Thema Thema Michael Wachtendorf Sozialpädiatrisches Zentrum Hannover 1 Inhalt Inhalt SPZ-Hannover SES-Begriffe und Diagnostik Outcome-Forschung Fallbespiele Frühintervention Elterntraining (Bindung – Beziehungsaufbau) 2 Adresse Adresse ! " $ % &' ) ' #* + - .' #* + / ( # %0 # '( * , * ' 3 Wer Wer wird wird im im SPZ SPZ behandelt? behandelt? Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen, drohenden und schon vorhandenen Behinderungen sowie mit Verhaltens- oder seelischen Störungen jeglicher Ursache Neu- und frühgeborene Kinder sowie Säuglinge mit Entwicklungsstörungen Kinder mit chronischen Muskelerkrankungen, Spina bifida, Querschnittslähmungen oder mit Krampfanfällen und Behinderungen Patienten mit neurologischen Problemen Verhaltensauffällige junge Menschen Kinder, die unter Bewegungsstörungen leiden Kinder mit Lernschwächen Kinder mit geistiger Behinderung Kinder, deren Aufmerksamkeit, Konzentration und Wahrnehmung eingeschränkt sind 4 Berufsgruppen Berufsgruppen im im SPZ SPZ Hannover Hannover Kinderärzte Psychologen Kinderpsychotherapeuten Psychomotoriktherapeuten Physiotherapeuten Logopäden Kunst- und Gestaltungstherapeuten (psychoanalytisch) Ergotherapeuten Kinderkrankenschwestern Sachbearbeiterinnen 5 SES SES -- SSES SSES –– SLI SLI Sprachentwicklungsstörung – Störung der Sprachentwicklung Spezifische Sprachentwicklungsstörung –– isolierte Störung der Sprachentwicklung Specific Language Impairment – isolierte Störung der Sprachentwicklung Kein direkter Zusammenhang mit anderen Primärbeeinträchtigungen (geistige Retardierung, Hörschädigung etc.) Verhältnis: Jungen – Mädchen 2,8 : 1 - 4,8 : 1 Rutters (1970) 6 Diagnostik Diagnostik Ärztliche Untersuchung Anamnese allgemeiner pädiatrischer Befund Pädaudiologie Neurologie Syndromologie Allgemeine Entwicklungsdiagnostik bis 3. Lebensjahr Bayley II MFED (Münchener Funktionelle Entwicklungs-Diagnostik) ET 6-6 (Entwicklungstest 6 Monate bis 6 Jahre) Sprachentwicklungsdiagnostik Elfra SET-K Logopädische Befunderhebung 7 Untersuchungsablauf Untersuchungsablauf 12 Monate Sprachproduktion Sprachverständnis Gestik Interaktion normale Entwicklung Sprachentwicklungsrisiko Beratung 24 Monate Elfra 2 normale Entwicklung subnormale Werte SETK 2 normal SETK 2 pathologisch Interventionsmaßnahmen 36 Monate Nachuntersuchung z. B. Elterntraining 8 Häufigkeiten Häufigkeiten Heidelberger Sprachentwicklungsstudie: 100 zweijährige Kinder mit Sprachentwicklungsverzögerung - davon hatten: 77 % isolierte Sprachentwicklungsverzögerung 6 % deutliche mentale Retardierung 12 % milde mentale Retardierung 4 % autistische Verhaltensweisen Testverfahren: Elfra-2, SETK-2, BSID-II ELFRA: Elternfragebögen für die Früherkennung von Risikokindern SET- K: Sprachentwicklungstest für Kinder BSID: Bayley Scales of Infant Development 9 Komorbidität Komorbidität SES SES II 50 - 60% der Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen weisen Diagnosen auf der ersten Achse des multiaxialen Klassifikationsschemas auf Hyperkinetisches Syndrom emotionale Störungen Störung des Sozialverhaltens Entwicklungsstörungen im Bereich der Motorik Mehr als 50% haben im Schulalter Lese-Rechtschreibstörungen und/oder Rechenstörungen. 