E 45120 ISSN 1869-0874 Onkologische Welt 5/2012 Pneumo-Onkologie ESMO-Highlight NSCLC Tumorbiologie Adipositas, Diabetes und Krebs Radio-Onkologie Partialbrustbestrahlung Komplementäre Onkologie Kinderwunsch bei Krebspatienten Uro-Onkologie Therapie des hormonsensitiven P-Ca www.schattauer.de www.onkologische-welt.de Onkologische Welt 2012; 3: 201–248 Oktober Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Se lt Dr en . e Fortgeschrittenes rezidivierendes Weichteilsarkom im La T In rs L um S. ter ind or 24 vie ne e: 7 w r Seltene Tumoren Zu diesem Heft © Schattauer 2012 Show Business Wie wirbt man für sein Engagement gegen Krebs in der Öffentlichkeit? Die Bayerische Krebsgesellschaft hat sich für ihre Kampagne „Für besseres Leben mit Krebs“ für die Werbung mit Prominenten entschieden. Derzeit leihen der bayerische Finanzminister Dr. Markus Söder, die Moderatorin Verena Kerth und der Schauspieler Manou Lubowski der Kampagne ihr Gesicht. Keiner von ihnen hat (hoffentlich) Krebs. Aber sie sind auf den Plakaten aber erst auf den zweiten Blick zu erkennen, weil sie so geschminkt wurden, als würden sie gerade eine Chemotherapie durchlaufen. Peinlich oder positiv? Das kann ein Hingucker sein, nicht nur für CSU-Anhänger. Aber nicht immer passt das Image des Promis zum Werbeprodukt. Das merkt man oft erst, wenn die Verbraucher die Prominenten in der Werbung zwar wahrnehmen, aber sich danach nicht mehr erinnern können, um welche Marke es dabei ging. Oder Promis wecken falsche Assoziationen. Mir fielen bei Verena Kerth zuerst die Stichworte „Ex-Freundin von Olli Kahn“ und dann die Berichterstattung in den Publikumsmedien über ihr wechselvolles Privatleben ein. Damit würde sie für mich eine glaubwürdige Kompetenz bei der nächsten Anti-HIV-Kampagne ausstrahlen. Aber Krebs?“ Zufällig hat sich das in Geschmacksfragen unverdächtigte „British Medical Journal“ (BMJ) gerade erst Ende September 2012 mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Beteiligung von Prominenten bei öffentlichen Gesundheitskampagnen nützt? Oder ob die Kampagne vor allem dem Promi nützt, insbesondere, wenn er eher zur Boder C-Klasse gehört. Letzterer Ansicht ist Geof Rayner, Honorary Research Fellow an der City University London, Ex-Präsident der UK Public Health Association und Mitorganisator beim „No Smoking Day” und anderer Gesundheitskampagnen. Er sieht in seiner Stellungnahme (BMJ 2012;345:e6362 doi: 10.1136/bmj.e6362) die Gefahr, dass bei der Berichterstattung vor allem der Promi im Mittelpunkt steht und nicht das Gesundheitsanliegen. Dies gelte umso mehr, je stärker der Promi vor allem mit einem aufwändigen und exzentrischen Luxusleben in Verbindung gebracht wird. Das kann dann ziemlich schiefgehen, wenn man beispielsweise für einen vernünftigen Lebensstil ohne Alkoholexzesse, Junk-Food, aber mit höherem Gesundheitsbewusstsein, wirbt. Eine deutlich bessere Meinung als Rayner hat sein australischer Opponent Simon Chapman, Professor of Public Health an der Universität von Sydney. Er sieht durchaus die Möglichkeit, durch Prominente persönliche Betroffenheit und Authentizität zu vermitteln (BMJ 2012;345:e6364 doi: 10.1136/bmj.e6364). Trotzdem müsse man sich genau überlegen, wann man welchen Promi für welche Kampagane einsetzt. Dr. Alexander Kretzschmar Der „Kylie-Effekt“ Aber es ist nicht alles planbar – und hinterher ist man immer klüger. Als sich die mit 36 Jahren an Brustkrebs erkrankte PopSängerin Kylie Minogue öffentlich für eine Beteiligung am Brustkrebsscreening engagierte, sank in Australien der Anteil von Frauen in der Altersklasse, die mit dem Brustkrebsscreening angesprochen werden sollten. Gleichzeitig nahm die Beteiligung junger Frauen mit einem sehr niedrigen Erkrankungsrisiko an der Vorsorgeuntersuchung zu. Damit stieg, so Chapman, vor allem die unnötige Strahlenbelastung mit dem Risiko falsch-positiver Ergebnisse. Die positive Seite des „Kylie-Effektes“ hat man dagegen in Großbritannien beobachtet. Dort wurde mithilfe eines Promis aus dem „Big-Brother“-Container erfolgreich die Aufmerksamkeit für die Früherkennung von Zervixkarzinomen erhöht. Dr. Alexander Kretzschmar, München Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 201 Inhalt Contents 202 Zu diesem Heft 201 A. Kretzschmar Show Business Pneumo-Onkologie 203 206 ESMO 2012: Neue Erkenntnisse zum NSCLC NSCLC – Dacomitinib vs. Erlotinib, prädiktive Biomarker und molekulare Diagnostik, Icotinib Tumorbiologie 209 S. Herzig; A. Vegiopoulos 214 217 179 Adipositas, Diabetes und Krebs Buchbesprechung: Das Blaue Buch, Chemotherapie-Manual – Hämatologie und Onkologie Biomarker, zirkulierende Tumorzellen als Prognosemarker, multiples Myelom Gastro-Onkologie: EGFR-Blockade bei mCRC, Perspektiven bei GI-Tumoren Chemotherapie des metastasierten Mamma-Karzinoms 219 U. Köppen 213 Radio-Gyn-Onkologie 224 Partialbrustbestrahlung nach Mammakarzinom – Intra- und perioperative Bestrahlungsmöglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung des INTRABEAM-Systems DEGRO 2012: Update adjuvante Radiotherapie beim Mammakarzinom, Everolimus beim fortgeschrittenen Mamma-Ca Komplementäre Onkologie 226 231 233 236 237 K. Geue; R. Schmidt; D. Richter; J. Dorst; E. Brähler; M.E. Beutel; Y. Stöbel-Richter Identifikation spezifischer Kinderwunschmotive von jungen Krebspatienten aus Sicht der Betroffenen und Professionellen Kongress für Psychosomatik: Neue Perspektiven durch die Psychoonkologie Senologie-Kongress 2012: Mind-Body-Medizin, Optionen in der Komplementärmedizin Palliativmedizin: mehr als nur Medizin am Sterbebett Supportivtherapie: Knochen und Tumorzellen, venöse Thromboembolien, Lebensqualität beim Mamma-CA in der metastasierten Situation, Schmerzassessment, Patientengespräche, Adelmidrol bei Nebenwirkungen auf Haut und Schleimhäute Uro-Onkologie 241 246 198 J. Schröder; J. Scheerer; E. Altwein GnRH-Agonisten in der Therapie des hormonsensitiven Prostatakarzinoms – neue Erkenntnisse zum Routineeinsatz eines altbekannten Standards Sunitinib in der Erstlinientherapie des mRCC Hepatozelluläres Karzinom – Hirnmetastasen, PIVKA-II, Ösophaguskarzinom – Bestrahlung + Chemotherapie, GIST – Regorafenib als Drittlinie Seltene Tumoren 247 Interview mit Priv.-Doz. Dr. Lars Lindner: Fortgeschrittenes rezidivierendes Weichteilsarkom Titelbild Amadeo Modigliani 1884-1920, Paul Guillaume, Novo Pilota, ©www.visipix.com Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. PneumoOnkologie 203 Neue Erkenntnisse zum NSCLC als Highlight vom ESMO 2012 Wie groß ist der klinische Fortschritt? Neben den Ergebnissen großer kontrollierter klinischer Studien wurden auf dem ESMO 2012 auch neue Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung vorgestellt. Die so genannte Versorgungsforschung bei Routinepatienten gewinnt zunehmend an Bedeutung, ist nützlich und von Interesse. Dies berücksichtigt auch den Wunsch nach Reproduzierbarkeit in der klinischen Routine sowie Pharmako-Ökonomie. Eine Innsbrucker Arbeitsgruppe um Univ.-Doz. Dr. Michael Fiegl konnte bei einer Auswertung der Verläufe von 484 Patienten (67% Männer, Ø 62,1 Jahre, 80,9 Stadium IIIB-IV) in der Routineversorgung (TYROL Study SCLC Project) zeigen, dass 56% der Patienten auf eine palliative medikamentöse Therapie ansprachen. Nach Beginn der Therapie dauerte es im Durchschnitt 6,9, bis die eine Progression festgestellt wurde. Das 5-Jahre-Überleben betrug 9,3%. Hier schnitten Frauen insgesamt etwas besser ab, Patienten mit Entzündungszeichen (erhöh- tes C-reaktives Protein) schlechter. Ein weiterer negativer Prädiktor waren eine erhöhte LaktatDehydrogenase als Zeichen von Gewebeumbau sowie ein schlechterer Allgemeinzustand. Im Durchschnitt überlebten die Patienten 11,3 Monate unter der medikamentösen Therapie. Eine Subgruppe von Patienten überlebte jedoch fünf Jahre (9,3%). Dies waren zum größten Teil Patienten mit begrenzter Tumorlast bei der Erstdiagnose, die in der Folge eine kombinierte Chemo- und Strahlenbehandlung erhielten. In diesen Fällen wurde ein medianes Gesamtüberleben unter Pemetrexed-Erhaltungstherapie Auch NSCLC-Patienten über 70 Jahre profitieren Die Verbesserung des Gesamtüberlebens unter einer Erhaltungstherapie mit Pemetrexed (Alimta®) beschränkt sich nicht nur äuf jüngere Patienten. Eine auf dem ESMO 2012 vorgestellte Subgruppenanalyse der prospektiven japanischen JACAL-Studie zeigt für Patienten ≥70 Jahre eine vergleichbar gutes progressionsfreies Überleben sowie ein Gesamtüberleben, das in beiden Gruppen über dem in der PARAMOUNT-Studie lag. Die Daten aus der PARAMOUNT-Studie zeigen für die Gesamtgruppe von Patienten mit fortgeschrittenem nicht-plattenepithelialen nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC, Adenound großzelliges Karzinom) einen signifikanten Überlebensvorteil unter einer „Continuation Maintenance-Therapie“ mit Pemetrexed 500 mg/m2 d1/q3w (13,9 Monate unter Pemetrexed-Erhaltung vs. 11,0 Monate unter Placebo, gerechnet ab Beginn der Erhaltungstherapie; HR = 0,78; p = 0,0195) (1). Eine auf dem ESMO 2012 vorgestellte Subgruppenauswertung der prospektiven japanischen JACAL-Studie (n = 109) bestätigt die Ergebnisse der Paramount-Studie, dass auch ältere NSCLC-Patienten davon profitieren (2). Das mediane progressionsfreie Überleben nach 4 Zyklen Pemetrexed unterschied sich bei den Gesamtüberleben von 20,5 Monaten erreicht, das 5-Jahres-Überleben betrug 22%. Die weitere Auswertung der Daten soll dazu beitragen, um Algorithmen insbesondere zum klinischen Management von Patienten mit negativen Prädiktoren zu entwickeln, so die Autoren. Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Jahrestagung der European Society for Medical Oncology (ESMO) vom 28. September bis 2. Oktober 2012, Wien. Mit mehr als 16 000 Teilnehmern aus über 120 Ländern stellt der ESMO 2012 in Wien einen neuen Besucherrekord auf. Patienten <70 Jahre und der Gruppe ≥70 Jahre nur marginal (<70 Jahre: 5,8 Monate (95% KI 4,3–7,4; ≥70 Jahre: 5,2 Monate (95% KI 3,5–8,2). Die Best Tumor Response betrug 74% (<70 Jahre) bzw. 69% (≥70 Jahre). Das Gesamtüberleben lag in beiden Gruppen über den Ergebnisse der PARAMOUNT-Studie (<70 Jahre: 20,5 Monate; ≥70 Jahre: 16,8 Monate). Insgesamt 73% der Patienten <70 Jahre und 56% der Patienten ≥70 Jahre absolvierten alle geplanten 4 Zyklen. Die Toxizitäten unter Pemetrexed wurden als akzeptabel und beherrschbar eingestuft. Die älteren Patienten benötigten öfter eine Nebenwirkungs-bedingte Dosisreduktion (25% vs. 15%). Allerdings war der Anteil jüngerer Patienten, bei denen der Abstand zwischen den Zyklen aufgrund von Nebenwirkungen vergrößert wurde mit 58% vs. 50% größer. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Paz-Ares L et al. J Clin Oncol 2012; 30(suppl.): Abstract LBA7507. 2. Nogami N et al. ESMO 2012; Abstract 1206P. © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. PneumoOnkologie 204 Die individualisierte Therapie beim NSCLC Fortschritte und Rückschläge Der diesjährige Europäische Krebskongress (ESMO) zeigte, dass die Einführung zielgerichteter Medikamente beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) Fortschritte macht. So überzeugte Crizotinib in einer Phase-III-Studie. Allerdings machte andererseits die MISSION-Studie mit Sorafenib deutlich, dass noch längst nicht alle Strategien beim NSCLC so greifen, wie gewünscht. Angesichts von immer noch jährlich 40 000 Todesfälle in Deutschland durch Lungenkrebs bleibt die Therapie eine deutliche Herausforderung. Testen – das scheint das Gebot der Stunde beim NSCLC zu sein. Denn die Voraussetzung für den Einsatz der neuen zielgerichteten Therapien wird es sein, die richtigen Patientengruppen heraus zu finden, die von der jeweiligen Substanz profitieren. So steht vor dem therapeutischen Einsatz von Crizotinib, einem oralen Hemmer der Anaplastischen Lymphomkinase (ALK), der Test, ob der Tumor ALK-positiv ist. Die EML4-ALK Mutation findet sich laut Prof. Alice Shaw, Boston/USA, allerdings nur bei 3 bis 7% aller Patienten mit einem NSCLC. Bei Adenokarzinomen der Lunge ist sie in 10 bis 20% der Tumoren nachweisbar. Signifikant längeres Überleben als durch die Standardtherapie Die nun aktuell präsentierte Studie verglich die Wirksamkeit und Sicherheit von Crizotinib gegenüber der Standard-Chemotherapie mit Pemetrexed oder Docetaxel bei 347 Patienten mit ALK-positiven Lungenkarzinom, die bereits mit Chemotherapie vorbehandelt worden waren (1). Crizotinib erhöhte danach das progressionsfreie Überleben um durchschnittlich 7,7 Monate gegenüber 3 Monaten mit der herkömmlichen Chemotherapie (Hazard Ratio 0.49; 95% KI 0,37–0,64; p<0,0001). Die gesamte Ansprechrate war bei den mit Crizotinib behandelten Patienten ebenso signifikant höher (65% vs. 20%; p<0,0001). Das Gesamtüberleben ist zum momentanen Zeitpunkt noch nicht aussagekräftig, da aus der Crizotinib-Gruppe bisher wesentlich weniger Patienten als aus dem Kontrollarm gestorben sind (47 vs. 27). Zudem war ein Cross-over erlaubt. Obwohl die Crizotinib-Therapie mehr unerwünschte Wirkungen wie Sehstörungen, Übelkeit und Diarrhö verursachte, schätzten die Patienten in der ALK-Hemmer-Gruppe ihre Lebensqualität als höher ein. Dies mag laut Shaw damit zusammenhängen, dass die mediane Zeit bis zur Rückkehr der Symptome des NSCLC unter Crizotinib 5,6 Monate im Vergleich zu nur 1,4 Monatne dauerte (p<0,0001). Weiterhin untersucht werden sollte auch nach Meinung der Expertin, warum das Ansprechen im Chemotherapie-Arm so unterschiedlich war – 6,9% für Docetaxel und 29% unter Pemetrexed. „Ich gehe davon aus, dass Crizotinib der neue Standard für Patienten mit einem fortgeschrittenen und vorbehandelten ALK-positiven Lungenkarzinom wird.“ KRAS – kein prädiktiver Marker für Sorafenib? Gleich die nächste große Studie zum NSCLC machte deutlich, welche Schwierigkeiten noch im Detail beim NSCLC stecken. In der MISSIONStudie waren immerhin 703 Patienten auf- genommen worden, die entweder Sorafenib 400 mg/bid oder Placebo als Dritt- oder Viertlinien-Therapie erhielten (2). Das mediane Überleben war in beiden Armen ähnlich (248 Tage vs. 253 Tage; p = 0,4687), obwohl beim medianen progressionsfreien Überleben Sorafenib signifikant überlegen war (p<0,0001). Eine separate Post-hoc-Analyse machte klar, dass es jedoch Patienten gab, die deutlich von der TKI-Therapie profitierten (3). Prof. Tony Mok, Hongkong, erklärte, dass Patienten mit EGFR-Mutationen unter Sorafenib doppelt so lang lebten als unter Placebo. „Andererseits fanden wir heraus“, so Mok weiter „KRAS scheint im Fall von Sorafenib kein prädiktiver Marker zu sein“. Neue Substanz mit Potenzial Vielleicht spielen auch erworbene Resistenzen bei diesen vielfach vorbehandelten Patienten eine Rolle. Die Resistenzentwicklung gegenüber EGFR-Inhibitoren wie Erlotinib wurde in Wien ausführlich diskutiert. Dagegen könnte vielleicht der Wechsel des Wirkprinzips helfen. Eine Phase-II-Studie Untersuchung mit Dacomitinib, einem neuen, irreversiblen pan-HERInhibitor, zeigte, dass diese Substanzen in EGFR- und HER2-mutierten NSCLC-Patienten ein Ansprechen bei 34 von 45 Patienten erzeugen konnte (4). Weitere 10 Patienten erlebten eine Krankheitsstabilisierung. Prof. Pais Jänne vom Dana-Farber-Institute in Boston/USA, meinte abschließend: „Voraussetzung für einen effektiven Einsatz ist jedoch die genaue Charakterisierung des Tumors einschließlich der speziellen Mutationen.“ Bettina Reich, Hamburg Literatur 1. 2. 3. 4. Shaw AT, et al. ESMO 2012; Abstract LBA1. Paz-Ares L et al. ESMO 2012, Abstract LBA9. Mok T. et al ESMO 2012, Abstract LBA33. Jänne P et al. ESMO 2012, Abstract 228O. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. PneumoOnkologie 206 Dacomitinib versus Erlotinib Phase-III-Studie angelaufen Breiteres TKI-Wirkprofil vorteilhafter beim NSCLC? Therapie-assoziierte unerwünschte Ereignisse waren unter Dacomitinib häufiger als unter Erlotinib. Dabei handelte es sich vorwiegend um dermatologische und gastrointestinale Nebenwirkungen Grad 1/2. Die erhöhte Toxizität von Dacomitinib wird von den Studienautoren auch als Folge des breiteren Rezeptorprofils und seiner höheren Affinität erklärt. Angesichts der guten Wirksamkeit bei NSCLC-Patienten mit KRAS wt wurde die Phase-III-Vergleichsstudie ARCHER 1009 (Advanced Research for Cancer targeted pan-HER therapy) zur Zweit-/Drittlinientheerapie mit Dacomitinib 45 mg vs. Erlotinib 150 mg initiiert. Die Auswertung soll auf der Basis zwei ko-primärer Studienpopulationen (alle NSCLC-Patienten und NSCLC-Patienten mit KRAS wt) erfolgen. Erstmals wurde bei Patienten mit einem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) mit Dacomitinib ein irreversibler Inhibitor der EGF-Rezeptor-Tyrosinkinasen HER1, HER2 und HER4 mit dem reversiblen EGFR-HER1-Inhibitor Erlotinib verglichen. Die breitere inhibitorische Aktivität von Dacomitinib resultierte in einer signifikanten Verlängerung des medianen progressionsfreien Überlebens (PFS). Dacomitinib erwies sich in früheren Phase-I/IIPilotstudien als wirksam beim NSCLC. Die Substanz wurde jetzt mit einer Fixdosis von 45 mg/d erstmals in einer offenen, randomisierten, multizentrischen Vergleichsstudie mit dem reversiblen EGFR-Inhibitor Erlotinib 150 mg/d verglichen. Teilnehmer waren 188 Patienten mit einem fortgeschrittenen NSCLC (Performancestatus 0–2), die unter 1–2 vorangegangenen Chemotherapien einen Progress erlitten, aber noch keine HER-gerichtete Behandlung bekommen hatten. Das mediane PFS in der Gesamtgruppe (primärer Studienendpunkt) war unter Dacomiti- nib mit 2,86 Monaten signifikant länger als unter Erlotinib (1,91 Monate; HR 0,66, p = 0,012). Subgruppenanalysen in Abhängigkeit von molekularen Markern ergaben eine Überlegenheit von Dacomitinib auch bei Patienten mit KRAS Wildtyp (wt) unabhängig vom EGF-Status (3,71 vs. 1,91 Monate; HR, 0,55; p = 0,006) sowie mit KRAS wt und EGFR wt (2,21 vs. 1,84 Monate; HR, 0,61; p = 0,043). Bei Patienten mit EGFRMutationen war das mediane PFS in beiden Gruppe gleich (7,44 Monate). Das mediane Gesamtüberleben (OS) war unter Dacomitinib mit 9,53 Monaten tendenziell, aber nicht-signifikant länger als unter Erlotinib (7,44 Monate). Molekulare Testung auf prädiktive Biomarker NSCLC-Diagnostik funktioniert auch außerhalb von Zentren Die Therapie des NSCLC erfordert häufig eine molekulare Testung auf prädiktive Biomarker – eine vom Universitätsklinikum Köln durchgeführte Studie zeigt, dass durch Etablierung eines entsprechenden Netzwerkes eine Vielzahl von Gewebeproben gescreent werden können. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Ramalingam SS et al. Randomized Phase II Study of Dacomitinib (PF-00299804), an Irreversible Pan–Human Epidermal Growth Factor Receptor Inhibitor, Versus Erlotinib in Patients With Advanced Non–Small-Cell Lung Cancer J Clin Oncol 2012; 30(27): 3337–3344. Translokationen sowie jeweils 2% BRAF-, PIK3CA- und ERBB2-Mutationen bzw. –Amplifikationen. 15% der SQ hatten eine FGFR1-Amplifikation. Bei 40% der Patienten wurde eine personalisierte NSCLC-Therapie entsprechend dem Mutationsstatus eingeleitet. Die Kosten für den Testsatz betragen nach Angaben der Autoren etwa 500–1000 Euro. Das ist nicht viel im Hinblick darauf, dass den Patienten mit Hilfe der Testung eine maßgeschneiderte Therapie angeboten werden kann, so ihr Fazit. Dr. Beate Grübler, Hannover Die Kölner Pathologen untersuchten im Rahmen eines solchen überregionalen ScreeningNetzwerkes insgesamt 2 032 NSCLC-Biopsien und erreichten damit fast 70% der NSCLC-Patienten im Raum Köln-Bonn (1). 77% der Pro- ben waren auswertbar, bei 63% handelte es sich um Adenokarzinome (AC), bei 27% um Plattenepithelkarzinome (SQ). Die AC wiesen folgendes Mutationsmuster auf: 32% KRASMutationen, 13% EGFR-Mutationen, 3% ALK- Literatur 1. Zander Z et al. J Clin Oncol 2012; 30(suppl): Abstract CRA10529. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. PneumoOnkologie 207 Molekulare Marker beim NSCLC Vorreiter bei der personalisierten Therapie Die Zahl der bekannten genomischen Aberrationen nimmt beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) mit rasanter Geschwindigkeit zu. Auch beim Plattenepithelkarzinom der Lunge gibt es inzwischen Hinweise auf definierte genetische Veränderungen bei einem Teil der Patienten. Sind solche Veränderungen auf molekularer Ebene bekannt, so kann oftmals eine zielgerichtete Therapie erfolgen oder, sofern sie noch nicht möglich ist, entwickelt werden. „Damit ist dann auch das Konzept der personalisierten Therapie in der Onkologie zu realisieren“, so Prof. Jürgen Wolf, Köln. Es setzt nach seiner Darstellung voraus, dass ein molekularer Defekt identifiziert wird und Therapeutika angewandt werden, die sich genau gegen diese Veränderung richten. „Das wird in der öffentlichen Diskussion oft noch missverständlich dargestellt“, monierte der Onkologe auf einem Pressegespräch in Köln. Vor allem dem Lungenkarzinom kommt hinsichtlich der molekularen Diagnostik und damit auch der personalisierten Medizin laut Prof. Reinhard Büttner, Köln eine Art Vorreiterrolle zu. „Die Biologie des Tumors wird zunehmend besser verstanden“, erklärte der Pathologe. Es gelingt dadurch immer besser, mit Medikamenten der „Targeted Therapy“ den Patienten Überlebensvorteile zu sichern. Das zeigt das Beispiel des EGFR-Inhibitors Erlotinib. Dieser wurde anfangs bei einem un- selektierten Patientenkollektiv eingesetzt, was das Gesamtüberleben im Mittel um rund zwei Monate verlängerte. Die mediane Überlebenszeit lag dennoch weiter unter 12 Monaten und konnte laut Wolf erst durch den gezielten Einsatz des Wirkstoffs bei Patienten mit dokumentierter EGFR-Mutation auf median 27 bis 33 Monate gesteigert werden. Inzwischen sind laut Wolf zahlreiche Veränderungen beim Lungenkrebs als „driver mutations“ identifiziert worden und es gelingt „Continuation Maintenance“ beim NSCLC Die Überlebenszeit-Analyse einer Phase-IIIStudie mit Pemetrexed als Erhaltungstherapie beim fortgeschrittenen NSCLC weist für die durchgehend mit Pemetrexed behandelten Patienten (erst Induktion mit Cisplatin/Pemetrexed, dann Erhaltungstherapie mit Pemetrexed) einen Überlebensvorteil nach. Die so behandelten Patienten lebten median 16,9 Monaten (ab Beginn der Induktion) im Vergleich zu median 14 Monaten in der Kontrollgruppe ohne Erhaltungstherapie. Der Unterschied war signifikant (HR 0,78; p = 0,0195) und belegt nach Angabe der Autoren den Nutzen einer „continuation maintenance“, bei der vergleichsweise rasch, gezielt Medikamente gegen solche Mutationen entwickeln. Nicht selten kommen diese aber nur bei einem kleinen Prozentsatz der Patienten zur Anwendung wie etwa der Wirkstoff Crizotinib bei Patienten mit ALK-Genmutation. Diese Mutation findet sich laut Büttner bei rund drei Prozent der Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom, bei denen somit dank Crizotinib eine personalisierte Therapie möglich wird. Die Beispiele verdeutlichen auch, dass es zunehmend auf eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Fachdisziplinen ankommt, um die erzielten Fortschritte und die neuen Erkenntnisse rasch von „Bench to Bedside“ zu bringen. Die betroffenen Patienten müssen unmittelbar entsprechenden Studien zugeführt werden. Das aber erfordert nach Wolf „ein zunehmend vernetztes Arbeiten der beteiligten Fachdisziplinen und insgesamt neue, interdisziplinäre und sektorübergreifende Versorgungsstrukturen“. Christine Vetter, Köln Quelle: Fachmedienveranstaltung „Unverzichtbar: Molekulare Diagnostik als Basis für eine personalisierte Therapie beim Lungenkrebs“ am 30. August 2012, Köln, Veranstalter: Pfizer Oncology Deutschland. eine aktive (und verträgliche) Komponente der Erstlinientherapie möglichst lange beibehalten wird (1). Dr. Beate Grübler, Hannover Literatur 1. Paz-Ares L et al. J Clin Oncol 2012; 30(suppl): Abstract LBA7507. © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. PneumoOnkologie 208 Icotinib bei NSCLC-Patienten mit EGFR-Mutationen Chinesische Eigenentwicklung will auf den Weltmarkt Mit Icotinib schickt sich eine weitere, gegen Mutationen des EGF-Rezeptors (EGFRm+) gerichtete Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) an, nach China auch die Zulassung in Europa und USA zu erreichen. Dies berichtete Dr. Sun Yan, Beijing, kürzlich auf der 15. Jahrestagung der Chinese Society of Clinical Oncology (CSCO). Dafür sind allerdings noch einige Verbesserungen am Studiendesign, vor allem bei der molekularen Charakterisierung der Patienten, notwendig, kritisierte Prof. Tony Mok, Honkong. Icotinib ist in China seit August 2011 zur Therapie des NSCLC bei Patienten mit EGFR-Mutationen verfügbar. Inzwischen liegen Daten zur Behandlung von mehr als 9000 Patienten vor. In der ersten Phase-III-Studie ICOGEN mit 399 Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC erreichte Icotinib in der Gesamtgruppe mit 13, Monaten ein ebenso gutes Gesamtüberleben wie Gefitinib (13,9 Monate) (1). Die Mutationsrate betrug 43% in der Icotinib-Gruppe und 59% in der Gefitinib-Gruppe. Im Vergleich zum EGFR-Wildtyp (wt) war das progressionsfreie Überleben von Patienten mit EGFRm+ signifikant länger (median 6,2 Monate vs. 2,3 Monate; p = 0,00001), ebenso das Gesamtüberleben (median 20,5 Monate vs. 7,7 Monate; p=0,00001). Zwischen beiden Behandlungsarmen bestand weder bei Patienten mit EGFRm+ noch mit EGFRwt ein statistisch signifikanter Unterschied. Ausgefeilteres Studiendesign verlangt Auf dem CSCO-Kongress stellte Yan die Ergebnisse einer neuen einarmigen Phase-III-Studie (1) vor, in der Icotinib als Zweit- oder Drittlinientherapie bei 128 NSCLC-Patienten mit einem Progress unter einer Chemotherapie, vor allem Cisplatin-basiert, gegeben wurde. In der Studie betrug der Zeitraum bis zur Progression unter Icotinib median 5,4 Monate und das Gesamtansprechrate 25,8%. Die Krankheitskontrollrate wurde mit 67,7% errechnet. Das Gesamtüberleben konnte noch nicht endgültig bestimmt werden, da der statistische Endpunkt noch nicht erreicht wurde. Interimsanalysen zufolge könnte das zensierte Gesamtüberleben um 17,6 Monate betragen. Orales Vinorelbin beim NSCLC zugelassen Seit kurzem steht für die Behandlung von Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) im Stadium 3 oder 4 auch orales Vinorelbin (Navelbine® Oral) zur Verfügung. Dies bedeutet, dass Vinorelbin so- wohl in jeder Kombination mit anderen antineoplastischen Therapeutika als auch mit Strahlentherapie zum Einsatz kommen kann, soweit sich diese Kombinationen als wirksam und verträglich erweisen haben. Darüber hi- Insgesamt 47,7% der Patienten berichteten über unerwünschte Effekte, vor allem Hautausschlag (25%), Diarrhoe (11,9%) und Erhöhungen der Leberenzyme (14,1%). Sein chinesischer Kollege Mok forderte in seiner Diskussion der Ergebnisse die Durchführung von Phase-III-Studien mit einer Kontrollbzw. aktiven Vergleichsgruppe, um validere Aussagen zu bekommen und eine Zulassung außerhalb von China zu erhalten. Darüber hinaus müssten die Teilnehmer bereits vor Studienbeginn im Hinblick auf molekulare Mutationen untersucht und entsprechend selektiert werden, um den wahren klinischen Stellenwert der Substanz kennen zu lernen. Nicht selektierte Patientengruppen entsprechen nach seiner Ansicht nicht mehr dem aktuellen Erkenntnisstand beim NSCLC. Um international erfolgreich zu sein, sind nach seiner Ansicht 2 PhaseII-Studien mit 120–150 Patienten mit EGFRm+ sowie Phase-III-Studien mit jeweils mindestens 300–500 Patienten nötig. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Yan S et al. Final overall survival and updated biomarker analysis results from the randomized phase III ICOGEN trial. J Clin Oncol 2012; 30 (suppl.); abstr 7559. Quelle: 15. Jahrestagung der Chinese Society of Clinical Oncology (CSCO vom 19. bis 23. September. 2012, Beijing; Abstract BIO19. naus lässt diese Zulassung auch die adjuvante Therapie mit Navelbine® Oral von NSCLC-Patienten im Stadium III zu. Damit handelt es sich um die erste Substanz, die zumindest für Stadium III-Patienten zulassungskonform in der Adjuvanz verabreicht werden kann. Onkologische Welt 5/2012 Red. © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Tumorbiologie © Schattauer 2012 Adipositas, Diabetes und Krebs S. Herzig; A. Vegiopoulos Molekulare Stoffwechselkontrolle (A170), Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Zentrum für Molekularbiologie Heidelberg (ZMBH) Universität Heidelberg, Universitätsklinikum Heidelberg Schlüsselwörter Keywords Adipositas-Folgeerkrankungen, Typ-2-Diabetes, Krebs, molekulare Mechanismen Obesity-associated disorders, type 2 diabetes, cancer, molecular mechanisms Zusammenfassung Summary Die Beziehung zwischen Adipositas und Krebs ist im letzten Jahrzehnt in den Fokus der klinischen und biomedizinischen Forschung geraten. Eingehende epidemiologische Studien und Metaanalysen kamen zu der Schlussfolgerung, dass Adipositas mit einer erhöhten Inzidenz und ungünstigeren Prognose einer Reihe von Krebserkrankungen assoziiert ist. Obwohl Typ-2-Diabetes laut epidemiologischen Befunden auch mit einer erhöhten Inzidenz und Mortalität bestimmter Krebsarten assoziiert ist, kann er an sich nicht als unabhängiger Risikofaktor gelten. Die prinzipielle Rolle der Hyperglykämie, Hyperinsulinämie und der Aktivierung des Insulin/ IGF-1-Signalweges kann jedoch durch epidemiologische Daten, Tiermodelle und in vitro Befunde belegt werden. Zusätzlich werden unter anderem die subakute Inflammation, der ektopische Überschuss an Triglyzeriden und freien Fettsäuren und das veränderte Adipokinprofil als plausible molekulare Mechanismen bei der Adipositas-bedingten Krebsentstehung und Progression derzeit erforscht. Die immense Bedeutung der Beziehung zwischen Adipositas und Krebs wird klar im Hinblick auf die steigende Inzidenz von Übergewicht und Adipositas, insbesondere im Kindes- und Jugendalter. The link between obesity and cancer has come into the focus of clinical and biomedical research during the last decade. A plethora of epidemiological studies and metanalyses have reached the conclusion that obesity is associated with increased incidence and worse prognosis of a series of cancer entities. Although type 2 diabetes was found to be associated with increased incidence and mortality of certain cancer types based on epidemiological findings, it cannot as such be considered an independent risk factor. However, evidence from epidemiological studies, animal models, and in vitro experiments clearly implicates the involvement of hyperglycemia, hyperinsulinemia, and the activation of the insulin/IGF-1 pathway. In addition, the sub-clinical inflammation, the ectopic access of triglycerides and free fatty acids and the altered adipokine profile are under investigation as plausible molecular mechanisms underlying obesity-related carcinogenesis. The impact of the association between obesity and cancer becomes clear in light of the increasing incidence of obesity, in particular childhood and adolescence obesity. Korrespondenzadresse Prof. Dr. Stephan Herzig Molekulare Stoffwechselkontrolle (A170), Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Zentrum für Molekularbiologie Heidelberg (ZMBH), Universität Heidelberg Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg E-Mail: [email protected] Obesity, Diabetes and Cancer Onkologische Welt 2012; 3: 209–212 Nachdruck aus: Adipositas 2012; 6: 48–51 Übergewicht und Adipositas gelten seit langem als wichtige Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen. Demnach gehört Gewichtsreduktion zu der ersten Linie der entsprechenden Behandlungsmaßnahmen. Die zentrale Bedeutung von Adipositas als be- einflussbarer Risikofaktor für eine Reihe von Krebserkrankungen wurde erst im letzten Jahrzehnt erkannt und intensiver erforscht. Mittlerweile wurden mehrere plausible molekulare Mechanismen zur pathogenetischen Beziehung von Adipositas und Krebs vorgeschlagen. Die eindeutigen Beweise für die Rolle einzelner Signalwege stehen aber noch weitgehend aus. In diesem Artikel werden epidemiologische Daten zur Beziehung von Adipositas, Diabetes und Krebs zusammengefasst, und der aktuelle Status der Forschung an pathogenetischen Mechanismen diskutiert. Adipositas als Risikofaktor für Krebserkrankungen Eine Fülle von epidemiologischen Studien hat die Beziehung zwischen Übergewicht/ Adipositas und der Inzidenz diverser Krebserkrankungen untersucht. Zwei wichtige internationale Berichte generierten Übersichten der bestehenden Befunde und formulierten entsprechende Empfehlungen (International Agency for Research on Cancer in 2002 (11), World Cancer Research Fund (WCRF)/ American Institute for Cancer Research (AICR) in 2007 (25)). Laut dem Bericht von WCRF/AICR bestehen überzeugende Assoziationen zwischen Adipositas und einer Reihe von Krebserkrankungen (씰Tab. 1). Einige Übersichtsarbeiten und Metaanalysen bestätigten diese Berichte und umfassten weitere Krebsarten (3, 21). Zum Beispiel differenzierten Renehan et al. in einer ausführlichen Arbeit zusätzlich nach Geschlecht und ethnischen Gruppen (씰Tab. 1). Insgesamt scheint die Beweislage eindeutig, dass Adipositas ein signifikanter Risikofaktor für die Erkrankung an Ösophaguskarzinom, postmenopausalem Brustkrebs, Kolonkarzinom, Rektalkarzinom, Nierenzellkrebs, Endometriumkarzinom, und Pankreaskarzinom darstellt. Es muss dabei bemerkt werden, dass das am häufigsten angewendete Maß für Adipositas der Body-Mass-Index (BMI) war und nur z.T. Waist-to-Hip-Ratio bzw. Taillenumfang. Da die Bedeutung von abdominaler Adipositas als Risikofaktor für verschiedene AdipositasFolgeerkrankungen zunimmt, ist zu erwarten, dass in zukünftigen Studien stärkere bzw. Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 209 210 S. Herzig; A. Vegiopoulos: Adipositas, Diabetes und Krebs Tab. 1 Adipositas und Inzidenz von Krebserkrankungen. Zusammenfassung des WCRF/AICR Berichtes und Vergleich zur Metaanalyse von Renehan et al. (21). WCRF/AICR (25) Renehan et al. (21) Erhöhtes Risiko bei Adipositas* Relatives Risiko pro Erhöhung des BMI um jeweils 5 kg/m2** Evidenzstärke Männer Frauen Ösophaguskarzinom überzeugend 1,52 1,51 Brustkrebs (postmenopausal) überzeugend - 1,12 Kolonkarzinom überzeugend 1,24 1,09 Rektalkarzinom überzeugend 1,09 ns Nierenzellkrebs überzeugend 1,24 1,34 Endometriumkarzinom überzeugend - 1,59 Pankreaskarzinom überzeugend ns 1,12 Gallenblasenkarzinom wahrscheinlich ns 1,59 Leberkrebs möglich ns ns *: Meist angewendetes Maß für Adipositas war BMI. **: Die aufgelisteten Werte waren statistisch signifikant (p<0,05). Hier wurden nicht alle in der Studie untersuchten Krebsarten aufgelistet. ns: nicht signifikant. neue Assoziationen zwischen Adipositas und Krebserkrankungen gezeigt werden. Forschungsarbeiten an verschiedenen Tumormodellen zeigen, dass auch im Tiermodell genetisch- oder fütterungsbedingte Adipositas krebsfördernd wirkt. Besonders interessant ist aber die Erkenntnis, dass kalorische Restriktion in Tumormodellen die Krebsentstehung und Progression hemmt (10). progression als die Initiation fördern können (siehe unten). Trotz allem sind eingehendere epidemiologische Studien nötig, die den Einfluss von Adipositas auf den Verlauf von Krebserkrankungen untersuchen, um geeignete Empfehlungen bezüglich Körpergewichtsmanagement und Lebensstil für Krebspatienten formulieren zu können. Ist Diabetes ein unabhängiger Risikofaktor? Adipositas und Prognose bei Krebserkrankungen In einer Meilensteinstudie kamen Calle et al. zu der Schlussfolgerung, dass 14 bis 20 % aller krebsbedingten Todesfälle in den Vereinigten Staaten von Amerika auf Übergewicht und Adipositas zurückgeführt werden können (2). Bei sowohl prä- als auch postmenopausalem Brustkrebs belegen mehrere Studien, dass Adipositas mit einer ungünstigeren Prognose assoziiert ist (4). Ähnliches gilt für Prostatakrebs bzw. Kolonkarzinom (16). Die Prognose bei der letzteren Erkrankung ist durch das Bestehen von Insulinresistenz beeinflusst, die ihrerseits häufig mit Adipositas assoziiert ist. Eine schlechtere Prognose bei bestehender Adipositas ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass bestimmte pathobiochemische Merkmale von Adipositas eher die Tumor- Die American Diabetes Association hat im Jahr 2010 einen Konsensus-Bericht zu Diabetes und Krebs publiziert (6). Basierend auf verschiedenen epidemiologischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Inzidenz von Krebserkrankungen bei Diabetespatienten (vorwiegend Typ 2) erhöht ist, insbesondere für Leberkrebs, Pankreaskarzinom, und Endometriumkarzinom (relatives Risiko ≥2). Für Kolon- und Rektalkarzinom, Brustkrebs und Harnblasenkrebs betrug das relative Risiko 1,2 bis 1,5 und überraschenderweise war das Risiko für Prostatakrebs reduziert. Einige weitere Studien weisen ebenfalls auf eine erhöhte Mortalität bei Krebspatienten mit Diabetes hin (1). Nach aktuellem Stand der Forschung ist weiterhin unklar, ob die Assoziation zwischen Diabetes und Krebs direkt besteht, also ob Hyperglykämie bzw. Hyperinsulinämie die Pathogenese und Verlauf von Krebserkrankungen beeinflussen. Alternativ könnten Diabetes und Krebs durch gemeinsame Risikofaktoren, insbesondere Adipositas, bedingt sein. Eine Übersichtsstudie, die sich mit dieser Frage näher beschäftigt hat, kam zu dem Schluss, dass nicht Diabetes an sich, wohl aber Hyperglykämie und/oder Hyperinsulinämie unabhängige Risikofaktoren für verschiedene Krebserkrankungen darstellen (8). Interessanterweise betrafen die beschriebenen Assoziationen großteils einen Konzentrationsbereich von Blutzucker und Insulin, der als normal bzw. nicht-diabetisch klassifiziert wird. Ein direkter krebsfördernder Effekt von Hyperglykämie und Hyperinsulinämie ist wie unten beschrieben biologisch plausibel. Die Evidenz aus epidemiologischen Studien und in vivo-Tiermodellen ist derzeit aber noch nicht vollständig überzeugend. Wirkt Hyperglykämie direkt krebsfördernd? Die „Wiederbelebung“ der Forschung zu dem Warburg-Effekt hat die Beobachtung erneut in den Vordergrund gebracht, dass Tumorzellen stark Glukose-abhängig sind (24). In diesem Sinne kann angenommen werden, dass Hyperglykämie einen Wachstumsvorteil für Tumore darstellt. Bis jetzt konnte aber diese Hypothese weder bewiesen, noch experimentell eindeutig widerlegt werden. Dagegen ist die Beweislage für die Rolle von Hyperinsulinämie und der Aktivierung des Insulin/Insulin-like Growth Factor-1(IGF-1)-Signalweges bei der Krebsenstehung und -progression weitaus eindeutiger. Die Rolle der Hyperinsulinämie und des Insulin/ IGF-1-Signalweges Erhöhte Insulinwerte sind stark mit Glukoseintoleranz, Hyperglykämie und Insu- Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. S. Herzig; A. Vegiopoulos: Adipositas, Diabetes und Krebs linresistenz assoziiert und daher charakteristisch für Patienten mit Adipositas, Typ2-Diabetes (im frühen Stadium) oder dem Metabolischen Syndrom. Die Konzentration von IGF-1 in der Zirkulation ist zwar nicht linear von Körpergewicht und Adipositas abhängig, die Verfügbarkeit und die lokalen Gewebekonzentrationen können jedoch unter bestimmten pathologischen Bedingungen der Hyperinsulinämie erhöht sein (3). Abgesehen von seinen endokrinen Funktionen kann Insulin die Zellproliferation und das Zellüberleben fördern (19). IGF-1 hat seinerseits stärkere wachstumsfördernde Eigenschaften im Vergleich zu Insulin. Beide Peptide aktivieren den Insulinrezeptor bzw. den IGF1-Rezeptor und somit multiple regulatorische Signalwege. Die PI3K-AKT-, AKT-mTOR- und RAS-MAPK-Signalachsen werden aktiviert und vermitteln die wachstumsfördernde Wirkung der Hormone. Die Expression sowohl des Insulinrezeptors als auch des IGF1-Rezeptors wurde auf Tumorzellen verschiedener Krebsarten nachgewiesen (19). Experimente an genetischen Mausmodellen lieferten wichtige Beweise für die Rolle dieser Signalwege in der Karzinogenese. So wurde z.B. gezeigt, dass die Überexpression des IGF1-Rezeptors in transgenen Mäusen für die spontane Entwicklung von Tumoren der Brustdrüsen ausreichend ist (12). In einer weiteren Studie führte die Inaktivierung des IGF-1-Gens in der Leber von fettleibigen Mäusen zu reduziertem Wachstum und Metastasierung von implantierten Tumorzellen (26). Von Interesse sind auch Beobachtungen, die darauf hinweisen, dass bestimmte Diabetes-Behandlungen, die Veränderungen der systemischen Insulinkonzentration bewirken, mit verändertem Krebsrisiko und/oder Prognose assoziiert sind. Dies kann als ein weiteres wichtiges Indiz für die Rolle des Insulinsignalweges in der Karzinogenese angesehen werden. Diabetes-Therapie und Krebs Metformin ist ein weit verbreitetes Antidiabetikum und oft die erste Wahl bei der pri- mären Behandlung von Patienten mit der Diagnose Typ-2-Diabetes. Eine Reihe epidemiologischer Studien weist darauf hin, dass die Metformin-Behandlung das Risiko für die Erkrankung an verschiedenen Krebsarten senken kann (6, 19). Ferner führt eine Metformin-Behandlung bei Patienten mit Brustkrebs im Frühstadium zu einer verbesserten Prognose. Die antidiabetische Wirkung von Metformin basiert auf der Inhibition der Glukoneogenese in der Leber und somit auf der Senkung der Blutzucker- und Insulinkonzentration. Diese Veränderungen könnten an sich die antitumorigenen Effekte von Metformin erklären (19). Obwohl der molekulare Mechanismus der Wirkung von Metformin noch nicht im Ganzen aufgeklärt ist, ist es unumstritten, dass Metformin die AMP-activated Proteinkinase (AMPK) aktiviert. Da AMPK als Tumorsuppressor agieren kann, könnte Metformin damit neben seinen indirekten Effekten auf die Insulinspiegel auch direkt in den Tumorzellen wachstumshemmend wirken. Diese Hypothese wird zunehmend von in vitro-Befunden gestützt. Die Behandlung von Typ-2-Diabetes mit Insulin oder Insulin-Analoga ist bei fortschreitender Krankheit bei einem großen Anteil der Patienten notwendig. Eine Reihe epidemiologischer Studien hat den Einfluss solcher Behandlungen auf das Risiko, an Krebs zu erkranken, untersucht. Die Befunde weisen darauf hin, dass die Behandlung mit bestimmten Insulinanaloga (insulin glargine) ein Risikofaktor für verschiedene Krebserkrankungen darstellt (20). Diese Schlussfolgerung ist im Einklang mit dem zellwachstumsfördernden Potenzial von Insulin und der Aktivierung des Insulin/IGF-1-Signalweges. Die obigen Befunde lösten eine breite Debatte bezüglich der Sicherheit der untersuchten Behandlungen aus, und obwohl die zugrundeliegenden Studien aufgrund methodologischer Schwachstellen kritisiert wurden, sind weitere Untersuchungen angezeigt, um das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Insulintherapie in der Zukunft besser abschätzen zu können. Wirkt Adipositas-assoziierte subakute Inflammation krebsfördernd? Adipositas ist mit einer chronischen subakuten systemischen Entzündung assoziiert (23). Diese manifestiert sich gemeinsam mit einem Überschuss von Triglyzeriden und Fettsäuren in Fettgewebe, Leber und anderen Organen, ist aber systemisch durch zirkulierende Entzündungsmarker nachweisbar. So konnte gezeigt werden, dass z.B. die inflammatorischen Mediatoren Tumor Necrosis Factor α (TNFα) und Interleukin-6 (IL-6) im Fettgewebe von Adipositaspatienten und entsprechenden Tiermodellen erhöht exprimiert werden, was mit höheren Plasmakonzentrationen korrelierte (9, 14). Ob lokale Leukozyten, Makrophagen oder Adipozyten hauptsächlich für die Synthese dieser Zytokine verantwortlich sind, wurde noch nicht abschließend geklärt. Bestimmte Krebsarten sind durch chronisch-inflammatorische Vorerkrankungen bedingt, während bei mehreren anderen ein lokales pro-inflammatorisches Milieu die Tumorprogression fördert (7). In diesem Sinne erscheint der inflammatorische Zustand bei Adipositas als plausibler krebsfördernder Mechanismus. Tatsächlich wurde durch genetische Manipulation der TNFα− und IL-6-Signalwege bei Mäusen gezeigt, dass die Adipositas-assoziierte Entstehung und Progression von hepatozellulären Karzinomen von diesen Zytokinen abhängig ist (18). Die Wirkweise von inflammatorischen Mediatoren basiert auf der Steuerung diverser krebsfördernder Prozesse, z.B. Zellproliferation und Überleben, Invasion und Metastasierung und Tumor-Angiogenese. Ob entzündungshemmende Behandlungen gegen Adipositas-Folgeerkrankungen präventiv wirken können, ist daher Gegenstand aktueller Forschung. Adipokine und ektopischer Lipidüberschuss möglicher pro-tumorigener Faktoren Leptin und Adiponektin werden im Fettgewebe synthetisiert und gelten als wichti- © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 211 212 S. Herzig; A. Vegiopoulos: Adipositas, Diabetes und Krebs höheres Risiko für bestimmte Krebserkrankungen aufweisen und entsprechend eingestuft werden sollten. Basierend auf epidemiologischen Befunden und in vivo-Tiermodellen scheint sich folgendes biologisches Prinzip zu etablieren: Während eine positive Energiebilanz Adipositas, die Krebsentstehung und Krebsprogression begünstigt, wirkt eine negative Energiebilanz, wie z.B. bei kalorischer Restriktion, protektiv. Abb. 1 Krebsfördernde molekulare Mechanismen bei Adipositas und Typ-2-Diabetes. ge Regulatoren der systemischen Stoffwechselhomöostase. Adipositas ist mit erhöhten systemischen Leptin- und reduzierten Adiponektinkonzentrationen assoziiert. Obwohl epidemiologische Studien veränderte Konzentrationen dieser Adipokine nicht eindeutig als Risikofaktoren definieren konnten, gibt es vermehrt Indizien aus Mausmodellen und in vitro-Versuchen, die darauf hinweisen, dass Leptin pro- und Adiponektin anti-karzinogen wirken können (22). Die erhöhte systemische Lipidkonzentration und die ektopische Fetteinlagerung sind charakteristisch für Adipositas. Dieser Lipidüberschuss, insbesondere in der Form freier Fettsäuren, wird zunehmend als potenziell krebsfördernder Mechanismus diskutiert. Ein Beispiel für die Beziehung von ektopischer Fetteinlagerung und Karzinogenese ist beim hepatozellulären Karzinom gegeben. Obwohl Adipositas nicht als eindeutiger Risikofaktor für diese Krebsart eingestuft werden konnte, sind Lebersteatose und non-alcoholic fatty liver disease (NAFLD) häufige Nebenerscheinungen bei adipösen bzw. diabetischen Patienten. Diese Diagnosen gelten wiederum als Risikofaktoren für die Erkrankung an hepatozellulärem Karzinom (5, 6, 17). Geschlechtshormone und bestimmte Krebsarten Adipositas ist ein Risikofaktor für postmenopausalen Brustkrebs und das Endometriumkarzinom. In beiden Fällen ist eine erhöhte Estradiol-Plasmakonzentration mit einer höheren Inzidenz der Krebserkrankung assoziiert (13, 15). Bei postmenopausalen Frauen besteht eine Korrelation zwischen BMI und Estradiolkonzentration, da Fettgewebe nach Beginn der Menopause für den Großteil der Estradiolproduktion verantwortlich ist. Der relative Beitrag vom BMI zur Risikoerhöhung beim postmenopausalen Brustkrebs konnte sogar vollständig durch die höheren Estradiolwerte erklärt werden. Die krebsfördernde Wirkung von Estradiol basiert auf dessen Eigenschaft, die Proliferation und das Überleben von normalen und neoplastischen Zellen des Brustgewebes und des Endometriums zu stimulieren (3). Zusätzlich scheint ein komplexes Zusammenspiel zwischen Insulin, der Synthese bzw. Verfügbarkeit von Geschlechtshormonen und der lokalen IGF-1-Konzentration die krebsfördernde Wirkung der Geschlechtshormone zu verstärken. Schlussfolgerung Es besteht kein Zweifel, dass die Vermeidung von Übergewicht und Adipositas das Risiko für mehrere Krebserkrankungen reduziert. Höchstwahrscheinlich wirkt Gewichtsreduktion bei bestehender Adipositas auch protektiv. Eine weitere wichtige Schlussfolgerung ist, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes bzw. Insulinresistenz ein Die damit verbundenen molekularen Mechanismen sind noch weitgehend unbekannt. Das Zusammenspiel der Insulin/ IGF-1-, mTOR- und AMPK-Signalwege rückt in diesem Kontext aber in den Mittelpunkt aktueller Forschungsarbeiten. Weitere relevante Mechanismen stehen im Zusammenhang mit Adipositas-assoziierten pathologischen Erscheinungen, wie der chronisch-systemischen, subakuten Inflammation, dem veränderten Adipokinprofil und dem ektopischen Lipidüberschuss (씰Abb. 1). Es ist im Moment unklar, auf welcher Ebene der Karzinogenese Adipositas-relevante pathogenetische Faktoren wirken, d.h. Tumorinitiation, Progression bzw. Invasion und Metastasierung. In dieser Richtung sind adäquate Tiermodelle notwendig, um relevante und krebsart-spezifische Mechanismen aufzuklären. Die oben genannten Signalwege und Moleküle können auch unabhängig von Adipositas in der Krebsentstehung mitwirken und werden entsprechend in präklinischen und klinischen Studien als Ansatzpunkte eingesetzt. Das Ziel aktueller Forschung sollte somit die zukünftige Anpassung und Optimierung von Krebsbehandlungen bei Adipositas sein, basierend auf dem Verständnis der involvierten Signalwege. Die umfangreiche Literatur zu diesem Artikel finden Sie online unter www.adipositas-journal.de Verantwortlich für Beiträge zur Serie Diabetes: Prof. Alfred Wirth, Bad Rothenfelde Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Buchbesprechungen 213 Engelhardt, Berger, Mertelsmann (Hrsg.) Das Blaue Buch Chemotherapie-Manual – Hämatologie und Onkologie Mit CD-ROM Springer, Berlin, 4. Aufl. 2012, XXIV, 216 S. 3 Abb. Mit CD-ROM. Brosch ISBN 978–3–642–20625–2 In der Hämatologie und Onkologie finden jährlich zunehmend neue komplexe Chemotherapieprotokolle bestehend aus klassischen Zytostatika, monoklonalen Antikörpern und Small molecules in der Praxis Verwendung. Eine Standardisierung von Chemotherapien im Rahmen von SOPs ist heute in den Organkrebszentren und Onkologischen Zentren Standard und erfordert einen hohen logistischen Aufwand. Profitieren tun hier insbesondere die Patienten mit Krebserkrankungen, da durch eine solche Standardisierung inklusive der Anfertigung von individuellen Chemotherapieprotokollen eine deutliche Reduzierung von Fehlern bei der Applikation von Chemotherapien erreicht werden kann. Das Blaue Buch von den Autoren Engelhardt, Berger und Mertelsmann ist eine sehr wertvolle standardisierte Sammlung von Chemotherapieprotokollen inklusive Supportivtherapien und allgemeinen onkologischen Qualitätsindikatoren. Es kommt somit einem opti- malen standardisierten Tool für onkologisch tätige Ärzte sehr nahe. In der elektronischen Version sind darüber hinaus wertvolle Algorithmen und Clincal Pathways zu den meisten Tumorentitäten vorhanden. Eine Implementierung über die elektronische Version in einer Praxis oder in einem Krankenhaus als standardisierte SOP für die Durchführung von Chemotherapien ist problemlos möglich und sicher von hoher Attraktivität für neu zu zertifizierende oder auch bereits bestehende Organkrebszentren und Onkologische Zentren. Kleinere Kritikpunkte, die in der nächsten Auflage berücksichtigt werden können sind das Fehlen von Erlotinib und Gefitinib beim EGFR-mutierten NSCLC sowie Bevacizumabhaltige platinhaltige Triplets beim NSCLC, Chemotherapieprotokolle bzw. Radiochemotherapieprotokolle für das Rektum-Karzinom. Die neuen Targeted-Therapien für das NierenzellKarzinom sind wahrscheinlich aufgrund der Drucklegung noch nicht inkludiert. Von der Nomenklatur wäre auch eine schärfere Trennung der Ösophagus-Karzinome in Plattenepithelund Adeno-Karzinome bei den Protokollen sinnvoll und in Analogie die Verwendung von Chemotherapieprotokollen bei Magen-Karzinomen auch bei AEG-Tumoren des Ösophagus. Während das im Blauen Buch vorgestellte sogenannte Naunheim-Radiochemotherapieprotokoll für Plattenepithel-Karzinome des Ösophagus sicherlich heute weiterhin einen Standard darstellt, wäre für die AEG-Tumoren das sequenzielle Chemotherapie /Radiochemotherapieprotokoll von Stahl et al. eine sinnvolle Ergänzung. Für ältere Patienten mit metastasiertem Magen-Karzinom empfiehlt sich das von der AIO entwickelte FLO-Protokoll mit aufzunehmen. Das Capiri- bzw. Capiri/Bevacizumab-Protokoll beim CRC entspricht von der Nomenklatur her dem von der AIO entwickelten dosisreduzierten XELIRI-Protokoll. Zusammenfassend halte ich das Blaue Buch für eine extrem wertvolle standardisierte SOP für alle onkologisch tätigen Ärzte, der modulare Aufbau hilft für die regelmäßig notwendigen Aktualisierungen. Ich selbst benutze das Blaue Buch regelmäßig zum Nachschlagen. Insbesondere für Praxen, Onkologische Schwerpunkte, Onkologische Zentren oder Organkrebszentren, die noch keine strukturierte Chemotherapieprotokollverwaltung im Rahmen von SOPs implementiert haben, ist die Papier- und insbesondere die elektronische Version des Blauen Buchs von hohem Interesse. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung und Aktualisierung wird das Blaue Buch meines Erachtens auch in Zukunft ein sehr wichtiges Qualitätssicherungsinstrument für alle onkologisch tätigen Ärzte darstellen. Den Autoren kann man zur akribischen und detaillierten Arbeit gratulieren. © Schattauer 2012 Prof. Dr. Michael Geißler, Esslingen Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Tumorbiologie 214 Diagnostik, Prognoseabschätzung und Therapieauswahl Biomarker – vom Labor zur Routine Auf aussagekräftige Biomarker werden in der Onkologie viele Hoffnungen gesetzt. Sie sollen zur frühzeitigen Diagnose eingesetzt werden können, zur Verlaufsbeobachtung geeignet sein und vor allem auch bei der Prognoseabschätzung und der Wahl geeigneter Therapeutika helfen. Zahlreiche mögliche Kandidaten sind inzwischen bekannt. Ein Symposium beschäftigte sich auf dem Deutschen Krebskongress mit dem derzeitigen Stand. Einer der möglichen zukünftigen Biomarker sind die so genanten microRNAs (miRNAs), erläuterte Dr. Stephan Hahn, Bochum. Hierbei handelt es sich um nicht-kodierende RNAs mit 17–22 Nukleotiden, die an der Modulation praktisch aller zellulären Prozesse beteiligt sind. Auch bei der Unterdrückung von Onkogenen scheinen sie eine wichtige Rolle zu spielen, was sie als Biomarker für Krebserkrankungen interessant macht. Tatsächlich lassen sich bei Krebspatienten gehäuft Fehl-Expressionen der miRNAs nachweisen, so Hahn. Die formellen Voraussetzungen für die Biomarker-Entwicklung erfüllen die miRNAs sehr gut. Zum einen ist eine hohe Stabilität in Gewebe und verschiedenen Körperflüssigkeiten wie Blut, Stuhl, Urin etc. nachgewiesen worden. Zum anderen existieren bereits spezifische, sensitive und einfache Nachweismethoden mittels Array Plattformen, mit denen sich mehr als 800 humane miRNAs nachweisen lassen. MicroRNA als Biomarker zur Gewebeklassifikation Auch erste Daten zur Gewebeklassifikation mittels miRNAs liegen vor. So konnte gezeigt werden, dass sich mittels miRNA die sporadische Mikrosatelliten-Instabilität von der bei HNPCC (hereditary nonpolyposis colorectal cancer) vorhandenen Form abgrenzen lässt. Ebenfalls hilfreich könnten miRNAs in Zukunft bei der Abgrenzung eines Pankreas-Karzinoms von einer chronischen Pankreatitis sein. Auch der Östrogen, Progesteron- und HER2/neu-Rezeptorstatus scheint sich durch einen miRNASignatur voraussagen zu lassen. Als Biomarker im Plasma gibt es erste Daten zur Abgrenzung eines Leberzell-Karzinom von gesunden oder Patienten mit Leberzirrhose oder chronischer Hepatitis. Der Nachweis von miRNA in Stuhlproben könnte zukünftig als Screeningtest für Kolonkarzinome Anwendung finden. Und auch als Prognosemarker könnten miRNAs zur Anwendung kommen, wie erste Daten bei Magenkarzinom-Patienten gezeigt haben. Für alle Anwendungen aber gilt, dass sie erst noch durch gut konzipierte klinische Studien mit großen Fallzahl bewiesen werden müssen. „Molekularer Fingerprint“ als Zukunftsvision Ein „molekularer Fingerprint“ mit Abbildung zahlreicher molekularer Zielstrukturen könnte zukünftig unabhängig von der Tumorentität Standard bei allen Krebspatienten werden, sagte Dr. Joachim Drews, Witten-Herdecke. Die Ergebnisse könnten dann beispielsweisebei der molekularen Bildgebung mittels Positronenemissionstomographie (PET) oder bei der Wahl einer maßgeschneiderten selektiv wirksamen Therapie genutzt werden. Auch die Studienlandschaft wird sich verändern, meinte Drews. Zunehmend wird es Studien geben, die nicht eine bestimmte Tumorentität, sondern Patienten mit einem bestimmten genetischen Profil einschließen. Als Beispiel nannte der Onkologe die onkogene BRAF-Mutation, die sich sowohl bei Melanomen, Schilddrüsenkarzinomen, Ovarialkarzinomen, Kolorektalkarzinomen und anderen soliden Tumoren nachweisen lassen. Maria Weiß, NSCLC als Vorbild Dr. Jan Stöhlmacher-Williams, Dresden erklärte die Rolle der Biomarker am Beispiel des Therapieansprechens beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC). Gut etabliert ist hier das bessere Ansprechen auf Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) bei Nachweis einer EGFR-Mutation, die sich deutlich häufiger bei Adenokarzinomen als bei Plattenepithelkarzinomen findet. Allerdings gibt es hier Unterschiede. Bis zu ein Drittel der Therapienaiven Patienten weisen die EGFR-Mutation T790M auf. Diese Patienten sprechen zwar initial auch gut auf TKI an, sie werden aber schneller resistent. Trotzdem ist die Überlebenszeit der T790M-postiven Patienten länger, was durch eine spätere Metastasierung und ein weniger aggressives Wachstum bedingt sein könnte. Grundsätzlich sollte die EGFR-Analyse heute bei allen Patienten mit NSCLC durchgeführt werden, sagte der Onkologe. Würde man nur klinische Faktoren für das Ansprechen auf TKI heranziehen wie weibliches Geschlecht und Nicht-Raucherstatus, würde man einen Großteil der EGFR-Mutation und damit mögliche Kandidaten für eine TKI-Therapie verpassen. Problematisch ist zur Zeit noch die hohe Fehlerquote bei der EGFR-Testung, die bis zu 20% beträgt, sagte Stöhlmacher-Williams. Ein weiterer Marker bei NSCLC sind Varianten des ALK-EML4-Fusionsroteins, die eine kontinuierliche Proliferationsaktivität vermitteln. Hier ist gezeigt worden, dass positive Patienten besonders gut auf Crizotinib ansprechen. Daher sollten alle Pateinten mit Adenokarzinom ohne KRAS- und EGFR-Mutation getestet werden. Die Relevanz der KRAS-Mutation ist noch nicht abschließend geklärt – gezeigt wurde aber , dass Erlotinib bei positiven Pateinten keinen Vorteil bringt. Nach der Zulassung von Cetuximab sollten alle Patienten mittels eines EGFR-Scores (EGFR-IHC) getestet werden, da eine hohe Intensität der EGFR-Expression hier mit einem besseren Ansprechen auf Cetuximab einherging, berichtete der Onkologe. Quelle: DKK-Kongress 2012; Session „Biomarker in der Therapie solider Tumoren II“ am 23. Februar 2012, Berlin. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Tumorbiologie 215 Zirkulierende Tumorzellen als Prognosemarker Erweiterte Basis für die Therapieentscheidung Disseminierte zirkulierende Tumorzellen sind der Ausgangspunkt für Rezidive und Metastasen. Sie besitzen sowohl beim metastasierten Mammakarzinom als auch beim primären Brustkrebs prognostische Bedeutung. Deshalb besteht ein großes wissenschaftliches Interesse daran, solche Zellen mit immunzytochemischen und molekularen Methoden zu detektieren und zu charakterisieren. Goldstandard für die Detektion von zirkulierenden Tumorzellen (CTC) im Blut ist der immunzytochemische Nachweis mit epithelialen Markern wie Cytokeratinen, Muc-1 und EpCAM. Tumorzell-spezifische Marker stehen kaum zur Verfügung, berichtete Dr. Sabine Riethdorf, Hamburg. Für die immunzytochemische Analyse von Blutproben ist als einziges standardisiertes und automatisches Verfahren das CellSearch®-System kommerziell erhältlich. Das System, das mit Anti-EpCAM-Antikörpern und Anti-Zytokeratin-Antikörpern sowie zum Ausschluss von Leukozyten mit anti-CD45-Antikörpern arbeitet, ist gut validiert, bringt reproduzierbare Ergebnisse und weist eine hohe Sensitivität und Spezifität in der CTC-Detektion auf. Der Nachweis von 5 oder mehr CTC in 7,5 ml Blut ist prognostisch relevant für das progressionsfreie und Gesamtüberleben beim metastasierten Mammakarzinom – nicht nur vor der Therapie sondern zu jedem Zeitpunkt im weiteren Verlauf (2). Evaluationsstudie läuft Um die CTC auch in der Therapie des metastasierten Mammakarzinoms „leitlinienfähig“ zu machen, wird derzeit die Studie SWOG SO500 durchgeführt. Sie prüft, ob Patientinnen, die drei Wochen nach Beginn einer Firstline-Chemotherapie eine erhöhte CTC-Zahl im Blut aufweisen, Überlebensvorteile haben, wenn man sie auf eine andere Chemotherapie umstellt anstatt auf die Progression zu warten. Beim nicht-metastasierten Mammakarzinom gibt es zur Bedeutung der CTC erheblich weniger Daten. In der SUCCESS-Studie fand man CTC vor Beginn der systemischen Therapie bei 21,5% von 2026 nodal positiven Patientinnen sowie nodal negativen Hochrisikopatientinnen (3). Der Nachweis von CTC korrelierte mit dem Lymphknoten-Status und erwies sich auch in der multivariaten Analyse als signifikanter Prädiktor für ein geringeres krankheitsfreies und Gesamtüberleben. Insgesamt sind beim metastasierten Mammakarzinom nur in 50% der Fälle CTC nach- weisbar, beim primären nur in 10–20% (4). „Wir glauben, dass es viel mehr zirkulierende Tumorzellen gibt, als wir gegenwärtig detektieren können“, so Riethdorf. Mit epithelialen Markern findet man wahrscheinlich gerade besonders aggressive CTC im Körper nicht. Denn viele Tumorzellen durchlaufen im Rahmen der Metastasierung eine epithelial-mesenchymale Transition und exprimieren danach keine epithelialen Marker mehr. Deshalb ist eine weitere molekulare und phänotypische Charakterisierung der CTC notwendig. Als Beispiel berichtete Riethdorf, dass sich mit dem CellSearch®-System auch der HER-2-Status der CTC bestimmen lässt. Er stimmt oft nicht mit dem des Primärtumors überein. Ob eine Anti-HER-2-Therapie bei Patientinnen mit HER-2-negativem Primärtumor, aber HER-2-positiven CTC effektiv ist, wird derzeit in einer Studie untersucht. Dr. Angelika Bischoff, Planegg Literatur 1. Bednarz-Knoll N et al. Clinical relevance and biology of circulating tumor cells. Breast Cancer Res 2011; 13(6): 228. 2. Hayes DF et al. Circulating tumor cells at each follow-up time point during therapy of metastatic breast cancer patients predict progression-free and overall survival. Clin Cancer Res 2006; 12: 4218–4224. 3. Rack B et al. Prognostic relevance of circulating tumor cells in the peripheral blood of primary breast cancer patients. Cancer Res 2010; 70 (24 Suppl.); Abstract S6–S5. 4. Wicha MS et al. Circulating tumor cells: Not all detected cells are bad and not all bad cells are detected. J Clin Oncol 2011; 29(12): 1508–1511. Quelle: Symposium „Biomarker in der Therapie solider Tumoren I“ im Rahmen des 30. Deutschen Krebskongresses 2012, 23. Februar 2012, Berlin. © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Tumorbiologie 216 Multiples Myelom Längeres Überleben auch für ältere Patienten Dank der zahlreichen verfügbaren Therapieoptionen lässt sich die Therapie des multiplen Myeloms heute sehr viel besser an die individuellen Patientenbedürfnisse anpassen. Gerade ältere und multimorbide Patienten profitieren davon. Zahlreiche Studien untersuchen inzwischen, welcher Patient von welcher Therapiesequenz am besten profitiert, meinte Priv.-Doz. Dr. Christof Scheid, Köln. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung, einen definiten Überlebensvorteil für innovative Firstline-Therapien zu belegen, da mittlerweile zahlreiche hoch aktive Folgetherapien im Falle eines Rezidivs oder Rückfalls vorhanden sind. Mit dem finalen 5-Jahres-Update der VISTAStudie ist es jetzt jedoch gelungen, den langfristigen Benefit des Proteasom-Inhibitors Bortezomib zu belegen. Dr. Hans Salwender, Hamburg, kommentierte in einem Hintergrundgespräch unter diesem Aspekt die dem finalen 5-Jahres-Update der VISTA-Studie. In der Phase-III-Studie wurden 682 nicht vorbehandelte und nicht für eine Transplantation geeignete MM-Patienten (medianes Alter 71 Jahre, davon 30% ≥75 Jahre) mit Melphalan/Prednison (MP) oder MP plus Bortezomib (Velcade) behandelt. Schon die erste Auswertung nach einem Follow-up von median 16,3 Monaten hatte die Überlegenheit des Tripelregimes für die Endpunkte einschließlich Ansprechen, Zeit bis zum Progress und Überleben gezeigt. Ein signifikanter Überlebensvorteil zeigte sich jetzt nach 60,1-monatiger Beobachtungszeit, so Salwender. Dabei führte das VMP-Regime gegenüber MP zu einer signifikanten Reduktion des Sterberisikos um fast ein Drittel und einer Überlebensverlängerung um 13,3 Monate: Patienten im Kontrollarm überlebten median 43,1 Monate, mit VMP behandelte Teilnehmer dagegen 56,4 Monate (HR 0,695; p = 0,0004). Subgruppenanalysen zeigten einen Überlebensvorteil für mit VMP behandelte Patienten in al- len untersuchten Subgruppen. Besonders stark profitierten Patienten ≥75 Jahre (median 50,7 vs. 32,9 Monate; HR 0,71), ISS-Stadium III (median 42,1 vs. 30,5 Monate; HR 0,67) und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatininclearance <60 ml/min) (median 56,8 vs. 36,7 Monate; HR 0,70). Der Anteil von Patienten mit einem 5-Jahres-Überleben stieg von 34,4% unter MP auf 46% mit dem VMP-Regime. Auch die Zeit bis zur Folgetherapie und das therapiefreie Intervall wurden durch Bortezomib signifikant verlängert (27 vs. 19,2 Monate; p<0,0001 bzw. 16,6 vs. 8,3 Monate; p<0,001). Die Überlebenszeit ab Beginn der Zweitlinientherapie unterschied sich zwischen beiden Regimen mit rund 27 Monaten nicht signifikant. Ein wichtiger Aspekt für die Therapiewahl ist die Nierenfunktion, unterstrich Salwender. Etwa jeder 7. MM-Patient eine eingeschränkte Nierenfunktion bis hin zur terminalen Niereninsuffizienz, in rund 10% ist eine Dialyse erforderlich. Die VISTA-Ergebnisse zeigen hierzu für immerhin rund 31% der Teilnehmer mit Nierenfunktionsstörungen eine Kreatinin-Clearance über 50 ml/Min und eine Komplettremission. Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Satellitensymposium „Zeitgemäße Therapie des multiplen Myeloms“ im Rahmen des Deutschen Krebskongresses 2012 am 23. Februar 2012, Berlin. Veranstalter: Janssen-Cilag Deutschland, Neuss. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. GastroOkologie 217 Metastasiertes kolorektales Karzinom Was leisten neue zielgerichtete Therapieoptionen? Die EGFR-Blockade ist bisher die einzige etablierte zielgerichtete Therapie beim metastasierten kolorektalen Karzinom. Auf dem 20. Münchener Fachpresse-Workshop „Neues und Wissenswertes aus der Onkologie“ beschäftigten sich die Referenten mit dem Stellenwert neuer Substanzen. FOLFIRI einen signifikanten Überlebensvorteil gezeigt. Immer mehr Patienten sind auch nach mehreren Linien Chemotherapie noch in gutem Allgemeinzustand und könnten von einer weiteren Therapie profitieren. Bei mehrfach vorbehandelten Patienten hat Regorafenib als erster Multikinaseinhibitor signifikante Wirksamkeit gezeigt. Stintzing erwartet, dass Regorafenib zunächst in der „last line“ verbleiben wird. Dr. med. Angelika Bischoff, Planegg Literatur Im November 2011 wurde mit Panitumumab ein zweiter EGFR-Antikörper für die Erstlinientherapie von Patienten mit KRAS-WildtypTumoren (ohne EGFR-Mutation) zugelassen. Wie Priv.-Doz. Dr. Sebastian Stintzing, München, ausführte, basierte die Zulassung von Panitumumab (Vectibix®) auf den Ergebnissen der Phase-III-Studie PRIME. Patienten, die Panitumumab plus FOLFOX4 erhielten, erzielten eine signifikant höhere Responserate als Patienten, die mit FOLFOX4 alleine behandelt wurden: 57% versus 48% (p = 0,02). Auch das progressionsfreie Überleben war mit 10,0 versus 8,6 Monate signifikant länger (p = 0,01). Beim Gesamtüberleben zeigte sich ein positiver Trend. In der Zweitlinientherapie verlängerte Panitumumab plus FOLFIRI das mediane progressionsfreie Überleben von Oxaliplatin-vorbehandelten Patienten im Vergleich zu FOLFIRI alleine signifikant von 4,9 auf 6,7 Monate (p = 0,023). Auch hier wurde ein positiver Trend beim Gesamtüberleben beobachtet. Diese Daten führten zur Zulassung des EGFR-Antikörpers bei Oxaliplatin-vorbehandelten Patienten in Kombination mit FOLFIRI. Eine Fortsetzung der Therapie mit Bevacizumab in der second-line nach Progression hat in einer Phase-III-Studie einen Überlebensvorteil von 1,4 Monaten gebracht. Auch ein zweiter Angiogenesehemmer, Aflibercept, hat sich in der Zweitlinientherapie in Kombination mit Neue Impulse für die orale 5-FU-Therapie Mit Teysuno® wird in Deutschland ein neuartiges, oral zu verabreichendes Medikament zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit fortgeschrittenem Magenkarzinom eingeführt, das seit 2011 in Europa in Kombination mit Cisplatin zugelassen ist. Das Medikament enthält das Zytostatikum Tegafur sowie Gimeracil und Oteracil. Tegafur ist ein Prodrug von 5-FU mit guter oraler Bioverfügbarkeit. Gimeracil und Oteracil sollen dazu beitragen, dass Tegafur bereits bei niedrigerer Dosierung wirksam ist und eine geringere Toxizität besitzt als Tegafur allein. Die empfohlene Standarddosis bei Gabe in Kombination mit Cisplatin ist 25 mg/m2 (angegeben als Tegafurgehalt) zweimal täglich (morgens und abends) über 21 aufeinander folgende Tage gefolgt von einer siebentägigen Pause. Dieser Zyklus wird alle vier Wochen wiederholt. Die EU-Zulassung beruht auf den Ergebnissen der FLAGS-Studie (First-Line Advanced Gastric Cancer Study), der bislang größten internationalen Phase-III-Studie an Patienten mit fortgeschrittenem Magenkrebs (1). In der Studie war eine Kombinationstherapie mit Teysuno und Cisplatin genauso wirksam wie die 1. Douillard JY et al. Final Results from PRIME: Randomized phase III study of panitumumab (pmab) with FOLFOX4 for first line metastatic colorectal cancer (mCRC). ASCO Meeting Abstracts; J Clin Oncol 2011; 29(Suppl): 3510. 2. Peeters M et al. Randomized phase III study of panitumumab with fluorouracil, leucovorin, and irinitecan (FOLFIRI) compared with FOLFIRI alone as second-line treatment in patients with metastatic colorectal cancer. J Clin Oncol 2010; 28: 4706–4713. 3. Arnold D et al. Bevacizumab (BEV) plus chemotherapy (CT) continued beyond first progression in patients with metastatic colorectal cancer (mCRC) previously treated with BEV plus CT: Results of a randomized phase III intergroup study (TML study). ASCO Meeting Abstracts 30: CRA3503. Quelle: 20. Münchener Fachpresse-Workshop „Neues und Wissenswertes aus der Onkologie“, unterstützt von Amgen und Mundipharma am 26. Juli 2012, München. Kombination 5-Fluorouracil (5-FU)/Cisplatin i. v., zeigte aber ein deutlich besseres Sicherheitsprofil bei hämatologischen und nicht-hämatologischen Nebenwirkungen. Auffällig war, dass kein Hand-Fuß-Syndrom Grad 3/4 berichtet wurde. Das Medikament ist seit 1999 in Japan zugelassen und wurde bei über 870 000 Patienten in Japan und Asien angewendet. Red Literatur 1. Ajani JA et al. Multicenter phase III comparison of cisplatin/S-1 with cisplatin/infusional fluorouracil in advanced gastric or gastroesophageal adenocarcinoma study: the FLAGS trial. J Clin Oncol 2010; 28: 1547–1553. © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. GastroOnkologie 218 Gastrointestinale Tumore Neues für den Versorgungsalltag Auf einer Post-ASCO-Veranstaltung der Gesellschaft für gynäkologische Onkologie (NOGGO) wurden auch dem Gebiet der gastrointestinalen Tumoren vom diesjährigen ASCO einige Studien vorgestellt, die für die Versorgungsrealität in Deutschland wichtig werden könnten. Bei den kolorektalen Karzinome sind zwei Aspekte vom diesjährigen ASCO-Meeting klinisch relevant, sagte Prof. Hanno Riess, Berlin. Zum einen verdichten sich die Daten, dass auch ältere Patienten (> 70 Jahre), bzw. solche mit einer klinisch relevanten Co-Morbidität im Stadium III des Kolonkarzinoms von einer oxaliplatinhaltigen adjuvanten Therapie profitieren. Zum anderen wurde in mehreren Beiträgen deutlich, dass die Hemmung der Tumorangiogenese ein wichtiges Therapieprinzip zusätzlich zur zytostatischen Chemotherapie darstellt, welches nicht nur in einer Therapielinie, sondern auch nach Krankheitsprogress unter Angiogenese-Hemmstoff-haltiger Vortherapie die Fortführung der Angiogenesehemmung in der Folgetherapie rechtfertigt. Zudem wird deutlich, dass intensitätsreduzierte Erhaltungstherapien mit zielgerichteten Therapeutika wirksam und sinnvoll sein können. In der Zweitlinien-Therapie des Magenkarzinoms hat sich der in Deutschland entwickelte und eingeführte Standard der Zweitlinien-Therapie mit dem Zytostatikum Irinotecan als wirksam bestätigt, bei Irinotecan-Unverträglichkeit kann wöchentliches Paclitaxel mit vergleichbarer Wirksamkeit angewendet werden (WJOG4007-Studie). c-MET-Inhibitoren beim Magenkarzinom Als neues Therapieprinzip entwickelt sich der Einsatz von c-MET-Inhibitoren beim Magenkarzinom, insbesondere aber in der klinisch dringend erwarteten Zweitlinientherapie bei Patienten mit hepatozellulären Karzinomen (HCC). Dabei zeigt sich, dass eine hohe c-MET-Expression ein prognostisch ungünstiges Zeichen ist, dass aber andererseits insbesondere diese Patienten von der Therapie mit einem c-MET-Inhibitor (Tivantinib) stark profitieren (Muro et al.). Es steht zu erwarten, dass dieses Therapieprinzip rasch Eingang in die klinische Praxis finden wird. Rainer Bubenzer, Berlin Quelle: Pressegespräch der Nordostdeutschen Gesellschaft für gynäkologische Onkologie e. V. (NOGGO): Personalisierte Krebstherapie – Heilung in Sicht?“ am 13. Juni 2012, Berlin. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Radio-Onkologie © Schattauer 2012 Partialbrustbestrahlung nach Mammakarzinom Intra- und perioperative Bestrahlungsmöglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung des INTRABEAM-Systems U. Köppen1 1Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, Katharinenhospital - Klinikum Stuttgart (Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Marc Münter) Schlüsselwörter Keywords Brusterhaltende Therapie, Akzelerierte Teilbrustbestrahlung, Intraoperative Strahlentherapie, Ganzbrustbestrahlung Breast conserving surgery, accelerated partial breast irradiation, intraoperative radiotherapy, whole breast irradiation Zusammenfassung Summary Radioonkologischer Standard im Rahmen der Brusterhaltenden Therapie ist nach wie vor die postoperative Ganzbrustbestrahlung mit zusätzlicher Aufsättigung der ehemaligen Tumorregion. Zahlreiche Bestrahlungstechniken wurden mittlerweile entwickelt, um den strahlentherapeutischen Boost der ursprünglichen Tumorlokalisation in den operativen Eingriff zu integrieren oder ihn ihm unmittelbar anzuschließen. Neben dem INTRABEAMSystem werden weitere Modalitäten zur alleinigen Radiatio des Tumorbetts bzw. in Kombination mit Ganzbrustbestrahlung dargestellt. Standard breast conserving surgery routinely entails adjuvant whole breast irradiation plus a boost to the original tumour site. A wide variety of techniques has been developed to integrate the boost into the operation or add it as a short radiation procedure to the initial therapy. This survey focuses on the INTRABEAM system and other modalities aimed at sterilizing the tumour cavity with and without additional irradiation of the whole breast. Korrespondenzadresse Dr. Dr. med. Ulrich Köppen Oberarzt der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie Katharinenhospital – Klinikum Stuttgart Kriegsbergstr. 