Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. med. Ingrid Börner Dienstort: Westfälische Klinik Gütersloh Abteilung Allgemeine Psychiatrie Der Einfluss von Suchtmittelkonsum auf den Krankheitsverlauf und die Prognose von Patienten mit bipolaren Erkrankungen (ICD10: F 31) in der allgemeinpsychiatrischen Abteilung der Westfälischen Klinik Gütersloh Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin einer Hohen Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt von Andrei Volkon aus Sankt-Petersburg (Russland) 2005 1 Dekan: Prof. Dr. med. G. Muhr 1.Referent: Prof. Dr. med. Ingrid Börner 2.Referent: Privatdozent Dr. M. Brüne Tag der mündlichen Prüfung: 26.01.2006 2 Ich möchte die vorliegende Arbeit meinem Sohn Leon und meiner Frau Yvonne widmen. 3 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis................................................................................................4 1 Einleitung ....................................................................................................7 2 Epidemiologie und soziodemographischer Hintergrund ..............................9 2.1 Lebenszeitprävalenz ..................................................................................9 2.2 Ersterkrankungsalter.................................................................................10 2.3 Sozioökonomischer Status .......................................................................10 3 Ursachen und Erklärungsmodelle der bipolaren Erkrankungen................11 3.1 Genetische Epidemiologie.........................................................................11 3.2 Genetisch-biologische Vulnerabilität .........................................................12 3.3 Neurobiologische Ursachen ......................................................................13 4 Affektive Erkrankungen in der ICD-10.......................................................13 4.1 Definition ..................................................................................................13 4.2 Die Gruppe der affektiven Erkrankungen..................................................13 5 Definition und die Gruppe der bipolaren Erkrankungen ............................14 5.1 Definition ...................................................................................................14 5.2 Die Gruppe der bipolaren Erkrankungen...................................................14 6 Die Symptome der Depression .................................................................14 6.1 Definition ...................................................................................................14 6.2 Lebenszeitprävalenz.................................................................................15 7 Die Symptome der Manie .........................................................................16 7.1 Definition...................................................................................................16 7.2 Die Symptome der Manie .........................................................................16 8 Die gemischt-bipolare Episode .................................................................17 9 Rapid- Cycling-Verlaufsform .....................................................................17 10 Verlauf, Aktivität und die Prognose von bipolaren Erkrankungen .............18 10.1 Verlauf und Episodenlänge ......................................................................18 10.1.1 Bipolare Erkrankungen.......................................................................18 10.1.2 Depressive Episode ...........................................................................19 10.1.3 Manische Episode ..............................................................................19 10.1.4 Gemischt-bipolare Störungen.............................................................19 10.2 Aktivität der bipolaren Erkrankungen ........................................................20 10.3 Ausbruch der Episoden ............................................................................21 10.4 Prognose der bipolaren Erkrankungen .....................................................21 10.5 Häufigkeit persistierender Alterationen (Residualzustände) bei bipolaren Erkrankungen ...........................................................................................21 11 Suizidalität bei bipolaren Erkrankungen....................................................22 4 11.1 Definition...................................................................................................22 11.2 Lebenszeitprävalenz.................................................................................22 12 Suchtmittelkonsum als komorbide Störung bei bipolaren Erkrankungen ...........................................................................................23 12.1 Definition...................................................................................................23 12.2 Alkoholabhängigkeit /-missbrauch ............................................................23 12.2.1 Definition ............................................................................................23 12.2.2 Allgemeine Daten ...............................................................................24 12.2.3 Lebenszeitprävalenz ..........................................................................25 12.2.4 Geschlechtsunterschiede ...................................................................25 12.2.5 Genetische Faktoren ..........................................................................25 12.2.6 Alkoholabhängigkeit bei affektiven Störungen....................................26 12.3 Drogenmissbrauch/ -abhängigkeit ............................................................27 12.3.1 Allgemeine Daten ...............................................................................27 12.3.2 Lebenszeitprävalenz ..........................................................................27 12.3.3 Geschlechtsunterschiede ...................................................................28 12.3.4 Drogenkonsum bei bipolaren Erkrankungen ......................................28 13 Methodik ...................................................................................................29 13.1 Zielsetzung ...............................................................................................29 13.2 Gesamtstichprobe.....................................................................................29 13.3 Methodik der Datenerhebung ...................................................................30 13.3.1 Allgemeine Daten ...............................................................................30 13.3.2 Erhebungsinstrumente .......................................................................31 13.4 Gruppenbildung ........................................................................................39 14 Ergebnisse................................................................................................40 14.1 Geschlechtsverteilung ..............................................................................40 14.1.1 Gesamtstichprobe ..............................................................................40 14.1.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe..............40 14.2 Alter ..........................................................................................................40 14.2.1 Gesamtstichprobe ..............................................................................40 14.2.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe.............41 14.3 Familiäre Situation ....................................................................................41 14.3.1 Gesamtstichprobe ..............................................................................41 14.3.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe..............42 14.4 Schulbildung und Berufsausbildung..........................................................43 14.4.1 Gesamtstichprobe ..............................................................................43 14.4.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe..............43 14.4.3 Geschlechtsverteilung der Patienten ohne abgeschlossene Berufsausbildung................................................................................43 14.5 Aktuelle Arbeitssituation ...........................................................................44 14.5.1 Gesamtstichprobe ..............................................................................44 14.5.2 Vergleich der kormobiden und der non-komorbiden Gruppe.............45 14.6 Berentung .................................................................................................46 14.6.1 Gesamtstichprobe ..............................................................................46 14.6.2 Berentungsdauer bei der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe ...............................................................................................46 14.7 Krankheitsverlauf ......................................................................................46 14.7.1 Genetik ...............................................................................................46 5 14.7.2 Ersterkrankungsphase .......................................................................47 14.7.3 Psychotische Symptomatik im Verlauf der Erkrankung ......................51 14.8 Suizidversuche .........................................................................................52 14.8.1 Die Rate der Suizidversuche ..............................................................52 14.8.2 Häufigkeit von Suizidversuchen .........................................................53 14.8.3 Geschlechtsverteilung der Patienten mit Suizidversuchen.................54 14.9 Psychopharmakotherapie .......................................................................55 14.10 Komorbidität ............................................................................................55 14.10.1 Einstiegsalter des Substanzmittelkonsums ........................................56 14.10.2 Einstiegsdrogen..................................................................................56 14.10.3 Abhängigkeit.......................................................................................56 14.10.4 Häufigste Suchtmittel .........................................................................56 14.10.5 Subjektiv erlebte Beeinflussung des Krankheitsverlaufes durch Suchtmittelkonsum .............................................................................57 14.10.6 Funktion des Suchtmittelabusus.........................................................57 14.11 Schweregrad der bipolaren Erkrankungen ..............................................58 14.11.1 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe nach GAF bei Entlassung ...........................................................................58 14.11.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe nach CGI bei Entlassung ............................................................................58 15 Diskussion ................................................................................................60 15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7 Komorbiditätsrate......................................................................................61 Alter bei Erkrankungsbeginn und in Bezug auf den Krankheitsverlauf .....62 Verlauf der Erkrankung.............................................................................64 Partnerschaft ............................................................................................65 Berufliche Situation...................................................................................66 Psychotische Störungen ...........................................................................67 Schlußfolgerung........................................................................................68 16 Zusammenfassung ...................................................................................69 17 Literaturverzeichnis:..................................................................................71 18 Danksagung .............................................................................................75 6 1 Einleitung Bipolare affektive Störungen haben in den letzten Jahren zunehmendes wissenschaftliches und klinisches Interesse erfahren. Kraepelin hatte vor über 100 Jahren noch von einem einheitlichen „manisch-depressiven Irresein“ gesprochen (Walden et al., 2000). Unter diesem im Jahr 1899 kreierten Begriff subsumierte Kraepelin alle Formen von Manie und Melancholie, unabhängig von der jeweiligen unipolaren oder bipolaren Verlaufsform. Es war der Überbegriff für all das, was wir heute affektive Störung nennen. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit erlangten die Ansichten Kraepelins eine hohe Akzeptanz. Durch die von ihm postulierte Dichotomie der endogenen Psychosen wurde Wesentliches zur Bereinigung der begrifflichen Verwirrung der Zeit vor ihm geleistet. Gleichzeitig jedoch wurde manches so vereinfacht, dass heute die „Zusammenpressung“ von Manie und Depression in allen ihren Verlaufsformen und Ausprägungen in eine einzige Kategorie als Rückschritt aufgefasst wird. Erst im Jahr 1899 führte Kraepelin das breite Konzept des „manisch-depressiven Irreseins“ ein. Diese Entwicklung fand mit der Publikation „Die klinische Stellung der Melancholie“ und mit dem Begriff „manisch-depressives Irresein“ in der 6. Ausgabe Kraepelins Lehrbuches ihren Abschluß. In den 60er Jahren kristallisierte sich unter dem Einfluss Leonhards und Angsts zunehmend die Unterscheidung unipolarer und bipolarer Erkrankungen heraus, wobei unipolare Manien kaum gefunden wurden. Erst im zweiten Teil des 20. Jahrhunderts konnte das Einheitskonzept widerlegt werden und die Depression wie auch die Manie galten als zwei unterschiedliche Krankheiten. Der Begriff der mono-bipolaren Verlaufsform wurde geprägt (Mayer, 1999). Dennoch ist im ICD-10 (Dilling et al., 2000) weiterhin die Kodierung einer manischen Episode möglich, ohne diese sogleich den bipolaren affektiven Störungen zuzuordnen. Akiskal et al. (1983) gehen jedoch davon aus, dass bis zu einem Viertel aller Patienten mit primär depressiven Episoden „falsch unipolar“ sind, da bei diesen erst nach mehreren Jahren eine manische oder hypomanische Episode auftritt. Mehr als 50 Prozent der Patienten bleiben länger als fünf Jahre nach Auftreten der ersten Symptome unbehandelt (36 % sogar länger als zehn Jahre). Bei 73% der Patienten wird initial eine andere psychiatrische Diagnose gestellt. Im Durchschnitt vergehen acht Jahre zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der Diagnose. Den Patienten geht dadurch wertvolle Zeit bis zum Be- 7 ginn einer störungsspezifischen Therapie und Rezidivprophylaxe verloren (Mayer, 1999). Manisch-depressive Erkrankungen umfassen eine Reihe unterschiedlicher Zustandsbilder wie beispielweise einzelne wiederkehrende depressive Verstimmungen, manisch-depressive Zustände oder geschlechtsspezifische Syndrome wie prämenstruelle Dysphorie, prä- und post partum Depression und klimakterische Depressionen (Thau, 2001). Die steigende Zahl von Erkrankungen und das sinkende Erkrankungsalter stellen das Gesundheitssystem zunehmend vor Probleme, nicht zuletzt aufgrund steigender direkter und indirekter Kosten. Die Höhe der indirekten Kosten liegt u.a. an der hohen Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage und der Frühberentungen. Denn manisch-depressive Erkrankungen wirken sich nicht nur auf das subjektive Wohlbefinden der Patienten aus, sondern verursachen auch beträchtliche soziale und volkswirtschaftliche Folgekosten. 