Soziales Kapital in Bildungspartnerschaften Dissertation vorgelegt von Mag. Christoph Schwarz Ingolstadt, im September 2012 [email protected] Erstgutachter: Prof. Dr. André Habisch Zweitgutachter: Prof. Dr. Joachim Genosko ZUSAMMENFASSUNG Ein hohes Bildungsniveau ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft. Bisher besteht ein ´traditionelles´ Gleichgewicht dreier gesellschaftlicher Sektoren – Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, wobei Bildung (als Aspekt des Gemeinwohls) der Verantwortung des Staates zugerechnet wird. Die eingespielte Balance zwischen den drei Sektoren scheint zunehmend an Relevanz zu verlieren. Grund dafür sind Herausforderungen, die mit bisherigen Strukturen nicht optimal zu lösen sind, z. B. demografischer Wandel der Gesellschaft und dadurch sinkende Erwerbstätigenzahl, wachsende Aushöhlung der Sozialsysteme usw. Dies sind immer komplexere Anforderungen, die auch das Bildungssystem unmittelbar betreffen. Dazu gehören u. a. der bereits heute spürbare Fachkräftemangel in bestimmten Branchen, sinkende Ausbildungsreife der Jugendlichen oder soziale Selektion im deutschen Bildungssystem. Dabei verfügt Deutschland mit dem dualen Ausbildungs- und dem Übergangssystem über eingespielte Strukturen, die sich seit Jahrzehnten positiv auf Bildungs- und Arbeitsqualität, z. B. in Form niedriger Jugendarbeitslosenquoten, auswirken. Für ein zukunftsfähiges Bildungssystem scheinen neue Impulse durch sektorübergreifende Lösungen angebracht, in denen unterschiedliche Akteure ihre komplementären Kompetenzen einbringen. Unternehmen engagieren sich bereits im Bildungsbereich, bislang überwiegend in Form von Spenden, Praktika und Betriebsbesichtigungen. Vermehrt gehen Unternehmen und Schulen auch intensivere Austauschformen ein, z. B. gemeinsame Unterrichtsgestaltung oder 1 Projektarbeiten mit Schülern in Betrieben. Zwei aktuelle empirische Studien beschäftigen sich mit Kooperationen zwischen Unternehmen und Schulen (Bildungspartnerschaften) in Deutschland. Sie zeigen den klaren Trend auf, dass solche Partnerschaften in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen dürften. Als größte Hindernisse erscheinen darin Schwierigkeiten in der Kommunikation und fehlendes Verständnis zwischen den Partnern. Es fehlen kooperationsspezifische Kompetenzen, weil es erst wenige intensive Schnittstellen zwischen Wirtschafts- und Bildungssektor gibt. In genannten Studien wurden jeweils über 1000 Unternehmen in einer quantitativen Erhebung befragt. Dabei wurde das Phänomen Bildungspartnerschaften im Überblick betrachtet, während die individuellen Motive, Erwartungen und Vorstellungen der Kooperationspartner nicht intensiv untersucht wurden. Hier setzt die vorliegende Arbeit an, deren grundlegendes Ziel es ist, Bildungspartnerschaften besser zu verstehen. Um dieses zu erreichen, wurde eine empirische Erhebung mit der Sozialkapitaltheorie als theoretischem Bezugsrahmen durchgeführt. Diese eignet sich durch ihren Fokus auf Bedingungen und Organisation sozialer Beziehungen. Um Sozialkapitaltheorie konkret auf den Kontext von Bildungspartnerschaften anzuwenden werden theoretisch fundierte Vorannahmen erarbeitet, an denen sich die Datenauswertung orientiert. Zur Strukturierung der Datenerhebung lautet die Forschungsfrage: Welche Rolle spielt Sozialkapital in Bildungspartnerschaften? Diese gliedert sich in die folgenden drei Unterfragen auf: 1) Warum gehen Unternehmen Bildungspartnerschaften ein? 2) Wie können Bildungspartnerschaften gelingen? 3) Welcher Wert wird in Bildungspartnerschaften geschaffen? Es wurden 20 Interviews geführt: zehn mit Unternehmen, sieben mit Vertretern von Schulen und drei mit Vermittlerorganisationen (Netzwerk SchuleWirtschaft, Initiative D21, Wissensfabrik) für eine Überblicksperspektive. Kriterien für Unternehmen waren, dass sie seit mindestens drei Jahren im Bildungsbereich engagiert sind und ihr Engagement über reine Sponsorentätigkeit hinausgeht. Die Interviews basierten auf einem Leitfaden als grobem Gerüst, waren aber offen gestaltet, um den Meinungen und Einstellungen der Interviewten Raum zu geben. Mit dem Leitfaden wurde sichergestellt, dass in allen Interviews die drei eben genannten Fragenblöcke Motive/Erfolgsfaktoren/geschaffener Wert angesprochen wurden. Zur Strukturierung der Datenauswertung wurde