ext(ϕ∗ ,ρ) 0 / Ext(Hn−1 (C ′ ), A′ ) / H n (Hom(C∗′ , A′ )) / 0 / Hom(ϕ∗ ,ρ) Hom(Hn (C ′ ), A′ ) / 0 Die Sequenz (VI.3.14) splittet, es gilt daher H n (Hom(C∗ , A)) ∼ = Hom(Hn (C), A) ⊕ Ext(Hn−1 (C), A). (VI.12) Der Splitt kann jedoch nicht natürlich in C∗ gewählt werden. Ist R = A ein kommutativer Ring mit Eins, dann ist (VI.11) eine splittende kurze exakte Sequenz von R-Moduln, der Splitt kann R-linear gewählt werden, und es existiert daher ein Isomorphismus von R-Moduln wie in (VI.12). Beweis. Bezeichnen Zn := ker(∂n ) und Bn−1 := img(∂n−1 ), dann ist ∂ n 0 → Zn → Cn −→ Bn−1 → 0 (VI.13) eine kurze exakte Sequenz. Als Untergruppe der freien abelschen Gruppe Cn−1 ist auch Bn−1 eine freie ablesche Gruppe, siehe Satz IV.4.12. Nach Proposition IV.4.9 splittet daher die kurze exakte Sequenz (VI.13). Also ist auch ∂∗ n Hom(Cn , A) → Hom(Zn , A) → 0 0 → Hom(Bn−1 , A) −→ (VI.14) VI.3. DER EXT-FUNKTOR 303 eine splittende kurze exakte Sequenz, siehe Bemerkung VI.3.3. Wir können dies als kurze exakte Sequenz von Kokettenkomplexen auffassen: .. . .. . ∗ ∂n 0 0 / Hom(Bn−1 , A) / 0 / 0 Hom(Cn , A) / Hom(Zn , A) ∗ ∂n+1 0 .. . Hom(Bn , A) / / Hom(Zn+1, A) ∗ ∂n+2 0 / 0 0 .. . 0 0 Hom(Cn+1 , A) / .. . .. . Der Einhängungshomomorphismus der entsprechenden langen exakten Sequenz, siehe Proposition VI.1.2, stimmt mit i∗n : Hom(Zn , A) → Hom(Bn , A) überein, wobei in : Bn → Zn die kanonische Inklusion bezeichnet. Wir erhalten daher eine exakte Sequenz i∗n−1 Hom(Zn−1 , A) −−→ Hom(Bn−1 , A) → H n (Hom(C∗ , A)) → i∗ n → Hom(Zn , A) − → Hom(Bn , A) und dies liefert eine kurze exakte Sequenz: 0 → coker(i∗n−1 ) → H n (Hom(C∗ , A)) → ker(i∗n ) → 0. (VI.15) Nach Bemerkung VI.3.8 liefert die kurze exakte Sequenz i n 0 → Bn − → Zn → Hn (C) → 0 eine exakte Sequenz i∗ n → Hom(Bn , A) → Ext(Hn (C), A) → 0. 0 → Hom(Hn (C), A) → Hom(Zn , A) − Wir schließen daraus ker(i∗n ) = Hom(Hn (C), A) und coker(i∗n ) = Ext(Hn (C), A). Kombinieren wir dies mit (VI.15) so erhalten wir die gewünschte kurze exakte Sequenz 0 → Ext(Hn−1 (C), A) → H n (Hom(C∗ , A)) → Hom(Hn (C), A) → 0. (VI.16) Die Natürlichkeit dieser Sequenz ist offensichtlich, jeder Schritt in ihrer Konstruktion war natürlich. Ist ρn : Cn → Zn ein Splitt von (VI.13), so können wir ρ diese als Kettenabbildung (C∗ , ∂) − → H∗ (C), ∂ = 0 auffassen. Dies liefert eine ρ∗ Kettenabbildung Hom(H∗ (C), A), ∂ = 0 −→ Hom(C∗ , A), und diese induziert 304 VI. KOHOMOLOGIE Homomorphismen in der Kohomologie, Hom(Hn (C), A) → H n (Hom(C∗ ), A). Eine einfache Überlegung zeigt, dass dies tatsächlich ein Splitt von (VI.16) ist. Für den Rest dieses Abschnitts sei nun C∗ ein Kettenkomplex über einem kommutativen Ring R. Es ist dann HomR (C∗ , R) in natürlicher Weise ein Kokettenkomplex über R. Wir haben eine kanonische R-bilineare Abbildung HomR (Cq , R) × Cq → R, (α, a) 7→ α(a), die zu einer R-bilinearen Abbildung H n (HomR (C∗ , R)) × Hn (C∗ ) → R, ([α], [a]) 7→ α(a) faktorisiert. Wir können diese auch als R-Modul Homomorphismus H n (HomR (C∗ , R)) → HomR (Hn (C∗ ), R) (VI.17) auffassen. Für R = Z ist dies genau der Homomorphismus im universellen Koeffiziententheorem, siehe Satz VI.3.14 mit A = Z. In diesem Fall ist (VI.17) daher surjektiv, aber i.A. nicht injektiv. Ist R = K ein Körper so gilt VI.3.15. Satz (Universelles Koeffiziententheorem). Ist C∗ ein Kettenkomplex über einem Körper K, dann liefert (VI.17) einen natürlicher Isomorphismus H n (HomK (C∗ , K)) ∼ = HomK (Hn (C∗ ), K). Beweis. Über einem Körper splittet jede kurze exakte Sequenz. Wie im Beweis von Satz VI.3.14 erhalten wir daher eine kurze exakte Sequenz von KVektorräumen ∂∗ n 0 → HomK (Bn−1 , K) −→ HomK (Cn , K) → HomK (Zn , K) → 0 und diese führt zu einer kurze exakte Sequenz von K-Vektorräumen, 0 → coker(i∗n−1 ) → H n (HomK (C∗ , K)) → ker(i∗n ) → 0, (VI.18) wobei in : Bn → Zn die Inklusion der Ränder in die Zyklen bezeichnet, und i∗ n → HomK (Bn , K). HomK (Zn , K) − i n Da auch 0 → Bn − → Zn → Hn (C∗ ) → 0 splittet, erhalten wir eine kurze exakte Sequenz i∗ n 0 → HomK (Hn (C∗ ), K) → HomK (Zn , K) − → HomK (Bn , K) → 0 und damit ker(i∗n ) = HomK (Hn (C∗ ), K) und Zusammen mit (VI.18) folgt der Satz. coker(i∗n ) = 0. VI.4. SINGULÄRE KOHOMOLOGIE 305 VI.4. Singuläre Kohomologie. Sei nun (X, A) ein Paar von Räumen und G eine abelsche Gruppe. Wir definieren den singulären Kokettenkomplex von (X, A) mit Werten in G durch C ∗ (X, A; G) := Hom(C∗ (X, A), G). Dabei wird C q (X, A; G) = Hom(Cq (X, A), G) als die q-te singuläre Kokettengruppe bezeichnet, das Kodifferential ist durch (∂q+1 )∗ ∂ q : C q (X, A; G) = Hom(Cq (X, A), G) −−−−−→ Hom(Cq+1 (X, A); G) = C q+1 (X, A; G) gegeben. Wir definieren die singuläre Kohomologie von (X, A) mit Werten in G als die Kohomologie des Kokettenkomplexes C ∗ (X, A; G), dh. H q (X, A; G) := H q (C ∗ (X, A; G)). Die Gruppe H q (X, A; G) wird die q-te Kohomologiegruppe des Paares (X, A) mit Koeffizienten in G genannt. Jede Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) liefert eine Kettenabbildung (f♯ )∗ f ♯ : C q (Y, B; G) = Hom(Cq (Y, B), G) −−−→ Hom(Cq+1 (X, A), G) = C q+1 (X, A; G), und diese induziert einen Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen f ∗ : H ∗ (Y, B; G) → H ∗ (X, A; G). Dies ist funktoriell, dh. für jede weitere Abbildung g : (Y, B) → (Z, C) gilt (g ◦ f )♯ = f ♯ ◦ g ♯ sowie id♯(X,A) = idC ∗ (X,A;G) , und daher (g ◦ f )∗ = f ∗ ◦ g ∗ und (id(X,A) )∗ = idH ∗ (X,A;G) . Für jede abelsche Gruppe erhalten wir also einen kontravarianten Funktor H ∗ (−; G) : Top2 → aGrp∗ . Wir fassen dies in folgender Proposition zusammen. VI.4.1. Proposition (Singuläre Kohomologie). Singuläre Kohomologie mit Koeffizienten in einer abelschen Gruppe G liefert einen kontravarianten Funktor H ∗ (−; G) : Top2 → aGrp∗ von der Kategorie der Paare topologischer Räume in die Kategorie der graduierten abelschen Gruppen. Einem Paar von Räumen (X, A) wird dabei die graduierte abelsche Gruppe H ∗ (X, A; G) zugeordnet, und jeder Abbildung von Paaren f : (X, A) → (Y, B) entspricht der Homomorphismus f ∗ : H ∗ (Y, B; G) → H ∗ (X, A; G). Für jede weitere Abbildung von Paaren g : (Y, B) → (Z, C) gilt (g ◦ f )∗ = f ∗ ◦ g ∗ sowie id∗(X,A) = idH ∗ (X,A;G) . Wir definieren absolute Kohomologiegruppen H ∗ (X; G) := H ∗ (X, ∅; G), dh. H ∗ (X; G) ist die Kohomologie des Kokettenkomplexes Hom(C∗ (X), G). Dies liefert einen kontravarianten Funktor H ∗ (−; G) : Top → aGrp∗ , für jede abelsche Gruppe G. Im Fall G = Z schreiben wir H ∗ (X, A) := H ∗ (X, A; Z) bzw. H ∗ (X) := H ∗ (X; Z). VI.4.2. Bemerkung. Ist G = R ein kommutativer Ring, dann ist C ∗ (X, A; R) und daher auch H ∗ (X, A; R) in kanonischer Weise ein R-Modul. Auch sind die von stetigen Abbildungen f : (X, A) → (Y, B) induzierten Homomorphismen 306 VI. KOHOMOLOGIE f ∗ : H ∗ (Y, B; G) → H ∗(X, A; G) offensichtlich R-linear. Wir erhalten daher Funktoren H ∗ (−; R) : Top2 → Mod∗R mit Werten in der Kategorie der graduierten R-Moduln. Ist R = K ein Körper, dann hat dieser Funktor Werte in der Kategorie der graduierten K-Vektorräume. VI.4.3. Bemerkung. Jeder Homomorphismus ρ : G → G′ induziert eine Kettenabbildung ρ∗ : C ∗ (X, A; G) → C ∗ (X, A; G′ ) und einen Homomorphismus graduierter abelscher Gruppen ρ∗ : H ∗ (X, A; G) → H ∗ (X, A; G′ ). Wir können die singuläre Kohomologie daher auch als Funktor H ∗ (−; −) : Top2 × aGrp → aGrp∗ auffassen. Dieser ist kontravariant im Raum und kovariant in der Koeffizientengruppe, dh. für jeden weiteren Homomorphsimus ρ′ : G′ → G′′ gilt (ρ′ ◦ ρ)∗ = ρ′∗ ◦ ρ∗ : H ∗(X, A; G) → H ∗ (X, A; G′′ ). Ist f : (X ′ , A′ ) → (X, A) eine Abbildung von Paaren dann schreiben wir in diesem Zusammenhang auch H q (f, ρ) := f ∗ ◦ ρ∗ = ρ∗ ◦ f ∗ : H q (X, A; G) → H q (X ′ , A′ ; G′ ). VI.4.4. Proposition (Additivität). Sind (Xλ ,FAλ ) PaareFvon Räumen, λ∈ ′ ′ Λ, dann inuzieren die Inklusionen (Xλ , Aλ ) → für jede λ′ ∈Λ Xλ , λ′ ∈Λ Aλ abelsche Gruppe G einen Isomorphisimus ∼ F F = Q H ∗ λ′ ∈Λ Xλ′ , λ′ ∈Λ Aλ′ ; G − → λ∈Λ H ∗ (Xλ , Aλ ; G). Beweis. Wir erinnern uns, dass die Inklusionen einen Isomorphismus von Kettenkomplexen induzieren, L F F ∼ = → C∗ λ′ ∈Λ Xλ′ , λ′ ∈Λ Aλ′ . λ∈Λ C∗ (Xλ , Aλ ) − Mittels Bemerkung VI.2.2 erhalten wir einen Isomorphsimus von Kokettenkomplexen Q F F ∼ = ∗ − C ∗ λ′ ∈Λ Xλ′ , λ′ ∈Λ Aλ′ ; G λ∈Λ C (Xλ , Aλ ; G) ← und dieser induziert den gewünschten Isomorphismus von Kohomologiegruppen, siehe auch (VI.2). VI.4.5. Proposition (Homotopieinvarianz). Je zwei homotope Abbildungen von Paaren f ≃ g : (X, A) → (Y, B) induzieren denselben Homomorphismus in der Kohomologie f ∗ = g ∗ : H ∗ (Y, B; G) → H ∗ (X, A; G) für jede abelsche Gruppe G. Beweis. Nach Satz IV.7.4 sind f♯ ≃ g♯ : C∗ (X, A) → C∗ (Y, B) kettenhomotop. Mittels Bemerkung VI.2.3 folgt, dass auch f ♯ ≃ g ♯ : C ∗ (Y, B; G) → C ∗ (X, A; G) kettenhomotp sind. Also induzieren sie denselben Homomorphismus in der Kohomologie. VI.4.6. Proposition (Excision). Es sei (X, A) ein Paar von Räumen und Z ⊆ A eine Teilmenge, sodass Z̄ ⊆ Å. Dann induziert die kanonische Inklusion ∼ = (X \Z, A\Z) → (X, A) einen Isomorphismus H ∗ (X, A; G) − → H ∗ (X \Z, A\Z; G), für jede abelsche Gruppe G. VI.4. SINGULÄRE KOHOMOLOGIE 307 Beweis. Nach Satz IV.9.1 induziert die Inklusion ι : (X \ Z, A \ Z) → (X, A) eine Kettenhomotopieäquivalenz ι♯ : C∗ (X \ Z, A \ Z) → C∗ (X, A). Mittels Bemerkung VI.2.3 folgt, dass auch ι♯ : C ∗ (X, A; G) → C ∗ (X \ Z, A \ Z; G) eine Kettenhomotopieäquivalenz ist. Die Inklusion induziert daher einen Isomorphsimus in der Kohomologie. VI.4.7. Proposition (Lange exakte Sequenz eines Tripels). Ist (X, A, B) ein Tripel von Räumen und G eine abelsche Gruppe, dann existiert eine natürliche lange exakte Sequenz j∗ i∗ δ · · · → H q (X, A; G) − → H q (X, B; G) − → H q (A, B; G) − → H q+1(X, A; G) → · · · j i wobei (A, B) − → (X, B) − → (X, A) die Inklusionen bezeichnen. Für jede Abbildung von Tripeln f : (X ′ , A′ , B ′ ) → (X, A, B) und jeden Homomorphismus ρ : G → G′ kommutiert das Diagramm: / ··· j∗ H q (X, A; G) / H q (X, B; G) H q (f,ρ) / ··· i∗ / j H q (X ′ , A′ ; G′ ) ∗ / H q (X ′ , B ′ ; G′ ) / i∗ / δ H q (A′ , B ′ ; G′ ) / H q+1 (X, A; G) H q (f |A′ ,ρ) H q (f,ρ) δ H q (A, B; G) ··· / H q+1 (f,ρ) / H q+1 (X ′ , A′ ; G′ ) ··· Ist G = R ein kommutativer Ring, dann sind dies exakte Sequenzen von RModuln, dh. auch der Einhängungshomomorphismus ist R-linear. Beweis. Wir betrachten die kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen j♯ i♯ → C∗ (X, A) → 0. → C∗ (X, B) − 0 → C∗ (A, B) − Da dies freie Kettenkomplexe sind splittet die Sequenz und daher ist j♯ i♯ 0 → C ∗ (X, A; G) − → C ∗ (X, B; G) − → C ∗ (A, B; G) → 0 eine kurze exakte Sequenz von Kokettenkomplexen, siehe Bemerkung VI.3.3. Nach Proposition VI.1.2 induziert diese die gewünschte lange exakte Sequenz. Die Natürlichkeit folgt aus der Kommutativität des Diagramms / 0 C ∗ (X, A; G) j♯ / C ∗ (X, B; G) f ♯ ◦ρ∗ 0 / C ∗ (X ′ , A′ ; G′ ) i♯ / C ∗ (A, B; G) / C ∗ (X ′ , B ′ ; G′ ) 0 (f |A′ )♯ ◦ρ∗ f ♯ ◦ρ∗ j♯ / i♯ / C ∗ (A′ , B ′ ; G′ ) / 0 und der Natürlichkeitsaussage in Proposition VI.1.2. Spezialisieren wir Proposition VI.4.7 auf B = ∅ so erhalten wir VI.4.8. Proposition (Lange exakte Sequenz eines Paares). Ist (X, A) ein Paar von Räumen und G eine abelsche Gruppe, dann existiert eine natürliche lange exakte Sequenz i∗ δ · · · → H q (X, A; G) → H q (X; G) − → H q (A; G) − → H q+1(X, A; G) → · · · 308 VI. KOHOMOLOGIE wobei i : A → X die Inklusion bezeichnet. Für jede Abbildung von Paaren f : (X ′ , A′ ) → (X, A) und jeden Homomorphismus ρ : G → G′ kommutiert das Diagramm: / ··· / H q (X, A; G) H q (X; G) H q (f,ρ) / ··· i∗ / H q (A; G) H q (X ′ , A′ ; G′ ) / H q (X ′ ; G′ ) / i∗ / H q (A′ ; G′ ) δ / H q+1 (X, A; G) H q (f |A′ ,ρ) H q (f,ρ) δ ··· H q+1 (f,ρ) / / H q+1 (X ′ , A′ ; G′ ) ··· Ist G = R ein kommutativer Ring, dann sind dies exakte Sequenzen von RModuln, dh. auch der Einhängungshomomorphismus ist R-linear. VI.4.9. Proposition (Mayer–Vietoris Sequenz). Es sei (X; U, V ) eine excisive Triade, siehe Lemma V.6.12, und G eine abelsche Gruppe. Dann haben wir natürliche lange exakte Mayer–Vietoris Sequenzen (i∗ ,i∗ ) δ V → H q (U ; G) ⊕ H q (V ; G) → · · · → H q−1 (U ∩ V ; G) − → H q (U ∪ V ; G) −−U−− j ∗ −j ∗ δ V U −− −−→ H q (U ∩ V ; G) − → H q+1 (U ∪ V ; G) → · · · ι jU ι jV U V wobei U −→ U ∪ V , V −→ U ∪ V , U ∩ V −→ U und U ∩ V −→ V die kanonischen Inklusionen bezeichnen. Weiters haben wir eine natürliche lange exakte (relative) Mayer–Vietoris Sequenz (i∗ ,i∗ ) δ V → H q (X, U ; G) ⊕ H q (X, V ; G) → · · · → H q−1 (X, U ∩ V ; G) − → H q (X, U ∪ V ; G) −−U−− j ∗ −j ∗ δ U V −− −−→ H q (X, U ∩ V ; G) − → H q+1 (X, U ∪ V ; G) → · · · ι j ι U U V wobei nun (X, U) −→ (X, U ∪ V ), (X, V ) −→ (X, U ∪ V ), (X, U ∩ V ) −→ (X, U) jV und (X, U ∩ V ) −→ (X, V ) die kanonischen Inklusionen bezeichnen. Ist G = R ein kommutativer Ring, dann sind dies exakte Sequenzen von R-Moduln, dh. auch der Einhängungshomomorphismus ist R-linear. Beweis. Betrachte den Teilkomplex C∗U (U ∪ V ) := C∗ (U) + C∗ (V ) ⊆ C∗ (U ∪ V ). ≃ Nach Lemma V.6.12(iv) ist die Inklusion C∗U (U ∪ V ) − → C∗ (U ∪ V ) eine Kettenhomotoieäquivalenz. Nach Bemerkung VI.2.3 induziert diese eine Kettenhomoto≃ pieäquivalenz C ∗ (U ∪ V ; G) − → Hom(C∗U (U ∪ V ), G) und daher Isomorphismen ∼ = → H q Hom(C∗U (U ∪ V ), G) . (VI.19) H q (U ∪ V ; G) − Da die kurze exakte Sequenz ((jU )♯ ,−(jV )♯ ) (iU )♯ +(iV )♯ 0 → C∗ (U ∩ V ) −−−−−−−−→ C∗ (U) ⊕ C∗ (V ) −−−−−−→ C∗U (U ∪ V ) → 0 splittet, ist ♯ (i♯ ,i♯V ) ∗ −jV♯ jU −−→ C ∗ (U ∩ V ; G) → 0 → C (U ; G) ⊕ C ∗ (V ; G) −− 0 → Hom(C∗U (U ∪ V ), G −−U−− VI.4. SINGULÄRE KOHOMOLOGIE 309 eine kurze exakte Sequenz von Kokettenkomplexen, siehe Bemerkung VI.3.3. Kombinieren wir die davon induzierte lange exakte Sequenz in Proposition VI.1.2 mit (VI.19) so erhalten wir die gewünschte Mayer–Vietoris Sequenzen. Für die relativen Version betrachten wir die kanonische Kettenabbildung C∗U (X, U ∪ V ) := C∗ (X) C∗ (X) → = C∗ (X, U ∪ V ). C∗ (U) + C∗ (V ) C∗ (U ∪ V ) Nach Lemma V.6.12(vi) ist dies eine Kettenhomotopieäquivalenz, induziert daher ≃ eine Kettenhomotopieäquivalenz C ∗ (X, U ∪ V ; G) − → Hom(C∗U (X, U ∪ V ), G), siehe Bemerkung VI.2.3, und damit Isomorphismen ∼ = H q (X, U ∪ V ; G) − → H q Hom(C∗U (X, U ∪ V ), G) . (VI.20) Da die kurze exakte Sequenz ((jU )♯ ,−(jV )♯ ) (iU )♯ +(iV )♯ 0 → C∗ (X, U ∩ V ) −−−−−−−−−→ C∗ (X, U ) ⊕ C∗ (X, V ) −−−−−−−→ C∗U (X, U ∪ V ) → 0 splittet, ist ♯ ♯ ´ (i♯ ,i♯V ) jU −jV 0 → Hom(C∗U (X, U ∪ V ), G −−U−−− → C ∗ (X, U ; G) ⊕ C ∗ (X, V ; G) −− −−−→ C ∗ (X, U ∩ V ; G) → 0 eine kurze exakte Sequenz von Kokettenkomplexen, siehe Bemerkung VI.3.3. Kombinieren wir die davon induzierte lange exakte Sequenz in Proposition VI.1.2 mit (VI.20) so erhalten wir die relative Mayer–Vietoris Sequenzen. i p VI.4.10. Proposition (Bockstein-Homomorphismen). Ist 0 → G1 − → G2 − → G3 → 0 eine kurze exakte Sequenz abelscher Gruppen und (X, A) ein Paar von Räumen, dann existiert eine natürliche lange exakte Sequenz93 p∗ i β ∗ · · · → H q (X, A; G1 ) − → H q (X, A; G2 ) −→ H q (X, A; G3 ) − → H q+1 (X, A; G1 ) → · · · Ist f : (X ′ , A′ ) → (X, A) eine Abbildungvon Paaren, und ist i G1 / 0 / G2 ϕ1 / 0 G′1 p G3 / ϕ2 i′ / G′2 / 0 / 0 ϕ3 p′ / G′3 ein kommutatives Diagramm mit exakten Zeilen, dann kommutiert auch das Diagramm: H q (X, A; G1 ) i∗ / H q (X, A; G2 ) i′∗ H q (f,ϕ1 ) H q (X ′ , A′ ; G′1 ) 93Die p∗ / H q (X, A; G3 ) p′∗ H q (f,ϕ2 ) / H q (X ′ , A′ ; G′ ) 2 β / H q+1 (X, A; G1 ) β H q (f,ϕ3 ) / H q (X ′ , A′ ; G′ ) 3 H q+1 (f,ϕ1 ) / H q+1 (X ′ , A′ ; G′ ) 1 Einhängungshomomorphismen β werden Bockstein-Homomorphismen genannt. 