Als Ärztin in China: Mut und Offenheit gefordert von Elke Lütke-Entrup, Chengdu Dr. Daria Branka (36) ist Internistin in der ParkwayHealth Klinik in Chengdu, dem größten internationalen Krankenhaus Asiens. Gleichzeitig arbeitet sie als Bereitschaftsärztin für die FAW-Volkswagen Niederlassung in Chengdu. Branka lebt seit fast vier Jahren mit ihrer Familie in China, zunächst in Beijing und seit einem Jahr in der Hauptstadt der Provinz Sichuan. Im Interview mit china.org.cn erzählt sie von ihrem Berufsalltag, der sich in China teilweise stark von dem in Deutschland unterscheidet. China.org.cn: Frau Dr. Branka, wie ist das Leben in Chengdu? Dr. Daria Branka: Im Vergleich zu Beijing ist es hier für Ausländer ein wenig abenteuerlicher. Die Ausländergemeinde ist klein, es sind zirka 5000 Menschen. Nur sechs Prozent der Einwohner sprechen Englisch. Die meisten sprechen den lokalen Dialekt, und nicht alle beherrschen Mandarin. Selbst mit meinen wenigen Kenntnissen der chinesischen Sprache komme ich deswegen nicht immer weiter und muss mich mit Händen und Füßen verständigen. Außerdem sind die Verkehrsteilnehmer sehr südländisch-temperamentvoll, und legen die Verkehrsregeln etwas weniger streng aus als in Beijing. Die Menschen hier haben eine andere Mentalität als die in Beijing. Sie genießen eher das Leben und sind weniger arbeitsfokussiert. Was gefällt Ihnen an ihrer Arbeit als Ärztin in China? Obwohl ich eigentlich Internistin bin, kann ich meine Arbeit mit der eines deutschen Allgemein- oder Hausarztes vergleichen. Das war auch in Beijing bei meiner Tätigkeit in der International SOS Klinik schon so. Ich bin mit einem sehr breiten Krankheitsspektrum konfrontiert. Schön sind die Vielfalt der Nationalitäten und die gegenseitige Verbundenheit in der Ausländergemeinde. Trotz oder gerade wegen der geringen Zahl der Ausländer habe ich rasch sehr viele Menschen kennengelernt. Zwischen Arzt und Patient entsteht schnell ein enges Verhältnis. Durch die relativ kleine Anzahl der Patienten kann ich mit jedem Patienten viel Zeit verbringen und alle Details seiner Krankheit und Therapie detailliert besprechen. Es ist normal, dass ich alle meine Patienten ein paar Tage nach der Untersuchung anrufe und mich nach deren Gesundheitszustand erkundige. In Deutschland wäre das aufgrund der vielen Patienten gar nicht möglich. Was gefällt Ihnen weniger? In der Notrufzentrale 112 wird nur Chinesisch gesprochen. Ohne Mandarinkenntnisse hat ein Anrufer im Notfall keine Chance. Die technische Ausstattung der Klinik und die verfügbaren Medikamente unterscheiden sich von dem, was ich in Europa gewohnt bin. Zum Glück ist unsere Klinik ist an eines der größten Krankenhäuser in China, das Chengdu Number 1 People's Hospital, angebunden. Im Notfall können wir von den dort arbeitenden Kollegen Hilfe anfordern, auch wenn es manchmal noch ein wenig mühsam ist, sich gegenseitig zu verständigen. Was meinen Sie damit? Die Sichtweise der Therapie unterscheidet sich erheblich zwischen Europa und China. Zweifellos sind die chinesischen Kollegen gut ausgebildet. Sie stellen die richtige Diagnose und setzen die richtigen Medikamente an. Sie dosieren aber sparsamer, und verabreichen Medikamente nur so lange wie unbedingt notwendig. Aufgrund der großen Zahl der Patienten werden Hygienevorschriften und –regeln auch stellenweise etwas flexibler gehandhabt als in Europa. Und schließlich hat die Privatsphäre der Patienten in China keinen so hohen Stellenwert wie in Europa. Die Chinesen nehmen an allem gern Teil und schauen gerne bei allem zu. Die Tür wird bei einer Konsultation mit dem Arzt gar nicht zugemacht. Wegen der großen Belegung liegen die Patienten auch am Flur entlang. Ihre Betreuung erfolgt größtenteils durch Angehörige. Wie viele deutsche Patienten kommen pro Tag ins ParkwayHealth? Wenige. Die deutsche Gemeinde in Chengdu umfasst zirka 300 