1985 litten 25,4 Millionen USAmerikaner zwischen 18 und 64 Jahren an affektiven Störungen, davon 10,8 Millionen an einer manischen Episode. Für die Volkswirtschaft bedeutete dies einen Verlust von 20,8 Milliarden Dollar. Allein die direkten und indirekten Folgekosten wurden auf 24 Milliarden Dollar geschätzt (Röhrle, 2002). 60% aller Suizide sind auf die Erkrankungen des manisch-depressiven Formenkreises zurückzuführen und noch immer sterben 10% bis 21% der Erkrankten durch Suizid. Zahlreiche Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Compliance bei manisch-depressiven Patienten äußerst gering ist. In vielen Studien wurden Non-Compliance-Raten von 20% bis 50% gemessen, in der ambulanten Praxis beobachteten Kliniker Anteile von mehr als 60% (Thau, 2001). Das gemeinsame Auftreten von allgemeinpsychiatrischen Störungen und schädlichem Gebrauch psychotroper Substanzen bzw. Suchtmittelabhängigkeit wird seit Anfang der 90er Jahre mit Einführung der operationalen Klassifikationssysteme ICD-10 (Dilling et al.,2000) und DSM-3-R/4 als psychiatrische Komorbidität erfasst. Durch Trennung von Suchtkrankenhilfe und Psychiatrie wurde diese Thematik in der Forschung langzeitig vernachlässigt und die Komorbidität von bipolaren affektiven Erkrankungen und Suchtmittelmissbrauch wurde in den letzten zwei Jahrzehnten eher am Rande betrachtet (Marneros et al., 1999). 8 In umfassenden epidemiologischen Studien von (Regier et al., 1990) wurde ein hohes Ausmaß an Komorbidität zwischen einer großen Zahl psychiatrischer Erkrankungen und Abhängigkeitserkrankungen ermittelt. Die Autoren berichten, dass Menschen mit schweren psychischen Störungen, im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, ein erhöhtes Risiko haben, an einem Substanzmissbrauch oder einer Substanzabhängigkeit zu erkranken. Die Komorbidität von Patienten mit schweren psychotischen Störungen und Substanzstörungen ist mit einer Reihe negativer Folgen verbunden, wie erhöhte Raten an Rückfällen und Rehospitalisationen, Obdachlosigkeit, rechtlichen Problemen, Gewalttätigkeit, geringer Behandlungseinbindung, HIV-Infektionen und familiären Belastungen (Regier et al., 1990). 2 Epidemiologie und soziodemographischer Hintergrund 2.1 Lebenszeitprävalenz Die Vielgestaltigkeit bipolarer Erkrankungen erschwert die Erhebung valider Daten zu ihrer Häufigkeit. Inzwischen gehen Schätzungen von einer Prävalenz von mindestens 1,5% bis 6% in der erwachsenen Bevölkerung aus (Angst et al., 1995). Studien aus verschiedenen Ländern weisen auf, dass die Prävalenz affektiver Störungen in verschiedenen Kulturen - im Gegensatz zu den Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis - erheblich variiert (s. Tabelle 1). 9 Tabelle 1: Prävalenzzahlen schwerer psychiatrischer Störungen in der Primärversorgung (Wacker, 2000). Städte Berlin, BRD Seattle, USA Ibadan, Nigeria Nagasaki, Japan Paris Schaghai, China Verona, Italia Santiago, Chile Athen, Griechenland Derzeit eine Depression Alle psychiatrischen Erkrankungen 6,1% 18,3% 6,3% 11,9% 4,2% 9,5% 2,6 % 9,4% 13,7% 26,3% 4,0% 7,3% 4,7% 9,8% 29,5% 52,5% 6,4% 19,2% 2.2 Ersterkrankungsalter In einer Zusammenfassung von 6 internationalen epidemiologischen Studien lag das Ersterkrankungsalter bei 17 bis 27 Jahren (Weissmann et al., 1996). In der ECA (Epidemiological Catchment Area Study) mit der größten Population wird das Ersterkrankungsalter zwischen 18 und 21 Jahren angegeben (Weissmann et al., 1988). Winokur et al. (1969) berichten, dass ein Drittel der bipolaren manisch-depressiven Patienten bereits vor dem 20. Lebensjahr erkrankte. Auch in der Nachauswertung des NCS (Kessler et al., 1997) fand sich ein durchschnittliches Ersterkrankungsalter von 21 Jahren. Nach Walden und Grünze (2000) erleiden 75% der Patienten ihre erste Krankheitsepisode bis zum 25. Lebensjahr. 2.3 Sozioökonomischer Status Die sozioökonomischen Auswirkungen der manisch-depressiven Erkrankungen sind gravierend. Nach Einschätzung des US Departamens of Health, Education and Welfare (DHEW, 1979) hat eine Frau, die mit 25 Jahren an einer bipolaren Störung erkrankt (was dem Durchschnittsalter entspricht), eine um 9 Jahre verkürzte Lebenserwartung, verliert 12 Jahre des normalen gesunden Lebens und 10 14 Jahre des normalen beruflichen Lebens. Nach Zahlen aus Sachsen-Anhalt sind Patienten mit bipolaren Erkrankungen durchschnittlich mit 50 Jahren erwerbsunfähig (Walden und Grünze, 2000). Ausgesprochen widersprüchlich sind die Daten zum soziökonomischen Status der Betroffenen. Weissmann et al. (1988) hatten in ihren älteren Studien mehr bipolare Erkrankungen in höheren Schichten gefunden. In neueren Studien dagegen fanden Kessler et al. (1997) mehr bipolare Erkrankungen in Schichten mit geringem Einkommen. Koegel et al. (1988) führten in Los Angeles eine Studie durch und berichteten, dass bei der Bevölkerung dieser Stadt unter Obdachlosen signifikant mehr Menschen an bipolaren Störungen erkranken, als unter der Normalbevölkerung. Wie bei vielen anderen Erkrankungen kommt es häufiger vor, dass die Betroffenen getrennt leben, geschieden oder alleine lebend waren (Kessler et al., 1997). 3 Ursachen und Erklärungsmodelle der bipolaren Erkrankungen 3.1 Genetische Epidemiologie In den 70er Jahren ist gezeigt worden, dass genetische Faktoren an dem Entstehen psychiatrischer Erkrankungen beteiligt sein müssen. Zwillings-, Adoptions- und Familienstudien belegen, dass genetische Faktoren einen wesentlichen Teil der Disposition eines Individuums zur Ausprägung einer affektiven Störung darstellen (Marneros et al., 1999). Familienstudien, die eine kraepelinische Definition der manisch-depressiven Erkrankungen benutzten, kamen mehrheitlich zu dem Ergebnis, dass die Erkrankung bei Verwandten von Patienten häufiger auftritt als in der Allgemeinbevölkerung (Slater und Cowie, 1971). Zu affektiven Erkrankungen sind seit 1928 mehrere Zwillingsuntersuchungen (z.B. 10 Studien zwischen 1928 und 1977) durchgeführt worden (Propping, 1989). Bertelsen et al. (1977) berichteten im Ergebnis einer dänischen Zwillingsstudie, dass sich bei bipolaren Verläufen eineiige Zwillinge (EZ) bei An11 wendung weiter Kriterien in 97% der Fälle, zweieiige Zwillinge (ZZ) in 38% der Fälle als konkordant erweisen. So waren 15 von 19 Zwillingspaaren gleichsinnig unipolar erkrankt und 21 von 27 gleichsinnig bipolar. Eine größere Adoptionsstudie weist gleichfalls auf die Beteiligung genetischer Faktoren bei bipolar affektiven Störungen hin (Mendlewicz und Rainer, 1977). 3.2 Genetisch-biologische Vulnerabilität Die manisch-depressive Störung hat in der psychologisch-psychiatrischen Forschung erst in letzter Zeit zunehmend an Interesse gewonnen. Dies mag u.a. damit zusammenhängen, dass lange Zeit rein biologische Vorstellungen dominierten und die medikamentöse Behandlung als hinreichend betrachtet wurde und erst in den letzten zehn Jahren durch Forscher wie z.B. Miklowitz (1988) oder Johnson und Roberts (1995) der Einfluss von Stressoren und des familiären Klimas auf den Verlauf der Störung aufgezeigt wurde (Meyer und Hautzinger, 1997). Wenn es um die Erklärung der depressiven Episoden bei bipolar affektiven Störungen geht, werden häufig die allgemein bekannten Theorien zur Entstehung von Depressionen (z.B. Attributionsmodell, Modell der Hoffnungslosigkeit, kognitives Modell, Modell der sozialen Zeitgeber) herangezogen. Wenn es sich um hypomane und manische Symptome handelt, dann finden sich häufig psychodynamische Vorstellungen, die die Manie als eine Art Abwehr von geringem Selbstwert oder depressiven Zuständen erklären (Meyer und Hautzinger, 1997). Goodwin und Jamison (1990) gehen von einer „Instabilität biolgischer Rhythmen“ aus, die solchen Symptomen wie z. B. dem Antrieb zugrunde liegen. Die von verschiedenen Autoren (Goodwin und Jamison, 1990) postulierte Instabilität biologischer Rhythmen führt demnach in Wechselwirkung mit anderen Faktoren (z.B. wahrgenommenen Belastungen, interpersonellen Konflikten) zum Auftreten von ersten Prodromalsymptomen wie z.B. dem Erleben von verminderter Energie, Veränderungen im Schlafbedürfnis und/oder in der Gesprächigkeit, die ohne entsprechende Interventionen mit hoher Wahrscheinlichkeit in klinisch voll ausgeprägte affektive Krankheitsepisoden münden (Meyer und Hautzinger, 1997). Dieses Modell der bipolaren Störung geht davon aus, dass eine genetisch biologisch bedingte Vulnerabilität vorliegt. 12 3.3 Neurobiologische Ursachen Weitere Erklärungsmodelle der bipolaren Erkrankungen gehen von neurobiologischen Ursachen aus (Marneros et al., 1999). Die Neurobiologie der bipolaren Erkrankungen lässt sich in einem Modell mit strukturellen und funktionellen Komponenten beschreiben, das ergänzt wird durch die Bedeutung von Stressoren, Coping-Mechanismen und dispositionellen Faktoren. Strukturelle und funktionelle chronobiologische Auffälligkeiten scheinen eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie der Erkrankungen zu spielen. Die gesamte Kaskade der neuralen Signalvermittlung von Neurotransmittern und Neuromodulatoren über rezeptorgekoppelte intrazelluläre Signaltransduktion bis hin zu nukleärer Genexpression zeigt Auffälligkeiten bei bipolaren Erkrankungen, wobei nosologisch übergreifende Faktoren wie Suizidalität Einfluss nehmen (Marneros et al., 1999). 4 Affektive Erkrankungen in der ICD-10 4.1 Definition Affektive Störungen sind jene psychiatrischen Erkrankungen, bei denen Beeinträchtigungen der Stimmung, der Gefühle, des Antriebs und der Interessen wesentliche Kennzeichen sind. Der Beginn der einzelnen Episoden ist oft mit belastenden Ereignissen in Zusammenhang zu bringen. Die meisten dieser Störungen tendieren zu wiederholtem Auftreten (Dilling et al., 2000). 4.2 Die Gruppe der affektiven Erkrankungen Affektive Störungen (F30-F39) können aufgrund ihres Verlaufs (manische Episode, depressive Episode, bipolare affektive Störung, rezidivierende depressive Störungen, anhaltende affektive Störungen) und ihres Schweregrades (leicht, mittelgradig, schwer) unterteilt werden. Die Klassifizierung der affektiven Erkrankungen erfasst die ICD-10 (Dilling et al., 2000). 13 5 Definition und die Gruppe der bipolaren Erkrankungen 5.1 Definition Die „bipolare affektive Störung“ (F31) in ICD-10 ist durch wiederholte (das heißt wenigsten zwei) Episoden charakterisiert, in denen Stimmung und Aktivitätsniveau des Betroffenen deutlich gestört sind. Bei dieser Störung treten einmal eine gehobene Stimmung und Aktivität und gesteigerter Antrieb (Manie oder Hypomanie) auf, dann wieder eine Stimmungssenkung, verminderter Antrieb und Aktivität (Depression). Die Besserung zwischen den Episoden ist vollständig (Dilling et al., 2000). 5.2 Die Gruppe der bipolaren Erkrankungen Es wurden nach Mitte der siebziger Jahre zahlreiche Versuche unternommen verschiedene Untergruppen, hauptsächlich bei den bipolaren Erkrankungen, zu unterscheiden. Die gebräuchlichste Kategorisierung ist die nach Dunner et al. (1976). Die Autoren führten die Unterscheidung in Bipolar-1 und Bipolar-2 ein. Dannach fordert die Diagnose einer Bipolar-1-Erkrankung, dass der Patient neben depressiven Episoden wenigstens einmal im Verlauf wegen einer manischen Episode hospitalisiert werden musste. Die Bipolar-2-Erkrankung wird dadurch gekennzeichnet, dass lediglich hypomanische Episoden neben den depressiven auftreten. Die Hospitalisierung des Patienten erfolgt aber nur aufgrund depressiver Episoden. 6 Die Symptome der Depression 6.1 Definition Depressionen sind psychische Störungen, bei denen die Beeintächtigung der Stimmung, Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit, Antriebslosigkeit, Interessenverlust und zahlreiche körperliche Beschwerden wesentliche Merkmale sind (Dilling et al.,2000). 14 Die Verminderung der Energie führt zu erhöhter Ermüdbarkeit und Aktivitätseinschränkung. Hoffnungslosigkeit, Abwertung der eigenen Person und anderer, Schlaflosigkeit, Energiemangel, Müdigkeit, Konzentrazionsstörungen, Nachlassen des Appetits sind häufig begleitende Symptome. Bei schwerer Erkrankung können wir darüber hinaus wahnhafte Symptome feststellen. Der Wahn schließt gewöhnlich Ideen der Versündung, der Verarmung oder einer bevorstehenden Katastrophe ein, für die sich der Patient verantwortlich fühlen kann. Die akustischen Halluzinationen bestehen gewöhnlich aus diffamierenden Stimmen; die Geruchshalluzinationen beziehen sich auf Fäulnis oder verwesendes Fleisch (Dilling et al, 2000). 6.2 Lebenszeitprävalenz Depressionen gehören zu den häufigsten Befindlichkeitsstörungen in der modernen Gesellschaft. Jährlich erkranken in Deutschland nach Daten des Max-Planck-Institutes für Psychiatrie etwa 4,4% der Männer bzw. 13,5% Frauen an einer Depression. Das entspricht 7,8 Mio. Betroffenen (2,8 Mio. Männer und 5 Mio. Frauen)(Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998). Im Jahr 1993 wurden im Bereich der gesamten gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt ca. 282.000 Arbeitsunfähigkeitsfälle (AU-Fälle) mit 10,9 Mio. AU-Tagen aufgrund depressiver Erkrankungen registriert. Das entspricht ungefähr 2,2% aller AU-Tage. Für Frauen wurden ca. doppelt so viele AU-Fälle je 100 Tsd. Pflichtmitglieder ausgewiesen wie für Männer (1285 versus 592 Fälle je 100 Tsd. Pflichtmitglieder). Depressionsbedingte AU dauert im Mittel deutlich länger als AU aufgrund anderer Krankheiten. Depressive Erkrankungen haben einen erheblichen Anteil an den Gründen für eine vorzeitige Berentung. 1995 wurden 18.629 Frühberentungen (7.146 Männer, 11.483 Frauen) aufgrund depressiver Erkrankungen bewilligt. Das entspricht ca. 6,3% aller 297.164 Frühberentungen im Jahr 1995. Das mittlerer Berentungsalter lag zwischen 50 und 54 Jahren (Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998). Etwa 17% der Gesamtbevölkerung weisen im Verlauf ihres Lebens einmal eine depressive Episode auf. Etwa die Hälfte davon, also ca.10%, leidet an einer depressiven Episode, die zwar gering ausgeprägt, aber immerhin noch klinisch relevant ist (Kasper, 2000). Mindestens 3% der Bevölkerung steht wegen Depressionen in ambulanter psychiatrischer Behandlung. Weniger als 1% der Bevölkerung wird stationär behandelt (Wacker, 2000). 15 Schätzungen zufolge leiden in den USA etwa 17,6 Millionen Menschen an Depression und bis zu 25% aller Frauen bzw. bis zu 12% aller Männer in den USA werden einmal in ihrem Leben eine schwere Depression durchmachen (Röhrle, 2002). 