310 VI. KOHOMOLOGIE Beweis. Da C(X, A) ein freier Kettenkomplex ist, bildet p∗ i ∗ 0 → C ∗ (X, A; G1 ) − → C ∗ (X, A; G3 ) → 0 → C ∗ (X, A; G2 ) − eine kurze exakte Sequenz von Kokettenkomplexen. Aus Proposition VI.1.2 erhalten wir nun die gewünschte lange exakte Sequenz. Die Natürlichkeit folgt aus der Kommutativität des Diagramms 0 / C ∗ (X, A; G1 ) i∗ / C ∗ (X, A; G2 ) f ♯ ◦(ϕ1 )∗ 0 / C ∗ (X ′ , A′ ; G′1 ) p∗ / C ∗ (X, A; G3 ) f ♯ ◦(ϕ2 )∗ i′∗ / C ∗ (X ′ , A′ ; G′2 ) / 0 f ♯ ◦(ϕ3 )∗ p′∗ / C ∗ (X ′ , A′ ; G′3 ) und der Natürlichkeitsaussage in Proposition VI.1.2. / 0 VI.4.11. Satz (Universelles Koeffiziententheorem). Ist (X, A) ein Paar von Räumen und G eine abelsche Gruppe, dann existiert eine natürliche kurze exakte Sequenz 0 → Ext(Hq−1 (X, A), G) → H q (X, A; G) → Hom(Hq (X, A), G) → 0, (VI.21) dh. für jede Abbildung von Paaren f : (X ′ , A′ ) → (X, A) und jeden Homomorphismus ρ : G → G′ kommutiert das Diagramm: 0 / Ext(Hq−1 (X, A), G) / H q (X, A; G) H q (f,ρ) Ext(f∗ ,ρ) 0 / Ext(Hq−1 (X ′ , A′ ), G′ ) / Hom(Hq (X, A), G) / H q (X ′ , A′ ; G′ ) /0 Hom(f∗ ,ρ) / Hom(Hq (X ′ , A′ ), G′ ) /0 Die Sequenz (VI.21) splittet, es gilt daher H q (X, A; G) ∼ = Hom(Hq (X, A), G) ⊕ Ext(Hq−1 (X, A), G). (VI.22) Dieser Splitt kann jedoch nicht natürlich in (X, A) gewählt werden. Ist G = R ein kommutativer Ring, dann ist (VI.21) eine exakte Sequenz von R-Moduln, der Splitt kann R-linear gewählt werden, und es existiert daher Isomorphismus von R-Moduln wie in (VI.22). Beweis. Dies folgt aus Satz VI.3.14 angewandt auf den singulären Kettenkomplex C∗ (X, A). VI.4.12. Korollar. Ist f : (X, A) → (Y, B) eine Abbildung von Paaren ∼ = → H∗ (Y, B) induziert, dann ist auch die einen Isomorphismus f∗ : H∗ (X, A) − ∼ = → H ∗ (X, A; G) ein Isomorphismus, für jedes abelsche G. f ∗ : H ∗ (Y, B; G) − Beweis. Dies folgt aus Satz VI.4.11 und dem Fünferlemma. VI.4. SINGULÄRE KOHOMOLOGIE 311 VI.4.13. Proposition. Es sei A ⊆ X eine nicht-leere abgeschlossene Teilmenge, die Deformationsretrakt einer Umgebung U von A ist. Dann induziert die Projektion p : (X, A) → (X/A, A/A) einen Isomorphismus ∼ = → H ∗ (X, A; G), p∗ : H ∗ (X/A, A/A; G) − für jede abelsche Gruppe G. Beweis. Dies folgt aus Korollar IV.9.2 und Korollar VI.4.12. VI.4.14. Bemerkung. Nach dem universellen Koeffiziententheorem, siehe Satz VI.4.11, gilt H 0 (X, A; G) = Hom(H0 (X, A), G). Hat X nur endlich viele Wegzusammenhangskomponenten, dann ist H 0 (X) eine freie abelsche Gruppe mit rank(H 0 (X)) = rank(H0 (X)) = b0 (X). Hat X unendlich viele Wegzusammenhangskomponenten dann bleibt dies nicht richtig. VI.4.15. Bemerkung. Es sei X ein wegzusammenhängender Raum und G eine abelsche Gruppe. Mit Hilfe von Satz VI.4.11 und dem Huréwicz-Isomorphismus H1 (X) ∼ = π1 (X)ab , siehe Satz IV.11.3, folgt H 1 (X; G) = Hom(H1 (X), G) = Hom(π1 (X)ab , G) = Hom(π1 (X), G), denn jeder Homomorphismus π1 (X) → G in eine abelsche Gruppe G faktorisiert durch die Abelisierung π1 (X) → π1 (X)ab . Hier haben wir auch Ext(H0 (X), G) = 0 verwendet, siehe Beispiel VI.3.9. VI.4.16. Bemerkung. Es sei (X, A) ein Paar von Räumen mit endlich erzeugter Homologie. Dann ist auch H ∗ (X, A) endlich erzeugt, es gilt bq (X, A) = rank(H q (X, A)), P und daher auch χ(X, A) = q (−1)q rank(H q (X, A)). Dies folgt aus Satz VI.4.11, (VI.5) und (VI.9). Für jeden Körper K mit Charakteristik 0, ist H ∗ (X, A; K) ein endlich dimensionaler K-Vektorraum, es gilt bq (X, A) = dimK (H q (X, A; K)) P und daher auch χ(X, A) = q (−1)q dimK (H q (X, A; K)). Dies folgt sofort aus Satz VI.4.11, (VI.6) und (VI.10). Für beliebige Körper bleibt obige Formel für die Bettizahlen nicht richtig, es gilt jedoch stets P χ(X, A) = q (−1)q dimK (H q (X, A; K)), siehe Korollar V.3.7 und Korollar VI.4.17 unten. Es sei nun R ein kommutativer Ring mit Eins. Da Cn (X, A; R) = Cn (X, A)⊗R und C n (X, A; R) = Hom(Cn (X, A), R) haben wir eine R-bilineare Abbildung C n (X, A; R) × Cn (X, A; R) → R, hα, c ⊗ ri := rα(c). (VI.23) H n (X, A; R) × Hn (X, A; R) → R, h[α], [a]i := hα, ai. (VI.24) Dieses sogenannte Skalarprodukt erfüllt offensichtlich h∂α, ai = hα, ∂ai und faktorisiert daher zu einer R-bilinearen Abbildung 312 VI. KOHOMOLOGIE Wir können das Skalarprodukt (VI.24) auch als R-Modulhomomorphismus H n (X, A; R) → HomR (Hn (X, A; R), R) (VI.25) auffassen. Für R = Z erhalten wir den Homomorphismus im universellen Koeffiziententheorem, siehe Satz VI.4.11 mit G = Z. In diesem Fall ist (VI.25) daher surjektiv aber i.A. nicht injektiv. Ist R = K ein Körper dann gilt VI.4.17. Korollar. Ist (X, A) ein Paar von Räumen und K ein Körper, dann definiert (VI.25) einen natürlichen Isomorphismus ∼ = → HomK (Hn (X, A; K), K), H n (X, A; K) − dh. H n (X, A; K) kann in kanonischer Weise mit dem Dualraum von Hn (X, A; K) identifiziert werden. Beweis. Wenden wir Satz VI.3.15 auf den Kettenkomplex C∗ (X, A) ⊗ K an so erhalten wir H n (HomK (C∗ (X, A) ⊗ K, K)) ∼ = HomK (Hn (X, A; K), K). Zusammen mit der natürlichen Identifikation Hom(C∗ (X, A), K) = HomK (C∗ (X, A) ⊗ K, K) folgt das Korollar. VI.4.18. Beispiel. Ist X kontrahierbar, dann gilt ( G falls q = 0 q H (X; G) ∼ = 0 sonst Dies folgt aus Satz VI.4.11 oder aus Proposition VI.4.5. VI.4.19. Beispiel. Aus Satz VI.4.11 erhalten wir ( G falls q = 0 oder q = n H q (S n ; G) = Hom(Hq (S n ), G) ∼ . = 0 sonst Im Fall n = 0 ist dies als H 0 (S n ; G) ∼ = G ⊕ G zu lesen. Ebenso erhalten wir94 ( G falls q = n H q (D n , S n−1; G) ∼ = = H̃ q (S n ; G) ∼ = H q (Rn , Rn \ {0}; G) ∼ 0 sonst für jede abelsche Gruppe G. Ist f : S n → S n eine stetige Abbildung dann ist der induzierte Homomorphismus f ∗ : H̃ n (S n ; G) → H̃ n (S n ; G) durch Multiplikation mit dem Abbildungsgrad deg(f ) gegeben. Dies folgt aus der Natürlichkeitsaussage in Satz VI.4.11. 94Die reduzierte Kohomologie H̃ ∗ (X; G) definieren wir als H̃ ∗ (X; G) := H ∗ (X; G)/ img(c∗ : H ({∗}; G) → H ∗ (X; G)), wobei c : X → {∗} die konstante Abbildung bezeichnet. Für X 6= ∅ gilt dann H 0 (X; G) ∼ = H̃ 0 (X; G) ⊕ G und H q (X; G) = H̃ q (X; G) für alle q 6= 0. ∗ VI.4. SINGULÄRE KOHOMOLOGIE 313 VI.4.20. Beispiel. Aus Satz VI.4.11 und Beispiel V.4.13 bzw. Beispiel V.7.37 erhalten wir ( G falls q = 0, 2, 4, . . . , 2n H q (CPn ; G) = Hom(Hq (CPn ), G) ∼ = 0 sonst und ( G falls q = 0, 2, 4, 6, . . . H (CP ; G) = Hom(Hq (CP ), G) ∼ = 0 sonst q ∞ ∞ Ist n ≤ m ≤ ∞ dann induziert die kanonische Inklusion ι : CPn → CPm Isomor∼ = → H q (CPn ; G), für alle q ≤ 2n. phismen ι∗ : H q (CPm ; G) − VI.4.21. Beispiel. Aus Satz VI.4.11 und Beispiel V.4.13 bzw. Beispiel V.7.38 erhalten wir ( G falls q = 0, 4, 8, . . . , 4n H q (HPn ; G) = Hom(Hq (HPn ), G) ∼ = 0 sonst und ( G falls q = 0, 4, 8, 12, . . . H q (HP∞ ; G) = Hom(Hq (HP∞ ), G) ∼ = 0 sonst Ist n ≤ m ≤ ∞ dann induziert die kanonische Inklusion ι : HPn → HPm Isomor∼ = → H q (HPn ; G), für alle q ≤ 2n. phismen ι∗ : H q (HPm ; G) − VI.4.22. Beispiel. Aus Satz VI.4.11 und Proposition V.4.14 Z falls q = 0 Z falls q = n ungerade H q (RPn ) ∼ = Z2 falls 0 < q ≤ n und q gerade 0 sonst sowie Z falls q = 0 q ∞ ∼ H (RP ) = Z2 falls q = 2, 4, 6, 8, . . . 0 sonst Mit Koeffizienten in Z2 erhalten wir ( Z2 falls q = 0, 1, 2, 3, . . . , n H q (RPn ; Z2 ) ∼ = 0 sonst bzw. H q (RP∞ ; Z2 ) ∼ = Z2 , für alle q ≥ 0. Aus Proposition V.4.14 und der Natürlichkeitsaussage in Satz VI.4.11 folgt auch, dass die kanonische Inklusion ι : ∼ = → H q (RPn ; Z2 ) RPn → RPm , n ≤ m ≤ ∞, Isomorphismen ι∗ : H q (RPm ; Z2 ) − induziert, für alle q ≤ n, vgl. Beispiel V.4.13. 314 VI. KOHOMOLOGIE VI.5. Kohomologie Kreuzprodukt. Sei nun R ein kommutativer Ring mit Eins. Weiters seien (X, A) und (Y, B) zwei Paare von Räumen, sodass (X × Y ; A × Y, X × B) eine excisive Triade bildet, siehe Lemma V.6.12. Ist Q eine Eilenberg–Zilber Äquivalenz, siehe Abschnitt V.6, dann erhalten wir eine Kettenhomotopieäquivalenz, siehe Satz V.6.2, Q: C(X × Y ) ≃ C(X) ⊗ C(Y ) − → = C(X, A) ⊗ C(Y, B). (VI.26) C(A × Y ) + C(X × B) C(A) ⊗ C(B) Nach Lemma V.6.12(vi) ist auch die kanonische Kettenabbildung C(X × Y ) ≃ − → C(X × Y, A × Y ∪ X × B) C(A × Y ) + C(X × B) (VI.27) eine Kettenhomotopieäquivalenz. Komposition von (VI.26) mit einer Homotopieinversen von (VI.27) liefert eine Kettenhomotopieäquivalenz ≃ C(X × Y, A × Y ∪ X × B) − → C(X, A) ⊗ C(Y, B). Diese induziert eine Kettenhomotoieäquivalenz, siehe Bemerkung VI.2.3, ≃ ∗ Q∗ : Hom C(X, A) ⊗ C(Y, B), R − → C (X × Y, A × Y ∪ X × B; R). und daher einen Isomorphismus graduierter R-Moduln ∼ = → H ∗ (X ×Y, A×Y ∪X ×B; R), (VI.28) Q∗ : H ∗ Hom C(X, A)⊗C(Y, B), R − der nach Satz V.6.2 nicht von der Wahl von Q abhängt. Die natürliche R-lineare Kokettenabbildung C ∗ (X, A; R) ⊗R C ∗ (Y, B; R) = µ = Hom(C(X, A), R) ⊗R Hom(C(Y, B), R) − → Hom C(X, A) ⊗ C(Y, B), R , µ(α, β)(c⊗d) := (−1)|β||c|α(c)β(d), induziert einen Homomorphismus graduierter R-Moduln µ∗ H ∗ C ∗ (X, A; R)⊗R C ∗ (Y, B; R) −→ H ∗ Hom C(X, A)⊗C(Y, B), R . (VI.29) Schließlich erinnern wir uns an den natürlichen Homomorphismus λ aus (V.36), vgl. Bemerkung VI.2.3, λ H ∗ (X, A; R) ⊗R H ∗ (Y, B; R) − → H ∗ C ∗ (X, A; R) ⊗R C ∗ (Y, B; R) . (VI.30) Die Komposition der Homomorphismen (VI.28), (VI.29) und (VI.30) wird das Kohomologie-Kreuzprodukt genannt, und mit × H ∗ (X, A; R) ⊗R H ∗ (Y, B; R) − → H ∗ (X × Y, A × Y ∪ X × B; R) bezeichnet. Äquivalent, können wir das Kohomologie-Kreuzprodukt auch als Rbilineare Abbildungen × H p (X, A; R) × H q (Y, B; R) − → H p+q (X × Y, A × Y ∪ X × B; R) VI.5. KOHOMOLOGIE KREUZPRODUKT 315 auffassen. Nach Definition gilt also α × β = Q∗ µ∗ λ(α ⊗ β), für α ∈ H ∗ (X, A; R) und β ∈ H ∗ (Y, B; R). Das Kohomologie-Kreuzprodukt hat folgende Eigenschaften. VI.5.1. Satz (Kohomologie-Kreuzprodukt). Sind R ein kommutativer Ring mit Eins, α ∈ H ∗ (X, A; R), β ∈ H ∗ (Y, B; R), γ ∈ H ∗ (Z, C; R), a ∈ H∗ (X, A; R), b ∈ H∗ (Y, B; R), ρ : R → R′ ein Ringhomomorphismus und f : X ′ → X sowie g : Y ′ → Y stetig, dann gilt: (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi) (α × β) × γ = α × (β × γ). (Assotiativität) |α||β| ∗ β × α = (−1) T (α × β). (graduierte Kommutativität95) α × 1Y = pr∗X α, 1X × β = pr∗Y β. (Einselement96) ∗ ∗ ∗ (f × g) (α × β) = f α × g β. (Natürlichkeit) hα × β, a × bi = hα, aihβ, bi. (Dualität97) ρ∗ (α × β) = ρ∗ α × ρ∗ β. (Natürlichkeit im Koeffizientenring) Beweis. Ad Behauptung (i): Nach Satz V.6.2 gilt (Q ⊗ id) ◦ Q ≃ (id ⊗Q) ◦ Q und daher: (α × β) × γ = Q∗ µ∗ λ Q∗ µ∗ λ(α ⊗ β)) ⊗ γ = Q∗ µ∗ λ(Q∗ ⊗ id)(µ∗ λ ⊗ id)(α ⊗ β ⊗ γ) = Q∗ (Q ⊗ id)∗ (µ∗ λ)(µ∗ λ ⊗ id)(α ⊗ β ⊗ γ) = Q∗ (id ⊗Q)∗ (µ∗ λ)(id ⊗µ∗ λ)(α ⊗ β ⊗ γ) = Q∗ µ∗ λ(id ⊗Q∗ )(id ⊗µ∗ λ)(α ⊗ β ⊗ γ) = Q∗ µ∗ λ α ⊗ Q∗ µ∗ λ(β ⊗ γ) = α × (β × γ) Ad Behauptung (ii): Nach Satz V.6.2 gilt τ ◦ Q ≃ Q ◦ T♯ und daher T ∗ (α × β) = T ∗ Q∗ µ∗ λ(α ⊗ β) = Q∗ τ ∗ µ∗ λ(α ⊗ β) = Q∗ µ∗ τ ∗ λ(α ⊗ β) = Q∗ µ∗ λτ (α ⊗ β) = (−1)|α||β| Q∗ µ∗ λ(β ⊗ α) = (−1)|α||β| β × α 95Wobei T : X × Y → Y × X, T (x, y) := (y, x). bezeichnet 1X ∈ H 0 (X; R) das Bild des kanonischen Erzeugers 1R ∈ H 0 ({∗}; R) = R unter dem von der konstanten Abbildung c : X → {∗} iduzierten Homomorphismus c∗ : H 0 ({∗}; R) → H 0 (X; R). Weiters bezeichnen prX : X × Y → X und prY : X × Y → Y die beiden kanonischen Projektionen. 97Wobei die spitzen Klammern das Skalarprodukt aus (VI.24) bezeichnen. 96Dabei 316 VI. KOHOMOLOGIE Ad Behauptung (iv): Mittels Natürlichkeit erhalten wir: (f × g)∗ (α × β) = (f × g)∗ Q∗ µ∗ λ(α ⊗ β) = Q∗ (f♯ ⊗ g♯ )∗ µ∗ λ(α ⊗ β) = Q∗ µ∗ (f ♯ ⊗ g ♯)∗ λ(α ⊗ β) = Q∗ µ∗ λ(f ∗ ⊗ g ∗ )(α ⊗ β) = Q∗ µ∗ λ(f ∗ α ⊗ g ∗ β) = f ∗ α × g ∗ β Ad Behauptung (iii): Um α × 1Y = pr∗X α zu zeigen, beobachten wir zunächst, dass dies im Fall Y = {∗} sofort aus (V.45) folgt. Bezeichnet nun c : Y → {∗} die konstante Abbildung dann erhalten wir mittels (iv) α × 1Y = α × c∗ 1{∗} = (idX ×c)∗ (α × 1{∗} ) = (idX ×c)∗ α = pr∗X α. Ad Behauptung (v): Nach Satz V.6.2 gilt Q ◦ P ≃ id und daher hα × β, a × bi = Q∗ µ∗ λ(α ⊗ β), P∗ λ(a ⊗ b) = µ∗ λ(α ⊗ β), Q∗ P∗ λ(a ⊗ b) = µ∗ λ(α ⊗ β), λ(a ⊗ b) = hα, aihβ, bi Ad Behauptung (vi): ρ∗ (α × β) = ρ∗ Q∗ µ∗ λ(α ⊗ β) = Q∗ ρ∗ µ∗ λ(α ⊗ β) = Q∗ µ∗ ρ∗ λ(α ⊗ β) = Q∗ µ∗ λ(ρ∗ ⊗ ρ∗ )(α ⊗ β) = Q∗ µ∗ λ(ρ∗ α ⊗ ρ∗ β) = ρ∗ α × ρ∗ β VI.5.2. Bemerkung (Stabilität). Das Kohomologie Kreuzprodukt ist mit dem Einhängungshomomorphismus kompatibel, dh. folgendes Diagramm kommutiert: × H p (A; R) ⊗R H q (Y, B; R) / H p+q (A × Y, A × B; R) O ∼ = i∗ H p+q (A × Y ∪ X × B, X × B; R) δ⊗id δ H p+1(X, A; R) ⊗ H q (Y, B; R) × / H p+q+1 (X × Y, A × Y ∪ X × B; R) Dabei bezeichnet i : (A × Y, A × B) → (A × Y ∪ X × B, X × B) die Inklusion, die nach Lemma V.6.12(i) einen Isomorphismus in der Kohomologie induziert. Im Fall B = ∅ ist i∗ die identische Abbildung und es gilt daher δ(α × β) = (δα) × β für α ∈ H ∗ (A; R) und β ∈ H ∗ (Y ; R). Genaueres findet sich etwa in [2, Chapter VII, Section 7]. Wir formulieren das Künneth Theorem für die Kohomologie nur mit Koeffizienten in einem Körper, für eine allgemeinere Version siehe [2, Chapter VII, Proposition 7.6]. VI.5. KOHOMOLOGIE KREUZPRODUKT 317 VI.5.3. Satz (Künneth Theorem). Es seien K ein Körper und (X, A) sowie (Y, B) zwei Paare von Räumen, sodass (X × Y ; A × Y, X × B) eine excisive Triade bildet. Weiters sei H q (X, A; K) endlich dimensional, für jedes q. In dieser Situation liefert das Kohomologie Kreuzprodukt einen Isomorphsimus ∼ = × : H ∗ (X, A; K) ⊗K H ∗ (Y, B; K) − → H ∗ (X × Y, A × Y ∪ X × B; K). Beweis. Das Kohomologie Kreuzprodukt wurde als Komposition der Homomorphismen (VI.28), (VI.29) und (VI.30) definiert. Der erste dieser Homomorphismen (VI.28) ist ein Isomorphismus. Nach Satz V.5.7 ist (VI.30) ein Isomorphismus. Es ließe sich nun leicht verifizieren, dass dass auch (VI.29) ein Isomorphismus ist, womit der Beweis vollständig wäre. Wir wollen hier allerdings ein anderes Argument geben, das auf dem Künneth Theorem für die Homologie beruht. Dazu betrachten wir das Diagramm: H ∗ (X, A; K) ⊗K H ∗ (Y, B; K) × / H ∗ (X × Y, A × Y ∪ X × B; K) ∼ = h−,−i⊗h−,−i H∗ (X, A; K)′ ⊗ H∗ (Y, B; K)′ h−,−i ∼ = ∼ = ′ H∗ (X, A; K) ⊗ H∗ (Y, B; K) o ×′ ∼ = H∗ (X × Y, A × Y ∪ X × B; K)′ Dabei schreiben wir V ′ := HomK (V, K), und h−, −i bezeichnet das Skalarprodukt aus (VI.25). Nach Satz VI.5.1(v) kommutiert das Diagramm. Nach Korollar VI.4.17 sind die von den Skalarprodukten induzierten Pfeile Isomorphismen. Aufgrund von Korollar V.6.17 ist der untere horizontale Pfeil ein Isomorphismus. Da H p (X, A; K) für jedes p endlich dimensional ist, gilt dies auch für Hp (X, A; K) und daher muss der linke untere vertikale Pfeil ein Isomorphismus sein. Wir schließen daraus, dass auch der obere horizontale Pfeil ein Isomorphismus ist. VI.5.4. Beispiel. Wir wollen nun an einem einfachen Beispiel demonstrieren, dass die Voraussetzung an die Dimension von H q (X, A; K) in Satz VI.5.3 wirklich notwendig ist. Wir betrachten dazu den diskreten topologischen Raum X := Z. Aus dem universellen Koeffiziententheorem erhalten wir ′ Q L Q H 0 (X; K) = H0 (X; K)′ = = Z K ′ = Z K = K Z, ZK wobei K Z den K-Vektorraum aller Funktionen Z → K bezeichnet. Ebenso erhalten wir H 0 (X × X; K) = K Z×Z . Bezüglich dieser Isomorphismen ist das Koho× mologie Kreuzprodukt H 0 (X; K) ⊗ H 0(X; K) − → H 0 (X × X; K) durch K Z ⊗ K Z → K Z×Z , f ⊗ g 7→ (f ◦ pr1 )(g ◦ pr2 ) (VI.31) gegeben, wobei pri : Z×Z → Z die Projektion auf die beiden Faktoren bezeichnen. Beachte, dass die lineare Abbildung (VI.31) nicht surjektiv Pn ist, denn nicht jede Funtion h : Z × Z → K lässt sich in der Form h(a, b) = i=1 fi (a)gi (b) schreiben. 