60, 70174 Stuttgart Tel.: ++49 7 11 / 27 83 42 01, Fax: -27 83 42 98 Email: [email protected] Accelerated partial breast irradiation in breast conserving therapy. Intra- and perioperative brachytherapy with focus on the INTRABEAM system Onkologische Welt 2012; 3: 219–223 In zahlreichen randomisierten klinischen Studien konnte wiederholt gezeigt werden, dass beim frühen Mammakarzinom radikale Mastektomie und Brusterhaltende Operation vergleichbare Therapieergebnissen zeitigen (z.B. 1, 2). Entscheidenden Anteil am Erfolg der in bis zu 80% der entsprechenden Fälle heute eingesetzten Brusterhaltenden Therapie hat die perkutane Nachbestrahlung der betroffenen Mamma. Diese adjuvante Radiatio ist in der Lage, mikroskopische Tumorzellnester zu sterili- kann, in dem der Boost-Anteil bereits intra- bzw. perioperativ appliziert wird oder aber indem auf die Ganzbrustbestrahlung zugunsten einer partiellen Radiatio der operierten Brust – mit Erfassung nämlich nur der ehemaligen Tumorregion – verzichtet wird. Grundüberlegung ist dabei die Tatsache, dass die überwiegende Mehrzahl der Mammakarzinom-Rezidive im Bereich des ursprünglichen Tumorgeschehens oder in dessen unmittelbarer Nachbarschaft zu beobachten ist. Mit der nachfolgenden Übersicht soll auch eine Abgrenzung der sich inhaltlich zum Teil überlappenden Begrifflichkeiten der akzelerierten Partialbrust- und der Boost-Bestrahlung versucht werden. Akzelerierte Partialbrustbetrahlung sieren und damit die Lokalrezidivrate und die Mortalität deutlich zu senken. Durch eine zusätzliche, heute standardmäßig durchgeführte Aufsättigung des Tumorbetts (sog. Boost-Bestrahlung) lässt sich in allen Alters- und Risikogruppen die Lokalrezidivrate weiter reduzieren, wobei dieser Effekt bei jüngeren Patientinnen mit höherem Lokalrezidivrisiko nachweislich ausgeprägter ist (3, 4). Seit Jahren wird intensiv der Frage nachgegangen, ob die mehrwöchige Nachbestrahlung verkürzt werden Die Teilbrustbestrahlung bzw. akzelerierte Partialbrustbestrahlung (accelerated partial breast irradiation, in der Fachliteratur meist APBI abgekürzt) unterscheidet sich methodisch und hinsichtlich ihrer Dosierung von der ca. fünfwöchigen sog. Ganzbrustbestrahlung (whole breast irradiation, abgekürzt: WBI), die eine homogene Nachbestrahlung der gesamten Brust einschließlich angrenzender Thoraxwand mit Dosen von 45–50 Gy in arbeitstäglichen Einzelfraktionen von 1,8–2,0 Gy beinhaltet und in aller Regel durch eine fünf- bis achttägige Boost-Bestrahlung des Tumorbetts um weitere 10–16 Gy komplettiert wird. Dabei kann die APBI als vorgezogener Boost in Form einer intraoperativen Aufsättigung des Tumorbetts (intraoperative radiation therapy, abgekürzt: IORT) vor nachfolgender, heutzutage praktisch ausnahmslos mittels Linearbeschleuniger (씰Abb. 1) Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 219 220 U. Köppen: Partialbrustbestrahlung nach Mammakarzinom ration in einem separaten und bezüglich Strahlenschutz entsprechend ausgestatteten Operationssaal voraussetzt. Die intraoperative Elektronen-Bestrahlung dauert aufgrund der vergleichsweise hohen Dosisrate nur wenige Minuten, während die IORT mit Röntgenstrahlen einschließlich Vor- und Nachbereitung die OP-Dauer um 30–50 Minuten verlängert (5). Gleichzeitig wird allerdings die Gesamtbestrahlungszeit (bei Anwendung als Boost) um 5–8 Tage verringert. APBI mit anderen strahlentherapeutischen Verfahren Abb. 1 Linearbeschleuniger der Fa. VARIAN Medical Systems GmbH (Foto: Fa. VARIAN Medical Systems GmbH, Darmstadt) durchgeführter WBI erfolgen oder aber auf unterschiedlichste Art und Weise als alleinige Therapiemodalität zum Einsatz kommen. Die IORT als Boost ist zwischenzeitlich fest etabliert, als alleinige Therapiemodalität, bleibt sie, von Ausnahmen abgesehen, zunächst dem Einsatz in Studien vorbehalten. APBI als IORT im Sinne eines vorgezogenen Boosts des Tumorbetts Nach operativer Entfernung des Primärtumors mit histopathologischer Sicherung einer R0-Situation stehen im wesentlichen zwei unterschiedliche strahlentherapeutische Modalitäten zur Verfügung: Radiatio des Tumorbetts mit niederenergetischen Röntgenstrahlen (INTRABEAM-System, Carl Zeiss Meditec AG, Oberkochen, 씰Abb. 2) oder aber mit schnellen Elektronen eines Linearbeschleunigers (z.B. Mobetron, IntraOp Medical Corp., Sunnyvale/ USA). Beim brachytherapeutischen Vorgehen mit dem INTRABEAM-System kommen sphärische Applikatoren bis max. 5 cm Durchmesser zum Einsatz, während bei der Teletherapie mit schnellen Elektronen aufgrund der nach vorwärts gerichteten Strahlung ein nahezu zylindrisches Volumen bestrahlt wird. Der Einsatz der 50 KV-Röntgenquelle des INTRABEAM-Systems macht im Operationssaal vergleichbar mit dem Einsatz eines Durchleuchtungsgeräts keinen speziellen Strahlenschutz erforderlich, während die Anwendung schneller Elektronen aus Strahlenschutzgründen eine Abschirmung z.B. mit mobilen Bleiplatten oder aber die Durchführung der Ope- Neben den beiden zuvor genannten Verfahren stehen noch eine ganze Reihe weiterer Methoden zur Verfügung, mit denen sich die Gesamtbestrahlungszeit nach Brusterhaltender Operation verkürzen lässt (6). Von einer Beschleunigung des Bestrahlungsprozesses z.B. durch hypofraktionierte und möglicherweise auch intensitätsmodulierte Techniken (7) abgesehen, sind hinsichtlich der Häufigkeit ihres Einsatzes vor allem zwei intra- bzw. peri-/postoperative Brachytherapie-Formen im HDR-Afterloading-Verfahren (NachladeKontakttherapie mit hoher Dosisleistung) zu nennen. Bei der intrakavitären Ballonkatheter-Brachytherapie (z.B. mit dem MammoSite-System der Hologic Inc., Bedford/USA oder dem Contura-System der SenoRx Inc., Aliso Viejo/USA) wird in das Tumorbett intra- oder postoperativ ein die ehemalige Wundhöhle ausfüllender Ballon eingebracht, in dessen Zentrum sich ein einzel- oder mehrlumiger Katheter befindet. In den bzw. die Katheter wird im Nachladeverfahren die HDR-Iridiumquelle über einen in aller Regel mehrtägigen Zeitraum wiederholt eingeführt wird, um eine vorher festgelegte Gesamtdosis im Zielgebiet einzustrahlen. Dabei scheint sogar eine deutliche Verkürzung der Ballonkatheter-Liegezeit ohne verstärkte Nebenwirkungen, insbesondere auch ohne vermehrte Fibrosebildung und ohne wesentliche Beeinträchtigung des kosmetischen Ergebnisses möglich (8). Wesentlich häufiger noch wird in Europa jedoch die perioperative/postoperative Brachytherapie mittels interstitieller Multikatheter-Technik realisiert (씰Abb. 3). Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. U. Köppen: Partialbrustbestrahlung nach Mammakarzinom a b c d Abb. 2 Schematische Darstellung des INTRABEAM-Einsatzes (Foto: Fa. Carl Zeiss Meditec AG, Oberkochen); a) Mammatumor in situ, b) Mammatumor reseziert, c) In der Tumorhöhle platzierter INTRABEAM-Applikator, d) Zustand nach Bestrahlung und Wundverschluss Interstitielle Multikatheter-Brachytherapie Die Durchführung der interstitiellen Multikatheter-Brachytherapie setzt erhebliche strahlentherapeutische Expertise voraus, trägt doch der interventionelle Radioonkologe die Verantwortung für die Planung der Implantation und für die Festlegung des sogenannten Planungszielvolumens (9). Amerikanische und europäische Expertengruppen (ASTRO bzw. GEC-ESTRO) haben umfangreiche Empfehlungen zu Selektionskriterien für den alleinigen Einsatz der interstitiellen Multikatheter Brachytherapie erarbeitet (10, 11), auch wenn die eben aktualisierte interdisziplinäre S3-Leitlinie die APBI im Sinne einer alleinigen intraoder postoperativen Bestrahlungsbehandlung unter Verzicht auf eine anschließende Homogenbestrahlung der gesamten Brust bisher als experimentelles Vorgehen gewertet hat (4, Text 2008). Der europäische bzw. US-amerikanische Expertenkonsensus hinsichtlich geeigneter Patientinnen für eine alleinige APBI ist in 씰Tab. 1 aufgelistet. Bei der alleinigen interstitiellen Brachytherapie werden im HDR-Verfahren 32–34 Gy in 8–10 Fraktionen a 3,4 bis 4 Gy zweimal täglich eingestrahlt, als Boost vor Ganzbrustbestrahlung reduziert sich die Dosis auf 8–10 Gy in 1–2 Fraktionen. Die zitierten ASTRO- und GEC-ESTRO-Empfehlungen lassen sich durchaus auf laufende, größer angelegte Studien zur alleinigen IORT anwenden (12), weshalb im Nachfolgenden auf die beiden in diesem Zusammenhang am häufigsten zitierten Protokolle eingegangen werden soll. Die ELIOT-Studie Veronesi et al. berichteten 2010 (13) über 1822 Patientinnen, die mittels mit 5–10 MeV Elektronen eines mobilen Linearbeschleunigers intraoperativ eine einzeitige Bestrahlung des Tumorbetts mit einer Dosis von 21 Gy erhalten hatten. Aufgenommen in die Studie wurden vor allem Brustkrebspatientinnen mit relativ günstigem prognostischen Profil bezogen auf Grading, Tumorgröße und fehlendem Lymphknotenbefall. Bei einem damals mittleren Follow-up von 36 Monaten war eine Lokalrezidivrate von 3,6% beobachtet worden. Unerwünschte Nebenwirkungen im Sinne ausgeprägter Fibrosen waren nur bei zwei Studienteilnehmerinnen beobachtet worden, gering bis mäßig ausgeprägte bindegewebige Verhärtungen (“mild fibrosis“) im Bereich des intraoperativ bestrahlten Brus- Tab. 1 Empfehlungen der ASTRO bzw. GECESTRO für den Einsatz der alleinigen APBI (“good candidates“, Abkürzungen: v.a. vor allem, DCIS duktales in situKarzinom, EIC extensive intraduktale Tumorkomponente, LCIS lobuläres in situ-Karzinom) Abb. 3 Interstitielle Multikathether-Brachytherapie (Foto: Fa. VARIAN Medical Systems GmbH, Darmstadt) Kriterien/Parameter ASTRO GEC-ESTRO Alter ≥60 Jahre >50 Jahre Histologie v.a. invasiv-ductales Ca dito Tumorgröße ≤20 mm ≤30 mm tumorfreier Präparatesaum mind. 2 mm dito Grading jegliches dito DCIS vorhanden nicht zulässig dito EIC vorhanden nicht zulässig dito LCIS vorhanden zulässig dito Multizentrizität nicht zulässig dito Multifokalität nicht zulässig dito Rezeptorstatus ER positiv jeglicher Nodalstatus pN0 dito Neoadjuvante Chemotherapie nicht zulässig dito © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 221 222 U. Köppen: Partialbrustbestrahlung nach Mammakarzinom tareale immerhin bei 32%. Bei einer Niedrigrisiko-Kohorte von 226 Patientinnen war nach einem mittleren Follow-up von knapp 4 Jahren sogar nur ein Lokalrezidiv diagnostiziert worden (14). Die insgesamt relativ kurze Nachbeobachtungszeit lässt jedoch noch nicht die Annahme einer Gleichwertigkeit gegenüber der konventionellen Ganzbrustbestrahlung zu (15). Weitere die gesamte Studienpopulation umfassende Ereignisse stehen derzeit aus. dem Lebensalter der Patientin die Lokalrezidivrate abnimmt, soll im Rahmen einer zwischenzeitlich angelaufenen Studie mit hochselektioniertem Patientenkollektiv die Wirkung der alleinigen IORT weiter überprüft werden. Dieses TARGIT E(lderly)Protokoll sieht die Aufnahme von maximal 265 Patientinnen über einen Rekrutierungszeitraum von fünf Jahren vor (18). Die TARGIT E-Studie Die TARGIT A-Studie Erhebliches Interesse an der APBI wurde vor allem durch ebenfalls 2010 hochrangig publizierte Ergebnisse der sogenannten TARGIT A-Studie geweckt (16). In der zwischenzeitlich geschlossenen Studie wurden 1113 Patientinnen in einen Arm mit IORT randomisiert, 1119 in einen Arm mit Ganzbrustbestrahlung. Die IORT erfolgte mit dem INTRABEAM-System (Fa. Carl Zeiss Meditec AG, Oberkochen) unter Anwendung von niederenergetischer (50 kV) Röntgenstrahlung bei einmaliger Applikation von 20 Gy im Tumorbett. Bei 15% der IORT-Patientinnen kam wegen ungünstiger histomorphologischer Kriterien (z.B. invasiv-lobulärem Karzinom oder extensiver intraduktaler Komponente – EIC) die zusätzliche Ganzbrustbestrahlung zur Anwendung. Bei mit der ELIOT-Studie vergleichbaren, ausgezeichneten kosmetischen Ergebnissen wurden in der TARGIT A-Studie eine Lokalrezidivrate nach vier Jahren von nur 1,2% beobachtet, nach Ganzbrustbestrahlung 0,95%. Vermehrte radiogene Toxizität bzw. unerwünschte strahlentherapeutische Späteffekte wurden bei 3,3% der TARGIT-Patientinnen und bei 3,9% der mittels Ganzbrustbestrahlung behandelten Patientinnen registriert. Als eine mögliche Ursache der im Vergleich mit der ELIOT-Studie geringeren Lokalrezidivrate wurde im Sinne einer differenten Patientenselektion die bei TARGIT A kleinere Anzahl eingeschlossener G3-Tumoren und geringe Zahl eventuell befallener axillärer Lymphknoten diskutiert (17). Die Aktualisierung der TARGIT A-Studienergebnisse wird im Herbst d.J. mit Spannung erwartet. Da bei kleinen Tumoren mit zunehmen- Vorgesehen ist die alleinige IORT mit dem INTRABEAM-System bei Frauen ≥70 Jahren mit sehr günstigem Ausgangsstadium (cT1 cN0 M0) und invasiv-duktalem Mammakarzinom, welches sich mammographisch, sonographisch oder stanzbioptisch mit einem Durchmesser ≤2 cm präsentiert. Risikofaktoren wie Multifokalität/ Multizentrizität oder EIC bzw. Lympangiosis im Stanzbiopsat stellen Ausschlusskriterien dar. Nach brusterhaltender Operation mit Sentinel-Lymphonodektomie und IORT erfolgt dann keine Nachbestrahlung der Ganzbrust. Sollte die endgültige pathologische Befundung der Operationspräparats allerdings eine andere Morphologie, einen größeren Tumordurchmesser oder genannte Risikofaktoren zeigen, ist eine postoperative Nachbestrahlung der betroffenen Brust vorzusehen. Endpunkte der TARGIT E-Studie sind Lokalrezidivrate, ipsilaterales Mammakarzinomrezidiv, Mammakarzinom-spezifisches Überleben, Gesamtüberleben, Auftreten kontralateraler Mammakarzinome sowie kosmetische Ergebnisse und Lebensqualität. Kritik an ELIOT- und TARGIT-Studienergebnissen Die Zwischenergebnisse der zitierten IORT-Studien haben in der Fachpresse zu einem teilweise heftig geführten Schlagabtausch von Befürwortern und Kritikern der Methoden geführt, wobei vor allem auf die unterschiedliche Radiobiologie der Verfahren, die insgesamt (noch) kurze Nachbeobachtungszeit und die sich bisher vornehmlich auf Akuttoxizität konzentrierenden Berichte zum Nebenwirkungsprofil bei naturgemäß fehlender Angabe zu möglichen Spätkomplikationen abgehoben wird (17, 19, 20, 21, 22). Eine vorläufig abschließende Beurteilung ist sicher erst in zehn Jahren oder noch später zu erwarten, also nach einem Zeitraum, in dem die Wahrscheinlichkeit des Auftretens später Lokalrezidive, anderer Inbrustrezidive oder von Komplikationen durchaus nennenswert ist und für den weiteren Einsatz solch innovativer Behandlungsmethoden ausschlaggebend sein kann. Interessenkonflikt Der Verfasser hat Vortrags- und Autorenhonorare der Fa. Carl Zeiss Meditec AG, Oberkochen erhalten. Fazit für die Praxis Mit enormem Interesse verfolgen in den vergangenen Monaten und Jahren Gynäkologen, Strahlentherapeuten und andere senologisch interessierte Fachgruppen die Partialbrustbestrahlung in unterschiedlichster Technik bei oder nach brusterhaltend operiertem Mammakarzinom, dies bei einem entsprechend selektionierten Patientengut und gleichzeitigem Verzicht auf eine adjuvante Nachbestrahlung der Restbrust (23, 24, 25, 26). Längere Nachbeobachtungszeiten sind erforderlich, um zu demonstrieren, ob die vielversprechenden Ergebnisse laufender Studien zur alleinigen APBI sich mit den ausgezeichneten Resultaten nach postoperativer Ganzbrustbestrahlung messen können, oder aber sich eine Überlegenheit anderer Therapieansätze (z.B. Hypofraktionierung [27]) herauskristallisiert. Einstweilen jedoch stellt „die Teilbrustbestrahlung als alleinige intra- oder postoperative Bestrahlungsbehandlung keinen Therapiestandard dar“, so die aktuelle S3-Leitlinie (4). Sie ist jedoch jetzt schon eine Option bei Patientinnen, bei denen eine Homogenbestrahlung der gesamten Brust aus unterschiedlichsten Gründen (z.B. bei radiogener Vorbelastung oder bei entsprechender Komorbidität) nicht möglich ist (28, 29), wobei in jüngster Zeit auch die interstitielle Multikatheter-Brachytherapie an Bedeutung zu gewinnen scheint (30, 31). Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. U. Köppen: Partialbrustbestrahlung nach Mammakarzinom Literatur 1. Fisher B et al. Twenty-year follow-up of a randomised trial comparing total mastectomy, lumpectomy, and lumpectomy plus irradiation for the treatment of invasive breast cancer. N Engl J Med 2002; 347: 1233–1241. 2. Veronesi U et al. Twenty-year follow-up of a randomizsed study comparing breast conserving surgery with radical mastectomy for early breast cancer. N Engl J Med 2002; 347: 1227–1232. 3. Bartelink H et al. Impact of higher radiation dose on local control and survival in breast-conserving therapy for early breast cancer: 10-year results of the randomized boost versus no boost EORTC 2281–10882 trial. J Clin Oncol 2007; 25: 3259–3265. 4. Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (Hrsg.) Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. 1. Aktualisierung 2008; Zuckschwerdt: München; ferner: Langversion 3.0, Aktualisierung 2012. 5. Wenz F. Intraoperative Strahlentherapie, 169–173 in: Kreienberg, R. et al. Mammakarzinom Interdisziplinär. 4. Aufl. 2010; Springer: Berlin/Heidelberg. 6. Hepel JT, Wazer DE. A comparison of brachytherapy techniques for partial breast irradiation. Brachytherapy 2012; 11: 163–175. 7. 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Haviland JS et al. Intraoperative radiotherapy for early breast cancer. Lancet 2010; 376: 1142; author reply 1143–1144. 22. Cameron D et al. Intraoperative radiotherapy for early breast cancer. Lancet 2010; 376: 1142; author reply 1143–1144. 23. Azria D et al. Partial breast irradiation: new standard for selected patients. Lancet 2010; 376: 71–72. 24. Bar Ad V. Accelerated partial breast irradiation – pros and cons. Rev Recent Clin Trials 2011; 6: 1–6. 25. Wenz F, Kraus-Tiefenbacher U. Intraoperative radiotherapy for breast cancer. 2011; Uni-Med: Bremen. 26. Khan AJ et al. Ultrashort courses of adjuvant breast radiotherapy: wave of the future or a fool’s errand? Cancer 2012; 118: 1962–1970. 27. Keshtgar MRS et al. Targeted intraoperative radiotherapy for breast cancer in patients in whom external beam radiation is not possible. Int J Rad Oncol Biol Phys 2011; 80: 31–38. 28. Smith GL et al. Brachytherapy for accelerated partial-breast irradiation: a rapidly emerging technology in breast cancer care. J Clin Oncol 2011; 29: 157–165. 29. Ferraro DJ et al. Comparison of accelerated partial breast irradiation via multicatheter interstitial brachytherapy versus whole breast irradiation. Radiat Oncol 2012; 7: 53. 30. Shah C. Comparison of survival and regional failure between accelerated partial breast irradiation and whole breast irradiation. Brachytherapy 2012; 11: 311–315. © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 223 DEGRO Kongress 224 18. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie Adjuvante Radiotherapie beim Mammakarzinom – ein Update Neue Ergebnisse zur periklavikulären Bestrahlung, zur intraoparativen Radiotherapie im Vergleich zur externen Ganzbrust-Bestrahlung bzw. einer Kombination aus beidem in der adjuvanten Brustkrebsbehandlung sowie Daten zu der äußerst seltenen Entität des Mammakarzinoms bei Männern gehörten zu den interessanten Themen, die auf dem diesjährigen Radioonkologen-Kongress in Wiesbaden zur Sprache kamen. Bei Mammakarzinom-Patientinnen mit mehr als vier positiven Lymphknoten ist die periklavikulare Bestrahlung im Rahmen der adjuvanten Therapie etabliert. An der Medizinischen Hochschule Hannover wurde geprüft, ob diese Therapie auch etwas bringt, wenn weniger Lymphknoten befallen sind. Eingeschlossen wurden 235 Patientinnen mit T1– oder T2-Tumoren und ein bis drei positiven Lymphknoten, die nach brusterhaltender Therapie radiotherapiert wurden. Bei etwa 30% der Lymphknotenmetastasen lag ein Kapseldurchbruch vor. Neben der Ganzbrustbestrahlung erhielten 67 Patientinnen eine Radiotherapie des ipsilateralen periklavikulären Lymphabflussgebiets, die übrigen nicht. Everolimus jetzt auch beim fortgeschrittenen Mammakarzinom zugelassen Beim fortgeschrittenen Mammakarzinoms ist jetzt mit dem mTOR-Inhibitor Everolimus (Afinitor®) ein neues Wirkprinzip verfügbar. Zugelassen ist Everolimus bei postmenopausalen Frauen in Kombination mit Exemestan beim Hormonrezeptor-positiven (HR+), HER2B/neu-negativen, fortgeschrittenen Mammakarzinom ohne symptomatische viszerale Metastasierung nach Rezidiv oder Progression unter einem nicht-steroidalen Aromataseinhibitor. In der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studie BOLERO 2 (n = 724) betrug das mediane progressionsfreie Überleben im 18-Monats-Follow-up 11,0 Monate im Vergleich zu 4,1 Monaten unter Placebo und Exemestan (HR 0,38; 95 % KI: 0,31–0,48; p<0,0001). Die Verlaufskurven der beiden Therapiearme teilten sich schon nach etwa nach 6 Wochen, so Dr. Friedrich Overkamp, Recklinghausen, dass die Patientinnen früh von der mTOR-Inhibition profitieren. Insgesamt wurde in BOLERO 2 für 51,3 % unter Everolimus/ Exemestan ein klinischer Nutzen (CR, PR, SD) beobachtet. Unter Placebo und Exemestan waren es 26,4% (p<0,0001). Sicherheitsprofil im erwarteten Rahmen Mit Everolimus konnte man bereits Therapieerfahrungen in zwei anderen onkologischen Indikationen – neuroendokrine Tumore pankreatischen Ursprungs und fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom – sammeln. Das erleichtert die Einschätzung des Sicherheitsprofils bei Patientinnen mit einem Mammakarzinom, so Prof. Nadia Harbeck, München. Hier tauchten in der Zulassungsstudie BOLERO 2 keine neuen Signale auf. Häufigste Nebenwirkungen aller Grade waren Stomatitis (59%), Hautausschlag (39%), Fatigue (37%) sowie Diarrhö (34%), Übelkeit und Appetitverlust (je 31%). Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Pressekonferenz „Zulassung des mTOR-Inhibitors Affinitor®: Durchbruch in der Therapie des fortgeschrittenen Mammakarzinoms“ am 6. September 2012, Köln. Veranstalter: Novartis Oncology, Nürnberg. Acht Jahre lokoregional rezidivfrei überlebten insgesamt 72% der zusätzlich periklavikulär bestrahlten Frauen versus 89% der Kontrollgruppe. Das Gesamtüberleben betrug 86% versus 70%. Fazit: Die periklavikuläre Bestrahlung brachte keinen signifikanten zusätzlichen Gewinn bei ein bis drei positiven Lymphknoten, verursachte aber auch keine erhöhte Rate an späten radiogenen Nebenwirkungen. Die ersten Ergebnisse der randomisierten Phase-III-Studie TARGIT A hatten in einem Kollektiv von 2 232 Brustkrebspatientinnen mit relativ günstiger Prognose gezeigt, dass die intraoperative Radiotherapie (IORT) nach brusterhaltender Chirurgie ebenso effektiv ist wie die Ganzbrustbestrahlung (WBRT). In Wiesbaden wurden nun Daten zur Langzeittoxizität vorgestellt. Sie basieren auf der Auswertung von 109 Patientinnen. Davon erhielten 34 im Arm A eine IORT (20 Gy) und 20 eine IORT plus WBRT (46–50 Gy). Die 55 Patientinnen im Arm B wurden mit WBRT (56 Gy) behandelt. Auch eine nicht-randomisierte Kontrollgruppe von 196 Frauen, die nach einem IORT-Boost eine WBRT erhielten, wurde analysiert. Die kumulative Fibrose-Rate nach 3 Jahren betrug im Arm A 5,9% für die IORT 37,5% für IORT plus WBRT und im Arm B 18,4%. In der nicht randomisierten Kontrollgruppe entwickelten 38,2% der Patientinnen eine Fibrose. Patientinnen, die IORT plus WBRT bzw. nur eine WBRT (Arm B) erhalten hatten, entwickelten zu 17,5% bzw. 17,7% eine chronische Hauttoxizität, was nach ausschließlicher IORT überhaupt nicht zu beobachten war. In Arm A (nur IORT) traten im Vergleich zu Arm B signifikant weniger Teleangiektasien (p = 0,049) auf. Von allen höhergradigen Toxizitäten zusammen (Fibrose, Teleangiektasien, Ödeme, Retraktion, Ulzeration, Lymphödeme, Hyperpigmentation, Schmerzen) waren im Arm A (nur IORT) versus Arm B um 54% weniger Patientinnen betroffen (p = 0,010). Im medianen Follow-up von 40–42 Monaten kam es in keiner Gruppe zu Rezidiven. Fazit: Die IORT alleine sowie bei Patientinnen mit Risikofaktoren die IORT plus WBRT hat sich als wenig toxisch erwiesen bei exzellenter lokaler Kontrolle. Angelika Bischoff, Planegg Quelle: 18. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie von 7. bis 10. Juni 2012, Wiesbaden. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. ASCO NOGGO 225 Pressegespräch der Gesellschaft für gynäkologische Onkologie (NOGGO) Wegweiser durch den Datendschungel Beim diesjährigen Treffen der amerikanischen Krebsgesellschaft (ASCO) in Chicago wurden etwa 4 700 Vorträge gehalten bzw. Poster gezeigt. Diese gigantische Informationsfülle großer Kongresse erschwert zunehmend, genau wie die alleine bei Medline erfassten über 300 000 neuen Publikationen pro Jahr aus der Krebsmedizin, die Übersicht über versorgungsrelevante Forschungs-Erkenntnisse. Post-ASCO-Veranstaltungen wie der Gesellschaft für gynäkologische Onkologie (NOGGO) erfreuen sichdeshalb immer größerer Beliebtheit. Prof. Jalid Sehouli, Berlin, berichtete unter anderem über eine große retrospektive deutsche Studie mit neuen Erkenntnissen zu BorderlineTumoren des Ovars. BOD-Patientinnen haben – so konnte dabei erstmals gezeigt werden – eine deutlich bessere Prognose, wenn sie leitliniengerecht operiert werden. Andere Studien zeigten, dass Patientinnenmit einem Endometriumkarzinom mit nied- rigem Risiko keine Strahlentherapie und keine Lymphadenektomie erhalten sollten und auf das Zweitmalignomrisko nach Strahlentherapie geachtet werden muss. Die Ergebnisse der mit Spannung erwarteten Studien zum Einsatz des Angiogenesehemmers Bevacizumab beim platinresistenten Ovarialkarzinom wurden in Chicago erstmals vorgestellt. Die große Phase-III-Studie AURELIA konnte dabei zeigen, dass das progressionsfreie Überleben von Patientinnen mit platinresistentem Rezidiv durch die Hinzunahme von Bevacizumab zu den etablierten Mono-Chemotherapien Topotecan, Caelyx oder Paclitaxel um rund 50% erstmalig verlängert werden konnte. In der erstmals vorgestellten NOGGO-GCIG Intergroup Phase-III-Studie HeCTOR zum Einsatz der Kombination Topotecan/Carboplatin im Vergleich zu etablierten Standardtherapien konnte keine weitere Verbesserung der bereits sehr effektiven Chemotherapiekombinationen erreicht werden. Erstmals wurde auch die Patientinnenpräferenz sowie die Präferenz des behandelnden Arztes untersucht, hier zeigte sich die Kombination Carboplatin/Gemcitabin als klarer Favorit. Rainer Bubenzer, Berlin Quelle: Pressegespräch der Nordostdeutschen Gesellschaft für gynäkologische Onkologie e. V. (NOGGO): Personalisierte Krebstherapie – Heilung in Sicht? am 13. Juni 2012, Berlin. © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 226 © Schattauer 2012 Komplementäre Onkologie Identifikation spezifischer Kinderwunschmotive von jungen Krebspatienten aus Sicht der Betroffenen und Professionellen K. Geue1; R. Schmidt1; D. Richter1; J. Dorst2; E. Brähler1; M.E. Beutel3; Y. Stöbel-Richter1 1Universität Leipzig, Department für psychische Gesundheit, Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie; 2Abt. Hämatologie/Onkologie/Hämostaseologie, Universitätsklinikum Leipzig AöR ; 3Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Schlüsselwörter Keywords Familienplanung, Onkologie, Kinderwunschmotive Family planning, oncology, motives to have a child Zusammenfassung Summary Für junge Menschen, die an Krebs erkranken, ist die Familienplanung oftmals noch nicht abgeschlossen. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind wird individuell von verschiedenen Motiven bestimmt. Diese können sich durch die Krebserkrankung verändern bzw. neu entstehen. Zu spezifischen Kinderwunschmotiven wurden Krebspatienten (N=15) und Experten (N=9) befragt. 