7 Die Symptome der Manie 7.1 Definition Die manische Episode ist durch eine in einem umschriebenen Zeitraum deutlich abgrenzbare Veränderung der Stimmung und des Antriebes im Sinne einer gehobenen oder reizbaren Stimmung und einer Antriebssteigerung gekennzeichnet. Leitsymptome der Manie sind inadäquat gehobene Stimmung, beschleunigstes Denken (Ideenflucht) und Selbstüberschätzung. Weitere Symptome sind: Hyperaktivität, Rededrang (Logorrhoe), vermindertes Schlafbedürfnis, Größenwahn, Euphorie, vermehrte leichtsinnige Geldausgabe, Distanzlosigkeit, Enthemmung, berufliche und familiäre Tragödien und Konflikte (Marneros et al., 1999). 7.2 Die Symptome der Manie Winokur et al. (1969) fanden folgende Ergebnisse zur Häufigkeit der typischen Symptome der Manie (s. Tabelle 2). Tabelle 2: Häufigkeit typischer Symptome bei Manie nach Winokur et al., 1969 Symptom Irritierbarkeit Rededrang Euphorie Labilität Insomnie Reizbarkeit Feinseligkeit Extravaganz Tagesschwankungen Häufigkeit in % 100 99 99 95 90 85 83 69 67 16 Bei schwerer Erkrankung kommen darüber hinaus Wahnideen oder Halluzinationen vor. Am häufigsten treten Größen-, Liebes-, Beziehungs- und Verfolgungswahn auf (Dilling et al., 2000). 8 Die gemischt-bipolare Episode Die diagnostischen Kriterien für eine gemischte Episode nach ICD-10 sind: die Episode ist durch eine Mischung von hypomanischen bzw. manischen und depressiven Symptomen gekennzeichnet. Manische und depressive Symptome müssen gleichermaßen die meiste Zeit während einer Periode von wenigstens 2 Wochen vorhanden sein. Dabei kann simultan eine depressive Stimmung tage- oder wochenlang von Überaktivität und Rededrang begleitet sein bzw. eine manische Stimmungslage und Größenideen von Antriebs- und Libidoverlust (Dilling et al., 2000). Die Häufigkeit von gemischt-bipolaren Episoden ist abhängig von vielen Faktoren, vor allem, ob enge oder breite diagnostische Konzepte verwendet worden sind, ob es sich um Patienten mit ersten Episoden, oder Patienten mit einem längeren Verlauf handelt (Marneros et al.,1999). Bauer et al. (1994) fanden, dass die Häufigkeit von gemischt-bipolaren Episoden zwischen 5% und 73% liegt. Vereinzelte depressive Episoden (und umgekehrt vereinzelte maniforme Symptome) können bei bis über zwei Drittel der affektiven Patienten auftreten (Marneros et al., 1999). 9 Rapid- Cycling-Verlaufsform Als Rapid Cycling werden bipolare (von manchen Autoren auch unipolare) affektive Erkrankungen mit mindestens vier affektiven Episoden in 12 Monaten bezeichnet (Dunner et al., 1976). Dabei wird die Zahl der Episoden gezählt und nicht die Zahl der Zyklen. Die Episoden können dabei direkt in eine Episode umgekehrter Polarität wechseln (Walden, 2000). In der ICD-10 fand die Rapid-Cycling-Verlaufsform keinen Zugang. Ein Rapid Cycling findet sich sowohl in Form einer Bipolar-1 als auch einer Bipolar-2Erkrankung (Dunner et al., 1976). Die Rapid-Cycling-Verlaufsform ist klinisch von großer Wichtigkeit aufgrund ihrer Häufigkeit, ihrer therapeutischen und prophylaktischen Problematik, ihrer schweren Morbidität und ihrer schlechteren Prognose. Walden (2000) beschreibt: “Treten Phasenwechsel innerhalb von 17 Tagen auf, so spricht man von Ultra- Rapid-Cycling, bei einem Phasenwechsel innerhalb von Stunden von Ultra-Ultra-Rapid-Cycling„ (Tabelle 3). Tabelle 3 Rapid cycling Mindestens 4 Episoden in einem Jahr Ultra rapid cycling Ultra-ultra rapid cycling Phasenwechsel innerhalb Phasenwechsel innerhalb von Tagen von Stunden Die Häufigkeit von Rapid Cycling wird auf 15-20% der bipolaren affektiven Erkrankungen geschätzt (Walden, 2000). Rapid- Cycling entwickelt sich in der Regel im späteren Verlauf der Erkrankungen. Frauen erkranken häufiger als Männer und durch bestimmte körperliche Erkrankungen wie z.B. Schilddrüsendysfunktionen, Multiple Sklerose, Schädelhirntraumata und auch durch geistige Behinderung kann Rapid-Cycling begünstig werden. Offensichtlich bestehen keine Unterschiede zwischen Rapid Cycling mit Frühbeginn oder mit Spätbeginn. Es ist wohl auch möglich, dass ein Verlauf als Non-Rapid-Cycling beginnt, sich dann irgendwann zum Rapid Cycling entwickelt und dann wieder in ein Non–Rapid-Cycling überwechselt (Walden, 2000). 10 Verlauf, Aktivität und die Prognose von bipolaren Erkrankungen 10.1 Verlauf und Episodenlänge 10.1.1 Bipolare Erkrankungen Die bipolaren Erkrankungen sind lebenslange Erkrankungen. Die Patienten haben mehr und häufigere Krankheitsepisoden als unipolare Formen und haben in der Regel einen polyphasischen Verlauf (Angst et al., 1995). Die Mehrzahl bipolarer Erkrankungen beginnt im frühen Erwachsenalter. 6070% der manischen Phasen bei der Bipolar-1-Störung treten direkt vor oder nach einer depressiven Phase auf. Ca. 90% der Betroffenen erleben multiple Episoden. Die Länge einer Krankheitsepisode ist nur in Ausnahmefällen exakt erfassbar. Der Beginn der Episoden ist häufig ungenau, die symptomatologischen Konstellationen entwickeln sich erst allmählich zu einer kriteriologisch erfassbaren Form. Extrem selten endet eine Episode abrupt, in der Regel ge- 18 schieht es allmählich. Manche Symptome, die lange andauern, sind nicht immer von persönlichkeitsgebundenen Merkmalen und Interaktionsmustern unterscheidbar (Marneros et al., 1999). Bipolare Frauen entwickeln deutlich häufiger Rapid cycling (3:1) und im Vergleich zu bipolaren Männer haben sie häufiger depressive oder gemischte Episoden, während manische Phasen oder reine Manien bei Männern häufiger sind (Angst et al., 1995). 10.1.2 Depressive Episode Depressive Episoden können länger als manische Episoden dauern. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach 3 unipolar verlaufenen depressiven Episoden eine manische Phase auftritt liegt zwischen 10 und 30 Prozent (Hautzinger et al., 1977). Bei der depressiven Symptomatik wird eine längere Variationsbreite angenommen, wobei jedoch -abhängig vom Therapieerfolg- eine Rückbildung von behandelten Episoden innerhalb von 2 bis 5 Monaten dem Durchschnitt entspricht (Angst et al., 1995). 10.1.3 Manische Episode Eine manische Symptomatik kann sich innerhalb weniger Tage bis innerhalb einiger Monate zurückbilden; bei der Mehrzahl der Patienten geschieht dies im Zeitraum von 2 Monaten (Silverstone und Hunt, 1992). Manche Untersuchungen fanden eine Abnahme der Dauer der Episoden mit zunehmender Zahl. In der Collaborative Depression Study (Solomon et al., 1997) wurde für die erste Episode eine Dauer von 22 Wochen, für die zweite 20, für die dritte 21 und die vierte und fünfte 19 Wochen angegeben. 10.1.4 Gemischt-bipolare Störungen Die bipolar-gemischte Episode dauert am längsten, im Durchschnitt ca. 5 Monate (Marneros et al.,1999). Die meisten vorhandenen Studien bestätigten die Ansicht von Kraepelin, dass die „Mischzustände“ eine relativ ungünstige Prognose haben. Die Dauer der gemischten Episoden ist länger als die der anderen affektiven Episoden. Auch der Langzeitverlauf ist ungünstiger beim Auftreten von gemischten affektiven Episoden im Sinne der Länge der dauernden Phase (Marneros et al.,1999). Silverstone und Hunt (1992) stellten fest, dass die gemischten Zustände häufig mit einer gemischten Episode beginnen. Im Gegen19 teil dazu zeigte eine Studie von Marneros et al. (1999), dass nur 9% der bipolaren affektiven Patienten initial eine gemischte Episode hatten. 10.2 Aktivität der bipolaren Erkrankungen Aktivitätsdauer definiert sich als der Zeitraum zwischen dem Erkrankungsbeginn und dem Ende der letzten aufgetretenen Krankheitsepisode. Angst und Preisig (1995) bestätigen, dass mit zunehmender Dauer der Erkrankung die Zyklen bei bipolaren Erkrankungen kürzer werden. Bipolare Erkrankungen können bis zum höheren Lebensalter im Sinne der Remanifestation von Krankheitsepisoden aktiv sein (Marneros et al., 1999). Bp-1 Freies Intervall Manie Bp-2 Depression Hypomanie Freies Intervall Zyklus Abbildung 1: Verlauf der bipolaren Störung und Zyklothymia (Modifizierung nach S.Kasper et.al. Konsensus-Statement: Diagnostik und Therapie der bipolaren Störung. Neuropsychiatrie 2000;13(3):100-108) Bipolare Patienten haben über 30 Jahre typischerweise ca. 7-8 Episoden. Nach Angaben älterer Studien wird die natürliche Phasendauer von bipolar affektiven Erkrankungen mit 7 bis 8 Monaten angenommen. Neueren Arbeiten zufolge liegt der Median der Phasendauer bei bipolaren Erkrankungen bei 4 Monaten. Individuell ist die Phasendauer bei den Patienten, bei denen keine Chronifizierung eintritt, recht stabil und damit vorhersagbar (Marneros et al., 1999). Die manisch-depressive Störung ist per Definition eine Erkrankung, die zu Rezidiven neigt, wobei die Schätzungen zur Häufigkeit von Episoden stark variiert. Angst et al. (1995) schätzten, dass in einem Zeitraum von 25 Jahren etwa zwölf Phasen auftreten. Ältere Studien kamen zu geringenen Schätzungen, wenn es um die Häufigkeit von affektiven Episoden ging, was z.T. damit erklärbar ist, dass nur Phasen, die zu einem Krankenhausaufenthalt führten, in die Statistik eingingen. Die durchschnittliche Dauer der Episoden liegt bei acht bis zehn 20 Wochen, wobei vor allem gemischte Episoden dazu tendieren, länger als rein depressive oder rein manische Phasen anzuhalten. Bei der Beurteilung der Patienten mit einer bipolaren Störung ist neben der Erhebung der aktuellen Symptomatologie eine besondere Aufmerksamkeit darauf zu legen, ob Hypomanie bzw. manische Episoden in der Vorgeschichte auftraten (Goodwin und Jamison, 1990). 10.3 Ausbruch der Episoden Die Verlaufsforschung hat gezeigt, dass pathologische Veränderungen im psychologischen, interaktionalen und Befindlichkeitsbereich lange vor Ausbruch des Vollbildes einer bestimmten Episode bestehen können. In diesem Sinne spricht man von „Prodromen“ und auch „Vorpostensyndromen“. Die Bezeichnung „Prodrom“ beinhaltet außerdem die Bedeutung einer “Vorbereitung“ für das Auftreten eines „neuen“ oder eines „anderen“ Zustandes. Bei chronischschleichendem Beginn sind die überlappenden Merkmale zwischen „Prodrom“ und „Episode“ zahlreich (Marneros et al., 1999). 10.4 Prognose der bipolaren Erkrankungen Nach Angst et al. (1986) liegen die Remissionsraten für bipolar-affektive Störungen für eine zumindest fünfjahrige Rückfallfreiheit bei 29%. Eine Chronifizierung, d.h. eine Minimaldauer von Beschwerden, bis zu zwei Jahren, ist bei 10% bis 20% der bipolar Erkrankten zu verzeichnen, wobei ältere Patienten, bzw. solche mit parallel bestehenden körperlichen Erkrankungen, öfter von einer Chronifizierung betroffen sind. Spätremissionen sind jedoch auch im hohen Lebensalter oder bei langen Phasen möglich (Angst et al., 1986). Die Remissionsverläufe der bipolaren Erkrankungen zeigen, dass innerhalb eines Zeitraumes von 6 Monaten über ¾ aller Erkrankungen wieder abgeklungen sind. Etwa 50% aller Episoden weisen sogar nur eine Länge von 3 Monaten auf (Marneros et al., 1999). 10.5 Häufigkeit persistierender Alterationen (Residualzustände) bei bipolaren Erkrankungen Für die bipolaren Erkrankungen herrscht insofern Einigkeit, dass man es heute als erwiesen betrachtet, dass nicht jede bipolare affektive Erkrankung einen „guten Ausgang“ hat. Hier endet jedoch die Übereinstimmung. Die Häufigkeit von persistierenden Alterationen wird bei affektiven Erkrankungen zwischen 1% 21 und 77% angegeben (Winokur et al., 1969). Zwischen diesen beiden extremen Befunden finden sich unterschiedlichste Prozentangaben. Angst und Preisig (1995) fanden z.B. persistierende Alterationen bei 29% der bipolaren affektiven Erkrankungen. Studien, die vorwiegend die Beeinträchtigung der sozialen Anpassung als kriteriologisches Merkmal eines „schlechten“ Ausganges berücksichtigen, kommen zu der Auffassung, dass ungefähr ein Drittel der Patienten mit bipolaren affektiven Erkrankungen sozial nicht vollständig remmitiert sind (Carlson et al., 1974). Als Fazit kann man die Ergebnisse der Auswertung von Goodwin und Jamison (1990) heranziehen: Bei Verlaufsuntersuchungen mit einer Gesamtdauer von über 12 Jahren finden sich im Durchschnitt bei 25% der Patienten mit bipolaren affektiven Erkrankungen persistierende Alterationen. 11 Suizidalität bei bipolaren Erkrankungen 11.1 Definition Suizidalität ist bei bipolaren Erkrankungen ein fast ubiquitäres Problem mit einem breiten Spektrum von „lebensmüden Gedanken“ bis hin zum finalen Suizid. Kreitmann (1970) beschreibt Suizidversuch, als „ jegliche von einem Patienten gewollte Handlung, welche einem suizidalen Verhalten gleicht, aber nicht zu einem tödlichen Ausgang führt“. Damit soll auch vermieden werden, dass die Ernsthaftigkeit eines Suizidversuches falsch eingeschätzt wird. Als stärkste Prädiktoren für einen Suizid im Rahmen einer affektiven Erkrankung gilt eine Vorgeschichte mit Suizidversuchen einerseits, und die Diagnose einer bipolaren affektiven Erkrankung anderseits (Goodwin und Jamison, 1990). 11.2 Lebenszeitprävalenz In der Allgemeinbevölkerung dachten fast 14% irgendwann in ihrem Leben ernsthaft an Suizid, und fast 4% hatten einen Plan (Kessler et al., 1997). Goodwin und Jamison (1990) äußerten die Vermutung, dass vor allem depressive Patienten, bei denen hypomanische Symptome bzw. Episoden auftreten, die aber oft nicht berichtet und dadurch übersehen werden, ein erhöhtes Risiko für Selbstmordversuche haben. 22 Nach Goodwin und Jamison (1990) lag die durchschnittliche Rate von Suiziden bei manisch-depressiven Patienten bei 19% mit einer Variationsbreite von 9% bis 60%. In einer schottischen Studie wurde die Suizidrate innerhalb eines 10jährigen Beobachtenszeitraums 23-mal höher bei bipolar Erkrankten, als im Bevölkerungsdurchschnitt gefunden, wobei sich die meisten Suizide relativ früh in der Erkrankung, nämlich zwischen dem 2.-5. Jahr nach Diagnosestellung, ereigneten (Walden, 2000). 12 Suchtmittelkonsum als komorbide Störung bei bipolaren Erkrankungen 12.1 Definition Der Begriff der "Komorbidität“ als solcher wird seit mindestens 1970 in der Medizin von Feinstein gebraucht, aber erst seit den späten achtziger Jahren hat er auch größeren Einfluss auf die Psychiatrie genommen (Gaspar und Mann, 1999). Von 1986 bis 1997 hat sich die Zahl der entsprechenden psychiatrischen Publikation zu Komorbiditätsthemen etwa um den Faktor 80 vervielfacht, bzw. hat sich der Anteil an psychiatrischen Fachpublikationen von 0% auf etwa 6% erhöht. Die gebräuchlichste Definition für Komorbidität ist das „Vorhandensein von mehr als einer Störung bei einer Person in einem definierten Zeitraum“. Diese Definition bezieht sich streng genommen auf Störungen - nicht auf Symptome oder Syndrome. Dabei müssen die Störungen nicht gleichzeitig bei einer Person vorliegen, sondern können auch zu unterschiedlichen Zeiten auftreten. Vergleichbar der Bestimmung der Prävalenz kann somit als Zeitfenster ein definierter Zeitabschnitt (z. B. 12 Monate; Querschnittskomorbidität) oder auch die gesamte Lebensspanne betrachtet werden (Lebenskomorbidität) (Regier et al., 1990). 