318 VI. KOHOMOLOGIE × Daher kann auch das Kreuzprodukt H 0 (X; K) ⊗ H 0 (X; K) − → H 0 (X × X; K) nicht surjektiv sein. VI.5.5. Bemerkung. Aus der konkreten Eilenberg–Zilber Äquivalenz in Bemerkung V.6.4 erhalten wir eine explizite Formel für das Kohomoogie Kreuzprodukt auf Kettenlevel. Sind α ∈ C p (X; R) und β ∈ C q (Y ; R) so definieren wir α × β ∈ C p+q (X × Y ; R) auf singulären Simplizes σ : ∆p+q → X × Y durch p+q hα × β, σi := hα, πX ◦ σ ◦ ip+q p ihβ, πY ◦ σ ◦ jp i. Es gilt dann ∂(α × β) = ∂α × β + (−1)|α| α × ∂β, und daher induziert dies einen Homomorphismus H ∗ (X; R) ⊗R H ∗ (Y ; R) → H ∗ (X × Y ; R), [α] ⊗ [β] 7→ [α × β]. Dieser Homomorphismus stimmt mit dem Kohomologie Kreuzprodukt überein. VI.6. Das Cup-Produkt. Es sei R ein kommutativer Ring mit Eins. Weiters seien (X, A) und (X, B) zwei Paare von Räumen, sodass (X × X; A × X ∪ X ×B) eine excisive Triade bildet. In dieser Situation haben wir ein Kohomologie Kreuzprodukt × H ∗ (X, A; R) ⊗R H ∗ (X, B; R) − → H ∗ X × X, A × X ∪ X × B; R . (VI.32) Weiters betrachten wir den von der Diagonalabbildung D : (X, A ∪ B) → (X × X, A × X ∪ X × B), D(x) := (x, x), induzierten Homomorphismus D∗ H ∗ X × X, A × X ∪ X × B; R −→ H ∗ (X, A ∪ B; R). (VI.33) Die Komposition von (VI.32) mit (VI.33) liefert das sogenannte Cup-Produkt ∪ H ∗ (X, A; R) ⊗R H ∗ (X, B; R) − → H ∗(X, A ∪ B; R), α ∪ β := D ∗ (α × β). Äquivalent können wir das Cup-Produkt auch als R-bilineare Abbildungen auffassen, ∪ H p (X, A; R) × H q (X, B; R) − → H p+q (X, A ∪ B; R). VI.6.1. Korollar (Cup-Produkt). Sind R ein kommutativer Ring mit Eins, α ∈ H ∗ (X, A; R), β ∈ H ∗ (X, B; R), γ ∈ H ∗ (X, C; R), a ∈ H∗ (X, A; R), b ∈ H∗ (X, B; R), ρ : R → R′ ein Ringhomomorphsimus und f : X ′ → X stetig, dann gilt: (i) (α ∪ β) ∪ γ = α ∪ (β ∪ γ). (Assotiativität) |α||β| (ii) β ∪ α = (−1) α ∪ β. (graduierte Kommutativität) (iii) α ∪ 1X = α = 1X ∪ α. (Einselement98) ∗ ∗ ∗ (iv) f (α ∪ β) = f α ∪ f β. (Natürlichkeit) 98Dabei setzen wir X 6= ∅ voraus, und 1X ∈ H 0 (X; R). VI.6. DAS CUP-PRODUKT 319 (v) α1 × α2 = pr∗X1 α1 ∪ pr∗X2 α2 . (Relation mit Kreuzprodukt99) (vi) (α1 × α2 ) ∪ (β1 × β2 ) = (−1)|α2 ||β1 | (α1 ∪ β1 ) × (α2 ∪ β2 ) (vii) ρ∗ (α ∪ β) = ρ∗ α ∪ ρ∗ β (Natürlichkeit im Koeffizientering) Beweis. Aus Satz VI.5.1(i) und der Relation (D × idX ) ◦ D = (idX ×D) ◦ D erhalten wir (i): (α ∪ β) ∪ γ = D ∗ D ∗ (α × β) × γ = D ∗ (D × idX )∗ α × β × γ = D ∗ (idX ×D)∗ α × β × γ = D ∗ α × D ∗ (β × γ) = α ∪ (β ∪ γ) Ebenso erhalten wir aus Satz VI.5.1(ii) und der Relation T ◦ D = D sofort (ii): β ∪ α = D ∗ (β × α) = (T ◦ D)∗ (β × α) = (−1)|α||β| D ∗ (α × β) = (−1)|α||β| α ∪ β Mittels Satz VI.5.1(iii) und der Relation pr1 ◦D = idX folgt (iii): α ∪ 1X = D ∗ (α × 1X ) = D ∗ pr∗1 α = (pr1 ◦D)∗ α = α Nach Satz VI.5.1(iv) und wegen der Relation DX ◦ f = (f × f ) ◦ DX ′ erhalten wir (iv): ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ f ∗ (α ∪ β) = f ∗ DX (α × β) = DX ′ (f × f ) (α × β) = DX ′ (f α × f β) = f α ∪ f β Aus Satz VI.5.1(iv) und der Identität (prX1 × prX2 ) ◦ DX1 ×X2 = idX1 ×X2 folgt auch (v): ∗ pr∗X1 α1 × pr∗X2 α2 pr∗X1 α1 ∪ pr∗X2 α2 = DX 1 ×X2 ∗ = DX (prX1 × prX2 )∗ (α1 × α2 ) 1 ×X2 ∗ = (prX1 × prX2 ) ◦ DX1 ×X2 (α1 × α2 ) = α1 × α2 Behauptung (vi) ist eine Konsequenz der vorangehenden Aussagen: (α1 × α2 ) ∪ (β1 × β2 ) = pr∗X1 α1 ∪ pr∗X2 α2 ∪ pr∗X1 β1 ∪ pr∗X2 β2 = (−1)|α2 ||β1 | pr∗X1 α1 ∪ pr∗X1 β1 ∪ pr∗X2 α2 ∪ pr∗X2 β2 = (−1)|α2 ||β1 | pr∗X1 (α1 ∪ β1 ) ∪ pr∗X2 (α2 ∪ β2 ) = (−1)|α2 ||β1 | (α1 ∪ β1 ) × (α2 ∪ β2 ) Aus Satz VI.5.1(vi) folgt schließlich (vii): ρ∗ (α ∪ β) = ρ∗ D ∗ (α × β) = D ∗ ρ∗ (α × β) = D ∗ (ρ∗ α × ρ∗ β) = ρ∗ α ∪ ρ∗ β 99Wobei prX1 : (X1 × X2 , A1 × X2 ) → (X1 , A1 ) und prX2 : (X1 × X2 , X1 × A2 ) → (X2 , A2 ) die beiden kanonischen Projektionen bezeichnen. 320 VI. KOHOMOLOGIE VI.6.2. Korollar (Kohomologie Ring). Ist X 6= ∅ ein topologischer Raum und R ein kommutativer Ring mit Eins, dann wird H ∗(X; R) mit dem CupProdukt zu einer graduiert kommutativen und assotiativen Algebra mit Einselement 1X ∈ H 0 (X; R). Jede stetige Abbildung f : X → Y induziert einen Homomorphismus graduierter R-Algebren f ∗ : H ∗ (Y ; R) → H ∗ (X; R). Das Kohomologie Kreuzprodukt × H ∗ (X; R) ⊗R H ∗ (Y ; R) − → H ∗ (X × Y ; R) ist ein Homomorphismus graduierter R-Algebren. VI.6.3. Bemerkung. Homotopieäquivalente topologische Räume müssen also isomorphe Kohomologieringe haben. Dies ermöglicht es topologische Räume zu unterscheiden, auch wenn ihre Kohomologiegruppen im additiven Sinn isomorph sind. VI.6.4. Bemerkung (Stabilität). Auch das Cup-Produkt ist mit dem Einhängungshomomorphismus kompatible. Bezeichnen i : (A, A ∩ B) → (X, B) und j : (A, A ∩ B) → (A ∪ B, B) die Inklusionen dann induziert j eine Isomorphismus in der Kohomologie, siehe Lemma V.6.12(i), und das folgende Diagramm kommutiert: H p (A; R) ⊗R H q (A, A ∩ B; R) ∪ / O H p+q (A, A ∩ B; R) O ∼ = j∗ id ⊗i∗ H p (A; R) ⊗R H q (X, B; R) H p+q (A ∪ B, B; R) δ⊗id H p+1 (X, A; R) ⊗R H q (X, B; R) δ ∪ / H p+q+1(X, A ∪ B; R) Die Kommutativität dieses Diagramms lässt sich leicht aus Bemerkung VI.5.2 herleiten. Im Fall B = ∅ ist j ∗ die identische Abbildung und wir erhalten δ(α ∪ i∗ β) = (δα) ∪ β, wobei i : A → X die Inklusion bezeichnet und α ∈ H ∗ (A; R), β ∈ H ∗ (X; R). VI.6.5. Bemerkung. Aus der expliziten Formel für das Kohomologie Kreuzprodukt auf Kettenlevel, siehe Bemerkung VI.5.5, erhalten wir auch eine analoge Formel für das Cup-Produkt. Sind α ∈ C p (X; R) und β ∈ C q (X; R) so definieren wir α ∪ β ∈ C p+q (X; R) auf singulären Simplizes σ : ∆p+q → X durch p+q hα ∪ β, σi := hα, σ ◦ ip+q p ihβ, σ ◦ jp i. Es gilt dann ∂(α ∪ β) = ∂α ∪ β + (−1)|α| α ∪ ∂β, und daher induziert dies einen Homomorphismus H ∗ (X; R) ⊗R H ∗ (X; R) → H ∗ (X; R), der mit dem Cup-Produkt überein stimmt. [α] ⊗ [β] 7→ [α ∪ β], VI.6. DAS CUP-PRODUKT 321 VI.6.6. Bemerkung. Das Cup-Produkt auf H ∗ (X; R) ist dual zu der Komultiplikation auf H∗ (X; R), siehe Proposition V.7.13, ∆ : H∗ (X; R) → H∗ (X; R) ⊗R H∗ (X; R). Wir erinnern uns, dass die Komultiplikation nur definiert wurde, wenn das Kreuz× produkt H∗ (X; R)⊗R H∗ (X; R) − → H∗ (X ×X; R) ein Isomorphismus ist. Nehmen wir weiters an, dass jedes Hq (X; R) einen endlich erzeugten freien R-Modul bildet, dann können wir die zu H∗ (X; R) duale graduiert kommutative R-Algebra HomR (H∗ (M; R), R) betrachten, siehe Proposition V.7.28. Der natürliche Homomorphismus (VI.25) h−, −i : H ∗ (X; R) → HomR (H∗ (X), R) (VI.34) ist ein Homomorphismus graduierter R-Algebren, denn mittels Satz VI.5.1(v) folgt hα ∪ β, ai = hD ∗ (α × β), ai = hα × β, D∗ ai = h×(α ⊗ β), ×∆ai = hα ⊗ β, ∆ai. Für einen Körper R = K, ist (VI.34) nach Korollar VI.4.17 sogar ein Isomorphismus. Ist X ein H-Raum mit Multiplikation µ : X × X → X so erhalten wir eine Komultiplikation µ∗ ×−1 H ∗ (X; R) −→ H ∗(X × X; R) −−→ H ∗ (X; R) ⊗R H ∗ (X; R). Wie im Beweis von Proposition V.7.8 lässt sich zeigen, dass dadurch H ∗ (X; R) zu einer graduiert kommutativen und assotiativen Hopf-Algebra wird, die i.A. weder graduiert kokommutativ noch koassotiativ sein wird. In dieser Situation ist (VI.34) ein Homomorphismus von Hopf-Algebren, denn hα, µ∗(a × b)i = hµ∗ α, a × bi = h×(×−1 µ∗ α), ×(a ⊗ b)i = h×−1 µ∗ α, a ⊗ bi. VI.6.7. Beispiel. Für den Kohomologiering der Sphären gilt |x| = n, H ∗ (S n ) ∼ = Z[x]/x2 , denn das Cup Produkt in H ∗ (S n ) muss aus Dimensionsgründen trivial sein. Für ungerades n können wir dies auch so schreiben: H ∗ (S n ) ∼ |x| = n. (VI.35) = ΛZ [x], Sind n1 , . . . , nk alle ungerade so erhalten wir mittels Korollar VI.6.2 und (VI.35) H ∗ (S n1 × · · · × S nk ) ∼ |xi | = ni , = ΛZ [x1 ] ⊗ · · · ⊗ ΛZ [xk ] ∼ = ΛZ [x1 , . . . , xk ], als graduierte Algebren, siehe auch Bemerkung V.7.7. VI.6.8. Beispiel. Nach Bemerkung VI.6.6 und Korollar V.7.30 erhalten wir für den Kohomologiering des komplexen projektiven Raums |x| = 2, H ∗ (CPn ) ∼ = Z[x]/xn+1 , bzw. H ∗ (CP∞ ) ∼ = Z[x], |x| = 2. 322 VI. KOHOMOLOGIE Ebenso gilt für den quaternionischen projektiven Raum H ∗ (HPn ) ∼ = Z[y]/y n+1, |y| = 4, bzw. H ∗ (HP∞ ; Z) ∼ = Z[y], Und für den reellen projektiven Raum folgt H ∗ (RPn ; Z2 ) ∼ = Z2 [w]/w n+1, |y| = 4. |w| = 1, bzw. H ∗(HP∞ ; Z2 ) ∼ = Z2 [w], |w| = 1. Wir werden später mit Hilfe der Poincaré Dualität einen alternativen Beweis dieser Resultate geben, der ohne Komultiplikation auskommt und die Mannigfaltigkeitsstruktur der projektiven Räume ausnutzt. VI.6.9. Bemerkung. Sind die Kohomologieringe der projektiven Räume einmal bekannt lassen sich alle Anwendungen der Komultiplikation die wir in den Abschnitten V.7 und V.8 besprochen haben auch mit Hilfe des Cup-Produkts herleiten. Wir wollen dies an zwei Beispielen verdeutlichen. Ist etwa f : CPn → CPn stetig und bezeichnet x ∈ H 2 (CPn ) einen Erzeuger, dann existiert λ ∈ Z mit f ∗ x = λx und da f ∗ : H ∗ (CPn ) → H ∗ (CPn ) ein Ringhomomorphismus ist, folgt sofort f ∗ (xq ) = (f ∗ x)q = (λx)q = λq xq . Es gilt daher f ∗ = λq : H 2q (CPn ) → H 2q (CPn ), vgl. Korollar V.7.31. Wie in Korollar V.7.32 folgt daraus, dass CPk nicht Retrakt von CPn sein kann, 1 ≤ k < n. Völlig analog lassen sich die anderen projektiven Räume behandeln. Ist RPn−1 ein H-Raum, dann muss die graduierte Algebra H ∗ (RPn−1 ; Z2 ) ∼ = Z2 [w]/w n eine Komultiplikation besitzten, die sie zu einer Hopf-Algebra macht, und dies ist nach Bemerkung V.7.22 nur für n = 2s möglich, s ∈ N0 , vgl. Korollar V.7.33(i). VI.6.10. Bemerkung. Auch die Hopf-Invariante, siehe Abschnitt V.9, einer stetigen Abbildung f : S 2n−1 → S n , n ≥ 2, lässt sich durch das Cup-Produkt ausdrücken. Wir erinnern uns, dass wir für die Definition der Hopfinvariante Erzeuger von Hn (S n ) fixiert haben, und dass diese Erzeuger a ∈ Hn (Cf ) ∼ = Z ∼ ∼ und b ∈ H2n (Cf ) = Z festlegen, die zusammen mit 1 ∈ H0 (Cf ) = Z eine Basis von H∗ (Cf ) bilden. Die Hopf-Invariante h(f ) ∈ Z wurde durch die Relation ∆n,n b = h(f )a ⊗ a definiert. Bezeichnen α ∈ H n (Cf ) ∼ =Z = Z und β ∈ H 2n (Cf ) ∼ jene Kohomologieklassen die durch hα, ai = 1 und hβ, bi = 1 charakterisiert sind, dann gilt α ∪ α = h(f )β, denn hα ∪ α, bi = hα ⊗ α, ∆bi = hα ⊗ α, h(f )a ⊗ ai = h(f ). Die Hopf-Invariante beschreibt daher den nicht-trivialen Teil des Cup-Produkts auf H ∗ (Cf ), alle Produkte außer H n (Cf ) ⊗ H n (Cf ) → H 2n (Cf ) sind trivial und unabhängig von f . VI.7. DAS CAP-PRODUKT 323 VI.7. Das Cap-Produkt. Es sei wieder R ein kommutativer Ring mit Eins. Weiters seien (X, A) und (Y, B) zwei Paare von Räumen, sodass (X×Y ; A×Y, X× B) eine excisive Triade bildet, siehe Lemma V.6.12. Mit Hilfe einer Eilenberg– Zilber Äquivalenz erhalten wir genau wie am Beginn von Abschnitt VI.5 eine Kettenhomotopieäquivalenz ≃ C(X × Y, A × Y ∪ X × B) − → C(X, A) ⊗ C(Y, B). Tensorieren mit dem Ring R liefert eine Kettenhomotopieäquivalenz ≃ C∗ (X × Y, A × Y ∪ X × B; R) − → C∗ (X, A; R) ⊗R C∗ (Y, B; R). Kombinieren wir dies mit der kanonischen Kettenabbildung Hom(C∗ (Y, B); R) ⊗R C∗ (X, A; R) ⊗R C∗ (Y, B; R) → C∗ (X, A; R), β ⊗ a ⊗ b 7→ (−1)|β||a| β(b)a, so erhalten wir eine Kettenabbildung C ∗ (Y, B; R) ⊗R C∗ (X × Y, A × Y ∪ X × B; R) → C∗ (X, A; R). Diese induziert Homomorphismen \ H q (Y, B; R) ⊗R Hp+q (X × Y, A × Y ∪ X × B; R) − → Hp (X, A; R), die als Slant-Produkt bezeichnet werden, β ⊗ c 7→ β \ c. Nach Satz V.6.2 ist dies unabhängig von der Wahl der Eilenberg–Zilber Äquivalenz. VI.7.1. Satz (Slant-Produkt). Es sei R ein kommutativer Ring mit Eins, f : (X, A) → (X ′ , A′ ) und g : (Y, B) → (Y ′ , B ′ ) Abbildungen von Paaren, und ρ : R → R′ ein Ringhomomorphismus. Für α ∈ H ∗ (X, A; R), β ∈ H ∗ (Y, B; R), β ′ ∈ H ∗ (Y ′ , B ′ ; R), γ ∈ H ∗ (Z, C; R), a ∈ H∗ (X, A; R), b ∈ H∗ (Y, B; R), c ∈ H∗ (X × Y, A × Y ∪ X × B; R) und e ∈ H∗ (X × Y × Z, A × Y × Z ∪ X × B × Z ∪ X × Y × C; R) gilt dann: (i) β \ (γ \ e) = (β × γ) \ e. (Assotiativität) (ii) 1Y \ c = (prX )∗ c. (Einselement100) (iii) f∗ (g ∗ β ′ \ c) = β ′ \ (f × g)∗ c. (Natürlichkeit) (iv) hα × β, ci = hα, β \ ci. (Dualität) (v) β \ (a × b) = hβ, bia. (Multiplikativität) (vi) ρ∗ (β \ c) = ρ∗ β \ ρ∗ c (Natürlichkeit im Koeffizientering) Beweis. Analog zum Beweis von Satz VI.5.1. Wir wollen hier einen etwas anderen Zugang besprechen, und beschränken uns auf Koeffizienten in einem Körper R. In diesem Fall ist das Slant-Produkt durch (iv) völlig bestimmt, siehe Korollar VI.4.17, und alle anderen Behauptungen folgen aus den entsprechenden Eigenschaften des Kohomologie-Kreuzproduktes. 100Hier ist B = ∅, Y 6= ∅, 1Y ∈ H 0 (Y ; R), c ∈ Hq (X × Y, A × Y ; R) und prX : (X × Y, A × Y ) → (X, A) bezeichnet die kanonische Projektion. 324 VI. KOHOMOLOGIE Aus (iv) und Satz VI.5.1(i) erhalten wir, für jedes α ∈ H ∗ (X, A; R), hα, β \ (γ \ e)i = hα × β, γ \ ei = h(α × β) × γ, ei = hα × (β × γ), ei = hα, (β × γ) \ ei. Zusammen mit Korollar VI.4.17 folgt nun Behauptung (i). Ebenso erhalten wir aus Satz VI.5.1(iii), für jedes α ∈ H ∗ (X, A; R), hα, 1Y \ ci = hα × 1Y , ci = hpr∗X α, ci = hα, (prX )∗ ci Zusammen mit Korollar VI.4.17 folgt daher Behauptung (ii). Nach Satz VI.5.1(iv) gilt, für jedes α′ ∈ H ∗ (X ′ , A′ ; R), hα′ , f∗ (g ∗ β ′ \ c)i = hf ∗ α′ , g ∗ β ′ \ ci = hf ∗ α′ × g ∗ β ′ , ci = h(f × g)∗(α′ × β ′ ), ci = hα′ × β ′ , (f × g)∗ ci = hα′, β ′ \ (f × g)∗ ci. Zusammen mit Korollar VI.4.17 folgt daher Behauptung (iii). Nach Satz VI.5.1(v) gilt, für jedes α ∈ H ∗ (X, A; R), hα, β \ (a × b)i = hα × β, a × bi = hα, aihβ, bi = α, hβ, bia . Zusammen mit Korollar VI.4.17 erhalten wir nun auch Behauptung (v). VI.7.2. Bemerkung. Aus der konkreten Eilenberg–Zilber Äquivalenz in Bemerkung V.6.4 erhalten wir eine explizite Formel für das Slant-Produkt auf Kettenlevel, C q (Y ; R) ⊗R Cp+q (X × Y ; R) → Cp (X; R), β ⊗ c 7→ β \ c. Für β ∈ C q (Y ; R) und c = σ ⊗ r ∈ Cp+q (X × Y ; R), σ : ∆p+q → X × Y ein singulärer Simplex, r ∈ R, ist diese durch β \ (σ ⊗ r) := (−1)pq rhβ, prY ◦σ ◦ jpp+q i(prX ◦σ ◦ ip+q p ) definiert. Es gilt dann ∂(β \ c) = (−1)|c|−|β|∂β \ c + β \ ∂c, daher induziert dies Homomorphismen H q (Y ; R) ⊗R Hp+q (X × Y ; R) → Hp (X; R), [β] ⊗ [c] 7→ [β \ c], und diese stimmen mit dem Slant-Produkt überein. VI.7.3. Bemerkung (Stabilität des Slant-Produktes). Die Kompatibilität des Slant-Produktes mit den Einhängungshomomorphismen kann durch folgende kommutative Diagramme ausgedrückt werden, wobei wir den Koeffizientenring in der Notation unterdrücken: \ H q (Y, B) ⊗ Hp+q (X × Y, A × Y ∪ X × B) / Hp (X, A) (−1)q id ⊗δ H q (Y, B) ⊗ Hp+q−1 (A × Y ∪ X × B, X × B) o δ id ⊗j∗ ∼ = H q (Y, B) ⊗ Hp+q−1 (A × Y, A × B) \ / Hp−1 (A) VI.7. DAS CAP-PRODUKT 325 Dabei bezeichnet j : (A × Y, A × B) → (A × Y ∪ X × B, X × B) die Inklusion, die nach Lemma V.6.12(i) einen Isomorphismus in der Homologie induziert. Es gilt daher δ(β \ c) = (−1)|β| β \ j∗−1 δc, (VI.36) ∗ wobei β ∈ H (Y, B; R) und c ∈ H∗ (X × Y, A × Y ∪ X × B; R). Im Fall B = ∅ ist j die identische Abbildung und (VI.36) wird zu δ(β \ c) = (−1)|β| β \ δc, wobei nun β ∈ H ∗ (Y ; R) und c ∈ H∗ (X × Y, A × Y ; R). Weiters kommutiert auch H q (B) ⊗ Hp+q (X × Y, A × Y ∪ X × B) δ⊗id / H q+1 (Y, B) ⊗ Hp+q (X × Y, A × Y ∪ X × B) (−1)q+1 id ⊗δ H q (B) ⊗ Hp+q−1 (A × Y ∪ X × B, A × Y ) \ O ∼ = id ⊗j∗ \ H q (B) ⊗ Hp+q−1 (X × B, A × B) / Hp−1 (X, A) wobei j : (X × B, A × B) → (A × Y ∪ X × B, A × Y ) die Inklusion bezeichnet, die nach Lemma V.6.12(i) einen Isomorphismus in der Homologie induziert. Es gilt daher (δβ) \ c + (−1)|β| β \ j∗−1 δc = 0, (VI.37) ∗ wobei β ∈ H (B; R) und c ∈ H∗ (X × Y, A × Y ∪ X × B; R). Im Fall A = ∅ ist j die identische Abbildung und (VI.37) wird zu (δβ) \ c + (−1)|β| β \ δc = 0, wobei nun β ∈ H ∗ (B; R) und c ∈ H∗ (X × Y, X × B; R). Weitere Details dazu finden sich etwa in [2, Chapter VII, Section 11]. Es seien nun (X, A) und (X, B) zwei Paare von Räumen, sodass (X × X; A × X, X × B) eine excisive Triade bildet. In dieser Situation haben wir ein SlantProdukt \ H q (X, B; R) ⊗R Hp+q (X × X, A × X ∪ X × B; R) − → Hp (X, A; R). Kombinieren wir dies mit dem von der Diagonalabbildung D : X → X × X, D(x) := (x, x), induzierten Homomorphismus D∗ : Hq (X, A ∪ B; R) → Hq (X × X, A × X ∪ X × B; R), so erhalten wir das sogenannte Cap-Produkt ∩ H q (X, B; R) ⊗R Hp+q (X, A ∪ B; R) − → Hp (X, A; R), Aus Satz VI.7.1 erhalten wir sofort α ∩ b := α \ D∗ b. VI.7.4. Korollar (Cap-Produkt). Es seien R ein kommutativer Ring mit Eins, f : X → X ′ stetig mit f (A) ⊆ A′ , f (B) ⊆ B ′ und ρ : R → R′ ein Ringhomomorphismus. Für α ∈ H ∗ (X, A; R), β ∈ H ∗ (X, B; R), β ′ ∈ H ∗ (X ′ , B ′ ; R), γ ∈ H ∗ (X, C; R), a ∈ H∗ (X, A; R), c ∈ H∗ (X, A∪B; R), e ∈ H∗ (X, A∪B ∪C; R) und ξ ∈ H∗ (X × Y, A × Y ∪ X × B; R) gilt dann: (i) β ∩ (γ ∩ e) = (β ∪ γ) ∩ e. (Assotiativität) 326 VI. KOHOMOLOGIE (ii) (iii) (iv) (v) (vi) (vii) 1X ∩ a = a. f∗ (f ∗ β ′ ∩ c) = β ′ ∩ f∗ c. hα ∪ β, ci = hα, β ∩ ci. hα, ai = ε(α ∩ a). β \ ξ = (prX )∗ (pr∗Y β ∩ ξ). ρ∗ (β ∩ c) = ρ∗ β ∩ ρ∗ c (Einselement101) (Natürlichkeit) (Dualität) (Relation mit dem Skalarprodukt102) (Relation mit Slant-Produkt) (Natürlichkeit im Koeffizientering) Beweis. Behauptung (i) folgt aus Satz VI.7.1(i)&(iii), der offensichtlichen Relation (idX ×D) ◦ D = (D × idX ) ◦ D und der Definition des Cup-Produktes, α ∪ β = D ∗ (α × β): β ∩ (γ ∩ e) = β \ D∗ (γ \ D∗ e) = β \ γ \ ((D × idX )∗ D∗ e) = (β × γ) \ (D × idX )∗ D∗ e = (β × γ) \ (idX ×D)∗ D∗ e = D ∗ (β × γ) \ D∗ e = (β ∪ γ) ∩ e Behauptung (ii) folgt aus Satz VI.7.1(ii) und der Relation pr1 ◦D = idX , 1X ∩ a = 1X \ D∗ a = (pr1 )∗ D∗ a = a. ′ Behauptung (iii) folgt aus Satz VI.7.1(iii) und der Relation (f ×f )◦D X = D X ◦f , ′ f∗ (f ∗ β ′ ∩ c) = f∗ (f ∗ β ′ \ D∗X c) = β ′ \ (f × f )∗ D∗X c = β ′ \ D∗X f∗ c = β ′ ∩ f∗ c. Behauptung (iv) folgt aus Satz VI.7.1(iv), hα ∪ β, ci = hD ∗ (α × β), ci = hα × β, D∗ ci = hα, β \ D∗ ci = hα, β ∩ ci. Behauptung (v) folgt aus (iv), denn hα, ai = h1X ∪ α, ai = h1X , α ∩ ai = hc∗ 1{∗} , α ∩ ai = h1{∗} , c∗ (α ∩ a)i = ε(α ∩ a). Behauptung (vi) folgt aus Satz VI.7.1(iii) und der Relation (prX × prY )◦D X×Y = idX×Y , (prX )∗ (pr∗Y β ∩ ξ) = (prX )∗ (pr∗Y β \ D∗X×Y ξ) = β \ (prX × prY )∗ D∗X×Y ξ = β \ ξ. Behauptung (vii) folgt aus Satz VI.7.1(vi), ρ∗ (β ∩ c) = ρ∗ (β \ D∗ c) = ρ∗ β \ ρ∗ D∗ c = ρ∗ β \ D∗ ρ∗ c = ρ∗ β ∩ ρ∗ c. 101Dabei setzen wir X 6= ∅ voraus, und 1X ∈ H 0 (X; R). bezeichnet ε : H∗ (X; R) → H∗ ({∗}; R) = R den von der konstanten Abbildung c : X → {∗} induzierten Homomorphismus. 