80% der Patienten hatten zum Diagnosezeitpunkt einen Kinderwunsch. Positive Motive nannten die Patienten selten. Die Gesundungsmotivation, eigene Hinterlassenschaft, Verbesserung der Partnerschaft und der gestiegene Familienwert sprachen aus Expertensicht für ein Kind. Negative gesundheitliche Folgen für das Kind, gesundheitliche Risiken für die Patienten wurden u.a. als negative Motive angeführt. Trotz eines starken vorhandenen Kinderwunschs überwiegen bei den Patienten Ängste. Kinderwunschmotive sollten daher in die psychosoziale Betreuung junger Krebspatienten einbezogen werden. Young adults affected by cancer often have not yet completed family planning at diagnosis. The decision for or against a child is determined individually by various motives. A cancer diagnosis may cause a modification or emergence of new motives for having a child. Cancer patients (N=15) and experts (N=9) were surveyed. 80% of patients had a wish for children at diagnosis. Motives associated with the realization of the childbearing wish were only rarely mentioned by patients. Experts specified recovery motivation and future prospects, symbolic immortality, the improvement of the couple relationship and an increased importance of family life as motives pro child. As anxiety-provoking motives patients quoted negative health outcomes for the child and health risks for the patients amongst other aspects. In spite of a strong wish for children, patients express predominantly fear. The psycho-social treatment of young cancer patients should therefore comprise motives for having a child. Korrespondenzadresse: Dr. rer. med. Kristina Geue Universität Leipzig Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie Philipp-Rosenthal-Str. 55 in 04103 Leipzig E-Mail: [email protected] Tel.: 03 41/ 9 71 54 38 Fax: 03 41 / 9 71 88 09 Identification of motives for having a child of cancer patients: a qualitative survey of patients and health professionals Onkologische Welt 2012; 3: 226–230 Einführung 5% der jährlichen Krebsneuerkrankungen betreffen Menschen im jungen Erwachsenenalter (1). Dank der verbesserten Früherkennung und der Optimierung der medizinischen Behandlungen in den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Heilungschancen der Betroffenen deutlich verbessert. Der Kinderwunsch junger onkologischer Patienten gewinnt damit zunehmend an Bedeutung. So wollten in einer Studie mehr als 70% aller jungen kinderlosen Krebspatienten eigene Kinder haben (2). Während in der akuten Krankheitsphase der Kinderwunsch weit in den Hintergrund rückt, gewinnt nach Abschluss der medizinischen Behandlungen und einem Heilungserfolg die Familienplanung wieder an Relevanz. Die Betroffenen stellen sich Fragen wie: Kann ich ein eigenes Kind bekommen? Welche Risiken gibt es für mich und das Kind? Ab wann darf der Kinderwunsch realisiert werden? Bisherige Studien zur Thematik Kinderwunsch und Krebs beschäftigen sich überwiegend mit den medizinischen Aspekten z. B. dem Einfluss der Behandlung auf die Fruchtbarkeit (3, 4), der Häufigkeit der Elternschaft nach einer Krebserkrankung (5–7), Schwangerschaftskomplikationen (8, 9) oder den reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten des Fertilitätserhalts (10–12). Andere Forschungsarbeiten widmen sich der Untersuchung psychosozialer Aspekte wie z. B. Einstellungen zum Fertilitätserhalt (2) oder Thematisierung des Kinderwunschs in der Arzt-Patienten-Beziehung (13–15). Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. K. Geue et al.: Kinderwunschmotive von jungen Krebspatienten Einen weiteren psychosozialen Aspekt bilden die Kinderwunschmotive junger onkologischer Patienten. Der Kinderwunsch bzw. die Entscheidung für oder gegen ein Kind wird bei jedem Menschen stark von emotionalen Motiven determiniert (16). Bislang wurden Kinderwunschmotive von Krebspatienten nur in wenigen Studien untersucht. Schover (17) fand in ihrer Studie zur Motivation einer Elternschaft nach Krebs, dass die große Mehrheit der Patienten sich gesund genug fühlt, ein eigenes Kind zu bekommen und glaubt, die Krankheitserfahrungen befähige sie persönlich zu einer besseren Elternschaft. Jedoch hat ein Drittel der Patienten Angst davor, dass ihre Nachkommen gesundheitliche Probleme haben werden bzw. im Erwachsenenalter selbst einmal an Krebs erkranken. Siegel et al. (18) befragten 50 Brustkrebspatientinnen hinsichtlich des Für und Wider von eigenen Kindern. Die Patientinnen gaben als negative Motive Rezidivangst, Sorge um die Gesundheit des Kindes und Überlastung durch die Erziehung und Versorgung des Kindes an. Als positive Kinderwunschmotive wurden das Gefühl der Normalität, Glück für den Partner und eine höhere Lebensqualität genannt. In der Untersuchung von Braun et al. (19) sollten Brustkrebspatientinnen und deren Ehepartner die wichtigsten Beweggründe für und gegen ein eigenes Kind anführen. Sowohl die Patientinnen als auch die Ehemänner verbanden mit einem eigenen Kind Unsterblichkeit und Glück. Als negative Motive wurden die Gesundheit der Mutter und des Kindes genannt. Die bislang einzige deutsche Studie zu dieser Thematik wurde an der Berliner Charitè durchgeführt. In ihr wurden junge Erwachsene befragt, die in ihrer Kindheit an Krebs erkrankt waren (20). Drei Viertel der Befragten wünschten sich Kinder. Gründe, die gegen ein Kind sprachen, waren u. a.: noch zu früh für ein Kind (67%); Angst, dass das Kind auch an Krebs erkrankt (9%) und Angst vor einem erneutem Krankheitsausbruch (6%). Anhand der bisherigen Forschungsbefunde wird deutlich, dass onkologische Patienten, bedingt durch die Krebserkrankung, spezifische Kinderwunschmotive aufweisen. Ziel dieser Arbeit ist es, das Für und Wider des Kinderwunsches onkologischer Patienten in Deutschland, die im jungen Erwachsenenalter erkrankt sind, darzustel- Tab. 1 Soziodemographie und medizinische Daten der befragten Patienten Patienten (N = 15) Soziodemographie Alter Geschlecht Familienstand 18-25 Jahre 2 (13%) 26-34 Jahre 8 (43%) 35-Jahre 5 (33%) weiblich 7 (47%) männlich 8 (53%) ledig 7 (47%) verheiratet 8 (53%) Partnerschaft ja 12 (80%) eigene Kinder ja 9 (60%) Erwerbstätigkeit berufstätig 8 (53%) arbeitslos 2 (13%) sonstiges 5 (33%) Medizinische Charakteristika Diagnose Behandlungen Non-Hodgkin-Lymphom 4 (27%) Akute Leukämie 3 (20%) Chronische Leukämie 3 (20%) Lymphom 2 (13%) Sonstiges 3 (20%) Chemotherapie 14 (93%) Strahlentherapie 7 (47%) Operation 5 (33%) Transplantation (Knochemark und Stammzellen) 8 (53%) Diagnosezeitpunkt 0-2 Jahre (Spanne Erstdiagnose 2-4 Jahre bis zur Befragung) 5 (33%) 2 (13%) über 4 Jahre len. Hierbei wird sowohl die Sichtweise der Betroffenen als auch verschiedener Experten auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin, der Onkologie und der Psychoonkologie erfasst. Die Ergebnisse der beiden Gruppen werden gegenübergestellt und Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede herausgearbeitet. Methode In einem aktuellen Forschungsprojekt, gefördert durch das Nachwuchswissenschaftlerprogramm der Universität Leipzig, sol- 8 (53%) len die Kinderwunschmotive onkologischer Patienten ermittelt werden und als Grundlage für die Entwicklung eines Fragenbogens dienen. In einem ersten Schritt wurden hierzu Patienten im jungen Erwachsenenalter und Experten verschiedener Fachrichtungen befragt. Die einmalige Erhebung wurde postalisch im Zeitraum März – April 2011 durchgeführt. Befragung/Instrument Die schriftliche Befragung enthielt vorrangig offene Fragen. Die Patientenbefragung © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 227 228 K. Geue et al.: Kinderwunschmotive von jungen Krebspatienten enthielt neben soziodemographischen und krankheitsbezogenen Merkmalen Fragen zum Kinderwunsch und zu Kinderwunschmotiven. Beispielhaft seien an dieser Stelle folgende Fragen genannt: ● Welchen Einfluss hat/hatte Ihre Krebserkrankung auf Ihren Kinderwunsch? ● Welche Befürchtungen hatten/haben Sie bezüglich Ihres Kinderwunsches? Den Experten wurden zunächst einige Fragen zur Berufsausbildung und der beruflichen Tätigkeit gestellt. Die weiteren Fragen beschäftigten sich alle mit der Kinderwunschmotivation von Krebspatienten. Nachfolgend sind Fragen aus der Erhebung angeführt: ● Welche Befürchtungen treten bei jungen onkologischen Patienten im Zusammenhang mit dem Kinderwunsch auf? ● Welche Motive haben onkologische Patienten, die für ein Kind sprechen? ● Von welchen Faktoren ist der Kinderwunsch junger Krebspatienten hauptsächlich abhängig? Abb. 1 Stärke des momentanen Kinderwunsches (N = 13) Zuordnung der Aussagen zu den Kategorien, wobei zwei unabhängige Rater die Einordnung vornahmen. Die Anzahl der Nennungen innerhalb der Kategorien wurde ausgezählt. Die geschlossenen Fragen wurden deskriptiv mit Hilfe der Statistiksoftware PASW 18.0 ausgewertet. Ergebnisse Patientenbefragung Auswertung Für die Auswertung der offenen Fragen wurden anhand der Antworten induktiv Kategorien gebildet. Danach erfolgte die Insgesamt wurden 15 Patienten (7 Frauen, 8 Männer) befragt. Die Patienten meldeten sich freiwillig auf Pressemitteilungen zum Forschungsprojekt und willigten in die Experten (N = 9) Alter Geschlecht berufliche Tätigkeit MW 39,22 (SD 4,94) weiblich 6 (67%) männlich 3 (33%) Gynäkologe – Reproduktionsmedizin 4 (44%) Gynäkologe – Onkologie 3 (33%) Psychoonkologen 2 (23%) Berufserfahrung MW 12,72 (SD 4,72) Thematik Kinder- gar nicht wunsch und Krebs sehr selten im beruflichen Allselten tag 2 (22%) 1 (11%) manchmal 2 (22%) oft 1 (11%) sehr oft 3 (33%) MW = Mittelwert, SD = Standardabweichung Tab. 2 Allgemeine und berufliche Angaben der Experten Studienteilnahme eine. Zum Zeitpunkt der Erhebung waren die Patienten zwischen 20 und 50 Jahre alt (Mittelwert 33,84 Jahre, Standardabweichung 8,93). Die Mehrzahl der Patienten lebte in einer festen Partnerschaft (12/15, 80%). Eine hämato-onkologische Diagnose erhielten 80% (12/15) der Befragten (씰Tab. 1). Für die meisten Patienten (12/15, 80%) war die Familienplanung zum Zeitpunkt der Diagnosestellung noch nicht abgeschlossen. Neun der 15 Patienten hatten bereits ein eigenes Kind bzw. zwei Kinder, wobei in sechs Fällen bereits vor der Krebsdiagnose eine Elternschaft bestand. Nach der Krebserkrankung waren drei Patienten erstmals Eltern geworden. Jeder vierte Patient (4/15; 27%) gab an, dass der Wunsch nach einem eigenen Kind durch die Krebserkrankung stärker geworden sei. Die Stärke des momentanen Kinderwunsches (Zeitpunkt der Befragung) wird aus 씰Abbildung 1 ersichtlich. Etwa die Hälfte der Patienten (6/13) gab einen starken bzw. sehr starken Kinderwunsch an. Ein starker Kinderwunsch war auch bei zwei Patienten vorhanden, die bereits vor der Erkrankung Eltern waren. Bezüglich der Kinderwunschmotive gaben die Patienten vor allem Ängste und Befürchtungen an (씰Tab. 3). So hat jeder zweite Patient (7/15; 47%) Angst davor, dass sich die Erkrankung bzw. deren Behandlung negativ auf die Gesundheit des eigenen Kindes auswirken könnte (z.B. „befürchtet …. dass eine Schädigung des Erbgutes eintreten könnte“; „Dass mein Kind behindert wird.“). Diese gesundheitlichen Folgen schließen die Angst vor Fehlbildungen, die Angst vor der Krebsvererbung und allgemeine gesundheitliche Risiken ein. Ein weiteres Motiv gegen die Realisierung des Kinderwunsches ist die Gefährdung der eigenen Gesundheit, welches ein Drittel der Patienten (5/15; 33%) anführte (z.B. „ganz klar, das hohe Risiko eines Rückfalls.“; „was passiert, wenn Krankheit wieder ausbricht …“, „Schwangerschaft für mich gut?“). Die Frage „Gibt es Gründe, die für ein Kind sprechen, die im Zusammenhang mit Ihrer Krebserkrankung stehen?“ beantworteten nur drei Patienten. Hierbei wurden die neue Lebensaufgabe und das Recht auf ein „normales“ Leben, zu dem auch ein Kind gehört, genannt. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. K. Geue et al.: Kinderwunschmotive von jungen Krebspatienten Tab. 3 Expertenbefragung In die Expertenbefragung (N = 9) wurden Gynäkologen aus dem Bereich der Reproduktionsmedizin (N = 4) und der Onkologie (N = 3) eingeschlossen. Ebenso wurden zwei Psychoonkologen befragt. Die Berufserfahrung der Experten lag zwischen 5 und 19 Jahren. Zwei Dritteln der Experten (N = 6) begegnet die Thematik Kinderwunsch onkologischer Patienten manchmal, oft bzw. sehr oft in ihrem beruflichen Alltag (씰Tab. 2). Die Experten nannten eine Reihe von Befürchtungen und Ängsten hinsichtlich der Kinderwunschmotive junger Krebspatienten. Die Angst der Patienten, dass der eigene Kinderwunsch unerfüllt bleiben könnte, gaben 7 der 9 Experten (78%) an. Die Experten formulierten diese Befürchtung meist in Frageform (z.B. „Werde ich überhaupt ein Kind bekommen können?“ oder „Ist das Kinderkriegen überhaupt möglich?“). Ebenso wie die Patienten führten die Experten die negativen gesundheitlichen Folgen für das Kind (8/9; 89%) und die gesundheitlichen Risiken für die Betroffenen selbst (6/9; 67%) als Befürchtungen an. Mögliche Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung bzw. -versorgung gaben fast die Hälfte der Experten (4/9; 44%) als mögliches Motiv gegen den Kinderwunsch an. Schwierigkeiten in Bezug auf die Partnerschaft (3/9; 33%) war ein weiteres aufgezähltes Contra-Motiv (z.B. „keinen Partner mehr zu finden“). Als Ressource wurde von allen befragten Experten die Gesundungsmotivation genannt (z.B. „Hoffnung den Krebs zu bezwingen“; „… Zeichen ihrer Gesundung“). Die Bedeutung der eigenen Hinterlassenschaft für die onkologischen Patienten sah ein Drittel (3/9; 33%) als Kinderwunsch stärkendes Motiv an. Jeweils einmal wurden die Verbesserung der Partnerschaft und der gestiegene Familienwert angegeben (씰Tab. 4). Die Hälfte der Experten (5/9; 56%) glaubt, dass sich die Stärke des Kinderwunsches durch die Krebserkrankung nicht verändert. Auf die Frage nach Geschlechtsunterschieden hinsichtlich der Kinderwunschmotive äußerten vier Experten (4/9; 44%), dass bei den betroffenen Frauen der Kinderwunsch stärker ausgeprägt sei Kinderwunschmotive – Patientenangaben (N = 15) Kinderwunschmotive Mehrfachnennungen möglich Kontra – Befürchtungen, Ängste Negative gesundheitliche Folgen für das Kind 7 (47%) Eigene gesundheitliche Risiken (Krankheitsausbruch) 5 (33%) Eigenes frühzeitigen Versterben – Kind bleibt zurück 2 (13%) Kinderbetreuung bzw. –versorgung nicht möglich 1 (7%) Psychische Belastung für das Kind 1 (7%) Pro – Ressourcen Tab. 4 Kinderwunschmotive – Experteneinschätzungen (N = 9) Neue Lebensaufgabe – Leben zu schätzen wissen 2 (13%) Ein „normales“ Leben führen 1 (7%) Kinderwunschmotive Mehrfachnennungen möglich Kontra – Befürchtungen, Ängste Eigener Kinderwunsch bleibt unerfüllt 7 (78%) Negative gesundheitliche Folgen für das Kind 8 (89%) Eigene gesundheitliche Risiken (Rezidiv, Tod) 6 (67%) Kinderbetreuung bzw. –versorgung nicht möglich 4 (44%) Partnerschaftsproblematik 3 (33%) Pro – Ressourcen Gesundungsmotivation und Zukunftsaussichten 9 (100%) eigene Hinterlassenschaft 3 (33%) Verbesserung der Partnerschaft 1 (11%) Wert der Familie steigt 1 (11%) im Vergleich zu männlichen Patienten. So bedeute die Krebserkrankung „eine zusätzliche Gefährdung des Kinderwunsches und eine Verkürzung der (reproduktiven) Phase“. Unterschiede in den Kinderwunschmotiven zwischen kinderlosen und bereits Eltern gewordener Krebspatienten sahen sieben der neun Experten (7/9; 78%) darin, dass der Kinderwunsch für Patienten, die bereits eigene Kinder haben, mit der Erkrankung in den Hintergrund rückt und die Versorgung bzw. Zuwendung der vorhandenen Kinder im Vordergrund stehen (z.B. „wenn schon eigene Kinder vorhanden sind, rutscht weiterer Kinderwunsch sofort in den Hintergrund …“; „Elterliche Krebspatienten berichten häufig davon, froh über das Vorhandensein von Kindern zu sein …“). Dass Krebspatienten ohne eigene Kinder stärkere Kinderwunschmotive als elterliche Patienten aufwiesen, beschrieben sechs Experten (6/9; 67%). So schrieb ein Experte: „Kinderlose wollen Neustart, Elterliche das alte Leben zurück“. Diskussion Gegenstand dieser Arbeit war es, spezifische Kinderwunschmotive junger onkologischer Patienten zu bestimmen. Zur Ermittlung der Kinderwunschmotive wurden © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 229 230 K. Geue et al.: Kinderwunschmotive von jungen Krebspatienten sowohl Betroffene als auch Experten befragt. Die meisten der jungen Patienten gaben an, ein eigenes bzw. ein weiteres Kind haben zu wollen. Hinsichtlich der Kinderwunschmotive äußerten die Patienten eine Reihe von Befürchtungen. Im Vordergrund stehen hierbei die Ängste vor negativen gesundheitlichen Folgen für das Kind und die Sorge um die eigene Gesundheit. Obwohl die Patienten nur vereinzelt Motive angaben, die für ein Kind sprechen, war der momentane Kinderwunsch der Betroffenen stark ausgeprägt. In vorangegangenen Forschungsarbeiten wurden meist positive und negative Motivationen dargestellt. Die in unserer Befragung häufig genannten Ängste um die Gesundheit des Kindes und die eigene Gesundheit bestätigten auch andere Studien (17, 18, 22, 23). Wie die aktuelle Übersichtsarbeit von Richter et al. (21) zeigte, sind die Befunde zur gesundheitlichen Gefährdung der Kinder bzw. der betroffenen Frauen bislang inkonsistent. Jedoch zeigten diese Studien auch Kinderwunschmotive bei den onkologischen Patienten auf, die für ein Kind sprechen. Als positive Motive wurde in den Untersuchungen genannt: Krebserkrankung befähige sie zu einer „besseren“ Elternschaft, Elternschaft bedeute für sie „Normalität“ (17), gestiegener Wert der Familie (22), Glück für den Partner, erhöhte Lebensqualität (18). Karian (24) und Zebrack et al. (25) befragten in der Kindheit an Krebs erkrankte Menschen und stellten fest, dass eine Elternschaft für die Betroffenen Optimismus in das eigene Überleben, eine neue Wertschätzung des Lebens und ein Gefühl der Normalität darstellte. Fazit für die Praxis Eine Krebserkrankung kann den Kinderwunsch bzw. die Familiengründung akut gefährden. Die Erkrankung selbst und die gesammelten Erfahrungen im Behandlungsverlauf führen dazu, dass sich neue spezifische Kinderwunschmotive bei den Betroffenen ausbilden. Die Ambivalenz des Kinderwunsches bei onkologischen Patienten sollte in der psychosozialen Betreuung der Betroffenen nicht unberücksichtigt bleiben. Ziel, die Thematik entsprechend zu integrieren, könnte der Abbau von Ängsten und Zweifeln sowie die Stärkung der vorhandenen Ressourcen sein. Die Ergebnisse der erwähnten Studien sind meist anhand von persönlich durchgeführten Leitfadeninterviews gewonnen worden. Interessant ist, dass Patienten auf die offenen schriftlichen Fragen unserer Erhebung vor allem Motive gegen den Kinderwunsch anführten und nur wenige positive Kinderwunschmotive nannten. Möglicherweise werden kinderwunschstützende Motive in einem persönlichen Interview eher geäußert. Auch kulturelle Unterschiede (z.B. bezüglich der Kinderwunschmotive allgemein oder der sozialen Einstellung gegenüber an Krebs erkrankten Menschen) könnten hierfür in Betracht kommen. Dies müsste in weiterführenden Studien untersucht werden. Ebenso wie die Betroffenen äußerten die Experten als häufigste Contra-Motive die Angst vor gesundheitlichen Folgen für das Kind und das gesundheitliche Risiko für die Patienten. Die Experten verbanden mit dem Kinderwunsch ein Gesundungszeichen und den Wert der eigenen Hinterlassenschaft – Motive, die von den Patienten unerwähnt blieben. Bezüglich der Contra-Motive war eine hohe Übereinstimmung zwischen den Experten und Patienten zu finden. Es ist somit davon auszugehen, dass die behandelnden Ärzte und Psychoonkologen die Ängste im Zusammenhang mit dem Kinderwunsch auf Seiten der Patienten kennen. Ressourcen wurden sehr viel häufiger von den Experten benannt als auf Seiten der Patienten. Psychosoziale Betreuungsangebote könnten die Patienten und ihre Partner während der Zeit der Familienplanung und -gründung unterstützen, um vorhandene Befürchtungen abzubauen und Ressourcen zu stärken. Weitere Expertenuntersuchungen zu Kinderwunschmotiven onkologischer Patienten sind bis dato nicht bekannt. Die Befragung hat gezeigt, dass sich auch Patienten, die bereits Eltern sind, ein weiteres Kind wünschen. Oftmals glauben die Experten jedoch, dass bei elterlichen Krebspatienten ein weiterer Kinderwunsch mit der Erkrankung in den Hintergrund rückt. Dies trifft sicherlich für einen Teil der Patienten zu, jedoch längst nicht für alle. In der klinischen Praxis sollte ebenso daran gedacht werden, dass es Patienten gibt, bei denen der Wunsch nach einem zweiten oder dritten Kind sehr stark ausgeprägt ist. Danksagung Diese Studie wurde durch das Nachwuchswissenschaftlerprogramm der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig gefördert. Literatur unter www.onkologische-welt.de Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Psychoonkologie 231 Fortgeschrittene Krebserkrankung Neue Perspektiven durch die Psychoonkologie Die psychoonkologische Betreuung beschränkt sich nicht auf das finale Stadium einer Tumorerkrankung, obgleich dort die Notwendigkeit am größten ist. Auch unmittelbar nach der Diagnose besteht ein höherer Bedarf, der dann in der chronischen Phase wieder abnimmt. Im Fokus stehen psychische, soziale und spirituelle Bedürfnisse des Patienten. Deren Befriedigung muss Hand in Hand gehen mit einer effektiven Symptomkontrolle. Die Diagnose, das Wiederauftreten und das Fortschreiten einer Krebserkrankung können bei Betroffenen akute und auch andauernde psychische Belastungsreaktionen hervorrufen: Schock, Traurigkeit, Ängste, das Gefühl der Hilflosigkeit und Einsamkeit sowie Zweifel am Sinn des Lebens. Belastend sind auch die zunehmende Schwäche, der Verlust an Körperfunktionen, die abnehmende Mobilität, die wachsende Abhängigkeit von Anderen sowie der Zeitdruck für noch anstehende Lebensentscheidungen im Bewusstsein des nicht mehr fernen Ablebens. Insgesamt entwickeln sich bei rund 10% aller Krebspatienten affektive Störungen und Angststörungen, wie Priv.-Doz. Dr. med. Anja Mehnert, Hamburg, ausführte. In der Palliativversorgung liegen die Zahlen etwas höher. Etwa 15% aller Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen geben an, Suizidgedanken zu haben oder schon gehabt zu haben. Ebenso hoch liegt der Anteil derer, die sich einen frühzeitigen Tod wünschen, ohne diesen aktiv herbeiführen zu wollen. Kongresslogo palliative Intervention bleiben darf. Die Psychoonkologie zielt darauf ab, psychische Belastungen zu vermindern, neue Lebensperspektiven zu eröffnen, positive Emotionen zu fördern, das Selbstwertgefühl zu stärken, das Gefühl der Einsamkeit zu verringern und die Akzeptanz der zunehmenden körperlichen Veränderung zu fördern. Je mehr der Kranke selbst die Kontrolle über seine Körperfunktionen verliert, desto wichtiger werden Wertschätzung des Patienten und Wahrung der Menschenwürde vonseiten der Betreuenden. Die Hoffnung an neue Ziele knüpfen Wie Mehnert erläuterte, ist Hoffnungslosigkeit nicht das Fehlen von Hoffnung, sondern drückt die Bindung an eine bestimmte Form von Hoffnung aus, die verloren gegangen ist. In der Klinik werden viele Entscheidungen aus Hilflosigkeit getroffen, weil man irgendwie die verlorene Hoffnung auf Heilung wieder beleben will. Wichtiger wäre es, die Hoffnung auf neue Ziele zu richten, z.B. einen schmerzfreien Tod, Begegnung oder Aussöhnung mit Anderen und Symptomkontrolle. Die Wirksamkeit einer psychoonkologischen Betreuung wurde in einer Studie an 151 Patienten mit metastasiertem NSCLC (1) untersucht. Diese bekamen entweder nur eine onkologische Therapie oder zusätzlich innerhalb von drei Wochen nach der Diagnose Kontakt zum Palliativteam. Dabei erhielten sie im Rahmen der psychoonkologischen Betreuung auch detaillierte Informationen zur Erkrankung. Patienten mit psychoonkologischer Betreuung wiesen deutlich weniger psychische Komorbidität, Symptomkontrolle steht ganz oben Am wichtigsten ist für Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung eine gute Symptomkontrolle. Wird dies erreicht, nimmt auch der Wunsch, nicht mehr weiterzuleben, deutlich ab. Wie Mehnert ausführte, wollen die Patienten aber auch darin unterstützt werden, mit ihrer Angst und ihren Sorgen besser fertig zu werden, Hoffnung und einen Sinn im Leben zu finden, und inneren Frieden zu gewinnen. Daraus folgt, dass Symptomkontrolle zwar oberste Priorität besitzt, aber nicht die einzige Vor der Tagungsstätte (Foto: Thomas Ecke) © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Psychoonkologie 232 insbesondere Depressionen auf, und überlebten sogar länger als die rein onkologisch behandelten Patienten. Aber die Studie zeigte auch, dass auch Patienten, die gut aufgeklärt wurden, ihre eigene Prognose oft wesentlich besser einschätzen, als es der Realität entspricht. Nach dem ersten umfassenden Gespräch glaubten 32%, dass ihre Erkrankung heilbar ist und 69%, dass die Therapie den Krebs komplett eliminiert. Die Realität beim NSCLC ist, dass im Stadium I/II nur jeder zweite Patient 5 Jahre überlebt, im Stadium III nur 15%, und Patienten im Stadium IV überleben median 10 Monate. Die positiv verzerrte Wahrnehmung der eigenen Prognose scheint ein Selbstschutzmechanismus zu sein, der zumindest am Anfang trotz Aufklärung bestehen bleibt. Strukturdefizite beseitigen und Evidenzbasis ausbauen Hat ein Krebspatient psychische Probleme, bedeutet dies nicht automatisch, dass er psychoonkologische Unterstützung braucht. In 40–70% ist ein einfühlsames ärztliches Gespräch ausreichend, um die Probleme zu lösen, wie Dr. med. Andreas Dinkel, München, ausführte. Hat der Arzt den Eindruck, dass es sinnvoll wäre, den Psychoonkologen hinzuzuziehen, sollte er dies behutsam ansprechen. Ein Teil der Patienten wird dies ablehnen. Insgesamt nimmt etwa ein Viertel der ambulanten oder stationären Krebspatienten psychoonkologische Angebote wahr. Die psychoonkologische Versorgung ist vielerorts gut etabliert, so Dinkel. Oft aber sind die Angebote schlechte koordiniert und die einzelnen Interventionen zu wenig evidenzbasiert. Die Struktur der psychoonkologischen Betreuung zu verbessern und ihre Evidenzbasis zu stärken, sieht Dinkel als wichtige Anliegen für die Zukunft. Dr. Angelika Bischoff, Planegg Literatur 1. Temel JS et al.: Early palliative care for patients with metastatic non-small-cell lung cancer. New Engl J Med 2010; 363(8): 733–742. Quelle: Symposium „Zukunftsthemen der Psychoonkologie“, Kongress für Psychosomatik, München, 29. März 2012. Fachtagung Komplementäre Onkologie Bis zu 90% der Patienten mit einer Tumorerkrankung nutzen im Verlauf ihrer Erkrankung Methoden der sogenannten komplementären und alternativen Medizin (KAM). Informationen suchen sie bei Ärzten, Heilpraktikern, in der Literatur und im Internet. KAM helfen Patienten, selber aktiv zu werden, und stellen deshalb ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Patientenautonomie dar. Im Januar 2013 führt eine Expertengruppe der PRIO zum dritten Mal im Rahmen des deutschsprachigen eso-Programmes eine Fachtagung KAM in der Onkologie durch. Die Tagung richtet sich an Hausärzte, Fachärzte und andere beruflich Interessierte, die Patienten mit Tumorerkrankungen betreuen und in Zukunft auf die Frage ihrer Patienten: „Was kann ich selber tun?