Mitteilungen | BDEM Beleg/Autorenexemplar! Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. Die Zahl adipöser Kinder und Jugendlicher in Deutschland ist auf über 800 000 angestiegen (KIGGS-Studie 2002–2005; www.kiggs.de). Weniger als 1 Prozent davon werden nach den medizinischen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) behandelt. Neue Kooperationsmodelle können die Versorgung übergewichtiger Kinder und Jugendlicher in der kinderärztlichen Praxis entscheidend verbessern. Neue Kooperationsformen in der ambulanten Betreuung adipöser Kinder und Jugendlicher Vorteile der Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin (BDEM) Die Suche nach geeigneten Behandlungsmöglichkeiten Die medizinischen Leitlinien „Therapie der Adipositas im Kindes- und Jugendalter“ der AGA (www.a-g-a.de) definieren eine standardisierte Diagnostik und Vorschläge für eine standardisierte Therapie. Gleichzeitig fordern die Leitlinien vernetzte Konzepte zwischen ambulanter und stationärer Behandlung und eine Verpflichtung zur Qualitätssicherung. Bei der Suche nach Programmen zur Prävention und Therapie findet man in der Literatur und Praxis viele unterschiedliche therapeutische Konzepte, aber wenig (Langzeit-) Evaluation. Nur wenige der Programme sind auf Kinder- und Jugendarztpraxen als Multiplikatoren übertragbar. Adipositastherapie in der Praxis Eine evidenzbasierte Standardtherapie bei Übergewicht und Adipositas gibt es in der Kinder- und Jugendarztpraxis derzeit nicht. Jede Familie muss mit ärztlicher Begleitung ihren eigenen Weg finden. Hier spielt der 158 Ernährungs Umschau | 3/10 hausärztlich tätige Pädiater eine wichtige Rolle als Initiator, Motivator und Koordinator. Vor der Einleitung einer Therapie sollten in Abhängigkeit vom Alter, dem BMI-Wert und den Komorbiditäten und individuellen Risikofaktoren realistische Therapieziele vereinbart werden. Das interdisziplinäre therapeutische Team Die Therapie der Adipositas kann der in der Praxis tätige Arzt nicht alleine schultern. Nach den Leitlinien der AGA ist für eine Erfolg versprechende Therapie ein interdisziplinäres Team erforderlich. In den Kinderund Jugendarztpraxen sind solche therapeutischen Teams bisher nicht etabliert. Hier müssen vielerorts noch Strukturen geschaffen werden, die eine Kooperation von Ärzten mit weiteren Professionen (z. B. Diätassistent Innen, ÖkotrophologInnen, HeilpädagogInnen, SportlehrerInnen oder SporttherapeutInnen, PsychologInnen oder Kinder- und JugendpsychiaterInnen) aus dem Gesundheitssektor ermöglichen. Neben strukturellen Fragen geht es hier auch um die Re- gelung der Vergütung für diese interdisziplinären Kooperationen. Der Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM e. V.) entwickelte das Konzept der Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin. Mit einem interdisziplinären therapeutischen Team aus Ernährungsfachkraft, Sportfachkraft, PsychologIn und PädagogIn kann der ambulant tätige Kinder- und Jugendarzt mit der Zusatzqualifikation „Ernährungsmediziner DGEM/DAEM“ seine Praxis zur Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin zertifizieren. „KinderLeicht“ – ein neuer, vielversprechender Weg mit den BKKs in BadenWürttemberg Seit dem Jahr 2005 gibt es mit „KinderLeicht“ einen umfassenden Vertrag zur integrierten Versorgung bei Übergewicht und Adipositas der Vertragsarbeitsgemeinschaft der Betriebskrankenkassen in Baden-Württemberg. An diesem Vertrag beteiligen sich derzeit 87 Betriebskrankenkassen (www.bkk-bw.de), denen 1,3 Millionen Versicherte, darunter ca. 300 000 Kinder und Jugendliche angehören. Weitere Vertragspartner dieser integrierten Versorgung sind der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, die Waldburg-Zeil Kliniken GmbH & Co. KG für die Fachkliniken Wangen und die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg. Im Vertrag wird sowohl die interdisziplinäre Zusammenarbeit als auch die leistungsgerechte Vergütung der ambulanten Maßnahmen unter Leitung der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte festgeschrieben. Im Zentrum steht die Zusammenarbeit der koordinierenden Kinderund Jugendärzte (als „Casemanager“) mit qualifizierten Ernährungsberatungskräften (DiätassistentInnen, ÖkotrophologInnen), Kinder- und JugendpsychiaterInnen, PädagogInnen, PsychologInnen und SportlehrerInnen in Vereinen oder Kindersportschulen. Am Beginn der integrierten Versorgung steht eine ausführliche kinder- und jugendärztliche Eingangsuntersuchung, die durch eine kinder- und jugendpsychiatrische Untersuchung ergänzt wird. Nach einer 3-monatigen Initialphase mit individueller Ernährungsberatung und einem