102Dabei VI.7. DAS CAP-PRODUKT 327 VI.7.5. Bemerkung. Aus der expliziten Formel für das Slant-Produkt in Bemerkung VI.7.2 erhalten wir sofort eine explizite Formel für das Cap-Produkt auf Kettenlevel, C q (X; R) ⊗R Cp+q (X; R) → Cp (X; R), β ⊗ c 7→ β ∩ c. Für β ∈ C q (X; R) und c = σ ⊗ r ∈ Cp+q (X; R), σ : ∆p+q → X ein singulär Simplex, r ∈ R, ist diese durch β ∩ (σ ⊗ r) = (−1)pq rhβ, σ ◦ jpp+q i(σ ◦ ip+q p ) gegeben. Es gilt dann ∂(β ∩ c) = (−1)|c|−|β|∂β ∩ c + β ∩ ∂c, daher induziert dies Homomorphismen H q (X; R) ⊗R Hp+q (X; R) → Hp (X; R), [β] ⊗ [c] 7→ [β ∩ c], und diese stimmen mit dem Cap-Produkt überein. VI.7.6. Bemerkung (Stabilität des Cap-Produktes). Aus Bemerkung VI.7.3 und der Natürlichkeit des Einhängungshomomorphismus erhalten wir sofort folgende kommutative Diagramme, wobei wir den Koeffizientenring in der Notation unterdrücken: ∩ H q (X, B) ⊗ Hp+q (X, A ∪ B) / Hp (X, A) (−1)q i∗ ⊗δ H q (A, A ∩ B) ⊗ Hp+q−1 (A ∪ B, B) o δ id ⊗j∗ ∼ = H q (A, A ∩ B) ⊗ Hp+q−1 (A, A ∩ B) ∩ / Hp−1 (A) Dabei bezeichnen j : (A, A ∩ B) → (A ∪ B, B) und i : (A, A ∩ B) → (X, B) die kanonischen Inklusionen. Nach Lemma V.6.12 induziert j einen Isomorphismus in der Homologie. Es gilt daher δ(β ∩ c) = (−1)|β| (i∗ β) ∩ (j∗−1 δc), (VI.38) wobei β ∈ H ∗ (X, B; R) und c ∈ H∗ (X, A ∪ B; R). Im Fall B = ∅ ist j die identische Abbildung und (VI.38) wird zu δ(β \ c) = (−1)|β| (i∗ β) ∩ (δc), wobei nun β ∈ H ∗ (X; R) und c ∈ H∗ (X, A; R). Weiters kommutiert auch H q (B) ⊗ Hp+q (X, A ∪ B) δ⊗id / H q+1 (X, B) ⊗ Hp+q (X, A ∪ B) (−1)q+1 id ⊗δ ∩ H q (B) ⊗ Hp+q−1(A ∪ B, A) Hp−1(X, A) O O ∼ = id ⊗j∗ H q (B) ⊗ Hp+q−1(B, A ∩ B) i∗ ∩ / Hp−1(B, A ∩ B) wobei j : (B, A ∩ B) → (A ∪ B, A) und i : (B, A ∩ B) → (X, A) die kanonischen Inklusionen bezeichnen. Nach Lemma V.6.12 induziert j einen Isomorphismus in 328 VI. KOHOMOLOGIE der Homologie. Es gilt daher (δβ) ∩ c + (−1)|β| i∗ β ∩ (j∗−1 δc) = 0, (VI.39) wobei β ∈ H ∗ (B; R) und c ∈ H∗ (X, A ∪ B; R). Im Fall A = ∅ ist j die identische Abbildung und (VI.39) wird zu (δβ) ∩ c + (−1)|β| i∗ (β ∩ δc) = 0, wobei nun β ∈ H ∗ (B; R) und c ∈ H∗ (X, B; R). VI.7.7. Bemerkung. Ist (X, A) ein Paar von Räumen und ξ ∈ Hn (X, A), dann kommutiert das Diagramm / ··· / H q (X, A; R) −∩ξ ··· / Hn−q (X; R) / H q (X; R) −∩ξ / δ H q (A; R) / −∩(±δξ) Hn−q (X, A; R) δ / ··· −∩ξ / Hn−q−1 (A; R) / H q+1 (X, A; R) / Hn−q−1 (X; R) ··· wobei δξ ∈ Hn−1 (A). Das linke Quadrat kommutiert nach Korollar VI.7.4(iii), das mittlere Quadrat kommutiert wegen (VI.38) und das rechte Quadrat kommutiert aufgrund von (VI.39). VI.7.8. Bemerkung. Das Cap-Produkt ist auch mit der Mayer–Vietoris Sequenz kompatibel. Es seien dazu U, V ⊆ X offen, sodass X = U ∪ V . Weiters seien A ⊆ U und B ⊆ V abgeschlossen. Schließlich sei ξ ∈ Hp+q (X, X \ (A ∪ B)) und es bezeichnen ξU V , ξU , ξV die Bilder von ξ unter den Homomorphismen: ∼ = ξ ∈ Hp+q (X, X \ (A ∪ B)) → Hp+q (X, X \ (A ∩ B)) ←− Hp+q (U ∩ V, (U ∩ V ) \ (A ∩ B)) ∋ ξU V ∼ = ξ ∈ Hp+q (X, X \ (A ∪ B)) → Hp+q (X, X \ A) ←− Hp+q (U, U \ A) ∋ ξU ∼ = ξ ∈ Hp+q (X, X \ (A ∪ B)) → Hp+q (X, X \ B) ←− Hp+q (V, V \ B) ∋ ξV Betrachte nun das Diagramm: H q (X, X \ A) ⊕ H q (X, X \ B) / H q (X, X \ (A ∩ B)) ∼ = / δ H q (X, X \ (A ∪ B)) / H q+1 (X, X \ (A ∩ B)) ∼ = ∼ = / H q (U ∩ V, (U ∩ V ) \ (A ∩ B)) H q (U, U \ A) ⊕ H q (V, V \ B) −∩ξU V Hp (U ∩ V ) / H q (X, X \ (A ∪ B)) Hp (U ) ⊕ Hp (V ) / H q+1 ((U ∩ V ), (U ∩ V ) \ (A ∩ B)) −∩ξU V −∩ξ (−∩ξU )⊕(−∩ξV ) / δ / Hp (X) δ / Hp−1 (U ∩ V ) Die untere Zeile ist die Mayer–Vietoris Sequenz in der Homologie, und die oberste Zeile ist die relative Mayer–Vietoris Sequenz in der Kohomologie. Die mittlere Zeile entsteht aus der oberen durch die vertikalen Exzisionsisomorphismen und ist daher ebenfalls exakt. Die beiden unteren linken Rechtecke kommutieren aufgrund der Natürlichkeit des Cap-Produktes. Aber auch das dritte unterer Rechteck kommutiert, vgl. etwa [2, Chapter VII, Proosition 12.20]. VI.8. POINCARE-DUALITÄT 329 VI.8. Poincare-Dualität. Ist M eine geschlossene orientierte topologische n-Mannigfaltigkeit, dann gelten für die Bettizahlen die Relationen q ∈ Z. bq (M) = bn−q (M), Diese Dualität für Mannigfaltigkeiten wurde von Henri Poincaré 1893 entdeckt. VI.8.1. Satz (Poincaré-Dualität). Es sei M eine kompakte topologische nMannigfaltigkeit mit Rand ∂M = ∂+ M ⊔ ∂− M, dh. ∂± M seien beide offen und abgeschlossen in ∂M.103 Weiters bezeichne [M]Z2 ∈ Hn (M, ∂M; Z2 ) die Z2 -Fundamentalklasse von M, siehe Korollar V.10.28. Dann liefert das Cap-Produkt einen Isomorphismus ∼ = → Hn−q (M, ∂− M; Z2 ). − ∩ [M]Z2 : H q (M, ∂+ M; Z2 ) − Für geschlossenes M gilt daher insbesondere ∼ = − ∩ [M]Z2 : H q (M; Z2 ) − → Hn−q (M; Z2 ). VI.8.2. Satz (Poincaré-Dualität). Es sei M eine orientierte kompakte topologische n-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M = ∂+ M ⊔ ∂− M. Weiters sei R ein kommutativer Ring mit Eins, und [M]R ∈ Hn (M, ∂M; R) bezeichne die Fundamentalklasse von M, siehe Korollar V.10.28.104 Dann liefert das Cap-Produkt einen Isomorphismus ∼ = − ∩ [M]R : H q (M, ∂+ M; R) − → Hn−q (M, ∂− M; R). Für geschlossenes M gilt daher insbesondere ∼ = → Hn−q (M; R). − ∩ [M]R : H q (M; R) − Wir werden beide Sätze gleichzeitig beweisen, und dabei den Koeffizientenring R in der Notation unterdrücken. Im orientierten Fall ist R beliebig, im nichtorientierten Fall sei R = Z2 . Es sei zunächst M eine randlose nicht notwendigerweise kompakte n-Mannigfaltigkeit. Für jede kompakte Teilmenge K ⊆ M haben wir eine Homologieklasse [M|K] ∈ Hn (M, M \K), siehe Satz V.10.4. Im orientierten Fall ist [M|K] dadurch charakteristiert, dass sie für jedes x ∈ K die Orientierung in der lokalen Homologiegruppe H(M, M \ {x}; Z) ∼ = Z induziert. Im nicht-orientierten Fall induziert [M|K] das nicht-triviale Element in Hn (M, M \ {x}; Z2 ) ∼ = Z2 . Wir definieren M DK : H q (M, M \ K) → Hn−q (M), M DK (α) := α ∩ [M|K]. Ist L ⊆ M eine weitere kompakte Teilmenge mit K ⊆ L, dann gilt M ∗ DK = DLM ◦ (ιK L) , 103Dh. (VI.40) ∂+ M ist die Vereinigung gewisser Zusammenhangskomponenten von ∂M , und ∂− M bezeichnet die Vereinigung der restlichen Zusammenhangskomponenten. Die Fälle ∂+ M = ∅, ∂− M = ∂M bzw. ∂+ M = M , ∂− M = ∅ sind explizit nicht ausgeschlossen. 104Genauer bezeichnet [M ] das Bild der Fundamentalklasse [M ] ∈ H (M, ∂M ; Z) unter R n dem von Z → R induzierten Homomorphismus H∗ (M, ∂M ; Z) → H∗ (M, ∂M ; R). 330 VI. KOHOMOLOGIE ∗ ∗ ∗ K wobei (ιK L ) : H (M, M \K) → H (M, M \L) von der Inlusion ιL : (M, M \L) → (M, M \ K) induziert wird. Dies folgt aus der Natürlichkeit des Cap-Produktes und (ιK L )∗ [M|L] = [M|K]. Für jede offene Umgebung U von K in M haben wir auch einen von der Inklusion jUM : (U, U \ K) → (M, M \ K) induzierten ∼ = → H ∗ (U, U \ K), und es gilt Exzisionsisomorphismus (jUM )∗ : H ∗ (M, M \ K) − M U DK = (jUM )∗ ◦ DK ◦ (jUM )∗ , dh. das folgende Diagramm kommutiert: H q (M, M \ K) M DK Hn−q (M) / O M )∗ ∼ (jU = H q (U, U \ K) (VI.41) M) (jU ∗ U DK / Hn−q (U) Dies folgt ebenfalls aus der Natürlichkeit des Cap-Produktes und (jUM )∗ [U|K] = [M|K]. Wir beginnen mit folgender VI.8.3. Proposition. Für eine randlose n-Mannigfaltigkeit M gilt:105 (i) Zu jeder Klasse b ∈ Hn−q (M) existiert eine kompakte Menge K ⊆ M M und α ∈ H q (M, M \ K) mit DK (α) = b. M (ii) Sind K ⊆ M kompakt und α ∈ H ∗ (M, M \ K) mit DK (α) = 0, dann K ∗ existiert eine kompakte Teilmenge L mit K ⊆ L und (ιL ) α = 0. Beweis. Beachte zunächst folgende Monotonieeigenschaften der beiden Aussagen. Sind b und K wie in (i) oben, und ist K ′ eine weitere kompakte Teilmenge M mit K ⊆ K ′ ⊆ M, dann liegt b auch im Bild von DK ′ , siehe (VI.40). Sind K, α ′ und L wie in (ii), und ist L eine weitere kompakte Teilmenge mit L ⊆ L′ ⊆ M, ∗ K K L dann gilt auch (ιK L′ ) α = 0, denn ιL′ = ιL ◦ιL′ . Wir beginnen mit dem wesentlichen Schritt des Beweises. Behauptung 1. Es sei M = U ∪ V für zwei offene Teilmengen U, V ⊆ M, sodass die Proposition für M = U, M = V und M = U ∩ V richtig ist. Dann gilt die Proposition auch für M = U ∪ V . 105Die ∼ = Aussage dieser Proposition ist äquivalent zu D : Hcq (M ) − → Hn−q (M ), wobei q Hc (M ) = lim H q (M, M \ K) die Kohomologie mit kompakten Träger bezeichnet. VI.8. POINCARE-DUALITÄT 331 Für je zwei kompakte Teilmengen K ⊆ U und L ⊆ V erhalten wir aus Bemerkung VI.7.8 ein kommutatives Diagramm: H q (U ∩ V, (U ∩ V ) \ (K ∩ L)) q q H (U, U \ K) ⊕ H (V, V \ L) H q (M, M \ (K ∪ L)) U ∩V DK∩L U ⊕D V DK L / / Hn−q (U ∩ V ) Hn−q (U) ⊕ Hn−q (V ) M DK∪L / Hn−q (M) δ H q+1 (U ∩ V, (U ∩ V ) \ (K ∩ L)) H q+1 (U, U \ K) ⊕ H q+1 (V, V \ L) δ U ∩V DK∩L U ⊕D V DK L / / Hn−q−1 (U ∩ V ) Hn−q−1 (U) ⊕ Hn−q−1(V ) Wir führen den Beweis der Behauptung analog zum Beweis des Fünferlemmas. Für den Beweis der ersten Aussage sei nun b ∈ Hn−q (M). Aus der Voraussetzung an U ∩ V folgt, dass für hinreichend große K und L ein α0 ∈ H q+1(U ∩ V, (U ∩ U ∩V V ) \ (K ∩ L)) mit DK∩L (α0 ) = δb existiert. Nach den Voraussetzungen an U und V dürfen wir durch Vergrößern von K und L o.B.d.A. annehmen, dass α0 auf 0 ∈ H q+1 (U, U \ K) ⊕ H q+1(V, V \ L) abgebildet wird. Wegen der Exaktheit der linken Spalte existiert daher α1 ∈ H q (M, M \ (K ∪ L)) mit δα1 = α0 . Aus M der Kommutativität des Diagramms folgt daher δ b − DK∪L (α1 ) = 0. Aufgrund der Exaktheit der rechten Splate finden wir b1 ∈ Hn−q (U) ⊕ Hn−q (V ), das auf M b − DK∪L (α1 ) ∈ Hn−q (M) abgebildet wird. Nach Voraussetzung an U und V U können wir durch Vergrößern von K und L erreichen, dass b1 im Bild von DK ⊕ V DL liegt. Wegen der Kommutativität des Diagramms finden wir daher α2 ∈ M M H q (M, M \ (K ∪ L)) mit DK∪L (α2 ) = b − DK∪L (α1 ). Die Klasse α := α1 + α2 hat M nun die gewünschte Eigenschaft, DK∪L (α) = b. Für den Beweis der zweiten Behauptung sei nun α ∈ H q (M, M \ (K ∪ L)) M mit DK∪L (α) = 0. Es genügt zu zeigen, dass wir durch Vergrößern von K und L auch α = 0 erreichen können. Nach Voraussetzung an U und V dürfen wir durch Vergrößern von K und L o.B.d.A. δα = 0 annehmen. Aufgrund der Exaktheit der linken Spalte existiert daher α1 ∈ H q (U, U \ K) ⊕ H q (V, V \ L), das auf α ∈ H q (M, M \(K ∪L)) abgebildet wird. Wegen der Exaktheit der rechten Spalte U kommt die Klasse (DK ⊕ DLV )(α1 ) daher von einem Element in b ∈ Hn−q (U ∩ V ). Nach Voraussetzung an U ∩ V können wir durch Vergrößern von K und L U ∩V erreichen, dass b im Bild von DK∩L liegt. Es existiert daher α2 ∈ H q (U ∩ V, (U ∩ U ∩V V ) \ (K ∩ L)) mit DK∩L (α2 ) = b. Durch Korrigieren von α1 mit dem Bild von α2 U dürfen wir daher auch (DK ⊕ DLV )(α1 ) = 0 annehmen. Nach Voraussetzung an U und V können wir durch Vergrößern von K und L nun auch α1 = 0 erreichen. 332 VI. KOHOMOLOGIE Als Bild von α1 ist daher auch α = 0. Damit ist der Beweis von Behauptung 1 vollständig. Behauptung 2. Die Proposition ist für jede konvexe offene Teilmenge M ⊆ n R richtig. Es sei K ⊆ M eine kompakte konvexe Teilmenge und ∗ ∈ K. Betrachte das kommutative Diagramm H q (M, M \ K) M DK / O ∼ = j∗ j∗ ∼ = H q (Rn , Rn \ {∗}) Hn−q (M) n D∗R ∼ = / Hn−q (Rn ) wobei j : M → Rn die Inklusion bezeichnet. Wegen der Konvexität von M ist dies eine Homotopieäquivalenz und der rechte vertikale Pfeil im Diagramm oben daher ein Isomorphsimus. Es ist weiters j : (M, M \ K) → (Rn , Rn \ {∗}) eine Homotpoieäquivalenz von Paaren und daher der linke vertikale Pfeil ebenfalls ein Isomorphismus. Aus der Definition der Dualität folgt sofort, dass der untere horizontale Pfeil ein Isomorphismus ist. Aus der Kommutativität des Diagramms M schließen wir, dass auch DK ein Isomorphismus sein muss. Behauptung 2 folgt nun aus der Tatsache, dass jede kompakte Teilmenge von M in einer kompakten konvexen Teilmenge von M enthalten ist. Behauptung 3. Die Proposition ist für jede endliche Vereinigung konvexer offener Teilmengen M ⊆ Rn richtig. Dies folgt mittels Induktion aus den Behauptungen 1 und 2. Für den Induktionsschritt beachte, dass der Durchschnitt kovexer offener Teilmengen von Rn wieder eine konvexe und offene Teilmenge von Rn ist. Behauptung 4. Die Proposition ist für jede offene Teilmenge M ⊆ Rn richtig. Für die erste Behauptung sei also b ∈ Hn−q (M). Da jede Homologieklasse von einer endlichen Linearkombination singulärer Simplizes repräsentiert wird, und da diese stets in einer kompakten Menge zu liegen kommen, existiert eine endliche Vereinigung offener und konvexer Teilmengen U ⊆ M und b0 ∈ Hn−q (U), sodass (jUM )∗ b0 = b, wobei jUM : U → M die Inklusion bezeichnet. Nach Behauptung 3 U existiert eine kompakte Teilmenge K ⊆ U und α0 ∈ H q (U, U \ K) mit DK (α0 ) = ∼ = q M ∗ q → H (U, U \ K) ein Isomorphismus. b0 . Nach Exzision ist (jU ) : H (M, M \ K) − q Es existiert daher α ∈ H (M, M \ K) mit (jUM )∗ α = α0 . Zusammen mit (VI.41) folgt U U M (α0 ) = (jUM )∗ b0 = b. ((jUM )∗ α) = (jUM )∗ DK DK (α) = (jUM )∗ DK Für den Beweis der zweiten Aussage sei nun K ⊆ M kompakt und α ∈ M H (M, M \ K) mit DK (α) = 0. Aufgrund der Kompaktheit von K existiert eine endliche Vereinigung konvexer offener Teilmengen U ⊆ M mit K ⊆ U. Aus U (VI.41) folgt (jUM )∗ DK ((jUM )∗ α) = 0 ∈ Hn−q (M). Ein Kompaktheitsargument q VI.8. POINCARE-DUALITÄT 333 wie im vorangehenden Absatz zeigt, dass wir durch Vergrößern von U o.B.d.A. U DK ((jUM )∗ α) = 0 ∈ Hn−q (U) annehmen dürfen. Nach Behauptung 3 existiert ∗ daher eine kompakte Teilmenge L mit K ⊆ L ⊆ U, sodass (jUM )∗ (ιK L) α = ∼ = ∗ M ∗ q M ∗ q (ιK → H q (U, U \ L) L ) (jU ) α = 0 ∈ H (U, U \ L). Da (jU ) : H (M, M \ L) − ∗ q ein Isomorphismus ist, erhalten wir nun (ιK L ) α = 0 ∈ H (M, M \ L). Damit ist Behauptung 4 gezeigt. Behauptung 5. Ist M endliche Vereinigung von Kartengebieten,106 dann ist die Proposition für M richtig. Dies folgt mittels Induktion über die Anzahl der Kartengebiete die notwendig sind um M zu überdecken. Der Induktionsanfang folgt aus Behauptung 4. Für den Induktionsschritt verwenden wir Behauptung 1 und die offensichtlich Tatsache, dass der Durchschnitt von zwei Kartengebieten wieder ein Kartengebiet ist. Wir sind nun in der Lage die Proposition in voller Allgemeinheit herzuleiten, und gehen genau wie im Beweis von Behauptung 4 vor. Für die erste Behauptung sei also b ∈ Hn−q (M). Da jede Homologieklasse von einer endlichen Linearkombination singulärer Simplizes repräsentiert wird, und da diese stets in einer kompakten Menge zu liegen kommen, existiert eine endliche Vereinigung von Kartengebieten U ⊆ M und b0 ∈ Hn−q (U), sodass (jUM )∗ b0 = b, wobei jUM : U → M die Inklusion bezeichnet. Nach Behauptung 5 existiert eine komU pakte Teilmenge K ⊆ U und α0 ∈ H q (U, U \ K) mit DK (α0 ) = b0 . Nach Exzision ∼ = ist (jUM )∗ : H q (M, M \ K) − → H q (U, U \ K) ein Isomorphismus. Es existiert daher q α ∈ H (M, M \ K) mit (jUM )∗ α = α0 . Zusammen mit (VI.41) folgt M U U DK (α) = (jUM )∗ DK ((jUM )∗ α) = (jUM )∗ DK (α0 ) = (jUM )∗ b0 = b. Für den Beweis der zweiten Aussage sei nun K ⊆ M kompakt und α ∈ M H q (M, M \ K) mit DK (α) = 0. Aufgrund der Kompaktheit von K existiert eine endliche Vereinigung von Kartengebieten U ⊆ M mit K ⊆ U. Aus (VI.41) U folgt (jUM )∗ DK ((jUM )∗ α) = 0 ∈ Hn−q (M). Durch Vergrößern von U dürfen U wir o.B.d.A. annehmen, dass DK ((jUM )∗ α) = 0 ∈ Hn−q (U) gilt. Nach Behauptung 5 existiert daher eine kompakte Teilmenge L mit K ⊆ L ⊆ U, sodass ∼ = ∗ K ∗ M ∗ q M ∗ q → (jUM )∗ (ιK L ) α = (ιL ) (jU ) α = 0 ∈ H (U, U \ L). Da (jU ) : H (M, M \ L) − ∗ q H q (U, U \L) ein Isomorphismus ist, erhalten wir nun (ιK L ) α = 0 ∈ H (M, M \L). Damit ist der Beweis von Proposition VI.8.3 vollständig. Sei nun M eine kompakte n-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M. Das Innere Int(M) ist eine randlose n-Mannigfaltigkeit. Mit Hilfe eines Kragen ∼ = →U ⊆M ϕ : ∂M × [0, 1) − wie in Satz V.10.26 definieren wir kompakte Teilmengen Kε := M \ ϕ ∂M × [0, ε) ⊆ Int(M), 0 < ε < 1. 