12.2 Alkoholabhängigkeit /-missbrauch 12.2.1 Definition Die Definition nach den ICD-10 (Dilling et al., 2000) Kriterien für „Abhängigkeitssyndrom“ ist: Starker Wunsch (Drang), die Substanz zu konsumieren, nachlassende Kontrollfähigkeit, Entzugssyndrome körperlicher Art und infolgedessen erneuter Konsum, Toleranzentwicklung und Dosissteigerung. Übliches soziales Verhalten (z.B. beim Alkoholtrinker) wird nicht mehr eingehalten, frühe- 23 re Interessen und andere „Vergnügen“ werden vernachlässig, trotz substanzbedingter psychischer Beeinträchtigung, Organschäden und sozialer Nachteile wird der Konsum fortgesetzt (Dilling et al., 2000). Abusus oder Missbrauch beinhaltet den unangemessenen Gebrauch einer Substanz/ Droge, d.h. überhöhte Dosierung und/ oder Einnahme ohne medizinische Indikation. Wiederholtes Einnehmen führt zur Gewöhnung, psychisch durch Konditionierung, körperlich in der Regel mit der Folge der Dosissteigerung (Gastpar und Mann, 1999). Unter Alkoholmissbrauch wird ein Alkoholkonsum beschrieben, der gegenüber der soziokulturellen Norm überhöht ist bzw. zu unpassender Gelegenheit erfolgt. Das Phänomen des Alkoholmissbrauches bei „Irrsinnigen“ wurde erstmals bei Jean Etienne Dominique Esquirol (1772-1848) genannt. Der präzise Statistiker Esquirol entwickelte ein Modell „moralischer Ursachen des Irrsinns“ und führte ihn z.B. auf Alkoholmissbrauch zurück (Marneros et al., 1999). 12.2.2 Allgemeine Daten Personen mit schädlichem Gebrauch bzw. einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen (Alkohol, verschiedene illegale Substanzgruppen wie Opiate, Kokain und Cannabisprodukte sowie bestimmte Medikamentgruppen) stellen mit etwa 8,0 Millionen die größte Gruppe psychischer Störungen in Deutschland dar (etwa 10% der Gesamtbevölkerung) (Gastpar und Mann, 1999). Lehmann (1999) nach Angabe von DHS-Jahrbuch (1997) berichtet, dass der Anteil der Alkoholabhängigen ca. 2,5 Millionen der deutschen Bevölkerung beträgt (Gastpar and Mann, 1999). Im Jahre 1968 wurde der Alkoholismus vom Bundessozialgericht als Krankheit anerkannt. 1136 Beratungsstellen bieten Hilfe bei Problemen mit Alkohol und Medikamenten an, 12.000 stationäre Therapieplätze für Abhängige von Alkohol und Medikamenten stehen für die akute medizinische Behandlung zur Verfügung. An den Folgen ihrer Alkoholkrankheit sterben in Deutschland jährlich ca. 40.000 Menschen. Durch Fehlzeiten am Arbeitsplatz, verringerte Arbeitsleistung, alkoholbedingte Verkehrs- und Betriebsunfälle sowie direkte und indirekte Krankheits- und Behandlungskosten entstehen für Staat und Gesellschaft schwere wirtschaftliche Belastungen von jährlich rund 40 Milliarden Euro. Wegen Alkohol am Steuer werden in Deutschland jährlich ca. 280.000 Führerscheine eingezogen (Gastpar und Mann, 1999). 24 12.2.3 Lebenszeitprävalenz In klinischen Populationen ist die Komorbidität von Alkohol bei bipolaren Störungen sehr hoch: die Komorbiditätsrate liegt nach der Literatur zwischen 48% und 66% und ist deutlich höher als die Komorbiditätsrate bei den schizophrenen, schizoaffektiven oder unipolar affektiven Störungen (Regier et al., 1990) (s. Abbildung 2). 40,00% 20,00% 0,00% Bipolar I Bipolar II Schizophr. Dysthymie Major Depr. Abbildung 2: Lebenszeitprävalenz von komorbidem Alkoholabusus nach Regier et al. JAMA, 1990 12.2.4 Geschlechtsunterschiede Etwa 20-30% der Menschen mit Alkoholismus haben die Lebenszeitdiagnose einer affektiven Störung. Dabei sind Frauen relativ deutlich häufiger betroffen (Gastpar und Mann, 1999). Frauen mit Alkoholabhängigkeit nehmen einen rascheren Verlauf hinsichtlich somatisch-medizinischer Komplikationen und zeigen ein höheres Mortalitätsrisiko als Männer. Bei Frauen ist eine Major Depression durch eine vorliegende genetische Diathese für Alkoholismus nur bei einer gestörten familiären Umwelt vorhersagbar (Gammeter, 2002). 12.2.5 Genetische Faktoren Die neueren Studien von Merikangas und Maier (1996) zeigen, dass der genetische Zusammenhang zwischen bipolaren Störungen wahrscheinlich geringer ist, als er noch in den 70er Jahren von Winokur postuliert wurde. Dennoch gilt es als sicher, dass der Zusammenhang zwischen bipolaren Störungen und „Alkoholismus“ stärker ist, als der zwischen unipolaren Störungen und „Alkoholismus“ (Merikangas und Maier, 1996). Wender et al. (1986) fanden in einer Adoptionsstudie eine Häufung von Alkoholmissbrauch und –abhängigkeit bei den 25 biologisch Verwandten von affektiv kranken Probanden im Vergleich zu Kontrollprobanden bzw. Adoptivverwandten. Mendlewicz und Rainer (1977) hatten diesen Zusammenhang in ihrer Adoptionsstudie mit ausschließlich bipolaren Probanden nicht gesehen. Gershon et al. (1982) fanden in einer Familienstudie ebenfalls keine Häufung von Alkoholismus bei Verwandten ersten Grades bipolarer Probanden. Dunner et al. (1976) hatten bei Verwandten von Probanden mit bipolarer Erkrankung und Alkoholismus eine größere Häufigkeit von Alkoholismus gefunden als bei Probanden mit bipolarer Erkrankung ohne Alkoholismus. Dagegen fanden Winokur et al. (1993) mehr Verwandte mit Alkoholismus bei bipolaren Probanden ohne Alkoholismus. 12.2.6 Alkoholabhängigkeit bei affektiven Störungen Bipolare affektive Erkrankungen und Alkoholabhängigkeit bzw.- missbrauch treten überzufällig häufig gemeinschaftlich auf. Es gibt Hinweise darauf, dass dieser Zusammenhang für bipolare affektive Erkrankungen sogar stärker ist als für unipolare. Bezüglich der Komorbidität zwischen bipolarer Störung und Alkoholismus stellte Winokur et al. (1993) fest, dass Alkoholismus bei bipolarer Störung hauptsächlich eine Folge des impulsiven und expansiven Lebensstils und verbunden mit mangelhaftem Urteilsvermögen des manischen Patienten ist. Bei ersterkrankten „Manikern“ fand Soyka et al. (1994) eine Punktprävalenz alkoholbedingter Störungen von 39%. Ein Wert, der sich nicht wesentlich von dem bei mehrfach hospitalisierten „Manikern“ unterschied. Die Patienten mit Doppeldiagnose waren häufig jünger, männlich und unverheiratet. Außerdem war ihre Schulausbildung niedriger, sie hatten häufiger weitere komorbide Störungen (zumeist Angststörungen), und ihre manischen Episoden waren dysphorischer. Patienten mit komplizierter Manie hatten ein erheblich geringeres Ersterkrankungsalter und hatten mehr Suizidversuche in der Vorgeschichte als die anderen beiden Gruppen (Sonne et al., 1994). Unipolare Depressionen und Alkoholabhängigkeit sind eng miteinander verbunden und zählen zu den häufigsten psychischen Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Die Komorbidität dieser beiden Zustandsbilder hat eine ungünstige Wirkung auf den Verlauf der affektiven Störung (Meyer und Hautzinger, 1997) (s.Tabelle 4). 26 Tabelle 4: Komorbidität im Vergleich von Patienten mit unipolarer Depression (n=2056) und Patienten mit bipolaren affektiven Störungen (n=558) (Meyer und Hautzingen, 1997). Alkoholabhängigkeit Alkoholmissbrauch Benzodiazepinabhängigkeit Benzodiazepinmissbrauch Unipolare Depression (n=2056) 1,3% 1,3% 1,4% 1,1% Bipolare Störung (n=588) 2,4% 3,4% 0,2% 0,3% 12.3 Drogenmissbrauch/ -abhängigkeit 12.3.1 Allgemeine Daten Illegale Drogen werden von psychiatrischen Patienten häufiger konsumiert als von der Normalbevölkerung. Die Zahl der Drogenabhängigen beträgt in Deutschland zwischen 100.000-120.000 mit steigender Tendenz, die Zahl der Medikamentenabhängigen liegt bei ca. 1,4 Millionen (DHS-Jahrbuch, 1997). Illegale Drogen werden meist von 14-35 Jährigen konsumiert, ca. 3% der Jugendlichen betreiben Drogenmissbrauch, etwa 7% der 18-24-Jährigen haben bereits Erfahrungen mit Ecstasy gemacht. Aufgrund ihrer Drogenabhängigkeit sterben 2000 (meistens Überdosis) und infolge des Rauchens ca. 110.000 Menschen. Männer überwiegen etwa im Verhältnis 2:1. In der Altersgruppe bis etwa 20 Jahre sind Frauen allerdings fast gleich stark vertreten (Gastpar und Mann, 1999). 12.3.2 Lebenszeitprävalenz Modestin et al. (1997) fanden bei über 400 konsekutiven psychiatrischen Aufnahmen in einer Züricher Klinik bei einem Drittel der Patienten aktuellen Gebrauch von illegalen Drogen, bei 25% war dieser regelmäßig (mehr als 3 mal wöchentlich). 19% der affektiven Patienten gebrauchten illegale Drogen (15% regelmäßig), 12% (regelmäßig 8%) konsumierten Opiate oder Kokain, 12 % (regelmäßig 8%) Cannabis, wobei drogenabhängige Frauen häufiger an affektiven und Angststörungen als drogenabhängige Männer erkrankten. 27 Spaner et al. (1994) fanden in der Edmonton-Studie, bei 34% der bipolaren Personen ein Drogenproblem. Im National Comorbidity Survey lag die entsprechende Lebenszeitprävalenz bei 46% (Kessler et al, 1997). Umgekehrt hatten in einer epidemilogischen Studie von Russel et al. (1994) 3,3% der Personen mit Drogenproblemen eine bipolare Störung, was das relative Risiko auf 7,8% erhöht und somit den engeren Zusammenhang zwischen bipolaren Störungen und Drogenproblemen aufzeigt. 12.3.3 Geschlechtsunterschiede Kessler et al. (1997) berichteten, dass die affektiven Störungen insgesamt und im einzelnen Major Depression und Manien bei Männern etwa zum gleichen Anteil vor und nach der Drogenabhängigkeit beginnen. Dysthymien beginnen eher, d.h. in 54% der Fälle, sekundär zur Drogenstörung und nur bei einem Drittel primär, also vor der Drogenabhängigkeit. Bei Frauen liegt dagegen der Anteil sekundärer affektiver Störungen für alle berücksichtigten Störungen um 30%, in 47-58% der Fälle dagegen tritt die affektive Störung vor der Drogenabhängigkeit auf. 12.3.4 Drogenkonsum bei bipolaren Erkrankungen Verschiedene Autoren postulierten, dass ein Subtyp von Kokainkonsumenten an bipolaren oder zumindest zyklothymen Stimmungsschwankungen leidet (Weiss und Mirin, 1986). Bereits Ende der 80er Jahre stellte jedoch Weiss fest, dass dieser Zusammenhang sich angesichts des sich verändernden Konsummuster des Kokains im Laufe der 80er Jahre wohl abgeschwächt hatte. Der stimulierende Effekt des Kokains und Amphetamins und ein potentieller antidepressiver Effekt von Cannabinoiden scheint nur begrenzten Einfluss auf das Gebrauchsmuster Depressiver etwa im Sinne einer Selbstmedikation zu haben, auch wenn sich hinsichtlich Kokain und Amphetamine Tendenzen in diese Richtung finden. Hinsichtlich Cannabis liegen diesbezüglich aber keine eindeutigen Ergebnisse vor (Russel et al., 1994). Cannabis-Konsumenten haben eine 6 fach höhere Erkrankungshäufigkeit an schizoaffektiven Psychosen und 15% aller jugendlichen Drogenkonsumenten zeigen psychotische Symptome (Gastpar und Mann, 1999). Tennant und Groesbeck (1994) diagnostizierten 1972 bei 16% von 720 Haschisch konsumierenden amerikanischen Soldaten psychotische Symptome; betroffen waren vor allem die starken Konsumenten (Marneros et al., 1999). 28 13 Methodik 13.1 Zielsetzung Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, einen deskriptiven Überblick über Einfluss und Auswirkung des Suchtmittelskonsums auf Verlaufsprozesse und Prognose der bipolaren affektiven Erkrankungen zu verschaffen. Ein weiteres Ziel der Arbeit ist, die Gruppe der Patienten mit Suchtmittelabusus im Rahmen der Gesamterhebung einer klinischen Stichprobe im Vergleich zu Patienten mit bipolaren affektiven Erkrankungen ohne Missbrauch zu charakterisieren. Die Zielsetzung der hier vorgelegten Untersuchung bestand in den folgenden Hypothesen: 1. Patienten mit bipolar-affektiven Erkrankungen konsumieren missbräuchlich Suchtmittel. 2. Der Alkohol-, Drogen- und Medikamentenkonsum verkompliziert den Verlauf, die Symptomatik, soziale Situation und die Prognose der Patienten mit bipolar-affektiven Erkrankungen. Alternativhypothesen: 1. Bei Patienten mit bipolar-affektiven Erkrankungen besteht kein Suchtmittelkonsum. 2. Der Suchtmittelkonsum hat keinen Einfluss auf den Verlauf, die Symptomatik, die soziale Situation und die Prognose der Patienten mit bipolaraffektiven Erkrankungen. 13.2 Gesamtstichprobe Die untersuchten Patienten befanden sich zur stationären Behandlung in der Westfälischen Klinik Gütersloh. Die Klinik hatte im Untersuchungszeitraum einen Pflichtversorgungsauftrag für den Kreis Gütersloh, für den Raum Herford und bis Juni 2003 den Pflichtversorgungsauftrag für den Kreis Detmold. Behandelt werden in der Klinik neben Patienten mit klassischen Erkrankungen wie Psychosen, Neurosen und Demenzen, u.a. auch Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankungen. Neben dem Bereich Allgemeine Psychiatrie 29 bietet die Klinik auch spezielle Behandlungskonzepte an, wie z.B. für depressiv erkrankte Patienten oder Patienten mit der s. g. Doppeldiagnose. Die Patienten werden in die Klinik von den niedergelassenen ärztlichen Kollegen und Kolleginnen, von den Ambulanzen und Tageskliniken überwiesen. Die Behandlung erfolgt entweder auf freiwilliger Basis oder auf Grund einer rechtlichen Grundlage (Psych-KG, Betreuungsbeschluss). Die befragten Patienten befanden sich in der Abteilung Allgemeine Psychiatrie auf vier fakultativ geschlossenen und einer offenen Station. Es wurden in einem Untersuchungszeitraum von 8 Monaten (von Mai 2003 bis Dezember 2003) 100 Patienten (n=100) zu soziodemographischen Kenndaten, sozialer Lebenssituation, zu ihrem Suchtmittelmissbrauch, zum Verlauf und zur Prognose der Erkrankung befragt, bei denen nach ICD-10 eine bipolare affektive Erkrankung festgestellt wurde. Das Auswahlverfahren der befragten Patienten erfolgte nach dem Zufallprinzip, d.h. es wurden Patienten befragt, die sich gerade zum Zeitpunkt der Befragung in Behandlung der Westfälischen Klinik befanden und an einer manisch- depressiven Störung erkrankt waren. Die Diagnose einer bipolaren affektiven Störung galt als Voraussetzung für die Teilnahme an der Befragung. Die Erkrankung wurde von den behandelnden Stationsärzten und deren Oberärzten nach ICD-10 diagnostiziert. Die Patienten wurden ausführlich über die Art und den Zweck der Untersuchung sowie über die vorgelegten Fragebögen aufgeklärt. Alle Daten wurden anonymisiert ausgewertet. 13.3 Methodik der Datenerhebung 13.3.1 Allgemeine Daten Die Operationalisierung des Verlaufs und der Prognose der bipolar-affektiven Erkrankungen unter Einfluss des Suchtmittelmissbrauchs erfolgte aktuell und für die gesamte Anamnese aufgrund folgender soziodemographischen Basisdaten: Berufliche und soziale Mobilität, Familienanamnese, Verlauf und Behandlung, Suchtanamnese, Angaben aus der Krankenakte, CGI–Scala und GAF-Scala bei der Entlassung. 