GABEK®/WinRelan, eine innovative softwaregestützte Methode der qualitativen Inhaltsanalyse gewählt. Diese ermöglicht, Zu- 2 sammenhänge zwischen den Aussagen der Befragten in der Art von ´Mind-Maps´ grafisch darzustellen. Als Hauptmotiv der befragten Unternehmen wurde Personalgewinnung deutlich, um dem bereits spürbaren Fachkräftemangel vorzubeugen und Ausbildungsreife von Absolventen sicherzustellen (Wettbewerbsvorteil durch Rekrutierungseffekt). Darüber hinaus ergeben sich Chancen der Personalentwicklung und -förderung, indem in Bildungspartnerschaften involvierte Mitarbeiter relevante Kompetenzen erwerben können, etwa Aufbau und Pflege von Kontakten zu Vertretern eines anderen Sektors, Moderationserfahrung sowie die Fähigkeit, Sachverhalte verständlich zu erklären. Für Schulen zielen Bildungspartnerschaften mit Unternehmen v. a. darauf ab, Schülern/Absolventen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu bieten. Dazu vermitteln Unternehmensvertreter ihre Praxiskenntnisse und erhöhen so die Praxisnähe des Unterrichts. Personen, die von außerhalb der Schule in den Unterricht kommen, lockern den Unterricht auf und können berufsorientierenden Unterrichtsinhalten Glaubwürdigkeit und Nachdruck verleihen. Partnerschaften mit Unternehmen bieten Schulen die Möglichkeit, ihr Schulprofil zu schärfen und die Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern. Ein weiterer relevanter Aspekt ist die finanzielle bzw. logistische Unterstützung für Schulen, wodurch manche Projekte angesichts schwieriger Haushaltslagen überhaupt erst möglich werden. Die untersuchten Bildungspartnerschaften wurden dann auf Basis der theoretischen Vorannahmen zu Sozialkapital entlang von fünf Aspekten analysiert: Strukturelle Startbedingungen. Bildungspartnerschaften sind in Unternehmen und Schulen unterschiedlich stark formal verankert. Oft liegt die Verantwortung bei einem oder zwei Mitarbeitern, die Bildungspartnerschaften entweder Vollzeit oder parallel zum Alltagsgeschäft betreuen. Es zeigt sich, dass sowohl bei Unternehmen als auch bei Schulen einerseits manchmal die klare Unterstützung durch die Leitungsebene fehlt; andererseits liegt auch innerhalb der Belegschaft nur geringes Bewusstsein vor, dass bzw. welche Bedeutung Bildungspartnerschaften für die eigene Organisation haben können. Es wird deutlich, dass verbindendes Sozialkapital in den befragten Unternehmen schwach ausgeprägt ist, während brückenbildendes Sozialkapital deutlich wird – in Form von Zugang zu neuer Information: Dies können für Unternehmen Einblicke in die Schule sein sowie Wissen über Erwartungen und Vorstellungen der Schüler hinsichtlich Ausbildung und Beruf. Durch diese Kenntnisse können Unternehmen die eigene Ausbildung verbessern und die Ansprache von Schulabgängern besser an deren Erwartungen anpassen. Schulen wiederum profitieren durch Wissen über berufliche Praxis in Unternehmen und Einblick in die Anforderungen, die an Schulabgänger als potenzielle Mitarbeiter gestellt werden. 3 Unterschiede bzw. Hindernisse. Neben der strukturellen Verankerung stellen die in einer bestimmten Kooperation zwischen den Partnern wahrgenommenen Unterschiede wichtige Startbedingungen für Kooperationen dar. Je mehr sich die Akteure der Unterschiede bzw. Hindernisse bewusst sind, desto besser können sie sich abstimmen und zusammenarbeiten. Zwei relevante Hindernisse für gelingende Kooperation wurden deutlich: Erstens ist der (erste) Kontakt durch vorgefertigte Annahmen über den Partner beeinflusst, die auf Prägung/Sozialisierung im eigenen (Wirtschafts- oder Bildungs-)Sektor gründen. So vermutete ein Unternehmen, Schulen wären Neuerungen gegenüber nicht aufgeschlossen; erst durch persönlichen Kontakt und direkte Erfahrung konnte sich das Bild zum Positiven ändern. Zweitens sind sich die Partner zwar des Fachkräftemangels bewusst; wie dieser jedoch in Kooperation zu bewältigen sei, dazu fehlt vielfach das Verständnis füreinander bzw. für die konkreten Erwartungen und Vorstellungen des Partners. Erfolgsfaktoren. In den Interviews wurde nach Erfolgsfaktoren gefragt. Diese lassen sich den drei Sozialkapitaldimensionen strukturell, relational und kognitiv zuordnen. Zu den strukturellen (formalen) Aspekten von Bildungspartnerschaften wurden Engagementdauer und Komplementarität gezählt: Es wurde deutlich, dass