106Unter einem Kartengebiet verstehen wir eine offene Teilmenge U ⊆ M die homöomorph zu einer offenen Teilmenge von Rn ist. 334 VI. KOHOMOLOGIE Für jedes dieser ε haben wir ein kommutatives Diagramm: H q (M, ∂M) −∩[M ] O / ∼ = Hn−q (M) o Hn−q (Int(M)) O Int(M ) ∼ = DKε ∼ = H q (M, M \ Kε ) / H q (Int(M), Int(M) \ Kε ) Der untere horizontale Pfeil ist ein Exzisionsisomorphismus. Der obere rechte Pfeil ist von der Inklusion Int(M) → M induziert, also ebenfalls ein Isomorphismus, denn diese Inklusion ist eine Homotopieäquivalenz. Ein analoges Argument zeigt, dass auch der von der offensichtlichen Inklusion induzierte linke vertikale Pfeil ein Isomorphismus ist. Beachten wir noch, dass jede kompakte Teilmenge von Int(M) in einer der Mengen Kε liegt, dann folgt nun aus Proposition VI.8.3, dass auch der linke obere horizontale Pfeil ein Isomorphismus sein muss. Dabei folgt die Surjektivität von ∼ = → Hn−q (M) − ∩ [M] : H q (M, ∂M) − aus Proposition VI.8.3(i) und die Injektivität aus Proposition VI.8.3(ii). Damit ist der Satz im Fall ∂− M = ∅ bereits gezeigt. Insbesonder deckt dies den Fall geschlossener Mannigfaltigkeiten ab. Da δ[M] = [∂M] folgt aus Bemerkung VI.7.7 und dem Fünfer-Lemma sofort, dass auch ∼ = − ∩ [M] : H q (M) − → Hn−q (M, ∂M) ein Isomorphismus ist. Damit ist also auch der Spezialfall ∂+ M = ∅ erledigt. Für den allgemeinen Fall sei nun ∂M = ∂+ M ⊔ ∂− M. Aus Bemerkung VI.7.8 erhalten wir ein kommutatives Diagramm mit exakten Zeilen: H q−1 (M ) ∼ = δ / ∼ = −∩[M ] Hn−q+1 (M, ∂M ) δ / H q (M, ∂M ) / H q (M,∂+ M ) ⊕ H q (M,∂− M ) −∩[M ] Hn−q (M ) / −∩[M ] ⊕ −∩[M ] / Hn−q (M,∂− M ) ⊕ Hn−q (M,∂+ M ) H q (M ) / ∼ = δ / H q+1 (M, ∂M ) ∼ = −∩[M ] Hn−q (M, ∂M ) δ / −∩[M ] Hn−q−1 (M ) Nach obigen Überlegungen sind die vier äußeren vertikalen Pfeile Isomorphismen. Nach dem Fünfer-Lemma muss daher auch der mittlere vertikale Pfeil ein Isomorphismus sein. Insbesondere erhalten wir ∼ = → Hn−q (M, ∂− M). − ∩ [M] : H q (M, ∂+ M) − Damit ist der Beweis der Sätze VI.8.1 und VI.8.2 vollständig. VI.8.4. Beispiel. Ist M eine orientierbare geschlossene und zusammenhängende 3-Mannigfaltigkeit mit H1 (M) = 0, dann hat M dieselben Homologiegruppen wie S 3 . Aus dem universellen Koeffiziententheorem folgt nämlich zunächst H 1 (M) = 0, siehe Satz VI.4.11. Nach Satz VI.8.2 gilt daher auch H2 (M) = 0. VI.8. POINCARE-DUALITÄT 335 Weiters haben wir H3 (M) ∼ = Z, wegen des Zusammenhangs von M, siehe Ko107 rollar V.10.10(iii). Nach Korollar V.10.5 gilt auch Hq (M) = 0 für q > 3. Zusammenfassend erhalten wir H∗ (M) ∼ = H∗ (S 3 ). Insbesondere gilt dies für die Poincaré-Homologiesphäre, siehe Beispiel IV.11.5, und aus diesem Grund wird sie als Homologiesphäre bezeichnet. Beachte, dass die Poincaré-Homologiesphäre nicht einfach zusammenhängend ist, und daher nicht homotopieäquivalent zu S 3 sein kann. VI.8.5. Beispiel. Ist M eine kontrahierbare kompakte topologische n-Mannigfaltigkeit mit Rand, dann gilt H∗ (∂M) ∼ = H∗ (S n−1 ). Wegen der Kontrahierbarkeit von M gilt nämlich zunächst H̃∗ (M) = 0. Aus der langen exakte Sequenz des Paares (M, ∂M) folgt daher H̃q (∂M) ∼ = Hq+1 (M, ∂M). Zusammen mit Satz VI.8.2 erhalten wir: ( Z falls q = n − 1 n−q−1 (M) ∼ H̃q (∂M) ∼ = =H = Hq+1 (M, ∂M) ∼ 0 sonst Beachte, dass M orientierbar ist, denn jede einfach zusammenhängende Mannigfaltigkeit ist orientierbar, siehe Bemerkung IV.12.8. VI.8.6. Korollar. Es sei M eine kompakte topologische n-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M = ∂+ M ⊔ ∂− M. Dann ist H∗ (M, ∂± M) endlich erzeugt. Beweis. Siehe Vorlesung. VI.8.7. Bemerkung. Ist A eine endlich erzeugte abelsche Gruppe, dann schreiben wir Afa := A/Ator . Nach dem Hauptsatz über endlich erzeugte abelsche Gruppen ist Afa eine freie abelsche Gruppe endlichen Ranges und es gilt A∼ = Afa ⊕ Ator , dieser Isomorphismus ist jedoch nicht natürlich. Kombinieren wir Satz VI.8.2 mit dem universellen Koeffiziententheorem, so erhalten wir: Hn−q (M, ∂− M) ∼ = H q (M, ∂+ M) ∼ = Hom(Hq (M, ∂+ M), Z) ⊕ Ext(Hq−1 (M, ∂+ M), Z) = Hom(Hq (M, ∂+ M)fa , Z) ⊕ Ext(Hq−1 (M, ∂+ M)tor , Z) ∼ = Hq (M, ∂+ M)fa ⊕ Hq−1 (M, ∂+ M)tor Wir haben daher unnatürliche Isomorphismen Hq (M, ∂+ M)fa ∼ = Hn−q (M, ∂− M)fa und Hq−1 (M, ∂+ M)tor ∼ = Hn−q (M, ∂− M)tor , für jede kompakte orientierte topologische n-Mannigfaltigkeit M. 107Anstatt Korollar V.10.10(iii) zu verwenden können wir auch hier mit Poincaré-Dualität argumentieren, H3 (M ) ∼ = H 0 (M ) ∼ = Z. 336 VI. KOHOMOLOGIE VI.8.8. Korollar. Ist M eine kompakte topologische n-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M = ∂+ M ⊔ ∂− M, dann gelten für die Z2 -Bettizahlen bq (M, ∂± M; Z2 ) := dimZ2 Hq (M, ∂± M; Z2 ) die Relationen bq (M, ∂+ M; Z2 ) = bn−q (M, ∂− M; Z2 ). Für die Euler-Charaktersitik folgt χ(M, ∂+ M) = (−1)n χ(M, ∂− M). Beweis. Nach Korollar VI.4.17 gilt ∗ H q (M, ∂+ M; Z2 ) = HomZ2 Hq (M, ∂+ M; Z2 ), Z2 = Hq (M, ∂+ M; Z2 ) . Zusammen mit Satz VI.8.1 und Korollar VI.8.6 folgt ∗ Hn−q (M, ∂− M; Z2 ) = Hq (M, ∂+ M; Z2 ) ∼ = (Hq (M, ∂+ M; Z2 ), und daher dimZ2 Hn−q (M, ∂− M; Z2 ) = dimZ2 Hq (M, ∂+ M; Z2 ). Summieren wir (−1)q bq (M, ∂+ M; Z2 ) = (−1)n (−1)n−q bn−q (M, ∂− M; Z2 ) über q, so erhalten wir χ(M, ∂+ M) = (−1)n χ(M, ∂− M). VI.8.9. Korollar. Ist M eine geschlossenen topologische Mannigfaltigkeit ungerader Dimension, dann gilt χ(M) = 0. Beweis. Nach Korollar haben wir χ(M) = (−1)n χ(M) = −χ(M). VI.8.10. Korollar. Ist M eine kompakte topologische n-Mannigfaltigkeit mit n Rand, dann gilt χ(∂M) = 1 − (−1) χ(M). Für ungerades n erhalten wir daher χ(∂M) = 2χ(M).108 In jedem Fall muss χ(∂M) gerade sein. Beweis. Aus der langen exakten Sequenz des Paares (M, ∂M) folgt χ(∂M) − χ(M) + χ(M, ∂M) = 0, siehe Beispiel IV.6.7. Nach Korollar VI.8.8 gilt weiters χ(M, ∂M) =(−1)n χ(M). Kombiniation dieser beiden Relationen liefert χ(∂M) = 1 − (−1)n χ(M). VI.8.11. Korollar. Ist M eine geschlossene topologische Mannigfaltigkeit mit ungerader Euler-Charakteristik, dann kann es keine kompakte Mannigfaltigkeit W mit Rand ∂W = M geben. VI.8.12. Beispiel. Etwa ist RP2n nicht Rand einer kompakten Mannigfaltigkeit, denn χ(RP2n ) = 1 ist ungerade. Ebenso kann CP2n nicht Rand einer kompakten Mannigfaltigkeit sein, denn χ(CP2n ) = 2n+1 ist ungerade. Aus demselben Grund tritt auch HP2n nicht Rand als Rand einer kompakten Mannigfaltigkeit auf, denn χ(HP2n ) = 2n + 1 ist ungerade. VI.8.13. Korollar. Ist M eine geschlossene topologische n-Mannigfaltigkeit gerader Dimension, n = 2m, dann gilt χ(M) ≡ bm (M; Z2 ) mod 2. 108Für gerades n erhalten wir χ(∂M ) = 0, ein Spezialfall von Korollar VI.8.9, denn ∂M ist geschlossen von ungerader Dimension. VI.8. POINCARE-DUALITÄT 337 Beweis. Wir schreiben zunächst m−1 2m X X χ(M) = (−1)q bq (M; Z2 ) + (−1)m bm (M; Z2 ) + (−1)q bq (M; Z2 ). q=0 q=m+1 Nach Korollar VI.8.8 gilt bq (M; Z2 ) = b2m−q (M; Z2 ) und daher 2m X q (−1) bq (M; Z2 ) = q=m+1 2m X 2m−q (−1) b2m−q (M; Z2 ) = q=m+1 χ(M) = (−1) bm (M; Z2 ) + 2 (−1)q bq (M; Z2 ). q=0 Zusammenfassend erhalten wir m m−1 X m−1 X (−1)q bq (M; Z2 ) q=0 und daher χ(M) ≡ bm (M; Z2 ) mod 2. VI.8.14. Korollar. Es sei M eine kompakte topologische n-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M = ∂+ M ⊔ ∂− M. Dann ist die sogenannte Cup-Produkt Paarung H q (M, ∂+ M; Z2 ) × H n−q (M, ∂− M; Z2 ) → Z2 , (α, β) 7→ hα ∪ β, [M]Z2 i eine nicht-degenerierte bilineare Paarung,109 für jedes q. Beweis. Dies folgt aus Satz VI.8.1, dem universellen Koeffiziententheorem, siehe Korollar VI.4.17, und Korollar VI.7.4(iv). VI.8.15. Bemerkung. Wir wollen nun erneut den Kohomologiering des reellen projektiven Raums bestimmen, vgl. Beispiel VI.6.8, ohne dabei auf die (aufwendigen) Berechnungen in Abschnitt V.7 zurückzugreifen, |w| = 1. (VI.42) H ∗ (RPn ; Z2 ) ∼ = Z2 [w]/w n+1, Aus Beispiel VI.4.22 wissen wir, dass die additive Struktur der Kohomologie durch (VI.42) gegeben ist. Um auch die Ringstruktur zu bestimmen gehen induktiv vor. Für n = 0 und n = 1 ist die Aussage trivial. Sei nun n ≥ 2, und w ∈ H 1 (RPn ; Z2 ) ∼ = Z2 das eindeutige nicht-triviale Element. Aus Beispiel VI.4.22 wissen wir, dass die Inklusion ι : RPn−1 → RPn Isomorphismen ι∗ : H q (RPn ; Z2 ) ∼ = H q (RPn−1 ; Z2 ) induziert, q < n. Insbesondere ist n−1 0 6= ι∗ w ∈ H 1 (RP ; Z2 ). Nach Induktionsvoraussetzung gilt daher auch 0 6= (ι∗ w)q ∈ H q (RPn−1 ; Z2 ), 0 ≤ q < n. Aus der Natürlichkeit des Cup-Produktes, ι∗ (w q ) = (ι∗ w)q , folgt nun 0 6= w q ∈ H q (RPn ; Z2 ), 0 ≤ q < n. Es bleibt daher nur noch w n 6= 0 zu zeigen. Nun ist RPn eine geschlossene n-Mannigfaltigkeit, nach Korollar VI.8.14 existiert daher ξ ∈ H 1 (RPn ; Z2 ) mit hw n−1 ∪ ξ, [RPn ]Z2 i = 1. 109Es seien V und W zwei K-Vektorräume. Eine bilineare Paarung b : V × W → K wird ∼ = nicht-degeneriert genannt, falls sie einen Isomorphismen V − → W ∗ , v 7→ b(v, −) induziert. ∼ = Im endlich dimensionalen Fall ist dies äquivalent dazu, dass W − → V ∗ , w 7→ b(−, w), ein Isomorphismus ist. 338 VI. KOHOMOLOGIE Insbesondere gilt ξ 6= 0, und daher ξ = w. Wir erhalten somit w n = ω n−1 ∪ ξ 6= 0, womit nun der Induktionsschritt gezeigt wäre. VI.8.16. Korollar. Ist M eine orientierbare kompakte topologische n-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M = ∂+ M ⊔ ∂− M, dann gilt bq (M, ∂+ M) = bn−q (M, ∂− M). Für geschlossenes M erhalten wir daher bq (M) = bn−q (M). Beweis. Aus Satz VI.8.2 mit R = Z folgt H q (M, ∂+ M) ∼ = Hn−q (M, ∂− M), und daher bq (M, ∂+ M) = rank H q (M, ∂+ M) = rank Hn−q (M, ∂− M) = bn−q (M, ∂− M). Dabei haben wir im ersten Gleichheitszeichen Bemerkung VI.4.16 verwendet. VI.8.17. Korollar. Ist M eine orientierbare geschlossene topologische nMannigfaltigkeit gerader Dimension, n = 2m, dann gilt χ(M) ≡ bm (M) mod 2. Beweis. Wir gehen genau im Beweis von Korollar VI.8.13 vor und schreiben χ(M) = m−1 X q m (−1) bq (M) + (−1) bm (M) + q=0 2m X (−1)q bq (M). q=m+1 Nach Korollar VI.8.16 gilt bq (M) = b2m−q (M) und daher 2m X q=m+1 q (−1) bq (M) = 2m X 2m−q (−1) b2m−q (M) = q=m+1 (−1)q bq (M). q=0 Zusammenfassend erhalten wir χ(M) = (−1)m bm (M) + 2 m−1 X m−1 X q=0 (−1)q bq (M) ≡ bm (M) mod 2. VI.8.18. Korollar. Es seien M eine orientierte kompakte topologische nMannigfaltigkeit mit Rand ∂M = ∂+ M ⊔ ∂− M und K ein Körper. Dann ist die sogenannte Cup-Produkt Paarung H q (M, ∂+ M; K) × H n−q (M, ∂− M; K) → K, (α, β) 7→ hα ∪ β, [M]K i eine nicht-degenerierte bilineare Paarung, für jedes q. Beweis. Genau wie im Beweis von Korollar VI.8.14 folgt dies aus Satz VI.8.2, Korollar VI.4.17, und Korollar VI.7.4(iv). VI.8.19. Korollar. Ist M eine orientierbare geschlossene n-Mannigfaltigkeit mit Dimension n ≡ 2 mod 4, dann muss χ(M) gerade sein. VI.8. POINCARE-DUALITÄT 339 Beweis. Wir schreiben n = 2m, nach Voraussetzung ist dann m ungerade. Aus Korollar VI.8.18 erhalten wir eine nicht-degenerierte Bilinearform auf der mittleren Kohomologie, H m (M; R) × H m (M; R) → R, ω(α, β) := hα ∪ β, [M]R i. Diese Bilinearform ist schiefsymmetrisch, dh. ω(α, β) = −ω(β, α), siehe Korollar VI.6.1(ii), denn m ist ungerade. Mittels linearer Algebra folgt nun, dass H m (M; R) gerade Dimension hat.110 Mittels bm (M) = dimR H m (M; R), siehe Bemerkung VI.4.16, schließen wir, dass bm (M) gerade sein muss. Zusammen mit Korollar VI.8.17 folgt nun die Behauptung. Ist φ : V × V → R eine nicht-degenerierte symmetrische Bilinearform auf einem endlich-dimensionalen reellen Vektorraum V , dann bezeichne n o ± n (φ) := max dim W W ist Teilraum von V und ±φ|W > 0 . Aus der linearen Algebra wissen wir, dass V eine Basis besitzt bezüglich der φ die Gestalt In+ (φ) 0 φ= 0 −In− (φ) hat, wobei In die n-dimensionale Einheitsmatrix bezeichnet. Unter der Signatur von φ verstehen wir die ganze Zahl σ(φ) := n+ (φ) − n− (φ). VI.8.20. Lemma. Sind φ, φ1 und φ2 nicht-degenerierte symmetrische Bilinearformen auf endlich dimensionalen reellen Vektorräumen V , V1 und V2 , dann gilt: (i) σ(−φ) = −σ(φ). (ii) σ(φ1 ⊕ φ2 ) = σ(φ1 ) + σ(φ2 ).111 (iii) σ(φ1 ⊗ φ2 ) = σ(φ1 ) · σ(φ2 ).112 (iv) Existiert ein Teilraum W ⊆ V , sodass dim V = 2 dim W und φ|W = 0, dann gilt σ(φ) = 0. 110Ist V ein endlich-dimensionaler reeller Vektorraum und ω : V × V → R eine schiefsymmetrische nicht-degenerierte Bilinearform auf V , dann muss V gerade-dimensional sein. Um dies einzusehen wählen wir 0 6= v ∈ V . Wegen der Nichtdegeneriertheit von ω existiert dann u ∈ V mit ω(v, u) = 1. Beachte, dass v und u einen zwei-dimensionalen Teilraum aufspannen, denn ω(v, v) = 0 wegen der Schiefsymmetrie von ω. Betrachte nun den Teilraum V0 := {x ∈ V | ω(x, v) = 0 = ω(x, u)}. Einschränkung von ω liefert eine nicht-degenerierte schiefsymmetrische Bilinearform ω0 : V0 × V0 → R. Mittels Induktion nach der Dimension von V dürfen wir annehmen, dass V0 gerade Dimension hat. Wegen der Nichtdegeneriertheit von ω gilt jedoch dim V0 = dim V − 2, also ist auch V gerade-dimensional. 111Dabei bezeichnet φ ⊕ φ die durch (φ ⊕ φ )((v , v ), (u , u )) := φ (v , u ) + φ (v , u ) 1 2 1 2 1 2 1 2 1 1 1 2 2 2 definierte nicht-degenerierte symmetrische Bilinearform auf V1 ⊕ V2 . 112Dabei bezeichnet φ ⊗ φ die durch (φ ⊗ φ )(v ⊗ v , u ⊗ u ) := φ (v , u ) · φ (v , u ) 1 2 1 2 1 2 1 2 1 1 1 2 2 2 definierte nicht-degenerierte symmetrische Bilinearform auf V1 ⊗ V2 . 340 VI. KOHOMOLOGIE (v) σ(ω1 ⊗ ω2 ) = 0, für je zwei nicht-degenerierte schiefsymmetrische Bilinearformen ω1 und ω2 auf V1 und V2 .113 Beweis. Die Behauptungen (i) und (ii) sind trivial. Nun zu (iii). Wir wählen Zerlegungen Vi+ ⊕ Vi− = Vi , i = 1, 2, sodass ±φi |Vi± > 0. Es lässt sich leicht verifizieren, dass die Bilinearform φ1 ⊗φ2 auf dem Teilraum (V1+ ⊗V2+ )⊕(V1− ⊕V2− ) positiv definit ist. Analog ist φ1 ⊗ φ2 auf dem Teilraum (V1+ ⊗ V2− ) ⊕ (V1− ⊕ V2+ ) negativ definit. Da (V1+ ⊗ V2+ ) ⊕ (V1− ⊕ V2− ) ⊕ (V1+ ⊗ V2− ) ⊕ (V1− ⊕ V2+ ) = V1 ⊗ V2 folgt + − − n+ (φ1 ⊗ φ2 ) = dim (V1+ ⊗ V2+ ) ⊕ (V1− ⊕ V2− ) = n+ 1 n2 + n1 n2 − − + n− (φ1 ⊗ φ2 ) = dim (V1+ ⊗ V2− ) ⊕ (V1− ⊕ V2+ ) = n+ 1 n2 + n1 n2 ± ± wobei n± i := ni (φi ) = dim Vi . Für die Signatur ergibt sich nun: σ(φ1 ⊗ φ2 ) = n+ (φ1 ⊗ φ2 ) − n− (φ1 ⊗ φ2 ) + − − + − − + = n+ 1 n2 + n1 n2 − n1 n2 + n1 n2 − + − = (n+ 1 − n1 )(n2 − n2 ) = σ(φ1 ) · σ(φ2 ) Ad (iv). Wähle 0 6= w ∈ W . Da φ nicht-degeneriert ist, existiert v ∈ V mit φ(w, v) = 1. Durch Addieren eines geeigneten Vielfachen von w zu v können wir auch φ(v, v) = 0 erreichen, denn φ(w, w) = 0. Es bezeichne V0 den zweidimensionalen Teilraum, der von w und v aufgespannt wird. Durch Einschränken von φ auf V0 erhalten wir eine nicht-degenerierte symmetrische Bilinearform φ0 := φ|V0 auf V0 . In der Basis {w, v} von V0 ist sie durch die Matrix ( 01 10 ) gegeben, es gilt daher σ(φ0 ) = 0. Betrachte das orthogonale Komplement V ′ := {u ∈ V | φ(u, v) = 0 = φ(u, w)} und die Einschränkung φ′ := φ|V ′ . Dann gilt φ = φ0 ⊕ φ′ , also σ(φ) = σ(φ0 ) + σ(φ′ ) = σ(φ′ ) nach (ii). Weiters ist W ′ := W ∩ V ′ ein Teilraum mit dim V ′ = 2 dim W ′ und φ′ |W ′ = 0. Da dim V ′ < dim V dürfen mittels Induktion nach der Dimension von V annehmen, dass σ(φ′ ) = 0 gilt. Es folgt sofort σ(φ) = 0. Ad (v). Da ωi nicht-degeneriert und schiefsymmetrisch ist, existieren Zerlegungen Vi+ ⊕ Vi− = Vi , sodass ωi |V ± = 0 und dim Vi+ = dim Vi− . Es folgt sofort i ω1 ⊗ ω2 |W = 0, wobei W := (V1+ ⊗ V2+ ) ⊕ (V1− ⊗ V2− ) ⊆ V1 ⊗ V2 . Da auch dim(V1 ⊗ V2 ) = 2 dim W , folgt nun σ(ω1 ⊗ ω2 ) = 0 aus (iv). 