ambulanten Bewegungsangebot folgt entweder eine vierwöchige stationäre Therapie in einer Rehabilitationsklinik (Fachkliniken Wangen) oder eine ambulante interdisziplinäre Gruppenschulung über 5 Monate (Monate 4–8). Diese Gruppenschulung besteht aus einem Elternkurs, einem Verhaltenstraining und einem Ernährungskurs für Kinder mit jeweils 16 Schulungseinheiten. Zusätzlich wird eine Bewegungstherapie mit insgesamt 40 Schulungseinheiten angeboten. Anschließend folgt eine Stabilisierungsphase in den Monaten 9–12. Die Laufzeit der integrierten Versorgung beträgt für den teilnehmenden Patienten und seine Familie 12 Monate. Es gibt eine Option auf eine Verlängerung um weitere 12 Monate. Bis zum Februar 2010 haben sich 121 Kinder- und Jugendärzte, 45 Kinder- und Jugendpsychiater und 44 Ernährungsfachkräfte in die integrierte Versorgung eingeschrieben. Als Problem in der Praxis erweist sich die Rekrutierung einer ausreichenden Zahl von Patienten, die bei einer der beigetretenen Krankenkassen versichert sind, um tatsächlich vor Ort ein ambulantes Gruppenangebot starten zu können. Daher wurde ab 2009 eine zusätzliche Möglichkeit zur Einzelschulung von Patienten in den Vertrag aufgenommen. Dort, wo keine ausreichende Zahl an Patienten für eine Gruppenschulung vor Ort zur Verfügung steht, kann eine Individualschulung nach Maßgabe des behandelnden Kinder- und Jugendarztes erfolgen. Er soll dann gemeinsam mit den vor Ort vorhandenen Kooperationsfachkräften in Vereinen oder Kindersportschulen einen Individualweg für das betroffene Kind und seine Familie ermöglichen. Leider ist es bisher erst an wenigen Standorten gelungen, Kinder und Jugendliche mit dem Programm zu betreuen. TeilnehmerInnen, welche die fünfmonatige Intensivschulung absolvierten und die integrierte Versorgung zu Ende führten, zeigten hierbei in der Mehrzahl langfristige positive Veränderungen bezogen auf das Übergewicht (Reduktion des Übergewichts) und das Ernährungs- und Bewegungsverhalten. Die genaue Zahl der bisher in der integrierten Versorgung behandelten adipösen Kinder und Jugendlichen ist nicht bekannt. Das Kooperationsmodell ambulant/stationär von AOK und Deutscher Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg Im Rahmen eines Modellprojektes ist es seit 2007 in ausgewählten Modellregionen in Baden-Württemberg möglich, AOK-Patienten mit Adipositas und Begleiterkrankungen/Risikofaktoren durch eine Kombination aus ambulanter und stationärer Adipositasschulung zu behandeln. Voraussetzungen für die ambulante Schulung vor Ort sind ein vom MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) anerkanntes Schulungsprogramm (z. B. FITOC, Obeldicks etc.) und ein vom MDK anerkanntes interdisziplinäres Schulungsteam. Die stationäre Adipositasschulung erfolgt entweder vor, während oder in Ausnahmefällen nach der ambulanten Adipositasschulung. Dem Vertrag beigetreten sind die Fachkliniken Wangen, die Rehaklinik Hochried in Murnau und die Rehaklinik Kandertal. Die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte stellen die medizinische Indikation für diese Intervention. Es erfolgt anschließend eine motivierende Beratung der Eltern und des Kindes zur Teilnahme an diesem Modellprojekt durch Mitarbeiter der AOK/DRV vor Ort. Danach startet die Behandlung vor Ort oder an einer der teilnehmenden Rehakliniken. Es erfolgt hierbei eine enge Kooperation zwischen dem stationären und dem ambulanten Angebot. Dabei trägt die DRV die Kosten für die stationäre Rehabilitation und die AOK jene für die ambulante Adipositasschulung vor Ort. Diese Kooperation wird wissenschaftlich evaluiert. Die positive Rolle der Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin BDEM Die Grundlage für beide neuen Kooperationsformen zur Therapie adipöser Kinder und Jugendlicher sind anerkannte interdisziplinäre Teams. Das Konzept der „Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin“ des BDEM kann diese Strukturen vor Ort bereitstellen. Bisher haben allerdings lediglich drei Praxen in der ambulanten Pädiatrie in Deutschland diese Anerkennung erworben. Wünschenswert wäre eine wesentlich breitere Nutzung des Angebots (Informationen unter www.bdem. de). ■ Dr. med. Thomas Kauth Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin BDEM Breslauer Str. 2–4, 71638 Ludwigsburg [email protected] Ankündigung des nächsten Doc Weight®-Trainerseminars: Dieses findet statt im Rahmen der nächsten gemeinsamen Jahrestagung von BDEM und VDD in Wolfsburg, am Samstag, dem 8. Mai 2010. Infos und Anmeldung bei der BDEM-Geschäftstelle, Reichsgrafenstr. 11, 79102 Freiburg, Tel 0761/7040214, Frau Dr. Konold. Ernährungs Umschau | 3/10 159