10 Komorbidität Komorbidität SES SES IIII Schulische Schwierigkeiten Lese- und Rechtschreibstörungen bei 60-80% der Kinder mit Legasthenie finden sich Symptome von Sprachentwicklungsstörungen Lernbehinderung zunächst umschriebene Sprachentwicklungsstörung weitet sich zunehmend aus Motorische Störungen feinmotorische Schwierigkeiten 11 Anfangsprobleme Anfangsprobleme Eltern Eltern II Frühe Kindheit aus Sicht der Eltern Probleme haben keinen klaren Anfang Wenig offensichtlich Eltern spüren etwas, lassen sich aber noch vertrösten Allmähliche Steigerung der Besorgnis Vergleiche mit anderen Kindern „Ratschläge“ anderer Personen Überstimmulation des Kindes Entstehung von Schuldgefühlen Das Kind gibt sich „nicht genug Mühe“ – ist „faul“ 12 Anfangsprobleme Anfangsprobleme Eltern Eltern IIII „irgendwie passt dieses Kind nicht in unsere Familie“ „ich weiß ja, dass mein Kind sprachliche Probleme hat, trotzdem kann ich es nicht wirklich akzeptieren“ „ich schäme mich vor anderen, dass mein Kind nicht richtig spricht und versteht“ „ich denke oft, dass ich als Mutter/Vater inkompetent bin“ „Sprache hat in unserem Freundeskreis einen hohen Stellenwert“ „die anderen denken, er/sie sei doof, weil er/sie sprachlich so schlecht kommuniziert“ 13 Anfangsprobleme Anfangsprobleme Kinder Kinder II Kindheit Reduzierte Akzeptanz von Altersgenossen Regulation der Dialoge kann nicht genutzt werden Zurückweisung/Herabsetzung durch peer-group Selbstwertempfinden sinkt Rückzug aus Interaktion Kompensatorische Strategien werden von Umwelt negativ bewertet Kinder werden als unreif und kognitiv beschränkt wahrgenommen Außenseiterkarriere 14 Anfangsprobleme Anfangsprobleme Kinder Kinder IIII „trotzdem ich mich bemühe, „genüge“ ich nicht“ „ich merke, dass ich „schlechter“ bin als mein(e) Bruder/Schwester“ Rückzug aus Vermeidung von Ablehnung gehänselt werden für entwicklungsverzögert (doof) gehalten zu werden. 15 Fazit Fazit Viele Kinder mit SES sind von hohen Risiken in der geistigen, sozialen und schulischen Entwicklung betroffen Outcome-Forschung 16 Outcome Outcome Forschung Forschung II Untersuchung: „Caldwell Inventory of Home Stimulation“ (Wulbert et al. 1975) Mütter mit sprachauffälligen Kindern... sprachen wesentlich weniger freundlich und anerkennend mit oder über ihr Kind reagierten bei scheinbarem Fehlverhalten des Kindes häufiger mit Schreien, Drohungen und Schlägen zeigten hochsignifikant weniger Engagement für die Entwicklungsfortschritte des Kindes zeigten deutlich weniger Interaktion (mehr Parallelität) verbrachten weniger Zeit in strukturierten Spielperioden ermutigten ihre Kinder seltener neue Dinge zu lernen versorgten die Kinder weniger mit angemessenem Spielmaterial 17 Outcome Outcome Forschung Forschung IIII Frühe Kindheit 2½ jährige (noch keine 20 Wörter) Prizant et al. 1990 Häufigeres Schreien, Weinen, Schlagen Aggressivität Rückzugsverhalten Inkonstante Aufmerksamkeit Ängstlichkeit Hyperaktivität Psychiatrische Probleme bei ca. 40 % Cantwell /Baker 1987 18 Outcome Outcome Forschung Forschung III III 40 – 70 % lernen Lesen und Schreiben unzureichend oder mit extremer Mühe Kaum Entwicklungsschub durch das Lesenlernen Wenig Entwicklung des Sprachbewusstseins, des Allgemeinwissens und der Vernetzung des Lexikons Catts et al. 1994 Kinder haben meist auch Probleme im Sprachverständnis besonders: Grammatische Dekodierung Buch: Uncommon understanding, Bishop 1997 19 Outcome Outcome Forschung Forschung IV IV -- Schule Schule Sprache ist das Medium in der Schule Überstimmulation durch Lehrer (Stress) Innere Beteiligung von Sprache wird immer wichtiger bei vielen kognitiven Prozessen Gedächtnis Schlussfolgern Problemlösen induktives, deduktives Denken Lurija 1982 