Menschen. Im Durchschnitt kommen täglich zwei deutsche Patienten zu uns. Ich betreue aber nicht nur deutsche Patienten, sondern Patienten aller Nationalitäten. Die Arbeitssprache ist natürlich Englisch. Sind Sie die einzige deutsch sprechende Ärztin in der Klinik? Ja, ich bin sogar die einzige europäische Ärztin in der ganzen Stadt. Außer mir arbeiteten in unserer Klinik noch ein amerikanischer und ein chinesischer Arzt. Dank des Chengdu Number 1 People's Hospitals können wir gegebenenfalls sofort mit Spezialisten zusammen arbeiten. Außer uns gibt es in Chengdu nur noch drei andere westliche Ärzte. Mit welchen Beschwerden kommen die meisten Deutschen zu Ihnen? Das ist sehr unterschiedlich, meistens sind es klassische Probleme wie Bluthochdruck, Husten, Durchfall, fieberhafte Infekte, Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen. Ich mache zurzeit sehr viel Frauenmedizin und Kindermedizin. Ansonsten gibt es häufig Magen-Darm-Probleme und Erkrankungen der Atemwege. Gehen Deutsche häufiger zum Arzt als Chinesen? Nein, im Gegenteil. Besonders die ausländischen Männer bleiben ungern von der Arbeit fern und gehen erst dann zum Arzt, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt. Oft gehen sie auch sehr krank zur Arbeit. Ein durchschnittlicher westlicher Patient wartet in der Regel, ob die Beschwerden auch ohne ärztliche Hilfe nachlassen. Chinesischen Patienten sind gesundheitsbewusster. Insbesondere chinesische Frauen reagieren auch auf kleine Symptome sehr sensibel. Welche Unterschiede gibt es zwischen dem, was deutsche Patienten von einem Arzt erwarten und dem was chinesische Patienten erwarten? Chinesische Patienten sind es gewöhnt, dass die Konsultation mit Untersuchung und Rezeptausstellung in einem chinesischen Krankenhaus oft nur weniger als fünf Minuten dauert. Dabei befinden sich im Raum außer dem medizinischen Personal und dem Patienten auch andere wartende Patienten. Es scheint keinen zu stören. Ein deutscher Patient erwartet, dass sich der Arzt soviel Zeit nimmt, wie es der Patient wünscht. Er legt sehr viel mehr Wert auf die Wahrung der Vertraulichkeit und der Privatsphäre. Nun zu Ihrer Arbeit bei Volkswagen: Wieso hat VW eine Bereitschaftsärztin? In Chengdu gibt es nur zwei internationale Kliniken, keine davon bietet einen 24 Stunden Bereitschaftsdienst an. In den lokalen Krankenhäusern wird sehr wenig Englisch gesprochen. Für einen Patienten, der keine fortgeschrittenen Kenntnisse des Mandarin hat, ist die Verständigung mit einem chinesischem Arzt fast unmöglich. Außerdem können manche Deutsche nicht so gut Englisch, dass es für eine detaillierte Beschreibung der Krankheitssymptome reicht. Sie sind deshalb froh, in ihrer Muttersprache kommunizieren zu können. Es gibt ihnen die Sicherheit, genau verstanden zu werden. Deswegen stehe ich allen VW Mitarbeitern für Notfälle 24 Stunden zur Verfügung. Wann und für welche Fälle werden Sie am häufigsten gerufen? Meistens sind es Unfälle im Werk wie Schnittwunden, Quetschungen. Es gibt auch häufig Sportunfälle, denn FAW-VW hat eine eigene Fußball-Liga (lacht). Bei Kindern sind es meist fieberhafte Erkrankungen. Wir mussten aber auch schon einmal einen Mitarbeiter wiederbeleben, der aufgrund einer Lungenembolie einen Herzstillstand erlitt. Auch ein Schlaganfall und ein Zuckerschock waren dabei. Welche Voraussetzungen sollte ein deutscher Arzt mitbringen, der in China arbeiten möchte? Er sollte Facharzt in Deutschland sein – ein Assistenzarzt reicht nicht aus. Außerdem sollte er die Kenntnisse eines Allgemeinarztes haben. In China muss jeder Bewerber zusätzlich eine Zulassungsprüfung zum Allgemeinarzt absolvieren. Diese ist nicht einfach. Die Art der Präsentation spielt eine genauso große Rolle, wie die fachlichen Kenntnisse. Außerdem sollte er gut Englisch sprechen. Doch das allerwichtigste ist Mut und Offenheit gegenüber der anderen Kultur.