besonders in auf lange Sicht angelegten Kooperationen Synergieeffekte möglich werden. Relevante relationale Aspekte von Bildungspartnerschaften sind persönlicher Kontakt und Vertrauen; die kognitive Dimension drückt sich in geteilten Wertmustern und Vorstellungen aus. Ein Beitrag der vorliegenden Arbeit liegt in der Darstellung, dass neben dem strukturellen Aspekt – der bislang in der Sozialkapitalforschung am meisten untersucht wurde – auch und gerade die relationale und kognitive Dimension von Kooperationen wichtig sind. Die Bereitschaft ist entscheidend, sich der Chancen und Grenzen einer Kooperation bewusst zu werden. Kooperationen lassen sich nicht schon vorab vollständig planen, daher ist eine offene Grundhaltung erforderlich, um sich konstant miteinander abzustimmen. Vertrauen. Vertrauen wird nicht als Synonym, sondern als ein Element von Sozialkapital aufgefasst. Vertrauen stellt einerseits als wichtiger Aspekt der relationalen Dimension einen Erfolgsfaktor von Bildungspartnerschaften dar, indem es diese ermöglicht und/oder verstärkt. Andererseits kann Vertrauen das Ergebnis aus gelingenden Bildungspartner-schaften sein, das in gelingenden Partnerschaften heranwächst und so wieder auf die Qualität der Beziehung zurückwirkt. Vertrauen prägt die Beziehungsqualität maßgeblich und kann in Bildungspartnerschaften Transaktionskosten senken. So werden etwa Kontrollkosten (bzw. deren wahrgenomme Notwendigkeit) oder Suchkosten reduziert, wenn man schon Erfahrung in der Zusammenarbeit gesammelt hat und so auf kurzem Wege zueinanderfindet. Erträge. Die grundlegende Annahme lautete, dass in einer Bildungspartnerschaft umso größere Erträge zu erzielen sind, je klarer sich die Partner auf gemeinsame Wertschaffung 4 durch jeweiliges Einbringen ihrer Kernkompetenzen ausrichten. Erträge aus Bildungspartnerschaften können drei Formen annehmen: materielle/finanzielle Unterstützung, Humankapital und (neues) Sozialkapital. Bildungspartnerschaften, die durch erfolgreiche Zusammenarbeit und beidseitiges Engagement gekennzeichnet sind, haben das Potenzial, zur Lösung konkreter Herausforderungen beizutragen, die in sektorübergreifenden Partnerschaften auftreten können. Effekte können in den Bereichen Allokation (z. B. Kennenlernen der beruflichen Erwartungen und Vorstellungen Jugendlicher), Adaption (z. B. verbesserte Kooperationsfähigkeit) oder Autorität (z. B. Zuweisung von Status und Anerkennung) deutlich werden. Die Arbeit leistet folgende Beiträge: Erstens wurde eine qualitative Studie mit kleiner Fallzahl vorgenommen, während bisher überwiegend quantitative Studien mit sehr großen Unternehmenssamples vorliegen. Im Fokus waren die impliziten Sinnzusammenhänge der Befragten. So wurden die Einstellungen und Erwartungen der jeweiligen Vertreter aus Unternehmen und Schule detailliert untersucht und insgesamt ein besseres Verständnis von Bildungspartnerschaften erworben. Zweitens wurde, wie bislang kaum, die theoretische Perspektive von Sozialkapital konkret auf Bildungspartnerschaften angewendet, um deren Motive, Erfolgsfaktoren und Erträge besser zu verstehen. Bisher liegt kein einheitliches Begriffsverständnis von Sozialkapital vor, daher wurde eine Arbeitsdefinition erarbeitet, um den Erhebungsrahmen einzugrenzen. Es wurden theoretisch fundierte Vorannahmen zu Sozialkapital in Bildungspartnerschaften formuliert, um die Auswertung der Daten zu strukturieren. Durch die erfolgte empirische Fundierung der Annahmen können weitere Forschungsvorhaben theoretisch gestützt werden. Drittens wurden auf Basis der konkreten Aussagen der Befragten Handlungsempfehlungen für gelingende Bildungspartnerschaften herausgearbeitet: Für Unternehmen und Schulen etwa ist ein wertschätzender Umgang mit dem Partner sowie die Sicherstellung interner Unterstützung wichtig; auf institutioneller Ebene sind Politik bzw. Bildungssystem gefordert, mehr Möglichkeiten zum Austausch zu bieten, um die Grundskepsis zwischen Wirtschaftsund Bildungssystem zu überwinden. Viertens wurde mit GABEK®/WinRelan eine international eingeführte Methode der qualitativen Forschung eingesetzt. Die Methode bot eine hilfreiche Strukturierung bei der Auswertung, insbesondere durch die grafische Darstellung von Assoziationen aus dem Begriffsnetz aller Interviews, Kern der Auswertung waren jedoch die Zitate der Befragten. 5