30 13.3.2 Erhebungsinstrumente 13.3.2.1 Fragebogen, Diagnosestellung Als Erhebungsmethode wurde die anliegende Befragung angewandt. Die Befragung gehört zu den am häufigsten verwendeten Forschungsmethoden. Um die Daten zu erheben, wurde von dem Doktorand ein Fragebogen entwickelt. Die Daten wurden anschliessend anhand dieses schriftlichen Fragebogens in einem mündlichen Interview mit den Patienten auf der Aufenthaltsstation erhoben. Der Fragebogen wurde als Selbstbeurteilungsfragebogen angewendet, d.h. die Patienten wurden von dem Doktorand abgefragt. Bei der Befragung handelte es sich um eine kontrollierte Gewinnung von Daten mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei der die befragten Personen durch eine Reihe gezielter Fragen zu verbalen Informationen veranlasst werden sollten. Des weiteren handelte es sich um eine standardisierte Befragung, d.h. bei dieser Befragung lag ein genauer Frageplan vor, vorwiegend mit geschlossenen Fragen, d.h. Frageformulierungen und Antwortalternativen wurden vorgegeben. Die Fragen orientierten sich an der Fragestellung der Arbeit. Mögliche Lücken im Wissen der Patienten bzgl. ihrer Erkrankung wurden in der Krankenakte überprüft und anschließend im Fragebogen ergänzt. In dem suchtspezifischen Teil des Fragebogens wurden die Anzahl von Suchtmitteln erfasst, die suchtanamnestischen Daten zum Lebenszeitkonsum und der Beginn des Konsums in der jeweiligen Substanz. Dabei wurde nach Alkohol, Cannabis, Opiaten, Kokain und Amphetaminen mit den eventuellen Entgiftungen und Entwöhnungsbehandlungen gefragt. Die Diagnose einer Suchtabhängigkeit bzw. eines Alkohol- oder Drogenmissbrauchs wurde grundsätzlich nach psychiatrischen Klassifikationssystemen berücksichtigt Dilling, Mombour, Schmidt (ICD-10). Die Patienten wurden bezüglich ihrer Konsumgewohnheiten gezielt nachexploriert und die retrospektiv erhobenen Konsumgewohnheiten sowie die Ankerereignisse und die Erstanzeichen der bipolar-affektiven Erkrankungen wurden dadurch zeitlich präziser eingeordnet. Da ein Großteil der zur Behandlung anstehenden Patienten ohne familiären Hintergrund war, konnte eine an sich wünschenswerte Befragung von Angehörigen nicht durchgeführt werden. Die Patienten wurden nach vorheriger Rüchsprache mit dem behandelden Stationsarzt auf der Aufenthaltsstation von dem Doktorand aufgesucht. Im kurzen Vorgespräch mit dem Stationsarzt, bzw. mit dem zuständigen Oberarzt wurde 31 der Doktorand über die Diagnose (Diagnostik erfolgte nach ICD –10) der Probanden informiert. Klinische Erhebung des Verlaufes und der Prognose von Patienten mit bipolaraffektiven Störungen unter Berücksichtigung des Suchtmittelskonsums in der Westfälischen Klinik Gütersloh Allgemeine Informationen Patientennummer: 1) Demographische Angaben Patienteninitialen: Alter: Geschlecht: weiblich Familienstand: männlich ledig geschieden verheiratet verwitwet Kinder: Ja Anzahl: Nein 2) Soziale / biographische Anamnese: Welchen Schulabschluss haben Sie erworben: Keinen Abitur Sonderschule Hauptschule Realschule Gymnasium Zur Zeit tätig als.................. arbeitslos seit................ berentet seit...................... Welche berufliche Tätigkeiten haben Sie früher ausgeübt? wann:.................. ....................bis wann:.................. .....................bis 32 wann:.................. ...................bis Gibt es jemanden in Ihrer Familie, der psychisch krank war/ ist? Nein Wenn ja, wer: Mutter Vater Kinder Welche Erkrankung? Schizophrenie Geschwister Ja andere manisch-depressive Erkrankung andere 3) Krankheitsverlauf Seit welchem Lebensjahr haben Sie Krankheitszeichen (wie z.B. Ängste, Stimmungsschwankungen, Schlaflosigkeit, Niedergeschlagenheit) wahrgenommen? Seit:..................... Welche Phase hatten Sie zuerst: manische depressive Wie lange hatten Sie die erste Phase: 1 Woche - 1 Monat 6 Monate – 1 Monat - 6 Monate 1 Jahr >1Jahr - Wann wurden Sie das erste Mal behandelt: ambulant..................................manische Episode depressive Episode stationär................................. .manische Episode depressive Episode Wie oft war ein Klinikaufenthalt nötig? ........................... Anzahl der bisherigen Episoden: depressive Mit Klinikaufenthalt Ohne Klinikaufenthalt 33 manische Bisheriger Verlauf der manisch-depressiven Phasen: manische Phase * depressive Phase *das erste Jahr Ihrer Erkrankung Hatten Sie während ihrer Phasen das Gefühl, dass - Sie von jemandem verfolgt werden? Ja Nein - Sie durch anderen Menschen manipuliert werden? Ja Nein -andere Menschen über Sie reden oder lachen ? Ja Nein -Sie Stimmen hören von Personen die nicht anwesend sind? Ja Nein -sich Ihr Körper oder Körperteile verändern? Ja -andere Sinnestäuschungen oder Wahrnehmungsverfälschungen Hatten Sie während Ihrer Krankheitsphasen: - Selbstmordgedanken Ja Nein - Selbstmordversuche Ja Nein wie viele?.......... 34 Nein Ja Nein 4) Medikamentöse Behandlung Wann wurden Sie das erste Mal medikamentös behandelt? Jahr.................................. Wurden Sie schon mit Phasenprophylaxe (Vorbeugungsmedikamente) behandelt? Ja Nein Welche Phasenprophylaxe wurde eingesetzt ? Lithium Carbamazepin (z.B. Hypnorex ret. Quilonum) (z.B. Tegretal, Timonil) Welche Medikamente fen?....................... haben aus Valproat Ihrer (z.B.Orfiril. Ergenyl) Sicht am meisten gehol- Die längste Krankheitsfreiphase dauerte?..................................... Unter welcher medikamentösen Behandlung?............................... 5) Suchtanamnese Haben Sie jemals Alkohol/ Drogen genommen? Ja Nein Wenn ja, was? Alkohol : Bier Drogen : Kokain Schnaps Heroin Wein andere Cannabis andere In welchem Alter und wie viel haben Sie konsumiert? Alter Dosierung 35 Welche Funktion/Wirkung hatte/hat für Sie der Konsum? Flucht vor Problemen Lösung von Konflikten Vermeidung der Ängste Abbau der Anspannungen Verbesserung der Stimmungsschwankungen Stressabbau Verminderung der Krankheitssymptome Medikamentenersatz Andere Wie wirkt auf Sie der Genuss der o.g. Substanzen? Phase Während der depressiven Phase Während der manischen Phase Beruhigend Antriebssteigernd Angstlösend Enthemmend Dämpfend Andere Fühlen Sie sich von den o.g. Substanzen abhängig? Ja Nein Haben Sie schon eine Entgiftungs-/Entwöhnungsbehandlung durchgeführt? Ja Nein Anzahl der Entgiftungen................................. Anzahl der Entwöhnungen.............................. 13.3.2.2 Scalen Um die empirische Qualität der Untersuchung zu optimieren und die Einschätzung des Verlaufs der bipolar-affektiven Erkrankungen unter Berücksichtigung des Suchtmittelkonsums zu präzisieren, wurden bei den Patienten in der Endphase der Behandlung zusätzlich zwei Fremdbeurteilungsskalen zur Einschät- 36 zung der Schwere der Erkrankung angewandt: CGI (Clinical Global Impression) und GAF (Global Assessment of Fuctioning). Die Einschätzung des Gesundheitszustandes anhand der beiden Skalen wurde bei der Entlassung durch die zuständigen Stationsärzte erfasst. In der GAF-Scala ist festgelegt, dass ein Funktionswert zwischen 30 und 40 in der Regel eine Beeinträchtigung der Realitätskontrolle, oder der Kommunikation, oder eine starke Beeinträchtigung in mehreren Bereichen z.B. Arbeit oder Schule, familiärer Beziehung, Urteilsvermögen, Denken, oder Stimmung voraussetzt. Ein Funktionswert von 60 bis 70 beschreibt, dass nur leichte Schwierigkeiten im sozialen oder beruflichen Bereich vorliegen, im allgemeinen jedoch eine gute Leistungsfähigkeit gegeben ist. Ein Leistungsniveau zwischen 50 und 60 beschreibt mässig ausgeprägte Symptome oder mässig ausgeprägte Schwierigkeiten bezüglich der sozialen und beruflichen Leistungsfähigkeit. Bei einem Niveau von 50 bis 60 ist in der Regel eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit unverzichtbar. Ein Leistungsniveau von 70 bis 80 ist anzunehmen und zu klassifizieren, wenn Symptome vorliegen die allenfalls noch zu einer leichten Beeinträchtigung im sozialen, beruflichen und schulischen Bereich führen. Clinical global impressions ( CGI) Nicht beurteilbar Patient ist überhaupt nicht krank, sondern normal Patient ist ein Grenzfall psychiatrischer Erkrankung Patient ist nur leicht krank Patient ist mäßig krank Patient ist deutlich krank Patient ist schwer krank Patient gehört zu den extrem schwer Kranken 37 0 1 2 3 4 5 6 7 Global assessment of functioning scale ( GAS) 100-91 Keine Symptome. Kommt in einem weiten Bereich von Aktivitäten ausgezeichnet zurecht, andere Menschen werden von seiner Wärme und seinem offenen Wesen angezogen 90-81 Vorübergehende Symptome könne auftreten, aber der Patient kommt auf allen Gebieten gut zurecht, interessiert sich vielseitig und entwickelt viel Aktivität; ist im sozialen Verhalten angemessen und erfolgreich und im allgemeinen mit dem Leben zufrieden, hat allenfalls alltägliche Probleme, mit denen er nur gelegentlich nicht fertig wird. 80-71 Sehr leichte Symptome können vorhanden sein, aber es besteht nur eine geringe Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit; der Patient hat alltägliche Sorgen und Probleme verschiedenen Ausmaßes, mit denen er bisweilen nicht fertig wird. 70-61 Der Patient hat einige leichte Symptome, kommt in einigen Lebensbereichen nicht zurecht, alltägliche Sorgen und Probleme verschiedenen Ausmaßes, mit denen er bisweilen nicht fertig wird. 60-51 Mäßig ausgeprägte Symptome sind vorhanden, oder es besteht eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit (z.B.wenig Freunde, depr. Stimmumg usw.) 50-41 Ernsthafte Symptome oder ernsthafte Leistungseinbußen, die die meisten Kliniker für behandlungs- oder überwachungsbedürftig halten würden (z.B. Suizidgedanken, schwere Zwangsrituale, häufige Angstanfälle usw.). 40-31 Stärkere Beeinträchtigung auf mehreren Gebieten wie z.B. Arbeit, familiäre Beziehungen, Urteilsfähigkeit, Denken oder Stimmung, oder es besteht eine gestörte Realitätseinschätzung, oder ein gestörtes Kommunikationsverhalten, oder ein einzelner ernsthafter Suizidversuch. 30-21 Leistungsfähigkeit auf fast allen Gebieten, oder das Verhalten ist erheblich durch Wahnvorstellungen oder Halluzinationen beeinflusst; oder schwere Beeinträchtigung der Kommunikation oder des Urteilsvermögens. 20-11 Benötigt Überwachung, um eine Selbst- oder Fremdbeschädigung zu verhindern, oder um persönliche Hygiene aufrechtzuerhalten, oder massive Beeinträchtigung der Kommunikationsfähigkeit 10-1 Braucht ständige Überwachung über mehrere Tage, um Selbst- oder Fremdgefährdung zu verhindern, oder macht keine Anstalten, eine minimale persönliche Hygiene aufrechtzuerhalten. 13.3.2.3 Statistische Auswertung Zur Auswertung des Fragebogens kamen die üblichen mathematischen Verfahren zur Anwendung. Zum statistischen Nachweis von Unterschieden oder Effekten wurde der sogenannte Ch²-test eingesetzt. Mit Hilfe von Chi2-test kann man feststellen, ob die Ergebnisse (beobachtete Werte), die aufgrund von Hypothesen erwartet wurden (erwartete Werte), bestätigt werden. Der Chi2–test macht 38 eine Aussage über einen statistischen Zusammenhang in der Grundgesamtheit aufgrund von Stichprobenergebnissen. Die beobachteten Werte sind der Bereich beobachteter Daten, die anhand der Ergebnisse der Stichprobe ermittelt wurden. Mit den beobachteten Werten hat man die Möglichkeit, die erwarteten Werte zu vergleichen. Die erwarteten Werte sind der Bereich erwarteter Beobachtungen, die sich aus der Division der miteinander multiplizierten Rangsummen (Spaltensumme und Zeilensumme) und der Gesamtsumme (n) berechnen. Je höher die Anzahl der Daten (n), desto präziser und genauer sind die Ergebnisse in Bezug auf die Grundgesamheit. Bei unserer Studie wurden 100 Patienten befragt. Man kann davon ausgehen, dass die signifikanten Unterschiede der beiden Gruppen bei höherer Anzahl von befragten Patienten anders ausfallen würden. Wenn die Wahrscheinlichkeitswerte L weniger als 5 % betragen würden, das heißt der Überschreitungswahrscheinlichkeitswert p niedriger als 0,05 wäre, würde man die Hypothese für die Grundgesamtheit annehmen. Die Berechnung der eigentlichen Chi2-Formel erfolgte in Kooperation mit der Abteilung medizinische Statistik und Ökonometrie der Universität Bielefeld. 13.4 Gruppenbildung Wir nahmen folgende Gruppeneinteilung vor: Gruppe 1. Patienten mit bipolar-affektiven Erkrankungen und Suchtmittelmissbrauch, d.h.: Patienten mit anamnestischen oder aktuellen Hinweisen auf Suchtmittelmissbrauch gemäß ICD-10 und der Entlassungsdiagnose einer bipolaren affektiven Störung. Gruppe 2. Patienten mit bipolar-affektiven Erkrankungen ohne Suchtmittelmissbrauch, d.h.: Patienten ohne anamnestischen oder aktuellen Hinweis auf Suchtmittelmissbrauch gemäß ICD-10 und der Entlassungsdiagnose einer bipolaren affektiven Störung. 39 14 Ergebnisse 14.1 Geschlechtsverteilung 14.1.1 Gesamtstichprobe Unter den Probanden der gesamten Stichprobe lag die Geschlechtsverteilung bei insgesamt 51% Frauen und 49% Männer. In Bezug auf Geschlechtsverteilung wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden (chi2=2,5453; p=0,1106). 14.1.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe In der non-komorbiden Gruppe wurde ein vorwiegender Anteil von Frauen (57,3%) festgestellt, bei Männer waren es 42,6%. Bezüglich der Geschlechtsverteilung der non-komorbiden Patienten wurden keine signifikanten Differenzen gefunden (chi2= 1,2564; p=0,2623). In der komorbiden Gruppe waren die männlichen Patienten häufiger vertreten (58,9%) als die weiblichen Patienten (41,1%) (s.Abbildung 3). In dieser Gruppe wurden ebenso keine signifikanten Unterschiede gefunden (chi2=1,3279; p=0,2492). 60 40 komorb.Pat. % non-komorb.Pat 20 0 Frauen Männer Abbildung 3: Geschlechtsverteilung (%) 14.2 Alter 14.2.1 Gesamtstichprobe Das durchschnittliche Alter in der Gesamtstichprobe lag bei 39,7 Jahre. 40 18% der Probanden waren jeweils zwischen 20 und 30 Jahre alt, 29% waren zwischen 30 und 40 Jahre alt und 41% im Alterscluster von 40 bis 50 Jahre. Etwa 12% der Probanden waren älter als 50 Jahre. 14.2.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe Bezüglich der Altersschicht ergaben sich zwischen den komorbiden und nonkomorbiden Clustern einige Differenzen. Die Patienten der non-komorbiden Stichprobe hatten ein höheres Durchschnittsalter (41,5 Jahre) als die Patienten der komorbiden Stichprobe (37,1 Jahre). Zum Zeitpunkt der Untersuchung lag das Lebensalter der non-komorbiden Gruppe höher als bei der Gruppe mit Suchtproblematik (s. Abbildung 4). Der Bereich „Lebensalter“ lag in der Nähe des signifikanten Bereiches von p=0,05 (chi2=7,1156; p=0,0683). Daraus ergab sich eine Tendenz zum grenzwertigen Signifikanzwert. 60 40 komor.Pat. non-komorb.Pat. % 20 0 20-30 30-40 40-50 <als 50 Lebensjahre Abbildung 4: Altersverteilung (%) 14.3 Familiäre Situation 14.3.1 Gesamtstichprobe Etwa 13% der Patienten der gesamten Stichprobe waren bei Aufnahme in die Klinik verheiratet, 32% hatten keine familiäre Bindungen, 26% waren geschieden und 29% waren kinderlos (s. Abbildung 5). In Bezug auf die familiäre Situation wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden (chi2=0,3458; p= 0,8412). 41 13% verheiratet geschieden 29% ohne fam.Bind. 26% kinderlos 32% Abbildung 5: Familiäre Situatuon (%) 14.3.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe Bezogen auf die partnerschaftlichen Verhältnisse wiesen die komorbiden und die non-komorbiden Stichproben einige Unterschiede auf. Die familiäre Situation der komorbiden Patienten bei der Aufnahme in die Klinik zeigte sich insgesamt negativer als bei den non-komorbiden Patienten. 49% der Patienten aus der komorbiden Stichprobe waren ledig, 15,3% verheiratet. Im Vergleich waren die meisten Patienten aus der non-komorbiden Stichprobe ledig (44%), des weiteren 19,6% verheiratet (s.Abbildung 6). 19,2% Männer aus der non-komorbiden Stichprobe lebten zum Zeitpunkt der Aufnahme in einer festen Partnerschaft und waren sozial besser integriert als Männer mit komorbiden Erkrankungen (8,6%). In Bezug auf die Partnerschaft ergab sich allerdings kein statistischer Signifikanzwert zwischen den beiden Gruppen (chi2=1,6; p=0,2059). 