113Dabei bezeichnet ω1 ⊗ ω2 die durch (ω1 ⊗ ω2 )(v1 ⊗ v2 , u1 ⊗ u2 ) := ω1 (v1 , u1 ) · ω2 (v2 , u2 ) definierte nicht-degenerierte symmetrische Bilinearform auf V1 ⊗ V2 . VI.8. POINCARE-DUALITÄT 341 Ist M eine orientierte geschlossene 4k-Mannigfaltigkeit, dann erhalten wir aus Korollar VI.8.18 eine nicht-degenerierte Bilinearform auf der mittleren Kohomologie, φM : H 2k (M; R) × H 2k (M; R) → R, Nach Korollar VI.6.1(ii) ist φ symmetrisch. φM (α, β) := hα ∪ β, [M]R i. (VI.43) VI.8.21. Definition (Signatur). Unter der Signatur σ(M) einer orientierten geschlossenen 4k-Mannigfaltigkeit M verstehen wir die Signatur der symmetri± schen Bilinearform (VI.43). Weiters definieren wir b± 2k (M) := n (φ), es gilt daher − b2k (M) = b+ 2k (M) + b2k (M) und − σ(M) = b+ 2k (M) − b2k (M). Ist dim(M) 6≡ 0 mod 4, so setzen wir σ(M) := 0. VI.8.22. Bemerkung. Ist f : M1 → M2 eine Orientierungs-bewahrende Homotpieäquivalenz114 zwischen orientierten geschlossenen n-Mannigfaltigkeiten, dann gilt σ(M1 ) = σ2 (M). Um dies einzusehen sei o.B.d.A. n = 4k. Betrachte den ∼ = → H 2k (M1 ; R). Es gilt dann φM1 (f ∗ α, f ∗β) = Isomorphismus f ∗ : H 2k (M2 ; R) − hf ∗ α∪f ∗ β, [M1 ]i = hf ∗ (α∪β), [M1 ]i = hα∪β, f∗ [M1 ]i = hα∪β, [M2 ]i = φM2 (α, β). Also sind die beiden Bilinearformen φM1 und φM2 äquivalent, und haben daher die gleiche Signatur. Die Signatur ist also eine Homotopieinvariante orientierter geschlossener topologischer Mannigfaltigkeiten. VI.8.23. Korollar. Ist M eine orientierbare geschlossene n-Mannigfaltigkeit, dann gilt χ(M) ≡ σ(M) mod 2. Beweis. Im Fall n = 4k gilt, siehe Korollar VI.8.17, − + − σ(M) = b+ 2k (M) − b2k (M) ≡ b2k (M) + b2k (M) = b2k (M) ≡ χ(M) mod 2. Ist n 6≡ 0 mod 4, dann gilt trivialerweise σ(M) = 0, in diesem Fall folgt die Behauptung daher sofort aus Korollar VI.8.9 bzw. Korollar VI.8.19. VI.8.24. Satz (Signatur). Die Signatur hat folgende Eigenschaften: (i) σ(−M) = −σ(M), für jede orientierte geschlossene topologische nMannigfaltigkeit M. (ii) σ(M1 ⊔ M2 ) = σ(M1 ) + σ(M2 ), für je zwei orientierte geschlossene topologische n-Mannigfaltigkeiten M1 und M2 . (iii) σ(M1 × M2 ) = σ(M1 ) · σ(M2 ), für je zwei orientierte geschlossene topologische ni -Mannigfaltigkeiten Mi , i = 1, 2. (iv) σ(∂M) = 0, für jede orientierte kompakte topologische n-Mannigfaltigkeit M. 114Orientierungs-bewahrend soll hier bedeuten, dass der induzierte Isomorphismus f∗ : Hn (M1 ) − → Hn (M2 ) die Fundamentalklasse von M1 auf die Fundamentalklasse von M2 abbildet, dh. f∗ ([M1 ]) = [M2 ]. Jeder Orientierungs-bewahrende Homöomorphismus ist eine Orientierungs-bewahrende Homotpieäquivalenz, siehe Korollar V.10.8(i). ∼ = 342 VI. KOHOMOLOGIE Beweis. Ad Behauptung (i). O.B.d.A. sei dim M = 4k, andernfalls ist nichts zu zeigen. Es gilt φ−M = −φM , denn [−M] = −[M] nach Korollar V.10.8(iv). Die Aussage folgt daher aus Lemma VI.8.20(i). Ad Behauptung (ii). Wieder sei o.B.d.A. dim M1 = 4k = dim M2 . Die Aussage folgt aus Lemma VI.8.20(ii), denn offensichtlich gilt H 2k (M1 ⊔ M2 ) = H 2k (M1 ) ⊕ H 2k (M2 ), φM1 ⊔M2 = φM1 ⊕ φM2 . Ad Behauptung (iii): O.B.d.A. nehmen wir n1 + n2 = 4k an, andernfalls ist nichts zu zeigen. Mittels Korollar VI.6.1(vi) und Satz VI.5.1(v) erhalten wir: φM1 ×M2 (α1 × α2 , β1 × β2 ) = (α1 × α2 ) ∪ (β1 × β2 ), [M1 × M2 ]R = (−1)|α2 ||β1 | (α1 ∪ β1 ) × (α2 ∪ β2 ), [M1 × M2 ]R = (−1)|α2 ||β1 | (α1 ∪ β1 ) × (α2 ∪ β2 ), [M1 ]R × [M2 ]R = (−1)|α2 ||β1 | α1 ∪ β1 , [M1 ]R · α2 ∪ β2 , [M2 ]R Setze: = (−1)|α2 ||β1 | φM1 (α1 , β1 ) · φM2 (α2 , β2 ) (VI.44) ( n1 n2 H 2 (M1 ; R) ⊗R H 2 (M2 ; R) falls n1 gerade W0 := 0 sonst M W+ := H q (M1 ; R) ⊗R H 2k−q (M2 ; R) q> W− := n1 2 M q< n1 2 H q (M1 ; R) ⊗R H 2k−q (M2 ; R) W1 := W− ⊕ W+ Nach dem universellen Koeffiziententheorem liefert das Kohomologiekreuzprodukt einen Isomorphsimus ∼ = → H 2k (M1 × M2 ; R) × : W0 ⊕ W1 − Aus (VI.44) folgt, dass W0 und W1 bezüglich φM1 ×M2 orthogonal sind. Nach Lemma VI.8.20(ii) gilt daher σ(M1 × M2 ) = σ(φM1 ×M2 ) = σ(φM1 ×M2 |W0 ) + σ(φM1 ×M2 |W1 ) (VI.45) Gleichung (VI.44) zeigt auch φM1 ×M2 |W+ = 0. Wegen Poincaré Dualität für M1 und M2 , siehe Korollar VI.8.16, gilt dim W+ = dim W− , dh. dim W1 = 2 dim W+ , und daher σ(φM1 ×M2 |W1 ) = 0 nach Lemma VI.8.20(iv). Zusammen mit (VI.45) folgt σ(M1 × M2 ) = σ(φM1 ×M2 |W0 ). Ist n1 ≡ 1 mod 2, dann folgt σ(M1 × M2 ) = 0, denn W0 = 0. Ist n1 ≡ 0 mod 4, dann zeigt (VI.45), dass φM1 ×M2 |W0 ∼ = φM1 ⊗φM2 und daher σ(M1 ×M2 ) = σ(M1 )· σ(M2 ) nach Lemma VI.8.20(iii). Ist n1 ≡ 2 mod 4, dann ist die Cup-Produkt VI.8. POINCARE-DUALITÄT 343 ni Paarung auf H 2 (Mi ; R) schiefsymmetrisch, und φM1 ×M2 |W0 ∼ = −φM1 ⊗ φM2 nach (VI.45), aus Lemma VI.8.20(v) folgt daher σ(M1 × M2 ) = 0. In jedem Fall ist damit Behauptung (iii) gezeigt. Ad Behauptung (iv). O.B.d.A. sei dim M = 4k + 1. Es bezeichne ι : ∂M → M die Inklusion des Randes. Für α, β ∈ H 2k (M; R) gilt dann φ∂M (ι∗ α, ι∗ β) = hι∗ α ∪ ι∗ β, [∂M]R i = hι∗ (α ∪ β), [∂M]R i = hα ∪ β, ι∗ [∂M]R i = hα ∪ β, ι∗ δ[M]R i = 0, denn [∂M]R = δ[M]R nach Korollar V.10.33(vi), und ι∗ ◦ δ = 0 aufgrund der Exaktheit der Homologiesequenz des Paares (M, ∂M). Wir erhalten somit Betrachte nun das Diagramm: H 2k (M; R) ι∗ / φ∂M |img(ι∗ ) = 0. δ H 2k (∂M; R) / H 2k+1 (M, ∂M; R) ∼ = −∩[M ]R ∼ = −∩[∂M ]R H2k (∂M; R) ι∗ / H2k (M; R) Nach Satz VI.8.2 sind die beiden vertikalen Pfeile tatsächlich Isomorphismen, und aufgrund von Bemerkung VI.7.7 kommutiert das Quadrat bis auf Vorzeichen, denn δ[M]R = [∂M]R . Zusammen mit der Exaktheit der oberen Zeile erhalten wir H 2k (∂M; R) ∼ = ker(δ) ⊕ img(δ) ∼ = ker(δ) ⊕ img(ι∗ ) ∼ = img(ι∗ ) ⊕ img(ι∗ ) (VI.46) Nach dem universellen Koeffiziententheorem haben wir ein kommutatives Diagramm: H 2k (M; R) ι∗ / H 2k (∂M; R) ∼ = h−,−i ∼ = h−,−i H2k (M; R) ∗ (ι∗ )∗ / H2k (∂M; R) ∗ Dh. ι∗ und ι∗ sind duale Abbildungen, haben daher denselben Rang und somit gilt img(ι∗ ) ∼ = img(ι∗ ). Zusammen mit (VI.46) erhalten wir H 2k (∂M; R) ∼ = img(ι∗ ) ⊕ img(ι∗ ). Behauptung (iv) folgt nun aus Lemma VI.8.20(iv) mit W = img(ι∗ ). VI.8.25. Beispiel. Ist M eine geschlossene orientierte topologische n-Man≃ nigfaltigkeit und f : M − → M eine orientierungsumkehrende Homotopieäquivalenz,115 dann gilt σ(M) = 0. Dies ist eine Konsequenz von Satz VI.8.24(i) und 115Dh. ∼ = unter dem Isomorphismus f∗ : Hn (M ) − → Hn (M ) gilt f∗ ([M ]) = −[M ]. Dies ist offensichtlich äquivalent dazu, dass f : M → (−M ) eine orientierungsbewahrende Homotopieäquivalenz definiert. Jeder orientierungsumkehrende Homöomorphismus ist eine orientierungsumkehrende Homotopieäquivalenz. 344 VI. KOHOMOLOGIE ≃ Bemerkung VI.8.22, denn f : M − → (−M) ist eine orientierungsbewahrende Homotopieäquivalenz und daher σ(M) = σ(−M) = −σ(M). Da σ(CP2n ) = ±1116 ≃ muss also jede Homotopieäquivalenz f : CP2n − → CP2n orientierungsbewahrend sein! Dasselbe gilt für CP2n1 × · · · × CP2nr , denn σ(CP2n1 × · · · × CP2nr ) = ±1, siehe Satz VI.8.24(iii). VI.8.26. Beispiel. Ist M eine geschlossene orientierte topologische 4-Mannigfaltigkeit mit σ(M) 6= 0, dann kann M nicht homöomorph zu einem nichttrivialen Produkt orientierter Mannigfaltigkeiten sein, dh. es existieren keine orientierbaren Mannigfaltigkeiten M1 und M2 mit M ∼ = M1 × M2 und dim Mi > 0. Dies folgt sofort aus Satz VI.8.24(iii), denn aus Dimensionsgründen muss σ(M1 ) = 0 = σ(M2 ) gelten. VI.8.27. Beispiel. Nach Satz VI.8.24(ii) gilt σ CP2n ⊔ CP2n = 2, also kann CP2n ⊔ CP2n nicht orientierter117 Rand einer kompakten orientierten Mannigfaltigkeit sein, siehe Satz VI.8.24(iv). Dasselbe gilt für CP2n ⊔ · · · ⊔ CP2n . VI.8.28. Bemerkung (Kobordismenring). Zwei geschlossene orientierte topologische Mannigfaltigkeiten M1 und M2 werden kobordant genannt, falls eine kompakte orientierte topologische Mannigfaltigkeit W existiert, sodass ∂W ∼ = M1 ⊔(−M2 ). Diese Relation ist reflexsiv, denn ∂(I ×M) = (∂I)×M ∼ = M ⊔(−M), für geschlossenes M. Sie ist auch symmetrisch, denn aus ∂W ∼ = M1 ⊔ (−M2 ) folgt ∂(−W ) = −∂W ∼ = M2 ⊔ (−M1 ). Unter Verwendung von Satz V.10.26 lässt sich leicht zeigen, dass diese Relation auch transitiv ist. Es bezeichne Ωtop n die Menge der Äquivalenzklassen geschlossener orientierter topologischer n-Mannigfaltigkeiten bezüglich dieser Bordismenrelation. Die disjunkte Vereinigung orientierter Mannigfaltigkeiten ist mit dieser Äquivalenzrelation verträglich und definiert eitop top ne Abbildung Ωtop → Ωtop zu einer abelschen Grupn × Ωn n . Dies macht Ωn pe, deren neutrales Element von der leeren Mannigfaltigkeit (aber auch von S n ) repräsentiert wird. Das Inverse von M wird durch −M repräsentiert. Aus der Klassifikation der topologischen n-Mannigfaltigkeiten für 0 ≤ n ≤ 2, folgt sofort top top ∼ Ωtop = Z, Ω1 = 0 und Ω2 = 0. Auch das Produkt orientierter Mannigfal0 tigkeiten ist mit der Kobordismenrelation verträglich und liefert eine Abbildung top top top Ωtop zu einem kommutativen graduierten n1 × Ωn2 → Ωn1 +n2 . Dadurch wird Ω∗ Ring. Nach Satz VI.8.24 faktorisiert die Signatur zu einem Ringhomomorphismus σ : Ωtop ∗ → Z. Ersetzen wir topologische durch glatte Mannigfaltigkeiten so erhalten wir völlig analog einen kommutativen graduierten Ring Ω∗ . Arbeiten wir mit unorientierten Mannigfaltigkeiten, so erhalten wir die unorientierten Kobordismenringe N∗top 116Bezüglich der Standardorientierung von CP2n , dh. der, die von der komplexen Struktur induziert wird, gilt σ(CP2n ) = 1. 117Beachte, dass W := CP2n × I eine kompakte orientierbare Mannigfaltigkeit mit orientiertem Rand CP2n ⊔ (−CP2n ) ist. VI.8. POINCARE-DUALITÄT 345 bzw. N∗ . Diese Ringe sind berechenbar, etwa gilt nach einem Resultat von René Thom, Ω∗ ⊗ Q ∼ |x4k | = 4k, = Q[x4 , x8 , x12 , . . . ], dh. der rationale Kobordismenring Ω∗ ⊗ Q ist ein Polynomring mit abzählbar vielen Erzeugern x4k . Dabei wird x4k von CP2k repräsentiert. Daraus folgt etwa, dass die glatte 8-Mannigfaltigkeit (CP2 × CP2 ) ⊔ (−CP4 ) nicht Rand einer orientierten kompakten glatten Mannigfaltigkeit sein kann.118 Details finden sich etwa in [20, Chapter 21] und [13, Chapter 25]. VI.8.29. Korollar. Ist M eine orientierte kompakte topologische n-Mannigfaltigkeit mit Rand ∂M = ∂− M ⊔ ∂+ M, dann faktorisiert die sogenannte CupProdukt Paarung φM : H q (M, ∂− M) × H n−q (M, ∂+ M) → Z, zu einer nicht-degenerierten 119 Paarung φM (α, β) := hα ∪ β, [M]i. (VI.47) φM : H q (M, ∂− M)fa × H n−q (M, ∂+ M)fa → Z, (VI.48) für jedes q, vgl. Bemerkung VI.8.7 Beweis. Ist α ∈ H q (M, ∂− M)tor oder β ∈ H n−q (M, ∂+ M)tor , dann folgt hα ∪ β, [M]i = 0, denn Ztor = 0. Dies zeigt, dass die Paarung (VI.47) tatsächlich zu einer Paarung wie in (VI.48) faktorisiert. Aus dem universellen Koeffiziententheorem VI.4.11 folgt, dass die bilineare Paarung H q (M, ∂− M)fa × Hq (M, ∂− M)fa → Z, (α, β) 7→ hα, βi nicht degeneriert ist, denn H q (M, ∂− M)tor = Ext(Hq−1 (M, ∂− M), Z) und H q (M, ∂− M)fa = Hom(Hq (M, ∂− M), Z) = Hom(Hq (M, ∂− M)fa , Z). Nach Satz VI.8.2 ist ∼ = → Hq (M, ∂− M)fa − ∩ [M] : H n−q (M, ∂+ M)fa − ein Isomorphismus. Die Behauptung folgt nun aus der Formel hα ∪ β, [M]i = hα, β ∩ [M]i, siehe Korollar VI.7.4(iv). VI.8.30. Bemerkung. Tensorieren wir (VI.48) mit einerm Körper K der Charakteristik 0, so erhalten wir eine nicht-degenerierte Paarung H q (M, ∂− M)fa ⊗ K × H n−q (M, ∂+ M)fa ⊗ K → K. (VI.49) 118Die Signatur reicht für diese Schlussfolgerung nicht aus, denn nach Satz VI.8.24 gilt σ (CP2 × CP2 ) ⊔ (−CP4 ) = 0. 119Es seien A und B zwei freie abelsche Gruppen endlichen Ranges. Eine bilineare Paarung ∼ = A × B → Z wird nicht-degeneriert genannt, falls sie einen Isomorphismus A − → Hom(B, Z) ∼ = induziert. In diesem Fall ist dann auch B − → Hom(A, Z) ein Isomorphismus. Bezüglich Basen von A und B ist jede bilineare Abbildung A × B → Z durch eine Matrix mit ganzzahligen Eintragungen gegeben. Sie ist genau dann nicht-degenerierte, wenn diese Matrix quadratisch mit Determinante ±1 ist. 346 VI. KOHOMOLOGIE Nach dem universellen Koeffiziententheorem induziert der von Z → K induzierte Homomorphismus H q (M, ∂± M) → H q (M, ∂± M; K) einen Isomorphismus ∼ = → H q (M, ∂± M; K). H q (M, ∂± M)fa ⊗ K − Bis auf diesen Isomorphismus stimmt (VI.49) mit der nicht-degenerierten Paarung aus Korollar VI.8.18 überein. Daher ist alle Information letztgenannter Paarung schon in der Paarung (VI.48) enthalten, vorausgesetzt K hat Charakteristik 0. VI.8.31. Bemerkung. Wir wollen nun erneut den Kohomologiering des komplexen projektiven Raums bestimmen, vgl. Beispiel VI.6.8, ohne dabei auf die (aufwendigen) Berechnungen in Abschnitt V.7 zurückzugreifen, H ∗ (CPn ) ∼ = Z[x]/xn+1 , |x| = 2. (VI.50) Aus Beispiel VI.4.20 wissen wir, dass die additive Struktur der Kohomologie durch (VI.50) gegeben ist. Um auch die Ringstruktur zu bestimmen gehen induktiv vor. Für n = 0 und n = 1 ist die Aussage trivial. Sei nun n ≥ 2, und x ∈ H 2 (CPn ; Z2 ) ∼ = Z ein Erzeuger. Aus Beispiel VI.4.20 wissen wir, dass die Inn−1 klusion ι : CP → CPn Isomorphismen ι∗ : H p (CPn ) ∼ = H p (CPn−1 ) induziert, p < 2n. Insbesondere ist ι∗ x ein Erzeuger von H 2 (CPn−1 ). Nach Induktionsvoraussetzung ist daher auch (ι∗ x)q ein Erzeuger von H 2q (CPn−1 ), 0 ≤ q < n. Aus der Natürlichkeit des Cup-Produktes, ι∗ (xq ) = (ι∗ x)q , folgt nun, dass xq ein Erzeuger von H 2q (CPn ) ist, 0 ≤ q < n. Es bleibt daher nur noch zu zeigen, dass auch xn einen Erzeuger von H 2n (CPn ) bildet. Nun ist CPn eine geschlossene orientierbare 2n-Mannigfaltigkeit, nach Korollar VI.8.29 existiert daher ξ ∈ H 2 (CPn ) mit hxn−1 ∪ ξ, [CPn ]i = 1. Insbesondere muss ξ ein Erzeuger von H 2 (CPn ) ∼ = Z sein, n n n dh. ξ = ±x. Wir erhalten somit hx , [CP ]i = ±1, also ist x ein Erzeuger von H 2n (CPn ) ∼ = Z. Damit ist der Induktionsschritt gezeigt. Völlig analog lässt sich so auch die Ringstruktur von H ∗ (HPn ) berechnen, siehe Beispiel VI.6.8. Es sei nun M eine geschlossene orientierte 4k-Mannigfaltigkeit. Dann ist die Cup-Produkt Paarung φM : H 2k (M)fa × H 2k (M)fa → Z, φM (α, β) := hα ∪ β, [M]i (VI.51) eine nicht-degenerierte symmetrische Bilinearform. Bezüglich einer Basis der freien abelschen Gruppe H 2k (M)fa ist diese Paarung durch eine symmetrische Matrix mit ganzzahligen Eintragungen gegeben. Die Nichtdegeneriertheit der Paarung ist äquivalent dazu, dass diese Matrix unimodular ist, dh. Determinante ±1 hat. Ihre Signatur stimmt mit der Signatur von M überein, siehe Bemerkung VI.8.30 oben. VI.8. POINCARE-DUALITÄT 347 VI.8.32. Bemerkung. Die Cup-Produkt Paarung (VI.51) ist eine Homoto≃ pieinvariante orientierter geschlossener 4k-Mannigfaltigkeiten. Ist f : M1 − → M2 eine orientierungsbewahrende Homotopieäquivalenz, dann gilt (f ∗ )∗ φM1 = φM2 , ∼ = → H 2k (M1 ), denn ((f ∗ )∗ φM1 )(α, β) = φM1 (f ∗ α, f ∗ β) = wobei f ∗ : H 2k (M2 ) − hf ∗ α ∪ f ∗ β, [M1 ]i = hf ∗ (α ∪ β), [M1 ]i = hα ∪ β, f∗ [M1 ]i = hα ∪ β, f∗ [M2 ]i = φM2 (α, β), und daher haben M1 und M2 äquivalente Cup-Produkt Paarungen, φM1 ∼ = φM2 . VI.8.33. Bemerkung (Klassifikation unimodularer symmetrischer Bilinearformen). Eine nicht-degenerierte symmetrische Bilinearform φ auf einem endlich dimensionalen reellen Vektorraum V ist durch ihren Rang rank(φ) = dim(V ) und ihre Signatur σ(φ) bis auf Äquivalenz eindeutig bestimmt, dh. für jede weitere nicht-degenerierte symmetrische Bilinearform φ′ auf einem reellen Vektoraum V ′ mit rank(φ) = rank(φ′ ) und σ(φ) = σ(φ′ ) existiert ein Isomorphismus ∼ = → V ′ , sodass λ∗ φ′ = φ. λ:V − Die Klassifikation der ganzzahligen symmetrischen Bilinearformen ist erheblich subtiler. Zwei unimodulare symmetrische Bilinearformen φ : A × A → Z, und φ′ : A′ × A′ → Z auf freien abelschen Gruppen endlichen Ranges A und A′ wer∼ = den äquivalent oder isomorph genannt, falls ein Isomorphismus λ : A − → A′ mit λ∗ φ′ = φ existiert. Durch Wahl einer Basis der freien abelschen Gruppe A sehen wir, dass jede unimodulare symmetrische Bilinearform äquivalent zu einer unimodularen symmetrischen Bilinearform auf Zk ist. Eine unimodulare symmetrische Bilinerform auf Zk wird durch eine symmetrische ganzzahligen Matrix mit Determinante ±1 beschrieben. Zwei solche Matrizen Φ und Φ′ definieren äquivalente Bilinerformen, falls eine ganzzahlige Matrix B mit Determinante ±1 existiert, sodass B t Φ′ B = Φ. Wir ordnen einer unimodularen symmetrischen Bilinearform φ : A × A → Z drei Invarianten zu, ihren Rang rank(φ) := rank(A), ihre Signatur σ(φ) und ihre Parität. Dabei ist die Parität von φ gerade falls φ(a, a) ≡ 0 mod 2 für alle a ∈ A, und ungerade sonst.120 Offensichtlich haben äquivalente unimodulare symmetrische Bilinearformen denselben Rang, die selbe Signatur und auch die gleiche Parität. Eine unimodulare symmetrische Bilinearformen ist durch diese drei Invarianten i.A. jedoch nicht festgelegt, und auch können nicht alle Tripel (Rang, Signatur, Parität) auftreten.121 Die Bilinearform φ wird positiv definit genannt, falls rank(φ) = σ(φ), und sie heißt negativ definit falls rank(φ) = −σ(φ).122 Ist φ weder positiv noch negativ definit, dann wird sie indefinit genannt. 