“ kompetent Auskunft geben möchten. Das aus den Vorjahren bewährte Programm wird dieses Jahr für Pharmazeuten, Krankenpflegekräfte und Studenten in klinischen Semestern geöffnet und in Kooperation mit der der KOK und der DEGRO durchgeführt. Die Teilnehmer sollen in die Lage versetzt werden, die häufigsten Methoden aus dem Bereich der komplementären und alternativen Verfahren speziell in der Onkologie kritisch zu hinterfragen und ihren Einsatz in der Therapie bewerten. Insbesondere das komplexe Thema der komplementären also begleitenden Nutzung und der damit verbundenen Gefahr von Interaktionen aber auch der Chance einer unterstützenden Wirkung wird ausführlich an- hand der publizierten wissenschaftlichen Daten behandelt. Die Tagung bietet einen umfassenden Überblick über die wesentlichen in den deutschsprachigen Ländern von Patienten genutzten Methoden in Form von Vorträgen und vertiefenden Workshops. Ein Schwerpunkt ist die Einführung in Kommunikation zu KAM mit dem suchenden wie mit dem umfassend vorinformierten Patienten. Weitere Infos im Internet unter: www.prio-fachtagung.de Veranstalter Arbeitsgemeinschaft PRIO (Prävention und Integrative Onkologie) der DKG 25.-26.1.2013 Hamburg, www.prio-fachtagung.de red. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. SenologieKongress 233 Mind-Body-Medizin beim Mammakarzinom Die Therapie für eine „dickere Haut“ Die Mind-Body-Medizin im Brustkrebsmanagement ist nicht nur ein „Wohlfühlthema“, sondern in einigen Bereichen eine wissenschaftlich gesicherte Möglichkeit der Risikoreduktion, die auch Eingang in die S3-Leitlinie gefunden haben. Darauf wies Prof. Gustav Dobos, Essen, auf dem Symposium „Life-Style-Beratung in der Onkologie: Sinn oder Unsinn?“ im Rahmen des diesjährigen Senologiekongresses hin. Einen Überlebensvorteil bringt vor allem regelmäßige körperliche Aktivität, besonders in Kombination mit obst- und gemüsereicher Ernährung. Die Mind-body-Medizin gehört als wichtiger Bestandteil zusammen mit der „mainstream Medizin“ und der wissenschaftlich geprüften Naturheilkunde zur integrativen onkologischen Behandlung. Sie beinhaltet körperliche Aktivität, gesunde Ernährung, Entspannung, Achtsamkeitstraining, Stressmanagement, kognitive Umstrukturierung (Lösen selbstschädigender Gedanken) und soziale Unterstützung durch Gruppenarbeit, wie Dobos ausführte. Adipositas als Brustkrebs-Risikofaktor Auf die Rolle der Adipositas als Risikofaktor und den Nutzen körperlicher Aktivität ging Dr. Brigitte Rack, München, näher ein. Etwa 30% der Frauen In Deutschland sind übergewichtig und 20% adipös (1). Das Übergewicht ist nicht nur mit kardiovaskulären und Stoffwechselkrankheiten assoziiert, sondern auch mit einigen Krebsleiden. Dazu gehört das Mammakarzinom. Im Kollektiv der ADEBAR-Studie waren nur 40% der Patientinnen mit primärem Mammakarzinom normalgewichtig (2). Das Übergewicht zeigte als unabhängiger Risikofaktor eine Assoziation mit einem schlechteren krankheitsfreien und Gesamtüberleben. Insgesamt verdoppelt eine Adipositas das Rezidivrisiko und steigert das Risiko, an der Erkrankung zu versterben, um 60%. Eine Adipositas ist assoziiert mit fortgeschritteneren Stadien, höherem Grading und Hormonrezeptor-Negativität. Mögliche Zusammenhänge zwischen Adipositas und Krebs auf molekularer Ebene sind die Hochregulation von Zytokinen, angiogene- tischen Faktoren, vermehrte Östrogenausschüttung und Insulinresistenz. Auch die WHIStudie hat erhöhte Spiegel von Insulin und Östrogenen als Faktoren identifiziert, die das Risiko, an einem Mammakarzinom zu erkranken, mehr als verdoppeln. Mit sportlicher Aktivität länger überleben Sportliche Aktivität zählt zu den wichtigsten Maßnahmen, das Körpergewicht zu senken. Tatsächlich hat eine große kalifornische Studie gezeigt, dass körperliche Aktivität das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, um 20% vermindert (3). In der Nurses Health Study (4) konnten Frauen, die bereits an Brustkrebs erkrankt waren, ihre Überlebenschancen durch drei bis fünf Stunden körperliche Aktivität pro Woche absolut um 6% verbessern. Der größte Vorteil wurde bei Hormonrezeptor-positiven und adipösen Patientinnen beobachtet. Eine neuere Meta-Analyse von sechs Studien (5) fand, dass Frauen, die nach der Brustkrebsdiagnose körperlich aktiv wurden, ihr brustkrebsspezifisches Mortalitätsrisiko um 34% (Rezeptorpositive um 50%), ihre Gesamtmortalität um 41% (Rezeptorpositive um 64%) und ihr Rezidivrisiko um 24% vermindert haben. Mögliche Wirkmechanismen für diesen Effekt sind ● Sinken des Östrogenspiegels ● Veränderungen im Insulinmetabolismus ● Modulation der Wirkung von Hormonen und Wachstumsfaktoren (IGF-1, IGFBP-3) ● Immunmodulation (Anstieg von IL-6 und NK-Zellen, gesteigerte T-Zell-Aktivität) ● Gesteigerte Apoptose durch oxidativen Stress Sport verringert das Rezidivrisiko in etwa demselben Ausmaß wie eine adjuvante zytostatische oder endokrine Therapie, so Rack. Aber er hat auch positive Effekte auf die Lebensqualität. Aus einer Cochrane-Analyse von 28 randomisierten Studien geht hervor, dass körperlich aktive krebskranke Frauen (überwiegend Mammakarzinom-Patientinnen) weniger an Fatigue litten als eine inaktive Kontrollgruppe (6). Dass die körperliche Aktivität unter einer Chemo- oder Radiotherapie abnimmt, ist selbstverständlich. „Aber wir müssen die Patientinnen motivieren, danach wieder aktiv zu werden“, so Rack. Die S3-Leitlinie (7) empfiehlt 3 bis 5 Stunden mittelgradige sportliche Aktivität pro Woche (2a B ++), vor allem weil sie das Überleben verbessert. Im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensqualität und Reduktion der therapiebedingten Fatigue lautet der Empfehlungsgrad 1a A ++. Die Kombination von Ernährung und Bewegung bringt einen zusätzlichen Überlebensvorteil, wie die WHEL-Studie (Women’s Health Eating and Living) gezeigt hat (8). Das Programm umfasste ein Walking von 30 Minuten an sechs Tagen pro Woche und/oder eine betont pflanzliche Ernährung mit mindestens fünf Portionen Obst oder Gemüse pro Tag. Patienten, die beide Interventionen mitmachten erfuhren sogar unabhängig davon, ob eine Adipositas vorlag, eine Reduktion der 10-Jahresmortalität um 50%. „Das ist durchaus vergleichbar mit dem Effekt einer wirksamen Chemotherapie“, sagte Dobos. Allerdings wurde der Effekt nur beobachtet bei Hormonrezeptor-positiven Tumoren. Wenig Fett, viel Obst und Gemüse Eine fettreduzierte Kost mit einem hohen Anteil von Obst und Gemüse hilft auf jeden Fall bei der Gewichtsreduktion. Die Datenlage zur Risikosenkung beim Mammakarzinom ist für die gesunde Ernährung allein deutlich schlechter als für die körperliche Aktivität, betonte Dipl. ökotroph. Sabine Conrad, Essen. In der Studie WINS (Women‘s Intervention Nutrition Study) (9) konnte das Mammakarzinom-Rezidivrisiko durch Reduktion von Nahrungsfetten (Ziel 20% der Gesamtenergiemen- © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. SenologieKongress 234 ge) in fünf Jahren um 24% vermindert werden. In der WHEL-Studie hat unter einer fettreduzierten und gemüsereichen Ernährung allein innerhalb von sieben Jahren zwar nicht die Rezidivrate abgenommen, aber es kam ein Überlebensvorteil heraus. Die Patientinnen sind an Ernährungsthemen in der Regel sehr interessiert, weil sie denken, dass sie vor allem damit etwas gegen den Krebs tun können. Von den Vorteilen einer gesunden Kost müssen die Frauen deshalb auch nur selten überzeugt werden. Sie wissen nur oft nicht, auf was sie in der Ernährung achten müssen. Deshalb sollten Krebsbetroffene von ausgebildeten Ernährungsfachkräften betreut werden, meinte Conrad. Generell sollten pflanzliche Nahrungsmittel bevorzugt werden und der Fettanteil gering gehalten werden. Die Frauen sollten aber genügend Eiweiß konsumieren und wenig Auszugsmehlprodukte, dafür mehr Vollkornprodukte. Der Bedarf an Vitaminen sollte wenn möglich mit Lebensmitteln gedeckt werden. Im Fokus steht aber nicht nur das Übergewicht, das abgebaut werden soll, sondern auch ein zu starkes Abmagern muss vermieden werden. Generell sollte in der Brustkrebstherapie der Gewichtsverlauf dokumentiert werden. „Um dies tun zu können, muss man das Ausgangsgewicht kennen, das in den Krankenakten leider immer wieder fehlt“, so Conrad. Keine sicheren Daten zu Vitamin-Supplementen „Jede Patientin fragt, was sie noch zusätzlich gegen ihre Erkrankung tun kann“, sagte Priv.Doz.-Dr. Nikos Fersis, Chemnitz. Gemeint sind damit meist nicht die gesunde Ernährung und schon gar nicht die Bewegung, sondern vor allem ergänzende Mittel aus der Apotheke. In den vergangenen Jahren hat der Umsatz mit Vitaminpräparaten stetig zugenommen. Was die Behandlung des Mammakarzinoms betrifft, gibt es aber kaum prospektiv randomisierte Studien, die klären könnten, ob Vitamine hilfreich oder schädlich sind. Auch die S3-Leitlinie äußert zu den Antioxidantien Vitamin C, Vitamin E und Betakarotinen lediglich, dass es keine sicheren Daten gibt. Klinisch bedeutsam ist jedoch Vitamin D. Zellbiologische und tierexperimentelle Studien weisen auf eine antikanzerogene Wirkung von Vitamin D bzw. der aktiven Form 1,25(OH)2-Vitamin D hin. Gesehen wurde Einflüsse auf Zelldifferenzierung, Proliferation, Apoptose und Angiogenese. Es gibt auch klinische Hinweise auf eine dosisabhängige Reduktion des Krebsrisikos durch Calcium /Vitamin D, so Fersis. Abbau von Stress, Angst und Depression Wie Dobos abschließend berichtete, wird in Essen ein Tageklinik-Programm Mind-body-Medizin für Brustkrebspatientinnen abgeboten. Es dauert zehn Wochen und wird an einen Tag pro Woche über sechs Stunden durchgeführt. An den Gruppen nehmen 12–16 Personen teil. Neben regelmäßiger Bewegung und Anleitung zu obst- und gemüsereicher Ernährung sind weitere wichtige Elemente des Programms eine Senkung des Stress-Niveaus, der Umgang mit negativen Gedanken und die Unterstützung durch die Gruppe. „Patientinnen mit Brustkrebs, die ständig untergründig Angst haben, dass sie ein Rezidiv oder Metastasen bekommen, befinden sich permanent auf einem hohen Stressniveau. Sie können lernen, sich nicht über alle Kleinigkeiten aufzuregen, sondern entspannt zu reagieren“, so Dobos. Ein weiteres wichtiges Target der MBM ist die Depression. Obwohl es sich um eine nachvollziehbare Begleiterscheinung einer Krebsdiagnose handelt, muss man sich darum kümmern, da die Depression die Prognose beeinflusst: Die Sterblichkeitsrate von Krebspatienten steigt durch eine Depression um bis zu 40% (10). Aber die Gabe von Antidepressiva ist kontraproduktiv, da einige Antidepressiva mit Chemotherapeutika interferieren. Lebensqualität und psychisches Wohlbefinden (Angst und Depression) können durch ein brustkrebsspezifisches Yoga gesteigert werden kann, wie Dobos betonte. Ein Stress-Redukti- Alles Wesentliche über Phytotherapeutika Gute und ausführliche Informationen zu Phytotherapeutika, darunter auch Interaktionsrisiken findet man auf der Website des Memorial Sloan Kettering Cancer Centers „www.mskcc.org“ (Search „herbs“) onsprogramm, Yoga und Qui-Gong haben inzwischen Eingang in die S3-Leitlinie gefunden mit der Begründung, dass sie die Lebensqualität verbessern, Stress, Angst und Depression vermindern und den Schlaf verbessern. Dass ein solches Programm bis hinab auf das molekulare Niveau Effekte hat, führte Dobos anhand einer Studie an 30 Patienten mit Prostatakarzinom vor Augen (11). Die Patienten, die nicht operiert werden konnten, haben über drei Monate eine Mind-Body-Therapie erfahren mit fettarmer Ernährung, regelmäßiger Bewegung, Yoga, Meditation und Gruppenstunden. Das Programm führte zu einer deutlichen Veränderung der Expression von Genen, die mit der Tumorgenese in Zusammenhang stehen. Dr. Angelika Bischoff, Planegg Literatur 1. International Association for the Study of Obesity 2012. www.iaso.org. 2. Janni W et al. Final multivariate analysis of obesity and disease free survival in patients with nodal positive primary breast cancer. Annual Meeting ASCO 2011 vom 3. bis 7. Juni 2011, Chicago/USA. 3. Dallal CM et al. Long-term recreational physical activity and risk of invasive and in situ breast cancer: the California teachers study. Arch Int Med 2007; 167(4): 408–415. 4. Holmes MD et al. Physical activity and survival after breast cancer diagnosis. JAMA 2005; 293: 2479–2486. 5. Ibrahim EM et al. Physical activity and survival after breast cancer diagnosis: Meta-analysis of published studies. Med Oncol 2011; 28(3): 753–765. 6. Cramp F et al. The effect of exercise on fatigue associated with cancer (CD006145). Published online 10. Nov. 2010. http://summaries.cochrane.org. 7. www.ago-online.de/de/fuer-mediziner/leitlinien/ mamma 8. Pierce P et al. Greater survival after breast cancer in physically active women with high vegetable-fruit intake regardless of obesity. J Clin Oncol 2007; 25(17): 2345–2351. 9. Chlebowski R et al. Dietary fat reduction and breast cancer outcome: interim efficacy results from the Women's Intervention Nutrition Study. J Natl Cancer Inst 2006; 98: 1767–1776. 10. Satin JR et al. Depression as a predictor of disease progression and mortality in cancer patients: A meta-analysis. Cancer 2009; 115: 5349–5361. 11. Ornish D et al.: Changes in prostate gene expression in men undergoing an intensive nutrition and lifestyle intervention. Proc Nat Acad Sci USA 2008; 105: 8369–8374. Quelle: Symposium „Life-Style-Beratung in der Onkologie: Sinn oder Unsinn?“ 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie am 6. Juli 2012, Stuttgart. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. SenologieKongress 235 Optionen in der Komplementärmedizin Hilfe gegen Nebenwirkungen von Chemo- und Hormontherapie Mindestens jede zweite Brustkrebspatientin wendet komplementäre Therapien an wie Mistel, Spurenelemente oder Enzyme. Ausgegeben wird dafür fast so viel wie für die schulmedizinische Behandlung. Motivation dafür ist meist, selbst etwas gegen die Krankheit tun zu wollen. Diesen Wunsch sollte der Onkologe dafür nutzen, sinnvolle Maßnahmen zu empfehlen. Auf dem diesjährigen Senologenkongress beschäftigte sich das Symposium „Komplementäre Medizin beim Mammakarzinom“ mit den verschiedenen Behandlungsangeboten. Gute Daten gibt es für die Akupunktur gegen Chemotherapie-induziertes Erbrechen. Weniger effektiv sind verschiedene Phytotherapeutika gegen Östrogenmangelbeschwerden unter endokriner Therapie. Die Hälfte aller Krebspatienten wünscht sich begleitende zusätzliche Therapien, vor allem, um Nebenwirkungen der konventionellen Therapie zu lindern oder zu verhindern. In diesem Bereich bietet auch die Komplementärmedizin einige Möglichkeiten, wie Dr. Petra Voiß, Essen, ausführte. Sie dienen zusammen mit der Standard-Supportivtherapie nicht zuletzt dazu, zu vermeiden, dass die Patientinnen die Chemo- oder Hormontherapie abbrechen. Komplementärmedizin kommt bei den Patienten gut an. Man darf sich aber nicht dazu verleiten lassen, alle möglichen Dinge anzubieten, nur weil es den Patienten gefällt, sagte Dr. Jutta Hübner, Frankfurt. Eine gewisse Evidenzbasis sollte vorhanden sein. Gute Evidenz für die Akupunktur Gut belegt durch vier randomisierte kontrollierte Studien ist die Wirksamkeit der Akupunktur oder Elektroakupunktur gegen akutes Chemotherapie-assoziiertes Erbrechen oder Übelkeit in Ergänzung der medikamentösen Antiemese. Ein Cochrane-Review (1) kam zu dem Ergebnis, dass die Inzidenz dieser Nebenwirkung in der Akupunktur-Gruppe 37%, in der Kontrollgruppe 60% betrug. Daraus errechnet sich eine number needed to treat (NNT) von 4,4. Auch die Akupressur hat sich bei vielen Patientinnen als wirksam erwiesen. Um eine einfache und kontinuierliche Stimulation von Akupressur-Punkten zu ermöglichen, gibt es im Handel spezielle Armbänder käuflich zu erwer- ben, die auf der Innenseite mit einer knopfartigen Vorwölbung versehen sind. Sie werden am Handgelenk getragen, sodass der P6-Punkt stimuliert wird. Auch in der AGO-Leitlinie (2) wird die Akupunktur zur Linderung von Übelkeit und Erbrechen positiv bewertet (1b B +). Überraschend gut beurteilten Patientinnen die symptomorientierte Akupunktur zur Linderung zahlreicher Beschwerden, nicht nur von Übelkeit und Erbrechen, in einem Essener Pilotprojekt. Über 60% der Teilnehmerinnen gaben an, dass ihre Beschwerden durch die Akupunktur deutlich gelindert geworden seien, bei 30% waren sie etwas gebessert. Wie Voiß berichtete, vermerkte eine Patientin im Fragebogen: „Habe die ersten drei Chemo-Gaben in einer anderen Klinik bekommen und unter extremer, langanhaltender Übelkeit gelitten, auch Medikamente halfen nicht. Durch die Akupunktur ist die Übelkeit nun beinahe komplett verschwunden.“ Teilweise lässt sich dieser Effekt sicher auch damit erklären, dass die Patientinnen durch die Akupunktur Aufmerksamkeit und Zuwendung erfahren und die Beschwerden ernst genommen werden. Wenn man eine kritische Phase durch ein paar Akupunktur-Sitzungen überbrücken kann, ist schon viel gewonnen. östrogenen (Isoflavonen) empfohlen, die in Sojaprodukten enthalten sind. Wie Prof. Eva-Maria Grischke, Tübingen, erklärte, binden die Isoflavone Genistein und Daidzein an Östrogenrezeptoren. Im Tierversuch stimulieren sie das Wachstum von hormonrezeptorpositiven Mammakarzinomen. Nachteilig ist auch, dass beide Isoflavone auch den antiproliferativen Effekt von Tamoxifen hemmen. Auf Östrogenmangelsymptome wie Hitzewallungen zeigten Isoflavone in einigen Studien aber keine Wirkung (3). Auch die Knochendichte nahm unter der Therapie mit isoflavonhaltigen Sojaprodukten nicht zu. Langzeitdaten zu Isoflavonen fehlen. Deshalb sollten Isoflavone zurückhaltend eingesetzt werden. Die AGO-Leitlinie rät von Phytoöstrogenen mit der Begründung ab, dass eine Stimulation von hormonrezeptorpositiven Mammakarzinomzellen nicht ausgeschlossen ist. Auch die Wirkung von TraubensilberkerzenExtrakten gegen Hitzewallungen ist nicht erwiesen, da verschiedene klinische Studien sehr unterschiedliche Resultate brachten. Die Präparate haben zentralnervöse serotonerge und dopaminerge Effekte, so Grischke. Im Mausmodell wurde eine erhöhte Mestastasierungsrisiko festgestellt. Eine Therapie mit solchen Präparaten sollte nach Angaben der EMA maximal für sechs Monate und unter ärztlicher Kontrolle. Zu berücksichtigen ist auch die Hepatotoxizität. Abgeraten wird unter laufender onkologischer Standardtherapie auch von Kombinationen, die Johanniskraut enthalten, weil pharmakologische Interaktionen mit der endokrinen und zytostatischen Therapie sowie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren zu befürchten sind. Dr. med. Angelika Bischoff, Planegg Literatur Phytoöstrogene helfen nicht bei Hitzewallungen 1. Ezzo J et al.: Acupuncture point stimulation for chemotherapy-induced nausea or vomiting (review). The Cochrane Library 2010; issue 1. 2. www.ago-online.de/de/fuer-mediziner/leitlinien/ mamma 3. Van Patten CL et al.: Effect of soy phytoestrogens on hot flashes in postmenopausal women with breast cancer: a randomized, controlled clinical trial. J Clin Oncol 2002; 20(6): 1449–1455 Eine häufige Nebenwirkung der endokrinen Therapie sind Hitzewallungen. Um sie zu lindern, wird nicht selten die Gabe von Phyto- Quelle: Symposium „Komplementäre Medizin beim Mammakarzinom“, 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie, Stuttgart 5. Juli 2012. © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Palliativmedizin 236 Schnittstellen zwischen Palliativmedizin und onkologischer Tumortherapie Mehr als nur Medizin am Sterbebett Die Palliativmedizin sollte nicht der Teil der Versorgung eines Krebspatienten, der dann folgt, wenn die Möglichkeiten der onkologischen tumorspezifischen Therapie ausgeschöpft sind. Vielmehr müssen Strukturen geschaffen werden, dass Onkologie und Palliativmedizin bei unheilbaren Tumoren frühzeitig kooperieren und über den Dialog Therapiekonzepte erarbeiten, die der individuellen Situation des Patienten am besten gerecht werden. Schnittstellen zwischen Onkologie und Palliativmedizin ergeben sich somit während des ganzen Behandlungsverlaufs. Ein fließender Übergang erspart auch dem Patienten, zu verkraften, dass er von einem Tag auf den anderen einfach „eine Tür weiter“ geschickt wird, hinter der es für ihn „keine Hoffnung“ mehr gibt. Kooperieren Onkologie und Palliativmedizin frühzeitig, kann die Expertise beider Disziplinen den Therapieplan zum Wohle des Patienten optimieren, machte Dr. BerndOliver Maier, Wiesbaden, auf dem Deutschen Krebskongress deutlich. In der Behandlungsalltag wird die Palliativmedizin oft erst sehr spät in den letzten Lebenstagen eingeschaltet, und viele Patienten quälen sich vorher unnötig lange mit Schmerzen oder Luftnot, wie Dr. Matthias Thöns, Witten, am Beispiel eines Patienten mit Zungenrandkarzinom aufzeigte. Gegen die Schmerzen bekam er Metamizol, gegen die Luftnot empfahl man ihm als einzige Option den Luftröhrenschnitt. Erst in den letzten Lebenstagen kam er in palliativmedizinische Betreuung und konnte schließlich unter guter Symptomkontrolle im Arm seiner Ehefrau friedvoll sterben. Dass dies kein Ausnahmefall ist, zeigen Zahlen aus Bochum, wo die durchschnittliche Verweildauer in Hospizen 16 Tage und in ambulanter palliativer Betreuung nur 9 Tage beträgt. Kooperation wirkt lebensverlängernd Natürlich braucht nicht jeder Krebspatient von Beginn an den Palliativmediziner. Aber bei Tumoren mit schlechter Prognose, die mit komplexen Beschwerden, zunehmender körperlicher Einschränkung, Kachexie und verlorenem Lebensmut einhergehen, sollte frühzeitig daran gedacht werden. Wie Dr. Karsten Schulman, Bochum, ausführte, wurde in einer prospektiven, kontrollierten, randomisierten offenen Studie an 151 Patienten mit neu diagnostiziertem metastasierten NSCLC untersucht, was eine frühe Integration der palliativmedizinischen Symptomkontrolle in das onkologische Therapiekonzept innerhalb der ersten drei Wochen nach der Diagnose bringt. Es zeigte sich, dass in der Therapiegruppe nach 12 Wochen die Lebensqualität besser und die depressiven Symptome weniger waren als in der Kontrollgruppe. Sogar ein Überlebensvorteil kam heraus, obwohl es in der Häufigkeit von Chemotherapien zwischen beiden Gruppen insgesamt keinen Unterschied gab (1). Die frühzeitig zusätzlich palliativ versorgten Patienten erhielten jedoch in den letzten 60 Tagen vor ihrem Tod signifikant weniger intravenöse Chemotherapien als die Patienten der Kontrollgruppe. Sie hatten eine realistischere Einschätzung ihrer Krankheit und des Therapieziels entwickelt und wurden länger im Hospiz behandelt. Dr. Angelika Bischoff, Planegg Literatur 1. Temel JS et al. Early palliative care for patients with metastatic Non-Small-Cell Lung Cancer. N Engl J Med 2010; 363: 733–742. Quelle: Symposium „Supportiv-/Palliativmedizin“ im Rahmen des Deutschen Krebskongresses, 23. Februar 2012, Berlin. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Supportivtherapie 237 Wechselbeziehung zwischen Knochen und Tumorzellen Metastasenprävention mit Bisphosphonaten In der Therapie von Knochenmetastasen spielen Bisphosphonate eine zentrale Rolle. Sie beugen durch Hemmung der Osteoklasten nicht nur Skelett-Komplikationen vor, sondern verhindern auch die Abgabe von Wachstumssignalen durch die Osteoklasten und damit die Tumorproliferation. Möglicherweise kann eine präventive Gabe von Bisphosphonaten auch die Ansiedelung von Tumorzellen im Knochen verhindern. In der Onkologie werden Clodronat, Pamidronat, Ibandronat und Zoledronat angewendet. Dabei stehen die älteren Substanzen den neueren nicht nach. In einer placebokontrollierten Studie hat Clodronat in einer Dosis von 1000 mg pro Tag bereits 1993 eine Reduktion skelettaler Komplikationen um etwa 30% gezeigt (1). Orale Substanzen haben sich als als ebenso wirksam erwiesen wie intravenöse Bisphosphonate, betonte Prof. Ingo Diel, Mannheim. Das Haupteinsatzgebiet von Bisphosphonaten ist die palliative Tumortherapie. In dieser Situation wird die Verträglichkeit zu einem wichtigen Auswahlkriterium. Bei intravenösen Bisphosphonaten, vor allem bei Aminobisphosphonaten, treten anfangs nicht selten Akute-Phase-Reaktionen auf. Auch die Nierentoxizität muss im Blick behalten werden. Bei oralen Substanzen fallen insbesondere die gastrointestinalen Nebeneffekte ins Gewicht. Sowohl bei intravenösen als auch bei oralen Substanzen können bei einer Langzeittherapie Osteonekrosen im Kieferknochen auftreten. Dies gilt wiederum nur für Aminobisphosphonate. Bei Nicht-Aminobisphosphonaten wie Clodronat (Ostac®) besteht dieses Risiko nicht, wie Diel versicherte. Unter Clodronat treten auch Oberbauchbeschwerden kaum häufiger als unter Placebo auf. Signifikant häufiger werden lediglich Diarrhöen beobachtet. Leitlinien-geprüfte Evidenz Die AGO-Leitlinie empfiehlt eine adjuvante Clodronattherapie mit 1600 mg/d über 2 Jahre (1b B +). Infrage kommen postmenopausale Patientinnen, die eine endokrine Therapie erhalten und ein hohes Rezidivrisiko aufweisen. Venöse Thromboembolien S3-Leitlinie konsequent umsetzen Venöse Thromboembolien (VTE) sind eine der häufigsten Todesursachen bei Tumorpatienten. Neben einem erhöhten Thromboserisiko beobachtet man zudem eine hohe Rezidivrate und stärkere Blutungskomplikationen als bei Nicht-Tumorpatienten. Die aktuellen Leitlinien fordern für diese Gruppe von Risikopatienten eine Thromboseprophylaxe, unterstrich Prof. Hanno Riess, Charité Berlin, auf der 6. International Conference on Thrombosis and Hemostasis Issues in Cancer (ICTHIC). Neben allgemeinen Risikofaktoren wie Alter und Immobilität stellt die Therapie der Tumorerkrankung selbst ein hohes Risiko dar: Chemo- therapie, operative Eingriffe, der Einsatz von Hormonen oder anti-angiogenetische Wirkstoffen fördern die Koagulation. Risikopatien- Weltweit die erste publizierte prospektive Studie, die eine Abnahme des Risikos für Knochenmetastasen unter Bisphosphonat-Therapie fand, wurde mit Clodronat durchgeführt (2). Im Anschluss an die Primärtherapie erhielten 157 Patientinnen für zwei Jahre 1600 mg Clodronat pro Tag und 145 nahmen am Standard-Follow-up ohne Bisphosphonat teil. Nicht nur Knochenmetastasen, sondern auch andere Metastasen traten in der Clodronat-Gruppe signifikant seltener auf (p = 0,003), und das Gesamtüberleben war signifikant länger (p = 0,001). Eine größere Studie mit 1069 Patientinnen hat dies nochmals bestätigt (3). Das Risiko, innerhalb von 5 Jahren Knochenmetastasen zu entwickeln, war in der Clodronat-Gruppe um 31% vermindert (p = 0,043). Auch die Mortalität war geringer (p = 0,047). Dr. med. Angelika Bischoff, Planegg Literatur 1. Petersen AH et al. Double-blind controlled trial of oral clodronate in patients with bone metastases from breast cancer. J Clin Oncol 1993; 11: 59–65. 2. Diel IJ et al. Reduction in new metastases in breast cancer with adjuvant clodronate treatment. N Engl J Med 1998; 339(6): 357–363. 3. Powles TJ et al. Randomized placebo-controlled trial of clodronate in patients with primary operable breast cancer. J Clin Oncol 2002; 20: 3219–3224. Quelle: 19. Münchener Fachpresse-Workshop „Supportive Onkologie und Immunthrombozytopenie“, unterstützt von Mundipharma, Amgen und Riemser, München, 12. Juli 2012. ten, die eine Chemotherapie erhalten, können mit Score-Systemen identifiziert werden (1), in die neben Tumorlokalisation auch Werte von Thrombozyten, Leukozyten, Hämoglobin und der BMI einfließen. Riess wies darauf hin, dass in der aktuellen S3-Leitlinie zur Thromboseprophylaxe (2) neben chirurgischen Patienten inzwischen auch stationäre Tumorpatienten als Risikopatienten gelten, die eine medikamentöse Thromboseprophylaxe erhalten sollten, etwa mit niedermolekularen Heparinen (NMH). Riess: „Jetzt heißt es für einen Patienten in der Inneren Medizin: Tumorpatient – Krankenhausaufenthalt – Thromboseprophylaxe, es sei denn er hat Risikofaktoren.“ In aktuellen Studien wird zurzeit untersucht, © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Supportivtherapie 238 ob die bei chirurgischen Patienten etablierte Dosen und Therapiedauer auch in der Onkologie ausreichend seien. So wird auch der Einsatz des NMH Tinzaparin (Innohep®) bei Tumorpatienten, vor allem auch die Langzeittherapie von Thrombosen, momentan in der CATCH-Studie untersucht. Bei der Therapie von Thrombosen sei laut Riess ein Vorteil der NMH, dass Patienten mit einer täglichen Spritze tatsächlich täglich antikoaguliert seien, wohingegen bei VitaminK-Antagonisten die Zeit innerhalb des therapeutischen Bereiches nur zwischen 40-60% der Therapie betrage. Riess: „Bei einem niedermolekularen Heparin, in der richtigen Dosis gegeben und gespritzt – ist der Patient 100% der therapeutischen Zeit geschützt.“ Dennoch beobachte man hier kein erhöhtes Blutungsrisiko. Ries hob die wichtigste Erkenntnis zum Einsatz von NMH wie Tinzaparin bei Tumorpatienten besonders hervor: „Es hat ganz ganz sicher keinen negativen Einfluss auf das Überleben der Patienten. Es ist gut anwendbar, es ist sicher – es blutet nicht, es ist deutlich besser, was die Rezidivrate von thromboembolischen Aspekten angeht.“ Hier ist nicht so sehr relevant, ob sich der Effekt gegen den Tumor richtet, oder ob der Effekt vor allem darin liegt, dass die Patienten keine Thromboembolien erleiden, sei es auf venöser oder arterieller Seite. Martina Freyer, München Anthracyclin-Therapie mit weniger Kardiotoxizität Das Auftreten von Metastasen bringt Mammakarzinom-Patientinnen in eine neue Situation. In der Therapie geht es jetzt vorrangig darum, tumor- und therapiebedingte Nebenwirkungen und Komplikationen zu vermeiden und die Lebensqualität zu verbessern, während die Lebensverlängerung in den Hintergrund tritt. Wenn eine Chemotherapie mit einem Anthracyclin indiziert ist, sollte eine nebenwirkungsarme Substanz wie liposomales Doxorubicin gegeben werden. „Die Lebensqualität wird in der metastasierten Situation viel zu wenig gemessen“, sagte Prof. Ingo Diel, Mannheim. Nur wer die Lebensqualität mit den dafür angebotenen Fragebögen misst, kann beispielsweise feststellen, ob es wirklich die Schmerzen sind, unter denen ein Patient besonders stark leidet oder vielleicht die Erschöpfung und Kraftlosigkeit, hervorgerufen durch eine Anämie. Lebensqualitätsaspekte besitzen auch beim Einsatz von Bisphosphonate große Bedeutung. Bisphosphonate hemmen nicht nur die weitere Progression ossärer Metastasen, sondern verbessern auch die Lebensqualität und das allgemeine Wohlbefinden. Daran hat großen Anteil, dass diese Substanzen Knochenschmerzen lindern. In der Chemotherapie des metastasierten Mammakarzinoms gelten Anthracycline nach wie vor als Standardtherapie, obwohl neue Substanzen wie Capecitabine und Vinorelbin verfügbar geworden sind. Aus Gründen der Kardiotoxizität darf die kumulative Dosis von Doxorubicin 450–500 mg/m2 und die von Epirubicin 800–1000 mg/m2 nicht überschreiten. Da Anthracycline aber meist schon in der adjuvanten Situation zum Einsatz gekommen sind, bleibt oft nicht genügend Restdosis, die noch ausgeschöpft werden kann. Kardiotoxische Risiken gezielt minimieren Mit der Wahl eines Anthracyclins, das weniger kardiotoxisch ist, lässt sich dieses Problem umgehen. Für liposomales Doxorubicin (Myocet®) konnte sowohl tierexperimentell-histologisch (1) als auch in klinischen Studien, (2, 3) eine im Vergleich zu freiem Doxorubicin geringere Kardiotoxizität belegt werden. Eine kumulative Maximaldosis ist für liposomales Doxorubicin Literatur 1. Woller SC et al. Am J Med 2011; 124: 947–954.e2. 2. AWMF-Leitlinien (Registernummer 003–001): S3-Leitlinie, Prophylaxe der Venösen Thromboembolie (VTE). Im Internet unter „http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ ll/003–001.html“. Quelle: Symposium „Cancer and thrombosis: the quest for optimal care” im Rahmen der 6th International Conference on Thrombosis and Hemostasis Issues in Cancer (ICTHIC), am 20. April 2012, Bergamo/Italien. (Veranstalter: Leo Pharma GmbH, Neu-Isenburg) nicht festgelegt. In der Kombination mit Cyclophosphamid, für die das liposomale Doxorubicin zugelassen ist, kann die kumulative Dosis über 1260 mg/m2 hinaus gehen. Die Verpackung in Liposomen bewirkt zum einen, dass die Verweildauer der Substanz im Organismus verlängert wird und ungünstige Spitzenkonzentrationen vermieden werden. Zum anderen reichert sich der Wirkstoff verstärkt im Tumorgewebe an und vermindert in gesunden Geweben. Dr. Angelika Bischoff, Planegg Literatur 1. Kanter PM et al. Comparison of the cardiotoxic effects of liposomal doxorubicin (TLC D-99) versus free doxorubicin. In Vivo 1993; 7(1): 17–26. 2. Batist G et al. Reduced cardiotoxicity and preserved antitumor efficacy of liposome-encapsulated doxorubicin and cyclophosphamide compared with conventional doxorubicin and cyclophosphamide in a randomized multicenter trial of metastatic breast cancer. J Clin Oncol 2001; 19: 1444–1454. 3. Harris L et al. Liposome-encapsulated doxorubicin compared with conventional doxorubicin in a randomized multicenter trial as first-line therapy of metastatic breast carcinoma. Cancer 2002; 94 (1): 25–36. Quelle: Satellitensymposium „First-line Therapie des metastasierenden Mammakarzinoms“, im Rahmen der 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie, veranstaltet von Teva ratiopharm Stuttgart, 6. Juli 2012. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Supportivtherapie 239 Schmerzassessment bei Tumorpatienten Gezielt erfragen und behandeln Bei einem Drittel der Tumorpatienten sind Schmerzen das Symptom, das schließlich zur Diagnose des Malignoms führt. Daher sollte die Schmerz- und Tumortherapie Hand in Hand verlaufen, betonte Dr. Heinrich E. Fiechtner, Stuttgart, auf einem FachpresseWoirkshop. Doch hier gibt es noch Optimierungsbedarf. Für ein adäquates Schmerzmonitoring sollte der Arzt seine Krebspatienten routinemäßig nicht nur nach Schmerzen fragen, sondern diese auch qualitativ beschreiben und quantitativ messen, beispielsweise mit einer Schmerzskala. Denn über Schmerzen berichten viele Patienten im Arztgespräch nicht von selbst, sei es, weil sie es vergessen, oder weil sie es gar nicht erwähnen wollen. Denn sie fürchten, dass der Arzt, wenn er erst einmal beginnt, sich um die Schmerzen zu kümmern, die Tumortherapie selbst vernachlässigen könnte. Es ist ihnen deshalb häufig lieber, wenn sich der Arzt primär auf die Tumortherapie fokussiert. Die Tumortherapie selbst (Operation, Radiound Chemotherapie) kann schon einiges zur Schmerzlinderung beitragen. Die medikamentöse Schmerztherapie basiert auf retardierten Medikamenten, in vielen Fällen, aber nicht immer auf hochpotenten Opioid-Analgetika. Als Leitsubstanzen gelten Morphin, Hydromorphon und Oxycodon. Enorme Erleichterung für die Patienten Von Anfang an muss eine konsequente Prophylaxe und Therapie opioidtypischer Nebenwirkungen wie Obstipation betrieben werden. Es hat sich bewährt, dem Patienten und seinen Angehörigen einen schriftlichen Schmerzthera- Prostatakarzinom Im Patientengespräch die richtigen Worte finden Die Diagnose „Krebs“ stellt für die betroffenen Patienten einen dramatischen Einschnitt in ihrem Leben dar. Im Rahmen eine Ärzte-Fortbildung der Sanofi AG in Potsdam, diskutierte eine Arbeitsgruppe unter anderem die Bedeutung des Patientengesprächs. Wie Dr. Ursula Gruber, Internistin und Psychotherapeutin, München Großhadern, erläuterte, sind die Patienten im ersten Gespräch „wie vom Doner gerührt“, emotionale Zusammenbrüche sind dann eher selten zu erwarten. Zu Bedenken ist, dass eine depressive Verstimmung bzw. eine depressive Erkrankung im Hintergrund die Beschwerdesymptomatik verstärken kann, die durch das Prostata-KarzinomManagement verursacht wird. Der behandeln- de Arzt sollte hellhörig werden und nachfragen, sodass der Patient einer psychoonkologischen Betreuung zugeführt werden kann, riet die Expertin. Wichtig sei es, diejenigen Patienten herauszufiltern, die eine psychoonkologische Betreuung für die Krankheitsbewältigung benötigen. Etwa 70% der Patienten gelingt dies auch allein. Männer sind jedoch einer Psychotherapie weniger zugänglich als Frauen und wollen nicht über Probleme sprechen. Statt pie-Plan an die Hand zu geben. Wie Fiechtner berichtete, fordert er alle Patienten, die er neu auf eine analgetische Medikation einstellt, dazu auf, nach zwei Tagen in der Praxis anzurufen, um zu besprechen, ob die Therapie hilft und ob Nebenwirkungen auftreten. „Das ist gerade am Anfang eminent wichtig“, so Fiechtner. Andernfalls bekommt man als Arzt eventuelle Probleme gar nicht mit, die etwa durch eine Umstellung der Medikation hätten gelöst werden können. Dazu führte Fiechtner das Beispiel einer Patienten mit multiplem Myelom an, die unter retardiertem Morphin trotz prophylaktischer Einnahme von Laxantien eine chronische Verstopfung entwickelte. Nach Umstellung auf das Kombinationspräparat Oxycodon/Naloxon (Targin®) erhielt er von der Patientin eine fast euphorische Rückmeldung zum Ergebnis. Sie war schmerzfrei bei funktionierendem Stuhlgang. Die Patientin gab zu, sie habe insgeheim schon fast die Hoffnung verloren, diesen Zustand noch einmal erleben zu können. Dr. med. Angelika Bischoff, Planegg Quelle: 19. Münchener Fachpresse-Workshop „Supportive Onkologie und Immunthrombozytopenie“, unterstützt von Mundipharma, Amgen und Riemser am 12. Juli 2012, München. dem Patienten daher anzubieten über „Probleme“ zu sprechen, beispielsweise zur Sexualität, formulieren Sie besser „Wenn Sie über das ‚Thema‘ reden wollen..“ „Wie ist meine Prognose?“ Dies ist sicher eine der Fragen, die von den Patienten am häufigsten gestellt wird. Die Frage, die sich dahinter verbirgt lautet jedoch „Wie ist meine Chance?“. Hier rät Gruber, dem Patienten mit einer Gegenfrage zu antworten: „Was denken Sie denn?“ – das gibt dem Arzt Zeit und dem Patienten die Möglichkeit, sich zu erklären. Positive Wertschätzung und Empathie Auch als Arzt muss man seine Gefühle vor dem Patienten nicht verbergen. Es ist nicht unpro- © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. SupportivTherapie 240 fessionell mit einem Patienten mitzufühlen. Bei Patienten, die in ihren Entscheidung ambivalent sind, sollten Sie dem Patienten Zeit, so nehmen Sie den Druck heraus, den der Patient empfindet. Bieten Sie von sich aus an, dass sich der Patient eine Zweitmeinung einholt. Weisen Sie ihn auf die Patientenselbsthilfe hin. Versuchen Sie, den Patienten zu überreden, so empfindet er dies als Druck oder sogar Drohung und das erzeugt Gegenwehr beim Patienten. Wenn Sie ihn überzeugen, so erreichen Sie eine Therapie-Compliance beim Patienten. Ende der Schockphase Umgang mit Angehörigen Meist endet die Schockphase des Patienten mit Beginn der Therapie. In dieser zweiten Phase wird der Arzt häufig vom Patienten attackiert, gab die Expertin zu bedenken. Hier ist es für den Arzt wichtig zu erkennen, dass die Wut des Patienten nicht gegen ihn persönlich gerichtet ist. Hier sollte der Arzt dem Patienten das entsprechend signalisieren und ihn nicht „raus werfen“. Setzen Sie sich nicht über die Angehörigen des Patienten hinweg. Ideal ist es, wenn es Ihnen gelingt, diese zu gewinnen und gegebenenfalls im Familiensetting eine Lösung zu finden. Jedoch sollte man berücksichtigen, so Gruber, dass nicht nur die Angehörigen für den Patienten sprechen. Dr. Peter Henning, Stuttgart Adelmidrol in der Supportivtherapie Entzündungen der Haut schonend behandeln Viele Tumorpatienten leiden still, weil sie denken, dass sie belastende Nebenwirkungen angesichts der Krebsdiagnose hinnehmen müssen. In dieser Situation ist vermehrte Aufklärung für Ärzte und Patienten wichtig, wie sich beispielsweise Nebenwirkungen durch eine Chemo-, Strahlen- oder Immuntherapie lindern oder beseitigen lassen. Darauf wies Dr. Raffaele Migliaccio, Thiene/Italien, auf dem 9. ASORS-Meeting der Deutschen Krebsgesellschaft hin. So gibt es beispielsweise für Entzündungsprozesse in der Haut Behandlungsoptionen mit einem günstigeren Nutzen-Risiko-Profil als Kortison, meinte der Onkologe. Migliaccio forderte seine Kollegen auf, ihre Patienten verstärkt auf mögliche Nebenwirkungen einer Chemo-, Strahlen- oder Immuntherapie aufmerksam zu machen. Umgekehrt müssen die Patienten dafür sensibilisiert werden, auf Beschwerden hinzuweisen. Die bisherige Praxis, Nebenwirkungen auf Haut und Schleimhäute mit topischem Kortison zu blockieren, ist wegen der dadurch häufig ausgelösten Nebenwirkungen oft nicht Mittel der Wahl, so Migliaccio. Vorzuziehen seien Präparate mit Adelmidrol – ein körpereigener Wirkstoff, der keine eigenen Nebenwirkungen verursacht. Hier beruht die Wirksamkeit auf einer Hemmung der Mastzellgranulation durch Bindung am CB2-Rezeptor (Cannabinoid Rezeptor 2). Zusätzlich bewirkt Adelmidrol eine Schmerzdesensibilisierung an den TRPV1-Rezeptoren der Nervenendplatten. Mastzellen sind laut Migliaccio die „Tausendsassa unter den Immunzellen“. Wird die Aktivität der Mastzellen durch Bestrahlung oder durch Chemotherapeutika gesteigert und somit die Botenstoffausschüttung vermehrt, gerät das gesamte Abwehrsystem in Haut und Schleimhäuten ins Ungleichgewicht. Dies bedeutet vermehrte Entzündung in der Haut und bei Hautverletzungen – auch Strahlungsschäden wie bei Sonnenbrand – eine verzögerte Wundheilung. Folgenreiche Chemo- und Strahlentherapie Für Adelmidrol liegen inzwischen laut Migliaccio Studien mit rund 4000 Krebspatienten vor. Der Wirkstoff hemmt die Entzündungsreaktionen, wie in einer dieser Studien mit einer Adelmidrol-haltigen Hautcreme belegt wurde: 101 Brustkrebs-Patientinnen wurden nach der Operation mit einer Radiotherapie nachbehandelt. Die Hälfte der Patientinnen erhielt begleitend Quelle: sanofi Ärzte-Fortbildung „Expertise Prostata“, 23.-24. Märt 2012, Potsdam eine Creme mit 2% Adelmidrol, die andere Hälfte eine Panthenol-haltige Hautpflege. Unter der Adelmidrol-haltigen Formulierung kam es signifikant seltener zu Hautschäden. In Woche 5 der Radiotherapie zeigte sich eine G2-Toxizität nur bei 9,8% der Adelmidrolbehandelten Patienten (52% in der Kontrollgruppe). 23,5% der Patientinnen der Adelmidrol-Gruppe zeigten bei Bestrahlungsende keine Hautreaktionen (2% in der Kontrollgruppe). G3-Toxizitäten kamen im Verlauf nur in 2% der Fälle unter Adelmidrolbehandlung vor (28% in der Kontrollgruppe). Wirksam auch bei Mukositis Eine besonders Herausforderung ist die orale Mukositis. Migliaccio plädierte dafür, dass Adelmidrol in die Leitlinien aufgenommen wird, weil sich die biologischen Mechanismen, die diese Erkrankung auslösen, mit Adelmidrol kontrollieren lassen. Für die Patienten sehr belastend sind auch ästhetisch gravierende Nebenwirkungen wie Haarausfall, Nägelverlust und Entzündungen an Haut und Schleimhäuten. Adelmidrol gibt es in der Produktlinie „againlife“ in speziellen Zubereitungen für die Haut und die verschiedenen Schleimhautbereiche wie Mund oder Scheide. Red. Quelle: Satellitensymposium „Supportive Therapie – Einsatz von Endocannabinoiden bei Haut- und Schleimhautschäden aufgrund von Strahlenbelastung, Hormon-, Immun- und Chemotherapie“ im Rahmen des 9. ASORS-Expertenworkshops am 21. Juni 2012, Mainz. Veranstalter: Bendalis GmbH, Oberhaching. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Uro-Onkologie © Schattauer 2012 GnRH-Agonisten in der Therapie des hormonsensitiven Prostatakarzinoms Neue Erkenntnisse zum Routineeinsatz eines altbekannten Standards J. Schröder1; J. Scheerer2; E. Altwein3 1Urologische Praxis Dr. Schröder Berlin; 2AstraZeneca GmbH Wedel; 3Chirurgische Klinik München-Bogenhausen GmbH, Abteilung Urologie Schlüsselwörter Prostatakarzinom, GnRH-Analoga, Goserelin, Zoladex Safe System® Zusammenfassung Einleitung: GnRH-Analoga stellen den Therapiestandard für Patienten mit einem hormonsensitiven fortgeschrittenen Prostatakarzinom dar. Kombi-Injektionsbestecke für subkutan zu applizierende Depot-Implementate wie das Zoladex Safe System® (AstraZeneca) erleichtern die Applikation bei bestmöglichem Schutz des verabreichenden medizinischen Personals. Methoden: Anwendungserfahrungen bezüglich der erreichten Therapiequalität und -sicherheit wurden im Rahmen eines Qualitätssicherungsprojekts gesammelt, bei dem die Langzeitverabreichung eines 10,8 mg Goserelin 3-Monatsimplantats über einen Zeitraum von 18 Monaten bei mehr als 2000 Patienten dokumentiert und mittels epidemiologischer Methoden ausgewertet wurde. Ergebnisse: Die sehr gute Verträglichkeit und Wirksamkeit der GnRH-Analoga über das volle Indikationsspektrum beim hormonsensitiven Prostatakarzinom bestätigte sich in dieser Anwendungsbeobachtung. Über den gesamten Beobachtungszeitraum lagen die fachliche Beurteilung der Therapiewirksamkeit und Verträglichkeit konstant bei mehr als 93% bzw. 98%. Bei mehr als 10000 Verabreichungen wurde kein einziger Fall einer Stechnadel-induzierten Verletzung des Fachpersonals berichtet. Schlussfolgerungen: Diese Ergebnisse bestätigen den Stellenwert der GnRH-Blockade als gut verträglicher, effektiver und von Ärzten wie Patienten geschätzten Therapieoption beim hormonsensitiven Prostatakarzinom. Keywords Prostatic neoplasms, GnRH agonists, gosereline, Zoladex Safe System® GnRH-agonists in the treatment of hormone-sensitive prostate cancer – learning more on the routine use of a well-known treatment standard Onkologische Welt 2012; 3: 241–245 Korrespondenzadresse Dr. Joachim Scheerer AstraZeneca GmbH Tinsdaler Weg 183 22880 Wedel Tel.: 0 41 03 / 7 08 39 24 Fax: 0 41 03 / 70 87 39 24 E-Mail: [email protected] Das Prostatakarzinom trägt bei Männern über 50 Jahren in erheblichem Umfang zu Morbidität und Mortalität bei. Bei mit dem Alter zunehmender Inzidenz ist die Prognose wesentlich vom TNM-Stadium der Erkrankung und der jeweiligen Malignität des Tumors abhängig, für dessen Grading die histologische Beurteilung mittels des Gleason-Scores anerkannter Standard ist. Die starre Einteilung der TNM-klassifizierten Tumoren in Hauptstadien ist beim Prostatakarzinom in den vergangenen 10 Summary Introduction: GnRH analoga represent the acknowledged therapy standard in patients with prostate cancer suited for antihormonal treatment. Ready-to-use injection systems optimise the application for the patient in line with the best-possible protection of the medical personal. Methods: The use and acceptance of the goserelin application Zoladex 10.8 Safe System™ (AstraZeneca) was studied in more than 2000 patients treated for an interval of 18 months with the 3-months depot. Safety, tolerability and quality of life were assessed at three monthly intervals. Results: The non-interventional study, using standard epidemiological methods for data analysis, demonstrated a high degree of user satisfaction in terms of the therapeutic efficacy and tolerability (93% and 98%, respectively) over the whole observation period. After 18 months of treatment, the median PSA was lowered from baseline in at least 95% of patients across all strata. More than 10,000 applications of the Safe system were documented without any case of a needle-stick injury of the medical personnel. Conclusion: These results confirm the relevance of the GnRH ablation therapy as an efficient, safe and highly estimated therapeutic option in the treatment of hormone sensitive prostate cancer. Jahren einer zunehmend differenzierten Betrachtung gewichen (1). In diesem Modell wird die langsame aber stete Progression der Erkrankung als ein „Kontinuum“ angesehen, in dem der PSA-Verlauf nach der Erstbehandlung (i.d.R. Radikale Prostatektomie Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 241 242 J. Schröder, J. Scheerer, E. Altwein: GnRH-Agonisten in der Therapie des hormonsensitiven Prostatakarzinoms – eine Anwendungsbeobachtung und/oder Radiotherapie) als wesentlicher Prognoseparameter anzusehen ist. Die Mehrzahl aller Patienten besitzt bei Diagnosestellung ein hormonsensitives Prostatakarzinom, zu dessen medikamentöser Behandlung vorrangig in den Regelkreis der Hypothalamus-Hypophysen-GonadenAchse eingegriffen wird, um den proliferativen Einfluss vom Testosteron, Dehydroepiandrosteron (DHEA) und Androstendion zu unterbinden. Dies gilt insbesondere für die Patienten, die entweder zum Erstdiagnosezeitpunkt oder nach erfolgter operativer oder strahlentherapeutischer Erstbehandlung das Stadium einer fortgeschrittenen, d.h. durch ein hohes Metastasierungsrisiko gekennzeichneten Erkrankung erreichen oder Metastasen bei gleichzeitiger Hormonsensitivität aufweisen. Der medikamentösen Hormonablation kommt somit eine zentrale Bedeutung bei der Behandlung des hormonsensitiven fortgeschrittenen Prostatakarzinoms zu. Die seit nunmehr 30 Jahren klinisch eingesetzten GnRH-Agonisten (Gonadotropin Relasing Hormone) führen durch Hyperstimulation zu einem kurzzeitig erhöhten Ausstoß an luteinisierendem Hormon (LH) und nachfolgender Downregulierung des hormonellen Regelkreises durch Rückbildung der LHRH-Rezeptoren. Wie auch bei der chirurgischen Kastration wird die Bildung prostatarelevanter Androgene, die zu zirka 95% in den Hoden stattfindet, durch die GnRH-Analoga, häufig auch als LHRH-Analoga bezeichnet, umfassend blockiert (2). Um den Einfluss der verbleibenden, in der Nebennierenrinde produzierten Androgene zu vermindern und den nach Einsatz charakteristischen Flare up, ein wenige Tage dauernder stark beschleunigter Krankheitsverlauf, zu unterbinden, werden begleitend Antiandrogene eingesetzt, um im Sinne einer maximalen Androgenblockade die hormonell gesteuerte Tumorprogression zu unterbinden. Der Einsatz von GnRH-Agonisten hat sich im Vergleich zur Orchiektomie als gleichwertig effizient erwiesen und wird heute von nationalen wie internationalen Therapierichtlinien als „der Therapiestandard“ angesehen, da die physiologisch wie psychosozial belastenden Effekte der chirurgischen Kastration so vermieden werden können (3–7). Von den verschiedenen, bei der Behandlung des fortgeschrittenen, hormonsensitiven Prostatakarzinoms eingesetzten GnRH-Analoga – Buserelin, Goserelin, Leuprorelin und Triptorelin – liegen für Goserelin (Zoladex®) umfangreichste Daten aus klinischen Studien vor. Diese umfassen beim Prostatakarzinom mehr als 5800 Patienten in Phase III-Studien , in denen der Nutzen von Goserelin in verschiedenen klinischen Situationen dokumentiert wurde (8). In einer Metaanalyse aller hormonellen Monotherapie-Studien beim Prostatakarzinom wurde aufgezeigt, dass bei vergleichbarer Effektivität der verschiedenen GnRH-Analoga gegenüber der Orchiektomie zwar keine der Substanzen im direkten Vergleich untereinander herausstechen konnte, bei Goserelin jedoch das Konfidenzinterval der ermittelten Hazard Ratio aufgrund der breiten Datenlage deutlich kleiner ausfiel als bei den übrigen Substanzen (9). Vor dem Hintergrund übereinstimmender Empfehlungen nationaler bzw. internationaler Konsensusrichtlinien stellt sich heute einzig die Frage, wie und bei welchen Patienten die Urologen und Onkologen diese Therapien bevorzugt einsetzen und wie die Behandelnden wie auch Patienten die Therapiequalität einschätzen. Subkutan zu applizierende Depotformulierungen wurden für alle genannten Präparate entwickelt, um eine belastende tägliche intravenöse Gabe zu vermeiden und einen gleichbleibenden Wirkstoffspiegel zu erreichen. Neben monatlich und zweimonatlich zu applizierenden Implantaten wurde auch ein 3-Monatsimplantat mit sehr kleinem Volumen (0,03 ml) auf Basis eines biodegradablen Lactid-Glycolid Co-Polymers entwickelt. Dieses ist seit 2004 in Form eines speziell zum Schutz des medizinischen Fachpersonals entwickelten Sicherheitssystems erhältlich, das unbeabsichtigte Verletzungen insbesondere an benutzten Injektionsbestecken sicher vermeiden hilft. Dieses System, das Zoladex Safe System® (AstraZeneca), wurde in Deutschland im Rahmen eines breit angelegten Qualitätssicherungsprojekts seit 2005 weiter untersucht, um zum einen umfassende Daten zur Verträglichkeit zu erhalten sowie, darüber hinaus, Angaben dazu, inwieweit die knapp 750 behandelnden Urologen den Therapieempfehlungen zur Behandlung des Prostatakarzinoms mit GnRH-Agonisten folgen. Die Daten dieses Projekts, das die Behandlung von 2162 Patienten dokumentierte, liefern zugleich umfassende Ergebnisse bezüglich der Bewertung der Lebensqualität im Beobachtungszeitraum und der Akzeptanz des vor Beginn der Untersuchung neu eingeführten Zoladex Safe Systems. Behandlungsalgorithmus In Übereinstimmung mit den geltenden Therapieempfehlungen für GnRH-Analoga ist der Einsatz des Zoladex Safe Systems bei Patienten mit hormonsensitivem, fortgeschrittenem Prostatakarzinom indiziert. Dies umfasst Patienten mit lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Karzinomen sowie Patienten, die nach radikaler Prostatektomie oder Bestrahlung in kurativer Intention einen PSA-Anstieg aufweisen. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Goserelin wurde in jeder Teilindikationen durch randomisierte Phase-III-Studien untersucht (10–17). Von den 2162 behandelten Patienten konnten 77% gemäß den Fragestellungen der Untersuchung ausgewertet werden – d.h. es lagen im Beobachtungszeitraum bei 1681 Patienten Daten für zumindest eine Verlaufskontrolle nach 3 Monaten vor. Über 4% dieser Patienten konnten keiner der zuvor geschilderten Indikationsstellungen zugeordnet werden, bei weiteren 12 % war die TNM-Klassifikation unvollständig bzw. fehlend. 1411 Patienten wurden nachweislich in Übereinstimmung mit den Therapieempfehlungen behandelt – und zwar im Verhältnis 1:2:1 Patienten mit PSA-Anstieg nach kurativer Behandlung versus Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Karzinom versus M+-Patienten (씰Tab. 1), wobei die Strata gemäß der Einteilung von Altwein und Mohandessi gewählt wurden (18). Verträglichkeit Die medikamentöse Hormonablation mittels Goserelin zeichnet sich durch eine insgesamt gute bis sehr gute Verträglichkeit Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. J. Schröder, J. Scheerer, E. Altwein: GnRH-Agonisten in der Therapie des hormonsensitiven Prostatakarzinoms – eine Anwendungsbeobachtung und ein gut beherrschbares Nebenwirkungsspektrum aus. In Übereinstimmung mit den bekannten therapiebedingten Nebenwirkungen stehen die bekannten Störungen wie Schwitzen, Hitzewallungen, Reduzierung der Glukosetoleranz, Knochenschmerzen, Brustschwellung und Verlust von Potenz/Libido im Vordergrund. Aufgrund vorangegangener Primärtherapien litten bereits zu Behandlungsbeginn mehr als 92% der evaluierbaren Patienten unter Impotenz verschiedener Schweregrade. Dieser Wert stieg nach Therapiebeginn auf 94% an. Als vorrangige Nebenwirkungen bestätigt werden konnten – bei nur geringen Verschiebungen hinsichtlich des berichteten Schweregrades – Hitzewallungen (Zunahme von 39% auf 66%), Gynäkomastien (von 21% auf 27%) sowie Schmerzsymptome in der Brust (von 17% auf 22%). Während des Beobachtungszeitraumes wurde, im Zusammenhang mit berichteten unerwünschten und schweren unerwünschten Ereignissen (UE/SUE), der Tod von insgesamt 28 (1,3%) Patienten berichtet. Komorbiditäten und bestehende Begleiterkrankungen waren die zumeist genannten Todesgründe neben einigen Fällen eines krebsbedingten Versterbens. Bei einem medianen Alter von 73,4 Jahren bei Beginn der Behandlung brachen 250 der insgesamt 2162 behandelten Patienten die Therapie vorzeitig ab, zumeist auf eigenen Wunsch ohne Angabe von Gründen. 55 mal (2,5%) wurde Versterben als Grund für die vorzeitige Therapiebeendigung genannt, sodass die Gesamtrate an Todesfällen im 18-monatigen Beobachtungszeitraum bei 3,8% lag. Insgesamt 75% der evaluierbaren Patienten führten die Therapie wie geplant über 18 Monate fort. Wirksamkeit Für die Indikation zur Therapieeinleitung wie auch die Verlaufskontrolle spielt das prostata-spezifische Antigen (PSA) bei den hormonsensitiven Patienten eine zentrale Rolle. Zwei Drittel aller evaluierbaren Patienten wiesen zu Behandlungsbeginn einen PSA-Wert von >2,5 ng/ml auf, der PSA-Median aller Patienten lag bei 6,9 ng/ ml bei einer mittleren Zeit von 7,6 Mona- Tab. 1 Tumorstadien der auswertbaren Patienten (N = 1681) Tumor Stadium/Tumorsituation* N % Metastasen (M1) 305 18,1 Lokal fortgeschr. (T3–4, jedes N, M0; oder jedes T, N+, M0) 767 45,6 PSA-Anstieg nach kurativer Therapie 339 20,2 422 14,4 nach RP PSA Anstieg ≤2 Jahre oder PSA-Verdopplungszeit <10 Monate oder GleasonScore 8–10 nach EBRT mit/ohne RP 36 2,1 nach jeder Androgen-Monotherapie 61 3,6 Alle klassifizierten Patienten 1411 83,9 Nicht nach TNM klassifiziert 199 11,8 71 4,2 Behandlung nicht in der Indikation RP: Radikale Postatektomie, EBRT: External Beam Radiation Therapy *Strata gemäß der Einteilung von Altwein und Mohandessi (18). ten, unter der sich der PSA-Wert vor Therapiebeginn verdoppelt hatte. Wie unter der Therapie mit einem GnRH-Analogon erwartet, waren nach 18 Monaten Behandlung noch mehr als 85% der Patienten progressionsfrei. Noch aussagekräftiger sind die beobachteten PSA-Verläufe bei den verschiedenen Indikationsstellungen (씰Abb. 1). Dargestellt sind (a) die medianen PSAVerläufe der Patienten, die nach kurativer Therapie und folgendem PSA-Anstieg behandelt wurden versus Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinom versus Patienten mit Metastasen; (b) der jeweilige Prozentsatz der Patienten, bei denen das Therapieziel erreicht wurde – ein Abfall des PSA-Werts unter 2,5 ng/ml – sowie (c) eine differenzierte Darstellung der beobachteten PSA-Wert-Verschiebungen, d.h. eine Aufstellung, wie viele Patienten der jeweiligen Indikationsgruppe unter Therapie einen deutlichen Abfall bzw. Anstieg des PSA-Wertes zeigten. Klar erkenntlich fällt der PSA-Median bei allen Behandlungsgruppen im Therapieverlauf unter den Zielwert von 2,5 ng/ml ab (씰Abb. 1a). Der stärkste Abfall des Median ist erwartungsgemäß bei den Patienten zu beobachten, die bei Therapiebeginn bereits ein relativ fortgeschrittenes Tumorstadium erreicht haben bzw. Metastasen aufweisen. Zu beachten ist zugleich, dass mit fortlaufender Behandlungsdauer die Anzahl der behandelten Patienten zurück- geht, weil die Therapie entweder nicht langfristig fortgeführt wurde oder die Dokumentation nicht weitergeführt wurde. Daher ist die Frage von Bedeutung, wie viele Patienten – unabhängig von einer nachträglichen, später beginnenden Progression unter Therapie – das Therapieziel im Behandlungsverlauf erreicht haben, d.h. einen Abfall (Nadir) unter einen Wert von (zumindest) 2,5 ng/ml. Erkennbar ist, dass bei den Patienten mit einem nach PSA rezidivierenden frühen bzw. einem lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinom mehr als 80% dieses Ziel erreicht haben (씰Abb. 1b). Bei den Patienten mit Fernmetastasen (M+) liegt dieser Anteil unter 50%, da Patienten in diesem Stadium mehr oder minder deutliche Anzeichen beginnender Hormonresistenz aufweisen. Die detaillierte Betrachtung der PSA-Wert-Veränderungen innerhalb der einzelnen Behandlungsgruppen zeigt jedoch auf, dass das „Zielwertkriterium“ bei der Gruppe der M+-Patienten in Zusammenhang mit der erreichten PSA-Reduktion zu sehen ist (씰Abb. 1c). Es ist gut erkennbar, dass, im Sinne eines Therapiebenefits, der Abfall der PSAWerte unter Therapie bei den M+-Patienten prozentual sogar am ausgeprägtesten ist. © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 243 244 J. Schröder, J. Scheerer, E. Altwein: GnRH-Agonisten in der Therapie des hormonsensitiven Prostatakarzinoms – eine Anwendungsbeobachtung Fazit für die Praxis Mit den beschriebenen Injektionssystemen für Depotimplementate zur Behandlung des hormonsensitiven fortschreitenden Prostatakarzinoms stehen sehr wirksame und für den Patienten wie Anwender sichere Produkte zur Verfügung. Die Gabe eines GnRH-Analogons wie Goserelin bleibt eine anerkannte Standardoption zur dauerhaften Verlangsamung der Krankheitsprogression unter Bewahrung der bestmöglichen Lebensqualität. Abb. 1 Übersicht zur Wirksamkeit der Therapie und den beobachteten PSA-Wert-Veränderungen: a) Vergleich des erzielten PSA-Abfalls (median) für die unterschiedlichen Behandlungsgruppen, b) Vergleichende Betrachtung bezüglich des Behandlungserfolges pro Behandlungsgruppe (in %) unter Angabe der Gruppengröße (n) und der Gesamtgruppengröße (N), und c) Zusammenfassende Darstellung der relevanten PSA-Wert-Verschiebungen (Deutlicher Abfall versus Anstieg/Progression) innerhalb der unterschiedlichen Behandlungsgruppen (in %) unter Angabe der Gruppengröße (n) und der Gesamtgruppengröße (N). (Nicht gezeigt sind die Änderungsmuster bezüglich der Patienten, bei denen unter Therapie keine PSA-Wert-Änderung bzw. ein nur mäßiger Abfall oder Anstieg im Gesamtbehandlungszeitraum beobachtet werden konnte.) Deutlicher Abfall ist definiert als PSA Abfall von >10ng/ml auf <2,5ng/ml und von >20ng/ml auf <10ng/ml. Deutlicher Anstieg ist definiert als PSA-Anstieg von <2,5ng/ml auf >10ng/ml und und von <10ng/ml auf >20ng/ml zum Ende des Beobachtungszeitraums. Lebensqualität und Anwenderfreundlichkeit Schonender hinsichtlich der Nebenwirkungen, reversibel und somit psychologisch weniger belastend – die medikamentöse Hormonablation wird von Patienten wie auch von Urologen der Orchid- ektomie deutlich vorgezogen. Dies konnte, sowohl mit Bezug auf die GnRH-Analoga wie auch auf die nicht-steroidalen Antiandrogene vor 20 Jahren in zwei kleineren Studien bestätigt werden (19, 20). Eine weitere Studie, in der sich gleichfalls mehr als 80% der befragten Patienten für die medikamentöse Option entschieden, konnte eine statistisch signifikante Verbesserung der funktionellen Lebensqualität bei medikamentös therapierten Patienten gegenüber chirurgisch abladierten nachgewiesen werden (21). Abgesehen von dieser Untersuchung sind sonst kaum Daten zur Bewertung von Lebensqualität und Therapiezufriedenheit unter LHRH-Blockade publiziert worden. Aus diesem Grund wurde bei dem hier dargestellten Qualitätssicherungsprojekt eine fortlaufende Befragung hinsichtlich Therapiezufriedenheit (Wirksamkeit u. Verträglichkeit) wie auch Lebensqualität über den gesamten Behandlungszeitraum durchgeführt. Sowohl Ärzte wie Patienten bewerteten die Verträglichkeit der Therapie durchgängig als sehr positiv: Über den gesamten 18-monatigen Therapiezeitraum wurde die Verträglichkeit von den Ärzten fast durchgängig (97,5%) als „gut“ bzw. „sehr gut“ bezeichnet. Eine ähnlich hohe Zufriedenheit zeigten auch die Patienten (96,5%). Die Therapiewirksamkeit wurde von 93% der Ärzte als zumindest „gut“ bezeichnet. Überzeugende Ergebnisse konnten auch hinsichtlich der Lebensqualität aufgezeigt werden. Hier konnte die funktionelle Lebensqualität der Patienten auf einer Skala von „1“ (gesund ohne Einschränkungen) über „5“ (gelegentliche Hilfestellung für Aktivitäten des täglichen Lebens erforderlich) bis „9“ (moribund) dokumentiert werden. Das ermittelte Skalenmittel von 2,5 zu Therapiebeginn verbesserte sich im weiteren Therapieverlauf auf einen Wert von konstant 2,3. Dies belegt den Erhalt der Lebensqualität bei diesen im Schnitt über 70 Jahre alten Patienten über den gesamten Therapiezeitraum. Ebenso wurden die behandelnden Ärzte hinsichtlich ihrer Erfahrungen mit dem untersuchten Zoladex Safe Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. J. Schröder, J. Scheerer, E. Altwein: GnRH-Agonisten in der Therapie des hormonsensitiven Prostatakarzinoms – eine Anwendungsbeobachtung System befragt. Erfreulicherweise wurde von keiner einzigen Verletzung/Kontamination mit dem Injektionssystem berichtet. 96% der Ärzte zeigten sich mit der Bedienfreundlichkeit des Safe Systems zufrieden– nur in einem Fall wurde das System als unzureichend bewertet. Interessenkonflikt Seitens Prof. Dr. Erik Altwein bestehen keine Interessenskonflikte. Dr. Jörg Schröder hat von AstraZeneca Honorare für medizinische Beratungsleistungen erhalten. Dr. Joachim Scheerer ist angestellter Mitarbeiter der AstraZeneca GmbH. Unterstützung Medical Writing durch Dr. Markus Hartmann, European Consulting & Contracting in Oncology; Editing durch Dr. Silke Zaun, AstraZeneca GmbH. Die Untersuchung wurde von AstraZeneca GmbH gesponsort. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Literatur 11. 1. Scher HI, Heller G. Clinical states in prostate cancer: toward a dynamic model of disease progression. Urology 2000; 55: 323–327. 2. Labrie F, Bélanger A, Luu-The V, et al. 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Mit einer hohen objektiven Ansprechrate (ORR) von 47% und einem medianen Gesamtu¨ berleben (OS) von über zwei Jahren ist Sunitinib (Sutent®) eine gute Wahl in der mRCC-Erstlinientherapie, meinte der Onkologe auf einem Pressegespräch. Eine aktuelle Analyse weist darauf hin, dass das Ansprechen auf Sunitinib signifikant mit dem Überleben der Patienten korreliert. Nach den RECIST-Kriterien sprachen insgesamt 398 Patienten mit einer kompletten oder partiellen Remission auf die Sunitinib-Therapie an. Gegenüber den Non-Respondern erreichten sie ein signifikant längeres medianes OS (40,1 vs. 14,5 Monate; p<0,001) (1). Dabei nahm die Ansprechrate unter Sunitinib mit der Therapiedauer zu. Ein adäquates Therapiemanagement ist dabei eine wesentliche Voraussetzung, um die Wirksamkeit der beim mRCC eingesetzten ziel- gerichteten Therapien voll ausschöpfen zu können, mahnte Berit Eberhardt von der Patientenorganisation „Das Lebenshaus e.V“.. Dies beginnt bereits im Vorfeld der Therapie. Grünwald hat hierfür in Zusammenarbeit mit der Herstellerfirma Pfizer entsprechende Schulungsmaterialien entwickelt. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Molina AM et al. Sunitinib Objective Response in Metastatic Renal Cell Carcinoma: Analysis of 1,059 Patients Treated on Clinical Trials. ASCO 2012, Abstract ID 4542. Quelle: Post-ASCO Pressegespräch „Das metastasierte Nierenzellkarzinom (mRCC) im Spiegel des ASCO 2012: Was wirklich zählt“ am 21. Juni 2012, Berlin. Veranstalter: Pfizer Oncology Deutschland, Berlin. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Forum SelteneTumoren 247 Pazopanib – neue Option bei ausgewählten Subtypen des fortgeschrittenen, rezidivierten Weichteilsarkoms „Chance auf Krankheitsstabilisierung bei möglichst guter Lebensqualität“ Weichteilsarkome machen weniger als 1% aller Malignome bei Erwachsenen aus und gehören damit zu den sehr seltenen Tumoren. Obwohl Weichteilsarkome in frühen Stadien potenziell durch Operation heilbar sind, beträgt die 5-Jahresüberlebesrate nur etwa 50%. Dies liegt daran, dass die Krankheit keine typischen Symptome verursacht und viele Weichteilsarkome deshalb erst in lokal fortgeschritten oder bereits metastasierten, nicht mehr operablen Stadien diagnostiziert werden. In fortgeschritten Stadien ist es möglich, die Krankheit durch systemische Maßnahmen zu stabilisieren. Als Standard für die erste systemische Behandlung gilt die Monochemotherapie mit Doxorubicin oder bei ausgewählten Patienten auch in Kombination mit Ifosfamid. Nach Versagen der Erstlinientherapie gab es bisher nur wenige wirksame Optionen. Nun wurde im August 2012 mit Pazopanib erstmals ein Angiogenesehemmer für die Rezidivtherapie zugelassen, der seine Effektivität in einer PhaseIII-Studie bewiesen hat (씰Abb. 1). Priv.-Doz. Dr. Lars Lindner, Experte für Diagnostik und Therapie von Knochenund Weichteilsarkomen am interdisziplinären Zentrum für Knochen- und Weichteiltumoren (SarKUM) des Klinikums der Universität München, Campus Großhadern und Innenstadt, betonte im Gespräch, dass die Krankheitsstabilisierung in der Situation des fortgeschrittenen, mit Zytostatika vorbehandelten Weichteilsarkoms ein wünschenswertes Behandlungsziel ist und dieses in der Zweitlinie mit dem neu zugelassenen, oral verfügbaren Pazopanib erreicht werden kann. ? Welche Rolle spielt die systemische Therapie bei der Behandlung des fortgeschrittenen Weichteilsarkoms? Lindner Beim lokal fortgeschrittenen Weichteilsarkom wird durch eine systemische Therapie versucht, den Tumor zu verkleinern, um dem Patienten doch noch eine operative Entfernung des Tumors anbieten zu können. Sobald die Krankheit metastasiert ist, spielt die Operation eine untergeordnete Rolle und die systemische Therapie steht im Vordergrund der Behandlung. ? In welcher Situation legen Sie bei nicht-operablen fortgeschrittenen Weichteilsarkomen Wert auf die Erzielung einer Remission und wann ist eher die Krankheitsstabilisierung von Bedeutung? Lindner Das ist die Herausforderung an uns Therapeuten: wir müssen eine adäquate Therapie finden, die dem Patienten wirklich mehr qualitativ gute verbleibende Lebenszeit bietet. Solange die Patienten symptomlos sind, unterscheidet sich im Prinzip eine Remission für den Patienten subjektiv nicht wesentlich von einer Krank- Priv.-Doz. Dr. Lars Lindner, interdisziplinäres Zentrum für Knochenund Weichteiltumoren (SarKUM) des Klinikums der Universität München, Campus Großhadern und Innenstadt heitsstabilisierung. Beim metastasierten Sarkom ist für uns daher bereits die Krankheitsstabilisierung ein wünschenswertes Therapieziel. Für die Patienten heißt Krankheitsstabilisierung, dass der Tumor nicht weiter wächst und unter Kontrolle ist. Das ist für sie ganz wichtig. Eine stabile Erkrankung bedeutet aber auch, dass Komplikationen, die durch zunehmendes Tumorwachstum entstehen, vorerst vermieden werden. Eine Remission ist für uns dann von Relevanz, wenn dadurch die Operabilität des Tumors erzielt werden kann oder bereits bestehende Symptome gebessert werden. ? Bekanntlich wirken antiangiogene Substanzen tumorstatisch und führen nicht wie zytotoxische Substanzen primär zu einer Verkleinerung des Tumors. Abb. 1 PALETTE-Studie: Das mediane PFS unter Pazopanib war gegenüber Placebo signifikant von 7 auf 20 Wochen verlängert (modifiziert nach [2]). © Schattauer 2012 Onkologische Welt 5/2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Forum Seltene Tumoren 248 Müssen für klinische Studien mit diesen neuen Substanzen statt der „Ansprechrate“ andere Studienendpunkte bei Weichteilsarkomen definiert werden? Lindner Das ist bei den Sarkomen mittlerweile schon Standard, denn auch die Ansprechraten systemischer Therapien bei fortgeschrittenen Sarkomen sind im Allgemeinen relativ gering. Als relevanter Parameter für die Effektivität wurde daher bereits 2002 die progressionsfreie Überlebensrate (PFR) von der EORTC Soft Tissue and Bone Sarcoma Group als prinzipieller Endpunkt für Phase-II-Studien in diesem fortgeschrittenen Stadium festgelegt (1). Dies ist für uns Ärzte der wichtigste Parameter. Um eine Second-lineTherapie als effektiv bewerten zu können, muss die PFR nach 3 Monaten mindestens 40% betragen. Die PFR beinhaltet auch die Krankheitsstabilisierung (SD). ? Während als Erstlinientherapie noch eine Doxorubicin-basierte Standardtherapie existiert, gab es in der Zweitlinien-Therapie bis dato keine einheitliche Therapieoption. Könnte sich das Ihrer Meinung durch Pazopanib ändern? Lindner Für die Second-Line Therapie war mit Trabectedin bereits eine zugelassene Substanz verfügbar und wir setzen auch einige andere wirksame Zytostatika ein. Doch mit Pazopanib haben wir zum ersten Mal eine Zweitlinien-Substanz, die basierend auf den Daten einer Phase-III-Studie zugelassen wurde. Zudem hat das Medikament noch den Vorteil, dass es oral verabreicht wird. Damit können wir Patienten auch ambulant außerhalb des allgemeinen Klinikbetriebs behandeln. Das erweitert die Optionen sowohl für uns als auch für die Patienten, denn in der Erstlinie hat jeder Patient bereits eine Infusion erhalten und war damit an die Station gebunden. ? Ihre Klinik ist eines der fünf ausgewiesenen Sarkomzentren Deutschlands. Haben Sie schon Erfahrungen mit Pazopanib als neuer Therapie-Option sammeln können? Wie beurteilen Sie die Wirksamkeit? Lindner Als Sarkomzentrum nehmen wir an klinischen Studien mit Pazopanib teil. Daher behandeln wir an unserer Klinik schon seit knapp einem Jahr Patienten mit Pazopanib. Wir haben in ausgewählten Situationen mittlerweile schon lange und sehr vielversprechende Verläufe gesehen. So erreichte eine intensiv vorbehandelte Patientin tatsächlich noch eine Krankheitskontrolle über 9 Monate. In der Patientenführung verzeichnen wir eine deutliche Erleichterung durch die orale Gabe von Pazopanib. ? Können Sie uns Ihre Erfahrungen im Hinblick auf die Verträglichkeit kurz schildern? Lindner Aus meiner Sicht ist dieser Tyrosinkinase-Inhibitor relativ gut verträglich, gerade im Vergleich zu anderen Multityrosinkinaseinhibitoren. Wir haben bisher – bei noch begrenzter Erfahrung – keine schwerwiegenden Nebenwirkung unter Pazopanib erlebt. Es mussten lediglich manchmal Dosisanpassungen vorgenommen werden. In der Phase-III-Studie wurde jedoch über relevante Nebenwirkungen, wie z.B. Abgeschlagenheit, Bluthochdruck, Leberwerterhöhungen und Durchfälle berichtet. Zusammenfassend kann ich feststellen, dass es sich um eine ambulant gut durchführbare Therapie mit hoher Akzeptanz von Seiten der Patienten handelt. Durch die kontinuierliche Gabe haben wir keine zyklische Belastung, wie es unter einer Chemotherapie üblich ist. Zudem beobachten wir, dass ein Teil der Nebenwirkungen sich im Therapieverlauf bessert. pie zu ersparen und ihnen damit eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen. Wie bei anderen Tumorentitäten erhoffen wir uns auch beim Weichteilsarkom eine möglichst lange Therapiesequenz bei geringer Belastung durch die Behandlungen, besonders am Anfang. ? Was wünschen Sie sich für die Zukunft bei der Behandlung des Weichteilsarkoms? Lindner Durch die Verfügbarkeit einer zunehmenden Anzahl von wirksamen Substanzen bei der Therapie des Weichteilsarkoms haben sich die Therapieoptionen deutlich verbessert. Zusätzlich gibt es Fortschritte im Bereich der Strahlentherapie und der Chirurgie, so dass auch im metastasierten Stadium durch interdisziplinäres Patientenmanagement ein mehrjähriges Überleben erreicht werden kann. Ich wünsche mir, dass die niedergelassenen Kollegen die Scheu verlieren, ihre Patienten mit Weichteilsarkom bei uns im Sarkom-Zentrum vorzustellen. Die Erkrankung ist sehr selten und der Patient profitiert von einer interdisziplinären Therapieplanung – also dem Zusammenspiel zwischen Radiologen, Pathologen, Chirurgen, Strahlentherapeuten und Onkologen. Wir verfügen in den Sarkomzentren über die volle Breite an Therapieoptionen, inklusive Studien und übergeben den Patienten nach der Therapieplanung gerne wieder in die Obhut des niedergelassenen Kollegen. Dadurch kann eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen Sarkom-Zentrum und den niedergelassenen Kollegen zum Wohl des Patienten erzielt werden. Das Interview führte Dr. Petra Ortner, München ? Wann sollte Pazopanib nach Therapieversagen auf die Erstlinientherapie eingesetzt werden? Lindner Im Rahmen der Phase III Studie waren 1 – 4 Vortherapien erlaubt. Bisher ist nicht bekannt, ob die Wirksamkeit von Pazopanib durch die Anzahl der Vortherapien beeinflusst wird. Es bietet sich jedoch an diese Therapieoption bereits zu einem früheren Zeitpunkt einzusetzen um den Patienten möglichst lange eine Chemothera- Literatur 1. Van Glabbeke M et al. European Journal of Cancer 2002; 38: 543–549. 2. van der Graaf W et al. Lancet 2012; 379: 1879–1886. Hinweis: Mit freundl. Unterstützung der GlaxoSmithKline GmbH & Co KG. Onkologische Welt 5/2012 © Schattauer 2012 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-24 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.