Kinder bleiben hinter den Leistungsstandards zurück Die Schere öffnet sich immer weiter (Umwelt bewertet dies als Entwicklungsbeeinträchtigung) Bei intakter kognitiver Leistungsfähigkeit droht Unterforderung Grimm 1995 20 Ergebnisse Ergebnisse Outcome Outcome Forschung Forschung Zu Beginn: geringe Verständlichkeit Eingeschränktes, nur langsam wachsendes Lexikon Nach zunehmender Verständlichkeit: deutlicher Dysgrammatismus Weitere sprachliche Probleme während der Schulzeit geringe Organisation von Erzählstrukturen reduziertes Textverständnis eingeschränkte metasprachliche Fähigkeiten Wortfindungsprobleme teilweise extreme Probleme beim Erwerb der Schriftsprache 21 Fazit Fazit Outcome Outcome Forschung Forschung hohe Persistenz der Sprachdefizite Kinder haben Schwierigkeiten, mit Ihren Altersgenossen „mitzuhalten“ 50 % der Kinder entwickeln LRS wiederholen eine oder mehrere Schulklassen in Schulen für Lernhilfe hatten 30 % eine SES Sprachprobleme deshalb Lernbehinderung! Nicht Lernbehinderung deshalb Sprachprobleme! 50 % zeigen psychische Auffälligkeiten „abrutschender“ IQ Tomblin et al. 1992 22 Fallbeispiel Fallbeispiel 11 -- II Junge: Bernd 16 Jahre Anmeldung im SPZ mit 4¾ Jahren Anmeldegrund: Sprachentwicklung, geistige Entwicklung. „Er kann sich keine Zahlen und Lieder merken, nässt wieder ein“ Elternfragebogen: Erste Worte: 2 Jahre Erste kurze Sätze: knapp 3 Jahre Ärztliche Diagnose: SEV, leichte Entwicklungsdefizite im motorischen und feinmotorischen Bereich Verordnung: Logopädie, Ergotherapie Wiedervorstellung in ca. ¾ Jahr, dann ggf. auch psychologische Diagnostik. 23 Fallbeispiel Fallbeispiel 11 -- IIII Wiedervorstellung mit 6;4 Jahren zur psychologischen Diagnostik Gute kognitive Leistungsfähigkeit – Einschulung Weiterhin Probleme in der Sprache Logopädie läuft noch Wiedervorstellung mit 9;3 Jahren zur ärztlichen und psychologischen Diagnostik guter Schüler mit gravierenden Problemen im Lese-/Rechtschreibbereich Diagnostischer Rechtschreibtest (DRT 3) Ergebnis: deutlich unterdurchschnittlich im Vergleich zur Klassennorm (3. Klasse) Prozentrang = 3, T-Wert = 26 Legasthenie-Therapie 24 Fallbeispiel Fallbeispiel 11 -- III III Wiedervorstellung mit 16;2 Jahren zur psychologischen Diagnostik HAWIK III Diagnostischer Rechtschreibtest (WRT 6+) 25 Fallbeispiel Fallbeispiel 11 -- III III 26 Fallbeispiel Fallbeispiel 11 -- IV IV Name Geb.Dat. 27 Fallbeispiel Fallbeispiel 22 -- II Junge: Kevin, 12 Jahre Anmeldung im SPZ mit 3½ Jahren Anmeldegrund: „Unser Sohn benutzt nur einzelne Worte, um sich mitzuteilen“ Elternfragebogen: erfragt: Erste Worte: 14 Monate Erste Worte: 17 Monate Erste kurze Sätze: ? jetzt: ca. 6 – 8 Worte aus der Anamnese: beide Eltern erst mit 2 – 3 Jahren gesprochen Mutter hat noch immer erhebliche sprachliche Probleme (Dysgrammatismus, Tonisches Stottern) Oma hat auch spät gesprochen 28 Fallbeispiel Fallbeispiel 22 -- IIII Ärztliche Diagnose: Entwicklungsretardierung mit im Vordergrund stehender Sprachentwicklungsstörung Verordnung: Ergotherapie, psychologische Diagnostik Wiedervorstellung in ca. ½ Jahr Psychologische Diagnostik (S.O.N.): IQ = 93, SES ab 4. Lj. Logopädie (50 Std.), Sprachheilkindergarten mehrere medizinische und psychologische Kontrolluntersuchungen (einschl. EEG, MRT, Stoffwechsel, Chromosomen, Ausschluß fra(x) etc.) im Verlauf Verdacht auf: Asperger-Autismus, Mutismus Diagnose mit 7 Jahren: Entwicklungsstörung mit elektivem Mutismus, Sprachentwicklungsstörung, Verweigerungsverhalten