60 40 komorbid.Pat. % non-komorb.Pat. 20 0 ledig verheiratet geschieden Abbildung 6: Familienstand bei komorbiden und non-komorbiden Patienten (%) 42 Der Anteil der Patienten aus der komorbiden Stichprobe, die ohne Kinder lebten war 43,6%, der Anteil der Patienten der non-komorbiden Stichprobe (39,3%). Es gab in diesem Bereich keinen signifikanten Unterschied (chi2 =1,1951; p=0,2743). 14.4 Schulbildung und Berufsausbildung 14.4.1 Gesamtstichprobe 67% der Probanden der gesamten Stichprobe erreichten Hauptschulabschluß, 14% absolvierten die Realschule, der restliche Teil verteilte sich auf Abschluss mit Abitur (11%) und 4% Gymnasiumabschluss ohne Abiturprüfung. Die Sonderschule besuchten 4% der befragten Patienten (s. Abbildung 7). 80 60 % 40 20 0 Hauptschule Realschule Abitur Gymnasium Sonderschue Abbildung 7: Schulische Ausbildung (%) 14.4.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe 38,4% der komorbiden Patienten und 22,8% der non-komorbiden Patienten berichteten, dass sie eine abgebrochene berufliche Ausbildung, oder gar keinen Beruf erlernt haben. 14.4.3 Geschlechtsverteilung der Patienten ohne abgeschlossene Berufsausbildung In Bezug auf Geschschlechtsverteilung und berufliche Ausbildung zeigte sich ein deutlicher Unterschied. So lag der Anteil der Männer aus der komorbiden Gruppe bei 25,6%. Im Vergleich waren 6,5% Männer aus der non-komorbiden Gruppe ohne berufliche Ausbildung. 43 In Bezug auf die Männer ohne abgeschlossene Berufsausbildung ergab sich zwischen den beiden Gruppen eine signifikante Differenz (chi2 =4,2086; p=0,04) (s. Abbildung 8). Der Anteil der Frauen aus der komorbiden Gruppe lag bei 12,8%. In der nonkomorbiden Gruppe haben 16,3% Frauen keine berufliche Ausbildung erworben. 30 20 *p=0,04 % komorb. Pat. non-komorb. Pat. 10 0 Männer Frauen Abbildung 8: Geschlechtsverteilung bei Patienten ohne abgeschlossene Berufsausbildung (%) 14.5 Aktuelle Arbeitssituation 14.5.1 Gesamtstichprobe 37% der Betroffenen berichteten, dass sie zur Zeit berufstätig und als Arbeiter oder Facharbeiter beschäftigt sind und 9 % leben von der Sozialhilfe. 54% der Patienten gaben an, dass sie zur Zeit von Leistungen des Arbeitsamtes leben (s. Abbildung 9). 44 Arbeitslos 37% Sozialhilfe 54% Berufstätig 9% Abbildung 9: Aktuelle Arbeitssituation (%) 14.5.2 Vergleich der kormobiden und der non-komorbiden Gruppe Der Anteil der Patienten aus der komorbiden Stichprobe der arbeitslos war, lag bei 43,4%. Bei den Patienten der non-komorbiden Stichprobe waren 37,5% arbeitslos. Auch hier wurde keine signifikante Differenz gefunden (chi2=0,9; p=0,3428). Die Anzahl der komorbiden Patienten (7,6%), die länger als 10 Jahre die Leistungen vom Arbeitsamt bezogen haben, war doppelt so hoch wie die Anzahl der Patienten der non-komorbiden Stichprobe (3,2%) (s. Abbildung 10). Jedoch wurde in Bezug auf die Arbeitslosigkeit kein signifikanter Unterschied gefunden (chi2=0,2; p =0,6547). 40 komorb.Pat. % 20 0 nonkomorb.Pat. Männer Frauen Abbildung 10: Arbeitslosigkeit (%) 45 14.6 Berentung 14.6.1 Gesamtstichprobe Insgesamt wurden 34% der Patienten der Gesamtstichprobe berentet, davon betrug der männliche Anteil 22 %. 14.6.2 Berentungsdauer bei der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe Aus unserer Untersuchung ergaben sich bezüglich der Rentendauer keine wesentlichen Unterschiede (s. Tabelle 6). Die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen waren statistisch nicht signifikant (chi2=0,4533; p=0,7972). Tabelle 6: Rentenzeitdauer bei der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe der Patienten mit bipolaren Erkrankungen Rentezeitdauern Komorbide Pat. % Bis 5 Jahren 5-10 Jahren über 10 Jahren 12,8 10,2 12,8 Non-komorb. Pat. % 14,7 6,5 11,4 P 0,2850 1 0,4054 14.7 Krankheitsverlauf 14.7.1 Genetik 56% der Patienten der Gesamtstichprobe gaben an, dass eine psychiatrische Erkrankung in der Familie vorlag. Davon berichteten 55% der Befragten, die psychische Erkrankungen in der Familie hatten, dass die Mutter erkrankt war und bei 20% bestand die Erkrankung bei dem Vater. Der restliche Anteil (25%) verteilt sich auf weitere Angehörige wie die Großelten, Geschwister ( Abbildung 11). Im Bereich der genetischen Disposition der psychiatrischen 2 Erkrankungen wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden (chi =1,6612; p=0,4358) . 46 25% Mutter Vater 55% andere 20% Abbildung 11: Psychische Erkrankungen in der Familie (%) 14.7.2 Ersterkrankungsphase 14.7.2.1 Art der Erstepisode In Bezug auf die Art der Erstmanifestation berichteten 45% der befragten Patienten der Gesamtstichprobe von einer manischen Phase und 55% von einer depressiven Phase (s. Abbildung 12). Auch hier waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant (chi2 =0,0514; p=0,8207). 45% Manische Phase 55% Depressive Phase Abbildung 12: Art der Erstmanifestationsphase (%) 14.7.2.2 Dauer der Erstmanifestation Die Dauer der Erstmanifestation war bei den Patienten aus der komorbiden Stichprobe (15,3%) etwas länger (6 Monate bis 1 Jahr ) als bei den nonkomorbiden Patienten (9,8%) (6 Monate bis ein Jahr) (s.Abbildung 13). Bezüglich der Dauer der Erstmanifestation gab es jedoch keinen signifikanten Unterschied (chi2 =0; p=1). 47 60 40 % komorb.Pat. 20 non-komorb.Pat. 0 1 Woc.-1 Mon. 1 Mon.-6 Mon. 6 Mon.-1 Jahr Abbildung 13: Dauer der Erstmanifestation (%) 14.7.2.3 Dauer der Behandlung (stationär und ambulant) bei Erstmanifestation Bei der ersten Krankheitsphase wurden die komorbiden Patienten tendenziell länger behandelt als die Patienten ohne Suchtmittelmissbrauch. Die Anzahl der Betroffenen mit Suchtmittelkonsum bei der ersten Krankheitsphase (bis zu 1 Monat) war etwas höher (53,8%) als bei den non-komorbiden Patienten (50,8%). In diesem Bereich wurden jedoch keine signifikante Differenzen gefunden (chi2=1,9231; p=0,1655). 14.7.2.4 Ersterkrankungsalter Bei 48,7% der Patienten der komorbiden Gruppe lag das Erstmanifestationsalter unter dem 20. Lebensjahr. Im Vergleich dazu waren es in der non- komorbiden Gruppe 19,6% der Patienten. 54,0% der Patienten aus der non-komorbiden Stichprobe berichteten über ein Erkrankungsalter zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Zum Vergleich waren es 38,4% Patienten aus der komorbiden Stichprobe (s. Abbidung 14). In der Untersuchung gab es deutliche Hinweise dafür, dass die Patienten mit bipolaren Erkrankungen und Suchtmittelkonsum früher erkrankten als die Patienten ohne Substanzmissbrauch. In Bezug auf das Ersterkrankungsalter gab es zwischen den beiden Gruppen einen statistisch signifikanten Unterschied (chi2=9,7632; p=0,02). 48 60 40 *p=0,02 % komor.Pat. non-komorb.Pat. 20 0 bis 20 21-30 Lebensjahre Abbildung 14: Ersterkrankungsalter (%) 14.7.2.5 Alter bei der Erstbehandlung bei der komorbiden und nonkomorbiden Gruppe 43,5% der Patienten aus der komorbiden Stichprobe wurde im Vergleich zu den Patienten aus der non-komorbiden Stichprobe (11,4%) früher behandelt (bis 20. Lebensjahr) (s. Abbildung 15). 55,7% der Patienten aus der non-komorbiden Stichprobe berichteten , das sie zuerst im Alter von 20 bis 30 Jahre behandelt wurden. Im Vergleich dazu waren es in der komorbiden Stichprobe 25,6% der Patienten. Daraus folgt, dass die Patienten aus der komorbiden Stichprobe deutlich früher behandelt wurden als die Patienten aus der non-komorbiden Stichprobe. Hinsichtlich des Alters bei der Erstbehandlung zeigte sich zwischen den beiden Indexgruppen eine deutliche signifikante Differenz (chi2=15,4047; p=0,001). 60 *p=0,001 40 komorb.Pat. non-komorb.Pat. % 20 0 bis 20 21-30 Lebensjahre Abbildung 15: Alter bei Erstbehandlung (%) 49 14.7.2.6 Behandlungsform der Ersterkrankung 51,2% der Patienten aus der komorbiden Stichprobe wurden bei der Erstmanifestation zunächst ambulant behandelt und 48,7% stationär. Im Vergleich dazu wurden 60,6% der Patienten ohne Suchmittelmissbrauch sofort stationär versorgt (s. Abbildung 16). Im Bereich „Behandlungsformen der Ersterkrankung“ (ambulante und stationäre Behandlung) gab es keinen signifikanten Unterschied (chi2=1,3759; p =0,2408). 80 60 % 40 komorb. Pat. non-komorb. Pat. 20 0 Stationäre Behandlung Ambulante Behandlung Abbildung 16: Behandlungsform bei Ersterkrankung (%) 14.7.2.7 Intervalle der Erkrankung Die Patienten mit Suchtmittelkonsum hatten kürzere krankheitsfreie Intervalle als die Patienten, die nicht unter Suchmittelkonsum leiden. 20,5% der komorbiden Patienten gaben an, dass sie keine krankheitsfreien Intervalle im Verlauf der Erkrankung erlebt haben. Bei den non-komorbiden Patienten waren es 4,9%. Im weiteren Krankheitsverlauf, in Bezug auf die Dauer der krankheitsfreien Intervalle, berichteten 7,6% der Patienten aus der komorbiden Stichprobe von einer Zeitspanne von 5 bis 10 Jahren. Im Vergeich berichteten 13,1% der Patienten aus der non-komorbiden Stichprobe von einem krankheitsfreien Intervall von 5 bis 10 Jahren. 8% der non-komorbiden Patienten berichteten von einer 10-jährigen Verbesserung. Im Vergleich dazu wurden bei den komorbiden Patienten keine Personen gefunden, die so ein langjähriges krankheitsfreies Intervall erlebt haben. 50 Mit zunehmender Krankheitsdauer nimmt die Anzahl der krankheitsfreien Intervalle ab. In der Einschätzung der Dauer des längsten krankheitsfreien Intervalls der Erkrankung gibt es zwischen den beiden Gruppen deutliche signifikante Unterschiede (chi2 =25,4694; p =0,0001) (s. Abbildung 17). 60 *p=0,0001 40 komorb.Pat. % non-komor.Pat. 20 0 keine bis 1 Jahr 1-3 Jahr 3-5 Jahr 5-10 Jahr < als 10 Jahre Abbildung 17: Dauer der krankheitsfreien Intervalle (%) 14.7.2.8 Anzahl der stationären Behandlungen In Bezug auf die Anzahl der stationären Behandlungen kann man deutlich erkennen, dass die komorbiden Patienten öfter stationär behandelt wurden, als die Patienten der non-komorbiden Stichprobe. 23% der Patienten aus der komorbiden Stichprobe berichteten über eine Anzahl von mehr als 15 stationären Aufenthalten. Bei den non-komorbiden Patienten waren es im Vergleich 13%. Hinsichtlich der Anzahl der stationären Behandlungen gab es keinen signifikanten Unterschied (chi2 =2,5265; p=0,6399). 14.7.3 Psychotische Symptomatik im Verlauf der Erkrankung 14.7.3.1 Gesamtstichprobe 70% der untersuchten Patienten der Gesamtstichprobe berichteten über psychotisches Erleben während der bipolaren Phasen. 51 14.7.3.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe In der durchgefürten Studie berichteten 84,6% der komorbiden Patienten über psychotische Symptomatik. In der Stichprobe der non-komorbiden Patienten gaben 60,6% der Befragten an, psychotische Symptome erlebt zu haben (s. Abbildung 18). Dieser Unterschied war signifikant (chi2 =6,5033; p =0,01). 100 80 60 *P=0,01 % komorb. Pat. non-komorb. Pat. 40 20 0 Abbildung 18:Psychotische Symptomatik im Verlauf der Erkrankungen (%) 14.8 Suizidversuche 14.8.1 Die Rate der Suizidversuche 14.8.1.1 Gesamtstichprobe Bei 54% der Patienten der gesamten Stichprobe in unserer Evaluation fanden sich Suizidversuche in der Anamnese. 14.8.1.2 Vergleich der komorbiden und non-komorbiden Gruppe Die Rate der Suizidversuche bei Patienten aus der komorbiden Stichprobe ließ sich häufiger in der Anamnese eruieren und lag bei 54,0%. Im Vergleich dazu lag die Rate der Suzidversuche in der non-komorbiden Stichprobe bei 46,0% (s. Abbildung 19). 52 55 50 komorb.Pat. % non-komorb.Pat. 45 40 Abbildung 19: Rate der Suizidversuche (%) 14.8.2 Häufigkeit von Suizidversuchen 14.8.2.1 Gesamtstichprobe 27,2% der Patienten aus der Gesamtstichprobe haben 3 bis 5 Suizidversuchen in der Anamnese und 19% Patienten berichteten von 5 bis 10 Suizidversuchen in der Vorgeschichte. 14.8.2.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe 15,2% der Patienten von der komorbiden Gruppe berichteten von 3 bis 5 Suizidversuchen in der Vorgeschichte. Im Vergleich dazu gaben 12,0% der befragten Patienten aus der non-komorbiden Gruppe an, in der Vergangenheit 3 bis 5 Suizidversuche unternommen zu haben (s. Abbildung 20). In Bezug auf die Häufigkeit bestand zwischen den beiden Gruppen kein signifikanter Unterschied (chi2=0,0601; p=0,9704). 80 60 komorb. Pat. non-kom. Pat. % 40 20 0 < 3 mal 3-5 mal 5-10 mal Abbildung 20: Häufigkeit der Suizidversuche (%) 53 14.8.3 Geschlechtsverteilung der Patienten mit Suizidversuchen 14.8.3.1 Gesamtstichprobe In Bezug auf die Geschlechtsverteilung in der Gesamtstichprobe lag der Anteil der Frauen bei 46 % und der Anteil der Männer bei 54 % (s. Abbildung 21). Es bestand jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen ( chi2=2,3225; p=0,1275). 54% 46% Frauen Männer Abbildung 21: Geschlechtsverteilung der Gesamtstichprobe bei Suizidalität (%) 14.8.3.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe Anhand der Tabelle Nr. 7 kann man erkennen, dass die Suizidquote der männlichen komorbiden Patienten etwas höher war, als die der männlichen nonkomorbiden Patienten. In der non-komorbiden Gruppe zeigte sich, dass ein vorwiegender Anteil der Patienten, die in der Vergangenheit Suizidversuche unternommen haben, aus Frauen bestand (55,7%). In der komorbiden Stichprobe waren es die Männer (66,6%). 54 Tabelle 7: Geschlechtsverteilung in der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe bei Suizidalität (%) Geschlecht Frauen Männer Komorbide Patienten (%) 33,4 66,6 Non-komorbide Patienten (%) 55,7 44,3 14.9 Psychopharmakotherapie Bei 96% der Patienten wurden Stimmungsstabilisatoren verordnet. 30% der Patienten wurden in der Vergangenheit mit Lithium behandelt, bei 23% wurde Carbamazepin angewandt und bei dem grössten Teil der Patienten (47%) wurde als Phasenprophylaxe Valproat eingesetzt (s. Abbildung 22). Unter einer medikamentösen Kombination von Neuroleptika und Lithium oder Valproat fühlten sich 91% der befragten Patienten subjektiv besser. 23% 47% Valproat Lithium Carbamazepin 30% Abbidung 22: Behandlung mit Phasenprophylaxe in der Gesamtstichprobe (%) 14.10 Komorbidität In der durchgeführten Studie wurde bei den Patienten mit bipolaren Erkrankungen eine Komorbiditätsrate von Suchtmittelkonsum, -missbrauch, und abhängigkeit von 39% festgestellt. In Bezug auf die Komorbidität von bipolarer Erkrankung und Suchtmittelkonsum (Abhängigkeit und Missbrauch) bestand ein deutlicher signifikanter Unterschied (chi2=4,84; p=0,02781). 55 14.10.1 Einstiegsalter des Substanzmittelkonsums Das Einstiegsalter der Patienten in Bezug auf den Suchtmittelkonsum lag meistens zwischen dem 17. und 20. Lebensjahr. 86% der Patienten gaben an, dass sie bereits im 19. Lebensjahr angefangen haben Cannabis zu konsumieren. Biologische Suchtmittel wurden, wie die „harten“ Drogen (Opioid oder Kokain), erst im höheren Lebensalter konsumiert. 14.10.2 Einstiegsdrogen Die ersten Rauscherfahrungen machten unsere Patienten in der Regel mit Alkohol. Präpubertär wurde ebenso Cannabis zu einem regelmäßig eingenommenen Genussgift. Des weiteren erweiterte sich der Konsum auf Kokain, Amphetamine sowie Opioide. Zu diesem Zeitpunkt (bei den meisten Patienten etwa das 21. Lebensjahr) lag in der Regel bereits eine Abhängigkeit von Cannabis oder von Alkohol vor. 14.10.3 Abhängigkeit 28,2% der Betroffenen aus der komorbiden Indexgruppe gaben an, dass sie sich von verschiedenen Substanzmitteln abhängig fühlen. Insgesamt 30% der Befragten wurden auf verschiedenen Entgiftungsstationen behandelt und 12,0% haben eine Langzeitentwöhnungstherapie durchgeführt. 