120Die Bilinearform φ ist genau dann gerade, wenn die Matrix von φ bezüglich einer (und dann jeder) Basis von A gerade Diagonaleintragungen besitzt. 121Etwa gilt offensichtlich stets |σ(φ)| ≤ rank(φ). Für gerades φ haben wir darüber hinaus aber auch σ(φ) ≡ 0 mod 8. 122Die Bilinearform φ ist genau dann positiv bzw. negativ definit, wenn ihre Matrixdarstellung bezüglich einer (und dann jeder) Basis von A positiv bzw. negativ definit ist. 348 VI. KOHOMOLOGIE Die indefiniten unimodularen symmetrischen Bilinearformen sind relativ leicht zu verstehen. Jede ungerade indefinite unimodulare symmetrische Bilinearform ist diagonalisierbar, dh. äquivalent zu Ib+ 0 (VI.52) 0 Ib− wobei Ib die (b × b)-Einheitsmatrix bezeichnet, und b± durch rank(φ) = b+ + b− sowie σ(φ) = b+ − b− bestimmt sind. Jede gerade indefinite unimodulare symmetrische Bilinearform φ mit σ(φ) ≥ 0 ist äquivalent zu φ∼ · · ⊕ H} ⊕ E8 ⊕ · · · ⊕ E8 = |H ⊕ ·{z {z } | a Summanden wobei H= 0 1 1 0 und b Summanden 2 1 0 0 E8 = 0 0 0 0 1 2 1 0 0 0 0 0 0 1 2 1 0 0 0 0 0 0 1 2 1 0 0 0 0 0 0 1 2 1 0 1 0 0 0 0 1 2 1 0 0 0 0 0 0 1 2 0 0 0 0 0 . 1 0 0 2 Die beiden Zahlen a und b sind dabei durch rank(φ) = 2a + 8b und σ(φ) = 8b bestimmt.123 Bei den definiten unimodularen symmetrischen Bilinearformen ist die Situation wesentlich komplizierter. Die Anzahl paarweise inäquivalenter solcher Formen wächst sehr rasch mit dem Rang. Es gibt bespielsweise ungefähr 1050 paarweise nicht äquivalente solche Formen mit Rang 40. Beweise obiger Behauptungen finden sich etwa in [21]. VI.8.34. Beispiel (Einfach zusammenhängende 4-Mannigfaltigkeiten). Es sei M eine einfach zusammenhängende geschlossene topologische 4-Mannigfaltigkeit. Nach Huréwicz, siehe Satz IV.11.3, gilt H1 (M) = 0. Mit dem universellen Koeffiziententheorem erhalten wir auch H 1 (M) = 0. Wegen des Zusammenhangs von M gilt H0 (M) ∼ = Z und nach dem universellen Koeffiziententheorem daher auch H 0 (M) ∼ = Z. Aufgrund des einfachen Zusammenhangs ist M orientierbar, mittels Poincaré Dualität, siehe Satz VI.8.2, folgt nun H4 (M) ∼ = H 4 (M) und =Z∼ H3 (M) = 0 = H 3 (M). Aus dem universellen Koeffiziententheorem folgt, dass H 2 (M) ∼ = Hom(H2 (M), Z) eine freie abelsche Gruppe ist. Mittels Poincaré Dualität sehen wir, dass auch H2 (M) frei abelsch sein muss. Die additive Struktur 123Da σ(−φ) = −σ(φ) erhalten wir daraus auch sofort eine Beschreibung aller gerader indefiniten unimodularen symmetrischen Bilinearform mit σ(φ) ≤ 0. Beachte hier jedoch die Äquivalenzen −H ∼ = H und E8 ⊕ (−E8 ) ∼ = 8H := H ⊕ H ⊕ H ⊕ H ⊕ H ⊕ H ⊕ H ⊕ H. VI.8. POINCARE-DUALITÄT 349 von H∗ (M) und H ∗ (M) ist daher völlig durch Z q Hq (M) ∼ = Zb2 = H (M) ∼ 0 b2 := b2 (M) bestimmt: falls q = 0, 4 falls q = 2 sonst Nach Korollar VI.8.29 ist die Cup-Produkt Paarung (Schnittform) φ : H 2 (M) × H 2 (M) → Z, φ(α, β) := hα ∪ β, [M]i nicht-degeneriert. Dies ist eine sehr feine Invariante geschlossener 4-Mannigfaltigkeiten. Nach einem Satz von Whitehead sind zwei einfachzusammenhängende geschlossene topologische 4-Mannigfaltigkeiten genau dann homotopieäquivalent, wenn sie äquivalente Schnittformen haben. Freedman konnte zeigen, dass jede unimodulare symmetrische Bilinearform als Schnittform einer einfach zusammenhängenden geschlossenen topologischen 4-Mannigfaltigkeit auftritt. Im geraden Fall gibt es, bis auf Homöomorphie, genau eine solche topologische Mannigfaltigkeit. Im ungeraden Fall, gibt es genau zwei nichthomöomorphe solche Mannigfaltigkeiten.124 Damit ist also die Klassifikation der einfach zusammenhängenden geschlossenen topologischen 4-Mannigfaltigkeiten auf das algebraische Problem der Klassifikation der unimodularen symmetrischen Bilinearformen zurückgeführt, vgl. Bemerkung VI.8.33 oben. Es stellt sich nun die Frage, welche dieser topologischen Mannigfaltigkeiten eine glatte Struktur besitzen und wieviel nicht-äquivalente glatte Strukturen es gibt. Ist M eine einfachzusammenhängende geschlossene glatte 4-Mannigfaltigkeit mit gerader Schnittform, dann muss nach einem Resultat von Rohlin σ(M) ≡ 0 mod 16 gelten.125 N Ist die Schnittform einer einfachzusammenhängenden geschlossenen glatten 4-Mannigfaltigkeit definit, dann muss sie nach einem Resultat von Donaldson schon diagonalisierbar sein. Dies schränkt die Bilinearformen, die als Schnittformen von glatten 4-Mannigfaltigkeiten auftreten gewaltig ein, siehe Bemerkung VI.8.33 oben. Welche der Formen aH ⊕ bE8 tatsächlich als Schnittform glatter 4-Mannigfaltigkeiten auftreten ist bis heute ungelöst.126 Die diagonalisierbaren unimodularen Bilinearformen (VI.52) treten als Schnittformen 124Und höchstens eine der beiden besitzt eine glatte Struktur! Zwei einfach zusammenhängende geschlossene glatte 4-Mannigfaltigkeiten sind daher genau dann homöomorph wenn ihre Schnittformen äquivalent sind. 125Nach Freedman gibt es genau eine einfachzusammenhängende geschlossene topologische 4-Mannigfaltigkeit mit Schnittform E8 . Nach Rohlin kann diese keine glatte Struktur besitzten, denn σ(E8 ) = 8 6≡ 0 mod 16. 126Nach der 11 -Vermutung, sollte für glatte 4-Mannigfaltigkeiten mit Schnittform aH ⊕bE 8 8 stets 2a ≥ 3b gelten, dies ist jedoch bis heute unbewiesen. Drücken wir diese Ungleichung durch Signatur σ und Rang r aus, bedeutet dies gerade |σ| ≤ 11 8 r. 350 VI. KOHOMOLOGIE der zusammenhängeden Summen127 CP2 ♯ · · · ♯CP2 ♯(−CP2 )♯ · · · ♯(−CP2 ) auf. Die sogenannte K3-Fläche (komplex 2-dimensional) [z0 : z1 : z2 : z3 ] ∈ CP3 z04 + z14 + z24 + z34 = 0 ist eine einfachzusammenhängende glatte geschlossene 4-Mannigfaltigkeit mit Schnittform 3H ⊕ 2E8 . VI.8.35. Bemerkung. Jede endlich präsentierbare Gruppe tritt als Fundamentalgruppe einer geschlossenen glatten 4-Mannigfaltigkeit auf. Die Klassifikation nicht einfachzusammenhängender 4-Mannigfaltigkeiten ist daher mindestens so reichhaltig wie die Klassifikation der endlich präsentierbaren Gruppen. VI.9. Die Thom-Klasse und Schnittzahlen. Wir werden in diesem Abschnitt zunächst eine geometrische Interpretation des Cup-Produktes auf Mannigfaltigkeiten herleiten, siehe Korollar VI.9.7 unten. Wir beschränken uns dabei auf geschlossene orientierte Mannigfaltigkeiten. Alles lässt sich auch im nichtorientierten (Z2 -Koeffizienten) oder berandeten Fall formulieren. Es sei M eine topologische n-Mannigfaltigkeit. Eine Teilmenge A ⊆ M wird (flache) a-Teilmannigfaltigkeit genannt, falls zu jedem Punkt x ∈ A eine offene ∼ = → Rn = Ra × Rn−a Umgebung U ⊆ M von x und ein Homöomorphismus ϕ : U − existieren, sodass ϕ(x) = 0 und ϕ(U ∩ A) = Ra = Ra × {0} ⊆ Rn . (VI.53) Durch Einschränken solcher Karten sehen wir, dass A in diesem Fall selbst eine a-Mannigfaltigkeit ist. Eine Karte ϕ wie oben wird als Teilmannigfaltigkeitskarte von A in M bei x bezeichnet. VI.9.1. Beispiel. Offensichtlich ist Ra ⊆ Rn eine Teilmannigfaltigkeit. Aber auch RPa ⊆ RPn , CPa ⊆ CPn und HPa ⊆ HPn sind Teilmannigfaltigkeiten, 0 ≤ a ≤ n. VI.9.2. Bemerkung. Sind M eine glatte n-Mannigfaltigkeit, A eine geschlossene glatte a-Mannigfaltigkeit und f : A → M eine injektive Immersion, dann folgt aus dem impliziten Funktionensatz, dass f (A) eine a-Teilmannigfaltigkeit von M ist. Es sei B ⊆ M eine zweite b-Teilmannigfaltigkeit. Wir sagen A und B schneiden einander transversal, falls zu jedem Punkt x ∈ A ∩ B eine offene Umgebung ∼ = U ⊆ M von x und ein Homöomorphismus ϕ : U − → Rn = Ra−k × Rk × Rb−k existieren, sodass a + b ≥ n, ϕ(x) = 0, ϕ(U ∩ A) = Ra = Ra × {0} ⊆ Rn , ϕ(U ∩ B) = Rb = {0} × Rb ⊆ Rn . (VI.54) Es ist eine leichte Übungsaufgabe φM1 ♯M2 ∼ = φM1 ⊕φM2 zu zeigen, für je zwei geschlossene 4-Mannigfaltigkeiten M1 und M2 . 127 VI.9. DIE THOM-KLASSE UND SCHNITTZAHLEN 351 Mit k := a + b − n gilt dann auch ϕ(U ∩ (A ∩ B)) = Rk = {0} × Rk × {0} ⊆ Rn , und daher ist in diesem Fall A ∩ B eine k-Teilmannigfaltigkeit von M. Sind A, B und M orientiert, dann erbt A ∩ B eine Orientierung wie folgt. Aus der lokalen Orientierung oM x ∈ Hn (M, M \ {x}) erhalten wir via Hn (M, M \ {x}) o ∼ = Exz. Hn (U, U \ {x}) ϕ∗ ∼ = / Hn (Rn , Rn \ {0}) einen Erzeuger õM ∈ Hn (Rn , Rn \ {0}). Ebenso erhalten wir aus der lokalen Orientierung oA x ∈ Ha (A, A \ {x}) via Ha (A, A \ {x}) o ∼ = Exz. Ha (A ∩ U, (A ∩ U) \ {x}) (ϕ|A∩U )∗ ∼ = Ha (Ra , Ra \ {0}) / einen Erzeuger õA ∈ Ha (Ra , Ra \ {0}). Nach dem Künneth-Theorem existiert n−a genau ein Erzeuger õ⊥ , Rn−a \ {0}), sodass A ∈ Hn−a (R õA × õ⊥ A := õM . (VI.55) Analog erhalten wir aus der lokalen Orientierung oB x ∈ Hb (B, B \ {x}) via Hb (B, B \ {x}) o ∼ = Exz. Hb (B ∩ U, (B ∩ U) \ {x}) (ϕ|B∩U )∗ ∼ = / Hb (Rb , Rb \ {0}) einen Erzeuger õB ∈ Hb (Rb , Rb \ {0}). Wir können daher einen Erzeuger õA∩B ∈ Hk (Rk , Rk \ {0}) durch õA∩B × õ⊥ (VI.56) A := õB ∼ = → Rk liefert dies eine lokale definieren. Mit Hilfe der Karte ϕ|U ∩(A∩B) : U ∩(A∩B) − Orientierung oA∩B ∈ Hk (A∩B, A∩B \ {x}) von A∩B bei x. Nach Lemma VI.9.3 x unten hängt diese Orientierung nicht von der Karte ϕ ab und definiert daher eine Orientierung von A ∩ B. Beachte (−A) ∩M B = A ∩M (−B) = A ∩−M B = −(A ∩M B) sowie B ∩ A = (−1)ab A ∩ B. Im Fall a + b = n ist A ∩ B eine 0-Mannigfaltigkeit. Da die lokalen Homologiegruppen einer 0-Mannigfaltigkeit kanonisch mit Z identifiziert werden können128 M ist eine Orientierung von A ∩ B dasselbe wie ein Vorzeichen νA,B (x) ∈ {±1} für jeden Schnittpunkt x ∈ A ∩ B. Genauer, bezüglich einer (und dann jeder) Karte ∼ = → Rn = Ra × Rb mit x ∈ U, ϕ(x) = 0, ϕ(A ∩ U) = Ra = Ra × {0} ⊆ Rn ϕ:U − und ϕ(B ∩ U) = Rb = {0} × Rb ⊆ Rn gilt: ( 1 falls õA × õB = õM M νA,B (x) = −1 falls õA × õB = −õM 128Ist N eine 0-Mannigfaltigkeit und x ∈ N , dann gilt H0 (N, N \ {x}) = H0 ({x}) = Z. 352 VI. KOHOMOLOGIE ∼ = VI.9.3. Lemma. Es seien n = a + b, Rn = Ra × Rb und ψ : Rn − → Rn ein a a b b Homöomorphismus, sodass ψ(R ) = R und ψ(R ) = R . Sind in dieser Situation zwei der drei Isomorphismen ψ∗ Z∼ =Z = Hn (Rn , Rn \ {0}) −−−−→ Hn (Rn , Rn \ {0}) ∼ (ψ|Ra )∗ Z∼ =Z = Ha (Ra , Ra \ {0}) −−−−→ Ha (Ra , Ra \ {0}) ∼ (ψ| b )∗ R Z∼ =Z = Hb (Rb , Rb \ {0}) −−−−→ Hb (Rb , Rb \ {0}) ∼ die Identität, dann gilt dies auch für den dritten. Beweis. Es bezeichnen ιa : Ra → Ra ×{0} ⊆ Rn und ιb : Rb → {0}×Rb ⊆ Rn die Inklusionen. Betrachte folgendes kommutatives Diagramm: H a (Ra , Ra \ {0}) ⊗ H b (Rb , Rb \ {0}) (ψ|Ra )∗ ⊗(ψ|Rb )∗ ∼ = O ∗ ι∗ a ⊗ιb / H a (Ra , Ra \ {0}) ⊗ H b (Rb , Rb \ {0}) O ∗ ι∗ a ⊗ιb ∼ = H a (Rn , Rn \ Rn−a ) ⊗ H b (Rn , Rn \ Ra ) ψ∗ ⊗ψ∗ ∼ = / H a (Rn , Rn \ Rn−a ) ⊗ H b (Rn , Rn \ Ra ) ∼ = ∪ ∼ = ∼ = ∪ ψ∗ H n (Rn , Rn \ {0}) / ∼ = H n (Rn , Rn \ {0}) Beachte, dass ιa : (Ra , Ra \ {0}) → (Rn , Rn \ Rn−a ) und ιb : (Rb , Rb \ {0}) → (Rn , Rn \ Ra ) Homotopieäquivalenzen von Paaren definieren und daher die beiden oberen vertikalen Pfeile tatsächlich Isomorphismen sind. Aus der Kommutativität des Diagramms erhalten wir zunächst eine zum Lemma analoge Aussage, wobei überall Homologie- durch Kohomologiegruppen ersetzt sind. Mit Hilfe des universellen Koeffiziententheorems folgt dann die Aussage des Lemmas. VI.9.4. Proposition. Es sei M eine orientierte topologische n-Mannigfaltigkeit und A ⊆ M eine geschlossene a-Teilmannigfaltigkeit. Dann existiert zu jedem q b ∈ Hn−q (A) genau eine Klasse φM A (b) ∈ H (M, M \A) mit folgender Eigenschaft: Für jede offene Umgebung V von A wird φM A (b) durch den Homomorphismus DV A Hq (V ) H q (M, M \ A) = H q (V, V \ A) −−→ auf (ιV )∗ (b) abgebildet, wobei ιV : A → V die Inklusion bezeichnet. Weiters definiert diese Zuordnung einen Isomorphismus ∼ = φM → H q (M, M \ A). A : Hn−q (A) − Insbesondere gilt H q (M, M \ A) = 0 für q < n − a, und H n−a (M, M \ A) ist eine freie abelsche Gruppe mit einem Erzeuger für jede Zusammenhangskomponente von A. Beweis. Vgl. [4, Proposition 3.46] VI.9. DIE THOM-KLASSE UND SCHNITTZAHLEN 353 VI.9.5. Definition (Thom-Klasse einer Teilmannigfaltigkeit). Es sei M eine orientierte topologische n-Mannigfaltigkeit und A ⊆ M eine orientierte geschlosn−a sene a-Teilmannigfaltigkeit. Die Klasse φM (M, M \ A) wird die A ([A]) ∈ H Thom-Klasse von A in M genannt. Dabei bezeichnet [A] ∈ Ha (A) die Fundamentalklasse von A. VI.9.6. Satz (Thom-Klasse). Ist M eine orientierte topologische n-Mannigfaltigkeit und A ⊆ M eine geschlossene orientierte a-Teilmannigfaltigkeit, dann gilt: M (i) τA−M = −τAM = τ−A . ∼ = ′ → M ein orientierungsbewahrender Homöomorphismus, so(ii) Ist f : M − ∼ ′ = dass auch f |A : A − → A′ orientierungsbewahrend ist, so gilt f ∗ τAM′ = τAM . (iii) Ist U ⊆ M offen und A ⊆ U, dann bildet der Exzisionsisomorphismus H n−a(M, M \ A) = H n−a(U, U \ A) die Thom-Klasse τAM auf τAU ab. (iv) Ist M geschlossen und bezeichnet [M] ∈ Hn (M) die Fundamentalklasse, dann wird die Thom-Klasse τAM durch die Komposition −∩[M ] τAM ∈ H n−a(M, M \ A) → H n−a (M) −−−−→ Ha (M) ∋ ι∗ ([A]) auf ι∗ [A] ∈ Ha (M) abgebildet. Dabei bezeichnet ι : A → M die Inklusion und [A] ∈ Ha (A) die Fundamentalklasse von A. (v) Die Thom-Klasse ist durch folgende Eigenschaft eindeutig charakteri∼ = stiert: Für jedes x ∈ A existiert eine Teilmannigfaltigkeitkarte ϕ : U − → Rn wie in (VI.53), sodass (ϕ−1 )∗ τAM ∩ õM = ι̃∗ (õA ). (VI.57) Dabei bezeichnet ι̃ : (Ra , Ra \ {0}) → (Rn , Rn \ Rn−a ) die Inklusion, und õA ∈ Ha (Ra , Ra \ {0}) sowie õM ∈ Hn (Rn , Rn \ {0}) die lokalen Orientierungen in der Karte. Weiters ist (VI.57) äquivalent zu −1 (ϕ |(Rn−a ,Rn−a \0) )∗ τAM , õ⊥ (VI.58) A = 1, n−a wobei õ⊥ , Rn−a \ {0}) wie in (VI.55) definiert ist. A ∈ Hn−a (R (vi) Ist B ⊆ M eine weitere zu A transversale geschlossenen orientierte bM Teilmannigfaltigkeit, dann gilt τAM ∪ τBM = τA∩B , wobei A ∩ B mit der von A, B und M induzierten Orientierung versehen ist.129 −M M Beweis. Behauptungen (i) folgt aus DA = −DA und [−A] = −[A]. BeM ∗ ∗ M′ hauptung (ii) folgt aus DA′ = f∗ ◦ DA ◦ f und f [A′ ] = [A]. Auch BehaupM U tung (iii) ist offensichtlich, denn DA und DA stimmen bis auf den Exzisionsn−a n−a isomorphismus H (M, M \ A) = H (U, U \ A) überein. Behauptung (iv) folgt daraus, dass der von der Inklusion induzierte Homomorhismus Hn (M) → 129Die Vorzeichenkonvention für die Orientierung des Durchschnitts A∩B M dass diese Formel für die Thom-Klasse τA∩B möglichst einfach wird. wurde so gewählt, 354 VI. KOHOMOLOGIE Hn (M, M \ A) die Fundamentalklasse [M] auf [M|A] abbildet. Um Behauptung (v) zu zeigen, betrachten wir folgendes kommutatives Diagramm: M DA H n−a (M, M \ A) / n Ha (M ) O ι∗ ∼ = Exz. 0 V DA H n−a (V, V \ A) Ha (V ) −∩o M x / H n−a (U, U \ A) −∩o M x O O ϕ∗ −∩õ M ∼ = / Ha (A) Ha (A, A \ {x}) O Exz. Ha (U, U \ F ) ∼ = ∼ = H n−a (Rn , Rn \ Ra ) / ι∗ o Ha (V, V \ F ) ∼ = ) ι∗ o ι∗ o Ha (U ∩ A, (U ∩ A) \ {x}) ∼ = ϕ∗ ∼ = Exz. Ha (Rn , Rn \ Rn−a ) o ι̃∗ ∼ = (ϕ|U ∩A )∗ Ha (Ra , Ra \ {0}) Dabei ist F := ϕ−1 (Rn−a ) ⊆ U und V eine offene Umgebung von A, sodass U ⊆ V und V ∩F = U ∩F . Aus der Kommutativität folgt nun, dass die Thom-Klasse die Relation (VI.57) erfüllt, und dadurch eindeutig bestimmt ist. Um die Äquivalenz von (VI.57) und (VI.58) zu zeigen, bezeichne weiters j : (Rn−a , Rn−a \ {0}) → (Rn , Rn \ Ra ) die Inklusion und p : (Rn , Rn \ Ra ) → (Rn−a , Rn−a \ {0}) die kanonischen Projektion. Da j und p zueinander inverse Homotopieäquivalenzen sind gilt ∗ (ϕ−1 )∗ τAM = p∗ j ∗ (ϕ−1 )∗ τAM = 1Ra × j ∗ (ϕ−1 )∗ τAM = 1Ra × ϕ−1 |(Rn−a ,Rn−a \0) τAM siehe auch Satz VI.5.1(iii). Mit (VI.55) und Korollar VI.7.4 folgt daher:130 ∗ M −1 −1 ∗ M a n−a n−a (ϕ ) τA ∩ õM = 1R × ϕ |(R ,R \0) τA ∩ õA × õ⊥ A = 1 ∩ õA × (ϕ−1 |(Rn−a ,Rn−a \0) )∗ τAM ∩ õ⊥ A −1 = (ϕ |(Rn−a ,Rn−a \0) )∗ τAM , õ⊥ A · õA × 1Rn−a −1 ∗ M = (ϕ |(Rn−a ,Rn−a \0) ) τA , õ⊥ A · ι̃∗ (õA ) Somit sehen wir, dass (VI.57) und (VI.58) tatsächlich äquivalent sind. Um Be∼ = → Rn eine Karte wie in (VI.54), hauptung (vi) zu zeigen sei x ∈ A ∩ B und ϕ : U − x ∈ U, Rn = Ra−k × Rk × Rb−k = Ra × Rn−a = Rn−b × Rb . 