Sprachheilschule mit L-Zweig 29 Fallbeispiel Fallbeispiel 22 -- III III Letzte psychologische Diagnostik mit 10;2 Jahren (HAWIK III) Verbal-IQ: 76 Handlungs-IQ: 91 Gesamt-IQ: 81 30 Fallbeispiel Fallbeispiel 22 -- IV IV Weiterhin deutliche Probleme im Sprachverständnis Hatte zwischenzeitlich Psychotherapie wg. Verhaltensauffälligkeiten (Abbruch durch Eltern) Erneute Aufnahme von Psychotherapie im SPZ Therapieziel: Behandlung der Selbstwertproblematik, Auflösung von Stereotypien, Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten Geht gern zur Schule Rückläufige Verhaltensprobleme 31 Frühintervention Frühintervention –– Warum? Warum? Wichtige Sprachlernprozesse laufen früh ab - z. B. Erwerb der prosodischen und Wortstellungsregularitäten (siehe Penner, 2002) Zur Vermeidung kumulativer sprachlicher Schwächen und kompensatorischer Prozesse Vermeidung sozial-emotionaler und kognitiver Nachfolgeprobleme 32 Elternzentrierte Elternzentrierte Intervention Intervention Anleitung der Eltern zu sprachförderlichem Verhalten Stärkung der Eltern hinsichtlich ihrer Kompetenz als wichtigste Kommunikationspartner des Kindes Sensibilisierung für Möglichkeiten zur gezielten Sprachförderung in alltäglichen Situationen Abbau sprachhemmender Verhaltensweisen und negativer Interaktionen Unter dem Namen „Eltern können es auch“ leitet Zvi Penner seit 2006 ein neues Projekt zur Wirsamkeit einer sprachlichen Frühintervention mit Eltern als selbstständige Ko-TherapeutInnen 33 Elterntraining Elterntraining II Heidelberger Elterntraining zur frühen Sprachförderung Eltern von 2 – 3jährigen Kindern mit deutlich verzögertem Spracherwerb Strukturiertes Gruppenprogramm (6 – 10 Teilnehmer) 7 zweistündige Sitzungen + 1 Nachschulungstermin Eltern erhalten zu jeder Sitzung schriftliches Begleitmaterial 2003 – 2005 wurden behandelte Kinder und Kontrollgruppe mit SETK 3 - 5 nachuntersucht (2½ und 3 Jahre alt) 76 % der Trainingskinder hatten den sprachlichen Rückstand aufgeholt, 24 % weiterhin SES Bei Kontrollgruppe 50:50 % Buschmann, A. Pietz, J. Ambulanz für Entwicklungsstörungen, Universitätsklinik für Kinderund Jugendmedizin, Heidelberg 34 Elterntraining Elterntraining IIII Inhalte von Elterntrainings: Eltern sind wichtigste Bezugsperson und primärer Kommunikationspartner Vermittlung von mehr Sicherheit in der Interaktion mit dem Kind Sensibilisierung in Alltagssituationen Training von Sprachlernstrategien 35 Elterntraining Elterntraining III III 36 Elterntraining Elterntraining III III 37 Elterntraining Elterntraining IV IV Beim Sprechen mit Kleinkindern geht es weniger um Informationsvermittlung, sondern um Gefühle Eltern passen sich den eingeschränkten Sprachmöglichkeiten ihrer Kinder an Je jünger das Kind desto mehr Elterntraining, später auch Sprachtherapie 45 Minuten Logopädie/Woche bei ca. 4.000 – 5.000 Minuten Wachsein/Woche... aber: Eltern müssen ihrer Rolle als Eltern gerecht werden Therapeuten sollten hinsichtlich der Elternberatung und Interaktion supervidiert werden 38 Individualität Individualität 39 Abhängigkeiten Abhängigkeiten Sprache ist immer auch abhängig von: der jeweiligen Situation der Aufgeregtheit Gefühlen Anforderungen anderen Menschen Räumen „sprachlos“ sein Altersangemessene Sprache mit Kindern (parallel andere Interaktionswege) – Kontaktaufbau Die Sprache muss in den Gesamtkontext der Interaktion eingebettet sein!!! 40 Kinder Kinder überraschen überraschen 41 Ende Ende 42