14.10.4 Häufigste Suchtmittel Zu den am häufigsten genutzten Suchtmitteln gehörten Alkohol, Cannabis, Kokain, Amphetamine sowie Opiode. Bei den Betroffenen der komorbiden Erkrankungsgruppe unserer Studie konsumierten 34,6% der Patienten missbräuchlich Alkohol, wobei nur eine Minderheit von Patienten als rein alkoholabhängig anzusehen war. Des weiteren fehlt in unserer Stichprobe Cannabiskonsum deutlich auf. Die Anzahl der Patienten mit multiplem Substanzkonsum war höher als die Anzahl der Patienten mit ausschließlich Alkoholmissbrauch und lag bei 64,3 %. Die Zahl der reinen Opiat - (13,7%) und Kokainabhängigen (11,7%) war gering. Unter medikamentenmissbräuchlich eingenommenen Substanzen dominierten 56 Benzodiazepine (10,3%), seltener werden Barbiturate sowie andere Hypnotika und Analgetika eingenommen (s. Abbildung 23). 10,3% Multipl. Subst. Konsum 11,7% 13,7% Opiate Kokain 64,3% Benzodiazepine Abbildung 23: Suchtmittelkonsum (%) 14.10.5 Subjektiv erlebte Beeinflussung des Krankheitsverlaufes durch Suchtmittelkonsum 25,6% der Probanden berichteten von einer Verschlechterung der Erkrankung unter Alkoholkonsum (verstärkte depressive Phasen), 10,2% unter Cannabiskonsum und 7,6% unter Amphetaminkonsum. 14.10.6 Funktion des Suchtmittelabusus Die Suchtmittel wurden bei den Patienten mit bipolar-affektiven Erkrankungen häufig als Mittel zum Abbau der Stressfaktoren eingesetzt (61%) (s.o. Fragebogen), bei 35% der Befragten als Mittel zur Verbesserung der Stimmumgsschwankungen und bei 4% wurden die Suchtmittel als Medikamentenersatz eingenommen (s. Abbildung 24). 80 60 Abbau der Stressfaktoren Verbesserung der Stimmungsschwankung % 40 Medikamentenerzatz 20 0 Abbildung 24: Funktionen des Suchtmittelabusus (%) 57 14.11 Schweregrad der bipolaren Erkrankungen 14.11.1 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe nach GAF bei Entlassung Die Auswertung der Befragung unseres klinischen Klientel zeigte, dass tendenziell die psychosoziale Leistungsfähigkeit nach GAF bei Entlassung bei den komorbiden Patienten etwas geringer war, als bei den non-komorbiden Patienten. Jedoch gibt es zwischen beiden Gruppen keinen signifikanten Unterschied (chi2 =5,911; p=0,315). 31,5% Patienten aus der non-komorbiden Stichprobe konnten im Laufe des stationären Aufenthaltes soweit stabilisiert werden, dass sie bei der Entlassung ein angemessenes Sozialverhalten zeigten. Im Vergleich dazu waren es in der komorbiden Stichprobe 25,6% der befragten Patienten. Des weiteren wurden 27,8% der Patienten aus der non-komorbiden Stichprobe bei Entlassung als leicht beeinträchtigt eingestuft, in der komorbiden Stichprobe waren es 20,5% der Patienten (s. Abbildung 25). 30 komorb-Pat. 20 % non-komorb.Pat. 10 0 keine Sympt. vorübergeh. leicht mäßig Abbildung 25: Auswertung bei der Entlassung nach GAF-Skala (%) 14.11.2 Vergleich der komorbiden und der non-komorbiden Gruppe nach CGI bei Entlassung Nach Auswertung gemäß CGI-Skala wurde festgestellt, dass 37,7% der nonkomorbiden Patienten und 30,7% der Patienten aus der komorbiden Stichprobe als Grenzfall einer psychiatrischen Erkrankung entlassen wurden. Im weiteren Vergleich wurden 14,7% der non-komorbiden Patienten und 20,6% der komor58 biden Patienten als "mässig krank" eingeschätzt. 42,7% der non-komorbiden Patienten und 48,7% der komorbiden Patienten wurde bei der Entlassung als „leicht krank“ eingestuft (s. Abbildung 26). Der Unterschied zwischen beiden Gruppen war statistisch nicht signifikant (chi2 =2,9051; p =0,4064). 60 40 komorb.Pat. non-komorb.Pat. % 20 0 nicht krank grenzwertig leicht mäßig Abbilding 26: Auswertung bei der Entlassung nach CGI-Skala (%) 59 15 Diskussion Ziel der durchgeführten Studie war es, den Einfluss und die Auswirkung des Suchtmittelmissbrauchs und –abhängigkeit auf Verlauf und Prognose der Patienten mit bipolaren Erkrankungen zu ermitteln. Zur Befunderhebung wurden anhand eines selbsterstellten Fragebogens 100 Patienten untersucht. Alternativ wurde die Anwendung anderer zusätzlichen Erhebungsinstrumente erwogen. Im deutschen Sprachraum liegt die Übersetzung der Manie-Selbstbeurteilungsskala (MSS) von Krüger, Bräunig und Shu- gar (1997) oder der Young Mania Rating Scale (YMRS) von Young et al., (1978) vor. Bei der MSS handelt es sich um eine in Kanada, den USA und in Deutschland in Forschung und in klinischer Praxis eingesetzte Skala, die zur Selbstbeurteilung manischer Symptomatik durch die Patienten dient. Die Skala kann sowohl als diagnostisches Instrument als auch zur Erfassung von Veränderungen der maniformen Symptomatik im Therapieverlauf angewendet werden Krüger, Bräuning, Shugar (1997). Die YMRS dient ebenfalls nur zur Quantifizierung von Schweregrad und Schwankungen in der manischen Symptomatik. Eine Diagnosestellung ist anhand dieser Skala nicht möglich. Da es bei unserer Fragestellung notwendig war, eine Befragung anzuwenden, die neben der affektiven Problematik auch die Suchtproblematik berücksichtigen würde, entschied sich der Doktorand einen Fragebogen, der nicht nur die Anzeichen für hypomane und manische Zustände erfasste (wie bei der MSS), sondern, der sich aus Items zusammensetzte, die auch den Einfluss und die Auswirkungen des Suchtmittelmissbrauchs und –abhängigkeit auf Verlauf und Prognose der Patienten mit bipolaren Erkrankungen erfasst, zu entwickeln. Zur Auswertung des Fragebogens wurde der Chi² -test angewandt. Er macht eine Aussage über einen statistischen Zusammenhang in der Grundgesamtheit aufgrund von Stichprobeergebnissen. Der sehr häufig bei Befragungen und Untersuchungen verwendeter t-Test (Student t-Test) kam in der vorgelegten Arbeit nicht zum Einsatz. Er dient zum statistischen Nachweis von Unterschieden bei einer Standardnormarverteilung. Da unsere Befragung sich mit einem spezifischen Klientel (Patienten mit bipolar-affektiven Erkrankungen die sich zur stationären Behandlung in der Westfälischen Klinik Gütersloh befanden) befasste, wurde als Signifikanztest der Chi2-test angewandt. Die Diagnostik wurde im Vorfeld durch die zuständigen Stations- und Oberärzte durchgeführt. 60 Bei allen befragten Patienten wurde nach ICD-10 (Dilling et al., 2000) eine bipolar-affektive Erkrankung diagnostiziert. Die Patienten wurden bezüglich ihrer Konsumgewohnheiten gezielt nachexploriert. Es erfolgte anschließend die Zuweisung zu zwei Indexgruppen: 1. Gruppe - Patienten mit bipoloar-affektiver Störung und Suchtmittelmissbrauch 2. Gruppe - Patienten mit bipolar-affektiver Störung ohne Suchtmittelmissbrauch. 15.1 Komorbiditätsrate Die Komorbiditätsrate der Gesamtstichprobe in Bezug auf den Suchtmittelkonsum lag bei 39%. Bei den von uns untersuchten Patienten mit bipolaren Erkrankungen fanden wir in Bezug auf die Komorbiditätsrate von Suchtmittelmissbrauch einen signifikanten Unterschied. Zu gleichen Ergebnissen kam Berger (2004). Er berichtet über eine Komorbiditätsrate bei bipolaren Patienten von 30-40%. McElroy (1998) stellte ebenso eine Komorbiditätsrate von über 41% fest. Mehrere Autoren berichten allerdings, dass die Komorbidität von Suchtmittelkonsum bei Patienten mit bipolaren affektiven Störungen zwischen 50-60% lag (Sonne et al., 1994). Die niedrigere Komorbiditätsrate in unserer Studie wurde möglicherweise im Unterschied dazu durch den Charakter der behandelnden Klinik beeinflusst. In der Westfälischen Klinik befinden sich zur stationären Behandlung Patienten mit verschiedenen psychiatrischen Krankheitsbildern. Die Klinik hat einen Versorgungsauftrag und somit ist das Diagnosespektrum sehr gemischt. Die Patienten aus den Stationen der Suchtabteilung haben bewusst an der Befragung nicht teilgenommen. Dies hätte sicherlich zu einer Erhöhung der Prävalenzrate komorbider Störungen geführt und ein Bias der Ergebnisse bedeutet. Man kann davon ausgehen, dass viele Patienten dort ebenfalls an einer bipolaren affektiven Erkrankung leiden, z. Zt. aber die Suchtproblematik im Vordergrund steht. Nachdem z.B. die Entgiftungsbehandlung abgeschlossen ist, zei- 61 gen sich viele Patienten (vorwiegend mit maniformer Symptomatik) nicht krankheitseinsichtig und beenden die stationäre Behandlung auf eigenen Wunsch. Des weiteren wird die depressive Symptomatik oft als Folge der Suchterkrankung eingeschätzt und nicht als eine weitere psychiatrische Erkrankung (auch oft im Rahmen der bipolaren Erkrankung) erkannt und diagnostisch erfasst. Eine weitere diagnostische Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass bipolar Erkrankte auch psychotische Symptome aufweisen können. Dies erklärt, warum die Patienten in einem manischen Frühstadium ihrer Erkrankung häufig bei Erstdiagnose oder unbekannter Vorgeschichte als schizophren erkrankt eingestuft wurden. Die Komorbidität hat erst seit kurzer Zeit Beachtung gefunden in der psychiatrischen Diagnostik. Viele komorbide Störungen wurden möglicherweise nicht diagnostiziert. Eine genaue und adäquate Diagnostik und Behandlung erweisen sich als sehr wichtig für den weiteren Verlauf und die Prognose der Erkrankung. Die Ergebnisse unserer Studie sind durch die Auswahl der Patienten (Abteilung Sucht wurde nicht einbezogen) möglicherweise geprägt worden. Es ist durchaus möglich, dass die gleiche Befragung, in einer anderen allgemeinen psychiatrischen Klinik, oder in einer spezialisierten Klinik zu anderen Ergebnissen und statistisch signifikanten Unterschieden führen würde. Unsere Ergebnisse lassen sich auch nicht mit großen epidemiologischen Untersuchungen vergleichen, weil es sich hier um eine Selektion von Probanden handelt. 15.2 Alter bei Erkrankungsbeginn und in Bezug auf den Krankheitsverlauf Die Auswertung der Befragung unseres klinischen Klientel zeigte zwischen den beiden Indexgruppen in Bezug auf das Alter bei Erkrankungsbeginn und in Bezug auf den Krankheitsverlauf bedeutsame signifikante Unterschiede. Wir fanden, dass das durchschnittliche Lebensalter bei der Ersterkrankung in der Gesamtstichprobe bei 48% der Patienten zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr lag. 31% der untersuchten Patienten gaben an, dass die ersten Krankheitszeichen vor dem 20. Lebensjahr wahrgenommen wurden. Kessler (NCS) bestätigte unsere Ergebnisse und fand ein durchschnittliches Ersterkrankungsalter von 21 Jahren. Winokur et al., (1969) berichteten, dass 62 ein Drittel der bipolaren Patienten bereits vor dem 20. Lebensjahr erkrankte. Nach Weissmann et al., (1988), lag das Ersterkrankungsalter zwischen 18 und 21 Jahren, dabei fand sich in diesen drei Erhebungen ein mittleres Ersterkrankungsalter von unter 19 Jahren. Zu anderen Ergebnissen kamen Angst et al. (1986) und Dell Osso et al., (1993). Sie berichteten in ihren Studien, dass die Variationsbreite bei Erkrankungsbeginn der affektiven Störungen zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr lag. Bezüglich des Alters bei der Ersterkrankung kann man aus den Ergebnissen unserer Studie entnehmen, dass sich der Schweregrad der Erkrankung mit zunehmendem Alter signifikant verschlechtert, d.h. dass die Patienten mit früherem Erkrankungsbeginn eine schlechtere Prognose haben und sowohl die Symptome als auch der Verlauf der Erkrankung mit der Zeit komplizierter werden. Des weiteren kann man davon ausgehen, dass je später die ersten Symptome der Erkrankung aufgetreten sind, desto niedriger das Risiko ist, eine komorbide Störung zu entwickeln. Die Patienten verfügen tendenziell über ein soziales Umfeld im Hintergrund und haben somit eine Chance, ein integriertes Leben zu führen. In Bezug auf die Entwicklung der Störung gestaltet sich die Prognose dieser Patientengruppe positiv. Besonders bei den komorbiden Patienten waren oft sehr junge Klientel von der Erkrankung betroffen. Fast bei der Hälfte der komorbiden Patienten lag das Erstmanifestationsalter unter dem 20. Lebensjahr. Bei dieser Patientengruppe spielte auf jeden Fall bei der Ersterkrankung der stoffliche Konsum eine bedeutsame Rolle. Bei der Interpretation der Daten fiel auf, dass die Mehrheit der Probanden mit ca. 14 Jahren die ersten Rauscherfahrungen machten. Zu gleichen Ergebnissen kam Drake (1989). Er berichtete in seinen Studien ebenso über einen früheren Erkrankungsbeginn (wie auch die Erstmanifestation psychotischer Symptome) bei Patienten mit bipolaren Erkrankungen und Missbrauch von Suchtstoffen im Vergleich zu den Patienten ohne Suchtmittelkonsum. Der regelmäßige Gebrauch der Suchtmittel schon im jüngeren Alter verkompliziert den Verlauf der Erkrankung. Der frühe Konsum hat eigene Ursachen. Die allgemeine Verfügbarkeit von Suchtstoffen nimmt ständig zu. Vulnerable Jugendliche sind aus eigener Kraft nicht in der Lage, sich von einem „Problemkonsum“ oder „Sozialkonsum“ abzugrenzen. Durch die Suchtmittel wird vorübergehend eine für problematisch oder unverträglich gehaltene Situation ge- 63 bessert (Problemkonsum); die sich anschließende Ernüchterung durch die Konfrontation werden mit der Realität lässt einen Teufelskreis entstehen, dessen Hauptelemente das unbezwingbare Verlangen (Craving) nach dem Suchtmittel und der Kontrollverlust sind. Die soziokulturellen Einflüsse wie Griffnähe, Konsumsitten, Werbe- und Modebeinflüssungen spielen bei dem Sozialkonsum eine große Rolle. Die Beendigung vom Konsum erfordert eine psychische Stabilität, die bei den Betroffenen nicht vorhanden ist (Gastpar und Mann, 1999). Nach der Literatur wurden die Suchtmittel bei den Patienten häufig als so genannte „Selbstmedikation“ benutzt, d.h., dass Suchtmittelkonsum wegen initial hedonischer Effekte von Betroffenen und als Stimulans bei schlechter Stimmungs- und Antriebslage eingesetzt wird (Schwoon et al., 1992). Diese Erkenntnis legte nahe, dass die Theorie von der „frustranten Selbstmedikation“ als mögliche Ursache der Entwicklung einer komorbiden Erkrankung anzusehen ist. 15.3 Verlauf der Erkrankung Bezüglich des Verlaufes der Erkrankung wurden in unserer Untzersuchung ebenso signifikante Unterschiede gefunden. Die komorbiden Patienten berichten über verkürzte Krankheitsfreiphasen im Verlauf der Erkrankung. Dies prognostiziert einen ungünstigen Verlauf. Schwoon et al. (1992) berichtete, dass je länger die Krankheitsfreiphasen, desto günstiger die Prognose der Erkrankung. Zu den gleichen Ergebnissen kamen Bleuler et al. (1972). Moggi et al. (2002) berichteten, dass die Patienten mit Depressionen, die nicht alkoholabhängig sind oder alkoholabhängig waren, jedoch längere Zeit abstinent lebten, im Vergleich zu Patienten mit aktiver Alkoholabhängigkeit im Rahmen eines zehnjährigen Beobachtungszeitraums die doppelte Remissionsrate aufwiesen. Umgekehrt gibt es Hinweise von Löhrer et al. (1999), Sonne et al. (1994), dass bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit eine komorbide Depression den Verlauf der Alkoholabhängigkeit nicht oder gar positiv beeinflusst. Es ist schon mehrfach versucht worden das Zusammentreffen von Sucht und affektiven Störungen zu erklären. Besonders die Frage, ob die Störungen unabhängig voneinander auftreten, oder ob ein ätiologischer Zusammenhang be- 64 steht hat viele Forscher und Autoren beschäftigt Regier et al. (1990), Kessler et al. (1997). Bezüglich der Fragestellung, ob sich gegenseitig die beiden Krankheitsbilder im Verlauf und in der Prognose beeinflussen, kann man aus unseren Ergebnissen folgen, dass der Krankheitsverlauf bei bipolaren Erkrankungen mit komorbiden Erkrankungen wie Suchtmittelabhängigkeit, -missbrauch generell komplizierter ist, als bei Patienten ohne Suchtmittelkonsum. Die Patienten mit psychischen Störungen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko, an einem Substanzmissbrauch oder einer Abhängigkeit zu erkranken. 