Die Gewalt des einen Gottes?

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8 · 28. September 2014 · Sonntags-Zeitung
Der Ägyptologe Jan Assmann veröffentlichte 1998 das Buch »Moses der Ägypter«. Seine Thesen
lösten eine Kontroverse zwischen
Theologen, Philosophen und Historikern aus, die bis heute anhält.
Assmanns Studie beleuchtet die
Rolle Ägyptens als Feindbild des
biblischen Monotheismus. Er
weist auf eine spezifische Form
der Gewalt hin, die den Offenbarungsreligionen innewohnt.
?
Wie können wir uns die Götterwelt im Alten Ägypten vorstellen?
JAN ASSMANN: Ein wichtiges
Merkmal der altägyptischen Religion ist, dass das Pantheon der
Götter auf einen Ursprung zurückgeht: auf Atum, den Sonnengott. Atum bedeutet zugleich »alles« und »nichts«. In der Schöpfungsgeschichte bringt Atum
zwei Gottheiten hervor: Schu, die
Luft, und Tefnut, das Feuer. Diese
erzeugen das Götterpaar Nut
(Himmel) und Geb (Erde), aus denen die Götter Isis, Osiris, Seth
und Nephthys entstehen.
?
Ähnelt die Religion im Alten Ägypten der griechischen Mythologie?
ASSMANN: In der altgriechischen Welt gibt es viele unterschiedliche Mythen. Dagegen ist
das Alte Ägypten von der Vorstellung beherrscht: Alles ist aus dem
Sonnengott hervorgegangen. Die
Sonne umkreist die Erde Tag für
Tag in einer Barke. Nachts steigt
sie in die Unterwelt hinab. So einen zentralen Mythos gibt es in
Griechenland nicht. Spezifisch
für Ägypten ist außerdem der Zusammenhang zwischen Kosmos
und Königtum. Jeder Pharao verkörpert den Gott Horus. Ein derart extremes Modell des Sakralkönigtums gibt es nur in Ägypten.
Den Begriff des Polytheismus
lehnen Sie mittlerweile ab und
ersetzten ihn durch Kosmotheismus. Warum?
?
ASSMANN: Polytheismus hat einen polemischen Beigeschmack.
J
an Assmanns Konzept der
»mosaischen
Unterscheidung« entfachte eine Debatte.
Vor allem Theologen wandten
sich gegen Assmanns Deutung,
dass im Gründungsakt der monotheistischen Religionen im
Bund mit dem einen Gott der
Keim zu einer spezifisch religiösen Gewalt gesät worden sei.
Ein entschiedener Gegner dieser sogenannten Monotheismusthese war der Berliner
Theologieprofessor Rolf Schieder: »Diese These ist falsch, vielfach widerlegt und gefährlich.
GLAUBE KONKRET
Der ägyptische
Sonnengott
Atum in seiner
Barke auf seiner Tages- und
Nachtreise.
Wandmalerei
in Theben aus
dem 12. / 11.
Jahrhundert
vor Christus.
picture-alliance / akg
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Die Gewalt des einen Gottes?
Wissenschaftler streiten über Jan Assmanns Studie zum Monotheismus • Von Silke Kehl
Keine Religion definiert sich
selbst über die Vielheit des Göttlichen. Daher halte ich den Begriff
Kosmotheismus für prägnanter.
Er besagt, dass das Göttliche und
die Schöpfung zusammengehören. Die altägyptische Preisung
des einen Sonnengottes Atum,
auf den alle anderen Götter zurückgehen, lässt sich durch das
Etikett polytheistisch kaum treffend charakterisieren. Genaugenommen handelt es sich um einen kosmogonischen Monotheismus, der sich in ähnlicher
Form auch in Indien findet.
Wo liegt dann der Unterschied
zwischen den drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum, Islam und der altägyptischen Religion?
?
ASSMANN: Entscheidend ist
nicht die Frage, ob es einen Gott
gibt oder viele Götter. Der fundamentale Unterschied ist der
zwischen Immanenz und Transzendenz des Göttlichen. Im Kosmotheismus sind die Götter immanent, in der Welt. Sie konstituieren und verkörpern die Wirklichkeit. Dagegen ist der biblische
Gott außerweltlich, transzendent: Als Schöpfer steht er der
Welt gegenüber. Ein weiteres,
neues und wesentliches Merkmal
des biblischen Monotheismus ist
der Aspekt der Offenbarung. Zwar
tun auch in kosmotheistischen
Religionen die Götter ihren Willen kund. Aber dass Gott sich Mose auf dem Berg Sinai oder dem
Propheten Mohammed in einer
Höhle offenbart und dass diese
Offenbarung ein für alle Mal gültig ist, das ist das Besondere.
Was meint Ihre umstrittene Formulierung von der »mosaischen
Unterscheidung«?
?
ASSMANN: Jene Unterscheidung
von wahrer und falscher Religion,
die kosmotheistische Systeme so
nicht kennen. Sich als Jude von
den Gojim oder als Christ von
den Heiden abzugrenzen, das ist
die Schattenseite der Offenbarungsreligionen. Ihren ersten
Ausdruck findet die mosaische
Unterscheidung im Buch Exodus.