130Wir verwenden hier (α×β)∩(a×b) = (−1)|α|(|b|−|β|)(α∩a)×(β∩b). Diese Formel ist dual zu der in Korollar VI.6.1(vi) und lässt sich analog zu den anderen Relationen in Korollar VI.7.4 beweisen. VI.9. DIE THOM-KLASSE UND SCHNITTZAHLEN 355 Um die Notation ein wenig zu vereinfachen setzen wir: τ̃A := (ϕ−1 )∗ τAM ∈ H n−a (Rn , Rn \ Ra ) τ̃B := (ϕ−1 )∗ τBM ∈ H n−b (Rn , Rn \ Rb ) Nach Definition der Orientierung von A ∩ B, siehe (VI.56), gilt õB = õA∩B × õ⊥ A. Nach (VI.57) gilt τ̃B ∩ õM = (ι̃B )∗ õB wobei ι̃B : (R , R \{0}) → (R , Rn \Rn−b) die Inklusion bezeichnet. Nach (VI.58) haben wir auch −1 (ϕ |(Rn−a ,Rn−a \{0}) )∗ τAM , õ⊥ A = 1. Mittels Korollar VI.6.1 folgt nun (ϕ−1 )∗ (τAM ∪ τBM ) ∩ õM b b n = (τ̃A ∪ τ̃B ) ∩ õM = τ̃A ∩ (τ̃B ∩ õM ) = τ̃A ∩ (ι̃B )∗ õB = (ι̃B )∗ (ι̃B )∗ τ̃A ∩ õB = (ι̃B )∗ 1Rk × (ϕ−1 |(Rn−a ,Rn−a \{0}) )∗ τAM ∩ õA∩B × õ⊥ A = (ι̃B )∗ (ϕ−1 |(Rn−a ,Rn−a \{0}) )∗ τAM , õ⊥ A · õA∩B × 1Rn−a = (ι̃B )∗ õA∩B × 1Rn−a = (ι̃A∩B )∗ (õA∩B ), wobei ι̃A∩B : Rk → Rn die Inklusion bezeichnet. Nach Behauptung (v) muss M daher τAM ∪ τBM mit τA∩B übereinstimmen. Für eine geschlossenen orientierte n-Mannigfaltigkeit M bezeichne ∼ = → H q (M) P M : Hn−q (M) − ∼ = den zu − ∩ [M] : H q (M) − → Hn−q (M) inversen Isomorphismus. Dieser ist also durch P M (a) ∩ [M] = a, für alle a ∈ H∗ (M), charakterisiert. Ist A ⊆ M eine orientierte geschlossene a-Teilmannigfaltigkeit, dann wird PAM := P M (ι∗ [A]) ∈ H n−a (M) das Poincaré-Dual von A genannt, wobei ι : A → M die Inklusion bezeichnet. Nach Satz VI.9.6(iv) wird die Thom-Klasse τAM ∈ H n−a (M, M \ A) durch den Homomorphismus H n−a (M, M \A) → H a (M) auf PAM abgebildet, dh. die absolut gemachte Thom-Klasse von A stimmt mit dem Poincaré-Dual von A. Die ThomKlasse liefert daher einen bei A lokalisierten Repräsentanten von PAM . 356 VI. KOHOMOLOGIE VI.9.7. Korollar. Sind M eine geschlossene orientierte n-Mannigfaltigkeit, A ⊆ M eine geschlossene orientierte a-Teilmannigfaltigkeit und B ⊆ M eine zu A transversale geschlossene orientierte b-Teilmannigfaltigkeit, dann gilt M PAM ∪ PBM = PA∩B ∈ H 2n−a−b (M), wobei A ∩ B mit der von A, B und M induzierten Orientierung versehen ist. Beweis. Nach Satz VI.9.6(vi) gilt für die Thom-Klassen M τAM ∪ τBM = τA∩B ∈ H ∗ (M, M \ (A ∩ B)). Da die absolut gemachte Thom-Klasse mit dem Poincaré-Dual übereinstimmt, folgt die Behauptung nun aus der Natürlichkeit des Cup-Produktes. VI.9.8. Korollar. Es sei M eine geschlossene orientierte n-Mannigfaltigkeit, A ⊆ M eine geschlossene orientierte a-Teilmannigfaltigkeit, und B ⊆ M eine zu A transversale geschlossene orientierte b-Teilmannigfaltigkeit mit n = a + b. Dann ist A ∩ B endlich, und es gilt X M hPAM ∪ PBM , [M]i = νA,B (x). x∈A∩B Beweis. Als kompakte 0-Mannigfaltigkeit muss A ∩ B endlich sein. Für die Fundamentalklasse der orientierten 0-Mannigfaltigkeit A ∩ B gilt offenbar131 X M εA∩B ([A ∩ B]) = νA,B (x). (VI.59) x∈A∩B Aus Korollar VI.9.7 und Korollar VI.7.4(v) erhalten wir weiters M M hPAM ∪ PBM , [M]i = hPA∩B , [M]i = εM PA∩B ∩ [M] = εM ι∗ ([A ∩ B]) = εA∩B [A ∩ B] . Zusammen mit (VI.59) folgt nun die Behauptung. VI.9.9. Bemerkung. Aufgrund von Korollar VI.9.8 wird die Cup-Produkt Paarung H q (M) × H n−q (M) → Z auch als Schnittform bezeichnet. Beachte jedoch, dass sich i.A. nicht jede Homologieklasse H∗ (M) durch eine Teilmannigfaltigkeit von M repräsentieren lässt. P M VI.9.10. Bemerkung. Insbesondere hängt die Summe x∈A∩B νA,B (x) in Korollar VI.9.8 nur von den Homologieklassen die von A und B repräsentiert werden ab, eine Tatsache die ohne der homologischen Interpretation in Korollar VI.9.8 überhaupt nicht offensichtlich wäre, vgl. Bemerkung V.10.21. Ein wesentlicher Aspekt der Formel in Korollar VI.9.8 ist, dass die Schnittpunkte mit Vorzeichen gezählt werden. Es ist stets möglich durch kleine Modifikation von A 131Dabei bezeichnet εX : H0 (X) → H0 ({∗}) = Z, die von der konstanten Abbildung c : X → {∗} induzierte sogenannten Augmentation. Die Augmentation ist natürlich, dh. für jede stetige Abbildung f : X → Y gilt εY ◦ f∗ = εX . VI.9. DIE THOM-KLASSE UND SCHNITTZAHLEN 357 oder B weitere Schnittpunkte zu erzeugen, ohne die von A und B repräsentierten Homologieklassen zu ändern, es muss daher auch die Summe in Korollar VI.9.8 unverändert bleiben, dies ist nur mit geeigneten Vorzeichen möglich. VI.9.11. Bemerkung. Lassen sich α ∈ H a (M) und β ∈ H b (M) als Poincaré-Dual disjunkter geschlossener orientierter Teilmannigfaltigkeiten A und B darstellen, dh. α = PAM und β = PBM , dann muss α ∪ β = 0 gelten. In anderen Worten, gilt α ∪ β 6= 0, dann müssen sich A und B in mindestens einem Punkt schneiden. Dies folgt aus Korollar VI.9.7, die Dimensionen von A, B und M sind hier beliebig. VI.9.12. Beispiel. Betrachte die geschlossene 2n-Mannigfaltigkeit CPn . Es ist leicht einzusehen, dass CPa = [z0 : z1 : · · · : zn ] za+1 = · · · = zn = 0 ⊆ CPn und CPn−a = [z0 : z1 : · · · : zn ] z0 = · · · = za−1 = 0 ⊆ CPn zwei Teilmannigfaltigkeiten bilden. Diese schneiden sich in genau einem Punkt CPa ∩ CPn−a = [0 : · · · : 0 : 1 : 0 : · · · : 0] ∈ CPn , und sind transversal zu einander. Für α := PCPa ∈ H 2n−2a (CPn ) und β := PCPn−a ∈ H 2a (CPn ) gilt nach Korollar VI.9.8 daher α ∪ β, [CPn ] = ±1. Insbesondere sind α und β nicht-triviale Kohomologieklassen und wir kennen ihr Cup-Produkt, α ∪ β = ±[CPn ]. Dies liefert eine weitere Möglichkeit den Kohomologiering von CPn zu berechnen und zu verstehen. VI.9.13. Beispiel. Wir betrachten eine geschlossene orientierbare Fläche Σ mit Geschlecht g. Es bezeichnen A1 , . . . , Ag und B1 , . . . , Bg eindimensionale Teilmannigfaltigkeiten von Σ, sodass Ai ∩ Aj = ∅, Bi ∩ Bj = ∅, Ai ∩ Bj = ∅, für alle i 6= j, und so, dass sich Ai und Bi in genau einem Punkt transversal schneiden. Weiters bezeichnen αi := PAi ∈ H 1 (Σ) und βi := PBi ∈ H 1 (Σ) ihre PoincaréDuale. Aus Korollar VI.9.8 folgt αi ∪ βi = ±[Σ] und alle anderen Cup-Produkte müssen verschwinden. VI.9.14. Proposition (Lefschetz-Zahl). Es sei X ein topologischer Raum mit endlich erzeugter Homologie und f : X → X stetig. Dann hat die sogenannte Lefschetz-Zahl λ(f ) von f X f∗ f∗ λ(f ) := str H∗ (X; Q) − → H∗ (X; Q) := (−1)q tr Hq (X; Q) − → Hq (X; Q) q folgende Eigenschaften: (i) λ(f ) ∈ Z. 358 VI. KOHOMOLOGIE (ii) Für jeden Körper K mit Charakteristik 0 gilt f∗ f∗ → H∗ (X; K) = str H ∗ (X; K) −→ H ∗ (X; K) . λ(f ) = str H∗ (X; K) − (iii) (iv) (v) (vi) λ(f ) = λ(g), für je zwei homotope Abbildungen f ≃ g : X → X. λ(idX ) = χ(M). λ(f ◦ g) = λ(g ◦ f ), für je zwei stetige Abbildungen f, g : X → X. Die sogenannte Lefschetz-Zetafunktion Lf (z) := exp ∞ X n=1 λ(f n ) zn , n z ∈ C, konvergiert für hinreichend kleine z ∈ C und stellt eine rationale Funktion dar, genauer gilt: −1 id −zf∗ Lf (z) = sdet H∗ (X; C) −−−−→ H∗ (X; C) Y (−1)q+1 id −zf∗ := det Hq (X; C) −−−−→ Hq (X; C) q id −zf∗ = det Hodd (X; C) −−−−→ Hodd (X; C) id −zf∗ det Heven (X; C) −−−−→ Heven (X; C) Dabei bezeichnet f n := f ◦ · · · ◦ f : X → X die n-fache Iteration von f . Beweis. Es sei ai ∈ Hq (X)fa := Hq (X)/Hq (X)tor eine Basis. Es existieren daP her ganze Zahlen fij ∈ Z mit f∗ ai = j fij aj . Es sei nun K ein Körper der Charakteristik 0. Nach dem universellen Koeffiziententheorem haben wir Hq (X)fa ⊗ K = Hq (X; K) und wir können ai auch als Basis des K-Vektorraums Hq (X; K) auffassen. Bezüglich dieser Basis hat die lineare Abbildung f∗ : Hq (X; K) → Hq (X; K) eine Matrixdarstellung mit ganzzahligen Eintragungen fij . Für ihre Spur erhalten wir X f∗ tr Hq (X; K) − → Hq (X; K = fii . i Daraus sehen wir einerseits, dass die Spur ganzzahlig ist, womit Behauptungen (i) gezeigt wäre. Andererseits zeigt obige Formel auch, dass die Spur nicht vom Körper K abhängt. Damit ist auch der erste Teil von Behauptungen (ii) gezeigt. Für den zweiten Teil beachten wir noch, dass die linearen Abbildungen f∗ : Hq (X; K) → Hq (X; K) und f ∗ : H q (X; K) → H q (X; K) dual sind, und daher dieselbe Spur haben müssen. Behauptung (iii) folgt aus der Homotopieinvarianz des Homologiefunktors. Aus tr idHq (X;Q) = dimQ Hq (X; Q) = bq (X) erhalten wir Behauptung (iv). Behauptung (v) folgt aus tr((f ◦g)∗ ) = tr(f∗ ◦g∗ ) = VI.9. DIE THOM-KLASSE UND SCHNITTZAHLEN 359 tr(g∗ ◦ f∗ ) = tr((g ◦ f )∗ ). Um Behauptung (vi) zu zeigen, verwenden wir die LoP∞ xn garithmusreihe − log(1 − x) = n=1 n , |x| < 1, und erhalten: ∞ ∞ X zn λ(f n ) n X X (f n )∗ z = (−1)q tr Hq (X; C) −−−→ Hq (X; C) n n n=1 q n=1 = X q = X q Daher: Lf (z) = q P∞ (zf∗ )n n (−1) tr Hq (X; C) −−−−−−−→ Hq (X; C) n=1 − log(id −zf∗ ) (−1)q tr Hq (X; C) −−−−−−−−→ Hq (X; C) (−1)q Y − log(id −zf∗ ) exp tr Hq (X; C) −−−−−−−−→ Hq (X; C) q (−1)q Y exp(− log(id −zf∗ )) = det Hq (X; C) −−−−−−−−−−−→ Hq (X; C) q (−1)q Y (id −zf∗ )−1 = det Hq (X; C) −−−−−−→ Hq (X; C) q (−1)q+1 Y id −zf∗ det Hq (X; C) −−−−→ Hq (X; C) = q Es sei M eine orientierte topologische n-Mannigfaltigkeit und f : M → M stetig. Es bezeichne Gf := (x, f (x)) x ∈ M ⊆ M × M den Graph von f . Dies ist offensichtlich eine n-Teilmannigfaltigkeit von M × M. Für f = idM erhalten wir die Diagonale Gid = {(x, x)|x ∈ M}. Es bezeichne Fix(f ) := {x ∈ M | f (x) = x} die Menge der Fixpunkte von f . Beachte Gf ∩ Gid = {(x, x) | x ∈ Fix(f )}. Ein Fixpunkt x ∈ Fix(f ) wird nicht-degeneriert genannt, wenn Gf die Diagonale Gid im Punkt (x, x) transversal schneidet. Sei nun M orientiert. Mit Hilfe des Homöomorphismus ∼ = → Gf ⊆ M × M, (idM , f ) : M − x 7→ (x, f (x)), orientieren wir die Teilmannigfaltigkeit Gf , dh. f∗ ([M]) = [Gf ]. Für f = idM liefert dies auch eine Orientierung der Diagonale D∗ ([M]) = [Gid ], wobei D = (idM , idM ) : M → M ×M, x 7→ (x, x), die Diagonalabbildung bezeichnet. Schließlich sei M × M mit der Produktorientierung versehen, dh. [M × M] = [M] × [M]. 360 VI. KOHOMOLOGIE Ist x ein nicht-degenerierter Fixpunkt von f dann definieren wir den Fixpunktindex von f bei x durch indf (x) := νGMf×M ,Gid ∈ {±1} bezüglich der oben erklärten Orientierungen von Gf , Gid und M × M. VI.9.15. Bemerkung. Im glatten Fall lässt sich der Fixpunktindex leicht aus der Linearisierung von f berechnen. Es sei dazu M eine glatte Mannigfaltigkeit, f : M → M glatt und x ∈ Fix(f ). Weiters bezeichne Tx f : Tx M → Tx M die Tangentialabbildung von f bei x. Gilt det(Tx f − idTx M ) 6= 0, dh. ist 1 nicht im Spektrum von Tx f , dann folgt aus dem impliziten Funktionensatz, dass x ein nicht-degenerierter Fixpunkt ist, und es gilt Tx f −idTx M indf (x) = sign det Tx M −−−−−−−→ Tx M . VI.9.16. Korollar (Lefschetz-Fixpunktformel). Es sei M eine geschlossene orientierte topologische n-Mannigfaltigkeit. Weiters sei f : M → M stetig, sodass alle Fixpunkte von f nicht-degeneriert sind. Dann ist Fix(f ) endlich und es gilt λ(f ) = X indf (x). x∈Fix(f ) Beweis. Nach Korollar VI.9.8 X x∈Fix(f ) indf (x) = X ξ∈Gf ∩Gid M ×M νGMf×M ∪ PGMid×M , [M × M] ,Gid (ξ) = PGf = PGMf ×M , PGMid×M ∩ [M × M] = PGMf ×M , [Gid ] = PGMf ×M , D∗ [M] = D ∗ PGMf ×M , [M] (VI.60) Wir fixieren einen Körper K mit Charakteristik 0. Es bezeichne ai ∈ H∗ (M; K) eine homogene Basis und ai ∈ H ∗ (M; K) die dazu duale Basis, dh. hai , aj i = δji . Nach dem Künneth-Theorem bildet dann ai × aj ∈ H∗ (M × M; K) eine homogene Basis von H∗ (M × M) mit dualer Basis ai × aj ∈ H ∗ (M × M; K), dh. hai × aj , ak × al i = δki δlj , siehe Satz VI.5.1(v). Für die Fundamentalklasse VI.9. DIE THOM-KLASSE UND SCHNITTZAHLEN 361 [Gf ] = (id, f )∗ [M] ∈ Hn (M × M; K) erhalten wir somit: X [Gf ] = ai × aj , (id, f )∗[M] ai × aj i,j X = (id, f )∗ (ai × aj ), [M] ai × aj i,j X = D ∗ (id ×f )∗ (ai × aj ), [M] ai × aj i,j X = D ∗ (ai × f ∗ aj ), [M] ai × aj i,j X = ai ∪ f ∗ aj , [M] ai × aj i,j X = ai , f ∗ aj ∩ [M] ai × aj i,j = X j = X j = X j = X j f ∗ aj ∩ [M] × aj f ∗ aj ∩ [M] × P (aj ) ∩ [M] (−1)|aj | (f ∗ aj ) × P (aj ) ∩ [M] × [M] (−1)|aj | (f ∗ aj ) × P (aj ) ∩ [M × M] Dabei haben wir im vorletzten Gleichheitszeichen die Relation (α × β) ∩ (a × b) = (−1)|α|(|b|−|β|)(α ∩ a) × (β ∩ b) verwendet. Somit gilt X PGMf ×M = (−1)|aj | (f ∗ aj ) × P (aj ) j und daher ∗ M ×M X D PGf , [M] = (−1)|aj | (f ∗ aj ) ∪ P (aj ), [M] j = X j = X j = X j (−1)|aj | f ∗ aj , P (aj ) ∩ [M] (−1)|aj | f ∗ aj , aj (−1)|aj | aj , f∗ aj = str(f∗ ) = λ(f ) Zusammen mit (VI.60) folgt nun die Behauptung. 362 VI. KOHOMOLOGIE VI.9.17. Korollar (Lefschetz-Fixpunktsatz). Es sei M eine geschlossene orientierte topologische n-Mannigfaltigkeit und f : M → M stetig mit λ(f ) 6= 0. Dann besitzt f mindestens einen Fixpunkt, dh. es existiert x ∈ M mit f (x) = x. Beweis. Dies folgt sofort aus Korollar VI.9.16. VI.9.18. Korollar. Es sei M eine geschlossene orientierbare topologische nMannigfaltigkeit mit χ(M) 6= 0. Dann besitzt jede stetige Abbildung f : M → M, die homotop zur Identität ist, mindestens einen Fixpunkt x ∈ M, f (x) = x. Beweis. Dies folgt aus Korollar VI.9.17 und Proposition VI.9.14. VI.9.19. Beispiel. Es sei G eine kompakte Lie-Gruppe, dim G ≥ 1, und 1G 6= h ∈ G ein Element in der Zusammenhangskomponente der Eins. Betrachte die stetige Abbildung λ : G → G, λ(g) := hg. Offensichtlich hat λ keinen Fixpunkt, denn h 6= 1G . Weiters ist λ homotop zur Identität idG , denn jeder Weg σ : I → G von σ(0) = 1G nach σ(1) = h liefert eine Homotopie H : G × I → G, Ht (g) := σ(t)g, von H0 = idG nach H1 = λh . Aus Korollar VI.9.18 folgt daher χ(G) = 0. Dh. jede kompakte Lie-Gruppe positiver Dimension hat verschwindende EulerCharakteristik. VI.9.20. Bemerkung. Die beiden Korollare oben bleiben für eine wesentlich größere Klasse von Räumen richtig, siehe etwa [2]. Es sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und X : M → T M ein glattes Vektorfeld. Ist x ∈ M eine Nullstelle von X, dh. X(x) = 0, dann liefert die Ableitung von X eine kanonische lineare Abbildung Dx X : Tx M → Tx M. Die Nullstelle x wird nicht-degeneriert genannt, falls Dx X invertierbar ist. In diesem Fall bezeichnen wir mit D X INDX (x) := sign det Tx M −−x−→ Tx M ∈ {±1} den sogenannten Hopf-Index von X bei x. In dieser Situation schneidet die Teilmannigfaltigkeit {X(x) | x ∈ M} ⊆ T M den Nullschnitt M ⊆ T M bei x transversal. VI.9.21. Korollar (Hopf). Es sei M eine geschlossene orientierte glatte Mannigfaltigkeit. Weiters sei X ein Vektorfeld auf X dessen Nullstellen alle nicht-degeneriert sind. Dann hat X nur endlich viele Nullstellen und es gilt X χ(M) = INDX (x), x∈X wobei X := {x ∈ M | X(x) = 0} die Menge der Nullstellen von X bezeichnet. Beweis. Wähle eine Riemannmetrik auf M und bezeichne mit exp : T M → M die Exponentialabbildung. Wir erinnern uns, dass sich (π, exp) : T M → M × M zu einem Diffeomorphismus von einer offenen Umgebung des Nullschnitts M ⊆ T M auf eine offene Umgebung der Diagonale einschränkt, wobei π : T M → M VI.9. DIE THOM-KLASSE UND SCHNITTZAHLEN 363 die Vektorbündelprojektion bezeichnet. Weiters gilt für die Tangentialabbildung dieser Abbildung längs des Nullschnitts T0x (π, exp) = idTx M × idTx M , wobei wir die kanonische Identifikation T0x M = Tx M × Tx M verwenden. Für t ∈ R betrachte die Abbildung ft : M → M, ft (x) := exp(tX(x)). Jedes ft ist homotop zur Identität, denn f0 = idM . Offensichtlich gilt auch X ⊆ Fix(ft ), und aus obiger Formel für die Ableitung der Exponentialabbildung erhalten wir x ∈ X. Tx ft = idTx M +tDx X, Mittels Bemerkung VI.9.15 sehen wir, dass jedes x ∈ X nicht-degenerierter Fixpunkt von ft ist, t 6= 0, und indft (x) = INDX (x), x ∈ X , t > 0. Ist t > 0 hinreichend klein, dann gilt sogar X = Fix(ft ). Aus Korollar VI.9.16 und Proposition VI.9.14 erhalten wir daher X X INDX (x) = indft (x) = λ(ft ) = λ(idM ) = χ(M), x∈X x∈Fix(ft ) wie behauptet. VI.9.22. Bemerkung. Die Orientierbarkeitsvoraussetzung im Korollar oben ist nicht notwendig. Auch bleibt die Aussage dieses Korollars richtig, wenn die Nullstellen nur isoliert sind, dann muss jedoch der Hopf-Index anders definiert werden und wird i.A. ganzzahlig sein. VI.9.23. Bemerkung. Wir geben einen zweiten etwas anderen Beweis von Korollar VI.9.21. Es bezeichne φt : M → M den Fluss des Vektorfeldes X zur Zeit t. Jedes φt ist homotop zur Identität, denn φ0 = idM . Offensichtlich gilt auch X ⊆ Fix(φt ), und Tx φt = etDx X : Tx M → Tx M, Für hinreichend kleines t > 0 ist x ∈ X. Tx φt − idTx M = etDx X − idTx M = tDx X + O(t2) invertierbar, aus Bemerkung VI.9.15 folgt daher, dass jedes x ∈ X nicht-degenerierter Fixpunkt von φt ist, und wir erhalten indφt (x) = INDX (x), x ∈ X , t > 0 hinreichend klein. Da für hinreichend kleines t > 0 wieder X = Fix(φt ) gilt, erhalten wir die Hopf’sche Formel nun genau wie im obigen Beweis. Literatur [1] R. Bott und L.W. Tu, Differential Forms in Algebraic Topology. Graduate Texts in Mathematics 82. Springer-Verlag, New York-Berlin, 1982. 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