15.4 Partnerschaft Für die Einschätzung der Lebensperspektiven wurden in der durchgeführten Studie die Partnerschaft, die berufliche Situation und das soziale Nahfeld untersucht. In unserer Klinik berichteten mehr als die Hälfte der befragten Patienten ohne festen Partner zu leben, geschieden oder verwitwet zu sein. Die komorbide und die non-komorbide Stichprobe hatte bezüglich der Partnerschaft keine deutlichen Unterschiede gezeigt. Unterschiedlich sind die Ergebnisse anderer Autoren. Wittchen (1987) stellte fest, dass die affektiven Störungen, insbesondere Depressionen, gehäuft bei Personen auftreten, die sich von dem Lebenspartner getrennt haben, die geschieden oder verwitwet sind. Sonne et al. (1994) bestätigten, dass die Patienten mit Doppeldiagnose häufig unverheiratet waren. Weissman et al. (1988) fanden dagegen, dass Alleinleben per se nicht als Risikofaktor angesehen werden kann. Partnerbeziehungen können einerseits starke Belastungsfaktoren darstellen, die mit dazu beitragen, z.B. den Suchtmittelgebrauch aufrecht zu erhalten bzw. die Entwicklung der Abstinenz zu erschweren. Andererseits kann ein stabiles, harmonisches soziales Umfeld als wichtiger Stützfaktor für die Überwindung der Erkrankung angesehen werden. Empirische Befunde von O`Farell (1995) belegen, dass die Behandlungs- und Therapiemotivation durch den Partner in erheblichem Umfang beeinflusst wird und dass die ersten Kontakte mit Behandlungsinstitutionen häufig durch den Partner initiiert werden. 65 Allgemein muss davon ausgegangen werden, dass sich ein Großteil der Patienten mit einer affektiven Erkrankung langfristig gesehen mit einer Situation auseinandersetzen muss, die z.B. durch das Alleinleben, einen Mangel an sozialen Kontakten, oder das Fehlen von Initiative und Selbstständigkeit charakterisiert ist. Diese Situation kann ebenso eine negative Auswirkung auf die Prognose und den Verlauf der Erkrankung haben. 15.5 Berufliche Situation In unserer Studie wurden zwischen der komorbiden und der non-komorbiden Patientengruppe deutliche Unterschiede in Bezug auf die Geschlechtsverteilung und berufliche Integration gefunden. Wir stellten fest, dass mehr als die Hälfte der Patienten zum Zeitpunkt der Untersuchung arbeitslos waren, wobei die Anzahl der komorbiden Patienten, die länger als 19 Jahre arbeitslos waren, doppelt so hoch ist, wie die Anzahl der Patienten der non-komorbiden Stichprobe. Zu gleichen Ergebnissen kam Minz (1992). Er berichtete ebenso, dass bei 50% der affektiv erkrankten Patienten eine negative berufliche Situation besteht. Aufgrund der Erkrankung und damit verbundenen Fehlzeiten werden die Betroffenen für viele Arbeitgeber nicht tragbar. Es folgt positionelle Degradierung und letztendlich Kündigung. Der Verlust der Arbeitsstelle mit allen dazugehörigen Folgen (finanziell, sozial) führt oft zum erneuten Ausbruch der Erkrankung. Unter diesen Umständen ist es für viele Patienten unmöglich, sich um eine neue Arbeitsstelle zu kümmern. Für die Betroffenen bedeutet das, monatelange, oder sogar jahrelange Arbeitslosigkeit. Die berufliche Perspektivlosigkeit, der damit verbundene soziale Abstieg und die daraus resultierende negative Selbstbewertung haben wiederum einen negativen Einfluss auf die Entwicklung der Erkrankung. Weissman el at. (1988) stellten fest, dass man bei Personen, die ein niedriges Einkommen haben und von öffentlicher finanzieller Hilfe abhängig sind, 3 mal höhere Prävalenzwerte für bipolare Störungen findet. Im Gegenteil dazu fanden Marneros et al. (1999) bei bipolaren Erkrankungen keine Unterschiede in Bezug auf die Beeinträchtigung der beruflichen und sozialen Mobilität. Den gleichen Untersuchungen zufolge hatten fast 22% der unipolaren und bipolaren affektiven Patienten während des langjährigen Verlaufs der Erkrankung auch eine positive berufliche Mobilität, d.h. Erreichen eines besseren beruflichen Status. 66 Von der Arbeitslosigkeit waren in unserer Studie besonders die männlichen komorbiden Patienten betroffen. Die Anzahl der männlichen komorbiden Patienten ohne berufliche Ausbildung war deutlich höher als die Anzahl der männlichen non-komorbiden Patienten. Die Ergebnisse unserer Studie in Bezug auf das Alter bei Erkrankungsbeginn zeigten, dass bei der Hälfte der komorbiden Patienten das Erstmanifestationsalter unter dem 20. Lebensjahr lag. Viele von den Probanden hatten schon mit ca. 14 Jahren mit einem Alkoholkonsum die Drogenkarriere begonnen. Kurz darauf folgte der Beginn des Cannabiskonsums und anderer Drogen. Der Großteil der Patienten befand sich zu dem Zeitpunkt noch in der Ausbildung, die dann meistens aufgrund von schlechten Leistungen und Fehlzeiten abgebrochen wurde. Neue Versuche, eine berufliche Ausbildung abzuschließen, scheiterten aus den gleichen Gründen. Auch wenn einige Probanden zeitweise eine feste Beschäftigung hatten, wurden sie oft als unqualifizierte Mitarbeiter mit einer psychiatrischen Erkrankung in erster Linie von ihrem Arbeitsgeber entlassen. Im Vergleich dazu berichteten 54% der nonkomorbiden Probanden von einem Ersterkrankungsalter zwischen dem 20-30. Lebensjahr. Dem zur Folge hatte diese Patientengruppe eine längere krankheits- und symptomfreie Zeitspanne und somit auch mehr Möglichkeiten, eine berufliche Ausbildung abzuschließen. Mit einer vorzeitigen Ausscheidung aus dem Berufsleben sind der Verlust einer Tagesstruktur, vieler sozialer Kontakte, aber auch finanzielle Einbussen verbunden. Die heutige Situation auf dem Arbeitsmarkt ist äußerst schwierig, um so mehr verschlechtern sich die Prognose und die Vermittlungsmöglichkeiten der noch arbeitsfähigen Patienten, insbesondere aus der komorbiden Stichprobe. Daraus folgt, dass Patienten mit bipolarer Erkrankung, und hierbei wiederum besonders komorbide Männer, eine schlechtere Prognose auf dem Arbeitsmarkt haben, dadurch zum Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben tendieren, oft bis zur völligen Isolation. Eine erneute Eingliederung in die Gesellschaft erweist sich oft als äußerst schwierig. 15.6 Psychotische Störungen In unserer Studie wurden deutliche Unterschiede in Bezug auf das psychotische Erleben gefunden. 70% der Patienten aus der Gesamtstichprobe unserer Studie und 84,6% Patienten mit bipolaren Erkrankungen und multiplem Substanzmissbrauch berichteten von psychotischer Symptomatik. 67 Ein Zusammenhang zwischen Substanzmissbrauch und höherer Prävalenz psychotischer Erkrankungen bei Cannabiskonsumenten konnte ebenso in der Studie von Rouchell et al., (1996) bestätigt werden. Winokur und Clayton (1969) kamen in ihren epidemiologischen Studien zu anderen Ergebnissen. Sie berichten, dass bei den affektiven Psychosen mit psychotischen Symptomen die Häufigkeit von Substanzkonsum, -missbrauch und abhängigkeit nicht höher ist als in der allgemeinen Bevölkerung. Man kann verschiedene Möglichkeiten des Zusammenwirkens des Substatnzkonsums-, missbrauchs, -abhängigkeit mit affektiven Störungen unterscheiden: die psychiatrisch relevanten Symptome der affektiven Störungen mit Angst, Wahnsymptomen oder Sinnestäuschungen können einerseits durch Alkohol oder Drogenkonsum verursacht werden. Andererseits werden Drogen von vielen Patienten als Mittel zur Linderung der o.g. Symptomatik und Beschwerden eingesetzt. Daraufhin steigt in den affektiven Phasen der Konsum. Als Folge langer Konsumperioden kommt es erneut z.B. zu schweren Depressionen, oder es wird eine maniforme Symptomatik hervorgerufen. Es entwickelt sich ein „Teufelskreis“. Oft ist es nicht mehr feststellbar, ob der Substanzkonsum als Ursache für eine sekundäre schwere bipolare Störung betrachtet werden kann, oder ob die Theorie von der „frustanten Selbstmedikation“ als Ursache der Entwicklung einer komorbiden Erkrankung Bestätigung findet (Löhrer et al., 1999). 15.7 Schlußfolgerung Zusammenfassend weisen unsere Ergebnisse darauf hin, dass Suchtmittelkonsum den Krankheitsverlauf und die Prognose von Patienten mit bipolaraffektiven Erkrankungen erheblich ungünstig beeinflusst. Die Patienten mit „Doppelproblematik“ haben eine schlechtere Prognose auf dem Arbeitsmarkt, erkranken früher, werden früher stationär psychiatrisch behandelt und in der Tendenz sind sie zum Zeitpunkt der Untersuchung durchschnittlich jünger als die Patienten ohne Suchtproblematik. Der regelmäßige multiple Substanzmissbrauch bei Patienten mit bipolaren Erkrankungen verstärkt die psychotische Symptomatik, verschlechtert die soziale Situation und den Krankheitsverlauf, die Anzahl der krankheitsfreien Intervalle nimmt im Verlauf der Erkrankung ab. Die Häufigkeit komorbider psychischer Störungen macht die Notwendigkeit einer ausführlichen psychodiagnostischen Untersuchung bei Behandlungseintritt und die Bedeutung der spezifischen psychiatrischen Therapieangebote für die Betroffenen sehr deutlich. 68 16 Zusammenfassung Ein Teil der Patienten mit bipolar-affektiven Störungen konsumiert missbräuchlich Suchtmittel. Ziel unserer Arbeit war, den Einfluss von Suchtmittelkonsum auf den Krankheitsverlauf und die Prognose von Patienten mit bipolaren Erkrankungen zu klären. Hierfür wurden in einem Untersuchungszeitraum von 8 Monaten (von Mai 2003 bis Dezember 2003) 100 Patienten (n=100) zu soziodemographischen Kenndaten, sozialer Lebenssituation, zu ihrem Suchtmittelmissbrauch und zum bisherigen Verlauf der Erkrankung befragt. Voraussetzung für die Teilnahme an der Befragung war eine im Vorfeld nach ICD-10 diagnostizierte bipolare affektive Erkrankung (Dilling et al., 2000). Die Daten wurde anhand eines selbsterstellten schriftlichen Fragebogens in einem mündlichen Interview mit den Patienten auf der Aufenthaltsstation der Allgemeinen Psychiatrie erhoben. Zusätzlich wurden in der Endphase der Behandlung zwei Fremdbeurteilungsskalen CGI (Clinical Global Impression) und GAS (Global Assessment of Fuctioning) zur Schwere der Erkrankung angewendet. Zur Auswertung des Fragebogens kamen die üblichen mathematischen Verfahren (Chi-Quadrat-Test) zur Anwendung. Die Berechnung der eigentlichen Chi-Quadratformel erfolgte in Kooperation mit der Abteilung medizinische Statistik und Ökonometrie der Universität Bielefeld. Bei 39% der befragten Patienten mit bipolar-affektiver Erkrankung wurde eine Komorbidität mit Suchtmittelkonsum/ -abhängigkeit festgestellt. Nach unseren Ergebnissen gestaltet sich die Prognose der komorbiden Patienten ungünstiger als die Prognose der Patienten ohne Substanzmissbrauch. Der regelmäßige multiple Substanzmissbrauch verkompliziert die Symptomatik, den Verlauf und die Prognose bipolarer Erkrankungen. Die komorbiden Patienten erkrankten früher, wurden früher stationär psychiatrisch behandelt und waren zum Zeitpunkt der Untersuchung durchschnittlich jünger. Die Anzahl der krankheitsfreien Intervalle nahm im Verlauf der Erkrankung ab, die Betroffenen waren über längere Zeiten arbeitsunfähig und somit für viele Arbeitsgeber nicht tragbar. Aufgrund der Erkrankung waren viele Patienten wiederum nicht in der Lage, sich um eine Arbeitsstelle zu kümmern, rutschten in die Arbeitslosigkeit und letztendlich in den Sozialhilfestatus. Die Betroffenen sind finanziell von öffentlichen 69 Hilfen abhängig, haben keine Tagesstruktur, wenig soziale Kontakte und leben oft vollkommen isoliert. Die Komorbidität von Patienten mit bipolar-affektiven Erkrankungen und Substanzmissbrauch führt dann zu weiteren negativen Folgen wie Obdachlosigkeit, rechtlichen Problemen und Gewalttätigkeit. Diese schwierige soziale Situation hat wiederum einen negativen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Erkrankung, führt zu einer erhöhten Rate an Rückfällen und Rehospitalisationen. Im Ergebnis der Auseinanderstzung mit der Literetur hat sich gezeigt, dass die „Doppelproblematik“ in der Forschung langzeitig vernachlässigt wurde. Unsere Studie und die durch andere Autoren wie z.B.: von Regier et al, durchgeführten Studien zeigen jedoch ein hohes Ausmaß an Komorbidität zwischen bipolaraffektiven Erkrankungen und dem Konsum von Suchtmitteln. Um die o.g. negativen Folgen der Erkrankung zu vermeiden, ist eine frühzeitige und genaue Diagnostik von großer Bedeutung. Ein spezifisches und dem Krankheitsbild angepasstes Behandlungs- und Therapieangebot ist notwendig um einen positiven Einfluss auf die weitere Entwicklung und Prognose der Erkrankung erwirken zu können. 70 17 Literaturverzeichnis: 1) Akiskal, H.S., Walker, P., Puzantian, V.R., King, D., Rosenthal, T.L., Dranon, M.(1983). Bipolar outcome in the course of depressive illness: Phenomenologic, familial, and pharmacologic predictors. J Affect Disorders 5, 115-128. 2) Angst, J. (1986). Verlauf und Ausgang affektiver und schizoaffektiver Erkrankungen. In: Huber G, Hrsg. Zyklothymie-offene Fragen. Frankfurt: pmi. 3) Angst, J. (1995). 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Börner und Herrn Dr. Haude für die freundliche Unterstützung und bei allen Stationsärzten in dem Bereich Allgemeine Psychiatrie der Westfälischen Klinik Gütersloh für die Erhebung und Auswertung der GAF und CGI Scalen. 75 LEBENSLAUF Name, Vorname: Geboren am: Staatsangehörigkeit: Familienstand: Anschrift: Telefon: Volkon, Andrei 05.10.1966 in St. Petersburg, Russland deutsch geschieden, 1 Kind Freesienstr. 22, 33335 Gütersloh 01755638207 Schulische Ausbildung 1973 – 1983 Weiterführende Schule Nr.93, St. Petersburg, Russland; Abschluss: Allgemeine Hochschulreife 1983 –1990 Studium an der Pädiatrisch- Medizinischen Universität in St. Petersburg, Russland; Abschluss Diplom 1989 – 1990 Internatur (Arzt im Praktikum) in der Gebietsfürsorgestelle für Drogenabhängige in St. Petersburg, Russland mit Abschlussprüfüng als Facharzt für Psychiatrie für Jugendliche Berufserfahrung 1990 –1993 Stationsarzt in der Gebietsfürsorgestelle für Drogenabhängige in St. Petersburg, Russland 10.95 – 03.96 Assistenzarzt in der Therapieeinrichtung für Drogenabhängige Melchiorsgrund in Schwalmtal-Hopfgarten 06.96 – 06.96 Vertretung als Assistenzarzt in der Psychiatrischen Abteilung im Diakonie-Krankenhaus Elbigenrode 07.98 – 07.99 Begleitender Arzt im Reise-Rückhol-Service beim DRK, Landkreis Kassel 11.98-10.01 Angestellt bei der Kontakt- und Beratungsstelle für Drogenabhängige bei der Drogenberatung e.V. Bielefeld seit 01.10.01 Assistenzarzt in der Weiterbildung für Psychiatrie und Psychotherapie in der Westfälischen Klinik Gütersloh Fort- und Weiterbildungen 12.93 – 06.94 Deutschsprachlehrgang für Akademiker in Gießen (nach Über siedlung nach Deutschland im Oktober 1993) 07.94 – 06.95 Arzt im Rahmen eines Anerkennungsjahres bei der Universitätsklinik in Gießen 02.97 – 02.98 Fortbildung „Gesundheitsmanagement“ am Seminarzentrum Göttingen GmbH, Göttingen 06.2000 Notfalldienstseminar seit 22.08.02 Approbation als Arzt 76