Ich halte die Exodus-Geschichte
nicht für eine historische, sondern eine symbolische Erzählung
mit der Funktion, sich von Ägypten abzugrenzen. Ägypten steht
für Unterdrückung und das Alte,
von dem man sich lösen muss. Israel dagegen steht für das Neue
Schuld ist nicht immer nur der Eine
Die letzten Erfahrungen mit polytheistischer Symbolik haben
wir in Deutschland mit den Symbolen der auf germanische Götterwelten zurückgreifenden rassistischen Blut- und Boden-Religion der Nationalsozialisten gemacht. Ihr sind sechs Millionen
Monotheisten zum Opfer gefallen.« Als heikler Punkt in Assmanns These galt seinen Kritikern, dass ausgerechnet das Judentum als Begründer des Monotheismus die Gewalt in die Religi-
on gebracht haben soll. Schieder
hielt fest: »Es scheint ein spezifisch deutsches Bedürfnis zu sein,
dem Judentum Gewalttätigkeit
zuzuschreiben.« Auch der Publizist und Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik wandte sich
entschieden gegen die These Jan
Assmanns und ihre inhaltliche
Zuspitzung durch den Philosophen Peter Sloterdijk. Brumlik
analysierte Gewalttaten assyrischer Könige im Namen ihrer
Götter und die durch schama-
und den Bund mit Gott. Die zehn
Plagen, die der Gott des Volkes Israel dem Pharao sendet, können
als Abstrafung des Sakralkönigtums gelesen werden: Das Göttliche soll allein Gott vorbehalten
sein. Im Dekalog spiegelt sich die
ägyptische Glaubenspraxis als negatives Gegenmodell: »Du sollst
keine anderen Götter haben neben mir« und »Du sollst dir kein
Bildnis machen«. Beides richtet
sich gegen den ägyptischen Kult
der Bilderverehrung.
Warum liegt in der mosaischen
Unterscheidung eine besondere
Form der Gewalt?
?
ASSMANN: Gewalt hat es immer
gegeben, auch in kosmotheistisch geprägten Kulturen. Meine
These ist, dass die mosaische Unterscheidung eine spezielle Form
der Gewalt begründet: eine, die
im Namen der wahren Religion
vollzogen wird. Gewalt wird zur
heiligen Verpflichtung. Die Bibel
ist voller Belege dafür. Die Geschichte vom Goldenen Kalb
zeigt, wie hart der Götzendienst
geahndet wird. Zur Strafe lässt
Mose 3000 Mann töten. Der AntiKanaanismus im 2. und 5. Buch
Mose ist von Gewalt geprägt. Dies
nische Religion legitimierten
Megatötungen Dschingis Khans.
Brumliks Fazit war, dass »die Verbindung von Religion und Wahrheit einschließlich der Ermächtigung zur Ausübung von Gewalt
in der Achsenzeit keineswegs nur
in den mosaischen Narrativen artikuliert wurde, sondern nachweislich auch in anderen Kulturen stattfand«. Rolf Schieder hält
außerdem den Begriff des Monotheismus für nicht sinnvoll. Dieser sei eine Erfindung des deutschen Idealismus und nicht der
Religionen selbst. Zudem be-
hängt zusammen mit dem Gedanken der Bündnistreue mit
Gott. Im Christentum hat diese
gedankliche Verbindung zu Gewaltexzessen geführt. Nehmen
Sie die Kreuzzüge oder die Ermordung von Indigenen in Südamerika. Karl V. hat sich 5. Mose 20 vorlesen lassen, um sein Gewissen zu
beruhigen. Die Ausschreitungen
richteten sich nicht nur gegen
Heiden, sondern auch gegen die
sogenannten Ketzer. Die Kirche
hat während der Inquisition Albigenser und Hussiten gefoltert
und zerfleischt. Diese Form von
Gewalt ist nur denkbar im Rahmen der Unterscheidung von
wahrer und falscher Religion.
Man wirft Ihnen vor, den Monotheismus zu kritisieren und die
kosmotheistischen Religionen zu
idealisieren.
?
ASSMANN: Ich habe den Religionstypus des Monotheismus als
Gegenreligion bezeichnet, die
sich definiert über Verbote (»keine anderen Götter!«) und Abgrenzung (»kein Verkehr mit den
Kanaanäern!«). Als Kulturwissenschaftler und Ägyptologe interessiert mich, was es mit diesem »gegen« auf sich hat. Das bedeutet
nicht, dass ich mich gegen den
Monotheismus wende oder ein
kosmotheistisches Modell propagiere. Mir geht es um die Frage:
Wie hat die Exodus-Erzählung
unser kulturelles Gedächtnis geformt? Meine Kritiker haben mir
einen wichtigen Aspekt vor Augen geführt: Mose selbst geht es
nicht um die Kategorie Wahrheit,
sondern um Treue und Verrat.
Erst in späteren Schriften manifestiert sich die Unterscheidung
in wahr und falsch. Aber sie ist im
Buch Exodus angelegt: in der Abgrenzung von Ägypten. Wie diese
Unterscheidung weiter wirkt in
unserem Denken und Handeln,
das wollte ich beleuchten.
■ Jan Assmann (76) war bis 2003
Professor für Ägyptologie in Heidelberg und später Honorarprofessor
für Religionstheorie und Kulturwissenschaft in Konstanz.
schreibe die Kategorie Monotheismus das Wesen der Religionen nur unzureichend. So nehme etwa der Islam die Christen
aufgrund der Trinitätslehre als
Polytheisten wahr.
Silke Kehl
■ Rolf Schieder (Herausgeber):
»Die Gewalt des einen Gottes: Die
Monotheismusdebatte zwischen
Jan Assmann, Micha Brumlik,
Rolf Schieder, Peter Sloterdijk, Daniele Dell’Agli u. a.«; Berlin University Press 2014; 260 Seiten;
29,90 Euro.
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